Tage der Vergeltung von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 13: Chapter XIII ------------------------ Regenwald Sierra Madre / Mexico 20.30 h 25. Mai Tatsächlich hatte sich die Nacht mit ihrer samtenen Schwärze bereits über das Plateau gelegt und niemand hielt sich mehr außerhalb der Hütten auf. Mulder holte seine Taschenlampe heraus und huschte zum Waldrand hinüber, an dem er sich noch einmal vergewisserte, dass ihm niemand folgte. Dann tauchte er in das Unterholz ein und war verschwunden. Er konnte Lucàrs Hinweis nicht einfach so ignorieren. Was wenn er Recht hatte? Sie müssen dorthin gehen, Mulder! Tun Sie das nicht, werden Sie die Wahrheit nie erfahren. Mulder schüttelte den Kopf, um den Gedanken zu vertreiben und folgte konzentriert dem Pfad, den sie vorhin selber angelegt hatten. Er merkte nicht, dass er von einem Paar kindlicher Augen beobachtet und verfolgt wurde. Je weiter Mulder in den Wald vordrang, desto unsicherer wurde er. Was hatte er sich eigentlich dabei gedacht, ganz allein zu gehen? Er wusste nur zu genau, dass er sich möglicherweise in Lebensgefahr befand. Immer wieder leuchtete er seine Umgebung ab. Seine Nackenhaare sträubten sich, als er die Rufe und Geräusche der Nachttiere hörte, die mal weit entfernt, mal ganz in seiner Nähe ertönten. Sie schienen in der Stille der Nacht lange widerzuhallen und erschienen ihm weitaus gefährlicher als tagsüber. Er fluchte leise, als er merkte, dass das Licht seiner Taschenlampe langsam aber beständig schwächer zu werden begann. Die Sicht war so oder so schon schlecht genug. Vorsichtig setzte er einen Fuß vor den nächsten und versuchte sich so leise wie möglich zu bewegen. Dennoch wäre er um Haares breite in eine schwarze Felsspalte gestürzt, die sich urplötzlich neben ihm aufgetan hatte. Sein Herz machte einen Sprung und er schloss für einen Moment die Augen, um sich zur Ruhe zu zwingen. Es war dumm gewesen, allein zu gehen und noch dazu bei Nacht. Er blieb stehen und lauschte angestrengt. Aber das einzige was er hörte, war das Flüstern des Windes im Laub, sein eigener, harter Herzschlag, dass Knarren der Bäume und – das Rascheln von Schritten auf trockenem Laub. Regungslos stand er da und wartete. Doch nichts geschah. Für einen kurzen Moment überlegte Mulder, ob er nicht doch besser umkehren sollte. Aber das unwiderrufliche Gefühl etwas zu verpassen wenn er nicht weiterging, das in seinem Kopf die Alarmglocken läuten ließ, ließ ihn nicht los. Er musste weiter, es war wie ein Zwang. Während er weiterging, versuchte er den Grund für sein verrücktes Verhalten zu finden. Normalerweise war er nie so leichtsinnig. Er konnte sich sein eigenes Verhalten nicht erklären. Ein leises Rascheln hinter ihm ließ ihn herumfahren. Misstrauisch suchte er die Dunkelheit jenseits des Lichtkegels ab. Jeder Muskel in seinem Körper war gespannt und seine Sinne arbeiteten um ein vielfaches intensiver als zuvor. Er war nicht bewaffnet. Wenn ihn jetzt etwas angriff, war er so gut wie vollkommen wehrlos. Ein kalter Schauer huschte seinen Rücken entlang, als der Wind ihm von hinten in den Nacken blies und die Büsche sanft wiegte, so dass sie lange, verzerrte Schatten im Licht der Taschenlampe verursachten. Zischend sog Mulder die Luft zwischen den Zähnen ein, als er eine Bewegung ganz in seiner Nähe ausmachte, wich einige Schritte zurück und richtete den Strahl seiner Lampe darauf. Verblüfft, aber auch erleichtert, stöhnte er auf, als das Licht ein kleines Mädchen erfasste. „Was zum Teufel machst du hier?“ Mulder entspannte sich wieder und ging vor dem Mädchen in die Hocke. „Du hast mich ganz schön erschreckt, weißt du das?“ Innerlich zog er eine Grimasse. Erschreckt war bei weitem untertrieben. Seine Nerven waren kurz davor gewesen durchzubrennen. Die Kleine sah ihn aus großen, unschuldigen Augen an, sagte aber kein Wort. Angst spiegelte sich in ihnen, was Mulder ihr nicht verübeln konnte. Er lächelte sanft. „Ausreißer. Deine Eltern werden vor Sorge umkommen wenn sie entdecken, dass du fort bist. Es ist gefährlich sich nachts im Freien aufzuhalten, das weißt du doch, oder?“ Er sah sie forschend an. „Weshalb bist du mir überhaupt gefolgt?“ Sie sagte noch immer nichts. Stattdessen ergriff sie die Hand des Agenten und zog ihn ein paar Schritte mit sich, zurück in die Richtung, in der sich das Lager befand. „Nein, nein.“ Mulder versuchte seine Hand zurückzuziehen, aber das Mädchen klammerte sich beharrlich an ihn. „Ich muss in die andere Richtung! Ich...“ „Das darfst du nicht! Du darfst dort nicht hingehen! Dieser Ort ist verflucht, es könnte deinen Tod bedeuten.“ Die Stimme der Kleinen war dünn und zitterte vor Angst. Dennoch schwang so viel Inbrunst in den Worten, dass Mulder hellhörig wurde. Er sank erneut auf ein Knie und schaute dem Mädchen in die Augen. Tränen schimmerten in ihnen. „Woher willst du das wissen? Und woher weißt du überhaupt wo ich hinwill?“ Sie sah ihn scheu an. „Mein Vater sagte es mir, bevor er mich hinter dir herschickte. Er sagte, du und deine Partnerin wären in großer Gefahr. Mehr als du es im Augenblick vielleicht weißt. Bitte komm mit mir!“ Eine Weile blieb Mulder noch hocken und überlegte. Er wusste nicht, von wem dieses Mädchen das Kind war. Aber wer immer es auch war, er musste mehr wissen, als Scully und er. Und es musste ihm wirklich viel daran gelegen haben ihn aufzuhalten, wenn er seine eigene Tochter schickte. Er musste darauf gezählt haben, dass Mulder ein guter FBI-Agent war und nie im Leben ein noch nicht einmal zehn Jahre altes Mädchen allein im Regenwald zurücklassen würde. Da lag er verdammt richtig. Mulder knirschte mit den Zähnen und stand auf. Er hatte keine andere Wahl, wenn er das Mädchen nicht einer noch viel größeren Gefahr aussetzen wollte, indem er sie einfach mitnahm. Sie zog nervös an seiner Hand, ihr war deutlich anzusehen, dass sie Todesängste ausstand. „Wir müssen uns beeilen! Er weiß bereits, dass du hier bist und er wird diese Chance nicht außer Acht lassen. Er wird dich nicht wieder gehen lassen wollen.“ Mulder war zu verwirrt um nachzufragen von wem sie denn überhaupt redete und folgte ihr ohne weiteres Zögern. Wenn ihr Vater Recht hatte, mussten sie wirklich so schnell wie möglich zurück ins Lager. Sie rannten fast die gesamte Strecke zurück. Mulder wusste nicht genau wieso, aber er hatte das Gefühl, als würde der Wald immer näher rücken, sie immer mehr einengen. Und irgendwann wusste er mit Gewissheit, dass sie verfolgt wurden. Er warf einen Blick über die Schulter, konnte aber in der düsteren Finsternis nichts erkennen. Aber dafür fühlte er um so deutlicher, mit allen Sinnen die er besaß, dass dort etwas auf sie zukam. Etwas Furchtbares, etwas für das menschliche Auge nicht Greifbares. Gehetzt wandte er sich wieder nach vorn, nahm das Mädchen auf den Arm und begann schneller zu laufen. Er fühlte mit einer beklemmenden Intensität, dass sie es nicht schaffen würden. Mulder spürte, wie Panik in ihm aufstieg und sein Denkvermögen zu beeinflussen begann. Er stürzte vorwärts, krampfhaft darauf bedacht den Weg nicht zu verlieren. Das Mädchen schützend an sich gedrückt brach er rücksichtslos durch das dichte Unterholz und kämpfte sich durch das Wirrwarr an Pflanzen, die allesamt zu versuchen schienen, ihn am Vorwärtskommen zu hindern. Hinter ihnen erhob sich ein Flüstern und Wispern in den Bäumen und Büschen, Pfützen und Sträuchern, verdorrtem Laub und verrottetem Holz. Es klang, als würden Stimmen in einer fremden Sprache, aus einer anderen Dimension, zu ihnen sprechen. Mulder schüttelte den Kopf und biss die Zähne zusammen, dass es knirschte. Er durfte nicht darauf hören! Er durfte nicht aufgeben, auch wenn das Wispern in seinem Kopf quälend widerhallte und beständig lauter zu werden schien, ihn schier dazu zwingen wollte, stehen zu bleiben. Endlich lichtete sich der Regenwald ein wenig und das Felsplateau war zwischen den Bäumen zu erkennen. Mulder raffte seinen letzten Willen auf und versuchte noch einmal dem Unheil zu entkommen. Aber er musste erbittert kämpfen. Er hatte kaum noch die Kraft sich auf den Beinen zu halten, kam immer wieder ins Wanken. Sein Blick verschleierte sich zusehends. Mit einem Mal begann das Mädchen in seinen Armen laut zu schreien und zu weinen, und Mulder wurde bewusst, dass er fast verloren hatte. Keuchend taumelte er aus dem Wald heraus auf das Plateau – und stürzte. Das Mädchen machte sich zappelnd von ihm los und floh, ließ ihn allein zurück. Mulder fuhr herum und stieß einen verzweifelten Hilfeschrei aus. Was er dort sah, was sich dort über ihn beugte, war für den menschlichen Verstand einfach zu grausam. Rücklings versuchte er wegzukriechen, konnte den Blick jedoch nicht von dem abwenden, was er sah. Oder was er imstande war zu sehen. Er fühlte es vielmehr, als dass er es wirklich sah. Es erschien körperlos und hatte auf eine unwirkliche Art dennoch eine Gestalt. Und es war schwarz. Schwarz wie die Hölle und absolut vernichtend. Dann formte sich etwas vor den Augen des FBI-Agenten, dass die Grausamkeit eines jeden vorstellbaren Horrors weit überstieg. Mulder krümmte sich gepeinigt, schlug die Hände vor das Gesicht und schrie. Er brüllte und wand sich hilflos unter dem Anblick, dem er nicht gewachsen war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)