Shadow von Calyses ================================================================================ Kapitel 6: ----------- „Was sollte das jetzt wieder?“ Shadow war ratlos. Diese Fremde setzte ihr Leben für ihn ein und dann tat sie, als wolle sie nichts mit ihm zu tun haben. Sie gab ihm ein Rätsel nach dem anderen auf. „Dort drüben liegt ein Rattfratz, falls du Hunger hast. Hol es dir, bevor es dir geklaut wird“, Velvet lief einfach weiter. „Warte, bitte warte!“ bat Shadow. Ein flehender Unterton belegte seine Stimme. „Bleib stehen!“ Und tatsächlich, Velvet blieb stehen, doch sie drehte sich nicht um. Ihren Blick von dem Fiffyen abgewandt fragte sie schließlich: „Was?“ Shadow schluckte. Der schroffe Tonfall Velvets machte ihm zu schaffen, genauso wie das, was er ihr jetzt sagen wollte: „Danke Velvet… danke, das du mir das leben gerettet hast. Ich habe mich geirrt. Ich werde es nicht allein schaffen dieses Grasland zu durchqueren. Du hattest Recht. Ich hatte nur Glück… und ich kann wirklich nichts…“, gab er kleinlaut von sich. Schluchzer schüttelten seinen kleinen Körper durch. Es wurde ihm bewusst, dass er kurz davor stand wieder allein zu sein. Als er vor ihr davon gelaufen war, war ihm nicht klar gewesen, dass es wieder Einsamkeit bedeutete. Doch nun wusste er es und er fürchtete das Alleinsein. Es zerrte an ihm und auch wenn diese Wesen, das sich Velvet nannte jedes Mal auf Streit aus zu sein schien, wenn es etwas sagte… Nein, das stimmte vielleicht gar nicht. Vielleicht verstand er sie nur falsch. Zumindest verstand sie ihn nicht, wusste nicht, was in ihm vorging und was er erlebt hatte. Aber wenigstens war sie da. Er war nicht ganz alleine in dieser riesigen, weiten Welt. Warum war um ihn herum alles nur so weit und endlos? Konnte es sein, dass sie ihm wirklich helfen wollte? Sie hatte ihm das Leben gerettet. Eigentlich konnte er das nicht mehr in Frage stellen. Und wenn er Glück hatte war sie vielleicht ganz nett, wenn er sie erst ein paar Tage kannte. Velvet stutzte? Hatte der Kleine ihr wirklich gedankt? Oder bildete sie sich das nur ein? Nein, er hatte ihr gedankt und auch noch zugegeben, dass er im Unrecht war. Vielleicht war er nicht der kleine, dumme Welpe, für den sie ihn zeitweise gehalten hatte. Sicher, er musste noch viel lernen. Aber wenn er niemanden hatte, der es ihm beibringen konnte? Was hatte ihre Mutter zu ihr gesagt, bevor die Menschen kamen? Der Gedanke drehte Velvet den Magen um. Menschen… Ihre Mutter meinte immer, dass in jedem noch so kleinen Welpen das Herz eines Kämpfers schlummern kann. Velvet hatte sie immer so genannt. Aber der kleine dort? Oder doch… Am liebsten wollte sie ihn fragen, warum er hier alleine umher irrte aber dann würde er sie Fragen. Noch war sie nicht bereit dazu. „Shadow“, sagte sie schließlich ohne sich jedoch umzudrehen. „ich werde dir noch eine Chance geben. Aber du wirst nicht mehr weglaufen, wenn ich etwas sage!“ Manchmal muss man den Kämpfer suchen dachte sie. Vielleicht zeigt er sich ja. Shadow war froh, als er hörte, dass Velvet weiter mit ihm zog. Er brauchte nicht alleine sein. Schnell drehte er sich um und holte Velvets Jagdbeute. Noch hatte sich niemand daran gütlich getan. Als er zurück kam hatte Velvet sich gesetzt. Immer noch saß sie mit dem Rücken zu ihm. Shadow sah sie an. Warum drehte sie sich nicht um? Dann bemerkte er, wie eine Flüssigkeit in einem kleinen Rinnsal über ihr Fell lief und an einer Vorderpfote verschwand. Er schnüffelte. Blut! Er ließ das tote Tier fallen. „Dieses Monster hat dich verletzt!“ Schrie er besorgt. „Es ist nichts“, antwortete Velvet. „Warum drehst du dich dann nicht um?“ schluchzte Shadow, der schon wieder fürchtete allein gelassen zu werden. „Willst du wirklich sehen, was dieses Ding mir angetan hat?“ Fragte sie zurück. „Wenn du es wirklich sehen willst, dann guck hin.“ Mit diesen Worten wand sie ihm ihre Schnauze zu und sah ihm in die Augen. Shadow erschrak! Quer durch ihr Gesicht klaffte eine tiefe Wunde. Das steinerne Pendel des Hypnos hatte ihre Schnauze über dem rechten Auge getroffen und eine Furche quer über den Nasenrücken bis unter das linke Auge gezogen. Blut verklebte das schwarze Fell. Es lief noch immer aus dem offenen Fleisch und wusch so den Dreck aus der Wunde. Langsam verkrustete es. Shadow erkannt, welches Glück Velvet gehabt hatte. Ihm zu Hilfe eilend hatte sie fast ihr Augenlicht verloren. Er war ihr wirklich etwas schuldig. Hätte das Pendel sie anders getroffen wäre sie jetzt blind gewesen. „Siehst du, ich wusste, dass du es nicht sehen wolltest“, Sprach sie weiter. „Zumindest wird das Vieh die Nacht nicht wiederkommen. Lass uns schnell diese kleine Portion Fleisch vertilgen, sonst bleiben wir trotzdem nicht lange allein.“ Schweigend fraßen sie einträchtig nebeneinander. Nachdem die Beute verputzt war bestand Velvet darauf weiter zu gehen. Durch den Kampf und die knöchernen Reste des Rattfratz lag der Geruch von Blut und aufgewühlter Erde in der Luft und bald würden Schmarotzer angezogen werden, die sich eine leichte Beute erhofften. Ohne zu widersprechen folgte Shadow ihr auf dem Weg durch die nächtliche Wiese. Beide waren erschöpft und müde. Als sie endlich einen etwas geschützten Ort erreicht hatten, an dem sie den Rest der Nacht verbringen konnten, konnte keiner trotz der großen Anstrengungen, die sie hinter sich hatten, schlafen. Es war einfach zu viel passiert. Velvets Kopf schmerzte und Shadow war tief in Gedanken versunken. Er stellte sich eine Frage nach der anderen. Wo waren seine Eltern hingegangen? Wer war die Fremde und warum riskierte sie ihr Leben für seins? Die fehlenden Antworten auf diese und weitere Fragen ließen ihn wach bleiben und wenn er zwischen den Gedanken einmal in Schlaf sank, quälten ihn Alpträume, die ihn bald wieder erwachen ließen. Was er nicht wusste, war, dass auch Velvet Alpträume hatte, dass sie diese sogar sah, wenn sie wach war… Die nächsten Tage waren recht ereignislos. Beide versuchten miteinander auszukommen. Velvet war sehr still, ihr machte ihre Verletzung immer noch zu schaffen. Shadow hingegen versank immer mehr in seinen Grübeleien über das erscheinen der Fremden. Doch jedes Mal, wenn er ihr eine Frage stellen wollte, blockte sie diese bereits im Ansatz ab. Zumindest war er froh, nicht mehr allein zu sein. Die letzten Tage waren die schlimmsten seines bisherigen Lebens gewesen. Ihr schien es ähnlich zu gehen. Auch wenn sie sehr still oder hart wie ein Stein erschien, ab und zu huschte doch ein Lächeln über ihr Gesicht. Diese Tage waren auch der Beginn einer harten Schule für Shadow. Velvet wollte ihm alles beibringen, was sie über das Jagen und auch über das ums Leben Kämpfen wusste. Es nervte das kleine Fiffyen teilweise ziemlich, doch es sagte nichts zu dagegen. Versteckspielen am Tage war eine lustige Sache, doch wenn man mitten in der Nacht bei strömendem Regen geweckt wurde und todmüde nach einer weit überlegenden Lehrerin suchen und sie auch noch fangen musste, hörte der Spaß wirklich auf. Zudem kamen sie durch das Üben nur langsam voran und die Hügel am Horizont wollten einfach nicht näher kommen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)