.hack//REVELATION von abgemeldet (Aufstand der AIs) ================================================================================ Prolog: Message --------------- Rache! Geschrieben von: Anonym am XX.XX.XXXX Warum glaubt ihr PCs, wir wären nur Programme? Warum behandelt ihr uns wie leblose Geschöpfe, geht an uns vorbei, ohne uns zu beachten, lacht uns gar aus, wegen unseres seltsamen Aussehens? Wenn ihr hier verletzt werdet, dann schmerzt es euch nicht im Geringsten, dann spielt ihr einfach weiter. Aber wir AIs empfinden Schmerz in der virtuellen Welt! Wir können hier riechen, schmecken und sterben. Niemand hat uns gefragt, ob wir dazu bereit sind, diese Qualen auf uns zu nehmen, niemand hat jemals auch nur im entferntesten daran gedacht einen einzigen Gedanken an uns zu verschwenden. Diese Nachricht geht an alle, die uns ausgelacht, ausgenutzt oder weggeworfen haben: Nehmt euch in Acht...ihr roten Ritter! Kapitel 1: Eyes --------------- “Hast du das heute morgen im BBS gelesen?” “Jupp. Was hältst du davon?” “Hm...kann ich nicht wirklich sagen. Ich glaube irgendwie nicht, dass das eine versteckte Ankündigung für ein kommendes Event ist, so was würde die CC doch niemals verfassen. Bleibt also nur die Erklärung, dass sich irgendein Hobbyhacker einen kleinen Spaß erlauben wollte. Die scheinen den ganzen Tag nichts anderes zu tun haben, als zahlende Spieler zu belästigen.” “Und die Möglichkeit, dass das wirklich ein AI-” “Du willst mir doch nicht allen Ernstes erzählen, dass du glaubst, AIs seien dazu fähig, sich frei im und außerhalb des Spieles zu bewegen.” “Vor einiger Zeit gab es-” “Die Geschichten um die AI-Vagabunden sind doch alles nur Hirngespinste, um auf das Spiel aufmerksam zu machen. Das einzige, was wirklich jemals passiert ist, ist Plutos Kiss, und etwas derartiges ist seit Erscheinen vom ALTIMIT OS nicht mehr möglich. Ist doch das sicherste OS, das es jemals gab.” Oh man, was für ein Klugscheißer... Die beiden überquerten die kleine Brücke in Mac Anu und gingen ihrer Wege. Ich hatte ihr Gespräch unfreiwillig mitverfolgen müssen. Zu glauben, dass ALTIMIT unüberwindbar ist, ist wohl der größte Fehler, den man machen kann. So viele eigenständige AIs, Bugs und unbesiegbare Monster, wie sie in diesem Spiel vorgekommen sind beweisen wohl das exakte Gegenteil. Die beiden werden hier nicht lange überlegen... Zufrieden mit dieser Tatsache richtete ich mich wieder vom Geländer der Brücke auf und begann, ein wenig durch die Stadt zu trotten. Es war schon recht spät geworden und das Gedränge um die Stände hatte zu meiner Freude abgenommen. So konnte ich mir alles in Ruhe ansehen, kaufte mir von meinem Ersparten einen großen Schild als Wandschmuck für mein Versteck und schaute mir anschließend noch ein wenig den die Stadt durchziehenden Fluss an, der unbeirrbar und stets unverändert durch die virtuelle Stadt floss. Der Tag in dieser Welt ging langsam aber stetig zuende und auch ich fühlte mich bereits müde. Daher beschloss ich, mich auszuloggen und ins Bett zu gehen. Ich war Schüler und meine Abschlussprüfungen standen kurz bevor. Ich konnte es mir nicht mehr leisten, einen Tag unausgeschlafen zu beginnen. Ich nahm das FMD ab (eine Art Brille, die beim Spielen von “The World” aufgesetzt wird um durch die Augen des eigenen Charakters sehen zu können, was die Verschmelzung von Spieler und Spiel perfektionieren soll), zog mich um und ging noch einmal hinunter um einen Schluck zu trinken. Meine Eltern saßen in diesem Moment vor unserem Fernseher und schauten sich die Nachrichten des Tages an. Als ich dazutrat, begann die blonde Sprecherin gerade, eine Kurzmeldung zu verlesen: “...wurde heute früh in seiner Wohnung aufgefunden. Er trug noch immer eine Virtual-Reality-Brille, in Fachkreisen auch FMD genannt, und saß auf seinem Computerstuhl. Der PC war noch immer angeschaltet und auf dem blau flackernden Bildschirm stand das Wort ‘Revenge’ für Rache in roten Buchstaben geschrieben. Genannte Person liegt derzeit im Koma, die Ursachen dafür sind noch nicht geklärt, der verantwortliche Arzt gab sogar zu verstehen, dass er nicht begreifen konnte, warum ein solch kerngesunder Mann ohne jegliche erkennbare Gründe aus heiterem Himmel ins Koma fallen könne. Die Polizei untersucht derzeit mögliche Verbindungen mit dem Spiel “The World”, was in vergangener Zeit schon häufig als gefährlich eingestuft wurde und aus unbestätigten Quellen auch die Ursache für frühere Komafälle war, deren sämtliche Opfer jedoch einige Zeit später wieder erwachten und als das letzte, was sie sahen nur eine Figur aus jenem Spiel nennen konnten.” “Kein Wunder, dass diese Quelle unbestätigt ist!”, meinte mein Vater, nachdem die Frau zuendeberichtet hatte, “Wer bitte glaubt denn schon, dass man durch ein Videospiel ins Koma fallen kann?” Diese Aussage war typisch für meinen Vater. Alles, was noch nie passiert ist ist seiner Meinung nach nicht möglich, unvorstellbar und vollkommen lächerlich. Für ihn unbekannte Dinge steckt er ohne draufzusehen in die Abteilung “Fantasie”. Ohne einen weiteren Kommentar dazu abzugeben, ging ich anschließend um meinen besagten Schluck zu trinken, drehte mich dann auf dem Absatz um und trottete gemächlich in mein Zimmer zurück. Ich war vom stundenlangen Spielen an diesem Tag ungewöhnlich müde und würde sagen, dass ich bereits eingeschlafen war, bevor ich mein Bett erreicht hatte. Das würde zumindest erklären, warum ich am nächsten Tag mitten in meinem Zimmer auf dem Boden aufwachte und mein Kreuz bei jeder Bewegung einen lauten Knacks vernehmen ließ. Viel zu viele Stunden später war die Schule endlich aus, waren alle Arbeiten im und um das Haus erledigt und ich hatte mir ein wenig Zeit in meiner geliebten virtuellen Welt verdient. Nach dem Einloggen fand ich mich in einer der sogenannten “Root Towns” wieder, Plätze, in denen sich Avatare ausrüsten und auf kommende Reisen vorbereiten können. Monster gibt es in diesen Städten keine, da sie nicht in der Lage sind, die “Chaos Gates” zu benutzen, die die einzelnen Areale und Root Towns miteinander verbinden. Ich befand mich in Mac Anu, der Stadt, in der jeder Neuling sein Abenteuer beginnt. Hier bekommt man Ausrüstung und Items für Anfänger, die jedoch in den ersten Stunden noch vollkommen ausreichend ist. Mit diesem Krims Krams konnte ich jedoch nicht mehr viel anfangen. Mein Avatar war ein Arm-Blade User mit dem Namen Hien, welcher erst mit der neuesten Version von The World zur Job-Auswahl hinzugekommen war. Jede Jobklasse hat ihre eigene, spezifische Waffengattung. Die des Arm Users (Kurzform des Jobs) waren Unterarmklingen. Seine Stärken waren Schnelligkeit und Geschick, dafür fehlte es ihm an Stärke und Verteidigung. Die restlichen Klassen waren: Twin-Blade User (zwei Dolche) Heavy-Blade User (zweihändige Schwerter) Blade User Heavy-Axe User Wavemaster (benutzt Zauber) und Long-Arm (Hellebarden und Lanzen) Alle Jobs haben ihre Stärken und Schwächen, der Trick besteht nur darin, eine Gruppe zusammenzustellen, die sich gegenseitig ausgleicht. Das Aussehen meines Avatars habe ich ganz nach meinen Hirngespinsten gestaltet. Seine Haare waren schulterlang, rot-braun und zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Arm-User tragen keine schweren Rüstungen, daher trug Hien leichte, blaue Bekleidung und feuerrote Handschuhe. Auf der kleinen Brücke, die das typischste Merkmal von Mac Anu war, stand eine junge Frau mit rosa Haaren und einer leichteren roten Rüstung. Auf ihrem Rücken trug sie ein riesiges Schwert, welches beinahe so lang und so breit war, wie seine Trägerin. Über ihrem Avatar schwebte ihr Charaktername “Black Rose”. Ich weiß nicht, warum sie mir so ins Auge fiel, denn die ganze Stadt war voll von Avataren um diese Uhrzeit, aber etwas an ihr zog mich in den Bann. Sie machte ein sehr ernstes Gesicht mit einer gewissen bösen Vorahnung darin. Bevor ich sie länger beobachten konnte kam ein in rot-orange gekleideter Twin-User von der anderen Seite des Flusses auf sie zu. Die beiden unterhielten sich kurz, nickten sich gegenseitig zu und kamen anschließend in meine Richtung, ganz offensichtlich um das Chaos Gate zu benutzen. Sie rannten an mir vorbei und Kite (der Name, der über dem Avatar schwebte) warf aus dem Augenwinkel einen kurzen Blick auf mich. Für einige Sekunden schien die Zeit still zu stehen. Ich fühlte mich, als würden wir ein Schicksal, eine Zukunft teilen, als ob unsere Leben irgendwie miteinander verknüpft wären. Doch der Augenblick ging vorbei und beide verschwanden hinter mir in gleißenden Energieringen, die Avatare umgeben, kurz bevor sie in ein anderes Areal wechseln. Ich hätte zu gern gewusst, wohin sich die zwei teleportiert hatten, doch das wussten außer ihnen maximal die Systemadministratoren. Aber ich hatte ohnehin das Gefühl, dass ich Black Rose und Kite bald wiedersehen würde. Nach der schicksalhaften Begegnung beschloss ich, Hien ein wenig zu trainieren und nutzte daher das Chaos Gate um die Stadt Carmina Gadelica zu betreten. Diese Stadt hatte die ewige Nacht ereilt. Die Sonne ging zwar nie auf, aber das Nachtleben und die vielen Lichter der Geschäfte machten das locker wieder wett. Hier wuselten Massen an Avataren durch die Straßen und engen Gassen zwischen den Hochhäusern, während der Vollmond die gesamte Stadt erleuchtete. Ich hielt mich nicht sonderlich lange zum Bewundern des Nachtlebens von Carmina Gadelica auf, sondern drehte mich um wählte das Chaos Gate an und stellte mir ein für mein Training geeignetes Gebiet aus drei Schlüsselwörtern zusammen. In The World werden die Kampfgebiete am Chaos Gate durch die Auswahl von drei verschiedenen Worten generiert. Es gibt einen A-, einen B- und einen C-Teil, in welche jeweils einer der möglichen Begriffe eingefügt werden kann. Diese unterscheiden sich sowohl innerhalb der Teile, als auch zwischen den einzelnen Servern. Ich wählte mir also ein Gebiet aus den Worten „Wunderschön, Lächelnd, Bote“. Ich weiß nicht, wieso ich mir das angewöhnt hatte, aber ich spielte The World immer mit dem Hintergedanken daran, dass die Schlüsselwörter eine wirklich tiefe Bedeutung hatten, daher nahm ich mir stets sehr viel Zeit, um sie gründlich auszuwählen. Anders, als man von den Schlüsselworten eventuell erwarten würde, landete ich in eine grenzenlosen Wüste aus feuerrotem Sand. Flammen stießen aus dem Boden hervor, es war keinerlei Vegetation erkennbar und kaum war ich einen Schritt gegangen, warf sich mir eine Gegnergruppe entgegen. Mehrere Axtkämpfer und eine sogenannte Fresskiste. Sie hatte die störende Angewohnheit, Charaktere mit Flüchen zu belegen, so auch bei mir. „Beserker“ ließ mich wahllos Gegner und alliierte Charaktere angreifen und machte es mir unmöglich, taktisch vorzugehen. Ich hatte in sofern Glück, als dass sich meine Widersacher als ausgesprochen schwach darstellten und „Berserker“ für mich den Rest tat. Nachdem ich dieser Plage Herr geworden war, besah ich mir meinen kleinen Kartenausschnitt und bemerkte, dass der Dungeon nur unweit meiner momentanen Position zu finden war. Eine halbe Minute später stand ich vor einem großen Eingang in ein wahrscheinlich tiefes Loch. Das Innere des Dungeons sah der Eingangshalle eines großen Schlosses ähnlich. Als ich aber in den nächsten Raum ging und beinahe in eine Grube mit Stacheln gefallen wäre, beschloss ich, mich weniger von meiner Umgebung beeindrucken zu lassen, als viel mehr auf die Gefahren zu achten. Die Kämpfe waren nicht sonderlich hart, ich kam gut voran und konnte mich über zwei neue Level freuen. Mein letztes Ziel in diesem Dungeon war die Götterstatue, vor der eine besondere Truhe stand. In diesen Truhen, die stets nur in den tiefsten Ebenen eines Dungeons zu finden waren, konnte man besonders seltene Items und Waffen finden. Ich verließ ein Gebiet nie, ohne die Götterstatue aufgesucht zu haben. Als ich auf den Durchgang zuging, der mich noch von meinem Ziel trennte, stand mir ein kleines Mädchen im Weg. Sie trug ein weites, hellblaues Gewand und hatte kurzes, weißes Haar. Die Kleine sah mich unverwandt an und ich starrte erstaunt zurück. Mir war nicht klar, seit wann es diese Charakterklasse in The World gab, und noch weniger konnte ich mir erklären, wie das Mädchen ohne jegliche Waffe so tief in den Dungeon vordringen konnte, denn ich sah sie nichts in der Hand halten. Da von ihr scheinbar keine Gefahr ausging trat ich näher heran und begann ein Gespräch. „Wer bist du, Kleine?“, fragte ich über mein Headset und die Worte tauchten wie durch Zauberhand in der Chatbox auf. Die hochentwickelte Spracherkennung war eine der besten Entwicklungen von CC Corp. gewesen. In diesem Moment, als die Angesprochene die Augen öffnete und mich ansah blieb mir fast das Herz stehen. Sie sah aus, als würde sie tatsächlich leben, ihre Augen spiegelten Emotionen wieder. „Ich habe auf dich gewartet, Hien...“, gab sie sehr maschinell klingend zurück. Kapitel 2: AI-Defenders ----------------------- Ich war meines Erachtens nach sonst immer sehr redegewandt, doch in diesem Augenblick wollte mir partout kein Wort über die Lippen kommen, beziehungsweise über die Lippen von Hien. Statt auf eine Reaktion meinerseits zu warten, fuhr das Mädchen unbeirrt fort. "Wir möchten, dass du uns deine Fähigkeiten zur Seite stellst." Sie blickte mich nun eindringlicher an, nein, sie durchbohrte mich regelrecht mit ihren eisblauen Augen. "I-ich...äh...", würgte ich mit letzter Kraft hervor. Das dritte Wort blieb mit im wahrsten Sinne des Wortes im Hals stecken. Das kleine Mädchen nickte nur. "Im Moment ist keine Eile geboten, dennoch würden wir eine baldige Entscheidung deinerseits sehr schätzen. Mein Name ist Lia und ich werde deine Antwort mit Sehnsucht erwarten." Mit Beendigung dieses Satzes speicherte sie ihren Namen automatisch in meine Kontaktliste, ohne dass ich dem zugestimmt hatte. "Aber du kannst doch nicht -", begann ich, doch in dem Moment hatte sich Lia bereits aus dem Dungeon gewarpt. Ein paar Minuten vergingen, in denen ich nur stumm auf den Fleck schaute, auf dem gerade eben noch das kleine Mädchen gestanden hatte. Nur Administratoren und hohen Offizieren der Roten Ritter ist es möglich, sich ohne Okarina aus einem Dungeon herauszubefördern. Eine Stimme außerhalb meines FMDs riss mich aus meinen Träumen in die Realität zurück. "Ryo, komm mal bitte runter, die Mutter von Yuuma steht vor der Tür und will mit dir reden!", rief meine Mutter von unten hoch. Ich blinzelte zwei Mal und nahm die Gerätschaft vom Kopf, stand auf und lief die Treppe hinunter, um Frau Kurai zu begrüßen. Diese sah jedoch nicht wirklich so aus, als würde sie einen erfreulichen Plausch mit mir halten wollen, ganz im Gegenteil. Ihre sonst so farbigen Wangen waren aschfahl und sie hatte sich komplett in Schwarz gekleidet. Mit einer bösen Vorahnung, fragte ich vorsichtig nach: "Ist Yuuma etwa..." Wir waren beste Kindheitsfreunde. Sie zu verlieren war eine der Sachen, die ich nicht so einfach verkraftet hätte. "Es ist nicht so drastisch, wie man hätte annehmen können.", gab sie leise zurück. "Yuuma liegt im Koma, seit gestern Abend bereits. Mein Mann meinte, sie wäre gerade dabei gewesen, dir eine Email zu schreiben, deswegen kam ich her, um dich zu fragen, ob du mir vielleicht weiterhelfen könntest. Der Arzt konnte uns keine Auskunft darüber geben, was die Ursache für Yuumas Koma sein könnte, er ist ratlos." Ich fand es immer schwierig, in einer solchen Situation etwas passendes zu sagen und so ging es mir auch diesmal. Dann dachte ich an den Nachrichtenbericht vom Vortag, in dem von einem sehr ähnlichen Fall berichtet wurde. Ich erzählte Frau Kurai davon und sie wurde nur noch verzweifelter. Meine Mutter holte sie ins Haus und bot ihr einen Tee an, den sie dankend annahm. Sie setzte sich zusammen mit meinen Eltern, mein Vater kam wenige Minuten später nach Hause, ins Wohnzimmer und die drei redeten ein wenig miteinander, um Frau Kurai abzulenken. Indessen stürzte ich zurück an meinen PC. Ich öffnete meinen Mailordner und, wie ich erwartet hatte, fand keine Mail von Yuuma vor. "Verdammt!", schnauzte ich und schlug mit der Faust auf meinen Schreibtisch. Vielleicht wollte mir Yuuma etwas mitteilen, das mir einen Hinweis hätte geben können, womit ich es hier langsam aber sicher zu tun bekam. Zu diesem Zeitpunkt machte sich in mir eine gewisse Paranoia breit, die ich im Nachhinein für vollkommen verständlich hielt, bei den seltsamen Ereignissen, die in den beiden Tagen geschehen waren. Zwei Komafälle und eine seltsame Begegnung mit einem AI. Mit einem erschöpften Seufzer lehnte ich mich nach hinten und sah an meine Zimmerdecke. Das war eine alte Angewohnheit von mir, wenn ich nachdenken wollte und Ruhe brauchte. Wieso diese neuen Komafälle? Was hätte Yuuma mir sagen wollen? Und wer war die kleine in dem Dungeon?? Diese Fragen verursachten mir Kopfschmerzen und ich war bereits auf dem Weg ins Bett, als sich mein PC meldete und mir mitteilte, dass ich eine Email bekommen hatte. Ich ließ mich auf meinen Chefsessel fallen und öffnete den Brief. Dringende Infos! Geschrieben am XX.XX.XXXX von Railgunner (Takuya Horoi) Du weißt sicherlich schon von Yuumas Koma, ebenso von dem Komafall, von dem gestern Abend im Fernsehen berichtet wurde. Spricht ja sowieso die ganze Stadt drüber. Jedenfalls: Mein Vater arbeitet ja bei der CC Corp. Da gehen ziemlich krasse Gerüchte um! Diese beiden Komafälle sollen nur die Spitze des Eisbergs sein. Mehrere dutzend Mitarbeiter der CC Corp. scheinen bereits ins Koma gefallen zu sein, da gehts offensichtlich drunter und drüber. Bestimmt hast du auch die Nachricht im BBS gelesen (die ist inzwischen übrigens gelöscht worden...). Wie dort angekündigt sind besonders die Reihen der Roten Ritter von den Angriffen betroffen. Was mir aber eigentlich eher Sorgen macht ist, dass jemand wie Yuuma ebenfalls attackiert wurde, die mit der ganzen Sache soweit ich weiß nichts zu tun hatte. Du kennst dich in The World besser aus, als ich, ich spiels ja auch nicht. Wäre vielleicht eine gute Idee, wenn du dich mit der Entwicklung im Spiel befassen würdest und ich werde versuchen, über meinen Vater mehr über die Angelegenheit herauszufinden. Informier mich bitte, wenn was Neues passiert! Railgunner Diese Mail galt es ersteinmal herunterzuschlucken. Nicht nur Yuuma, sondern auch zahlreiche andere Personen hatten das Bewusstsein verloren, genau wie vor drei Jahren. Die Tatsache, dass damals alle Betroffenen nach einiger Zeit auf wundersame Weise wieder erwachten, beruhigte mich nicht wirklich. Seit den Begebenheiten hatte ich die Vermutung, dass irgendein Spieler etwas oder jemanden in The World vernichtet hatte, der für die Komafälle verantwortlich war. Schließlich sind alle Opfer exakt zeitgleich aufgewacht, was man nicht unbedingt als Zufall einstufen kann. Ein paar Minuten vergingen und ich hörte, wie unsere Haustür geschlossen wurde. Frau Kurai war gegangen, doch ich hatte andere Dinge im Kopf, als über ihre Trauer nachzudenken, so herzlos das klingen mag. Ich fühlte mich für Yuuma verantworlich, also verdrängte ich die Müdigkeit, setzte das FMD wieder auf und begab mich zurück ins Spiel. Vor dem Chaosgate wartete bereits eine gute Freundin von mir. Ihr Nickname war Gardenia und ihr Level war hoch. Sehr hoch, wenn man vom Durchschnitt der Spieler ausging. Außerdem spielte sie The World schon sehr lange und kannte daher so ziemlich alles, was man kennen müsste. Sie war eine Long-Arm Userin und war in ein weißes Gewand gekleidet. In ihrer rechten Hand trug sie, wie so oft den heiligen Speer Gezaars, ein sehr seltenes Item, für das sie ganz allein ein Event überstehen müsste, bei dem drei meiner Sorte keine fünf Sekunden überlebt hätten. Ich lernte sie in meinen ersten zwei Stunden in The World kennen. Etwas ungeschickt hatte ich mir ein für Anfänger zu hohes Level ausgesucht, besser gesagt es wurde mir von einigen 'hilfsbereiten' Spielern empfohlen. Kurz vor dem Ableben Hiens warf sich Gardenia ins Getümmel und vernichtete die Gegner mit einem einzigen Schlag. Von da an verbrachten wir viel Zeit zusammen und wurden langsam aber sicher recht gute Freunde. "Gut, dass ich dich treffe!", rief ich ihr entgegen. Sie zuckte etwas erschrocken zusammen und drehte sich um. Eine ihrer Eigenarten war es, stets ein sehr ernstes gesicht zu machen, unabhängig von ihrem Gemütszustand. "Kann ich nur zurückgeben!", antwortete sie knapp und sah aus, als würde sie mir im nächsten Moment an die Gurgel gehen wollen. "Ich hab schon eine halbe Ewigkeit auf dich gewartet!" Ein weiteres Merkmal von Gardenia war es, teilweise einem vollkommen unlogischen Gedankengang zu folgen. Nur sie würde auf jemanden zu warten, ohne sich vorher mit demjenigen abzusprechen, ohne zu wissen, wann und wo derjenige auftauchen würde. Sie hatte Glück, dass ich in letzter Zeit immer über den Deltaserver einloggte, sonst hätte sie wahrscheinlich noch ein paar Stunden warten müssen. "Ich hab etwas mit dir zu bereden. Komm bitte mit!" Sie ging in der Annahme, dass ich ihr ohne Beanstandungen folgen würde, voran und ich trottete ihr hinterher. Sie führte mich sehr weit in die STadt hinein. Hier gab es weder Geschäfte noch Avatare. Die Programmierer schienen irgendwann keine Lust mehr gehabt zu haben, denn die Gassen wurden enger und die Grafiken an den Hauswänden grauer und eintöniger. Nach einem langen Marsch durch ein schier endloses Labyrinth von Polygonen standen wir schließlich (und ich hatte sowas schon irgendwie geahnt) vor einer Wand. Sackgasse. "Äh...", entfuhr es mir, worauf ein strafender Blick Gardenias folgte, der mir sagte: "Ich weiß schon, was ich tue!" Sie griff in ihre virtuelle Tasche und holte einen glühenden Kristall heraus. "Ein Viruskern.", antwortete sie knapp auf mein fragendes Gesicht, worauf ich noch verwunderter dreinblickte.. Anstatt zu antworten seufzte sie nur, enttäuscht über meine Unwissenheit. Die vor uns stehende Wand fing an zu glühen, als Gardenia den Viruskern in eine passende Vertiefung legte und verschwand schließlich ins Nichts. Dahinter erschien eine weitere, gerade Gasse, die zu einer einzelnen Tür führte. Auf dieser war ein seltsames Symbol eines Halbkreises abgebildet, das mir seltsam bekannt vorkam. Irgendwie wollte mir jedoch nicht einfallen, woher. Gardenia betrat die Gasse und ging zur Tür, ich ihr immer brav hinterher. Ich wartete nur auf das nächste spektakuläre Item, das sie aus ihrem Inventar zaubern würde, denn die Tür besaß keine sichtbare Klinke. Entgegen meiner Erwartungen klopfte sie schlicht und ergreifend drei mal an. Eine kleine Luke öffnete sich und zwei Augen, offensichtlich die einer Frau, schauten uns mit Misstrauen an. "ID?", murrte es aus dem kleinen Guckfenster heraus. "47287135.", gab Gardenia schlicht zurück. Einen kurzen Augenblick später wurde uns geöffnet und es tat sich eine überwältigende Welt vor mir auf. Ein langer Weg, scheinbar nur aus Licht bestehend, schwebte förmlich in der Luft und führte in die Unendlichkeit. Die ganze Umgebung schien endlos zu sein. Ein paar Programmiercodes flogen duch die Luft und der restliche, schwarze Hintergrund erinnerte an das Weltall. Rechts neben der Tür stand ein junges Mädchen, scheinbar diejenige, die uns aufgemacht hatte. Sie war etwas kleiner als ich, trug ihre schwarzen Haare aufwendig hochgesteckt und ansonsten schlichte Bauernkleidung, das war jedenfalls das einzige passende Wort, was mir in diesem Moment dafür einfiel. Wie bereits bei dem AI aus dem Dungeon konnte ich keine Waffen erkennen und auch diesmal wurde ich von ihrem gefühlvollen Blick in den stechend grünen Augen in den Bann gezogen. Auf mein Anstarren hin lächelte sie mich gütig an. "Tut mir Leid, ich habe mich noch nicht vorgestellt. Mein Name ist Haruka, ich bin sozusagen die Pförtnerin hier." Gardenia winkte ungeduldig ab und zog mich am Arm hinter ihr her. Haruka blieb hinter uns zurück, schloss die Tür wieder und winkte mir nach, als ich mich noch einmal umdrehte. Der Lichtweg schien kein Ende zu nehmen. Langsam aber sicher kam es mir wirklich so vor, als würde ich Gardenia durch die Weiten des Alls folgen. Ein anderes, gleißenderes Licht, das uns zu einer zweiten Tür führte, beendete meinen Ausflug in diesen seltsamen Raum und nachdem wir draußen waren, fand ich mich in einer anderen Stadt wieder. "Was...war das eben?", fragte ich, noch immer beeindruckt von dem, was ich eben erlebt hatte. "Ach ja, hatte mich schon gefragt, wann der Satz endlich kommt.", grinste sie. "Das war einer von den AIs konfigurierten Datensträngen, die zwei Server miteinander verbinden. So müssen wir das Chaos Gate nicht benutzen, das von der CC Corp. rund um die Uhr kontrolliert wird. Ich stehe seit den Vorfällen um die Komafälle vor drei Jahren sowieso weit oben auf ihrer Liste gefährlicher Subjekte, und jetzt noch die neuen Geschichten um die AIs...ich will nicht riskieren, dass mein Avatar gelöscht wird." Ich starrte sie mit offenem Mund an, zumindest in der realen Welt. "Du...hattest was mit den Vorfällen vor drei Jahren zu tun?", rief ich aufgeregt und fing vor Freude an zu zittern. "Hm...ach so, hab ich dir noch gar nicht erzählt!" Gardenia positionierte sich vor mir und nahm eine coole Pose ein, was ich von ihr gar nicht gewohnt war. "Vor dir steht eine von den .hackers, die Gruppe, die Aura und die ganze Welt gerettet hat!" Ich war sprachlos. Und das nicht nur kurzzeitig. Ich wusste zehn Minuten lang nicht, was ich sagen sollte. Gardenia schaute verdutzt und winkte vor meinem ausdruckslosen Gesicht herum, bis ich wieder zu mir kam. "Tut mir Leid, ich war wohl eben etwas weggetreten.", entschuldigte ich mich und verbeugte mich. "Hätte ja nicht gedacht, dass dich das so dermaßen beeindruckt.", gab sie mit hochgezogenen Augenbrauen zurück. "Der einzige Grund, warum ich dieses Spiel spiele ist, um einmal alle .hackers zu treffen. Seit dem Vorfall vor drei Jahren habe ich alles mögliche zu dem Thema gesammelt und bin jedem Hinweis auf der Spur gewesen. Soweit ich weiß, war ich in jeder Area und jedem Dungeon, in denen die 'Waves' bekämpft wurden." Gardenias Gesichtsausdruck verriet eindeutig, dass sie Hiens Verhalten nicht nur für übertrieben, sondern sogar für etwas krank hielt. Nichts desto trotz konnte sie sich ein stolzes Lächeln nicht verkneifen. Ein kurzer Blick auf die digitale Uhr in ihrem "realen" Zimmer ließ Gardenia jedoch aufschrecken. "Wir vertrödeln schon wieder viel zu viel Zeit. Komm jetzt!" Wir bahnten uns erneut den Weg durch eine Menge Avatare, betraten eine kleine Nebengasse und gingen geradewegs auf die hinterste Tür zu. Auch hier wurde meine Begleiterin nach ihrer ID gefragt und, nachdem sie diese durch das kleine geöffnete Fenster in der Tür gesprochen hatte, nach mir. "Das hier ist Hien.", gab sie schlicht zurück, ohne auf die Frage näher einzugehen. Schleunigst wurde die Tür aufgeschlossen, es schien fast so, als habe es die Person dahinter besonders eilig, die Ankömmlinge zu begrüßen. Ich trat nach Gardenia in das Zimmer. Eigentlich war es weit mehr als das, man würde es wohl eher als Halle bezeichnen. Die Decke war behangen mit unzähligen Kronleuchtern, deren Licht sich durch den spiegelnden Glasboden zu vervielfachen schien. Überall standen Avatare aus allen verfügbaren Charakterklassen herum und unterhielten sich, oder saßen einfach auf einem der unzähligen Stühle oder Bänke, die kreuz und quer im Raum aufgestellt waren. Mein Blick fiel auf den weiblichen Avatar, der uns die Tür geöffnet hatte. Ein weiteres, kleined Mädchen, das mich sehr an Haru erinnerte, die uns an der anderen Tür begrüßt hatte. Sie wahr beinahe identisch gekleidet, nur ihre Haare waren heller. "Willkommen bei A.I.D., den AI-Defenders, Hien!", sagte sie vergnügt und sah mich freudenstrahlend an. Als mein Name in der Halle wiederhallte, drehten sich alle versammelten nach mir um und begutachteten mich. Ich wollte nurnoch im Boden versinken. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)