Raftel (1) von sakemaki (When Spirits Are Calling My Name ...) ================================================================================ 49 - Azarni ----------- Weit entfernt in einem anderen Winkel und zu einer anderen Zeit am anderen Ende der Insel bot sich dem dort Erwachenden ein böses Bild. Die Erde war warm und von grauer Asche überzogen. Bei dem leichtesten Windstoß flog er empor wie Pulverschnee. Dazwischen ragten verkohlte Baumstämme schwarz in den Himmel und drohten mit ausgestreckten Zeigefingern gleich der hier geschehenen Umweltkatastrophe. Der dicke Nebel verringerte die Sichtweite und gab dem Ort eine noch viel unheimlichere Note. Durch dieses Ödland führte eine Straße, dessen Asphaltdecke längs aufgerissen war. Der darunter verborgene Boden quoll wie Hefeteig an die verpestete Luft. Einst musste der Versuch unternommen worden sein, an Ort und Stelle der Erde ein paar Atemlöcher zu verpassen, um den Druck aus den unterirdischen Stollen zu nehmen, denn kreuz und quer waren Ofenrohr in den Boden gerammt. Aus ihnen drang übler Gestank nach Feuer, Verbrennung und Tod. Der Junge rückte seinen Strohhut zurecht und schleppte sich unter Atemnot voran. Hier wollte er nicht bleiben, denn auch wenn kein Laut zu hören war, so fühlte er die Bedrohung unter seinen Füßen tief im Innersten der Mine. Je mehr er nach Luft japste, desto schlimmer wurde es mit dem Luft holen. Die Welt um ihn herum drehte sich. Mehrmals würgte er bis er sich schließlich übergab. Es musste zweifelsohne an dem Rauch aus den Schornsteinen liegen. Das stand für Luffy außer Frage. Aber wohin nun? Er wusste weder, wo er war, noch wo seine Freunde steckten. Er konnte nicht einmal so recht die Tageszeit festmachen. Wenigstens war noch nicht die Nacht über ihm hereingebrochen. Er blickte auf. Dieser furchtbare Nebel. Eine dicke, weiße Suppe wabberte über allem, schlang sich um die Baumleichen und wand sich leise über dem Ascheboden. Die geschätzte Sichtweite lag bei knappen zwanzig Metern. Luffy stellte sich vor, dass so Blindheit sein müsste, nur dass nicht alles schwarz, sondern weiß war. Wohin man auch blickte: Bis auf die graue Asche und die schwachen Silhouetten der Stämme gab es nichts, woran sich das menschliche Augen orientieren konnte. Er erschauderte bei dem Gedanken, dass es Wesen gab, die ewig blind waren und war froh, nicht selbst davon betroffen zu sein. Der Qualm zog talabwärts. Also kroch der Gummijunge den Hügel hinauf. Obwohl der Weg kurz war, so schien es ihm eine Unendlichkeit zu dauern. Irgendwann war er oben und brach vom Rauch besiegt bewusstlos zusammen. Es mochte vielleicht nur eine halbe Tageslänge später sein, als an selbigem Ort ein aufgeregtes: „Yohohohoho!“ erklang und dazu noch ein: „Da liegt einer!“ Kurzum wurde das liegende Objekt mit einer Hand am Kragen gepackt, gute zweieinhalb Meter in die Höhe gerissen und kritisch beäugt. „Wah! Das ist unser Captain! Wach auf, Luffy!“ „Schüttel’ ihn nicht so sehr, Brook! Das ist nicht gut“, wurde mit einer schwachen Stimme das wandelnde Skelett in seiner rasanten Aktion gestoppt. Der Crewmusikant hatte zuvor das Rentier am Straßenrand aufgelesen und kurzerhand unter den Arm geklemmt, als es sich recht regungslos benahm. Erst im Laufe ihrer Wanderung konnte Chopper dem verwirrten Brook erschöpft mitteilen, dass es selbst an einer heftigen Kohlenstoffdioxid-Vergiftung litt. Es müsste dringend in ein Krankenhaus gebracht werden. Dann tauchte es immer wieder in die Bewusstlosigkeit weg. In Panik und Sorge um seinen kleinen Freund hatte Brook, der ohne Lunge von dem Gas bislang nichts mitbekommen hatte, sofort seine Beine in die Hand genommen und war losgerannt. Darin war er neben Usopp ein wahrer Meister, obwohl er wegen des Nebels oft den Eindruck hatte, dass sich die Landschaft um ihn herum keinen Millimeter bewegte und er immer noch an demselben Fleck wie bereits vor Stunden war. Er unterbrach erst seinen Lauf, als er hier oben auf der kleinen Anhöhe Luffy entdeckt hatte und da dieser die gleichen Symptome wie Chopper zeigte, war dem Skelett ohne Choppers Arztdiagnose klar, dass auch ihr Kapitän solch eine Vergiftung heimgesucht haben musste. Schon einmal in der fernen Vergangenheit hatte Brook seine Kameraden sterben sehen, bevor er sich im Florianischen Dreieck auf dem beschädigten Schiff ins Nichts treiben ließ. Ja, das war bevor er Luffy und seine Bande traf. Damals dachte er, er würde niemals mehr wieder seinen Schatten zurückbekommen und einer Mannschaft beitreten können. Das Ereignis von damals sollte sich auf keinen Fall wiederholen, denn diesmal konnte er handeln. Also klemmte er jeweils einen Nakama links und rechts unter und nahm wieder seinen Sprint auf. Immer der Straße entlang, von der er erhofft, eine Stadt zu erreichen. Der einzige Hafen auf Lysø lag außerhalb von Fyrby-City und war zu seiner Zeit einmal der größte und modernste Hafen weit und breit gewesen. Es mag verwunderlich sein, wie eine Insel im Calm Belt überhaupt einen Hafenbetrieb halten konnte, doch ein geschicktes Kanalsystem hatte es ermöglicht. Es war denkbar einfach und doch hatte es noch niemand auf der ganzen Welt kopiert, womit diese Insel den Prototyp meisterlicher Konstruktionskunst inne hielt. Es war eine schwimmende Betonwanne, die sich von diesem Hafen von Sandbank zu Sandbank über das Meer entlang erstreckte und erst außerhalb des Calm Belts auf der Grandline endete. Ein weiterer Vorteil für die Seefahrt lag auch daran, dass in diesem Kanal kein Seegang herrschte. Man konnte also wetterunabhängig reisen. So schön dieses technische Bauwerk auch war, der Nebel verschlang es und die alleinigen Hafenbesucher hatten auch keinen Moment verschwendet, darüber zu staunen. Sie waren alle an verschiedenen Stellen im großflächigen Hafenbereich erwacht. Nach langem umherirren zwischen Lagerhallen, Frachtgütern und verwaisten Anlegeplätzen hatten sich die drei Piraten dann überglücklich an der Hauptpier getroffen. Ratlos saßen sie nun auf einer Bank und tauschten ihre Überlegungen aus. Wie könnte es nun weitergehen? Robin hatte noch nie von einer Insel im Nebel gehört. Auch Franky konnte sich nur schwach an eine Legende erinnern, die von einer vernebelten Stadt handelte, unter der sich die Hölle auftun würde. Nami wollte darüber nichts hören. Solche Geschichten erschauderten sie bis auf die Knochen. Ihr machte dieser Ort Angst, aber das wollte sie sich gerade nicht offiziell anmerken lassen. Und so schwiegen sie allesamt nun schon seit einer kurzen Weile und starrten umher ins Leere. Irritiert und perplex stierte der Cyborg auf etwas am Horizont, was einfach nicht Wirklichkeit sein konnte. Das musste einfach ein Traum sein. Er bat seine Begleiterinnen, ihm einmal kräftig in den Oberarm zu kneifen. Robin jedoch lehnte die Aufforderung trocken ab, denn Metall könnte man selten schlecht kneifen, vorauf hin Franky protestierte. Diesen Zwiespalt von Mensch und Maschine hatte er sogar in einem Blues verarbeitet. Den bekam sein unwilliges Publikum auch sogleich als Hörprobe, wo auch immer er die Gitarre hergezaubert hatte. Nichts desto trotz sah auch die Archäologin ebenso wie Nami mehr als verwundert auf das, was sich da durch den weißen Dunst schob wie ein Geisterschiff. Das erste an Land fliegende Tau zum Festmachen brachte aber Realität und Gewissheit: Die Thousand Sunny, ihr heißgeliebtes Piratenschiff, legte hier an diesem Hafen an. Nun hielt die Drei nichts mehr auf ihren Sitzplätzen. Wie explodierende Sektkorken sprangen alle zugleich auf. „Hey, was treibt ihr da mit unserem Schiff? Wer bist du überhaupt?“ brüllte Franky den Fledermausköpfigen aggressiv an. Kivi war ihm bis dato vollkommen unbekannt. „Yurenda? Azarni? Was macht ihr hier?“ mischte sich nun auch die Navigatorin ein. Robin hingegen hielt sich nicht lange mit dem Frage-und-Antwort-Spiel auf. Sie witterte Gefahr und ging mit überkreuzten Armen in Kampfstellung. Die schwarze Dame höhnte nur, ob dieses nun der Dank wäre, wenn man ihnen doch so großzügig das Lieblingsschiff sicher über die Meere bugsieren würde. Die Tonlage in ihrer Stimme war aber mehr als Hohn. Es war Gefahr. Und eine unmissverständliche Warnung an alle, die sich nun ihr in den Weg stellen wollten. Das Blatt hatte sich gewendet und Yurenda einen Entschluss gefasst. Sie war auf aggressiven Krawall aus. Festen Willens schritt sie von Bord, zu allem bereit, um nun Nägel mit Köpfen zu machen. Ihr schwarzer Mantelumhang umhüllte sie wehend und ließ sie noch größer und unheimlicher wirken. Sie verbreitete eine Angst einflößende Aura, als würde es Nacht und eisig kalt werden. Fast hätte man meinen können, der Boden zu ihren Füßen hätte sich schwarz verfärbt. Entsetzt mit weit aufgerissen Augen begriffen die drei Strohhutmitglieder, in welcher tatsächlichen Falle sie sich befanden. Noch ehe die Archäologin ihre Arme wachsen lassen, die Navigatorin einen Donnerblitz entfachen und der Cyborg eine Rakete abfeuern konnte, wurde ihnen auch schon alles unter ihren Füßen weggerissen. Es war ein Gefühl der momentanen Schwerelosigkeit, in welcher sie ein Wechselbad aller Gefühle der Welt in ihren Herzen verspürten. Niemals zuvor hatten die Drei Freude, Leid und alles, was dazugehört, in einer Sekunde mit voller Wucht durchlebt. Ein Super-GAU der Gefühle. Dann schlugen sie auf dem Boden auf. Der Spuk war vorbei und die Piraten bewusstlos im Land der Träume. Kivi beschwerte sich nörgelnd, ob dieser Missbrauch des Prismas und diese brutale Härte wirklich notwendig gewesen wären. Immerhin hätte sich die Strohhutbande bis zum aktuellen Zeitpunkt als handzahm erwiesen. Zumal durch diesen Primeneinsatz die fette Kröte nu wisse, dass sie hier auf der Insel wären. Auch wenn die Prismen derzeit in drei Teile zertrennt wären, so wären ihre Kräfte noch miteinander verbunden. Doch die rote Prismenträgerin scherte sich um solche Einwände und Überlegungen kein Stück. Sie herrschte missgelaunt Azarni an, wenn sie endlich ihren Schwur loswerden und frei sein wollte, dann sollte sie endlich einen Fuß auf diese gottverdammte Insel setzen. So befohlen, so getan. Noch etwas zaghaft und unsicher verließ die junge Frau die Holzplanke, auf welcher sie die ganze Zeit über unbeweglich verweilt hatte, und betrat festen Boden. Eine plötzliche Verwandlung und Schmerzen durchfuhren sie. Die Armen um sich selbst geschlagen, hielt sie sich krampfhaft den Bauch. Sie krümmte sich und wand sich. Nichts brachte Abhilfe. Ihr weißes Sommerkleid verfärbte sich auf Unterleibshöhe blutrot. Noch einmal sah sie auf und ihre panischen, schmerzverzerrten Augen trafen die von Rot und Blau. Tränen liefen ihr über die Wangen. Erst nun, wo ihre langen Haare nicht mehr ihr Gesicht verdeckten, sah man, wie hübsch sie doch war. Ihre Augen waren silbergrau, wie die von Vollmonden. Ihr Antlitz war leicht oval, schloss oberhalb mit einer leicht hohen Stirn ab. Über knochige Wangen lief ihre Gesichtsform gleichmäßig zu einem feinen Kinn zusammen. Ihre Nase war klein und spitz. Dann brach sie von Schmerzkrämpfen gepeinigt zusammen und verblasste zu einem Nichts, als hätte sie niemals existiert. Aus einem festen Körper wurde schlagartig ein Geist, der nun im Nebel und den Straßen von Fyrby entschwand. Rot drehte sich genervt weg und tat es der befreiten Seele gleich. Sie ging davon. Blau seufzte nur über soviel Arroganz und gefühlsbesudeltes Handeln. Wenn man wie er das Prisma des Wissens in sich trug, konnte man nur rational Denken und solche Dinge nicht anders bewerten als Dumm und unüberlegt. Auch er hatte nun einen Entschluss gefasst. Die Freundschaft zu Rot war gebrochen. Erst Stunden später erwachten die drei geschlagenen Piraten wieder, als ihnen ein aromatisch-herber Duft von frisch gekochtem Tee in die Nase stieg. Sie saßen alle nebeneinander wie die Orgelpfeifen aufgereiht auf dem großen Sofa im Speisesaal der Sunny und wunderten sich sehr über die Geschehnisse. Und als dann auch noch Kivis Kopf hinter der Theke auftauchte, waren sie schlagartig wach und wieder bei allen Sinnen. Franky nahm sogleich wieder Fahrt auf: „Was zum Henker machst du hier?“ „Tee kochen“, kam es nur knapp von der Fledermaus. „Sehr lustig. Was war das eben? Wieso ist Yurenda plötzlich so falsch zu uns?“ konterte Franky sofort. „Na, na! Welche Manieren hast du denn gelernt? Aber um deine Frage zu beantworten: Sie sieht ihre Felle davonschwimmen. Ihr Plan läuft nicht so, wie sie es wollte“, gab Kivi an. Nun mischte sich auch Nami ein, die Blau anfuhr, sich nicht alles aus der Nase ziehen zu lassen. Er könnte schon etwas mehr Auskunft geben, welches dubiose Spiel hier gespielt werden würde. Doch Kivi winkte ab und deutete auf Robin. Die Archäologin hätte einst zu Rayleigh gesagt, sie möchte die wahre Geschichte der Welt selbst herausfinden wollen. Darum würde er selbst schweigen wie ein Grab, obwohl er ja alles wüsste. Die drei Strohhüte seufzten. Unbefriedigt ihrer Neugier konnten sie es nur dem blauen Prismenträger gleichtun: Abwarten und Tee trinken. Der Weg war lang, ziellos und schweigsam. Es mochte bereits die achte oder neunte Runde sein, die der Smutje und der Schwertkämpfer einträchtig um ein und denselben Häuserblock gezogen waren. Sanji rauchte eine Zigarette nach der anderen ohne zu wissen, was er hier überhaupt verloren hatte, während Zoro mit vor Wut geballten Fäusten in den Taschen den einen oder anderen Stein auf der Straße wegtrat und in tiefster Finsternis vor sich herstarrte. Aus den Augenwinkeln betrachtet hatte der Koch längst gemerkt, dass im Gemüt seines Mitstreiters so schnell keine Sonne aufgehen würde. Wieder tauchte die Nationalgalerie auf und wieder begannen sie eine neue Runde. Stopp! Sanji wurde es mehr als zu blöde, stundenlang schweigend ohne Ziel im Kreis zu rennen. Er hielt inne. Tatsächlich unterbrach auch Zoro seinen Gang und blickte den Koch fragend an. „Wir nehmen mal einen anderen Weg“, schlug dieser als Antwort vor. „Wir rennen hier wie die Idioten um den Block. Lass uns mal da lang gehen.“ Er zeigte in eine ganz andere Richtung, die von Zoro nur mit einem mürrischen Grummeln abgesegnet wurde. In ihm ordneten sich Zusammenhänge und nachdem nun Mihawk als altes Feindbild zerbrochen war, klärte sich in ihm ein neues Feindbild vor seinen Augen. Yurenda. Die komische Frau in Schwarz mit dem schrägen Humor, welche keine Hilfe gab, aber ihn wohl schon länger gesucht hatte. Sie war der Beginn des Übels, denn das Gemälde vom Dachboden hatte es ihm in der kurzen Filmsequenz gezeigt. Falls ihm das Weib jemals wieder über den Weg laufen würde, dann gäbe es dringenden Klärungsbedarf. Vielleicht war es sogar noch geschickter, sie zu suchen. Aber erst einmal musste er dem nervigen Koch an seiner Seite im Geheimen recht geben, der ihn aus den Gedanken riss, als er plötzlich in die Stille sagte: „Wir sollten unsere Freunde suchen. Kannst du die nicht irgendwie orten?“ „Nein, hier sind einfach zu viele Seelen. Aber sie sind irgendwo hier auf der Insel.“ „Verstehe.“ Sie schlenderten weiter die nun neu eingeschlagene Route entlang. Es war eine Einkaufsstraße mit sonderbaren Auslagen. Viele Fenster waren mit Holz vernagelt oder deren Scheiben eingeworfen. Schaufensterpuppen waren halb entkleidet, Obst vollkommen zu brauner Pampe verfault, Teleschnecken brummten, Teleschnecken-Monitore flackerten auf Schneetreibeneinstellung, Radios jaulten. Ein anderes Fenster war über und über mit fremdartigen Schriftzeichen versehen. Beim übernächsten Geschäft gab es ein freudiges Wiedersehen. Wie der Blitz schoss eine Gestalt aus dem Fotoladen und klammerte sich wie eine Klette an den Schwertkämpfer. Dabei schlang es die Arme um seinen Hals, als wäre er die letzte im Wasser treibende Rettungsboje. „Zoro!“ rief Tashigi laut aus und vergaß in diesem Moment vollkommen, dass die Crew noch gar nichts von ihrer Beziehung wusste. Auf der Sunny waren sie sich nur dann näher gekommen, wenn sie allein waren. Schlagartig wurde sie sich der Anwesenheit von Usopp und Sanji bewusst. Der Kanonier stand wie angewurzelt mit heruntergeklappter Kinnlade in der Ladentür und klatschte sich dann mit der flachen Hand an die Stirn. Natürlich. Da hätte er auch selbst drauf kommen können, als damals der Schiffsbauer seine Andeutungen gemacht hatte. Für den Smutje zerbrach in diesem Moment eine heile Welt. Den Himmel auf Erden hätte er ihr bereitet, wie allen Damen der Mannschaft. Aber wen wählte sie? Ausgerechnet den Marimo. Sanji flehte sie um eine einleuchtende Erklärung an, wie man ausgerechnet Liebe für diesen schlafenden, versoffenen Idioten empfinden konnte. Überrumpelt murmelte sie etwas unverständliches, versank sie doch gerade eh in einem Gefühlsmeer der Peinlichkeiten. Sie versuchte ihr knallrotes Gesicht an der Schulter ihres Freundes zu verbergen, doch als sie seine Arme um ihren Körper und seine Wange an ihrem Kopf spürte, fühlte sie sich beruhigt und nicht mehr als Verräterin. Über Zoros Gesicht huschte ein Lächeln. Sie traf auch wirklich jedes Fettnäpfchen, jedoch war sie wohl in diesem Moment einfach nur froh gewesen, ihn lebendig wiederzusehen. Er war zwar kein Mensch für Heimlichkeiten, aber an die große Glocke hängte er auch nichts. Egal, ob es nun Freund oder Feind war. Darum war das Mitwissen der anderen nun letztendlich in Ordnung. Aber wenn Sanji nicht sofort mit der Schmollerei aufhören würde, dann würde er auf der Stelle seine Abmachung mit dem Koch vergessen und ihm tierisch mit der Faust die Meinung sagen. Das stand nun mal gerade fest. „Alles klar bei euch?“ fragte er sie und blickte auch hinüber zu Usopp. Ja, alle waren in Ordnung. Sie stellten fest, dass sie alle an verschiedenen Orten auf der Insel aufgewacht waren und so gab es noch Hoffnung, dass der Rest der Mannschaft auch hier irgendwo wäre. Gemeinsam gingen sie weiter die Einkaufsstraße hinunter, bis sich diese in einer T-Kreuzung gabelte. Gegenüber erstreckte sich ein Barockgarten, linke und rechte Hand Geschäftshäuser mit darüberliegenden Wohnungen. Der Kanonier stellte fest, dass ihm der Park bekannt vorkam und ein Blick auf die von Tashigi abgerissene Karte brachte die Erkenntnis, dass sie tatsächlich schon einmal vorbeigekommen sein mussten. Und nun? Etwas ratlos blickten sie zwischen Stadtplan und Umgebung umher. Ohne sich etwas anmerken zu lassen verharrte der Schwertkämpfer für den Bruchteil einer Sekunde inne. Wie ein warmer Sommerwind hatte ihn ein Hauch gestreift. So weich und sanft wie eine Feder. Dann war es auch wieder weg. Er blickte in die Richtung, wohin dieses Gefühl entschwunden sein könnte, sah aber nichts. Und plötzlich war alles wieder da. Alle Geister, Seeelen und Dämonen waren wieder einzeln zu fühlen, wo auch immer sie umher kreuchten. Der Einheitsbrei der Gefühle war aufgelöst. Ganz klar, da waren die drei Nakama an seiner Seite, drei weitere waren gar nicht weit entfernt rechts die Straße hinunter und noch drei weitere näherten sich aus weiter Ferne im Eiltempo diesem Gebiet. Aber er spürte auch, dass der Schein trog. Etwas war hier nicht in Ordnung und die derzeitige Stille nur die Ruhe vor dem Sturm. Da zog etwas durch die Gassen und die Dunkelheit verwischte deren Spuren. Auf Zoros Hinweis hin wandte sich die Gruppe sich der Karte nach zum Hafen, der nicht weit sein könnte. Je mehr sie dorthin gingen, desto mehr wurde der Schwertkämpfer den Verdacht nicht los, dass rein nach Seelenanzahl nicht vier, sondern sechs mit ihnen zogen. Das waren definitiv zwei zuviel. Vorsichtig blickte er sich um, doch das Signal war zu schwach, um der Ursache auf den Grund gehen können. „Hast du was?“ fragte der Scharfschütze den Schwertkämpfer. „Ich denke manchmal, dass wir eben verfolgt werden.“ „Wie verfolgt?“ mischte sich Sanji ernst ein. „Also ich sehe nichts“, versuchte Tashigi ihre Freunde zu beruhigen. Sie blickte durch den Sucher einer einfachen, handlichen Kamera und untersuchte damit ihre nähere Umgebung. „Was wird das denn?“ zweifelte der Koch den Verstand der jungen Frau an. „Ach, das war so. Meine Brille war doch kaputt und da habe ich auf der Pflaumeninsel beim Glasmacher so eine Linse erstanden, die auch Dinge sichtbar machen kann, die das gewöhnliche Auge nicht sieht. Das wusste ich aber da noch nicht, sondern erst seit ich hier bin. Mir fiel das zufällig auf. Und weil das so unpraktisch nur mit der Linse ohne Fassung war, war Usopp so lieb und hat mir eine Kamera drum gebaut. Leider gab es in dem Geschäft keine spirituellen Filme“ erklärte sie ganz schnell plappernd, aber Sanjis Gesicht nahm bei der Geschichte eine eher mitleidige Miene an, dass es ihm schwer fiel, ihr zu glauben. Nur Usopp als Erbauer der Kamera war überzeugt und Zoro seit dem Abenteuer in der Villa im Bambushain sowieso. Tashigi hatte eine neue Camera Obscura. Zwar konnte sie dort ohne die magischen Filme keine Geister auf dem Bild einsperren, aber wenigstens sichtbar machen. Das war erstmal für den Anfang mehr als genug. Zoro glaubte ihrer Aussage, auch wenn er immer noch der unausgesprochenen Meinung war, dass in ihrer Vierergruppe zwei Gefühlswellen mehr mitschwappten. Noch sonderbarer war es, dass diese beiden Wellen vollkommen vertraut, klein und schützenswert schienen. Noch bevor er diese Gedanken innerlich ordnen konnte, tauchte aus einer Seitenstraße ein neues Problem auf. Als hätte sie hier schon seit ewigen Zeiten gewartet, stand die schwarze Dame mitten auf der Straße als wäre nun Highnoon. Mit der übergezogenen Kapuze und dem langen, wallenden Mantel wirkte sie größer und bedrohlicher. Da sie die Arme vor ihrer Brust verschränkt hielt, bot es sich für sie an, die Hände gegenseitig in den Mantelärmeln zu verstecken. „Das ist eine ganz üble Aura“, stellte Tashigi mit einem Auge an der Kamera fest. Der Boden zu Füßen der Gestalt sah durch die Kamera merkwürdig aus. Sie warnte ihre Freunde, sofort stehen zu bleiben. Der Weg vor ihnen zum Hafen war versperrt. Die Überwindung dieses Hindernisses in Dämonengestalt würde kein Zuckerschlecken werden. Die vier Piraten machten sich bereit. Die Prismenträgerin zu besiegen wäre sicher aussichtslos, aber wenigstens wollte man ihr im Kampf standgehalten oder zumindest einen Fluchtweg frei geschlagen haben. Und dann ging alles ganz schnell. Zu viert griffen sie gemeinsam vereint an, doch auf sie wirkte dieselbe Kraft, die zuvor auf Franky, Nami und Robin. Sie gingen ebenso bewusstlos zu Boden. Ein Kampf im Bruchteil eines Augenschlages. Nur der Schwertkämpfer allein war lediglich in die Knie gegangen, keuchte schwer und stützte sich mit seinen Händen auf den Oberschenkel ab. Er wusste nicht wie, aber seine dämonisches Ich hatte ihn wieder einmal vor dem Schlimmsten bewahrt. Zoro schüttelte den Kopf. Soviel Glück konnte doch nicht normal sein. „Dafür, dass du keinen Plan von nichts hast, hast du das ja eben gut überstanden. Nicht schlecht, nicht schlecht“. Spott und Anerkennung zugleich war aus ihrer Stimme herauszuhören. Langsam schritt sie auf den Knienden zu und stoppte kurz vor ihm. „Gib` endlich auf.“ „Niemals!“ drang es trotzig zu ihr herauf und ehe sie sich versah, hatte er ihr Handgelenk gepackt. „Erzähl mir lieber was!“ Sein dreckiges, kampfeslustiges Grinsen legte sich auf sein Gesicht. Als er sie berührte, schossen ihm Bilder durch den Kopf. Nicht viele, aber aussagekräftige. Er hatte genug gesehen. „Du bist gar keine Dämonin oder irgend so etwas Überirdisches, wie ich es erst dachte. Du bist bloß ein ganz normaler Mensch. Alles verdankst du dem roten Prisma.“ Sie war durchschaut. Sauer trat sie zurück und versuchte sich, aus seinem Griff zu reißen. Jedoch blieb dieser starr wie ein Schraubstock. Und dann wurde um sie herum alles Schwarz und sie entschwanden beide gemeinsam in unbekannte Dunkelheit. Mal keine 200 Meter Luftlinie auf der Sunny entfernt, zuckte in diesem Augenblick Kivi erschrocken zusammen, so dass ihm die Teetasse aus der Hand fiel und am Boden in tausend Teile zersprang. „Was is’en jetzt schon wieder?“ kommentierte Franky das Ganze. „Sie haben sich beide gefunden. Hier ganz in der Nähe.“ Als wäre ein Startschuss gefallen, sprangen die drei Piraten auf und rannten los. Weg vom Schiff und durch die Straßen. Üble Vorahnungen quälten sie, dass sie irgendwo dort draußen das Schlimmste vorfinden würden. Doch dort war nichts weiter als ein vollkommen verwirrter Brook mit dem Rentier und dem Captain unter den Armen geklemmt, der gerade darüber nachdachte, wie er drei ohnmächtige Nakama wieder zurück in die Realität holen könnte. Am Besten spiele er nun einfach ein Lied, dachte er sich, denn das hülfe immer. Andererseits bräuchten Luffy und Chopper sofort Hilfe. Das war eine verflixt schwere Situation. Ein Stein fiel ihm von seinem längst verrottetem Herzen, als er Nami, Robin und Franky daher gerannt kommen sah. Schnell waren alle in Sicherheit auf die Sunny gebracht worden und da sie nicht wussten, dass Zoro zuvor noch bei der Dreiergruppe gewesen war, konnten sie ihn jetzt gerade auch nicht vermissen. So wurden lediglich Tashigi, Usopp und Sanji jeweils in ihre Betten gesteckt und Luffy und Chopper klemmten hinten im Maschinenraum mittels Atemmasken an großen Sauerstofftanks. Das wäre das einzige, was helfen würde, meinte Franky und als Konstrukteur hatte er schon von so einigen Arbeitsunfällen auch mit CO2 gehört. Erst Kivis erstaunte Frage machte die Crew darauf aufmerksam, dass der Schwertkämpfer hätte dabei sein müssen. Natürlich versetzte diese Aussage die Gruppe in Nervosität, jedoch mussten sie sich eingestehen, dass die Suche nach ihm sinnlos auf so einer riesigen Insel wäre. Sie waren machtlos und konnten ihm nicht helfen. So blieb ihnen schon zum zweiten Mal an diesem Tage nichts anderes übrig, als weiterhin einen Tee zu schlürfen und zu warten. Dass der Tag langsam verging, merkte man nur an der Uhr an Bord. Durch den Nebel wirkte der Hafen und der Tag zeitlos. Nichts hatte sich verändert. Es war mitten in der Nacht, als Tashigi wieder zu sich kam. Verunsichert blickte sie umher und war mehr als verwundert, in ihrem Bett auf der Sunny zu liegen. Von Namis Bett her drang ein leichtes Atmen als Zeichen dafür, dass sie tief und fest schlief. Gegenüber im Sessel saß Robin und las im Schein der kleinen Lampe einen dicken Wälzer. Freundlich blickte sie zu der eben Erwachten herüber, denn sie hatte bemerkt, dass sie sich unter der Decke regte. „Wie bin ich hergekommen?“ „Wir haben euch gefunden und hierhergebracht. Ihr ward allesamt bewusstlos.“ Dabei verschwieg die Archäologin erst einmal wohl wissend Zoros Abwesenheit. Mit Robins Antwort gab sich Tashigi zufrieden, denn ihr unscharfer Blick blieb an ihrer neuen Kamera hängen, an welcher der Sucher im schwachen Blaulicht aufleuchtete. Sie erinnerte sich an das Vorgängermodell, welches leider auf ihrer langen Reise verloren gegangen war. Ein gelbes Licht hatte sich als Gefahr und ein blaues Licht als Hinweis erwiesen. Das musste untersucht werden. Auf taumeligen Beinen und nur mit einem Pyjama bekleidet stolperte sie unter Robins erstaunten Blicken hinaus. Es war kalte Nacht dort draußen und der Nebel schien nun noch stärker und dicker geworden zu sein. Er verschlang alles. Selbst die Hand, die man sich direkt vor die Nase hielt, war nicht zu sehen. Sie sah wieder auf den Sucher. Er leuchtete heller. Nun drehte sie sich um sich selbst, um zu sehen, zu welcher Richtung der Sucher am Stärksten ausschlug. Es war der Steuerbereich des Schiffes. Sie wetzte die Treppe hinauf weiter dorthin, wohin sie die Kamera führte. Plötzlich hob sich ein Umriss auf dem Sofa ab, den sie wegen des Nebels nicht zuordnen konnte. Sie blieb stehen und hielt sich den Fotoapparat vor ihr Auge. Die Gestalt angepeilt, schlich sie langsam voran. Auf dem Spiegel innerhalb der Kamera projizierte die magische Linse einen bläulichen Kreis. Für Tashigi sah es nun aus, als hätte sich ein großer Ring um ihr Fotoobjekt gelegt. Mit jedem Schritt kam sie dem Objekt ihrer Begierde näher und erkannte nun auch die dort sitzende Person. Gerade wollte sie seinen Namen sagen, als der blaue Ring wie ein Blitz leuchtete. Reflexartig drückte sie auf den Auslöser bahnte ein mysteriöses Abbild auf den Film. Sie bedauerte, dass sie das Geheimnis leider erst nach der Entwicklung sehen würde, denn die spirituelle Kraft war augenblicklich verschwunden. Der Sucher leuchtete nicht mehr. Das Klicken des Auslösers veranlasst nun Zoro zu Tashigi hinüber zusehen. Er hatte eine frohe Mine und schien nicht überrascht zu sein, sie hier zu sehen. „Spielst du wieder Geisterjägerin?“ „Die Kamera hat geleuchtet. Was war das?“ Sie fröstelte. Längst hatte der Nebel ihre Kleidung befeuchtet, so dass es mittlerweile nicht nur kalt, sondern auch ekelhaft nass war. „Kannst du dich bis zum Frühstück gedulden?“ Sie verzog ihr Gesicht zu einer mauligen Fratze. Nein, warten wollte sie eigentlich nicht, doch da Zoros Frage eine Rhetorische war, würde sie heute und hier mitten in der Nacht auf dem Steuerdeck nichts mehr erfahren. Erst als sie von ihm an der Tür zu ihrer Schlafstätte abgeliefert wurde, kramte er in seiner Hosentasche und zog einen zerknitterten Brief hervor. „Das kannst du zu deinen Aufzeichnungen tun. Schlaf gut, Süße!“ Dann küsste er sie flüchtig und schob sie durch die Tür ins Warme. Natürlich entgingen Robins fragenden Augen im Rauminneren nicht, dass die Crew wieder vollständig war. „Bin wieder da!“ rief er ihr entgegen und schloss rasch die Tür. Das vermied sämtliche Diskussionen und blöde Fragereien. Auch wenn sich keiner der Strohhüte gegenseitig Rechenschaft schuldig war, so waren sie doch eine große Familie. Da war es eine ungeschriebene Pflicht gegenseitig aufeinander zu achten. Dann begab auch er sich in den Schlafraum zu seinem Bett. Viele Schnarchgeräusche drangen von der Bettenseite an sein Ohr. Alles schlummerte friedlich vor sich her. Die Crew war einfach durch nichts zu erschüttern, auch wenn dort draußen eigentlich ein Ort lag, der nicht nur eine böse Vergangenheit, sondern auch Gegenwart hatte. Noch als er sich in sein ungemachtes Bett legte, überlegte der Schwertkämpfer, ob das Foto oben an Deck wohl etwas geworden wäre. Es war ein magischer Moment gewesen. Der warme Frühlingshauch, den er am Tage schon in den Gassen gespürt hatte, war wieder gekehrt. Eine Seele hatte Gestalt angenommen, sich ihm gezeigt und ihm kurz durch seine strubbeligen Haare gestrichen. Azarni hatte ihn für Sekunden besucht. Aber es war eine Magie von verlorenen Jahren. Er seufzte leise und schluckte die Vergangenheit hinunter. Azarni war vielleicht auf Ewigkeiten fort. Eine Seele in Ungnade und sie könnte ihren Fehler niemals wieder gut machen. Aus ihrer Sicht war es nicht mal ein Fehler gewesen. Es war nicht zu ändern. Morgen früh würde es weitergehen, obwohl er jetzt schon wusste, dass „morgen früh“ zu früh war, um aufzustehen und er dazu sowieso keine Lust dazu hatte. Und so schlief er ein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)