In Nottingham von -Moonshine- ================================================================================ Kapitel 23: Playing at fate --------------------------- "Oh Gott, ich hasse mich." Kate stöhnte. Es fühlte sich an, als hätte sie einen Kater, den sie aber tatsächlich erst einmal in ihrem Leben gehabt hatte. Allerdings hatte sie dieses Mal nichts getrunken. Ihr Kopf hämmerte trotzdem, auch ganz ohne durchzechte Nacht und Alkohol, und die Bauchschmerzen, die auch noch hinzu kamen, machten ihr die ganze Sache nicht gerade einfacher. Sie lag nun schon den ganzen Tag in ihrem Bett, die Jalousien heruntergelassen, das Zimmer verdunkelt. Sie las nicht, sie sah nicht fern, sie aß nichts, sie trank nichts – nein, sie lag nur da, hasste sich selbst, ergab sich endlich ihrem gebrochenen Herzen und ließ ihren Gedanken freien Lauf. Es war interessant, was ihr alles in den Sinn kam, wenn sie einfach nur da lag und zuhörte, was sie dachte. Zum Beispiel dachte sie, dass sie viel zu brav war. Aber war es nicht auch das, was ihre Schwester Liz ihr ständig vorpredigte? Oder Claire? Beide waren zwar anständig - irgendwo tief in ihrem Inneren zumindest -, aber viel draufgängerischer. Gelassener. Brachen Regeln, setzten sich über andere hinweg. Während sie immer nur versucht hatte, folgsam zu sein. Hatte niemals eine Zigarette auch nur angefasst. Hatte - außer diesem einen Mal - nie besonders viel Alkohol getrunken. Hatte immer nur fair gespielt. Nie geschummelt. Niemals wäre sie auf die Idee gekommen, Gerüchte zu verbreiten, jemandem ins Gesicht zu sagen, dass sie ihn oder sie nicht mochte, sich jemandem gegenüber einfach unverschämt zu verhalten, zu intrigieren, zu lügen, zu... ach, einfach alles. Jetzt, in diesem Stadium des neugewonnenen Wissens, dieser klaren "die Gedanken sind frei"-Phase, glaubte sie, dass all diese Dinge das Leben viel einfacher machten. Was im Umkehrschluss bedeutete, dass sie sich das Leben selbst schwerer gemacht hatte als nötig. Was das mit Jake zu tun hatte? Sie wusste es in diesem Moment auch nicht. Aber es gab da eine Verbindung, da war sie sich ganz sicher. Und wenn es nur die absurde Idee war, dass sie ihn Rachel hätte ausspannen können, bevor es zu spät gewesen war. Wenn sie klüger gewesen wäre. Wenn sie hinterlistiger gewesen wäre. Aber sie war nur Kate. "Das hast du schon mindestens hundert Mal behauptet heute." Claire, wie aus dem Nichts auftauchend, betrat Kate's Zimmer und rümpfte die Nase. "Bist du immer noch im Bett? Wir haben zwei Uhr nachmittags! An einem Samstag!" Kate drehte sich nur auf die andere Seite herum und murmelte missmutig: "Halt die Klappe, Claire." Plötzlich wurde es taghell im Raum und es kam für Kate so unerwartet, dass sie die Augen vor Schmerzen zusammenkneifen musste. Verwirrt setzte sie sich auf, hielt sie sich den Arm vor das Gesicht und blinzelte. "Was soll das?" Claire hatte die Rollladen hochgerissen und baute sich nun in voller Größe vor Kate auf, die Arme vor der Brust verschränkt. "Das reicht", befahl sie im Ton eines Oberfeldwebels. "Genug jetzt. Raus aus den Federn! Solltest du nicht lernen oder so?!" Kate blickte ihre Freundin grimmig an. "Das kann warten. Ich hab mein Leben lang genug gelernt." Claire blinzelte, anscheinend ein wenig aus dem Konzept gebracht. "Wird das hier etwa eine Art Lebenskrise?", fragte sie dann zögernd. "Nur wegen Jake? Das ist der doch gar nicht wert." Kate schnaubte. "Okay, okay", lenkte Claire ein. "Ich sehe das Problem. Lass es uns lösen." Kate stand endlich auf und erhaschte im Spiegel einen kurzen Blick auf ihre zerzausten Haare und ihren zerknitterten Schlafanzug. Sie sah furchtbar aus. "Das kann man nicht mehr lösen, Claire. Ich hab's vermasselt." "Ich finde eher, er hat es vermasselt", warf Claire ein. Kate zuckte mit den Schultern. "Wer auch immer. Irgendwer hat es vermasselt, zufrieden? Sag mir, wie es jetzt weitergeht." Ihr Blick war derart flehend, dass Claire ratlos die Schultern hängen ließ. "Er liebt dich auch, ihr kriegt drei süße Kinder - die hoffentlich nicht seine kümmerliche Intelligenz erben -, und seid glücklich bis an euer Lebensende?", schlug sie hoffnungsvoll vor. Kate verzog das Gesicht zu einem bitteren Lächeln. "Mädchen oder Jungs?", fragte sie. "Zwei Mädchen, einen Jungen", kam es von Claire wie aus der Pistole geschossen, und spätestens da musste Kate ehrlich lachen, und auch Claire grinste erleichtert. "Bei dem Jungen musst du aufpassen", fügte sie noch hinzu. "Männer sind anfälliger für dumme Gene als Frauen. Das ist wissenschaftlich erwiesen." Kate warf ihr einen liebevoll-genervten Blick zu. "Jake ist nicht dumm. Er ist einfach nur zu sorglos." "Tja, jetzt nicht mehr", feixte Claire, hielt dann aber inne, weil sie Kate nicht das Gefühl geben wollte, sich über die ganze Situation lustig zu machen. Doch diese nahm es auch gar nicht persönlich. "Fragt sich nur, ob das gut oder schlecht ist. Wenn dem denn wirklich so ist." "Ich würde sagen, gut. Ein bisschen über seine Handlungen und Worte nachdenken würde Jake nicht schaden, oder?" "Wahrscheinlich nicht", seufzte Kate und warf einen Blick in ihren Kleiderschrank. Höchste Zeit, sich zu duschen, anzuziehen und wieder wie ein richtiger Mensch auszusehen. Vierundzwanzig Stunden in Selbstmitleid suhlen waren wirklich mehr als genug. "Ach, Claire, was würde ich ohne dich nur machen?" Auch darauf wusste Claire eine Antwort. "Noch immer im Bett liegen höchstwahrscheinlich." Dann grinste sie. "Fahren wir zum Schloss." "Zum Schloss?", echote Kate überrascht. "Schloss Nottingham", präzisierte Claire. "Da läuft uns die Plage sicherlich nicht über den Weg und wir bilden uns sogar fort." Kate zog einen braun-beige-gestreiften Pulli aus dem Schrank, dazu ein hellblaues Poloshirt. "Ich war schon hundert Mal dort." "Tja, dann wird das eben das hundertunderste Mal. Was dagegen?" Sie lächelte. "Rein gar nichts." Kate hatte gar nicht erwartet, dass es draußen bereits so warm war. Innerhalb von einigen wenigen Tagen hatten auch die Bäume begonnen zu sprießen und die einst so karge, kahle Winterlandschaft wich einem freundlichen, grünen Farbton. Es roch geradezu nach Frühling und, wie zu erwarten war, waren auch die ersten Pärchen aus ihren Löchern gekrochen, um im Schlosspark aneinander herumzugrapschen. Für solch öffentliche Zurschaustellung von Gefühlen hatte Kate noch nie etwas übrig gehabt, deshalb schaute sie dezent weg, als sie und Claire ein paar dieser Exemplare kreuzten. Sie kamen an der Statue von Robin Hood vorbei, der einen riesigen Bogen in den Händen hielt, und Kate musste daran denken, wie Judy ihr und Liz immer wieder diese Geschichte vorgelesen hatte, als sie noch klein waren. Es war Judy's Lieblingsbuch gewesen, aber irgendwann hatten Liz und sie, Kate, die Nase voll gehabt von demselben, alten Trott, und Judy fristlos als ihre Vorleserin gekündigt. Stattdessen hatten sie ihre Mum belagert, genauso wie Judy, die neues Publikum brauchte. Beth Winston, die zu dieser Zeit einen Säugling, drei kleine Kinder und einen schwer schuftenden Mann zu versorgen hatte, hatte Liz geraten, in der Schule besser aufzupassen, um so schneller lesen zu lernen - Liz hing damals ziemlich hinterher und war extrem unwillig, was Buchstaben anging -, und Judy hatte sie an Daniel verwiesen, der mit seinen zwei Monaten einfach friedlich vor sich hinschlummerte, während Judy die Geschichte von Robin Hood rauf und runter las, ja schon fast auswendig beten konnte. "Ah, Robin Hood, der edle Held. Er nahm von den Reichen und gab den Armen", sagte Claire mitten in Kate's sentimentale Erinnerungen hinein, und lachte dann leise. "Mein Lieblingsbuch früher, weißt du?" Kate stöhnte. "Ist auch kein Wunder, wenn man in Nottinghamshire aufwächst." Sie verkniff sich die Bemerkung, die ihr auf der Zunge lag; nämlich, dass Lizzie, Claire's großes Vorbild, Robin Hood früher mehr als nur verabscheut hatte. Dank Judy's gütlichem Zutun natürlich. Sie kehrten dem Schloss den Rücken zu und machte sich auf den Weg ins Grüne, denn ein bisschen den Abhang hinunter stand ein steinerner Pavillon, ziemlich abgelegen und ruhig. "Ich mag den Frühling nicht", sagte Kate schließlich nach einer langen Schweigepause. "Er erinnert mich immer an-" "Verliebte Paare? Verliebtsein? Glücklichsein?", grinste Claire verschlagen. "Nein", korrigierte Kate verdrießlich. "An meine Allergie." Sie verdrehte die Augen, als Claire lachte. "Das ist nicht witzig, weißt du?" "Ich verstehe", gluckste ihre beste Freundin. "Du leidest darunter, schon klar. Ich hätte nur gedacht, du wärst-" "Voller Bitterkeit?", unterbrach Kate nun ihrerseits grimmig, aber Claire schüttelte amüsiert den Kopf. "Gewöhnlicher." Sie grinste. "Aber anscheinend bist du doch nur voller Bitterkeit." Kate seufzte und atmete die frische Luft ein, solange sie noch problemlos konnte. "Das ist doch gar nicht wahr“, widersprach sie resigniert, hatte nicht mehr die Kraft, das Thema wieder und wieder durchzukauen und sich zu verteidigen. "Wir sind alle verwirrt", stellte Claire klar. "Na ja, fast alle. Du und Jake zumindest, ihr seid es." "Und Gabe", fügte Kate hinzu, weil sie Claire unbedingt noch eins auswischen wollte, "weil du mit ihm flirtest und ihn dann zum Teufel jagst. Und du, weil du... du mit ihm flirtest halt." Claire rümpfte die Nase. "Erstens, das tu ich nicht, und zweitens - oh!" Sie hielt inne und kniff die Augen zusammen, dann winkte sie jemandem. Kate folgte ihrem Blick und ihr blieb fast das Herz in der Brust stehen. Dort, vor dem Pavillon, stand das gegenwärtige Gesprächsthema höchstpersönlich. Gabe. Und wo Gabe war, konnte Jacob nicht weit sein... "Was soll...?", wollte sie fassungslos wissen, doch Claire winkte ab. "Wenn ihr es selbst nicht hinkriegt, dann müssen wir euch eben zu eurem Glück zwingen." Sie zwinkerte Kate zu und ignorierte die Tatsache, dass Kate kreidebleich geworden war. "Du... hast nicht..." Sie fand gar keine Worte, und gleichzeitig fragte sie sich, wo Jake sich versteckt hielt, während Gabe mit schnellen Schritten und einem freundlichen Lächeln auf den Lippen auf sie zukam. Er kam Kate vor wie der Vorbote des Teufels. "Da gibt es etwas, das du wissen musst", wisperte Claire ihr noch schnell und leise aus dem Mundwinkel zu, damit Gabe es nicht mitbekam, und schon stand er vor den beiden Mädchen. Als er Kate's Gesicht erblickte, die ihn skeptisch und angespannt ansah, lächelte er ihr zu. "Er ist nicht hier", beruhigte er sie. Es war, als wären hundert Tonnen Last von Kate abgefallen und sie atmete ein zweites Mal erleichtert durch. Sie war noch nicht bereit für dieses Treffen, ganz egal, wie sehr Claire sie dazu zwingen wollte. Irgendwann würde sie das klären - es klären müssen -, aber nicht hier und jetzt. Hier und jetzt fühlte sie sich noch vollkommen verloren und verwirrt. Und ja, möglicherweise auch ein wenig bitter. Claire empfand ganz offensichtlich nicht dasselbe wie Kate, denn sie starrte ihren Ex-Freund ungläubig an und sagte dann, mit einem drohenden Unterton in der Stimme schwingend: "Was meinst du mit 'Er ist nicht hier'?" Gabe steckte die Hände in die Hosentaschen, mied ihren Blick, schaute gen Himmel, und dann wieder zu Claire. Ein schuldbewusstes Grinsen zuckte um seine Mundwinkel. "Ich meine damit, dass ich ihm nicht Bescheid gegeben habe." Claire's Augenlid zuckte unkontrolliert, und Kate, die sich ein wenig näher zu Gabe gesellt hatte, da er ihr im Moment wie der einzig loyale Freund vorkam, musste schwer an sich halten, um nicht ebenfalls zu grinsen. Es war Claire deutlich anzusehen, wie sehr sie um Fassung rang, und wie sehr sie sich eigentlich wünschte, Gabe just in diesem Augenblick dem Erdboden gleich zu machen. "Eigentlich sah ich dieses Treffen als eine gute Gelegenheit... ich meine, da du ja auch da sein würdest..." Er hielt kurz inne. Claire brodelte, ja kochte schon innerlich vor Wut. "Ja?", hakte sie gepresst nach und man sah in ihren Augen ein Funkeln, das Kate schon lange nicht mehr gesehen hatte im Bezug auf Gabe - ihm war sie in letzter Zeit mit Gleichgültigkeit begegnet. "...ein bisschen Zeit mit dir zu verbringen." Er grinste wie ein kleiner Schuljunge, der etwas ausgefressen hatte und nun hoffte, durch seinen Charme der Strafe zu entgehen. Kate kicherte über Gabe's Unverschämtheit, aber ein Blick von Claire brachte sie wieder zum Schweigen. Sie verkniff sich ein Lächeln und trat ein paar Schritte zurück. Sicherheitsabstand zum feuerspeienden Drachen. Gabe musste verrückt sein, sie so zu verärgern, aber vielleicht war er auch einfach nur mutig. Was Kate von sich selbst nicht unbedingt behaupten konnte. Aber vielleicht war Gabe doch einfach nur verrückt. Es war jedenfalls ziemlich klar, dass er verrückt nach Claire war - und das wusste die Gute auch. "Du spinnst wohl?", fauchte diese entzürnt. "Wir hatten eine Abmachung, mehr nicht - und du hast mich schon wieder angelogen!" Als ihr bewusst wurde, was sie ebn gesagt und worauf sie unbewusst die Betonung gelegt hatte, zögerte sie kurz und schüttelte wütend den Kopf, machte wieder den Mund auf, um etwas zu sagen. Gabe nutze die kurze Gelegenheit. "Und genau da", sagte er ziemlich ernst, "sollten wir ansetzen." Er schaute Claire direkt an, und sie hielt seinem Blick problemlos stand, ihre Augen hart wie Granit. Einen Augenblick lang herrschte angespanntes Schweigen. "Bitte", bat Gabe dann, und Claire wandte sich ab, verlor das Blickduell, und verschränkte die Arme vor der Brust, als ob sich alles von sich abschirmen wollte. Kate, der es mittlerweile peinlich war, Zeugin dieses doch so privaten Aufeinandertreffens und Gesprächs geworden zu sein, entschied sich dafür, die zwei allein zu lassen und langsam wieder nach Hause zu spazieren. Für den Rückweg von drei Kilometern würde sie sicherlich nicht ganz eine Stunde brauchen, aber vielleicht konnte sie noch in dem einen oder anderen Supermarkt vorbeischauen und etwas besorgen, um ihren Kühlschrank zu füttern. So würde sich zumindest die Zeit totschlagen. Sie wagte es nicht einmal, sich von beiden zu verabschieden, denn Claire war ein paar Schritte gegangen, und Gabe folgte dieser in gebührendem Abstand. Auch Kate drehte sich dann um und machte sich auf den Rückweg. Sie musste fast ein bisschen lächeln angesichts dieser Ironie. "Tja, Clairie", murmelte sie vor sich hin, "wer anderen eine Grube gräbt..." Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)