Raftel (1) von sakemaki (When Spirits Are Calling My Name ...) ================================================================================ 51 - Das Meer der verdrängten Träume ------------------------------------ Chopper konnte nicht schlafen. Erst wälzte er sich unruhig von der einen Seite auf die andere und nun lag er schon seit gut zwei Stunden auf dem Rücken und starrte Löcher an die Decke. Es war nicht das erste Mal auf der langen Reise der Strohhutpiratenbande, dass sie zwischen den Inseln kreuzten, doch so eintönig war es noch nie gewesen. Täglich dasselbe Wetter, täglich dieselbe Beschäftigung, täglich dieselben Gesichter, was sich logischerweise nicht vermeiden ließ. Es gab innerhalb der Fahrrinne im Nebel nicht einmal irgendetwas zu beobachten, was einem die Zeit hätte vertreiben könnte. Auch kein einziger Fischschwarm machte sich an ihrer Schiffsseite entlang des Weges, den man hätte angeln können. Und so tat man den ganzen lieben langen Tag nichts anderes als Essen, Schlafen und gelangweilt herumzuhängen. Das Rentier stand auf. Es spürte keine Müdigkeit und hatte auch keine Lust mehr, den Schnarchern in den Nachbarbetten weiter zu zuhören. Sein Schlafrhythmus war durch das Gammeln an Bord komplett durcheinander gekommen. Nun war es hellwach, gelangweilt und genervt. Seine Augen sahen äußerst gut im Dunkeln des Zimmers. Es würde kein Licht benötigen, um den Raum trittsicher und unauffällig verlassen zu können. Draußen an Deck atmete es tief durch. Die Nachtluft war angenehm kühl und von Feuchtigkeit durchtränkt. Es sah gen Himmel, wo sturmzerfetzte Wolken sich vom Wind treiben ließen. Vereinzelt blickte ein Stern vom Nachtfirmament hernieder. Erst jetzt wurde dem Arzt gewahr, dass es keinen Nebel mehr gab. Sollten sie nun wirklich nach gut zehn Tagen aus dem Bannkreis der Insel entkommen sein? Das Wasser in der Fahrrinne hatte sich nicht verändert: Nach wie vor schien es zähflüssig wie ein Ölteppich zu sein. Aber außerhalb des Kanals war das Meer tobend und aufgebracht. Wild kräuselte sich die Wasseroberfläche, dass einem schon vom alleinigen Anblick schwindelig wurde. Wellen zerschlugen sich selbst außen an der Kanalwand. Von vereinzelten Stimmen am Bug des Schiffes angelockt, stiefelte Chopper die Treppe hinauf und fand am Steuerrad den Smutje nebst Navigatorin. Nami tastete mit ihren Augen durch das Fernglas die Horizontlinie ab. Doch sie blieb ihr in der Dunkelheit unendlich weit verborgen. „Der Nebel ...“ gesellte sich Chopper zu den beiden anderen. „Ja. Das Wetter schlägt um. Wir scheinen schneller als gedacht nach Namida City zu gelangen, obwohl wir kaum Fahrt machen in diesem Kanal. Aber das Meer macht mir schon Sorgen“, antwortete Nami ihm nachdenklich. „Es scheint jetzt auch `ne andere Strömung im Kanal zu sein. Die Sunny treibt nicht mehr allein geradeaus. Man muss leicht gegensteuern“, rundete Sanji die Informationen ab. „Meinst du, es gibt einen Orkan?“ erschauderte Chopper und sah die Navigatorin erschrocken an. Ein Sturm würde sie übel mitnehmen und in dieser Rinne könnte sie ihn nicht einmal umschiffen. „Nein, ich würde eher sagen, wir steuern genau auf eine Regenfront zu. Ich denke, noch gute vier oder fünf Tage. Dann sind wir da. Aber wir müssen aufpassen. Es ist eine Insel, die unter Whitebeards Einfluss steht.“ Nami sah besorgt und nachdenklich aus, sagte aber nichts weiter, sondern wandte sich wieder den Beobachtungen durch das Fernglas zu. Sanji hielt eisern das Steuerrad fest und die Sunny auf Kurs. Daran, wie er an seiner Zigarette zog, erkannte man seine Angespanntheit. Für das Rentier gab es hier oben nichts weiter zu tun. Es wandte sich achtern, wo alles im Dunkeln lag. Oder nein, doch nicht. Es verwunderte ihn, warum aus seinem Arbeitszimmer ein schwacher Lichtschein durch die Fenster fiel. Er hatte nicht vergessen, das Licht zu löschen. Da war er sich absolut sicher. Neugier und Angst rangen um eine Entscheidung. Die Neugier siegte, auch wenn eine Spur von Angst in ihm blieb. Wenn es gefährlich würde, dann würde er einfach nach seinen Freunden schreien. Langsam machte er sich auf den Weg zu seiner Praxis und redete sich dabei ein, dass es sicherlich eine stinknormale Erklärung dafür gab. Sie waren hier mutterseelenallein irgendwo in der Neuen Welt. Weit und breit nichts und niemand. Eindringlinge hätte Zoro mit seinem Gespür garantiert schon bemerkt. Der nasse Rasen an Deck befeuchtete seine Klauen und als er die Tür zur Mensa aufschob, gähnte ihm Dunkelheit wie aus einem großen Tiermaul entgegen. Fast hätte er doch Furcht in sich aufsteigen lassen, wären dort hinter seiner Praxistür nicht allzu menschliche Geräusche gewesen. Zudem drang Licht durch den Türspalt. Mutig schritt er voran, öffnete die Tür ganz und erstarrte für einen Bruchteil der Sekunde. Er schaut mehrmals zwischen geöffnetem Medizinschrank, durchwühlten Dosen auf dem Tisch und der dampfenden Tasse „Irgendwas“ in Zoros Händen hin und her. Erst dann machte es in seinem Kopf Klick. „Was zum Teufel machst du hier?“ brüllte er seinen Gegenüber an. Unfassbar, dass mitten in der Nacht ohne sein Wissen jemand unsachgemäß sich an seinen Vorräten bediente und seine Schränke durchwühlte. Inakzeptabel! „Ich kann nicht schlafen“, kam es nur trocken von dem Mitstreiter zurück. „Du kannst nicht ... WAS?“ Das Rentier schlug sich mit der Faust an die Wange. Es schmerzte höllisch. Aber es war ein sicheres Indiz dafür, nicht zu träumen, sondern sich in der Realität zu befinden. Zoro und Schlaflosigkeit. Das war so, als würde Ostern und Weihnachten auf einen Tag fallen. Hier war etwas definitiv oberfaul, aber sein vermeintlicher Patient sah eigentlich recht kerngesund aus. Der kleine Arzt schnupperte, was aus der Teetasse so herausdampfte. Der Geruch verwies auf ein finsteres Gebräu mit vielen Kräutern, die aus dem großen, roten Napf aus der hintersten Ecke seiner Arzneiteesammlung stammen könnten. Es roch nach einer starken Dosis. „Wie viel zum Henker hast du da aufgebrüht?“ „Hm, ungefähr soviel, “ zeigte Zoro mit den Fingern die Höhe des Teesatzes unten am Tassenboden. Das war mindestens ein Drittel des Bechers. „Was?“ Das Rentier seufzt entsetzt. Es war hoffnungslos, seinen Nakama zu belehren. Solange dieser noch aufrecht und locker dort mit dem Gesäß auf der Pritschenkante lehnte, konnte er keine Kräutervergiftung haben. Man würde sehen, wie sich die Arznei in den kommenden Stunden auswirken würde. Dennoch fragte sich das Rentier nach dem Warum des Ganzen. „Und wie viel willst du von dem Zeug saufen? Glaub man ja nicht, dass ich es noch einmal zulasse, dass du dich an meinem Inventar vergreifst! Warum überhaupt? Du, du!“ Chopper wollte drohen, um seiner Wut Luft zu machen und seinem Anliegen Nachruck zu verleihen. Doch als er Zoros gleichgültige und regungslose Haltung sah, spürte er einen Hauch von Verzweiflung. Der Schwertkämpfer hielt die dampfende Tasse mit beiden Händen in der Nähe seines Mundes und pustete nachdenklich hinein, auf das es sich schneller abkühlen würde. „Was ist los?“ fragte der kleine Arzt nun doch vorsichtig. „Sie rufen mich ...“ „Hä? Wer ruft dich? Geister?“ „Keine Ahnung!“ Zoro knallte nun doch wütend erregt die Tasse auf den kleinen Schreibtisch. Fast wäre sie übergeschwappt, hätten den Tisch eingesaut und seine Finger verbrannt. „Im Schlaf höre ich ständiges Rufen. Hier an Bord gibt es mehr Seelen als Leute. Manchmal sehe ich alles wie im Zeitraffer, dann aber wieder wie im Schnellvorlauf. Ich krieg hier eben einfach `ne Macke“, beschwerte er sich, obwohl er wusste, dass Chopper die falsche Adresse wäre. Helfen konnte dieser ihm sicherlich nicht. Wenigstens hörte er sich aber seinen Ärger an. Für das Rentier war jedoch in diesem Moment klar, dass sich sein bester Freund in einer äußerst schweren Lage befand. Der Schwertkämpfer sprach niemals über seine Probleme. Auch nicht, wenn die Welt bereits untergegangen war. Das er es nun doch tat, war aber kein Zufall, sondern einem Zwischenfall zu verdanken, als sie beide damals allein auf dem North Blue ihren Weg fortsetzen und sich dabei übel in die Flicken bekamen. Seitdem ließ Zoro dann doch mal den einen oder anderen Satz gegenüber Chopper fallen, wenn es wirklich aussichtslos war. Der kleine Arzt seufzte noch mal und begann, die alt bekannte Ordnung in seinem Schrank wieder herzustellen. Dabei drückte er Zoro beiläufig eine andere Kräutermischung in die Hände. „Hier, trink die! Was anderes weiß ich auch nicht“, gab er seine Anweisung. „Ok, danke!“ Damit verschwand der Nakama zur Küche, wo noch heißes Wasser stand. Dann klappte die Tür zum Deck und weg war er. Verwundert rubbelte sich Chopper das Ohr. Hatte er eben tatsächlich das Wort „Danke“ vernommen? Komische Anwandlung. Irgendwie begannen alle, am Rad zu drehen. Lag wohl an der Eintönigkeit. Mit dem Aufräumen war er nun fertig und da er nichts weiter zu tun hatte, versuchte er wieder in seinem Bett etwas Schlaf zu finden. Von Zoro war weit und breit keine Spur zu finden. Für Zoro hingegen war noch lange kein vernünftiger Schlaf in Sicht. Mit der Teetasse eisern in der Faust umklammert stapfte voran, überquerte das Rasendeck, nahm einem Umweg an seinem Bett vorbei, wo er sich seine Bettdecke schnappte und schlürfte dann dem Krähennest hoch oben über allem entgegen. Er wusste, dass er im Trainingsraum allein sein würde. Der Stahlfußboden war angenehm kühl. Genau das richtige für seinen steinkohlegleich glühenden Kopf. Er hatte steigendes Fieber, doch sein Kämpferstolz verbat es ihm, sich vor Chopper bloßzustellen. Die Hoffnung tat sich schwer, hier oben in der Einsamkeit nun den inneren Frieden zum Einschlafen zu finden. Da waren wieder diese Stimmen, die riefen und klagten. Furchtbar! Lange drehte und wälzte er sich auf seinem kalten, harten Lager hin und her. So etwas war im bisher vollkommen fremd gewesen. Nicht einschlafen zu können: Ätzend. Stunde um Stunde verging. Bald würde es draußen dämmerig werden. Der Regen trommelte gegen die Fensterscheiben und deren Lärm mischten die Stimmen in seinem Kopf zu einem Geräuschebrei. Die Geister riefen und klagten in einer fremden Sprache, die er nicht verstand, aber seinen Namen hörte er heraus. Choppers Schlaftrunk verfehlte jedoch nach einer langen Zeit seine Wirkung nicht und schickte den von innerer Unruhe Geplagten in ein dubioses Land schlechter Träume. Der Traum begann zwischen den Gräsern und Blumen einer unendlichen Steppe. So weit das Auge reichte, wiegten sich die knallgrünen Halme im lauschig warmen Wind. Da war nichts am Horizont als Gras, Gras und noch mal Gras. Der Himmel über ihm war im klarsten Azurblau gehalten. Keine Wolke verhunzte das Firmament. Es musste wohl Mittagszeit sein, denn die Sonne stand fast senkrecht über ihm. Ohne zu wissen, was ihn antrieb, ging er schnurgerade los. Er genoss das angenehme Frühlingswetter. Die wochenlangen Wintertage mit ihrem Schmutzgrau drücken auch ihm aufs Gemüt. Da war diese Idylle mehr als erholsam. Ab und zu schaute er zurück und sah nur den platt getretenen Pfad in der kniehohen Wiese. Nur selten wuchsen weiße Magaritten und gaben der grünen Fläche ein paar abwechslungsreiche, weiß-gelbe Tupfer. Er ging weiter und weiter. Zoro versuchte die Zeit abzuschätzen, denn anhand des Pfades, musste er schon sehr lange gegangen sein. Seinen Startpunkt konnte er nicht mehr sehen. Allerdings bewegte sich die Sonne keinen Millimeter am Himmel. Also lief er weiter ohne Eile, jedoch ohne gänzlich zu bummeln. Nichts veränderte sich. Weder das Grün der Gräser, das Weiß der Magaritten, noch das Blau des Himmels. Auch der Stand der Sonne war unverändert. Er war vollkommen allein und nichts deutete darauf hin, dass er irgendwann einmal irgendjemanden treffen würde. Plötzlich stutze er, denn genau vor ihm tat sich ein Trampelpfad in dem Gras auf. War er doch nicht allein? Er betrachtete den Weg genauer. Er war noch frisch hineingetreten und führt schurgerade aus zum Horizont. Zoro hatte nichts anderes zu tun, als diesem Weg zu folgen. Vielleicht würde er jemanden begegnen, der ihm Auskunft über diese Steppe geben könnte. Doch niemand tauchte auf. Er wusste selbst nicht warum, aber ein übler Verdacht tat sich in seinem Unterbewusstsein auf. Um diesem Verdacht auf die Schliche zu kommen, trat er aus der Spur heraus und begann parallel zur ersten einen neuen Weg nebenher. Seine übelste Befürchtung bestätigte sich tatsächlich nach einer endlosen Wanderung, als sich vor ihm viel, viel später der Anfang einer zweiten Spur auftat. Es war tatsächlich seine eigene Spur gewesen, an dessen Anfang er vorhin geraten war. Und nun stand er vor dem Anfang der zweiten. Er wunderte sich, wie man bei einem Weg, der exakt geradlinig verlief, im Kreis laufen konnte. So schlimm war sein Orientierungssinn nun wirklich nicht, versuchte er seinen Makel herunterzuspielen. Ihm kam der irrsinnige Gedanke, dass er vielleicht auf einem Steppenplanet gelandet wäre, den er nun schon zweimal umrundet hätte. Aber das war absurd, selbst wenn es nur ein Traum war. So etwas albernes träume man nun wirklich nicht. Kurzum machte er eine 90°-Kehre und entfernte sich von seinen beiden alten Pfaden. Als hätte er es erahnt, kam er später wieder genau senkrecht bei den beiden Parallelen vor ihm an und überquerte sie. Eine Kreuzung war entstanden. Es war eines der sinnlosesten Träume überhaupt. Der Orientierungslose hatte nun keinen Lust mehr, weiter im Kreis in einer eintönig grünen Landschaft umherzuspazieren. Nun im Gras liegend, betrachtete er den Himmel und lauschte in die Gegend hinein. Bis auf den Wind hörte man kein Lebewesen. Ein plötzlicher Schatten ließ ihn hochfahren. Dort, wo eben noch die Kreuzung gewesen war, stand wie von Zauberhand ein alter kleiner Baum ohne Blätter mit schwarzem Stamm und Geäst. Hoch oben saß etwas. Zoro war fast geblendet von diesem Wesen. Er schützte seine Augen mit dem Handschatten und ordnete das schlafende Tier als einen Pfau ein. Seine Schwanzfedern hingen herunter und sein Kopf steckte unter einem Flügel. Seine Federn schimmerten in der Sonne wie poliertes Metall in allen Blau- und Grüntönen, die jemals ein menschliches Auge gesehen hätte. Aber die Pfauenaugen waren mysteriös. Sie waren pechschwarz und wenn man hineinblickte, so verlor man sich in ihnen. Als würde man wie Wasser von einem trockenen Schwamm aufgezogen. Der Schwertkämpfer kannte dieses Schwarz. Die Donnerwolken der Panzerreiter hatten denselben Effekt. „He!“ rief Zoro hinauf ohne wirklich daran zu glauben, dass der Pfau seine Sprache sprechen würde. Der Vogel reagierte erst, als ein von Zoro geworfener Ast ihn streifte. „Kiek mal, Olle!“ gähnte das verschlafene Vieh daraufhin und meinte dann weiter: „Olle, wi häbben ein Gast.“ Na toll, das Tier konnte also wirklich reden. Nur leider mit einer sehr alt schrill-krächzenden Stimme auf Platt. Das würde die Kommunikation erschweren. Zoro verstand nur Bahnhof. „Kannst du auch richtig reden?“ fragte er genervt. „Olle, der Gast is echt frech. Der wohnt hier net und blubbert rum. Wat sagste dazu?“ Zoro blickte sich um. Bis auf sich selbst und dem Pfau gab es hier nichts und niemanden. Mit wem redete das Vieh denn da bloß? Vermutlich war es schon solange allein, dass es einfach mit sich selbst sprach und das nicht gerade grammatikalisch einwandfrei. Es schaute zudem sehr erbost herunter und schien auf etwas zu warten. „Nu stell uns deine Frage. Du hast uns doch gerufen“, drängelte der Pfau. „Frage? Gerufen?“ Zoro war verwirrt und erntete verdrehte Augen von dem Vogel. „Ja doch! Du hast deine Lebenslinie gekreuzt und uns gerufen. Respekt, dass könnt ihr Hanyô sonst nämlich nicht. Aber ihr Grünhaarigen könnte ja auch sonst nichts. Ihr Schicksalslosen!“ Da lachte der Hahn zu sich selbst und schickte sich an, eine neue Schlafposition zu finden und die Augen zu schließen. Für Zoro war wie vom Blitz getroffen klar, dass dieses unhöfliche Tier sicher eine ganze Menge über ihn und seine Kräfte erzählen konnte. Wenn es jetzt nur nicht einschlafen würde. „Wie viele Fragen habe ich denn?“ „Nur eine und die hast du eben verbraucht“, gähnte es herunter. „Vergiss es! Erzähl mir mehr über die Hanyô. Du weißt es wohl.“ „Wieso? Du bist einer, du musst es selber wissen. Oder hast du schon zu viele Erinnerungen verbraten, dass du nichts mehr weißt? Ah, ihr Schicksalslosen!“ Der Pfau war arrogant und respektlos. Nichts wollte er preisgeben. Ihn also direkt ausquetschen zu wollen, schien ein aussichtsloses Unternehmen zu sein. Zoro dachte nach. Man müsste dieses Vieh doch reinlegen können. Vielleicht ging es mit einem Themenwechsel. Manchmal konnte man das Feld von hinten aufrollen. „Weißt du eigentlich, dass unsere Welt im Chaos liegt und sich gerade selbstzerstört?“ „Ja, ist uns aber egal! Nerv’ uns nicht mit Belanglosem!“ Der Vogel schlug drohend mit den Flügeln. Der Windstoß war so stark, dass es Zoro überraschte und ihn rücklings umwehte. Er rappelte sich zum Sitzen hoch. „Warum ist es egal? Du wirst auch davon betroffen sein.“ „Ist doch toll. Endlich Ruhe. Wir sind alt. Haben alles gehört, gesehen und gelebt. Wir haben schon zu lange gelebt. Alles ist uns jetzt egal!“ Noch einmal schlug der Hahn mit den Flügeln und Zoro purzelte wieder ein paar Meter weiter. Das sollte nicht noch einmal geschehen. Schnell sprang er auf die Füße in die Hocke und rammt das Shûsui vor sich in den Boden. Möge es ihm bei dem nächsten Flügelschlagen Halt und Standfestigkeit bieten. „Wenn alles egal ist, dann kannst du ja auch was erzählen. Wäre ja egal, ob du es sagst oder nicht“, grinste der Schwertkämpfer frech nach oben. „Sieh an, Olle. Der tut recht schlau und will uns reinlegen. Wir lassen ihm den Triumph. Dann freut er sich. Er ist anders, als die anderen. Meinst du nicht auch, Olle?“ Tatsächlich hatte der Pfau das Spiel von Zoro durchschaut, gab aber vergnügt nach. Vermutlich hatte hier am Baum noch nie jemand gestanden, der so hartnäckig und unwissend zu gleich war. Auch wenn der Vogel in dem Menschen dort unten einen Schicksalslosen sah, so war dieser wohl besser als gar kein Gesprächspartner. Also hüpfte der Pfau ein paar Äste herab und erst jetzt konnte Zoro erkenne, dass das Tier sicher so groß wie er selbst war. Die Perspektive nach oben hatte ihn sehr getäuscht. „Überrascht, dass ich so groß bin?“ amüsierte sich das Tier und schob noch hinterher: „Ich weiß, was du denkst.“ Überrascht und irritiert zugleich, zog der Schwertkämpfer eine Augenbraue nach oben, sagte aber nichts. Wenn der Hahn nun auch noch Gedanken lesen konnte, dann würde die weitere Fragenstrategie kaum zu planen sein. „Du willst wissen, wer du bist, wo die achte Route ist und der Kerzenmacher. Und warum du kein Schicksal hast. Welch dumme Fragen. Alles total sinnlos. Längst zu spät!“ Der Pfau lachte kichernd und glucksend, dass es einem die Ohren schmerzte. Er sprang vom Baum herunter direkt vor Zoros Füße und tat so, als wolle er ihn picken. Dann schlug er sein Pfauenrad auf. Der Himmel wurde finster. Regenwolken und Sturm brachen los. Schon nach Sekunden war Zoro komplett von dicken Regentropfen durchnässt bis auf die Knochen, doch der Pfau stand dort unverändert mit seinem grell glitzernden Pfauenrad, dessen Muster an das eines Kaleidoskops erinnerte, welches sich auch noch immer schneller und schneller zu rotieren und zu verändern begann. Die Pfauenaugen blickten durchbohrend genau in sein Innerstes und entblößte sein Herz und seine Seele. „Hör’ uns zu, du Schicksalsloser. Ihr Hanyô tragt die achte Route in euch und habt nur eine einzige Aufgabe. Ihr verlauft euch nie, sondern lauft immer exakt auf der achten Route. Darum habt ihr keine Orientierung zu anderen Orten. Das ist der Trick. Begib’ dich direkt zum Tempel der 1000 Kerzen. Der liegt auf der achten Route. Aber beeil dich. Die Zeit ist eh schon so gut wie abgelaufen. Meinst du, Olle, der schafft es? Nein, wir meinen nicht, dass du es noch schaffen kannst.“ Das Krächzen wurde zu einem metallisch-schrillem Lachen, welches im Sturm verwehte. Dann wurde der Sturm urplötzlich zu einem Orkan, der den Pfau mit sich nahm und auflöste, als wäre sie schon immer eins gewesen. Bunte Metallfedern flogen in finsterster Nacht wie grelle Blitze umher. Gräser mit ganzem Wurzelwerk wurden aus der Erde gerissen und umschlangen Zoros Körper. Shûsui fand keinen Halt mehr, als das Erdreich aufriss. Der Schwertkämpfer flog nach hinten und wurde unter umher fliegenden Grasbrocken begraben und gefesselt. Und plötzlich war alles vorbei. Als Zoro aufwachte, lag er wie gehabt ihm Krähennest. Er hatte sich in seine eigenen Decke verheddert. Die kleine Waschschüssel in der Nähe hatte er im Schlaf wohl umgestoßen und sich selbst mit Wasser beschüttet. Er befreite sich aus seiner misslichen Lage und richtete sich auf. Der Regen prasselte an die Fensterscheiben. Nach wie vor war es draußen Nacht. Unten rief Sanji zum Frühstück. „Wir tragen die achte Route in uns“, murmelte er nachdenklich vor sich her. „Und haben kein Schicksal.“ Durch den Regen begab er sich zum Essensraum. Beim Frühstück und einem Pott Kaffee würde er in Ruhe über diesen Alptraum nachdenken können. Vielleicht würde ihn die laute Bande auch etwas ablenken. Diese war fast vollzählig versammelt. Natürlich waren Luffy und Usopp mal wieder einer der ersten, die am Tisch saßen und mit dem Besteck ungeduldig klapperten. Die restliche Crew trudelte gemächlich mit dem Schwertkämpfer zusammen ein, schüttelte die Regentropfen von den Jacken und nahm auf ihren gewohnten Stühlen Platz. „Boah, habt ihr auch alle so’n Mist geträumt wie ich? Das war ja krass!“ hörte Zoro den Kanonier sagen. Er spitzte die Ohren, denn es wäre wohl diesmal keine komplette Lügengeschichte, sondern hätte einen Funken Wahrheit in sich. Er sah aus den Augenwinkeln, dass einige Nicken. Es lag Verwunderung und Neugier zugleich zwischen ihnen. „Ist doch logisch. Wir durchqueren gerade das Meer der verdrängten Träume. Da soll so etwas typisch sein“, gab die Archäologin gewohnt gekonnt an. „Aha!“ kam es nur von einigen zurück und dann wurde sich auch schon über das frisch aufgetischte Frühstück hergemacht. Es war wieder einmal ein herrliches Buffet. Dennoch entging es dem Schwertkämpfer nicht, dass seine Süße sich gerade mal ein halbes Brötchen reinwürgte und mit Mühe etwas Wasser trank. Nanu? Sonst aß sie mit gutem Appetit und sah auch bei weitem morgens nicht so blass aus. War ihm etwas entgangen? Gewissensbisse plagten ihn, denn er wusste, dass er sie die letzten Tage mehr als vernachlässigt hatte. Zu sehr hatte er sich mit seinen eigenen Problemen beschäftigt. Namis Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. „Hört mal alle her. Ich habe den Kurs neu berechnet. Wir werden schon morgen für auf der nächsten Insel ankommen. Also seit wachsam, was Feinde angeht. Alles klar?“ „Ja, eine neue Insel!“ brüllte Luffy los und hatte leuchtende Sternaugen. Er konnte die Ankunft kaum erwarten. Auch die Crew war froh, demnächst wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Bald würde es soweit sein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)