Das Fremde Mädchen von Tyra-Leonar ================================================================================ Kapitel 2: Verlorene Erinnerung ------------------------------- "...Wer.... bist du?" fragte ich. Der Fremde blickte mich nur weiterhin blöde an und gab keine Antwort. Dafür nahm er seine Arme wieder runter und schaute nun abwechselnd traurig und entschuldigend fröhlich. Wobei seine Mimik bei je-dem dritten Wort wieder umschwang. "Na ja,.... also... äh... ich bin Nant-win.... ähm..." sagte er, als ob das genügen würde und wieder nahm er seine Arme hoch. Auch diesmal ging ich nicht auf ihn zu, genau deswegen nahm er die Arme auch wieder herunter und ging stattdessen einen Schritt auf mich zu. Ich dafür einen Schritt zurück. Aber weit konnte ich nicht, da war schon die Klippe. Dies bemerkte ich, als ich einen sichernden Blick über meine Schulter warf, um nachzuschauen wie weit es noch bis zum Fallen war. Nicht weit wie sich heraus-stellte. Ich richtete meine Aufmerksamkeit wieder dem angeblichen Nantwin zu, der mich anscheinend gut kannte oder einfach nur ein Schinkencasanova war. Schinkencasanova? Wo habe ich denn das Wort nur her? Und überhaupt, warum kann ich mich nicht mehr an meine Vergangenheit erinnern? Was ist nur mit mir passiert? Vielleicht weiß er ja etwas. "... Nantwin...? richtig?" Nantwin lächel-te mich an, anscheinend hoffte er, dass ich mich wieder erinnert hatte wer er war. Fehlgeschlagen mein Lieber... und das sag ich dir jetzt auch. "Brauchst gar nicht so zu denken... ich erinnere mich nicht ein bisschen. Weder an dich noch an das alles hier..." ich machte eine ausladende Handbewegung und meinte damit die ganze Umgebung und selbst das Haus, dann fuhr ich fort. "... Du bist mir höchst suspekt und trauen tu ich dir auch kein bisschen...!" Bei diesen Wor-ten sah er mich schockiert an und seine Kinnlade klappte nach unten. "...also, weiter im Text... wo bin ich hier und... wo komm ich her? Sprich schon!" fügte ich hinzu, als er keine Anstalten machte zu antworten. "Also... ähm..." er kratzte sich verlegen am Hinterkopf und gluckste vor sich hin "das hier... ähm... das hier ist unser Haus und unser Wald.... äh" er schaute mich an, ob ich auch verstanden hatte. Aber diesmal war ich es der die Kinnlade herunter-fiel und schockiert schaute. Hastig fuhr er fort und schaute mit leicht rotem Kopf zu Boden "... nun ja und..." er kam ins Stocken und seine Stimme erstarb. "Und welche Beziehung verbindet uns zwei?" fragte ich spöttisch. Der Kerl kann überhaupt nicht gescheit erklären. Soll er doch einfach die Geschichte erzählen wie sie war und nicht rumglucksen. Oh Mann, ist dieser Kerl mir zuwider. "Nun ja..." sein Kopf wurde immer röter, doch langsam war mir das total egal. "Uns verbindet mehr als Freundschaft... puh... ich sollte von vorne anfangen." Er blickte mich an, ob ich damit auch einverstanden war. Ich wollte einen gehässi-gen Spruch von mir lassen, doch ich biss mir auf die Lippe und schluckte die bö-sen Worte wieder hinunter. Ich schloss die Augen, um ihn nicht mehr sehen zu müssen, sonst hätte ich meinen Satz doch gesagt, und nickte. "Also... chrm..." auf einmal war er so gefasst und ruhig und das Dumme war... irgendwie törnte mich das an, so´n scheiß! "Wir waren Sandkastenfreunde bis ich als ich neun Jahre alt war wegzog. Du warst damals acht, und du hast fürchterlich geweint und geschrien." Er lachte bei diesem Gedanken, was mich noch mehr antörnte. Argh verdammt... (laber net hör lieber zu! Tz tz tz!!) "Doch die Kutsche fuhr trotzdem ab. Ich konnte dich sehen, durch das Loch hinter mir und hören auch. Es war herzzerreißend. Deine Mutter fing dich schnell wieder ein und nahm dich auf den Arm um dich zu trösten, doch alles half nichts. Was noch weiter ge-schah, sollte ich erst sehr viel später erfahren." Er machte eine Pause und hol-te laut Luft. "Nach sechs Jahren kam ich wieder nach Hause, ich war zur Lehre gewesen, deswegen war ich auch gegangen. Aber was ich dann sah, stimmte mich unendlich traurig." Ich schaute ihn wie gebannt an und lauschte. Warum war er jetzt so traurig? Hatte sich die damalige Lage nicht geändert? Bestimmt schon, aber.... warum sah er dann jetzt so aus? War es so schlimm gewesen. Ich erschrak, als ich seine Hände bemerkte. Sie waren zu Fäusten geballt. Und jetzt bemerkte ich auch, was noch so war. Er zitterte am ganzen Körper:... bitte ... bitte erzähl doch weiter. Mit flehendem Blick hoffte ich, dass er auf-hörte so traurig zu sein. Aber warum wollte ich das überhaupt? Tat er mir so Leid? "Was ich dann sah, war schrecklich und vor allem war es alles meine Schuld!" schallt er sich selbst und schloss verbittert die Augen "Du... hattest aufgehört zu sprechen und nie wieder gelacht seitdem ich fortgegangen war. Deine Schulnoten hatten dadurch nicht gelitten aber ... dein Herz war schwarz gewesen. Schwarz wie die Dunkelheit..." Nun sah er mich wieder an. Sein Blick war so voller Mitleid und ich biss mir auf die Lippe, um meine Gefühle zu unter-drücken. "Auch mit mir wolltest du nicht reden. Als ich deine Mutter fragte, erzählte sie mir, dass du seit dem Tag an dem ich gefahren war in diesem Zu-stand warst und dich schon öfters versucht hättest umzubringen." Er seufzte, schüttelte den Kopf, blickte dann wieder gen Boden und schaute wieder traurig "Genau .... genau das geschah auch als ich dich wieder sah. Du ranntest vor mir weg, ich wollte dir hinterher, aber du warst schneller, viel zu schnell. Sie fan-den dich... Die Dorfbewohner fanden dich im Fluss. Halberfroren und klinisch tot. Und das Dumme ist, das passierte öfters, jedes Mal wenn du mich sahst. Aber ich lernte dazu, wurde schneller und eines Tages kam ich dir zu Hilfe. Wieder wolltest du von der Brücke in den Fluss springen... aber mit mir hattest du nicht gerechnet. Ich seh es vor mir, als würde es jetzt gerade passieren: Einen Fuß schon vorgesetzt fielst du senkrecht in die Tiefe. Ich sprang über die Brüstung der Brücke und streckte meine Hände nach dir aus. Mit einem Köpper schnappte ich dich und wir fielen ins eiskalte Wasser, es schlug über uns zu-sammen und du sahst mich an. Weder böse noch todunglücklich, dass ich dich vom Tod abgehalten hatte. Nein... erst warst du erschrocken und dann lächel-test du. Ein Lächeln, das ich vorher noch nie in meinem Leben gesehen hatte, so lieb und alles andere um dich herum hattest du vergessen. Ich schwamm mit dir wieder hinauf zur Wasseroberfläche und brachte dich ans Ufer. Keuchend beug-te ich mich über dich, um zu schauen, ob du auch okey warst. Aber du warst mehr als das... du zogst meinen Kopf herunter und meine Lippen berührten die deinen. Ich war anfangs ehrlich gesagt erschrocken, aber das legte sich bald wieder. Ich... ich schloss meine Arme um dich... und so blieben wir eine Weile liegen. Bis ich merkte, dass dir kalt war. Du musstest schleunigst aus diesen nassen Klamotten raus. Du schienst meine Gedanken gelesen zu haben und... ä-chem... na ja... du hast mir die Kleider vom Leib gerissen... und... und da konnte ich nicht anders und hab auch und na ja... also... ächem... unsere nack-ten Körper wärmten uns, so kamen wir auch um eine Lungenentzündung herum... und ähm... ich glaube, ich muss das nicht weiter erläutern..." Mit hochrotem Kopf lief er hin und her um mich nicht ansehen zu müssen. Ich schaute ihn da-für mit schiefem Blick an... was war schon dabei? Ach egal... Er blieb stehen und legte sich die Hände auf die Wangen. "Ich bin arg rot stimmt´s?" Ich schüttelte den Kopf und ging auf ihn zu. "Nein... nur ein bisschen..." ich legte ihm meine Hand auf seine eigene und schaute ihn eindringlich an "Stimmt das alles? Was ist dann passiert?" "Ah ja, ich vergaß... also ich wollte nicht weiter in diesem Dorf leben. Ich glaube sie hielten mich für einen Zauberer, weil du auf einmal wieder angefangen hattest zu sprechen. Und zu jener Zeit waren die Hexenverbrennungen gar nicht so lange her, nun du kannst dir vorstellen wie sie dann mit einem Zauberer, ob er nun einer ist oder nicht, umgehen würden. Ich wollte gehen und wieder ranntest du mir nach. Diesmal konnte ich anhalten... zum Glück. Du wolltest unbedingt mit. Ich lehnte ab, du warst dort zu Hause... aber du drohtest mir, dass du wieder schweigen würdest und so weiter... Das ließ ich nicht zu. Also nahm ich dich mit. In der nächsten Nacht verschwanden wir und bauten uns hier ein neues zu Hause auf. Was uns gut gelungen ist, nicht?" er deutete mit dem Daumen hinter sich und grinste. "Und weiter? Wa-rum kann ich mich nicht mehr erinnern?" "Nun ja, damit kommen wir zu dem Teil der Geschichte, der mir selbst komisch vorkommt. Ich fand dich im Wald. Du warst bewusstlos und außerdem seit Tagen nicht zu Hause gewesen. Also suchte ich nach dir; als ich dich fand warst du unterkühlt und fast verhungert. Ich päppelte dich wieder auf, doch bewusstlos bliebst du nach wie vor. Du kannst dir gar nicht vorstellen wie schwer es ist jemanden zu füttern, während er schläft oder in einem ähnlichen Zustand ist. Und heute, ja heute bist du endlich aufgewacht und...." sein Grinsen verschwand und wieder wurde seine Miene tief traurig "... und du kannst dich an nichts erinnern...." Ich blinzelte ihn ungläu-big. an "Im Wald? Bewusstlos? So ein Schmarn... Ist mir ein Ast auf den Kopf gefallen oder was? Wenn ich irgendwo runter geplumpst wäre, würde ich mich nicht wundern, aber.... war da nirgends ein Ast oder andere Spuren?" "Nein, nicht wirklich, nur die Tierspuren von den Tieren, die dich leicht angeknabbert hatten." Wieder grinste er, diesmal über seinen eigenen Witz. Ich fand das gar nicht spaßig... so was Blödes, warum konnte ich mich nur nicht erinnern. "Und... wie heiß ich?" ich wusste die Antwort, es war eher ein Test, ob er mich auch wirklich kannte und sich diese Geschichte nicht ausgedacht hatte. "Tiphereth, kannst du dich auch daran nicht erinnern?" "Nein, es war ein Test." "Du traust mir nicht, stimmt´s? Ehrlich gesagt... würde ich auch nicht, wenn ich an deiner Stelle wäre... an was kannst du dich denn noch erinnern?" ändert er das Thema schnell wieder, um nicht im schlechten Licht zu stehen. "An..." begann ich. Nantwin beugte sich zu mir herunter und schaute mich gespannt an "An...." er kam immer näher "An gar nichts" sagte ich kurz heraus. Bumm. Nantwin war umgefallen. "An nichts?" "Ja" "An wirklich gar nichts??" "Das sagte ich doch bereits!" Er schwieg, legte sich auf den Rücken, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und schaute in den Himmel. Ich ging in die Hocke und schaute ihm beim Gucken zu. Nach einer Weile fand ich ihn nicht mehr so interessant wie am Anfang, schaute mich weiter um und strich mir immer wieder eine Haarsträhne aus dem Gesicht, die der Wind hinein geweht hatte. "Also dann!" erschrocken blickte ich zu ihm auf. Er stand wieder auf den Beinen und grinste zu mir hinun-ter. "Wollen wir was an deinen Gedächtnislücken ändern!" er reichte mir die Hand und grinste noch schelmischer. Ich ließ mich hochziehen und stand ihm nun gegenüber. Ohne weitere Worte zieht er mich von der Klippe weg und um das Haus herum. "Da drin warst du ja schon..." murmelte er vor sich hin und zieht mich weiter zum Wasserfall. Am Ufer des Flussbetts blieb er stehen und stemmte die Hände in die Hüften "Also...?" "Was also?" "Kannst du dich an et-was erinnern?" Jetzt wusste ich was er meinte und schaute mir den Wasserfall genauer an, der Fluss unter ihm kräuselte sich leicht im Wind. Ich lief weiter ans Ufer und ging wieder in die Hocke. Wie aus einem Reflex heraus, streckte ich die Hand nach dem Wasser aus und strich über die Oberfläche. Bammmm.... So viele Bilder drangen durch meinen Kopf.... Ein Mädchen... mit lila farbenem Kleid.... es weht im Wind.... sie steht vor dem Wasserfall... Bammmm.... nächstes Bild.... es regnet.... dasselbe Mädchen, dasselbe Kleid.... es dreht sich in der Hocke um.... es ist älter als vorher.... reifer und es lächelt.... Bammm.... diesmal kein Bild. Ich war umgefallen. "Au" "Was ist?" Nantwin war an meiner Seite und stütze mich. "Diese Schmerzen... es tut so weh..." er schaute mich hilflos an und überlegte fieberhaft, wie er mir helfen konnte. Was waren das für Bilder gewesen? War ich das? Diese Schmerzen.... Mit Nantwins Hilfe stand ich wieder auf. "Lass uns weggehen." Er verstand und führte mich zum Wald. Wieder blieb er stehen und wieder schaute ich mich genauer um. Ei-gentlich wollte ich mich nicht mehr erinnern. Diese Schmerzen wollte ich nicht noch einmal erleben. Zu spät.... Bammmm.... wieder die Frau.... diesmal eine Hose und ein Hemd.... verschwitzt beim Holzhacken.... ich sehe durch ihre Au-gen... da ist jemand... ich kann sein Gesicht nicht erkennen.... aber dieses Ge-fühl... hmmmm.... es ist so schön.... Bammmm..... Ein Blitz schlägt in den Baum.... jemand hält mich fest, umarmt mich..... ich kann den Kopf nicht dre-hen... wer ist das nur?...... Ich fasste mir an die Schläfe und kniff die Augen zusammen. Auch biss ich die Zähne zusammen, um nicht laut loszuschreien. Das ging alles viel zu schnell, wie sollte ich mich da richtig erinnern! "Ach verdammt" "Was ist?" Wieder war Nantwin besorgt an meiner Seite. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass ich die letzen Worte laut gesagt hatte. Ich zwang mich noch einmal den Wald anzuschauen. Diesmal geschah nichts. Außer, dass ein stärke-rer Wind aufkam und die Baumwipfel sich im Wind wiegten. Einige Vögel stiegen in die Luft und zwitscherten wild durcheinander. "Wir sollten uns hier draußen beeilen, es zieht ein Gewitter auf." Ich folgte seinem Blick zur Klippe und über diese hinaus. Der Horizont war vollkommen dunkel und es donnerte schon be-drohlich. Ich ging zurück auf die Klippe zu und ließ meinen Blick über den Strand darunter gleiten. Da unten lief jemand.... nein... nur ein Schemen, aber... das konnte nicht sein... wieder diese Frau.... das war ich.... ich war das Mädchen und nun diese Frau.... ja genau das war´s.... ich erinnerte mich. Es war Som-mer und ich rannte den Strand entlang gefolgt von jemandem... aber wem... verflucht... ich kann mich doch nicht ganz erinnern. Nantwin hakte sich bei mir ein. "Lass uns rein gehen, Liebes. Wir können morgen weiter versuchen dein Ge-dächtnis aufzufrischen." Wieder lächelte er, auch wenn sich dahinter nur diese tiefe Traurigkeit verbarg. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)