EXANIMATIO - Die Angst von gluecklich (Der letzte Schritt: Teil I) ================================================================================ Kapitel 12: Ein Urteil für den Richter -------------------------------------- Lautlos betrat Tamias die Residenz der Angst. Er hoffte, Exanimatio persönlich noch beschäftigt anzutreffen und sich so an ihr vorbeischleichen zu können. Schwanzwedelnd und hechelnd kam ihm der Schäferhund Inferno entgegen, Tamias langte hinab und tätschelte ihm gedankenverloren den Kopf, behielt den dunklen Gang vor ihnen im Auge. Er wollte sich bloß so schnell wie möglich in seinen eigenen Bereich verziehen können, doch bereits im nächsten Moment wurde diese Hoffnung zunichte gemacht. »Hattest du Spaß, Tamias?« Er seufzte. »Ja«, antwortete er knapp. »Es wäre nicht nötig gewesen. Du sollst dich um diese Kinder kümmern, nicht ziellos Unwichtige umbringen.« Tamias vergrub die blutbefleckten Hände in seinen Hosentaschen und sah zu Boden. »Ich war etwas frustriert«, murmelte er. Dann erklangen Schritte im Dunkel. »Du handelst in letzter Zeit oft unüberlegt.« Ganz vorsichtig tat Tamias einen Schritt zurück. Seine Befürchtungen waren wahr geworden. Nach und nach löste sich ein Umriss aus den Schatten; Exanimatio hatte eine für ihn fast unerträgliche Gestalt angenommen: die seiner Schwester. Inferno brauchte ihr nur einen kurzen Blick zuzuwerfen, um sich gleich darauf winselnd und mit eingezogenem Schwanz in ein Nebenzimmer zurückzuziehen. »Benjamin wüsste nun bereits, wen ich äußerlich darstelle… Du hast sie an deiner Kindheit teilhaben lassen…« »Das war keine Absicht«, sagte Tamias hastig. »Das war ja auch Schwachsinn, aber ich war noch mitten in Vorbereitungen für ihren Empfang –« »Das weiß ich«, fuhr (seine Schwester) Exanimatio fort. »Dennoch war es ein Fehler. Christina Vince lebt noch. Lena Neveu hast du zum gegebenen Zeitpunkt nur überleben lassen, weil sie die Polizei hatte rufen können.« »Ich wollte bloß das Blutbad verhindern«, nuschelte Tamias. »Ich hatte doch gerade Charles Jarvis hinter mir und dann noch zehn dieser Polizisten umzubringen, das wäre doch nicht nötig gewesen…« »Neveu jetzt noch umzubringen, wäre auch nicht nötig gewesen. Du hast dich selbst nicht mehr unter Kontrolle, Richard Jarvis hättest du fast getötet. Überhaupt ist bei diesen Kindern die Wut viel größer als die Angst, du konntest nicht einmal die richtigen Emotionen bei ihnen auslösen. Du vernachlässigst deine Pflichten, Tamias, du lässt dich gehen.« Tamias schwieg. Bitter stellte er fest, dass er Angst hatte. Er wusste selbst, dass in den letzten Wochen nicht alles nach Plan gelaufen war. Und er wusste auch, was der Grund dafür war. (seine Schwester) Sie hatte es ja bereits erwähnt, diese Kinder … verhielten sich nicht normal, oder zumindest nicht so wie es ihm gepasst hätte. Natürlich hatte er eine gewisse Wut beabsichtigt, als er all ihr Familienleben durcheinander gebracht hatte, aber doch niemals so viel, dass Aggressionen die Angst übersteigen würden, die sie eigentlich vor ihm haben sollten. Sidney hatte er über Benjamin den Hinweis zukommen lassen mit seinem Wasser und Luc, ihrem Bruder, damit jedoch hatte er nicht erzielt, dass sie sich vor Wasser oder wenigstens vor schwarzem Wasser fürchtete, sondern langfristig viel eher, dass sie immer mehr Groll gegen ihn als Person entwickelt hatte. Hier saß sein grundliegender Fehler. »Dein ganzes Leben lang musstest du fortlaufen…« (seine Schwester) Sie stand nun unmittelbar vor ihm – und er unmittelbar vor einer Wand; grausame Erinnerungen sausten durch seinen Kopf. »Und nun fürchtest du dich … davor, dies nicht mehr zu können.« Tamias keuchte auf; tiefe, blutende Wunden waren an seinen Fußknöcheln erschienen. Seine Beine gaben nach, er kippte auf die Knie. »Nein«, flüsterte er. Die Hand seiner Schwester packte ihn mit eisernem Griff am Hals und zog ihn in die Höhe, zeitgleich breitete sich ein brennender Schmerz in seinen Oberschenkeln aus. Tamias schrie, er wand sich in den Fingern seiner Schwester und versuchte krampfhaft sich die Angst auszureden – Sie wird mich nicht zerstören, dachte er fieberhaft. Sie braucht mich (meine Schwester?), sie wird mir (meine Schwester braucht mich nicht) meine Beine lassen (sie hat mir nie irgendetwas gelassen), sie ist nicht meine Schwester! Er sah dunkle Lippen vor sich grinsen, braune Zähne und fauliger Mundgeruch belegten seine Wahrnehmung, lodernde Krämpfe in seinen Beinen vernebelten sein Denken, panisch stellte er fest, dass er sie nicht mehr bewegen konnte, dass er seine Beine nicht mehr bewegen konnte, seine Hände umklammerten krampfhaft das Handgelenk seiner Schwester, ein geröcheltes »Bitte« war das Letzte, was über seine Lippen kam. Sie ließ von ihm ab, seine Handflächen rutschten kraftlos von ihrem Arm, zuckend fiel er zu Boden. Er biss die Zähne zusammen um nicht zu schreien, verzweifelt versuchte er klar zu denken und die Panik endgültig aus seinem Kopf zu verbannen, sich einzureden, dass es noch nicht vorbei war, doch die quälende Gewissheit holte ihn immer wieder ein: Er würde nie wieder gehen (fliehen) können. »Du bekommst noch eine Möglichkeit dich zu beweisen, Richter«, sagte seine Schwester (Exanimatio). »Die berühmte letzte Chance. Es ist an der Zeit, die Kinder zu holen. Du wirst Benjamin und Richard töten und Sidney zu mir schicken, damit sie auf ihren Bruder warten kann. Gib dir Mühe, dann werde ich nachsichtig sein.« Sie verschwand. Tamias lag allein im dunklen Flur, die Augen starr gen Boden gerichtet, und wartete darauf, dass die Schmerzen abklangen. Zwei Pfoten erschienen in seinem Blickfeld, Inferno legte sich vor ihm auf den Bauch. In seinem Maul war ein Kinderschädel, der Hund blickte ihn erwartungsvoll an. »Ich kann jetzt nicht spielen, Kleiner«, sagte Tamias. »Später. Nicht jetzt. Sei so gut und bring mir bitte meine Verbandsrollen… Und dann hoff mit mir, dass ich überhaupt je wieder mit dir spielen kann.« Inferno blickte ihn einen Moment lang mit schiefgelegtem Kopf an, dann verstand er, ließ den Schädel fallen und rannte mit großen Sätzen in ein Nebenzimmer. Etwas später saß Tamias mit ihm und frisch bandagierten Knöcheln am Boden, den Rücken zur Wand. Eine Hand strich fast mechanisch über Infernos Kopf. »Ich werde bald versuchen, diese Kinder loszuwerden«, sagte er. »Du bleibst besser hier und wartest auf mich. Ich will nicht, dass die mögliche Strafe auch dich trifft, in Ordnung?« In seinen Beinen saß noch immer ein penetrantes Zwicken und Ziehen, doch es war auszuhalten – und, das Wichtigste, er konnte sie wieder bewegen. Wenn diese dummen Gören sich von ihm umbringen ließen, würde alles wieder zur Ruhe kommen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)