Hab' einfach ein wenig Spaß von aprileagle (Sieger Sommer FF Wettbewerb 2002) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Another turning point a fork stuck in the road Time grabs you by the wrist directs you were to go So make the best of this test and don't ask why It's not a question but a lesson learned in time It's something unpredictable but in the end is right I hope you had the time of your life "Time of your life" by Green Day Vorwort: Kennt jemand den Film "end of evangelion"? Ich habe ihn letztes Jahr auf der Animagic gesehen und ich muß zugeben, daß er mir nicht besonders viel sagt. Besonders der Schluß... Das ganze Kino hat irgendwie entsetzt aufgelacht und die Leute, mit denen ich mich hinterher unterhalten habe, fanden das Ende irgendwie auch nicht so klasse... Okay, ich möchte jetzt nicht über Sinn- oder Sinnlosigkeit dieses Filmes sinnieren, denn einige Szenen waren dennoch sehr schön. Das ist jetzt mehr die Überleitung zu meiner Geschichte. Zu einer "Was wäre, wenn der Third Impact bereits vorbei wäre" - Geschichte. Wenn Rei, Shinji und Asuka keine Piloten mehr sein müßten und auf einmal beginnen könnten, ganz normale Schüler zu sein. Und ganz normale Menschen... Das oben genannte Lied ist von der genialen Gruppe Green Day und heißt "Time of your life". Manchmal müssen wir uns einfach treiben lassen im unendlichen Strom der Zeit und schauen, wohin uns der Fluß führt. Hauptsache, wir haben ein wenig Spaß dabei. Für Kritik, Vorschläge oder auch Lob (soll ja in seltenen Fällen schon vorgekommen sein ^-^) könnt ihr gern schreiben an: aprileagle@freenet.de. Ich antworte auch auf jede Mail, wie immer ^-^ (solange mein Rechner mir nicht wieder die Zunge herausstreckt und anschließend zusammenbricht O_O). Diese Geschichte ist für Judy. Ein Tag ohne Lachen ist ein verlorener Tag. Hab einfach ein wenig Spaß (von April Eagle) Prolog: Ende und Anfang Ihr war kalt. Fürchterlich kalt. So kalt, wie ihr noch nie in ihrem Leben zuvor gewesen war. Wo bin ich? Sie wollte ihre Augen öffnen, aber es mochte ihr nicht so recht gelingen. Ihre Augenlider fühlten sich schwer an und sie brauchte mehre Versuche, um ihre Augen zu öffnen. Um sie gleich darauf geblendet zu schließen. Die Sonne schien unbarmherzig auf sie herab. Dennoch konnte sie keinerlei Wärme spüren. Nur Kälte. Unendliche Kälte. Alles vernichtende Kälte. Wo bin ich? Ihr Mund war trocken und ihre Kehle tat weh. Ein dumpfes Pochen in ihrem Kopf ließ ihre Gedanken zäh fließen. Langsam streckte sie ihre rechte Hand aus und konnte feinen Sand unter sich spüren. Sand? Bin ich an einem Strand? Da hörte sie auch das entfernte Rauschen sanfter Wellen. Wind fuhr über ihren frierenden Körper und sie konnte das Salz riechen. Ein Strand? Welcher Strand? Sie öffnete erneut ihre Augen und blinzelte. Der Himmel über ihr war stahlblau. Keine Wolke war zu sehen. Nichts. Es war ruhig. So seltsam ruhig. So friedlich. Keine Hubschrauber. Keine Düsenjets. Keine Evas... Sie runzelte ihre Stirn, aber sie konnte den eigenartigen Gedanken nicht einordnen. Was ist ein Eva? Dunkel glaubte sie, eine riesige Gestalt vor sich zu sehen. Vollkommen aus Stahl und Metall bestehend. Die Beschützer der Menschheit, die aus ihrem größten Feind geboren worden waren. Aber so schnell wie die Vision kam, so schnell war sie vorbei. Sie kümmerte sich nicht darum. Wo bin ich? Sie sammelte all ihre Kräfte und richtete sich langsam auf. Ihr Kopf dröhnte noch mehr und sie stützte ihn mit ihren Händen. Noch mehr Schmerz zuckte durch ihren Kopf und als sie ihre Hände erschrocken zurück zog, sah sie das Blut auf ihren Fingern kleben. Blut? Mein eigenes? Sie schluckte und sah sich um. Sie lag inmitten von Metallsplittern. Teile eines ihr unbekannten Wracks. Der Sand unter ihr war wunderbar weich, aber kalt. Genauso kalt wie der Wind, der durch ihre Haare fuhr. Schützend legte sie ihre Arme um ihren zitternden Körper und biß hart auf ihre Unterlippe. Sie verspürte das seltsame Bedürfnis zu weinen. Sie fühlte sich so allein, so verlassen, es schnürte ihr die Brust zusammen. Ihr Herz tat weh und ein Kloß bildete sich in ihrem Hals. Wo sind die anderen? Wieso bin ich allein hier? Waren sie nicht eben noch bei mir? Tränen sammelten sich in ihren Augen, brannten fürchterlich. Aber sie wollte nicht weinen. Sie hatte selten zuvor geweint und sie wußte, daß es nichts ändern würde. Sie war ihr ganzes Leben allein gewesen, es würde auch nie anders sein. Warum darüber verzweifelt sein? Das half ihr auch nicht weiter. Aber ich will nicht allein sein! Erschrocken riß sie die Augen auf. Selten hatte sie so aufbegehrt. Sich wie ein kleines Kind aufgeführt. Sich wie eine Freundin von ihr angehört. Freundin? Nein, keine Freundin. Keine wirkliche. Sie hatte keine Freunde. Nicht solche Menschen, wie sie immer in dummen Kinderbüchern beschrieben wurden. In Büchern, die sie nie verstanden hatte. Die sie nur gelesen hatte, weil ihre Lehrerin das von ihr verlangt hatte. Das Mädchen, das schon immer gern gestritten und sich stur mit jedem angelegt hatte, war nicht ihre Freundin gewesen. Mehr eine Arbeitskollegin im endlosen Kampf gegen das Böse. Gegen die Zerstörung der Welt. Ist das jetzt vorbei? Sie blinzelte als sie eine Bewegung ausmachte. Jemand erhob sich ebenfalls aus dem Sand. Nur wenige Meter von ihr entfernt. Für einige Momente sah der Junge genauso verwirrt aus, wie sie sich fühlte. Der Wind zerzauste sein dunkles Haar und langsam rieb er seine Fäuste über seine müden Augen. Er gähnte und seufzte tief. Dann beugte er sich über etwas oder jemand, der nur leise stöhnte. Shinji? Asuka? Die Namen waren plötzlich in ihren Gedanken. So wie der Drang in ihrem Körper, aufzustehen und zu ihnen zu gehen. Plötzliche Angst ließ sie schwerer atmen. Die Angst, daß den anderen etwas passiert sein könnte. Etwas Ernsthaftes. Eine Angst, die sie sich selbst nicht erklären konnte. "Shin..." ihre Stimme versagte, verwandelte sich in ein gequältes Husten. Ihre Kehle brannte noch mehr und obwohl sie es versuchte, sie konnte nicht aufstehen. Ihre Füße waren taub und ihr ganzer Körper schien zu Eis erstarrt zu sein. "Shinji?" Endlich schaffte sie es, seinen Namen auszusprechen. Aber anstatt eines Schreis, wie sie erwartet hatte, war nur ein heiseres Flüstern zu vernehmen. Dennoch hatte der Junge sie gehört. Vielleicht stand der Wind günstig und trug ihren verzweifelten Hilferuf zu ihm, vielleicht hatte er auch einfach ihre flehenden Blicke gespürt. Er sah auf und suchte den Strand um ihn herum ab. Als er sie erblickte, errötete er tief, kam dann aber so schnell ihn seine Beine tragen konnten zu ihr hinüber. Er sah genauso erschöpft aus, wie sie sich fühlte. Seine Schamröte verschwand und Blässe kehrte in sein Gesicht zurück. Tiefe Ringe hatten sich um seine Augen gebildet. Müde sah er aus. Als ob er lange nicht mehr geschlafen hatte. Wann habe ich das letzte Mal geschlafen? Sie konnte sich nicht daran erinnern. "Rei?" Er ließ sich neben ihr auf die Knie nieder und zog sein Hemd aus. Sofort bildete sich Gänsehaut auf seiner entblößten Haut und sie sah ihn nur fragend an. "Alles in Ordnung mit dir?" Seine Stimme klang besorgt. So wunderbar besorgt. Besorgt um sie. Um sie, um die sich sonst niemand geschert hatte. Benommen nickte sie und runzelte ihre Stirn, als er ihr kommentarlos sein Hemd um die Schultern legte. Da erst sah sie an ihrem Körper herab und stellte fest, daß sie gar nichts an hatte. Warum bin ich nackt? Sie wußte, daß andere Mädchen in dieser Situation ausgeflippt wären. Laut herum geschrien hätten sie und Shinji einen Idioten genannt. Oder ihm sogar ins Gesicht geschlagen. Normale Mädchen hätten mitunter so reagiert. Asuka hätte sicherlich so reagiert. Aber Rei war kein normales Mädchen. Sie war es nie gewesen und während der letzten Wochen hatte sie auch begriffen, warum dem so war: Sie war nie geboren worden, hatte nie Eltern gehabt. Keine wirklichen Eltern. Im Reagenzglas gezeugt war sie als Klon zur Welt gekommen. Als Mensch ohne eigene Vergangenheit, ohne eigene Identität. Und lange Zeit hatte sie sogar geglaubt, daß sie keine Gefühle besaß. Bis vor kurzem Tränen über ihre immer so blassen Wangen gelaufen waren und sie sich miserabel gefühlt hatte. "Hast du dir irgend etwas gebrochen, Rei?" Shinji fühlte vorsichtig ihre Arme, dann ihre Beine von den Knien abwärts an ab. Aber er konnte nichts feststellen. Zumindest schrie Rei nicht auf, also schien alles in Ordnung mit ihr zu sein. Nur wirkte sie so abwesend. "Rei?" Er sah direkt in ihre blutroten Augen und sie blinzelte verwirrt. Als ob sie aus einem Traum zurück kehren würde. Oder aus einem Alptraum. "Was ist passiert?" fragte sie schließlich und schlüpfte in die Ärmel des Hemdes. Sorgfältig knöpfte sie es zu, aber so recht warm halten mochte es nicht. "Ich weiß es auch nicht so genau." Gab der Junge zu und blickte hinüber zu der noch immer im Sand liegenden Gestalt. "Aber ich glaube, wir haben den Third Impact überlebt." "Der Third Impact?" Rei runzelte erneut ihre Stirn und folgte Shinjis Blick. "Aber ich kann mich gar nicht daran erinnern." "Ich auch nicht." Shinji stand auf und half Rei behutsam auf die Beine. Sie schwankte und Blut klebte an ihren Schläfen, färbte einige Strähnen des blauen Haares rot. "Was auch immer geschehen sein mag, ich bring' euch erst einmal ins Krankenhaus." Meinte er entschlossen und stützte Rei, als sie strauchelte und zu stürzen drohte. Vielleicht ist es auch besser so. Daß wir uns nicht erinnern. Vermutlich würden wir es nicht verstehen oder nicht verkraften. So wie mein Vater den Second Impact nie verkraftet hat. Genauso wie Mutters Tod... "Wie geht es ihr?" Rei's sonst so gefühllose Stimme war heiser und dunkler als normal. Macht sie sich Sorgen? Shinji holte tief Luft und ließ das erste Children vorsichtig in den Sand neben die noch ohnmächtige Pilotin gleiten. Dann ergriff er Asukas linke Hand und war beruhigt, einen kräftigen, regelmäßigen Puls zu hören. "Ich denke, sie wird wieder." Murmelte er, schauderte, als er sich daran erinnerte, wie er Asuka das letzte Mal gesehen hatte. Klein und schwach in einem viel zu großen Krankenhausbett. Begraben unter weißen Decken. Die dürren Arme an diverse Tropfe beziehungsweise piepende Apparaturen angeschlossen. Sie hatte gar nicht mehr so wie das wilde Mädchen gewirkt, das er kennen und mit der Zeit auch zu mögen gelernt hatte. Weggelaufen war sie. Genauso wie er. Vorsichtig sah er zu Rei hinüber, die ausdruckslos zum Meer starrte. Ihre Arme um ihren zitternden Körper geschlungen. Vermutlich genauso wie sie. Wir hatten einen verfluchten Job zu tun. Allein, ohne große Unterstützung, ohne große Hilfe. Misato hatte ihre eigenen Probleme, sie konnte uns nicht mit den unsrigen helfen. Shinji seufzte tief. Dann kramte er in seiner Hosentasche und holte das kleine Handy hervor, das Misato ihm einst gegeben hatte. Um sie anzurufen, wenn er zu spät zum Abendbrot kam. Wenn es in der Schule wieder einmal Streit gegeben hatte. Wenn er sich in der unbekannten Umgebung verlaufen hatte. Oder wenn ein Notfall eingetreten war. Der Third Impact ist Notfall genug. Entschieden drückte Shinji die Nummer und holte erneut tief Luft, als jemand abnahm. Hoffentlich ist all das Kämpfen jetzt vorbei! *** "Wo kann ich bitte meine Freunde finden?" Shinji lehnte sich gegen die Rezeption und zog die Ärmel seines viel zu großen Pullovers über seine Hände. Misato hatte ihn ihr gegeben. Kurz nachdem Rei und eine noch immer bewußtlose Asuka von einem Krankenhubschrauber abgeholt worden waren. Wortlos hatte sie ihn in den Arm genommen und so fest an sich gedrückt, daß er schon Angst gehabt hatte, ersticken zu müssen. Tränen hatten in ihren Augen geschimmert, als sie schließlich zu ihrem Auto, das nach dem Third Impact wirklich mehr einem Schrotthaufen denn einem Fahrzeug glich, gegangen waren. Aber es lief noch. Noch drehten sich die Räder und sogar das Radio dudelte Misatos Lieblingsmusik vor sich hin. Zur Fahrt ins Krankenhaus hatten sie kaum miteinander geredet. Was hauptsächlich daran lag, daß Misato die ganze Zeit mit wichtigen Leuten über das Telefon sprach. Aber Shinji hatte das Gefühl, daß sie nicht wußte, wie sie mit ihm reden sollte. Nicht, ohne in Tränen auszubrechen. Sie schien sich wirklich furchtbare Sorgen um ihn gemacht zu haben. Und ihn und um die anderen Piloten. "Zu wem möchtet ihr beiden?" Die Krankenschwester sah müde aus. Sehr müde. Wahrscheinlich stand der Schichtwechsel kurz bevor und sie wähnte sich bereits im wohlverdienten Feierabend. "Zu Ayanami Rei und zu Langely Asuka." Antwortete Shinji und versuchte, in den Computer zu schauen. Aber die Schwester beugte sich vor und versperrte ihm somit die Sicht. "Ich habe Anweisungen, daß niemand zu den beiden Mädchen darf. Erst recht nicht ein kleiner Junge wie du." Entgegnete die Krankenschwester wirsch und drehte sich einfach um. Shinji, der vor Zorn rot anlief und seine Fäuste ballte, ignorierte sie dabei. Für sie war er noch ein Kind. Sie wußte nicht, daß er ebenso mit einer gefährlichen Maschine für die Rettung der Menschheit gekämpft hatte. Sie wußte nicht, daß er der Sohn des Kommandanten Ikaris war. Genauso wenig wie sie wußte, daß er zu den beiden kranken Mädchen gehörte. Sie waren nicht nur Kameraden in einem scheinbar ewig währenden Kampf gewesen. Nein, für ihn waren sie Freunde geworden. Seine besten Freunde. Womöglich seine einzigen, nachdem seine Schule evakuiert und seine Mitschüler fortgeschickt worden waren. "Hey..." protestierte er und schlug mit beiden Fäusten auf die Rezeption. Für einen Moment kam ihn der Gedanke, daß er schon genauso wie Asuka wurde, aber seine Besorgnis um die anderen Piloten war größer, als daß er Zeit zum Schämen gehabt hätte. "Ich will jetzt sofort..." "In welchem Ton wagst du es, mit mir zu reden, Bürschchen?" Die Krankenschwester hatte sie umgewandt und es sah so aus, als wollte sie ihn gehörig die Leviten lesen. Dann aber verstummte sie in ihrer Schimpftirade und verbeugte sich leicht. "Zimmer 512. Dritter Stock, zweite Tür links." Shinji riß verblüfft seine Augen auf und als er sich umdrehte, um zum Aufzug zu laufen, sah er Misato hinter ihm stehen. Ihre dunklen Augen glitzerten gefährlich und in ihrer ausgestreckten Hand hielt sie ihren Nerv-Ausweis. Deshalb hat sie also die Information so bereitwillig herausgerückt. Shinji war froh, daß Misato ihm geholfen hatte, aber insgeheim wünschte er sich, daß er es von allein geschafft hätte. Erneut wechselten sie kein Wort. Stumm stiegen sie in den Fahrstuhl ein, stumm verließen sie ihn wieder. Es war still auf dem Flur. Einen weißen, sterilen Flur, der furchtbar nach Desinfektionsmittel roch. Automatisch befiel Shinji eine Gänsehaut und er zerrte erneut an den Ärmel seines Pullovers. Es war wirklich still. Unheimlich still. Nichts war zu hören. Kein Vogel zwitscherte, kein Mensch hustete. Nicht einmal der Wind war zu hören, der um den hohen Gebäudekomplex schlich. Nichts... "ARG!!! ICH WILL DAS SEHEN!!!" Der Schrei ließ sie beide zusammen zucken. Ein wilder, verärgerter Schrei. Von einem Mädchen, das sie beide nur zu gut kannten. "MACHEN SIE DAS SOFORT WIEDER AN ODER ICH WERDE MICH ÜBER SIE BESCHWEREN!!!" Die hohe Stimme konnte man bestimmt noch im Keller des Krankenhauses hören. Ein befreites Lächeln stahl sich über Misatos blasses Gesicht und Shinji fing sofort an zu rennen. So schnell, wie er selten gerannt war. Schnell hatte er den Gang hinter sich gelassen. Ohne viel zu Klopfen riß er die Tür auf und stand in einem kleinen Zimmer. Es war genauso weiß gestrichen wie der Gang und roch genauso schlimm nach Desinfektionsmittel. Ein Fenster zeigte nach Süden, Blumen standen auf dem Fenstersims. Zwei Betten befanden sich in dem kleinen Raum und in einem lag ein Mädchen und starrte fuchsteufelswild auf den Arzt, der neben ihr die Arme vor der Brust verschränkt hielt. "Du solltest..." "ICH BIN IMMER NOCH ALT GENUG, UM ZU ENTSCHEIDEN, WAS ICH ANSCHAUEN WILL UND WANN!!!" Asukas lautes Organ konnte taub machen. Normalerweise ärgerte sich Shinji sehr über die Deutsche und ihr unberechenbares Auftreten, aber heute war er zu erleichtert, zu glücklich, um wütend zu sein. Diese Blicke, die töten konnten, ignorierend, ließ er sich auf die weiche Matratze nieder und umarmte sie stürmisch. Asuka, die eben gerade noch auf den hilflos dreinblickenden Arzt eingeschimpft hatte, verstummte plötzlich und war viel zu überrascht, um auf ihn einzuschlagen. Was sie im Normalfall ohne zu Zögern auch getan hätte. "Ich bin ja so froh, daß du okay bist, Asuka." Murmelte Shinji und drückte sie noch fester an sich. "Ich dachte schon, du wärst..." er konnte es nicht aussprechen und schämte sich nicht einmal für die Tränen, die in seinen Augen brannten. Für einige Momente erwiderte Asuka seine Umarmung, bevor sie rot anlief und ihn bestimmt von sich stieß. "Jetzt mach mal nicht so 'nen Aufriß, Baka." Meinte sie, aber ihre Stimme klang erstickt. Als ob sie Schnupfen hätte. Sie räusperte sich und holte tief Luft. "Aber ich bin mir nicht sicher, ob ich nicht doch gestorben und in der Hölle bin. Mit IHM als Oberteufel." Sie deutete auf den Arzt, der nur die Augen verdrehte. "Ich wollte nur ein wenig fern sehen, weil es hier so stinklangweilig ist... und was macht der? Der nimmt mir einfach so die Fernbedienung weg! Genau wissend, daß ich nicht an den Fernseher ran komme!" Sie streckte ihre Zunge heraus und der Arzt sah nun leicht beleidigt aus. Shinji, der sich über sein nun tränen nasses Gesicht fuhr, lächelte nur. Nein, heute konnte er Asuka nicht böse sein. Heute nicht. "Du bist noch zu krank, um dich so sehr anzustrengen. Außerdem, das war ein Actionfilm, den du da angeschaut hast. Was soll deine Zimmernachbarin da denken? Gewiß hat sie fürchterliche Kopfschmerzen und will in Ruhe schlafen. Mehrere Hochhäuser, die in die Luft gesprengt werden, sind gewiß nicht gut für sie." Shinji blinzelte und schaute zu dem zweiten Bett hinüber. Unter den weißen Decken lag Rei. Ihr Kopf war bandagiert und einige blaue Strähnen lugten unter den Verbänden hindurch. Ihre roten Augen waren halb geschlossen, aber ihre sonst so bleichen Wangen rosig. Ihre Lippen waren leicht nach oben verzogen, es sah fast aus, als ob sie lächeln würde. "Dabei wollte ich doch wissen, ob der Attentäter verhaftet wird." Flüsterte sie und gähnte unterdrückt. Sie sah wirklich müde aus und Shinji zweifelte nicht, daß sie bald einschlafen würde. Egal, ob Asuka herum schrie oder einen Actionfilm bewunderte. Bestimmt hat sie sich ihren Kopf gestoßen, als die Evas zerstört wurden. Kopf... Kopf... Shinji runzelte seine Stirn, aber er konnte den seltsamen Gedanken nicht halten. Er war fort, noch ehe er ihn hatte richtig sehen können. Wird es jetzt immer so sein? Erinnerungen an den Third Impact, die wir aber niemals sehen, niemals verstehen werden? Er spürte, wie sich Asuka neben ihm aufrichtete und wie sie leicht geschockt zu der ersten Pilotin hinüber schielte. Dann grinste sie den Arzt an. Hämisch. "Sehen sie, Wondergirl will auch den Film anschauen. Also! HER MIT DER FERNBEDIENUNG!" Sie grapschte danach, aber der Arzt war schneller. Hastig sprang er zu Seite und sie blieb hilflos in ihrem Bett liegen. Jetzt erst sah Shinji, daß das rechte Bein der Pilotin verbunden war. Gebrochen schien es nicht zu sein, dafür waren Asukas Bewegungen noch zu schnell, aber Shinji bezweifelte nicht, daß Asuka die nächste Zeit Krücken brauchen würde. Krücken, mit denen sie gewiß wunderbar um sich schlagen konnte. "Was..." Endlich erreichte auch Misato das Zimmer. Ihre Haare sahen durcheinander gewirbelt aus und sie japste nach Luft. "Was..." Sie keuchte hingebungsvoll, dann stolperte sie hinüber zu dem Krankenbett. Im nächsten Moment befand sich Asuka in ihren Fängen und jeder Versuch sich zu wehren, war zwecklos. "Verdammt, da drüben liegt noch Wondergirl. Knuddelt gefälligst sie ab. Ich bin doch kein Teddybär!" meckerte Asuka, aber erneut war ihre Kehle zusammen geschnürt. Und als Misato ihr sagte, wie stolz sie doch auf sie sei und wie froh sie sei, daß sie gesund wäre, standen auch in Asukas Augen Tränen. "Ich denke, ich komm in zehn Minuten noch einmal wieder. Und, junge Dame, KEIN FERNSEHEN!" Der Arzt legte die Fernbedienung auf das Gehäuse und verließ den Raum. Asuka protestierte nicht einmal. Still lag sie in ihren Kissen und beobachtete, wie Misato, die sie endlich los und wieder atmen ließ, hinüber zu Rei's Bett ging. Die erste Pilotin blinzelte müde und schloß erschöpft ihre Augen, als Misato sanft über ihre Wangen streichelte und leise mit ihr redete. "Na, wenigstens sieht sie, daß Wondergirl sich nicht so gut fühlt. Nicht, daß sie uns in zwei Teile zerbricht wegen diesem Wildfang!" "Du mußt dich gerade beschweren." Lachte Shinji und winkelte seine Beine an. Er lehnte sich gegen den Bettrahmen und blickte sie an. Ihre roten Haare hatte sie im Nacken zusammen gebunden und sie war dünn geworden. Die letzten Wochen waren sehr hektisch gewesen. So hektisch, daß sich keiner richtig um sie gekümmert hatte. Um sie und ihre Probleme. Müde und blaß wirkte sie. Aber wesentlich besser als das letzte Mal, wo er sie gesehen hatte. Ebenfalls in solch einem Krankenbett. Allein gelassen. Aufgegeben. Von Nerv und von sich selbst. Heute aber wirkte sie wieder lebendig. Quicklebendig. Und entschlossen. Nach einigen Minuten kam Misato zu ihnen herüber und teilte ihnen flüsternd mit, daß Rei eingeschlafen sei. "Wir sollten besser gehen, Shinji. Damit sich die beiden wieder erholen können." Misato grinste und fuhr Asuka über den roten Schopf. "Ich bringe auch deine Lieblingsschokoriegel mit, okay?" Asuka nickte und ließ sich wieder tiefer in die Kissen sinken. "Okay. Aber zwei Bitten hätte ich noch." "Zwei gleich? Du warst noch nie besonders bescheiden, weißt du das?" "Du aber auch nie, Baka." "Hey, das ist nicht nett!" "Trottel." "Verwöhntes Gör!" "Idiot!" So ging das zwischen Shinji und Asuka noch eine Weile weiter, bis Misato sie schließlich unterbrach. "Und diese Wünsche wären?" "Rede mit dem Arzt und hol uns hier raus. Es ist wirklich STERBENSLANGWEILIG." Misato zog zweifelnd eine Augenbraue nach oben, nickte dann aber, als sie Asukas bettelnden Gesichtsausdruck sah. "Okay, ich werd's versuchen. Aber versprechen kann ich dir nichts. Und der zweite Gefallen?" Die Deutsche schielte sehnsüchtig zu dem Fernsehgerät und sah mit einem Mal aus wie ein kleines, unschuldiges Kind. Shinji mußte willkürlich grinsen, denn er wußte, daß die Pilotin von Eva 02 alles andere als klein und unschuldig war. Sie war kein Engel. Nein, sie war ein richtiger Teufel. Aber genau deshalb mochte er sie. "Kann ich die Fernbedienung bekommen, Misato? Bitte, bitte, bitte. Ich bin auch ganz leise und Wondergirl wird bestimmt nicht aufwachen. Bitteeee...." Sie klimperte mit ihren Wimpern und Misato kicherte amüsiert. Amüsiert und erleichtert. Erleichtert, daß ihre Schützlinge alle gesund waren. *** "Shinji?" Der Junge wirbelte herum. Er war mit Misato in die Zentrale von Nerv zurück gefahren und wartete nun auf die junge Frau, die ihre Handtasche suchte. Manchmal wunderte es Shinji, daß jemand unordentliches wie Misato einen solch wichtigen Posten inne hatte. Aber vermutlich konnte sie an ihrem Arbeitsplatz nicht ein solch großes Chaos veranstalten. Zum Teil, weil alle wichtigen Daten im Computer abgespeichert wurden und es gewiß jemanden aufgefallen wäre, wenn sie das Magi-System verbummelt hätte, zum anderen gab es ja noch das Reinigungspersonal. Ein nicht zu unterschätzender Vorteil, wenn man dagegen Misatos Wohnung verglich. Besonders an einem Montag morgen. "Shinji?" Die Stimme war kalt. Wie immer. Und doch war sie anders. Vollkommen anders. Shinji sah zu der großen Gestalt am anderen Ende der Plattform hinüber und riß erschrocken seine Augen auf, als sein Vater ihn anlächelte. *** Dunkel war es in dem kleinen Raum. Die Vorhänge waren vor die Fenster gezogen und nicht einmal der Mond konnte hereinscheinen. Zu der Dunkelheit gesellte sich noch Stille. Unheimliche Stille. Fast wünschte sie sich, daß sie sich das Zimmer mit einer alten Frau teilen würde, die laut schnarchte. Da könnte sie zwar nicht schlafen, wüßte aber, daß sie nicht allein war. So verdammt allein. Eine Tür ging langsam auf und für einige Augenblicke wurde sie von hellem Licht geblendete. Es erlosch und ein Schatten tastete sich zögernd durch die undurchdringbare Finsternis. Sie kann nichts sehen. Asuka quälte sich in eine sitzende Position und verfluchte zum x ten Mal in diesem Tag ihr Bein. Gut, es war nicht gebrochen, aber der Knöchel verstaucht und das Knie aufgeschlagen. Rennen würde sie die nächste Zeit nicht können. Nur humpeln. Auf ein oder gar zwei Krücken. Und sich zum Gespött machen! Sie wird noch hinfallen und sich weh tun! Asuka wußte nicht, wo diese Besorgnis her kam, aber fast automatisch glitten ihre Finger über die kalte Wand neben ihrem Bett und fanden schließlich den Schalter. Entschieden drückte sie ihn und bald füllte sanftes Licht den Raum. Rei blinzelte geblendet und blieb an einen Stuhl gelehnt stehen. Vor etwa zehn Minuten war die erste Pilotin in das kleine Badezimmer geschlichen. Zehn Minuten. Was in aller Welt hatte sie wohl zehn Minuten lang dort getrieben? Kein Mensch braucht so lange, um aufs Klo zu gehen! Asuka holte tief Luft und fragte sich, ob sie das Licht wohl anlassen durfte. Ob es Rei stören würde. Dann wäre es wenigstens nicht mehr so dunkel. Dann wäre sie wenigstens nicht mehr so allein mit ihren Gedanken. Mit ihren Erinnerungen. Mit ihren Ängsten. Rei setzte ihren Gang fort und sie schwankte leicht. Ist sie etwa hingefallen? Hat sie sich etwa weh getan? Asuka wußte nicht, warum sie sich plötzlich Sorgen um das First Children machte, aber es gab so viele verwirrende Dinge in ihrem Kopf, daß sie sich um ihre plötzlichen Gefühle nicht mehr wunderte. Um freundschaftliche Gefühle gegenüber einem Übermenschen, den sie immer verabscheut hatte. Für die Kälte, für die Gefühllosigkeit, die Rei ihr immer entgegen gebracht zu haben schien. Für die Gleichgültigkeit, mit der Rei immer gekämpft hatte. Für die Leichtigkeit, mit der sie sie überflügelt hatte. Immer bessere Synchronwerte hatte die erste Pilotin erreicht, während Asuka immer mehr zurück blieb. Bis sie schließlich ihren Eva überhaupt nicht mehr steuern konnte. Bis sie aus dem Team ausgeschieden war. Bis sie niemand mehr gemocht, sich niemand mehr um sie gekümmert hatte. Bis sie nicht mehr geliebt worden war... Rei zuckte zusammen und machte ein schmerzerfülltes Gesicht. Ihr Kopf war nicht grundlos verbunden und eigentlich war es ihr verboten, aufzustehen. Aber sie mochte niemanden belästigen. Nicht, weil sie einmal auf die Toilette mußte. Also war sie durch das ganze Zimmer gewankt - in totaler Dunkelheit. "Tut's sehr weh?" Asuka wußte selbst nicht, warum sie das sagte. Rei drehte sich zu ihr um und ihre blutroten Augen starrten sie für einige Momente unverwandt an. "Alles in Ordnung?" "Hai..." Rei's Stimme war leise und ein nachdenklicher Ausdruck lag auf ihrem bleichen Gesicht. "Und bei dir?" Und bei dir? Und bei dir? Und bei dir... Asuka wußte nicht, was als nächstes passierte. Mit einem Mal rannen Tränen über ihr Gesicht und sie schluchzte hilflos. Sie weinte. Das erste Mal seit vielen Jahren weinte sie. Seit so vielen Jahren. Seit ihre Mutter gestorben war. Seitdem sie sich das Leben nahm und ihr einziges Kind im Stich ließ. Das erste Mal seit Asuka gelernt hatte, daß sie nicht geliebt worden war. Nicht von ihrer Mutter und nicht von ihrem Vater, der ihre Mutter verlassen hatte, als Asuka noch in den Windeln lag. Niemand hatte sich mehr um sie gekümmert und sie versuchte, diese Liebe, die sie so sehr brauchte, nach der sie sich so sehr sehnte, durch ihre Taten mit Eva zu erobern. Dabei hatte sie Liebe mit Anerkennung verwechselt. Und bei dir? Und bei dir? Und... Nein, verdammt, nein! Es war lange nichts mehr in Ordnung gewesen. Und als die große Maschine sie verweigerte, nicht mehr auf ihren Willen reagierte, war das Chaos völlig ausgebrochen. Ihr heiß geliebter Eva hatte sie im Stich gelassen. Genauso wie ihre Mutter. Ihnen folgte das Nerv Team... Da war Rei plötzlich an ihrer Seite. Ihre dünnen Arme legten sich vorsichtig um ihre Schultern und drückten sie gegen einen dürren Oberkörper. Die Bewegungen der ersten Pilotin waren ungeschickt und unsicher. Gewiß hatte sie noch nie einen Menschen getröstet. Vermutlich wußte sie nicht einmal, was Trost bedeutete, und reagierte instinktiv. Vielleicht hatte sie auch einmal gesehen, wie Misato Shinji umarmt hatte, als der Junge mal wieder traurig dreingeblickt hatte, nachdem sein Vater ihn ignoriert hatte. Wondergirl? Was immer es auch war, das Rei zu dieser seltsamen, zu dieser ihr so untypischen Handlung getrieben haben mochte, Asuka fragte nicht nach. Sie schmiegte sich an den schmächtigen Körper der ersten Pilotin und ließ sich das erste Mal seit vielen Jahren von ihren Gefühlen leiten. Ließ das erste Mal all die Trauer, all die Wut, all die Pein heraus. Verletzt hatten sie sie. Schrecklich verletzt. Ihrer Kindheit hatte man sie beraubt und so vielem mehr. Was mache ich hier? Rei blinzelte verwirrt, als sich die Deutsche an sie schmiegte. Automatisch hob sie eine Hand und fuhr durch das rote Haar. Einig Strähnen hatten sich aus dem Zopf gelöst und zu Locken gedreht. Wieso tu ich das? Sie verstand es nicht, aber es war so natürlich, so selbstverständlich gewesen. Asuka hatte so verzweifelt ausgesehen. So einsam, wie manchmal Shinji, wenn sein Vater ihn nicht hatte empfangen wollen. Wenn er die Anrufe seines Sohnes abgelehnt und sich nach einem Kampf gegen die Engel nicht um ihn geschert hatte. Rei vergrub ihr Gesicht in rotem Haar, roch das Shampoo, das Asuka immer benutzte. Französisches Shampoo, das ihr immer ihre Großmutter schickte. Mit dem sie beim Duschen nach dem Sportunterricht immer angegeben hatte. Lautstark natürlich. Das tut gut. Rei umarmte die Deutsche vorsichtig ein wenig fester und hörte, wie das Schluchzen langsam verklang. Aber Asuka bewegte sich nicht. Sie blieb einfach so sitzen. "Meine Mutter hat sich umgebracht und mich allein zurück gelassen." Flüsterte der Wildfang nach einer Weile des Schweigens. Einer angenehmen Stille, die so ganz anders war, als die Stille, die sie innerhalb der letzten Stunden umgeben hatte. "Ich habe meine Mutter nie kennen gelernt." Antwortete Rei sehr leise. "Ich glaube, ich habe nie eine richtige Mutter gehabt." Erneute Stille trat ein und schließlich löste sich Asuka von der ersten Pilotin und blickte in blutrote Augen. Dann errötete sie tief. Ich hab geheult. Wie ein kleines Baby. Vor ihrem Augen hab ich geheult. Vor Wondergirls Augen! Asuka ballte ihre Fäuste und ihr Gesicht verfinsterte sich. Ich hab mich wie ein verdammtes Kleinkind benommen! Was wird sie jetzt wohl von mir halten? Bestimmt wird sie denken, ich bin schwach. Verdammt! Und dann all die anderen... "Wenn du das hier irgend jemanden erzählst, dann röste ich dich, Wondergirl." Zischte Asuka und drehte sich plötzlich fort. Entschieden zog sie sich die Decke über den Kopf und preßte ihre Augenlider fest aufeinander. Wissend, daß sie diese Nacht keinen Schlaf finden würde. Rei blieb schweigend am Bettrand sitzen und betrachtete das zusammengerollte Paket unter der weißen Decke. Aber Asuka weinte nicht mehr. Statt dessen schien sie zu schmollen. Oder einfach nur wütend zu sein. So wie immer. "Verdammt, geh' ins Bett, Wondergirl. Du hast eine Gehirnerschütterung und wirst dir barfuß noch den Tod holen!" rief Asuka gedämpft unter der Decke hervor. Ihre Stimme klang sehr genervt und mit einem Mal mußte Rei lächeln. Sie hatte selten zuvor ihn ihrem jungen Leben gelächelt, aber dieser trotzige Satz ließ sie lächeln. Denn hinter der Wut und dem Zorn verbarg sich ein trotz alle dem nettes Mädchen. Gut, das Idiotentrio, wie Asuka die drei Jungs aus ihrer Klasse bezeichnete, hätten lautstark protestiert, aber Asuka hatte sich Sorgen um sie gemacht. Um sie, Ayanami Rei. Einem, nein, nicht einmal einem Menschen. Sie war kein Mensch. Sie war ein Klon. Sie hatte keine Gefühle. Warum lächele ich dann? Warum fühle ich mich so... so.... so... glücklich? Bin ich glücklich? Was ist denn sonst das Gefühl in meinem Bauch? Bin ich glücklich? Weil sie sich um mich sorgt? "Nun mach schon! Oder soll ich dir noch ein Schlaflied vorsingen? Ich warne dich, meine Schlaflieder hat bisher noch niemand überlebt!" Rei widerstand dem Drang, noch einmal über die Erhebung unter der Decke zu streicheln, die unverkennbar Asukas Kopf war. Sie drehte sich einfach um und ging hinüber zu ihrem Bett. Wo sie ihrerseits unter die Decke kroch und müde die Augen schloß. So gefällt sie mir besser. So unberechenbar. Genauso wie ihr Shinji besser gefiel, wenn er lachte und nicht traurig zum Telefon schielte. Wissend, daß sein Vater ihn nicht anrufen würde. Heute nicht. Morgen nicht. Wahrscheinlich nie. Rei kuschelte sich tiefer in ihre Kissen und war dankbar, daß die Kopfschmerztablette, die sie heimlich auf der Toilette eingenommen hatte, zu wirken begann. Daß das Licht noch immer brannte, bemerkte sie nicht einmal. Es wurde in dieser Nacht auch nicht gelöscht. *** "Was willst du mir denn so wichtiges zeigen?" Asuka humpelte hinter Shinji her, der sich immer wieder ungeduldig zu ihr umdrehte und sie zur Eile trieb. Sie hatte das Krankenhaus gestern abend verlassen dürfen und hatte noch einiges vor: Ausgiebig shoppen gehen, ein großes Eis essen und sich vielleicht einen neuen Rock kaufen. Und Rei besuchen, die wahrscheinlich erst nächste Woche entlassen werden würde. Natürlich würde Asuka das Shinji nicht auf die Nase binden. Sie wollte nicht als Weichling dastehen. Es würde ihrem Ruf schaden, wenn sie sich plötzlich um das First Children Gedanken machte. "Ich hab nicht den ganzen Tag Zeit!" Sie schleuderte ihre Krücke gefährlich durch die Luft, konnte aber Shinji und besonders seinen plötzlich so sturen Kopf nicht erreichen. Schmollend verzog sie ihren Mund und stützte sich wieder auf das verhaßte Ding. Krücke! Zwar tat ihr Bein noch sehr weh, das mußte sie ja zugeben, aber gleich wie eine alte Großmutter durch die Gegend zu humpeln, das ging ihr gehörig gegen den Strich. Ich hasse das Teil! Nur hatte der Arzt sie nicht ohne Krücke entlassen wollen. Egal, wie laut sie auch durch das Krankenhaus geschrien und getobt hatte, ohne den verhaßten Gegenstand hatte sie nicht gehen oder besser gesagt humpeln können. "Wir sind gleich da." Beschwichtigte sie Shinji und betrat den Gebäudekomplex, in dem sie noch immer bei Misato wohnten. Zusammengepfercht in einen einzigen Raum. Unerträglich für Asuka, aber nach dem Third Impact war alles noch so chaotisch, daß sie es wohl oder übel fürs erste hinnehmen mußten. Aber höchstens noch ein oder zwei Tage, dann würde Asuka mal so richtig explodieren und ihr eigenes Zimmer wieder bekommen, das nun von Ritsuko bewohnt wurde, seit ihr Gebäudekomplex während des Third Impacts zerstört worden war. Einfach unerträglich diese Situation. Besonders für Asuka, die in Deutschland ein großes, geräumiges Zimmer bei ihrer Großmutter besessen hatte. Dennoch, zurück zu gehen, irgendwie fühlte sich dieser Gedanke komisch an. Sie hätte es zwar nie zugegeben, aber sie fühlte sich heimisch im Land der aufgehenden Sonne. So hatte sie Misato beim Abendbrot erzählt, daß sie gern ihren Schulabschluß in Japan machen würde. Zwar hatte sie schon den deutschen, aber Japan war ein so interessantes Land, sie würde es gern näher kennen lernen. Besonders jetzt, da doch die Kämpfe vorbei wären. Misato hatte sie nur stumm angeschaut und anschließend genickt. Asuka hatte sich schon gefragt, ob sie wußte, daß ihre Großmutter schon über 90 war und bald nicht mehr da sein würde. Daß sie dann auf ein Internat in Deutschland müßte und erneut völlig allein war. Daß sie lieber hier bei all den Idioten in der Klasse bleiben würde als eine Fremde im eigenen Land zu leben. Aber laut zu fragen, ob die junge Frau das alles erahnte, das hatte sich die sonst nicht gerade mundtote Asuka dann doch nicht. "Misato ist doch im Nerv Zentrum. Was willst du hier? Hast du etwa etwas vergessen?" "Nein." Shinji holte leise Luft, sagte aber ansonsten nichts. Dann nahm er einen anderen Aufzug. "Was soll das denn? Weißt du nicht mehr, wo du wohnst?" "Doch." Wieder eine einsilbige Antwort und Asuka hatte einzusehen, daß sie wohl oder übel abwarten mußte. Shinji gab sich heute seltsam entschlossen und noch blieb ihr genug Zeit für ihren ausgiebigen Einkaufsbummel und dem anschließenden Krankenhausbesuch. "Okay, da wären wir." Shinji ging zielstrebig voraus und schloß die Tür zu einem fremden Appartement auf. Asuka runzelte die Stirn, aber folgte ihm. "Woher hast du denn den Schlüssel?" fragte sie argwöhnisch und blickte sich fragend um. Die Wohnung schien bereits möbliert zu sein. Im Flur war ein großer Spiegel angebracht worden. Gleich neben der Garderobe. Shinji ging voran und im nächsten Moment standen sie in einem geräumigen Wohnzimmer, das direkt in die Küche überging. Oder besser eine Kochnische. Es gab einen kleinen Herd und einen Kühlschrank. Mit Tiefkühlfach, in dem aber kein Pen Pen zu leben schien. Ein winziger Tisch diente zur Ablage und für das Geschirr war auch ein Schrank vorhanden. Aber gegessen wurde sicherlich im Wohnzimmer. Auf einem kleinen Tisch, um den sich herum kuschelige Kissen stapelten. Aber alles Persönliche fehlte. Es gab keinen Fernseher, kein Radiogerät. Kein Bild hing an den Wänden, keine Blumen brachten etwas Leben herein. Die Fenster sahen kahl aus ohne Gardinen und auf dem Teppich gab es keinen Fleck. Unbewohnt wirkte diese Wohnung. Richtig leer. "Das ist die Kochnische. Keine Bange, ich hab' schon mit Misato gesprochen. Sie will uns eine Mikrowelle besorgen, damit wir nicht verhungern." Ein glückliches Lächeln erschien auf Shinjis Gesicht, während er Asuka am Ärmel packte und mit sich schleifte. Das Mädchen verlor beinahe die Balance und ihre Krücke knallte gegen die Wand. Aber sie war noch immer viel zu verdutzt, um laut auf zu schreien und ihm den Kopf einzuschlagen. "Das Wohnzimmer hast du gerade gesehen. Mal sehn, wen ich um einen Fernseher anbetteln kann. Aber da wird sich sicherlich auch noch etwas finden. Das hier ist das Bad..." er öffnete eine Tür und Asuka konnte eine Dusche und eine kleine Badewanne sehen. Sie war vielleicht klein, aber würde für eine Person vollkommen ausreichen. Die Fließen sahen ebenfalls neu aus. Keine einzige war gebrochen. "Shinji..?" Was soll das? Was zeigt er mir hier? Asuka wollte protestieren, aber Shinji hörte sie gar nicht. Vollkommen in seiner Begeisterung gefangen, zog er sie weiterhin mit sich. "Hier ist die Toilette. " Ein weiteres, gefließtes Zimmer mit einem weiteren Spiegel. "Und was hältst du davon?" Er schob die leichte Tür, die sie in Japan kennen gelernt hatte, beiseite und zog sie in einen weiteren Raum. Er war für japanische Verhältnisse groß und ebenfalls bereits mit einigen Möbeln bestückt. Unter dem Fenster stand ein Bett. Gleich daneben eine Schrankwand, in der ein Schreibtisch eingebaut war. Genügend Platz für Bücher versprachen die Regale. Ein tiefer Tisch stand in der Mitte und weitere Kissen lagen drum herum. "Gefällt's dir?" fragte Shinji neugierig und ging hinüber zum Bett. Er kniete sich auf die Matratze und sah kurz zum Fenster hinaus. "Von hier aus siehst du sogar ein paar grüne Bäume." Er drehte sich zu ihr um und sah sie erwartungsvoll an. "Es gefällt dir doch, oder?" Asuka stelzte über die Kissen und sah sich um. Schließlich nickte sie. Es war genau das Zimmer, das sie sich hier in Japan seit ihrer Ankunft gewünscht hatte. Hier würde sie wahrscheinlich endlich den Platz finden und all die Sachen, die sie aus Deutschland mitgebracht hatte, unterbringen. "Hai..." murmelte sie leise und verschränkte die Arme vor ihrer Brust, die Krücke gegen ihr gesundes Knie lehnend. "Was..." "Gut, dann ist das dann dein Zimmer." Lachte Shinji fröhlich und sprang von dem Bett. Erneut ergriff er ihren Arm und Asuka kam gar nicht zu Wort, als er sie in ein anderes Zimmer zog. Es war wesentlich kleiner als das ihrige, aber ähnlich eingerichtet. Ebenfalls ein Bett und eine praktische Schrankwand. Und ein kleiner Tisch. Nur daß hier alles wesentlich kompakter beieinander stand. "Das Zimmer hier würde ich nehmen. Mir reicht's." erklärte der Junge und breitete seine Arme aus. Stolz zeigte er auf sein eigenes Reich. In dem Moment fand Asuka ihre Stimme wieder. "MOMENT!" rief sie und stemmte ihre Hände in die Hüften. Entschieden stellte sie sich in den Türrahmen. So einfach würde ihr Shinji jetzt nicht davon kommen. Sie verlangte eine Erklärung. Jetzt. "Was ist hier los, Baka? Was soll das alles?" "Das hier ist unsere neue Wohnung." Lächelte Shinji, der sich heute seine gute Laune nicht vermiesen ließ. Im Gegenteil, Asukas geschocktes Gesicht ließ ihn leise kichern. "Schau nicht so entsetzt, Asuka. Wir können nicht ewig bei Misato wohnen. Dort ist kein Platz mehr." "Und woher willst du das bezahlen?" fragte Asuka schnippisch, die ihm nicht glauben wollte. "Ich hab mit meinem Vater gesprochen. Und er will die Miete und das Essen bezahlen. Wir hatten zwei Möglichkeiten: Ich ziehe zu ihm oder ich nehme mir eine eigene Wohnung. Meine Tante kann mich nicht mehr aufnehmen, wie einst." Shinji zuckte seine Schultern. "Mein Vater und ich vertragen uns nicht so gut, das ist ein offenes Geheimnis, also will er dieses Appartement bezahlen. Misato wohnt ja gleich um die Ecke, sie wird ab und an vorbeischauen. Damit die Bude nicht abbrennt." Asuka war für einen Moment sprachlos. "Das ist dein Ernst, oder?" flüsterte sie schließlich und sah sich in Shinjis zukünftigem Zimmer unbehaglich um. Sie... allein mit Shinji? Ganz allein? Das konnte doch nicht gut gehen. Sie würden sich umbringen. Schon bei dem kleinsten Streit! "Natürlich." Er lächelte. "Das würde bedeuten: Kein Bier mehr zum Frühstück, keine verschlafene Misato, die nur meckert und endlich ein bißchen mehr Freiheit. Mach nicht so ein Gesicht, Asuka, wir lernen schon noch, wie man kocht. Ansonsten gibt's doch Instant-Gerichte, damit überleben wir schon." Er kam zu ihr hinüber und nahm ihre Hände in seine. "Das Kämpfen ist endlich vorbei, Asuka. Wir können endlich frei leben. Ohne tägliche Trainingsproben, ohne Alarme, ohne..." "Aber mit Schule und Arbeiten." Erwiderte sie trocken und entwand sich seiner Berührung. Zögernd humpelte sie auf den Flur zurück und schluckte. Das ist wirklich sein Ernst. Mit dem Idioten eine Wohnung teilen. Aber die Aussicht auf das große Zimmer war verlockend. Verdammt verlockend. Sie würde sogar einen Pakt mit dem Teufel schließen, um endlich Platz und Privatsphäre zu haben. Um dem Chaos von Misatos Wohnung zu entkommen. Gewiß, Asuka mochte Misato, aber zusammen mit ihr zu leben... das war eine ganz andere Sache. "Das schaffen wir schon!" Shinji klang so fröhlich und optimistisch, wie Asuka ihn noch nie gehört hatte. Er lächelte glücklich und Asuka fragte sich, wann sich seine Lippen am Hinterkopf treffen würden. "Hm..." sie blickte sich kritisch um, wägte ab, ob dieses verrückte Unterfangen überhaupt eine Chance hatte. Aber, was war überhaupt verrückt, was normal? Waren die letzten Wochen, die letzten Monate nicht total verrückt gewesen? In riesigen Maschinen gegen sogenannte Engel zu kämpfen? War es denn da wirklich verrückt, mit dem Piloten von Eva01 zusammen zu ziehen? Ihr eigenes, großes Zimmer zu erhalten? Endlich wieder etwas Ruhe zu haben? "Shinji..." sie sah sich genauer um und stockte in ihren Gedanken. "Welches Zimmer ist das da?" Die Deutsche trat näher heran und öffnete die einfache Tür. Der Raum dahinter war genauso eingerichtet wie ihr Zimmer und ebenso klein wie Shinjis. "Ein drittes Zimmer?" fragte sie und runzelte ihre Stirn. "Ja, natürlich." Antwortete der Junge und nickte. "Wir sind doch drei Piloten im Team, oder?" *** Die Sonne war bereits aufgegangen und das Mädchen blinzelte müde. Ihre Kopfschmerzen waren im Laufe der letzten Woche immer weniger geworden und außer einem leichten Schwindelgefühl, das sie befiel, wenn sie sich zu rasch aufrichtete, war nichts mehr von ihrer Gehirnerschütterung übrig geblieben. Bald würde sie entlassen werden. Der Arzt hatte bei der gestrigen Visite äußerst positiv geklungen. Entlassen werden. Zurück. Zurück in die Wohnung. Allein. Wie immer. Rei gähnte unterdrückt und kuschelte sich tiefer in die warmen Decken. Sie waren weich, so wunderbar weich. Weicher als die in ihrem Zimmer. Bisher hatte sie das nicht gestört, aber bisher hatte sie noch nie ein so weiches Bett besessen. Dieses Krankenhaus war anders als die Krankenabteilungen im Nerv Zentrum. Zurück. Und dann? Ja, was dann? Sie hatte ihr ganzes Leben als Pilotin von Eva00 verbracht. Training, ein wenig Schule und viele Kämpfe, so hatte ihr Leben ausgesehen. Eine Reihe endloser Synchro Tests. Mit dem Ziel, mindestens 100 Prozent Übereinstimmung zu erreichen. Jetzt aber waren die Engel verschwunden, die Evas zerstört. Der Third Impact, was immer er auch gewesen sein mochte, war vorbei. Und sie blieb zurück. Was sollte sie nun tun? Weiterhin zur Schule gehen? Als sei nichts passiert? Als sei sie ein normales Mädchen? Wie all die anderen auch? Aber, konnte sie das überhaupt? Sie besaß keine Familie, keine Eltern, die sie aufnehmen würden. Und weiterhin allein zu leben, sie war erst 14, sie war noch zu jung dazu. Der Ausnahmezustand Neo Tokyos, der gesamten Welt, war vorbei. Leise wurde die Tür geöffnet, aber sie hielt ihre Augen geschlossen. Bestimmt war es der Arzt, der kurz ihren Puls fühlen und in einer Stunde wiederkommen würde. Um ihr zu sagen, daß sie gehen durfte. Nur wußte sie nicht, wohin. Zurück in die Zentrale von Nerv? Kaum. Diese Organisation würde gewiß bald aufgelöst werden, sie wurde ja nicht mehr gebraucht. Zu Misato? Nein, die junge Frau hatte schon genug mit Shinji und Asuka zu tun. Zu Gendo? Gewiß nicht. Er hatte sich zwar immer um sie gekümmert, aber nie die Ayanami Rei in ihr gesehen. Nein, er hatte in ihr den Klon seiner verstorbenen Frau gesehen. Sie würde nie mehr für ihn sein und das würde sie nicht ertragen. Also... wohin? Ihr Magen zog sich zusammen, während sie das Ende der Bettdecke umklammerte. Nicht willens zuzugeben, daß sie Angst hatte. Große Angst. Sie hatte ihr ganzes Leben in Einsamkeit verbracht, aber sie hatte ein Ziel gehabt. Einen Sinn: Den Kampf mit Eva gegen die Engel. Nun aber war dieses Ziel verloren gegangen und sie mit ihm. Irgendwie... Nein, sie hatte noch nie Angst gefühlt. Nicht wirklich. Jetzt aber füllte sie ihren ganzen Körper, lähmte ihre Glieder. Wie ein Steinklumpen lag sie in ihrem Magen und Rei rollte sich leicht zusammen. "Rei?" Die leise Stimme holte sie aus ihrem persönlichen Alptraum heraus. Müde blinzelte sie in die Sonne und sah Shinji, der sich leicht über sie beugte. Asuka stand hinter ihm. Die Krücke wie eine Waffe in ihren Händen haltend. Ihr Gesicht war leicht gerötet und sie schnappte nach Luft. "Wenn du mich noch mal so durch die Gegend hetzt, Ikari Shinji, werde ich dich eigenhändig mit dieser Krücke bis zum Mond schießen!" zischte sie, schrie dieses Mal aber nicht. Rei runzelte ihre Stirn und als sie die warme Hand auf ihrer Schulter spürte, war das unangenehme Gefühl, das die Menschen als Angst bezeichneten, plötzlich verschwunden. Warum sind sie hier? Wissen sie, daß ich heute entlassen werde? Was werden sie tun? Als ehemalige Eva Piloten? Sanft drückte die Hand ihre Schulter und ein Lächeln erschien auf dem sonst so traurigen Gesicht des Jungen. Er sah richtig glücklich aus. Als wenn ihm eine schwere Last von den Schultern genommen worden war. "Ich hab' mit dem Arzt gesprochen." "Ja, ein absolutes Arschloch. Inkompetent und nervig! Er wollte mir doch glatt eine zweite Krücke verpassen. Aber da mach' ich nicht mit, das hab' ich ihm auch gesagt." Brauste Asuka auf und schwenkte die Krücke gefährlich durch die Luft. Shinji duckte sich und zuckte hilflos seine Schultern. Zwar schaffte er es ab und an, Asuka zu überraschen, aber bezwängen, das konnte er sie nicht. Der Löwendompteur, der diese Bestie in Griff kriegen würde, war noch nicht geboren. "Du kannst das Krankenhaus heute verlassen." "Na, wird aber auch Zeit! Wie ich sehe, durftest du auch nicht fern sehen." "Sie hatte eine Gehirnerschütterung, Asuka." "Ja, aber so wie ich sehe, ist der Kopf ja noch dran, Baka!" "Dennoch..." "Langeweile ist schlimmer als Kopfschmerzen!" Shinji seufzte ergeben, dann wandte er sich wieder zu Rei, die sich langsam aufsetzte. Ihre blauen Haare waren zerzaust und ihre Wangen leicht gerötet. Ein Lächeln stahl sich über ihr Gesicht, als Asuka in ihrer Predigt über den doofen Arzt fortfuhr. Sie sah gar nicht mehr aus wie die erste Pilotin, die immer gekämpft hatte, ohne zu fragen, warum sie kämpfen sollte. Die immer alles über sich hatte ergehen lassen. Jede Verletzung, jeden Schmerz, jede Erniedrigung. Neben ihm saß nun Ayanami Rei. Seine Klassenkameradin. Eine gute Freundin. Und seine zukünftige Mitbewohnerin. Shinji nickte unmerklich und stand auf, um Rei's Kleidungsstücke zu holen. Asuka lehnte nun an der Wand, die Krücke noch immer gefährlich durch die Luft wirbelnd. Noch immer schimpfte sie lauthals, nahm aber das erste Mal seit Shinji sie kannte, Rei in Schutz. Gegen den bösen, alles vernichtenden Arzt, der doch von absolut nichts eine Ahnung hatte. Ja, es ist die richtige Entscheidung. Behutsam legte der Junge die Schuluniform aufs Bett und sah direkt in rote Augen. "Laß uns nach Hause gehen, Rei." ----------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Kapitel 1: Ist das alles? Sie war noch nie bei Rei zu Hause gewesen. Shinji schon ein paar Mal, hatte sich aber über die Besuche immer ausgeschwiegen. Als Asuka nun das winzige Zimmer betrat, wußte sie auch, warum. Und sie wußte, warum der Junge so stur darauf beharrte, die erste Pilotin in ihre Wohngemeinschaft mit aufzunehmen. Das sieht ja richtig scheiße aus! Asuka stolperte über ihre Krücke und bemerkte nicht, wie ihr die Kinnlade nach unten sackte. Entsetzt starrte sie in das kleine, muffige Zimmer. Das Bett hatte schon bessere Tage gesehen und der Schreibtisch wirkte so antik, daß sich Asuka fragte, ob er nicht bei der kleinsten Berührung zu Staub zerfallen würde. Verbandsmaterialien lagen überall herum. Auf der alten, durchlegenen Matratze, auf dem Fußboden, der nicht einmal von Teppich bedeckt wurde. Getrocknetes Blut klebte auf den kalten Dielen und die Sonne, die ihnen noch eben warm ins Gesicht gestrahlt hatte, wirkte plötzlich kalt und grau, wie sie durch das einzige Fenster schien. So ein Dreckloch! Aber Asuka wußte, daß es nicht an Rei lag. Niemand, wirklich niemand hätte dieses Zimmer sauber bekommen. Nicht mit dem stärksten Waschmittel, das es auf dem japanischen Markt gab. Wahrscheinlich würde nicht einmal ein riesiger Topf weißer Farbe helfen. Das ist ja ekelhaft! Asuka drehte sich um und sah die total verrottete Kochnische und den Kühlschrank, der schon seit mehreren Jahrzehnten scheintot war. Stumm entschied die Deutsche, daß die einzige Lösung für diese Wohnung, für diesen gesamten Gebäudekomplex, wohl die Abrißbirne war. Eine große Ladung Dynamit und es würde ihnen allen besser gehen. Vielleicht konnte man hier ja einen Park pflanzen oder einen Spielplatz bauen. Oder aber einen schöneren, saubereren Gebäudekomplex errichten. Wie konnte sie nur hier leben? All die ganzen Jahre. Allein... Asuka schauderte es. Schweigend beobachtete sie, wie Rei zu ihrem Bett hinüber ging und vorsichtig die Verbände auflas. Um sie in einen Eimer zu werfen, der bereits randvoll mit diversen Stoffetzen gefüllt war. "Räum einfach zusammen, was du brauchst." Meinte Shinji und sah sich kurz um. Asukas und seine Augen trafen sich und für den Hauch eines Augenblickes waren sie sich einig: Daß sie Rei mit Gewalt aus dieser Bruchbude zerren würden, würde sie sich wehren. Aber das First Children wehrte sich nicht. Sie setzte sich nur auf die Matratze und sah den Jungen erstaunt an. "Und du bist dir sicher?" Ihre Stimme war leise. Wie immer. Aber, klang sie nicht fröhlicher als sonst? Konnte jemand wie Ayanami Rei überhaupt fröhlich klingen? Oder bildete sich das Asuka nur ein? Schließlich war es doch sehr anstrengend, auf der Krücke durch die Gegend zu humpeln. Spielten ihr ihre müden Ohren nur einen makaberen Streich? "Natürlich. Misato ist auch einverstanden." Shinji grinste fröhlich und Rei lächelte zurück. Zaghaft zwar, aber es war eindeutig ein Lächeln. Eine Gefühlsregung, die sogar ihre Augen erreichte. Blutrote Augen, die mit einem Mal zu funkeln schienen. Wie wertvolle Rubine. Hat sie was auf die Birne gekriegt oder ich? Asuka ärgerte sich selbst über ihre Gedanken und blickte zu Boden. Shinji mißverstand ihr Verhalten und holte tief Luft. "Mit dieser Kratzbürste werden wir auch noch fertig." Kicherte er, aber Asuka explodierte nicht. Dafür starrte sie ihn an und er war sicher, wenn Blicke töten könnten, läge er bereits mehrere Meter unter der Erde. Begraben und vergessen. "Klobürste!" zischte die Deutsche und löste sich von der Wand. "Am besten, du fängst gleich an mit Packen. Shinji wird mir dabei helfen, mein Handgepäck von Misatos Wohnung in unsere zu tragen. Schließlich bin ich gehandikapt". "Tragen? Du meinst wohl schleppen." Stöhnte Shinji, denn er wußte sehr wohl, wie das Handgepäck der Deutschen aussah. "Soll ich das etwa allein tragen? Mit meinem lädierten Bein?" seufzte Asuka theatralisch und erstarrte, als sie ein schüchternes, ein sehr leises Kichern vernahm. Sie blickte hinüber zu Rei und sah, wie diese doch tatsächlich kicherte. Amüsiert. Amüsiert über sie. Wondergirl lacht über mich! Über mich! Über mich!!! Sie wollte gerade explodieren, als ihr Blick an dem mit blutigen Verbänden gefüllten Abfalleimer hängen blieb. Als sie sich wieder daran erinnerte, wie oft die erste Pilotin verletzt gewesen war. Wie oft sich Misato in solchen Augenblicken um Asuka gekümmert hatte. Wie oft Rei wohl alleine geblieben war? In diesem Zimmer. Ohne irgend jemanden, der sie trösten, ihr helfen konnte... Soll sie doch lachen. Schließlich lacht sie auch über Baka. Ein gemeines Grinsen schlich über Asukas Gesicht und sie stemmte sich wieder härter auf ihre Krücke. Der wird sich zu Tode schleppen! "Du packst deine Sachen, Wondergirl. Baka hier wird dich abholen in..." sie blickte kurz auf ihre Uhr und ging in Gedanken all die Schachteln und Kartons durch, die sich noch immer in Misatos Abstellkammer stapelten. "... in drei Stunden. Das müßte doch ausreichen, oder?" Shinji stöhnte auf, wurde aber von Asuka fortgezerrt. Ihm blieb gerade noch Zeit, ein kurzes Tschüß zu rufen, bevor die beiden auch schon das Zimmer verlassen hatten. "Bis dann." Flüsterte Rei und blieb eine ganze Weile auf dem Bett sitzen. Durch das gekippte Fenster konnte sie Asukas laute Stimme noch lange hören, bis sie endlich verstummte. Drei Stunden? Rei sah sich verwundert in ihrer winzigen Wohnung um und ihre blutroten Augen blieben an dem Kühlschrank, der nie mehr als ein trockenes Brötchen und ihre tägliche Medizin beinhaltet hatte, haften. Sie hatte keine Ahnung, was sie die ganze Zeit über tun sollte. *** Das Klopfen an der Tür ließ sie hoch schrecken. Müde blinzelte sie und stellte fest, daß es bereits dämmerte. Es war düster in ihrem Zimmer, sie hatte die einzige Lampe nicht eingeschalten. Bin ich eingeschlafen? Früher hatte sie nur wenig Schlaf benötigt, fast all ihre freie Zeit in der Nerv Zentrale verbracht. Wenn sie dort nicht gebraucht wurde, war sie eben zur Schule gegangen. Aber hier in diesem Zimmer, meist hatte sie wach dagelegen und stumm an die Decke gestarrt. Und gewartet. Gewartet, daß der nächste Tag und mit ihm der nächste Kampf anbrechen würde. Aber heute war sie tatsächlich eingeschlafen. Erneutes Klopfen. Es klang nicht ungeduldig. Nur beharrlich. Wer auch immer auf dem Flur ausharrte, er würde nicht so einfach wieder gehen. Rei rieb sich die müden Augen und ging langsam zur Tür hinüber. Sie rief nicht "Ich komme gleich." Oder "Einen Moment noch.". Sie hatte kaum jemals Besuch gehabt und war an solcherlei Verhalten nicht gewöhnt. Ikari hatte einen Schlüssel besessen und Shinji hatte sie einmal besucht, als ihr Schloß gerade kaputt gewesen war. Das war es aber auch schon an zwischenmenschlichen Kontakten gewesen, die sie je in dieser winzigen Wohnung hatte erfahren dürfen. Stumm öffnete sie die Tür und blickte in ein erschöpftes Gesicht. "Asuka hat wirklich all ihre Kartons von Misatos Wohnung in ihr neues Zimmer schleppen lassen. Und ich war so dumm, den Packesel zu spielen." Erzählte Shinji, während er zum zweiten Mal an diesem Tag ihr winziges Zimmer betrat. "Hast du schon gepackt oder brauchst du noch einen Moment? Ich weiß jetzt, daß Mädchen sehr lange brauchen können." Ich bin aber kein normales Mädchen. Rei strich sich einige widerspenstige Strähnen hinter die Ohren und ergriff ihren Rucksack. Er war nicht besonders groß und wog kaum etwas. Nun, sie besaß schließlich auch nichts Nennenswertes. Nur ihre Schuluniform, ein paar Bücher und Hefte und die Medizin, die sie wohl für den Rest ihres Lebens nehmen müßte. "Und es macht dir wirklich nichts aus?" fragte das Mädchen noch einmal mit ihrer typisch neutralen Stimme. Aber als Shinji sich umdrehte und kurz in ihre blutroten, leicht verschlafen blinzelnden Augen blickte, glaubte er, so etwas wie Furcht in ihnen sehen zu können. Die Furcht, die er bereits sein ganzes Leben lang kannte: Die Furcht vorm Alleinsein. Nein, sie wird nicht länger hier wohnen müssen! "Natürlich nicht. Misato findet die Idee auch nicht schlecht. Ihre Wohnung gehört wieder ihr allein - zumindest bis Ritsuko eine neue Bleibe gefunden hat, aber sie hat uns immer noch unter Kontrolle. Wir wohnen nur wenige Stockwerke auseinander." Shinji zuckte mit den Schultern. "Vater fand die Idee auch ganz okay." "Kommandant Ikari?" "Hai." Shinji fühlte sich leicht unwohl und öffnete deshalb die Tür, um wieder auf den Gang hinaus zu treten. "Wir werden uns wohl nie wirklich verstehen, aber vielleicht können wir eines Tages Frieden schließen." Erneut zuckte er mit den Schultern und ballte seine Hände zu schwachen Fäusten. "Es ist zumindest ein Anfang, findest du nicht auch?" Rei sah ihn nachdenklich an, dann nickte sie leicht. "Hai." Murmelte sie, bevor sie ihren Rucksack schulterte und dem Jungen in den lauen Abendwind folgte. Laut Kalender war es Sommer und mit einem Mal glaubte sie, so etwas wie Jahreszeiten zu spüren. Etwas, was es seit dem Second Impact nicht mehr gegeben hatte. Natürlich hatten sie alle im Unterricht über die Jahreszeiten wie Frühling, Sommer, Herbst und Winter gehört, aber erlebt hatte sie keiner von ihnen. Nun, vielleicht erhielten sie jetzt ihre Chance. "Ist das alles?" Shinji drehte sich mit einem Mal um und musterte skeptisch den Rucksack, der über Reis Schulter hing. Nur zu gut erinnerte er und speziell sein Rücken sich, wie viel das deutsche Mädchen von einem Stockwerk in das nächste geschleppt hatte. Reis ganzes Hab und Gut sah im Vergleich dazu richtig schmächtig aus. "Alles?" Rei blinzelte verwirrt, sah aber nicht zurück zu dem Gebäude, das sie soeben verlassen hatten. Viel mehr genoß sie das Gefühl der schwachen Abendsonne, die noch immer genug Kraft hatte, um das Land ein wenig zu erwärmen. Ein lauer Wind fuhr durch ihre Schuluniform, die sie stets trug, den etwas anderes außer ihr besaß sie nicht mehr. Das Plug-Suit war im Nerv Zentrum geblieben und sie wagte nicht, danach zu fragen. Wozu sollte sie es auch jemals wieder tragen? "Na ja, der Rucksack. Er sieht ein wenig... klein... aus." Meinte Shinji und seufzte leise, als Rei noch verdutzter drein schaute. Wahrscheinlich ahnte sie noch gar nicht, was er als >klein< bezeichnete. Oder was gar Asuka dazu sagen würde. Wenn sie sich nicht zusammen reißt, brutzel ich sie als Abendbrot! Shinji schüttelte kurz den Kopf und nahm behutsam, aber entschlossen den Rucksack von Reis Schultern und hängte ihn sich um. Er war erschreckend leicht. Ist das wirklich alles, was sie besitzt? Selbst Shinji hatte mehr, auf das er nach vierzehn Lebensjahren zurückblicken konnte. Der Junge ahnte, daß es noch so manche Hürde zu nehmen galt und neue Kleidung für das blasse Mädchen würde wohl eine von ihnen sein. Aber ein kurzer Blick in Rei's blutrote Augen sagten ihm, daß sie jede Mühe wert sein würde. "Oh... danke. Aber das wäre nicht nötig gewesen." "Ach, mach' ich doch gerne. Bin doch ein wahrer Gentleman." "Ich weiß." Für einen Moment stockte Shinji, denn es hatte so fröhlich geklungen, wie er die ehemals erste Pilotin noch nie gehört hatte. Aber Rei hatte sich bereits anderen Dingen zugewandt. Sie war zum Portal des nahegelegenen Friedhofes gegangen und schaute durch die eisernen Stäbe hindurch. Ob sie um jemanden trauert? Shinji blieb stehen und musterte sie einen Augenblick lang. Die blauen Haare wurden vom Wind sanft über ihre Schultern bewegt und wie selbstverständlich hob sie ihre rechte Hand, um einige Strähnen hinter das rechte Ohr zu schieben. Ein entrückter Ausdruck erschien auf ihrem Gesicht, während die andere Hand eine der Eisenstangen langsam umgriff. Sie hat doch keine Familie, oder? Um wen soll sie denn trauern? "Rei?" Langsam trat er hinter sie und sah, wie sie leicht zusammen zuckte. "Was ist los?" Aber anstelle zu antworten, öffnete sie vorsichtig das Tor, das leise quietschte. Vorsichtig schritt sie durch die engen Wege, bog einige herunter hängenden Äste beiseite. Seit dem Second Impact hatte Japan kaum noch Geld gehabt. Die meisten finanziellen Mittel wurden in die Versorgung der Menschen gesteckt. Oder in das Verteidigungssystem Nervs. Man hatte sich um die Lebenden kümmern müssen, so daß die Toten auf der Strecke blieben. Die Friedhöfe, die all die Katastrophen überstanden, verwandelten sich langsam aber sicher in kleine Parks. Selten wurden hier noch Menschen beerdigt. Die meisten Toten wurden eingeäschert und ihre Urnen auf neuen Friedhöfen, deren Grabsteine aneinander gereiht bizarren Wäldern glichen, verscharrt. Shinji hatte nie viel für diese Orte übrig gehabt, aber hier fühlte er sich wohl. Diese kleine Oase war friedlich und seltsam wundervoll. Er folgte Rei und sah, wie sie sich vor einem Grab nieder hockte und einige Blumen von der Wiese pflückte und diese vor einem Grab hernieder legte. Es wirkte alt. Sehr alt. Überwuchert mit all möglichen Pflanzen. Aber dennoch sah der Grabstein neu aus. Kaworu. Shinji brauchte einige Momente, bis er die Schriftzeichen entziffert hatte. Er runzelte, aber er konnte dem Namen kein Gesicht zu ordnen. Ja, der Name schien ihm etwas sagen zu wollen und er bekam das Gefühl nicht los, daß er einmal eine Person mit diesem Namen gekannt zu haben schien, aber es mußte ihm wohl entfallen sein. Bestimmt ein Kindergartenfreund oder ein Bekannter seiner Tante. Vielleicht hieß jemand aus seiner Verwandtschaft mal so und er hatte ihn vergessen, weil er dank seines Vaters seine restlichen Verwandten nach seinem vierten Lebensjahr nie mehr zu Gesicht bekommen hatte. "Ein Bekannter vor dir?" fragte er Rei, als diese das Grab mit den Blumen schmückte. Er hätte niemals gedacht, daß Rei jemand anderen als seinen Vater oder die engsten Mitarbeiter von Nerv kannte. Und er hätte nie gedacht, daß sie solche alten Traditionen kannte. Vielleicht hat sie darüber gelesen... Rei nickte und schaute direkt in Shinjis Gesicht. Aber dort sah sie keine Trauer. Keine Verzweiflung. Nur ein paar Fragen und ein wenig Neugier. Er hat ihn vergessen? Sie sah kurz auf das Grab herab und nickte leicht. Vielleicht ist es auch besser so. "Ja." Das blasse Mädchen erhob sich. "Er war ein guter Freund." *** "Was sollen wir zum Abendbrot machen? Misato ist nicht da und die Mikrowelle kriegen wir erst nächste Woche. Und ich habe HUNGER!" So empfing sie Asuka. Sie trug ein helles Sommerkleid und ihre noch feuchten Haare waren hochgesteckt. Vermutlich hatte sie sich gerade geduscht und danach festgestellt, daß sie hungrig war. Und anstelle sich ein Brötchen zu nehmen, hatte sie auf Shinji gewartet, um ihn wieder zu quälen. Aber der Junge ließ sich seine Laune nicht verderben. Heute nicht. Und vermutlich nie mehr wieder. Das Leben als Pilot bei Nerv war vorbei. Er mußte nie wieder kämpfen. Nie wieder in einen dieser verhaßten Evas einsteigen. Nie wieder einen unheimlichen Engel besiegen und dabei das Leben von tausenden von Menschen gefährden. Na, war das denn kein Grund, für den Rest seines Lebens glücklich zu sein? "Aber das Messer funktioniert noch, oder? Wir haben doch heute erst frisches Brot gekauft." "Das schon, aber heute ist unser Einzugstag. Willst du dich da mit schnöden Schnitten zufrieden geben?" Asuka wirbelte herum und erschlug Shinji beinahe mit dem Handtuch, das noch um ihre Schultern hing. "Ich dachte da eher an Okinomiyaki." "Ach, einen kleineren Wunsch hast du nicht, oder?" "Du kannst ja welche bestellen." Shinji wurde ein Telefon in die Hände gedrückt und bevor er sich's versah, wurde Rei an ihm vorbei gezerrt. Er sah kurz in vor Erstaunen geweitete Augen, bevor er sich in sein Schicksal ergab und die Nummer wählte, die Misato immer in ihrer Not gewählt hatte, wenn ihr Nudelauflauf mal wieder verbrannt oder sie zu spät von der Arbeit nach Hause gekommen war, um noch etwas zu kochen. Oder, was natürlich der Notfall schlechthin darstellte, wenn ihr das Bier mal ausgegangen war. "Ich zeige derweil Rei unser neues Reich, okay?" Asukas Stimme flötete fröhlich durch die Wohnung und Shinji mußte zugeben, daß die junge Deutsche auch ihre guten Seiten hatte. Wenn sie das nur wollte. "Das ist das Wohnzimmer. Das ist die Küche. Das ist das Badezimmer." Rei bekam kaum Gelegenheit, etwas von all den Räumen mitzubekommen, weil Asuka sie in ihrem Eifer durch die halbe Wohnung hetzte. Aber es störte sie nicht. Wenn es wirklich der Ernst der anderen beiden war, dann würde sie noch genügend Zeit haben, sich alles in Ruhe anzuschauen. "Und das ist dein Zimmer." Stolz schwang in Asukas Brust, als sie das blasse Mädchen in das kleine Zimmer schob. Es mochte kleiner als Reis ehemalige Wohnung sein, aber es war sauber. Sauber und gemütlich. Das Fenster war groß genug, um den kompletten Raum zu erhellen. Im Moment war er in einen dunkelroten Schein getaucht und einige Fliegen summten zufrieden durch die Luft. "Shinji meinte, das es dir so gefallen würde." Rei nickte nur und betrat andächtig den Raum. Langsam ließ sie ihren Rucksack auf den Tisch hernieder und ging hinüber zum Fenster. Von hier aus konnte sie Bäume sehen. Grüne Bäume, deren Wipfel friedlich im Abendwind bewegt wurden. Vögel zwitscherten und plötzlich fühlte sie sich frei. Frei und glücklich. Frei? Sie blinzelte und legte ihre rechte Hand gegen das kühle Glas. Ja, frei. Nie mehr mußte sie zurück in das Nerv Zentrum. Nie mehr mußte sie zurück in die seltsamen Behälter jener dunklen Räume. Nie mehr mußte sie zurück in die kleine, leere Wohnung. Rei wußte nicht, was Glücklichsein bedeutete. Sie war in ihrem jungen Leben noch nie glücklich gewesen. Aber das Gefühl, das sie nun bestimmte, konnte nur Glück sein. Es ließ sie ein wenig lächeln und nahm ihr den Atem. Automatisch fanden ihre Hände den Riegel und weit riß sie das Fenster auf. Der Wind fuhr durch ihre blauen Haare und sie sog ihn tief ein. Er roch ein wenig nach Großstadt, aber gleichzeitig roch er auch nach Heimat. Nach einem Zuhause, das sie nie gekannt hatte. Bin ich jetzt zu Hause? Wirklich zu Hause? Sie wußte es nicht. Aber das Gefühl, endlich, nach langen 14 Jahren nach Hause zurück gekehrt zu sein, war übermächtig. Rei hatte nie viele Gefühle verspürt, hatte sich nie um zwischenmenschliche Beziehungen gekümmert. Aber jetzt wollte sie Asuka umarmen. Und Shinji. Und Misato. Ja, die ganze Welt. Alle auf einmal. "Gefällt's Dir?" Die Stimme der Deutschen war neugierig. Und auch ein wenig unsicher. Sie kannte die ehemals erste Pilotin von Eva00 kaum. Sie hatte sich auch nie die Mühe gemacht, sie besser kennen zu lernen, mußte Asuka sich ein wenig beschämt eingestehen. Vielleicht hatte das blasse Mädchen auch lieber in Ruhe gelassen werden wollen? Vielleicht hätte sie lieber in der kleinen Wohnung bleiben wollen? In ihrer eigenen Welt? So wie sonst auch immer? Aber als Rei sich zu ihr umdrehte, als sie das schwache, aber eindeutige Lächeln auf den Lippen sah, wußte Asuka, daß Shinji recht gehabt hatte. Daß diese Entscheidung die richtige gewesen war. "Es ist sehr schön." Die leise Stimme war voller Wärme und Asuka blinzelte. Dann nickte sie bestätigend zu sich selbst. "Dann räum' aus und mach' dich fertig fürs Abendessen." Die junge Deutsche umgriff stärker ihre Krücke und drehte sich zum Gang um. "Ich werde wohl Shinji daran erinnern müssen, daß er mit Tisch decken dran ist. Schließlich haben wir zwei ja gerade erst das Krankenhaus verlassen. Da sollte man sich nicht überanstrengen." Mit diesen Worten schloß sie die dünne Papiertür und ihre Stimme füllte bald die ganze Wohnung. Es ist wirklich wunderschön hier. Rei nahm ihren leichten Rucksack und öffnete ihn. Sie war viel zu aufgeregt, um den armen Shinji zu bedauern, an dem wohl für die nächste Zeit die meiste Hausarbeit würde hängen bleiben. *** "Lecker! Okinomiyaki!" Asuka entriß dem Boten die Schachteln, während Shinji die ihm dargebotene Hand bezahlte. "Rei! Komm! Essen!" Die Stimme der Deutschen konnte Tote wieder erwecken. Besonders, wenn sie großen Hunger hatte. Der Umzug hatte an ihren Kräften gezehrt und Shinji ahnte, daß sie noch die ganze Nacht brauchen würde, um für jedes ihrer Mitbringsel aus Deutschland einen neuen Platz in ihrem Zimmer zu finden. Sie rangierte nun seit über zwei Stunden darin und noch immer waren viele Kartons nicht ausgepackt, mußte viel alter Staub fort gewischt werden. Es war Asuka nicht möglich gewesen, all ihre Sachen in Misatos kleiner Wohnung aufzustellen und es hatte sich über die letzten Monate doch eine dicke Schicht über das alte Spielzeug, die Photos und Bücher gelegt. Asuka trug noch immer ihr weißes Sommerkleid, aber mittlerweile hatte es sich grau verfärbt. Ihre roten Haare hatte sie hochgesteckt und ein Kopftuch drum gebunden. Sie sah ein wenig aus wie ein altes Mütterlein, aber Shinji verkniff sich einen dementsprechendem Kommentar. Er wollte einen ruhigen Abend verbringen und nicht mit Asuka darüber diskutieren, wer denn wann wie alt aussah. Asuka kniete bereits vor dem Tisch im Wohnzimmer, alle drei Schachteln waren weit aufgerissen. Sie hatte sich von jeder Okinomiyaki ein großes Stück heraus geschnitten und schaute gierig auf ihren voll beladenen Teller. "SHINJI!!! REI!!! ESSEN!!!" Ihre Stimme fuhr durch Mark und Bein und beinahe hätte der Junge die Milchflasche fallen gelassen. Aber er konnte sie gerade noch retten. Langsam nahm er vor seinem Teller Platz und schenkte sich ein großes Glas Milch aus. Asuka blickte nur angeekelt auf die weiße Flüssigkeit, bevor sie sich ihrer leckeren Coca Cola zuwandte. "Wo bleibt sie nur?" Asuka schielte zur Tür und zurück auf ihren Teller. "Ich hab' Hunger!" Ihr Ton klang beinahe weinerlich. "Richtig großen Hunger!" "Dann fang' an zu essen." Meinte Shinji. "Nicht jeder ist so fix wie du." Dabei erwähnte der Junge nicht, daß Asuka für gewöhnlich diejenige war, die im Bad eine Ewigkeit brauchte. Aber auch diese Hürde würden sie meistern, wenn die Schule wieder begann. Irgendwann. Wenn sich die Regierung dazu durchgerungen hatte, sich wieder um diese Belange zu kümmern. Shinji hoffte insgeheim, daß sie noch ein paar Wochen, vielleicht sogar Monate dazu benötigen würden. So richtig lange Sommerferien klangen gut. "Sie muß ja nicht fix sein." Asuka beäugte noch immer gierig ihre Okinomiyaki. "Aber ich habe nicht gedacht, daß Wondergirl so eine Schildkröte ist." "Das heißt Schnecke." "Aber eine Schildkröte ist auch nicht besonders schnell." "Trotzdem heißt es, daß jemand so langsam ist wie eine Schnecke." "Weißt du was, Shinji? Japanisch ist schon manchmal eine seltsame Sprache. Eine Schildkröte ist doch auch sehr lahm, oder etwa nicht?" "Willst du diese Sprache richtig lernen oder nicht?" Asuka sah den Jungen kurz an und entschied sich dann für ihr Essen. Sie hatte viel zu großen Hunger, um über dumme Sachen wie die fremde Sprache zu diskutieren, die sie wohl nie verstehen würde. Nie wirklich. Entschlossen ergriff sie das erste Stück mit den Händen und begann, dieses in rasender Geschwindigkeit zu verschlingen. Das liebte sie so an Okinomiyaki: Sie brauchte keine Stäbchen dazu. Nicht, daß sie es innerhalb der letzten Monate nicht gelernt hatte, mit dem merkwürdigen Eßbesteck der Japaner umzugehen, aber so richtig schlingen konnte man damit nicht. Es sei denn, man spießte die Fleischbällchen auf wie ein Schaschlik, aber für diese Technik hatte sie meistens nur verständnislose, ja sogar böse Blicke ihrer Mitschüler und besonders Misatos geerntet. "Finger-Food. Ich LIEBE es." schmatzte sie und ergriff bereits das nächste Stück. Shinji übersah es großzügig und rührte langsam den löslichen Kakao in seine kalte Milch. Normalerweise konnte seine Genauigkeit Asuka in den Wahnsinn treiben. Die Art, wie er ein Butterbrot mit Salami und Käse belegte, grenzte an Perfektionismus der schlimmsten Sorte. Mitunter konnte er eine halbe Stunde dazu benötigen. Besonders, wenn er zwischen die Salami- und die Käsescheiben Gurke in perfekter Symmetrie schob. Aber heute war sie viel zu hungrig. Außerdem konnte er ja nur an der Milch experimentieren und mehr als Kakao konnte selbst ein Ikari Shinji nicht dazu rühren. Das Essen selbst war ja schon fertig belegt, also eßbar. Nach weiteren drei Minuten, in denen Asuka mittlerweile zu ihrem dritten Stück Okinomiyaki übergegangen war, nahm sich auch der Junge seinen Anteil und seufzte glücklich auf. Es schmeckte wirklich köstlich. Und viel, viel besser als die Instant-Sachen von Misato. Nicht, daß sich Misato nicht Mühe gegeben hätte. Aber sie taugte sich eben nicht als Köchin. Sie war eine hervorragende Mitarbeiterin von Nerv gewesen, aber sobald sie einen Topf anfassen mußte, versagte sie kläglich. Gut, dieses Abendbrot war auch bestellt, von auswärts hereingebracht. Aber es war selbst zubereitet worden von dem Imbiß. Vielleicht konnten sie ja in einigen Wochen so ein Essen auch allein zaubern. Sie hatten im Moment schließlich Zeit und mit einem ordentlichen Kochbuch mußte doch vieles möglich sein. Immerhin waren sie zu dritt, während Misato immer allein gegen die Herd hatte kämpfen müssen. "Guten Appetit." Endlich betrat auch Rei den Raum. Sie trug noch immer ihre Schuluniform und Asuka fragte sich plötzlich, ob Rei überhaupt andere Kleidung besaß. Die junge Deutsche hatte sie jedenfalls noch nie in anderer Kleidung als dieser Aufmachung und dem Plug-Suit Nervs gesehen. "'tit." Brachte Asuka zwischen zwei Bissen hervor und nahm einen kräftigen Schluck Cola. Natürlich verschluckte sie sich und Shinji, der eben noch Rei eine von den Papierschachteln angeboten hatte, hatte mit einem Mal alle Hände voll zu tun, ihr auf den Rücken zu klopfen und sie vor dem schnöden Erstickungstod zu retten. "Alter Gierhals!" "Aber es schmeckt doch so gut!" beklagte sich die junge Deutsche und hätte sich fast wieder verschluckt, als sie all die Pillen sah, die Rei auf ihrem Teller ausbreitete. Sie waren in all möglichen Farben, aber Asuka ahnte, daß sie dennoch nicht wie Smarties schmeckten. "Was ist denn das?" brachte sie heraus und vergaß für einen Moment, daß sie selbst noch etwas Leckeres auf dem Teller liegen hatte. "Meine Medizin." Entgegnete Rei und begann langsam und geduldig, all die Pillen zu schlucken. Zusammen mit einem Glas Leitungswasser. Asuka wußte, daß es Leitungswasser war, denn außer Cola und Milch hatten sie nichts im Kühlschrank. Noch nichts. Asuka war fest entschlossen, morgen richtig einkaufen zu gehen. Auch wenn dieser Gedanke Shinji überhaupt nicht behagte. Denn er ahnte, daß er wieder als Lastentier am anderen Ende des Einkaufskorbes enden würde. "So viel?" Auch Shinji war verwundert. Gut, er hatte gewußt, daß Rei eine Menge Medizin nahm. Einmal hatte er sie im Laboratorium unter dem Nerv-Quartier gesehen. Sie war damals nicht bei Bewußtsein gewesen. Außerdem hatte sie viele Unfälle in Eva00 über sich ergehen lassen müssen. Alle Wunden waren sicherlich noch nicht verheilt. Aber daß sie Pillen futterte, wie andere Kinder Bonbons, das hatte er nicht gewußt. Nicht erwartet. "Sind die alle notwendig? Vielleicht solltest du noch einmal mit einem Arzt sprechen, damit du die eine oder andere Pille absetzen kannst." "Vielleicht..." Rei betrachtete kurz die weißen Pillen, die besonders groß und besonders bitter waren und schluckte sie schließlich. Zu einem Arzt gehen. Sie ging nicht gerne zu Ärzten. Diese steckten nur wieder Kanülen in ihre Arme und spritzten ihr seltsame Mittel, die sie benebelten. Sie mochte die Ärzte nicht, sie hatten ihr immer weh getan. Aber Shinji hatte recht. Ihre Medikamente gingen zur Neige. Vielleicht noch eine, vielleicht noch zwei Wochen und sie würde neue gebrauchen. Nur, wo sollte sie genau hin gehen? Im Nerv Zentrum würde sie mit Sicherheit niemanden mehr antreffen. Sollte sie Misato fragen? Sollte sie überhaupt zu einem Arzt gehen? Sie fühlte sich gesund. Aber sie war doch kein Mensch! Was war, wenn sie ihre Berechtigung auf Leben verlor, wenn sie ihre Medizin nicht mehr regelmäßig einnahm? Alles zu seiner Zeit. Rei schluckte die restlichen Pillen alle auf einmal, damit sie sie weg hatte. Dennoch konnte sie das schlechte Gefühl, das sich in ihrem Magen breit machte, nicht einfach so runter schlucken. So vieles veränderte sich in den letzten Tagen. Seit dem Third Impact. Wie viel sich jedoch wirklich veränderte, das begriff sie erst nach und nach. Sehr langsam. Nur wußte sie nicht, ob sie all die Veränderungen gut finden sollte. Sicherlich, hier mit Asuka und Shinji zu wohnen, das hörte sich nicht nur phantastisch an, es würde sicherlich auch wundervoll sein. Ihr eigenes, sauberes Zimmer. Warmes Wasser. Immer jemand, der da war. Auch wenn es sich dabei um Asuka handelte, die bestimmt nur rumschimpfen und an ihr herum kritisieren würde. Das war Rei egal. Nur nicht wieder in der dunklen, kalten Wohnung hocken. Ganz allein. Aber all die anderen Veränderungen... Sie war kein normaler Mensch. Sie wußte nicht, was sie noch erwartete. Was die Zukunft ihr bringen konnte. "Auch etwas Okinomiyaki? Ist noch frisch." Rei schreckte aus ihren dunklen Gedanken, als Shinji mehre Schichten Teig auf ihren Teller schaufelte und eine noch immer fleißig kauende Asuka klebrige Cola in ihr Glas füllte. "Laß es dir schmecken." lächelte Shinji. "'tit." mampfe Asuka und nahm sich ein weiteres Stück aus den Schachteln. Es war ja schließlich noch genug da, da konnte sie sich ruhig noch ein wenig mehr leisten. Und sollte das nicht reichen, die junge Deutsche wußte, daß das Tiefkühlfach leckerstes Vanilleeis beinhaltete. Glücklich grinste sie bei diesem Gedanken. Und stockte, als sie zwei blutrote Augen fragend musterten. "'gato." Flüsterte Rei und betrachtete erst Shinji, dann Asuka. Dann blickte sie wieder zurück auf ihren Teller. Mit einer Mischung aus Ekel und Verzweiflung. Asuka runzelte ihre Stirn, denn das Essen roch so köstlich, wie es schmeckte. Es war noch warm und der Käse geschmolzen. Als dicke Schichte bedeckte er die Salami, den Schinken und das Hühnchen. Besonders das Hühnchen war empfehlenswert. Asuka hätte getötet für dieses Hühnchen. Verdammt! Mit einem Mal durchzuckte sie ein Gedanke und sie wußte, warum Rei ihr Essen bisher noch nicht angerührt hatte. "Du bist Vegetarierin, nicht wahr?" brachte sie heraus und erntete mahnende Blicke, als sie ein wenig von ihrem Hühnchen im Eifer auf die Tischdecke spuckte. "Vegetarierin?" Rei blickte auf und runzelte leicht ihre Stirn. Sie hatte ihre Hände in ihrem Schoß gefaltet und macht keinerlei Anstalten, das Essen auch nur ansatzweise zu berühren. "Ach, Mist, du ißt ja kein Fleisch." Erinnerte sich jetzt auch Shinji und schlug sich mit der hohlen Hand vor die Stirn. Wie hatte er das nur vergessen können? Misato hatte ihnen einmal ein leckeres Steak versprochen, wenn sie den bevorstehenden Kampf gewönnen. Rei hatte damals nur gemeint, daß sie Steak nicht mochte, weil sie kein Fleisch aß. Und jetzt hatte er Salami, Schinken und Hühnchen bestellt. Dabei hätte er auch etwas mit viel Gemüse und viel Käse nehmen können. Oder mit Ei. "Gomen nasai." "Kein Problem." Entgegnete Rei und trank schließlich etwas von der Cola. Es schmeckte furchtbar süß, aber es war ein besserer Nachgeschmack als ihre bitteren Pillen. "Ich bin sowieso nicht hungrig." Das leichte Grollen ihres Magens verriet sie und brachte Asuka sofort auf die Palme. Sie hatte den halben Nachmittag Hunger gelitten und wußte, wie es war, nichts zu Essen zu haben. "Vergiß es! Ich will kein Gerippe als Mitbewohnerin haben!" entschieden ergriff sie ihre Krücke und humpelte hinüber zur Küche. Etwas skeptisch betrachtete sie den Herd, aber wenn sogar jemand wie Misato das Feuer entzünden konnte, würde sie das doch auch können. Und tatsächlich, nach drei Streichhölzern und zwei verbrannten Fingern, hatte sie, Asuka, den Herd auch besiegt. Dafür machte sie auch ein entsprechend langes Gesicht, als Shinji ihr die moderne Vorrichtung zeigte, mit der sie das Feuer per Knopfdruck entfachen konnte. "Du bist eben keine Hausfrau." "Ach, und du bist also der perfekte Hausmann?" "Nein. Das habe ich auch nicht behauptet." "Pah! Sag, was du willst. Dafür rührst du jetzt diese Eier in dieser Schale." Shinji blinzelte, tat dann aber, wie ihm geheißen war. Eier in eine Schale schlagen und kräftig rühren, das klang doch gar nicht so schwer. Gut, ein wenig Eiweiß spritzte natürlich schon daneben. Und es dauerte einige Momente, die Eierschalen aus der Schüssel wieder heraus zu fischen, aber nachdem er das Eigelb mit einer Gabel bekämpft hatte, war er sehr zufrieden mit seinem Werk. Rei war ihnen gefolgt. Verunsichert blieb sie im Türrahmen stehen und beobachtete die Streithähne bei ihrem Werk. Verunsichert, was die beiden da taten. Verunsichert, was sie selbst tun sollte. "Du ißt doch Rührei, oder?" Asukas graues, ehemals weißes Sommerkleid war nun mit Butter beschmiert, als sie den Tiegel endlich aufs Feuer stellte. Ein breites Grinsen lag auf ihrem Gesicht. "Rührei?" Rei runzelte erneut ihre Stirn und trat ein wenig näher. Kurz musterte sie das zerschlagene Etwas in der Schüssel, dann den Tiegel. Schweigend überlegte sie, wurde aber von Asuka unterbrochen. "Ach, keine Bange. Das ist kein Fleisch, also wirst du es mögen." Entschlossen schüttete sie die Masse in den Tiegel und bald füllte ein köstlicher Geruch die Küche. Während Asuka mit dem Tiegel kämpfte, backte Shinji ein wenig Toast auf. In Gedanken machte er sich eine Notiz, daß er neben dem normalen Kochbuch auch eines für Vegetarier kaufen würde. Sie konnten ja auch so etwas kochen und dann einfach noch zwei Würstchen dazu braten oder so ähnlich. Er hatte keine Ahnung vom Kochen, aber er wußte, daß er niemanden hungern lassen würde. Sie braten ein Rührei? Rei blickte über Asukas Schulter und wich einem Stück Eiweiß aus, das vom Holzlöffel schnippte und schließlich irgendwo auf dem Fußboden liegen blieb. Sie braten es für mich? Rei betrachtete die beiden erstaunt. Eigentlich hatte sie sich ja damit abgefunden, kein Abendbrot zu erhalten. Sie hatte selten Abendbrot bekommen. Woher auch? Frühstück hatte sie sich immer auf dem Weg zur Schule gekauft und Mittagessen erhielt sie auch dort. Oder in der Kantine des Nerv-Quartiers. Aber für ein ordentliches Abendbrot hatte selten ihre Lust noch ihre Zeit ausgereicht. Und erst recht nicht die Möglichkeiten auf ihrer völlig kaputten Kochnische. Sie machen es wirklich für mich? All der Aufwand, nur für mich? Rei spürte, wie sich ihr Hals verengte. Plötzlich machte ein dicker Kloß ihr das Schlucken schwer. Selten hatte sich jemand um sie gekümmert. Und selten, so liebevoll. Das Rührei war sehr trocken und der Toast ein wenig dunkler als beabsichtigt. Den Tiegel würden sie vielleicht wieder sauber bekommen, wenn sie ihn drei, vier Tage einweichen ließen. Wenn sie Glück hatten. Rei mußte den Löffel nehmen, weil das Ei unter ihren Stäbchen zerfiel. Dennoch war es das beste Abendbrot, das die ehemalige Pilotin von Eva00 in ihrem Leben je gegessen hatte. *** "Rei? Das Bad ist jetzt frei. Wenn du duschen willst..." Asuka knotete gerade das Handtuch, das sie um ihre nassen Haare geschlungen hatte, zu, als sie Reis Zimmer betrat. Zwar lag noch viel Arbeit vor ihr, viele Kartons gab es noch aufzumachen und zu entleeren, aber nach dem Abenteuer Kochen hatte sie sich erst einmal für eine erfrischende Dusche entschieden. Mittlerweile war die Sonne untergegangen. Dennoch war es noch immer sehr warm. Sommerlich warm. Lauer Wind fuhr durch das offene Fenster und einigen Büchern, die auf dem Schreibtisch lagen. Rei saß an diesem und las. In einem alten, abgegriffenem Heft. Normalerweise wäre Asuka sofort zu ihr gesprungen, oder besser gesagt, gehumpelt, und hätte es ihr aus der Hand gerissen. Um zu erfahren, was das bleiche Mädchen denn da las. Normalerweise. Normalerweise war Asuka aber nicht so geschockt. Denn als sie sich in dem Zimmer umsah, sah sie, daß es noch immer genauso aussah, als Rei noch nicht eingezogen war. Keine Vorhänge hingen im Fenster, ja, nicht einmal das Bett war bezogen. Kalt und nackig lagen die Decken auf der Matratze. Es sah furchtbar unpersönlich aus. "Wieso hast du noch nicht ausgepackt?" fragte die junge Deutsche entsetzt und stöhnte unterdrückt auf, als sie in Reis blutrote Augen sah, die sie unschuldig, ja beinahe fragend musterten. "Ich habe ausgepackt." Sagte die ehemalige Pilotin und klopfte leicht auf den Schreibtisch. Asuka musterte die alten Bücher und schüttelte ihren Kopf. "Ist das alles?" fragte sie entsetzt und mußte mit schlechtem Gewissen an all die Kartons denken, die sie und vor allen Dingen Shinji den ganzen Nachmittag über in diese Wohnung geschleppt hatten. Auch der junge Japaner hatte einige persönliche Gegenstände besessen. Das aber, was Rei hier vorführte, das war doch ein Witz. Das mußte doch ein Witz sein. Ein ganz blöder Witz! Aber als Asuka Reis erstaunte Reaktion bemerkte, wußte sie, daß Rei nicht scherzte. Die wenigen Bücher und die Schuluniform, die sie noch immer trug, waren wirklich ihre einzigen Besitztümer. Das ist alles, was sie hat? "Seltsam. Dasselbe hat mich Shinji heute auch schon gefragt." Bemerkte Rei und wandte sich wieder dem alten Heft zu. Behutsam blätterte sie eine Seite um und vertiefte sich wieder in den Inhalt. Asuka schluckte und verschränkte ihre Arme vor der Brust. Mit einem Mal fror es sie. "Das Bad ist jetzt frei." Wiederholte sie mit belegter Stimme und musterte noch einmal das karge Zimmer. Entschlossen, diesen Zustand alsbald zu ändern. *** Warmes Wasser. Rei stieg aus der Dusche und griff nach dem weichen Handtuch, das Shinji für sie dort hin gehangen hatte. Es trug sogar ein, wenn auch etwas krakeliges, eingesticktes R. Wie Rei. Es gab noch zwei weitere Handtücher. Eines mit einem A und eines mit einem S. Damit keine Verwechslungen auftreten konnten. Warmes Wasser. Um diese Zeit. In dem Gebäudeblock, in dem sie vorher gewohnt hatte, hatte es nie warmes Wasser gegeben. Rasch hatte sie immer geduscht in ihrer winzigen Badezelle. Rasch und frierend. Hier hatte sie sich Zeit genommen. Ein wenig zu viel Zeit sogar. Sie hoffte, daß Shinji ihr nicht all zu böse war. Aber irgendwie hatte sie sich einfach treiben lassen. Von dem Rauschen des Wassers, von der angenehmen Wärme, von dem Duft auf ihrer Haut, den das Shampoo verbreitete. Zwar war es eine gewiß laue Sommernacht, dennoch Rei fror ein wenig. Aber das war sie gewöhnt, sie fror immer leicht. Wenn andere noch im T-Shirt und kurzen Rock durch die Gegend rannten, suchte sie bereits nach ihrem Pullover und ihren Stumpfhosen. Sogar der Fußboden ist warm. Rei sah kurz auf die Vorleger herab und griff dann zur Bürste. Sie wischte den Spiegel frei und kümmerte sich um ihre Haare. Das hatte sie auch nie machen können. Einen Spiegel hatte sie nicht besessen. Jedenfalls keinen, der so groß und dabei noch ganz war. Vorsichtig strich sie ihre Strähnen zurück und betrachtete sich selbst im Spiegel. Ihr Ebenbild war gar nicht so blaß, wie sie das in Erinnerung hatte. Die Wangen waren leicht gerötet und die blutroten Augen glitzerten. Bin das ich? Erneut strich sie die Haare zurück und formte ihre Lippen zu einem kleinen, unscheinbaren Lächeln. Klein und unscheinbar, aber für sie eindeutig sichtbar. Das Mädchen, das ihr nun entgegen blickte, lächelte. Richtig glücklich wirkte es. Richtig... hübsch... Hübsch? Sie und hübsch? Rei wandte sich ab und legte die Bürste beiseite. Kurz trocknete sie sich ab und zog das Hemd ihrer Schuluniform über ihren nackten Körper. Nein, sie war nicht hübsch. Sie war doch noch nicht mal ein richtiger Mensch. Wie konnte sie dann hübsch sein? Dennoch blieb das Gefühl tief in ihr, daß ihr dieser Gedanke gefallen hatte. Kurz ging sie ins Wohnzimmer, um Shinji zu sagen, daß er duschen konnte. Der Junge sah gar nicht auf, sondern war viel zu sehr beschäftigt, ein altes Radio auseinander zu nehmen. Es würde wohl noch eine ganze Weile dauern, bis er von irgend jemanden einen Fernseher erbettelt hatte, aber er wollte diese Zeit nicht ohne Musik verbringen. Und ohne Nachrichten. Also hatte er sich ein kaputtes Radio besorgt und machte sich nun daran, es zu reparieren. "Ja, ich komme gleich." meinte er und blickte angestrengt durch die Lupe, während seine rechte Hand eine Pinzette nahe an das Gehäuse schob. Rei entschied, daß sie ihn besser nicht weiter störte und kehrte zu ihrem Zimmer zurück. Mein Zimmer. Mein richtiges Zimmer. Keine Wohnung, in die ich nur gesperrt werde, weil man mich nicht mehr braucht... Rei blieb für einen Augenblick vor der Tür stehen und musterte das kleine Schild, da an dem Papier hing. Shinji hatte es angebracht. An jeder ihrer Türen hing so ein Schild. Es zeigte das Zeichen ihres Namens und ein Gesicht. Ein Strichmännchengesicht. Shinji war nicht sehr begabt im Zeichnen, aber Rei mochte es. Sie konnte sich zwar nicht erinnern, jemals so geschielt zu haben und so große Augen hatte sie bestimmt auch nicht, aber es sah niedlich aus. Eine Art Heiligenschein hing über ihrem Kopf, während Gewitterwolken den von Asuka krönten. Shinjis Merkmal war unverkennbar die Kopfhörer seines über alles geliebten Discmans, den er im Third Impact verloren zu haben schien. Wenn er wieder genug Geld hätte, würde er sich bestimmt einen neuen kaufen. Oder gleich eine ganze Anlage. Shinji mochte Musik und obwohl Rei nicht wußte, ob sie jemals etwas in den vielen Melodien finden würde, so hatte sie nichts dagegen. Solange Shinji die Lautstärke nicht gefährlich hoch drehte, konnte er sich gerne eine Anlage kaufen. Und sie dann über die Sänger und die Gruppen informieren, wie er das bereits einmal getan hatte. Als er sie im Krankenhaus besuchte und sie aufheitern wollte. Er hatte nicht über den Kampf sprechen wollen und hatte sie kaum gekannt, also hatte er ihr von Sängern mit seltsamen Namen erzählt und sie hatte zugehört. Froh darüber, daß überhaupt jemand an ihr Krankenbett getreten war. Ich weiß noch immer nicht, wieso ich es verdient habe, hier mit ihnen zu leben. Rei biß sich auf die Unterlippe, wußte jedoch, daß sie auf diese Frage wohl nie eine Antwort erhalten würde. Vielleicht hatte sie Shinji in sein Wohnprojekt mit eingeplant, weil sie zusammen mit ihm gekämpft hatte. Vielleicht glaubte er einfach, daß es seine Pflicht sei, auch an sie zu denken. Vielleicht tat er es aus Mitleid, weil sie sonst niemanden hatte. Keine Familie, keine Freunde. Vielleicht... Rei öffnete die Papiertür und ihre Kinnlade sackte nach unten. In dem Moment wußte sie, daß nichts von all den Überlegungen stimmte. Shinji, und vermutlich auch Asuka, hatten sie hier in diese Wohnung geholt, weil sie eine Freundin war. Eine Leidensgenossin und eine Freundin. So hatte Shinji einmal genannt. Als sie wieder einen gefährlichen Kampf gegen die Engel gewonnen hatten. Rei hatte ihn damals nicht verstanden. Jetzt aber tat sie es. "Nani..." Rei riß ihre Augen auf und starrte auf den Lampion, der in ihrem Fenster hing. Eine kleine Kerze brannte in seinem Inneren und ließ weiße Vögel zum Leben erwachen, als der Wind das dünne Papier leicht drehte. Das Fenster war nicht länger leer. Weiße Vorhänge umrahmten es, waren zur Seite gebunden. Genauso wie weiße Lacken die Matratze bedeckten. Die Bettdecke war plötzlich mit Micky Mäusen übersät. Rei konnte sich nur dunkel an die Zeichentrickfilmfigur erinnern. Asuka hatte ihr mal eine kleine Plüschfigur gezeigt, die sie aus Deutschland mitgebracht hatte. Das zweite Mal an diesem Abend verspürte Rei den Kloß in ihrem Hals, als sie eben diese Plüschfigur zwischen den Kissen entdeckte. Sie hatte noch nie ein Kuscheltier besessen. Nicht einmal, als sie klein war. Natürlich hatte sie immer eines haben wollen, aber man hatte ihr nie eines gekauft. Wozu auch? Sie war ja keine geliebte Tochter gewesen. Nein, keine Tochter. Noch nicht einmal eine Verwandte. Einfach nur ein Stück Fleisch, das seine Funktion zu erfüllen hatte. Nicht mehr. Nicht, nachdem Gendo begriffen hatte, daß Rei seine Frau weder zurückholen noch ersetzen konnte. Jetzt besaß sie ein Kuscheltier. Ein sehr altes, abgegriffenes zwar, aber Rei ahnte, daß es Asuka sehr viel wert war, wenn es die weite Fahrt aus Deutschland hier her relativ unbeschadet überstanden hatte. Rei wollte sich umdrehen und den beiden danken, als sie die Veränderung in ihrer Schrankwand sah. Oder besser, in einem Fach. Es war bis eben noch leer gewesen und Rei glaubte, daß es wohl für ewig hätte leer bleiben sollen. Es war das Fach, in das normalerweise Bilder von Verwandten und Bekannten gestellt wurden. Shinji hatte ein Bild von seiner Mutter, das Hochzeitsphoto seiner Eltern und ein Photo von sich und seiner Tante dort stehen. Asuka hatte ein Bild von einem Hund, vermutlich ihrem Haustier in Deutschland, von einer alten Dame, vermutlich ihrer Großmutter und einer jungen Frau, die ein kleines Baby in den Armen wiegte. Vermutlich stellte dies Asukas Mutter mit ihr selbst als kleines Kind dar. Rei hatte nie solche Bilder besessen. Woher auch? Sie hatte doch nie Eltern oder irgend jemanden sonst gehabt, der sie geliebt hatte... Nun stand aber ein Bild in dem Fach. Es war in einen einfachen Holzrahmen gefaßt und zeigte drei Gestalten. Es zeigte Asuka, Shinji und sie beim letzten Essen mit Misato. Misato selbst hatte das Photo aufgenommen, auch wenn Asuka sich gesträubt hatte. Shinji hatte trotzdem ihren Arm gepackt und sie festgehalten, während Rei verständnislos in die Kamera geblinzelt hatte. Dennoch ist es ein sehr schönes Photo. Rei nahm es in ihre Hand und ließ es beinahe fallen, als sie den Zettel las, der daneben lag. Es war Shinjis Handschrift, dessen war sie sich sicher. Asukas seltsame Schriftzeichen waren öfters schwer entzifferbar. Shinjis Schrift dagegen war klar und deutlich. Der Kloß wurde noch größer in Reis Hals, als sie die drei Wörter las. Drei Wörter, die ihr bestätigten, daß sie nicht aus Mitleid oder Pflichtgefühl hier war. Sondern aus Freundschaft. >Willkommen daheim, Rei.< *** Kapitel 2: Freunde sind füreinander da "Und ihr zwei kommt sicher allein zurecht?" Shinji sah ein wenig zweifelnd drein, als er auf die Haltestation zusteuerte. Asuka kämpfte noch immer mit ihrer Krücke und Rei sicherlich mit Kopfschmerzen. Es war doch gerade erst gestern gewesen, daß sie aus dem Krankenhaus entlassen worden war. Aber daß sie einkaufen gehen mußten, das wußte Shinji. Die Leere in ihrem Kühlschrank hatte ihn am heutigen morgen überzeugt. Genauso wie das gierige Glitzern in Asukas Augen. Die letzten Wochen lang hatte sie keine Gelegenheit mehr zum Shoppen bekommen und Shinji wußte, wie gern die Deutsche einkaufen ging. Nicht nur Essen und Trinken, sondern auch andere Sachen, wie zum Beispiel Kleidung und Haarschmuck. Oder Parfüm. Normalerweise begleitete Shinji sie auch, besonders heute, da sie mehr humpelte denn ging, aber er konnte nicht. Sein Vater hatte ihn heute früh angerufen und zum Mittagessen eingeladen. Shinji wäre am Telefon fast in Ohnmacht gefallen, weil er erstens noch nie von seinem Vater angerufen und zweitens noch nie von ihm eingeladen worden war. Nun, Wunder geschahen immer wieder. Vielleicht wollte sein Vater wirklich all die Fehler gut machen, die er über die letzten zehn Jahre begangen hatte. So Schritt für Schritt. Gut, sie würden einander wohl niemals als Vater und Sohn begegnen, dafür war es schon zu spät. Aber vielleicht würde es ihnen ja gelingen, sich eines Tages als gute Freunde zu begegnen. Das war ein Ziel, für das es zu kämpfen lohnte. Fand Shinji. Fanden auch die anderen Mädchen und schickten ihn nun im frisch gewaschenem Hemd zum Bus. "Natürlich!" Asuka grinste entschlossen. Man sah ihr an, daß sie mit ihren Gedanken schon ganz weit weg war. Bestimmt in einer der Boutiquen, die trotz aller Kämpfe und aller Ausnahmezustände noch immer geöffnet hatten. Offensichtlich wollte ihn die junge Deutsche loswerden, wenn er ihre Taschen nicht schleppen würde. "Mach dir keine Gedanken, Shinji." Rei, die wie immer ihre Schuluniform trug, schob sich ein paar Strähnen ihres blauen Haares hinter die Ohren. Plötzlich wirkten die Haare wild und widerspenstig. Shinji war das noch nie vorher aufgefallen. "Viel Spaß mit deinem Vater." Aufmunternd sah sie ihn an und er fühlte sich auch gleich viel besser. Auch wenn die Aufregung noch immer blieb. Und die Angst, daß ihn sein Vater doch noch versetzen könnte. Wie er das schon so oft getan hatte. Aber bevor er noch etwas anderes sagen konnte, war der Bus auch schon gekommen und fuhr mit dem Jungen an Bord davon. Die beiden Mädchen blieben noch einige Momente stehen, bevor sich Asuka ihre Krücke unter den rechten Arm klemmte und in ihre Hände klatschte. "Weißt du die wahre Bedeutung des Wortes >Shopping<, Rei?" "Nein." Rei runzelte, denn sie war noch nie selbst einkaufen gewesen. Jedenfalls nicht mehr als ein Brötchen oder eine Flasche Mineralwasser. "Ich glaube nicht." Asukas Augen leuchteten, als sie Rei am Hemdsärmel packte und mit sich schleifte. Trotz ihres noch immer verletzten Beines hatte sie eine erstaunliche Kraft und einen unglaublich großen Willen. Rei war froh, sie so zu sehn. So gefiel sie ihr besser, als eingefallen in jenem Krankenbett... "Dann werd' ich dir mal den wahren Geist des Shoppings zeigen, Wondergirl." Asuka kicherte und war voll in ihrem Element. "Komm mit und genieße." *** Ihr erstes Ziel war der Supermarkt. Ihr Kühlschrank war so gefährlich leer, daß selbst Asuka es einsah, daß Lebensmittel wichtiger als Bekleidung und Parfüm waren. Sie hatten ja noch den halben Tag Zeit. Nichts überstürzen. Obwohl Asuka natürlich trotzdem in ihrem typischen Tempo durch die Regale raste. Rei hatte so ihre Schwierigkeiten, der jungen Deutschen zu folgen und fragte sich mehr als einmal, wie schnell das Mädchen wohl sein konnte, wenn das Bein nicht verletzt war. "Magst du Müsli?" Asuka reckte sich und hielt Rei gleich darauf eine bunte Verpackung unter die Nase. Die ehemalige Eva-Pilotin sah kurz darauf und runzelte. Sie hatte so etwas noch nie in ihrem Leben gesehen und wußte nicht, was sie antworten sollte. Asuka gab ihr gar nicht die Zeit, irgend eine peinliche Stille entstehen zu lassen, sondern warf die Verpackung in den Einkaufswagen. Shinji hatte ihr genügend Geld zur Nahrungssuche mitgegeben. Geld, das er von seinem Vater erhalten hatte. Also konnte sie sich endlich auch mal die Leckereien gönnen, die es in Misatos Haushalt nie gegeben hatte. Dafür würde Asuka kein Bier kaufen. Sie mochte den Geruch nicht und nie, niemals würde sie jemals etwas von dem ekeligen Gebräu kosten, das Misato getrunken hatte, wie andere Leute Limonade. "Du wirst es schon mögen." grinste sie und stieß einen leisen Schrei aus, als sie ihre Lieblingsschokolade entdeckte. Deutschlandimport. Sündhaft teuer. Aber das war sie sich wert. So gesellte sich auch noch eine kleine, violette Tafel neben das Müsli. "Es ist kein Fleisch drin, also müßtest du es mögen." Asuka kramte noch Brot, Brötchen und einige Instantsuppen heraus. Man sollte, wenn man neu mit einem Herd umging und die Mikrowelle noch nicht angeschlossen war, nicht übertreiben. Eine Nudel- oder eine Tomatensuppe konnte auch schmecken. Manchmal sogar besser, als angebratene Rindsrouladen oder zerkochter Fisch. Asuka mochte Reis. Sogar sehr. Aber all die komplizierten Zutaten, die Japaner dazu kochten, die waren ihr zu hoch. Entweder Shinji erlernte es, sie zuzubereiten oder ihre Mahlzeiten würden sich langsam, aber sicher in gutbürgerliche, deutsche Küche verwandeln. Dann würde wenigstens Asuka satt und zufrieden sein. Die junge Deutsche hangelte sich über die Tiefkühltruhe und holte etwas Wurst und Käse heraus und fuhr fröstelnd zusammen. Es war sehr warm draußen, aber hier an den Kühltruhen war es auf einmal unangenehm kalt. "Was ißt du eigentlich normalerweise?" fragte sie Rei, während sie nach dem Trinken Ausschau hielt. Saft und Mineralwasser klangen gut. Sie konnten die ganzen Taschen ja in einem Schrankfach auf dem Hauptmarkt verstauen und sie auf dem Heimweg wieder mitnehmen. Da mußten sie die ganzen Kilos, die normalerweise Shinji anvertraut worden wären, nicht mit sich herum schleppen. Rei, die gerade staunend eine Flasche mit Ketchup in den Händen hielt, zuckte nur mit ihren Schultern. "Schulessen." Sagte sie schließlich leise und sah sich Hilfe suchend um. "Ja, aber das kann doch keine Hauptnahrungsquelle sein." Asuka nahm ihr den Ketchup aus der Hand und er landete auf dem langsam anwachsenden Berg in ihrem Einkaufswagen. "Irgend etwas mußt du doch besonders gerne essen, oder?" Asuka strich etwas auf ihrer Liste durch und ging langsam an den Regalen entlang. Nicht, daß sie etwas vergessen hatte. Denn dann müßten sie morgen gleich wieder los und so verrückt auf den Supermarkt war Asuka nun auch wieder nicht. Es gab wesentlich schönere Orte in der Stadt. Und erst recht schönere Geschäfte. "Vielleicht das hier?" Rei hielt sich den Apfel an die Nase und sog tief Luft. Es roch gut. Es roch frisch. Nicht wie die Breie, die man ihr in den dunklen Räumen eingetrichtert hatte. Nicht wie das Essen, das sie in all den Krankenhäusern erhalten hatten. Diese Frucht war noch voller Leben. Nicht alt und schal. "Obst?" Asuka drehte sich um und ihr Gesicht erhellte sich. "Warum nicht? Äpfel sind lecker. Genauso wie Bananen, Birnen und Pfirsiche." Asuka schichtete all die lecker aussehenden Früchte in den Wagen. Vor dem Third Impact wäre es undenkbar gewesen, solch exotische Früchte wie Bananen oder Pfirsiche in einem normalen Supermarkt zu erhalten. Asuka kannte sie noch aus Deutschland her, wo ihre Großmutter sie immer auf diversen Schwarzmärkten für ihre kranke Tochter und ihre lebhafte Enkeltochter besorgt hatte. Aber seit dem Third Impact schienen die Supermärkte gerade zu überzuquellen. Es gab frische Früchte und auch das Angebot an frischem Fleisch war reichhaltiger. Und es war alles erschwinglich. "Obstsalat." Schwärmte Asuka und steuerte langsam Richtung Kasse. "Mit Nüssen und ein wenig Honig. Glaube mir, Rei, du wirst ihn geradezu lieben." Lieben? Ich? Rei blieb stehen und blickte verwirrt auf den vollen Wagen. Aber bevor sie noch eine weitere Gelegenheit hatte, über diese seltsamen Worte nachzudenken, packte sie wieder eine warme Hand und sie wurde mitgeschleift. Zwei Kochbücher, eines über japanische und eines über vegetarische Küche, wurden noch ganz oben drauf geschichtet und damit beendete Rei den ersten Einkauf in ihrem Leben. Und wohl zugleich auch den schwersten. Zumindest, was das Gewicht der vielen Taschen betraf. *** Leise grollte der Donner durch die dichten Wolken, die den Himmel mittlerweile vollständig bedeckten. Aber er hatte keine Chance gegen Asukas laute Stimme. Die junge Deutsche sprach ununterbrochen. Sie erzählte von ihrer Heimat, einem fernen Land, das Rei nur vom Hörsagen her kannte. Von alten Schlössern erzählte sie und von einer Lebensweise, die so ganz anders als die japanische war. Rei hatte nichts dagegen. Geduldig hörte sie der Rothaarigen zu, während sie tapfer an der schweren Tasche schleppte. Sie konnte es gar nicht fassen, daß sie das ganze Essen wirklich auf nur zwei Taschen hatten verteilen können. Genauso wenig wie sie es fassen konnte, daß Asuka noch so viel Energie hatte, um noch in diverse Kaufhäuser mit ihr zu gehen. Rei selbst war schon sehr erschöpft, aber sie würde nichts sagen. Es war das erste Mal, daß sie shoppen war. Und erst recht das erste Mal war sie mit jemanden zusammen, der, so hatte es den Anschein, auch mit ihr zusammen sein wollte. "... und ich hatte einen kleinen Hund, der..." Asuka redete wirklich ohne Punkt und Komma. Sie war so ganz anders, als sie sonst zu der Eva-Pilotin gewesen war. Normalerweise hatte sie Rei angeschrien, nie auch nur ein gutes Wort an ihr gelassen und sie immer so kalt angesehen. Nun aber funkelten ihre Augen, während die Rothaarige in Erinnerungen schwelgte, und ihre Stimme war zwar stetig, aber nicht unangenehm. Nicht laut. "Hattest Du jemals ein Haustier?" fragte Asuka so unvermittelt, daß Rei einige Momente brauchte, um zu begreifen, daß sie auch etwas sagen durfte. Daß sich jemand dafür interessierte, was sie zu sagen hatte. Ein Lächeln lag auf Asukas Lippen und sie wirkte gar nicht mehr so wie das arrogante, eingebildete, böse Mädchen aus Deutschland. Mit dem Rei gerne Freund gewesen wäre, es aber nicht sein konnte, wohl auch nicht durfte. Sie hatte gegen die Engel zu kämpfen, war nur für diesen Zweck geschaffen worden, nachdem sie Gendos Frau nicht hatte ersetzen können. "Nein." Sagte sie leise und sah sich staunend um. Sie war schon oft in der Innenstadt von Neo Tokyo gewesen, aber so hatte sie sie nicht in Erinnerung: So voller Licht, Farben und Leben. Ja, vieles hatte sich seit dem Third Impact geändert. Und das meiste wohl zum Guten hin. Die Läden waren plötzlich voll mit allerlei Waren, Leuchtreklame prangerte wieder von den hohen Häusern herab. Kein Fliegeralarm setzte die Bevölkerung in Angst und Schrecken, kein Engel zerstörte die eben erst erbauten Häuser. Nein, hier war es friedlich. Die Menschen um sie herum redeten fröhlich, lachten oder genossen einfach die neue Freiheit, die ihnen der Third Impact gebracht hatte. "Willst du nicht mal eins haben? Ein Haustier ist wirklich eine große Bereicherung." Meinte Asuka und schulterte erneut die schwere Tasche. Ein weiteres Mal fragte sie sich, warum sie nicht am Ende ihrer Shoppingtour hatten einkaufen gehen können, aber nun war es für solche Reue zu spät. Sie konnten die Taschen ja an der Information des jeweiligen Kaufhauses hinterlegen, so mußten sie sie beim Anprobieren von Kleidern nicht immer mit sich herum schleppen. "Ein Haustier?" Rei blinzelte verwirrt und sah hinüber zu einem kleinen Jungen, der mit einem Welpen spielte. Beide sahen so glücklich aus. Das kleine Tier liebte den Jungen sichtlich. Freudig winselte der Hund und sprang in offene Arme. Der kleine Junge lachte laut auf und diese Fröhlichkeit versetzte Rei einen leichten Stich. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie einmal so fröhlich gewesen war. Natürlich hatte sie auch ein Haustier haben wollen. Als sie noch ganz klein gewesen war. Aber es war ihr nicht erlaubt gewesen. Jemand, der mehr Zeit in Eva00 und im Krankenhaus verbrachte als daß er zu Hause war, der konnte sich doch nicht um ein Haustier kümmern. Natürlich hatte sie gehorcht und den Traum tief in sich begraben. Aber jetzt... jetzt könnte sie doch ein Haustier haben, oder? Jetzt müßte sie nicht mehr mit dem großen Roboter kämpfen. Jetzt müßte sie nicht mehr so oft ins Krankenhaus. Oder? Oder? "Vielleicht..." Ihre Stimme war kaum mehr ein Flüstern, aber Asuka hörte sie dennoch. Breit grinste sie und nickte zustimmend. "Na klar, das klingt super!" Sie ergriff Reis freie Hand und zerrte sie plötzlich über den halben Platz. "Wir können uns ja schon mal erkundigen und wenn wir genaue Vorstellungen haben, müssen wir nur noch Shinji so lange nerven, bis er es uns erlaubt." Sie lachte vergnügt, weil sie genau wußte, daß sie mit ihrer sturen Art so ziemlich alles erreichen konnte, was sie wollte. "Aber..." Reis Protest zeigte keinerlei Wirkung. Einige Minuten später stand sie inmitten eines Zoogeschäftes und hielt ein kleines, verängstigtes Meerschweinchen in ihren Händen. Mit ihren großen, blutroten Augen musterte sie es und zuckte leicht zusammen, als das Tier über ihren Arm krabbelte und langsam mutiger an ihrer Schuluniform zu knabbern begann. "Der Kleine sieht niedlich aus." Asuka hatte sich natürlich ein größeres Opfer herausgesucht. Der Hase strampelte mit seinen Hinterläufen, aber er konnte sich nicht aus Asukas Griff befreien. "Ich denke, das würde schon passen. In der Küche ist noch genug Platz für einen Käfig. Und warm ist es dort auch immer. Mit einem Kleintier muß man nicht gassi gehen und sie sind viel zutraulicher als Hunde oder Katzen." Der Hase strampelte noch mehr, aber Asuka schien es gar nicht zu bemerken. Ihre Krücke hatte sie an den großen Käfig, in dem noch mehr Tiere umhersprangen, gelehnt und streichelte nun den Hasen ausgiebig, der sich nur langsam beruhigen wollte. "Aber es bedeutet sehr viel Verantwortung." Rei machte ein ängstliches Gesicht, als das Meerschweinchen plötzlich auf ihrer Schulter saß. Es war komplett weiß mit roten Augen. Wie den ihrigen. Neugierig beschnüffelte es ihren Nacken und begann dann genüßlich, an ihren blauen Haaren zu knabbern. Es kitzelte und sie kicherte leise. Immer vorsichtig ihre Hände über das Tier haltend, damit es nicht plötzlich abstürzte und sich weh tat. Asuka sah auf und blickte für einen Moment auf die schüchtern lächelnde Rei, die so liebevoll mit dem kleinen Meerschweinchen umging. Genau diese Verantwortung hat Nerv uns gegenüber vernachlässigt. Für die waren wir nicht einmal so viel wert wie dieser Hase oder das weiße Meerschweinchen! Asuka seufzte unterdrückt. Sie wußte, daß all das jetzt vorbei war. Nie mehr müßten sie alles stehen und liegen lassen, wenn die Sirenen aufheulten. Nie mehr müßten sie in diesen riesigen Kampfrobotern sitzen und genau das tun, was von ihnen erwartet wurde, ebenfalls nur als Roboter angesehen. Nie mehr, ach, das klang so schön in ihren Ohren. Sofort verbesserte sich Asukas Laune wieder. Ja, fast alle aus der Nerv Zentrale haben uns als Menschen vergessen, wenn die Engel kamen. Was jedoch nicht heißt, daß wir es nicht besser machen können. "Für einige Augenblicke hatten wir die Verantwortung über die ganze Welt in unseren Händen, Rei. Ich denke, wir werden so ein kleines Wesen auch meistern." Asuka streichelte den Hasen, der sich mittlerweile an sie gekuschelt hatte, noch einmal über das struppige Fell und setzte ihn widerwillig wieder in den Käfig. Wo er sie verwundert ansah und dann so schnell wie der Blitz in ein Holzhäuschen flüchtete. "Wir können ja noch mal drüber nachdenken." Sagte die junge Deutsche und setzte das weiße Meerschwein, das sichtlich lieber bei Rei geblieben wäre, zu dem Hasen in den großen Käfig. "Aber ich finde, daß so ein kleines Tier perfekt in unsere Wohngemeinschaft passen würde." Rei widersprach Asuka dieses Mal nicht. *** Obwohl es erst früher Nachmittag war, bestimmte bereits Dämmerlicht die Straßen Neo Tokyos. Ein Sommergewitter kündigte sich an und die ersten Straßenlampen wurden angezündet. Noch war es sehr warm und Asuka schwitzte unter dem Gewicht, das sie einfach an ihre Krücke gehangen hatte. Um wenigstens eine Hand noch frei zu haben. Sie waren bereits in mehreren Boutiquen gewesen und es hatte sie all ihre Überredungskunst gekostet, Rei wenigstens von einem Sommerkleid zu überzeugen. Es war hellblau mit einem weiten, wallenden Rock. Sie sah einfach fabelhaft darin aus und Asuka hatte ihr angedroht, zwei Wochen nicht mehr mit ihr zu sprechen, wenn sie es denn nicht mitnahm. So schleppten sie noch ein paar Taschen mehr. Denn Asuka nutzte ebenfalls die Gelegenheit und kaufte sich einen neuen Badeanzug und ein neues Top. Es sollte noch ein warmer Sommer werden und sie wollte im Freibad eine möglichst gute Figur machen. Die anderen sollen vor Neid erblassen, wenn sie mich so sehen. Und Shinji soll der Mund offen stehen! Zufrieden grinste die junge Deutsche vor sich hin. Noch zwei weitere Kaufhäuser und ihre heutige Shoppingtour wäre beendet. Ach, das war so gut, endlich wieder mal so richtig Einkaufen gewesen zu sein! Wie lange hatte sie das nicht mehr tun können? Das letzte Mal wohl in Deutschland, um ein paar neue Sachen für das fremde Land mit dem Namen Japan zu haben. Hier in Neo Tokyo hatte sie noch nie so ausgiebig einkaufen gehen können. Immer war ein Alarm oder ein Trainingstest mit den Evas dazwischen gekommen. Sie durften ja nicht einmal auf den Schulausflug mit, für den Notfall, daß die Engel plötzlich angreifen könnten. Jetzt gab es keine Engel mehr, jetzt konnte sie wieder ihrer Leidenschaft frönen: Schöne Sachen kaufen, bis ihre Geldbörse qualmte und um Gnade winselte. "Jetzt brauchen wir nur noch..." Asukas Blick blieb an einem Objekt hängen und ihre Stimme verstummte, während ihre Schritte immer langsamer wurden. Ihre Augen weiteten sich und ungläubig schüttelte sie ihren Kopf. "Das ist ja Wahnsinn!" flüsterte sie benommen und setzte all die schweren Taschen auf den Boden ab. "Warte mal hier. Ich bin gleich wieder da!" sagte sie zu Rei und war auch schon in das Geschäft gehumpelt. Die junge Japanerin blieb zurück. Leicht runzelte sie ihre Stirn und betrachtete die hohen Bücherregale verwundert. Seit wann ist denn Asuka ein Büchernarr? Rei konnte sich nicht erinnern, die junge Deutsche je mit einem Buch in der Hand gesehen zu haben. Zumindest nicht mit einem anderen Buch als den vergilbten Heften, die sie immer in der Schule hatten lesen müssen. Die Rothaarige hatte Shinji immer ausgelacht, wenn er eines seiner Mangas gelesen hatte. Kinderkram hatte sie immer gesagt. Für sie waren doch eigentlich alle Bücher Kinderkram gewesen. Mist mit zu vielen Buchstaben. Nun aber war gerade dieses Mädchen, das mit Büchern kaum etwas anfangen konnte, mit leuchtenden Augen in ein Antiquariat gestürmt, als gäbe es nichts Interessanteres auf dieser Welt. Seltsam. Rei nahm all die Taschen und zerrte sie zur nächsten Bank hinüber. Im Moment saß dort nur eine alte Frau, die ein paar Tauben fütterte. Kurz grüßte sie Rei und vertiefte sich wieder in ihre Gedanken. Das Mädchen setzte sich und wartete geduldig auf die Rückkehr des Wildfangs. Für eine Weile starrte sie auf ihre Hände und erinnerte sich an das erst so ängstliche und dann so neugierige Meerschwein. Dann dachte sie an ihr eigenes Zimmer in dieser gemütlichen Wohnung. An das neue Leben, das sie jetzt führen würde. Nach dem Third Impact. Zusammen mit zwei Menschen, die sie offensichtlich mochten. Die ihre Freunde waren. Ich hatte noch nie Freunde. Aber jetzt hatte sie welche. Es war ein seltsames Gefühl, aber zugleich das beste, was sie je gefühlt hatte. Nein, sie war nicht mehr allein. Jetzt hatte sie zwei richtig gute Freunde. Shinji, der immer so nett zu ihr gewesen war, von Anfang an. Und Asuka, die äußerlich zwar ziemlich kratzbürstig sein konnte, war unter ihrer rauhen Schale ein liebenswerter Mensch. Man durfte es ihr nur nicht offen ins Gesicht sagen, sonst konnte sie ärgerlich reagieren, weil sie dann erröten mußte. Ja, beide sind meine guten Freunde. Rei lächelte vor sich hin und betrachtete die Vögel, die sich aufgeregt auf das zerkleinerte Brot stürzten. Eine halbe Stunde später begann es zu regnen. Die alte Frau erhob sich und ging eilig davon. Noch immer saß Rei auf der Bank und wartete geduldig. Die Tauben flogen davon, aber Rei blieb. Sie hätte weder gewußt, wie sie all die Taschen hätte davon tragen sollen noch wußte sie so richtig, wo sich der Gebäudekomplex befand, in dem sie nun wohnte. Sie kannte nicht viel von Neo Tokyo. Eigentlich nur den Weg zwischen Schule, ihrer alten Wohnung und der Nerv Zentrale. Die Innenstadt war ihr fremd. Bestimmt kommt Asuka gleich wieder. Bestimmt. Also blieb sie sitzen und wartete. Eine weitere Stunde lang. Im immer dichter werdenden Regen. Auf eine Asuka wartend, die nicht wieder kam. *** Gefesselt lehnte Asuka gegen ein Bücherregal, das um einiges größer als sie selbst war. Gefesselt von einem Buch. Ihre Augen leuchteten vor Begeisterung und ihre Wangen waren gerötet. Das gibt es doch nicht! Hier, im Herzen von Neo Tokyo, fand sie doch tatsächlich ein Geschäft, das deutsche Bücher verkaufte. Nicht irgendwelche deutschen Bücher, sondern Kinderbücher. Genau dieses Buch habe ich auch einmal besessen! Ihre Hände zitterten, als sie eine weitere Seite umblätterte und in Erinnerungen schwelgte. Genau so ein Buch! Mutti hat es mir immer vorgelesen. Immer und immer und immer wieder. Sie konnte es schon gar nicht mehr ersehen. Aber dennoch hat sie es immer wieder in ihre Hände genommen und es mir erneut vorgelesen, als ich damit kam. Ich wollte nie Märchen, nie irgendwelche Gutenachtgeschichten hören. Nein, es mußte immer dieses Buch sein. Tränen sammelten sich in ihren Augen und sie schluckte hart. Die Buchstaben verwischten und sie biß hart auf ihre Unterlippe, um nicht weinen zu müssen. Meine Mutti... Das war gewesen, bevor Asukas Mutter den Verstand verlor, in eine Klinik eingeliefert wurde und sich letzten Endes selbst umbrachte. Das war gewesen, bevor Asuka sie eines morgens fand, erhängt am obersten Balken, im Wind hin und her baumelnd. Das war gewesen, bevor sie nach Japan gegangen war, um mit ihrem roten EVA die Anerkennung zu finden, die man ihr daraufhin in Deutschland verwehrt hatte. Nicht erkennend, daß sie Anerkennung mit Liebe verwechselte... Mein Lieblingsbuch. Sie haben es hier. Es war ihr egal, welches Vermögen dieses Buch kosten würde, sie mußte es haben. Sie mußte es ganz einfach haben. Nach dem Tod ihrer Mutter war alles so hektisch gewesen, es war irgendwie verloren gegangen. Während sie bei ihrer Großmutter leben mußte und als EVA-Pilotin ausgewählt wurde, hatte sie es oft und stundenlang gesucht. Aber jedes Mal ohne Erfolg. Nun habe ich es wieder! Der Donner verebbte langsam und Regen prasselte an die Fensterscheibe neben ihr. Aber Asuka bemerkte es kaum. Sie war zu sehr in dem Bann ihrer Kindheitserinnerungen und dieses alten Buches gefangen. Jeglicher sonstiger Gedanke war aus ihrem Gehirn verbannt. Nichts existierte mehr für sie als dieses Buch und die alte Geschichte, die sich über all die vielen Jahre hinweg nicht verändert hatte. Ja, sie, Asuka, hatte sich so sehr verändert, aber dieses Buch, es war noch immer dasselbe. Noch immer erzählte es dieselben Taten, die ein so kleiner Held vollbrachte. Noch immer würde er siegen und erfolgreich in die offenen Arme seiner Familie zurückkehren. Noch immer würde es hier ein glückliches Ende geben. Noch immer. Auf ewig. Es ist gut zu wissen, daß sich manche Sachen nicht ändern. Nicht zum Positiven. Und erst recht nicht zum Negativen. Sie seufzte tief und hätte beinahe aufgeschrien, als sie jemand behutsam auf die Schulter tippte. Erschrocken fuhr sie herum und blickte in ein altes Gesicht. Der Verkäufer verbeugte sich kurz und deutete auf die Uhr, die am anderen Ende des Ladens an der Wand. "Gomen nasai, junge Dame. Aber wir schließen in fünf Minuten und daher bitte ich Sie, sich ein wenig zu beeilen." "Sie schließen schon?" Sie hob fragend ihre Augenbrauen und brauchte ein paar Augenblicke, um seine Worte zu verstehen. Sie sah zur Uhr hinauf und sprang schockiert ein paar Schritte zurück. "Es ist schon kurz vor sechs?" frage sie entgeistert und blickte zum Fenster hinaus. Tatsächlich, es war noch dunkler vor den großen Fensterscheiben. Und es regnete. Es regnet? Seit wann? Sie runzelte und ließ beinahe das kostbare Buch fallen. Wondergirl! Sie wird doch wohl nicht etwa noch da draußen sitzen? Nein, bestimmt hat sie sich in ein nahes Café verzogen oder ist noch mal zurück zur Zoohandlung gegangen. Sie mochte doch das Meerschweinchen so sehr! Asuka drückte dem Verkäufer das kostbare Buch in die Hand und humpelte so schnell wie möglich Richtung Tür. "Würden Sie das bitte für mich aufheben? Ich werde es Ende dieser Woche abholen." "Natürlich, junge Dame." Der Verkäufer blickte auf das Buch und verstaute es sorgfältig hinter dem Ladentisch. Es war in einer fremden Sprache geschrieben, obendrein noch ein Kinderbuch. Kaum jemand interessierte sich heutzutage noch für solche Bücher. Er konnte es guten Gewissen zurück legen. Er verbeugte sich noch einmal, um ihr einen guten Nachhauseweg zu wünschen, aber die Rothaarige war bereits verschwunden. *** Verdammt! Asuka wäre vor Schreck beinahe über ihre eigene Krücke gefallen, als sie das Mädchen auf der Bank sitzen saß. Inmitten des kalten Regens, der auf Neo Tokyo herab strömte wie eine Sintflut. Wondergirl! Rei hielt den Blick auf ihre Schuhe gerichtet und schien über etwas nachzudenken. Sie hatte ihre Arme um ihren zitternden Körper geschlungen und fror sichtlich. Ihre blauen Haare hingen naß in ihr Gesicht und ihre Schuluniform war sicherlich bis auf die Knochen durchweicht. "Wondergirl!" Asuka rutschte über den Fußweg und war sofort neben der junge Japanerin. "Warum bist Du denn nicht in irgendein anderes Geschäft gegangen?" Die junge Deutsche fühlte sich elend, als Rei ihren Kopf hob und sie stumm mit ihren dunkelroten Augen anschaute. Ihre bleichen Wangen waren leicht gerötet und verwirrt sah sie Asuka an. Als wäre ihr dieser Gedanke nie gekommen. "Hast Du etwa die ganze Zeit hier gesessen?" Rei nickte leicht und Asuka schalt sich selbst für ihre Unachtsamkeit. Ich hab' in dem doofen Buch geblättert und dabei Wondergirl vergessen. Wie konnte ich nur! Vor noch einem halben Jahr hätte Asuka jede Schuld von sich gewiesen. Lautstark hätte sie auf Rei eingeschimpft, daß man nicht so blöd war und im Regen sitzen blieb. Daß man sich einen anderen Laden suchte, wo man vor dem kalten Regen Unterschlupf fand. Daß man ihr auch hätte hinter her gehen und sie aus dem Buchgeschäft herausziehen können. Daß Rei selbst dran schuld war, weil sie alt genug war, um zu bemerken, was ihr schadete. Ja, vor nicht all zu langer Zeit hätte Asuka all das einer verwirrt dreinschauenden Rei ins Gesicht geschrien und wäre beleidigt von dannen gezogen. Mit einem reinen Gewissen. Aber die Zeiten hatten sich geändert. Asuka hatte sich geändert. Sie wußte viel mehr über Rei als damals. Sie wußte, daß Rei nie gelernt hatte, auf sich acht zu geben. Die junge Pilotin von EVA00 wußte nicht, was ihr schadete. Ein Befehl war ein Befehl für sie. Wenn ihr jemand sagte, daß sie warten solle, dann wartete sie. Auch wenn in der Zwischenzeit das Zimmer um sie herum in Flammen auf ging. Vor einigen Monaten, vielleicht sogar Wochen wäre Asuka sofort in die Luft gegangen. Vor Wut und Empörung. Nun war sie aber nur besorgt. Um Rei, die nicht länger ihre größte Rivalin, sondern nun eine ihrer besten Freunde war. "Verdammt, Wondergirl." Flüsterte sie und es klang fast wie ein Schluchzen. Sie ergriff einen Großteil der Tüten und schlitterte über einige Pflastersteine, um die Balance zu halten. "Das wollte ich nicht. Ich wollte dich wirklich nicht vergessen." Sie schluckte und blickte sich hilfesuchend um. Aber es war niemand anwesend, der ihnen hätte helfen können. Und es war noch ein furchtbar weiter Weg. Mit all dem Essen und den neuen Kleidungsstücken. Und den Kochbüchern. Rei sagte nichts. Sie nahm nur ihre Taschen wieder auf. Aber an ihrem wankenden Gang erkannte Asuka, daß es der jungen Japanerin nicht so gut ging. Sie muß jetzt schleunigst nach Hause und unter die heiße Dusche! Entschlossen humpelte die Rothaarige zur Straße und begann fürchterlich laut zu fluchen, als ein Taxi sie übersah und über und über mit schmutzigem Regenwasser voll spritzte. *** Asuka wußte nicht, wie sie es zurück in die Wohnung geschafft hatten. Irgendwann hatte sie ein Taxi erwischt. Irgendwann, als sie die Hälfte des Weges bereits hinter sich hatten. Im Schneckentempo. Die schweren Taschen vor sich hin schiebend, dem kalten Regen trotzend und Asuka unentwegt über das blöde Wetter schimpfend. Der Taxifahrer war sogar so nett gewesen und hatte ihnen die Taschen bis zum Lift getragen. Vom Lift bis zur Wohnung war es gar nicht mal so weit gewesen. Nun stellte Asuka überall in der Wohnung die Heizung auf die höchste Stufe. Shinjis Vater zahlte die Miete und die Nebenkosten, sollte er sich doch über die hohen Stromkosten aufregen. Sie fror nun ebenfalls in ihrem feuchten Sommerkleid und wollte auf gar keinen Fall krank werden. Bald waren die Ferien vorbei und sie wollte auf gar keinen Fall mit einer laufenden Nase und einem dicken Schal in ihrer Klasse auftauchen. Nein, sie wollte damit nicht zum Gespött der anderen Jungen werden, die jede Gelegenheit nutzten, um sie zu ärgern. "Alles okay?" Asuka kam in Reis Zimmer und drehte auch dort die Heizung ganz herauf. Die junge Japanerin nickte nur leicht mit dem Kopf und setzte sich benommen auf ihr Bett. Wo sie sofort ihre Bettdecke beschmutzte. "Wondergirl?" Die junge Deutsche kam zu ihr herüber und kniete sich mit Schmerz verzerrtem Gesicht vor ihr auf den weichen Teppich. Sie haßte die Verletzung ihres Beines. Aber sie würde nicht klein bei geben und sich von dieser dummen Verletzung beeindrucken lassen. Besorgt sah sie in Reis Gesicht, das leicht errötet war. Aber es war kein Sonnenbrand. Auch schien sich die junge Japanerin nicht wegen irgend etwas zu schämen. Als Asuka vorsichtig ihre Hand auf Reis Stirn legte, wußte sie, daß diese Fieber hatte. Verdammt! Das ist alles meine Schuld! "Erst mal steck ich dich in die Badewanne!" meinte Asuka entschieden und ergriff Reis Hände. Ohne auf ihren Protest zu achten, zog sie die junge Japanerin in das kleine Badezimmer. Gut, die Badewanne war nicht besonders groß, aber sie würde ausreichen. In diesem Gebäudekomplex gab es immer warmes Wasser und bald war die Badewanne mit warmen Wasser und viel Schaum gefüllt. "Mir geht es gut." Meinte Rei und wollte wieder flüchten, aber Asuka ließ sie nicht. "Du hast über zwei Stunden im eiskalten Regen gesessen, Wondergirl! Du siehst aus wie ein erfrorenes Hühnchen. Du gehst jetzt in die Wanne, oder ich werde ganz furchtbar wütend!" Asuka stemmte beide Hände in die Hüfte und mißachtete erneut ihr schmerzendes Bein. Rei sah sie kurz an und seufzte dann ergeben. Es war sinnlos, mit der jungen Deutschen zu diskutieren. Jeder, der es versuchte, begriff rasch, daß er nur den Kürzeren ziehen konnte. "Na gut." Sie hob ihre schmerzenden Arme und entledigte sich der klatschnassen Schuluniform. Natürlich fror sie ungemein, aber sie wollte nicht baden. Sie war müde und wollte einfach nur ins Bett. Unter den gemütlichen Decken würde ihr schon warm werden. Ein wenig von ihrer Medizin und morgen würde es ihr wieder besser gehen. So wie immer. Sie hatte schon so viele Unfälle überstanden, schon so viele Fieberattacken überlebt, diese hier war nur eine Kleinigkeit verglichen zu all den Nächten, die sie in Krankenhäusern hatte verbringen müssen. Aber Asukas Blick sagte ihr, daß sie besser gehorchte. Wollte sie denn heute wirklich noch Ruhe finden. Gerade als sie den Rock über ihre zitternden Beine streifte, begann sich die Welt um sie zu drehen. Sie wollte dem Schwindelgefühl widerstehen, aber es erwies sich als stärker und so klappte sie nach vorne. Noch immer den Rock festhaltend. Für einen Moment glaubte sie bereits, die kalten Fliesen zu spüren, aber da hatten sie bereits zwei Arme gepackt und festgehalten. "Hey, was machst du denn für Sachen?" fragte Asuka erschrocken und ihre laute Stimme klingelte in Reis Ohren. "Schön wach bleiben, hörst du?" "Mir fehlt nichts." Verteidigte sich Rei schwach, aber Asukas ärgerliches Schnauben sagte ihr, daß ihr die junge Deutsche kein Wort glaubte. Einige Augenblicke später lag ihre restliche Kleidung auf dem Boden und sie wurde vorsichtig in die Badewanne geführt. "Aber..." "Vergiß diese blöde Tradition. Du kippst mir doch in der Dusche um!" erwiderte Asuka energisch und schluckte. Rei zitterte wie Espenlaub. Sie hatte der Rothaarigen einen mörderischen Schrecken eingejagt, als sie plötzlich, ohne Vorwarnung, nach vorne kippte und ohnmächtig zu werden drohte. Sie ist krank und das ist ganz allein meine Schuld! Asuka betrachtete kurz Reis dürren, mit einigen Narben versehen Körper, bevor die junge Japanerin ins warme Wasser tauchte und zufrieden aufseufzte. Müde schloß sie ihre Augen und schien die Wärme, die nun ihren eiskalten Körper umgab, offen zu genießen. Du hast gewußt, daß sie nicht so ist wie normale Mädchen! Du hast gewußt, daß sie dort sitzen bleibt, wenn du es ihr sagst! Du hast gewußt, daß sie nicht einfach so weg geht und sich Unterschlupf suchst. Es war unverantwortlich von dir, sie einfach dort stehen zu lassen! Verdammt! Sie seufzte tief und setzte sich neben die Badewanne auf einen kleinen Hocker. Erneut schmerzte ihr Bein, aber sie ignorierte es. Rei ging es wegen ihr nicht gut, also brauchte sie erst gar nicht wehleidig auf ihre Schmerzen hinweisen. Rei bewegte ein wenig ihre schmerzenden Arme und seufzte wohlig, als wieder ein wenig Gefühl in ihre kalten Glieder zurück kehrte. Eigentlich hätte sie entsetzt drüber sein müssen, daß all das Wasser nun an sie vergeudet wurde. Normalerweise wurde vorneweg geduscht, um sich zu reinigen und anschließend gebadet, um sich zu entspannen. Nun aber verunreinigte sie das Wasser - und es war ihr vollkommen egal. Ihr Körper war träge und ihre Gedanken zäh. Müde glitt sie noch ein wenig tiefer in das warme Wasser und ließ sich von ihm treiben. Ich bin hier zu Hause. In ihrer alten Wohnung hatte sie nicht so eine luxuriöse Badewanne besessen. Nein, dort hatte sie nur eine kleine Dusche gehabt. Und meistens nicht einmal warmes Wasser. "Gomen nasai, Wondergirl." Müde öffnete sie ihre Augen, als sie den alten Spitznamen hörte. Asuka hatte irgendwann angefangen, sie so zu nennen, wenn sie wütend auf sie war. Sie, das Wundermädchen, das immer alles besser gekonnt hatte, als das Genie aus Deutschland. Ihre Snychronwerte waren meist höher gewesen, ihre Angriffe präziser und ihre Kampfbereitschaft um einiges höher. Aber das war ja auch kein Wunder gewesen. Rei war ein Klon, nur für diesen Zweck geschaffen. Asuka hingegen wurden diese Fähigkeiten antrainiert. Sie hatte nie besser sein können, das war Asuka während des Third Impacts klar geworden. Aber bis dahin war sie im Ehrgeiz und im Neid fast unter gegangen. Zornig hatte sie das blasse Mädchen dann immer Wondergirl geschimpft. Nun aber sah Asuka gar nicht wütend aus. Nicht einmal ärgerlich. Tränen schimmerten in blauen Augen und sie sah betreten auf den weichen Vorleger herab. "Gomen nasai. Es war unverantwortlich, dich dort einfach stehen zu lassen. Mit all den Taschen." Asuka errötete noch stärker und Rei ahnte, daß es eine große Überwindung für die junge Deutsche war, sich zu entschuldigen. Sich bei IHR zu entschuldigen, die sie einmal als ihre größte Rivalin angesehen hatte. Als ihre größte Feindin neben den Engeln. Sie weint? Rei blinzelte verwirrt. Wegen mir? "Ich wollte einfach nur shoppen gehen, und nicht so eine Katastrophe verursachen." "Aber es ist doch keine Katastrophe." Rei unterließ es, ihren Kopf zu schütteln. Dieser tat schon weh genug. Statt dessen hob sie eine mit Seifenschaum bedeckte Hand aus der Badewanne und deutete auf Asukas völlig verdrecktes Sommerkleid. "Außerdem siehst du keinen Deut besser aus." Asuka senkte den Kopf und schien erst jetzt zu bemerken, wie verwüstet sie tatsächlich aussah. *** Es war kurz nach zehn Uhr abends. Asuka saß auf einer Kante ihres Bettes und schaute besorgt auf das erhitzte Gesicht der jungen Japanerin hinunter. Sie hatte Rei nach dem Baden in einen warmen Schlafanzug, den sie sich aus Shinjis Schrank geklaut hatte, gesteckt und in ihr Bett gelegt. Rei hatte ihre eigene Bettdecke dreckig gemacht. Darum würde sich Asuka dann morgen früh kümmern. Rei hatte schwach protestiert, aber Asuka war natürlich nicht darauf eingegangen. Ihre Medizin und eine Banane hatte sie der ehemaligen Pilotin von EVA00 noch einflößen können. Danach war Rei in einen unruhigen Schlaf gefallen. Und jedes Mal, wenn Asuka die Temperatur maß, war das Fieber wieder um einige Striche auf dem Thermometer gestiegen. Verdammte Scheiße! Verdammte Scheiße! Verdammte Scheiße!!! Sie fluchte unentwegt, um sich selbst ein wenig abzureagieren. Aber richtig funktionierte es nicht. Ganz im Gegenteil. Entnervt blickte sie auf ihr Handy, nur um zu sehen, daß sich bei Misato wieder nur der Anrufbeantworter einschaltete und Shinjis Handy tot blieb. Wo sind sie alle nur? Sie war sogar zu Misatos Wohnung gelaufen und hatte wütend an die Tür gehämmert, bis sie einige Nachbarn entnervt angefahren hatten. Beinahe hätte sie sich mit einem sechzigjährigen Opa, wie sie ihn böse genannt hatte, geprügelt, aber dessen Frau hatte ihn noch rechtzeitig in die Wohnung zurück ziehen und somit Schlimmeres verhindern können. Asuka hatte sich für einige Momente wie der Sieger gefühlt, um gleich darauf wieder wie ein kleines Häufchen Elend dazustehen. Denn Misato war nicht da, die Tür blieb verschlossen. Egal, wie oft und wie hart sie auch gegen die Tür hämmern würde. Natürlich hatte jeder ein Recht auf ein Privatleben und natürlich konnte jeder ausgehen, wann und mit wem er wollte. Aber warum ausgerechnet heute abend? Warum ausgerechnet dann, wenn Rei hohes Fieber hatte und Asuka keine Ahnung, wie sie es senken könnte? Ich hab' nicht mal die Nummer vom Notarzt! Sie hatte versucht, die Auskunft anzurufen, aber dort hatte man sie nur in eine endlose Warteschleife geschoben und nach fünf Anrufen und weit über eine halben Stunde grausamster Computermusik hatte sie entnervt aufgegeben. Warum muß ausgerechnet heute Shinji mit seinem Vater unterwegs sein? Zweiundzwanzig Uhr! So lange können sich die beiden doch gar nicht zusammen setzen, ohne daß es Tote gibt! Warum kann er denn nicht bald heim kommen? Warum?!? Asuka sah zur Tür hinüber und die Verzweiflung wuchs in ihr. Noch vor einigen Wochen hätte sie das alles für eine Intrige von der bleichen Japanerin abgetan und wäre in ihr Zimmer gegangen, um dort die halbe Nacht zu schmollen. Daß Wondergirl immer mehr Aufmerksamkeit bekam als sie. Heute jedoch war es anders. Heute fühlte sie sich verantwortlich und wußte, daß niemand freiwillig hohes Fieber hatte. Heute wollte sie sogar helfen... Sind das die Folgen des Third Impact? Sie wußte es nicht. Es war ihr auch egal. Sie wollte nur endlich wissen, was sie gegen das hohe Fieber tun konnte! Rei murmelte etwas im Schlaf und warf sich von einer Seite auf die andere. Asuka konnte sie nicht verstehen, aber sie brauchte kein Thermometer, um zu wissen, daß das Fieber weiter gestiegen war. Reis Stirn glühte förmlich. Scheiße! Die Deutsche erhob sich und kehrte wenig später mit einer Schüssel voll Wasser zurück. Darin schwammen einige Eiswürfel, die sie aus dem Eisfach ihres Kühlschranks abgehackt hatte. Vorsichtig tunkte sie einen sauberen Waschlappen in das kalte Naß und legte ihn auf Reis glühende Stirn. Welche Medizin könnte ich ihr geben? Sie kehrte zurück in die Küche und durchwühlte den kleinen Medizinschrank, den Shinji dort angebracht hatte. Er war voller Verbandszeug, Pflastern und Gummihandschuhen. Aber wirklich brauchbare Sachen, so wie Fieber senkende Medizin, fand sie nicht darin. Aspirin? Sie runzelte ihre Stirn und warf ihren Pferdeschwanz zurück auf ihren Rücken, als die rote Haarpracht über ihre Schultern fiel. Sie trug eines ihrer Nachthemden und schwitze ein wenig darin. Nachdem sie Rei ins Bett gesteckt hatte, hatte sie auch noch kurz in dem Wasser gebadet und sich umgezogen. Der Regen hatte in der Zwischenzeit aufgehört, aber er hatte wenig Kühlung mit sich gebracht. Rasch nachdem die letzten Tropfen verklungen waren, kehrte die alte Hitze zurück. Sogar jetzt, da es Nacht war. Aber Asuka getraute sich nicht, das Fenster in ihrem Zimmer zu öffnen. Nicht, daß Zug entstand und sich Rei noch mehr erkältete. Hilft Aspirin auch gegen Fieber? Asuka schnaufte entnervt und knallte die Tür des Medizinschrankes wieder zu. Ihre Fäuste waren geballt und sie war unerträglich wütend - auf sich selbst. Warum hatte sie auch nie im Unterricht aufgepaßt? Warum hatte sie den erste-Hilfe-Kurs auch geschwänzt? Warum hatte sie sich immer auf die Fähigkeiten erfahrender Ärzte verlassen und nie gelernt, was man gegen Fieber tat? Ich kann nur, was das Fernsehen zeigt. Und die Serien dort sind bestimmt nur erstunken und erlogen! Sie knallte ihre Fäuste zornig auf die Platte des Küchentisches und verfluchte sich selbst. Hätte sie nur besser aufgepaßt! In allem! Mit Rei, die sie einfach so stehen ließ, obwohl es nach Regen aussah und obwohl sie wußte, daß Rei niemals weggegangen wäre. Mit der Schule und den Kursen. Mit ihrer Mutter, die mehrfach angedroht hatte, sich umzubringen. Gut, sie war damals noch ganz klein gewesen, aber sie hätte es wissen müssen. Es war doch schließlich ihre Mutter gewesen! Scheiße! Scheiße! Verdammt... Tränen liefen über ihre Wangen, tropften heiß auf ihre geballten Fäuste. Kann ich denn nie etwas richtig machen? In dem Moment wurde ein Schlüssel ins Schloß geschoben und die Wohnungstür ging auf. *** Es war ein unglaublich guter Tag für Shinji gewesen. Sein Vater hatte ihn das erste Mal seit er sich erinnern konnte, wie einen Sohn behandelt. Gut, man konnte nicht behaupten, daß sie jetzt viel gelacht und viel Spaß miteinander gehabt hatten, das bräuchte wohl einfach noch Zeit. Aber sie hatten sich so gut unterhalten, wie noch nie. Viel hatten sie gesprochen. Über die Kämpfe mit den Engeln, über die Zukunft und, was Shinji wirklich erstaunte, über seine verstorbene Mutter. In ein teures Restaurant waren sie gegangen und sein Vater hatte sich nicht einmal aufgeregt, als er ganz gewöhnlichen Reis mit Hühnchen bestellte und Hummer und Kaviar links liegen ließ. Was wollte er mit diesem feinen Essen, wenn es ihm nicht schmeckte? Nun war er zufrieden und voll. So richtig satt. Ja, es war ein gelungener Tag gewesen. Und er hatte vor, sofern es die Zeit seines Vater zu ließ, solche Tage öfters zu erleben. Vielleicht würden sie sich nie vollkommen verstehen, aber sie konnten ihre Vater-Sohn-Beziehung noch retten. Noch war es nicht zu spät. Und Shinji hatte vor, seinem Vater all die ganzen Jahre zu vergeben, wenn er sich jetzt änderte und ihm nun, nach über vierzehn Jahren, zeigte, daß er sein Sohn war. Daß er ihn liebte. Leise öffnete er die Tür. Es war schon nach zehn Uhr und er erwartete, daß die Mädchen schon im Bett lagen und schliefen. Er wollte eigentlich nur noch duschen und ins Bett. Morgen könnte er sich mit Asuka und Rei über den gelungenen Besuch bei seinem Vater unterhalten. Und fragen, was die beiden alles gekauft hatten. Aber so weit kam er gar nicht. Schon auf halben Wege zu seinem Zimmer wurde er abgefangen. Es war Asuka. Sie sah sehr verzweifelt aus. Ihre Augen waren rot und verquollen und obwohl Shinji niemals gefragt hätte, wußte er doch, daß die junge Deutsche geweint hatte. "Asuka?" fragte er verwirrt, wurde jedoch sofort von ihr in die Küche gezerrt, wo sie auf den Medizinschrank zeigte. "Was für einen Scheiß hast du da gekauft?" brachte sie mit geballten Fäusten hervor. "Wondergirl hat Fieber und ich finde da drin nichts, um es zu senken! Verdammt, du hast ein Handy, warum hast du es dann nicht eingeschaltet? Ich hab' die letzten Stunden tausend Mal versucht, dich zu erreichen. Misato ist auch nicht da und bei der Vermittlung geht keiner rann! Ich kenn' doch hier keinen Arzt, den ich verständigen könnte!" rief sie aufgebracht und sah für einen Moment so aus wie die Asuka, die er kennen gelernt hatte. Die immer wütende Deutsche, die zu jeder Zeit Recht hatte und alle anderen herum kommandieren mußte. Aber zugleich sah sie komplett anders aus. Tränen schimmerten in ihren Augen und flehend blickte sie Shinji an. "Rei hat Fieber?" fragte er und sah kurz in den Medizinschrank. Er holte eine kleine Packung hervor, aber bevor er den Beipackzettel hatte durchlesen können, wurde er erneut von Asuka davon gezerrt. Dieses Mal in ihr Zimmer. Er wollte gerade fragen, was er hier sollte, als er Rei im Licht der kleinen Nachttischlampe im Bett der jungen Deutschen liegen sah. Vor gerade mal einem Monat hätte sie Rei dafür getötet in ihren Lacken zu liegen. Shinji hob fragend seine Augenbrauen, als er seinen Schlafanzug sah, sagte aber nichts. Statt dessen setzte er sich auf die Bettkante und befühlte vorsichtig Reis Stirn. Sie war glühend heiß. Müde öffnete die Japanerin ihre Augen und blinzelte ihn erschöpft an. "Wie fühlst du dich?" fragte er leise und strich einige Strähnen verschwitzten Haares aus ihrer Stirn. Sie hustete und fuhr fröstelnd zusammen. Dann lächelte sie schwach. "Heiß." "Du hast hohes Fieber." "Das hatte ich schon oft." Sie wollte ihre Augen wieder schließen, aber Shinji ließ nicht zu, daß sie wieder einschlief. Er hielt ihr die Packung vor die Nase und sie hatte erst einige Schwierigkeiten, die Zeichen darauf zu entziffern. "Hast du das schon mal genommen?" "Hai." "Hat es gewirkt?" "Hai. Ein wenig." "Gut." Shinji wies Asuka, die sich hart gegen den Türrahmen lehnte, an, ihm ein Glas Wasser zu holen. In diesem lösten er die Tablette auf und half Rei sich aufzurichten. Langsam ließ er sie trinken und deckte sie behutsam zu, als sie wieder in das weiche Kissen sank. Dann taucht er den Waschlappen erneut in das kalte Wasser und legte ihn auf Reis heiße Stirn. "Das Fieber senkende Mittel müßte ausreichen." Shinji sah zu Asuka hinüber, die selbst mehr aussah wie ein Geist und lächelte aufmunternd. "Ich war als kleiner Junge oft krank, weil ich mir nie die Jacke zumachen wollte. Das Zeug hier durfte ich dann auch immer schlucken und meine Tante hat mich furchtbar ausgeschimpft." Er zuckte mit den Schultern und stand auf, um seine Sachen in sein Zimmer zu schaffen und sich seinen Trainingsanzug über zu streifen. Es sah so aus, als würde es eine lange Nacht werden. "Was ist passiert?" frage er, als er einige Minuten später in Asukas Zimmer zurück kehrte. Die junge Deutsche saß nun auf weichen Kissen vor dem Bett und wechselte erneut den Waschlappen. "Wir waren einkaufen und ich hab' ein altes, deutsches Buch im Schaufenster gesehen. Ich hab' ihr gesagt, daß sie kurz warten soll und bin in den Laden gegangen, um mir das Buch anzuschauen. Da drüber hab' ich die Zeit total vergessen." Seufzte Asuka leise und fuhr sich über die müden Augen. Shinji sah kurz zu der schlafenden Rei und konnte sich den Rest der Geschichte schon vorstellen. Ja, dafür kannte er die beiden Mädchen mittlerweile gut genug. "Und Rei hat natürlich gewartet." "Ja. Mitten im strömenden Regen. Zwei Stunden lang!" Asukas Stimme klang gepreßt und sie holte tief Luft. Es klang ein wenig weinerlich. "Ich hab sie gleich in die warme Badewanne gesteckt, aber viel hat es wohl nicht geholfen." "Ich denke doch." Shinji streckte seine Beine aus und lehnte sich gegen den Bettrahmen. Asuka gab nicht laut zu, daß sie sich dafür verantwortlich fühlte, aber ihre Mimik verriet sie. Es war das erste Mal, daß Shinji sie so schuldbewußt sah. So besorgt. Und dazu noch über Rei, die sie früher immer so abfällig Wondergirl genannt hatte und keine Gelegenheit ausließ, um sich über sie aufzuregen. "Es ist nur eine Erkältung. Ich bin mir sicher, daß Rei morgen schon wieder gesund sein wird." Shinji streckte zögerlich seine rechte Hand aus und strich beruhigend durch Asukas feuerrote Haare. "Du mußt einfach das nächste Mal ein wenig besser aufpassen, Asuka. Rei ist nicht so wie andere Mädchen, sie hat noch viel zu lernen, was für uns schon selbstverständlich ist." "Ich weiß." Murmelte Asuka und gähnte. Sie schien genauso erschöpft zu sein wie Rei. Ihr Körper zitterte leicht und sie hatte ihre Arme um ihren Körper geschlungen. "Wenn Frauen shoppen gehen." Kicherte Shinji und holte eine Decke aus dem Schrank, um sie um Asukas Schultern zu legen. "Hast du wenigstens das Buch mitgenommen?" "Nein." Antwortete Asuka und mußte nun auch grinsen, obgleich es sehr müde wirkte. "Ich hab' es liegen gelassen." "Na, ihr seid mir schon zwei." Shinji dämmte das Licht auf dem Flur und setzte sich wieder auf die Kante des Bettes, um auf seine zwei besten Freunde aufzupassen. *** Es war kurz nach Mitternacht, als die Tür geöffnet wurde und das Licht eingeschaltet wurde. Asuka, die vor dem Bett auf mehreren weichen Kissen lag, murmelte genervt etwas in ihrer Muttersprache und zog sich die Decke über ihren Kopf. Shinji hob den Blick, während Rei weiter schlief. Das Mädchen lag in seinen Armen und hatte sich endlich wieder beruhigt. Alpträume hatten sie geplagt und sie hatte leise im Schlaf geweint. Shinji wußte sich nicht anders zu helfen, als sie in seine Arme zu nehmen und sie zu wiegen, als sei sie ein kleines Kind. Langsam hatte sie sich wieder beruhigt und dann wieder ruhiger geschlafen. Die Medizin begann zu wirken und mit jeder Stunde, die verging, sank das Fieber merklich. "Was ist los?" Misato stand im Zimmer und sah für einen Moment verwirrt auf das Bild, das sich ihr da bot. Es war seltsam, daß sie alle drei ehemalige Children in einem Zimmer an traf. Daß Asuka niemandem an die Gurgel ging, weil sie sich in ihrer Privatsphäre gestört fühlte. Daß Shinji nicht seinen Discman quälte und genervt die Decke hypnotisierte. Daß Rei nicht wie sonst gefühllos dreinblickte, sondern lächelte, auch wenn es nur in ihren Träumen war. Es hat sich wirklich sehr viel verändert seit dem Third Impact. Misato strich ihre Haare hinter ihre Ohren und dachte grinsend an die Person, die in ihrer Wohnung auf sie wartete. Ja, vieles hatte sich geändert. Und vieles versprach einen guten Neuanfang. "Asuka hat mir so unverständliches Zeugs auf den Anrufbeantworter gesprochen. Vermutlich in Deutsch. Ich bin sofort hergekommen." "Rei hat sich heute im Regen erkältet und Fieber bekommen." Erklärte Shinji leise und deutete ihr, das Licht wieder zu löschen. Die Nachttischlampe reichte ihm aus. "Da hat Asuka wohl Panik bekommen und keiner war erreichbar. Du kennst sie doch. Dann muß sie eben mal richtig fluchen, auch wenn's nur ein Anrufbeantworter ist." Misato nickte und stieg vorsichtig über Asuka hinweg, um Reis Stirn zu befühlen. Sie war warm, aber nicht so heiß, wie sie es befürchtet hatte. "Einen Arzt scheint nicht mehr vonnöten zu sein." Überlegte sie flüsternd und sah sich kurz in dem kleinen Zimmer um. "Gemütlich habt ihr es euch eingerichtet." "Das ist Asukas Zimmer." Versuchte Shinji, die romantischen Poster an den Wänden zu erklären. Er war immerhin ein Junge und bei ihm thronten Rockstars an den Wänden, keine Delphine im schillernden Wasser. "Das habe ich mir schon fast gedacht." Lächelte Misato. "Was hälst du davon, wenn ich morgen abend vorbei komme und ihr zeigt mir eure Wohnung? Ich bringe als Gegenleitung auch was Leckeres zu essen mit." "Denk dran, Rei ist Vegetarierin." "Also kein Steak." Misato sah für einen Moment enttäuscht aus, dann hellte sich ihre Miene wieder auf. "Ach, ich lasse mir einfach was einfallen." Sie erhob sich und streckte ihre ebenfalls müden Glieder. Sie war den halben Abend in einer Disco gewesen und hatte getanzt. Nun schien sie ihr Körper daran zu erinnern, daß sie keine siebzehn mehr war, sondern schon ein paar Jährchen mehr auf den Buckel hatte. Nun, ihr Schatz würde ihr sicherlich den Rücken massieren, wenn sie ihn nur liebevoll genug anbettelte. Sie grinste zufrieden und sah noch einmal auf ihre Schützlinge herab. "Braucht ihr noch etwas?" Shinji schüttelte seinen Kopf und erwiderte ihr Grinsen. "Geh' nur. Ich denke, wir haben hier alles im Griff." "Ok. Aber wenn irgendwas ist, ruft mich an, ja? Ich bin dann sofort da." Shinji nickte und sah ihr hinter her. Der jungen Frau, die, soweit es ihre Arbeit und ihre Verantwortung als Kommandeur zugelassen hatten, immer für sie dagewesen war. Sie hatte ihn aufgenommen. Genauso, wie sie sich um Asuka gekümmert hatte. Von allen Menschen im Nerv Zentrum hatte sie sich am meisten um sie gesorgt, manchmal sogar die Vorschriften vernachlässigt, nur, um sie zu schützen. Und manchmal, ja, manchmal hatte sie sogar geweint, weil sie es nicht geschafft hatte, sich besser um sie zu kümmern. Weil er davon lief und Asuka einen Nervenzusammenbruch erlitt und beinahe starb. Die Zeiten waren nicht die besten gewesen, aber Misato war immer für sie da gewesen, soweit es in ihrer Macht gestanden hatte. So, wie sie auch jetzt noch für sie da war. Nicht rund um die Uhr, das war klar. Sie waren jetzt fast fünfzehn, schon selbst fast erwachsen. Aber wenn sie ein Problem hatten, konnten sie immer zu ihr kommen. Jeder von ihnen. "Ich weiß, Misato." Flüsterte er leise und gähnte unterdrückt. Das weiß ich. Dafür werde ich dir immer dankbar sein. *** "Hey, baka, paß' doch auf!" Das war der erste Satz, den Rei am nächsten Tag hörte. Laut hallte er durch die Wohnung. Begleitet von dem Geräusch einer berstenden Schüssel. Es kam aus Richtung Küche und vermutlich hatten entweder Shinji oder Asuka ein Teil ihres Geschirrs vernichtet. "Ich habe doch gesagt, daß das zu viel ist. Aber Mister >Ichkanndochalles< hat mal wieder nicht zugehört!" schimpfte Asukas laute Stimme, also war wohl Shinji der Zerstörer gewesen. "Dann hättest du mir ja was abnehmen können!" "Aber ich bin hier gerade am Aufwaschen. Ich hab ja auch nicht zehn Arme." "Wofür ich dem lieben Gott jeden Tag dankbar bin." "Arg! Du!" Rei lächelte müde, als sie die gewohnten Sticheleien der beiden hörte. Die Welt schien sich noch immer zu drehen, aber heute war sie nicht mehr so schnell wie in der letzten Nacht. Die junge Japanerin richtete sich vorsichtig auf und blickte auf die Uhr. Nur um entsetzt festzustellen, daß es schon später Nachmittag war. Sie hatte den gesamten Tag verschlafen! So schnell sie konnte, wand sie sich aus der warmen Decke und stand auf. Eine kurze Dusche dürfte genügen. Dann würde sie sich anziehen und mit helfen. Die beiden mußten doch nicht die ganze Hausarbeit allein machen. Schließlich wohnte sie auch hier und wollte mit helfen. Rei kniff kurz die Augen zusammen, als das Schwindelgefühl wieder zurück kehrte und wankte zur Tür. Sie fühlte sich noch immer ein wenig erschöpft, aber sie würde hier bestimmt nicht tatenlos herum liegen, während alle anderen so fleißig waren. Vorsichtig öffnete sie die Tür und sah Shinji mit einem Beutel voller Scherben an ihr vorbei rauschen. "Na, ein Glück, daß ich damals gleich fünf Schüsseln genommen hatte." "Dann kannst du ja ruhigen Gewissen noch eine runter schmeißen." Asuka gluckste nun und konnte sich das Lachen kaum verkneifen. Rei schlich hinüber in die Küche und sah, wie der Tisch im Wohnzimmer gedeckt wurde. Für insgesamt vier Personen. Erwarten wir Besuch? Bevor sie jedoch fragen konnte, hatte sich Asuka umgedreht und sie entdeckt. "Hallo, Wondergirl." Ihre Stimme war ganz plötzlich ruhig und der Spitzname klang alles andere als beleidigend. "Wie geht's dir heute?" "Besser." Sagte Rei und mußte gegen ihren Willen husten. "Deine Schuluniform trocknet noch, weil hier jemand vergessen hat, bei der Waschmaschine das Schleuderprogramm einzustellen." Sagte Shinji, der plötzlich aus dem Nichts neben ihr auftauchte. "Ach, als ob DU das besser gekonnt hättest." Asuka lehnte sich auf ihre Krücke und sah zweifelnd auf den jungen Japaner, der nur mit den Schultern zuckte. "Was glaubst du, warum ich dich da rann gelassen habe?" lachte er frech und sprang zur Seite, als Asuka spielerisch mit ihrer Krücke nach ihm zielte. "Wird wohl das beste, wenn du erst einmal diesen Trainingsanzug anziehst. Der hält schön warm und ist bequem." "Seit wann hast du denn einen violetten Trainingsanzug?" stichelte Asuka und grinste herausfordernd. "Immer noch besser als dein rosafarbener mit dem riesigen Hasen in der Mitte." "Woher weißt du denn davon?" "Na, wer mußte immer deine Umzugskartons schleppen?" "Du hast heimlich rein geschaut? Du Spanner!" Rei wurde der violette Trainingsanzug in die Hand gedrückt und erstaunt beobachtete sie das Schauspiel. Shinji lief voraus. Von Zeit zu Zeit drehte er sich um und streckte Asuka die Zunge heraus, die wütend hinter ihm her humpelte und gefährlich ihre Krücke schwang. "Wieso Spanner? Ich habe absichtlich deine Unterwäsche nicht angeschaut." "Warum? Wärest du enttäuscht gewesen, wenn ich keine Herzchen drauf gehabt hätte, so wie du?" "Ich hab keine Herzchen drauf." "Aber auf dem einen Photo, das Misato mir gezeigt hat..." "Da war ich fünf Jahre alt! Und das war außerdem meine Badehose." "Na, noch schlimmer!" "Das war höhere Gewalt, meine Tante." "Alles Ausreden." Rei beobachtete die beiden und kicherte leise vor sich hin. Auch wenn die zwei es nicht mehr so ernst meinten wie vor noch so kurzer Zeit, es war immer wieder wert, dabei zu sein und einfach nur zu zusehen. Shinji und Asuka konnten sich gegenseitig so gut aufziehen, wie sonst niemand, den Rei kannte. Sie fanden immer einen Grund, um einander zu sticheln. Und solange niemand den anderen wirklich beleidigte, war es ein geradezu köstliches Schauspiel. "Kriegst du das mit den Duschen hin, Rei? Misato kommt in ungefähr einer Stunde und bringt was zum Essen mit. Sie will mal unsere Wohnung richtig ansehen." Rei nickte und ging langsam Richtung Badezimmer. Nur, um Asukas Stimme hinter sich zu hören. "Lenk nicht ab, Ikari-san!" Ein Kopfkissen flog durch die Tür und prallte an der Wand neben Rei ab. Diese schüttelte leicht ihren Kopf und mußte wieder kichern. "Bringt nicht all zu viel Unordnung rein, sonst fällt Misato in Ohnmacht." Meinte sie leise und drückte den unglaublich weichen Trainingsanzug leicht an sich. "Hast du sie gehört, Asuka? Mach nicht so eine Unordnung!" "Es ist nur ein Kissen, Shinji!." "Es sieht aber in deinen Händen nach einer gefährlichen Waffe aus!" "Meinst du?" Rei lächelte und brachte sich in dem Badezimmer in Sicherheit. *** "Hm! Lecker! Chinafutter!" Asuka klapperte mit den Stäbchen und duckte sich, als sie die strafenden Blicke der anwesenden Personen erntete. "Ups, wir sind ja in Japan. Gut, dann japanisches Futter!" grinste sie frech und füllte sich ihre Schüssel mit Reis. Immer den Löffel neben sich liegend wissend. So gut konnte sie nun doch noch nicht mit Stäbchen essen und sie wollte nicht verhungern, wenn sich alle um sie herum die Bäuche voll stopften. Misato wollte gerade zu einer Generalpredigt ansetzten, daß sich chinesisches und japanisches Essen grundsätzlich voneinander unterschieden, ließ es dann aber bleiben, als sie Shinjis bittenden Blick sah. Statt dessen füllte sie sich auch ihre Schüssel. Erst wußte sie nicht, was sie mitbringen sollte und entschied sich dann für traditionelles japanisches Essen. Alles war in verschiedenen Schüsseln beziehungsweise Plastikverpackungen, so daß sich jeder sein Menü selbst zusammen stellen konnte. Misato brauchte nicht auf ihr heiß geliebtes Fleisch zu verzichten und Rei konnte ebenfalls bedenkenlos mit ihnen essen. Das Mädchen sah schon wieder viel gesünder aus. Der violette Trainingsanzug war ihr ein wenig zu groß, aber sie schien sich wohl darin zu fühlen. Ihr Gesicht war noch ein wenig blaß, aber sie hörte aufmerksam zu und sah nicht sehr müde aus. Auch fror sie nicht. Bestimmt ist es nur eine Erkältung und in ein, zwei Tagen ist sie wieder ganz gesund. "Ihr habt euch wirklich schön eingerichtet." Sagte Misato und sah sich bewundernd in dem Wohnzimmer um. Gemütlich wirkte es hier. Asuka hatte endlich genügend Platz für ihre ganzen Sachen, Shinji konnte ungestört seiner Leidenschaft, der Musik, nachgehen und Rei hatte auch endlich eine gescheite Bleibe. Misato hatte das First Children nur einmal besucht, aber es war einmal zu viel gewesen. Nie hatte sie den Anblick der alten, ausgeblichenen Verbände vergessen können, an denen noch Blut klebte. Kalt war es in der Einraumwohnung gewesen. Kalt und unglaublich einsam. Düster, verlassen. Einfach kein Ort, an dem jemand wie Rei, an dem irgend jemand leben sollte. "Natüliff..." mampfte Asuka mit vollem Mund und schob gleich noch ein Stückchen Hühnchen hinter her. Glücklich grinste sie über das ganze tolle Essen und freute sich, daß sie nicht hatte kochen müssen. Denn auch wenn sie jetzt zwei Kochbücher besaßen, so glaubte sie nicht, daß es dadurch irgendwie leichter werden könnte. Zumindest nicht viel. "Wir bräuchten lediglich noch einen Videorecorder." Shinji deutete auf den uralten Fernseher, den er hatte auftreiben können. Er mochte wohl noch aus der Zeit vor dem Second Impact stammen, aber er erfüllte dennoch seinen Zweck. Zwar empfingen sie nur zehn Programme, aber mehr brauchten sie eigentlich nicht. Für die Nachrichten, Zeichentrickfilme und die typischen Soap Operas reichte er vollkommen. "Ist das ein Hinweis auf deinen Geburtstag?" "Nun ja." Shinji schielte kurz in seine Schüssel und dann zu Misato. "Wenn du es denn so auffaßt." "Das wäre cool." Platzte Asuka dazwischen, nachdem sie rasch ihren Reis herunter geschluckt hatte. "Bald fängt ja die Schule an und ich würde dann immer > Am Strand von Nagasaki < verpassen." "Oh, was für eine Tragödie!" meinte Shinji, konnte jedoch ein Kichern nicht mehr unterdrücken. "Hey, wenn du das einmal sehen würdest, dann wüßtest du, wie verdammt spannend das ist." "Oh, lieber nicht. Ich glaube, das verträgt mein schwaches Herz nicht." "Baka!" Asuka schaufelte sich den Mund voll mit Hühnchen und Reis und funkelte ihn wütend an. Shinji grinste nur zurück und lehnte sich vor, um sich noch ein wenig von dem köstlichen Sushi zu nehmen. "Und geht es dir wieder besser, Rei?" Rei, die gerade ihr Ei zerkleinerte und unter den Reis mischte, sah auf und nickte. Schüchtern lächelte sie. Früher hatte sich kaum jemand um ihre Gesundheit gekümmert. An seltsamen Maschinen wurde gemessen, ob sie noch funktionierte und damit hatte es sich dann meist. Misato war heute schon die dritte Person, die sie fragte, ob es ihr wieder besser ginge. Und das nur, weil sie letzte Nacht hohes Fieber gehabt hatte. Nichts außergewöhnliches. Eigentlich... "Hai." Antwortete sie und aß genüßlich ihren Eierreis. Er schmeckte köstlich. Nicht nur, weil ihre letzte Mahlzeit fast einen Tag her war und sie großen Hunger hatte. "Was habt ihr denn eigentlich gestern so alles eingekauft? Das waren ja ganz schön schwere Taschen." Shinji duckte sich, aber dieses Mal kam keine Attacke von Asuka zurück. Diese sah ihn nur an, trank ein wenig Saft und meinte kühl: "Eine Menge Essen, von dem du heute früh bereits gekostet hast!" "War dann der Badeanzug auch für mich?" "ARG!" Asuka focht mit ihren Stäbchen nach Shinji und Misato konnte gerade noch verhindern, daß dieses Essen in eine Essenschlacht ausartete. "Wir haben ein Zoogeschäft besucht." Sagte Rei mit ihrer typischen leisen Stimme und sofort waren die zwei Streithähne wieder ruhig gestellt. Zumindest für die nächsten fünf Minuten. "Sie hatten dort ein ganz schön freches Meerschwein, das meine Haare angeknabbert hat." "Ich hatte mal einen kleinen Hasen, als ich noch ein Kind war." Schwärmte Misato und wunderte sich über die Blicke, die sich Shinji und Asuka austauschten. Diese Blicke konnten nicht töten. Eigentlich seltsam bei den beiden Streithähnen. "Ich weiß gar nicht mehr, wie er hieß. Aber er war grau mit weißen Pfoten. Richtig niedlich." Misato lächelte glücklich und sah so aus, als würde sie noch heute abend ihre alten Photoalben durch suchen, um ein Photo von sich als Kind mit einem Hasen auf dem Arm zu finden. "Aber PenPen ist auch ein liebes Haustier." "Nur etwas gewöhnungsbedürftig." Erwiderte Shinji trocken und Misato mußte lachen. "Das stimmt schon, wenn man noch nie einen Süßwasserpinguin gesehen hat." "Ich bin damals fast in Ohnmacht gefallen, als der plötzlich aus ihrem Kühlschrank gewatschelt kam, Rei. Da denkt man sich nichts Böses und plötzlich geht so eine kleine Klappe auf und so ein Pinguin kommt heraus und schaut noch so, als ob ich ihm was weggenommen hätte." Rei nickte und lächelte vergnügt. Sie kannte Misatos Süßwasserpinguin - wer kannte ihn nicht - und konnte sich durchaus vorstellen, daß jemand, der davon nichts wußte, mächtig erschrecken konnte. "Ach, und ich bin da erst erschrocken!" brachte Asuka zwischen zwei Bissen Hühnchen hervor und wedelte mit den Stäbchen vor ihrem Gesicht, als müsse sie sich verteidigen. "Ich hab' damals..." Und so ging der ganze Abend weiter. Sie schwelgten in Erinnerungen aus den Tagen vor dem Third Impact. Darüber, wie sie sich kennen gelernt hatten und was sie so alles gemeinsam durchstanden hatte. Viele Situationen hatte Rei mit ihnen erlebt, andere jedoch nicht. Als sie die drei jedoch so erzählen hörte, hatte sie das Gefühl, schon damals zu ihnen gehört zu haben. Es war ein sehr schönes Gefühl. *** Lautes Quieken ließ Rei zusammen fahren. Es war das letzte Wochenende, bevor die Schule wieder losgehen würde. Sie hatte ein wenig Angst vor der Schule, denn niemand hatte sie so richtig leiden können. Wie denn auch? Sie war immer das stille, abwesende Mädchen gewesen, das keinen an sich heran gelassen hatte. Nicht einmal den nettesten Mitschüler. Kaum einmal Shinji, der wirklich immer freundlich zu ihr gewesen war. Was, wenn die Klassenkameraden ihr das weiterhin übel nahmen? Was, wenn sie weiterhin allein auf dem Schulhof sitzen und ihr Pausenbrot in Stille essen mußte? Was, wenn sie wieder allein in der Schule sitzen und nichts weiter tun konnte, als zum Fenster hinaus zu starren? Jetzt gab es kein Nerv mehr, zu dem sie sich im Anschluß flüchten konnte. Nein, das wollte sie auch nicht mehr. Sie hatte in den letzten Tagen, Wochen gelernt, wie schön es war, mit Menschen zusammen zu sein. Mit Menschen, die ihre Freunde waren. Mit Shinji. Mit Asuka. Mit Misato. Sie wollte nicht mehr allein sein, wußte jedoch nicht, wie sie sich anders verhalten sollte, um nicht mehr allein gelassen zu werden. Sie konnte nicht so fröhlich, so unbeschwert wie Shinji, konnte nicht so temperamentvoll wie Asuka, konnte nicht so lustig wie Misato sein. "Hey, ich hab' es doch gefüttert." Hörte sie Shinjis aufgeregtes Flüstern, als sie die Tür ihres Zimmers einen Spalt breit öffnete. Das Quieken schien aus der Küche zu kommen und es hörte nicht auf. "Bestimmt ist ihm langweilig. Mist! Er verrät sich noch selbst!" das war nun Asukas Flüstern. Wie immer einen Deut lauter als Shinjis. Und wie immer einen Deut ärgerlicher. "Was machen wir denn da jetzt?" "Solange durch den Käfig jagen, bis er müde ist." "Du bist brutal, Asuka." "Sport ist gesund. Das hast du selbst gesagt!" Rei ging hinüber in die Küche und schaltete das Licht ein. Und schaute verwirrt auf Asuka, die inmitten von Sägespänen saß. Ein Käfig war neben ihr aufgebaut und Shinji schien noch mit der Trinkwasserflasche zu kämpfen. "Was ist denn hier los?" Rei blinzelte ein wenig müde an die Tür. Es war kurz vor Mitternacht und eigentlich hatte sie jetzt ins Bett gehen wollen. Damit sie morgen nicht all zu müde war. "Oh je, ertappt." Murmelte Shinji und zuckte seine Schultern, als Asuka ihn fragend ansah. Die Deutsche rollte ihre Augen, packte etwas in ihren Händen fester und kam zu Rei hinüber. "Eigentlich sollte es ja eine Überraschung sein. Aber er konnte es wohl nicht mehr abwarten." Mit diesen Worten wurde ein kleines, weißes Fellknäul in Reis Hände gedrückt, das leise quiekte. Die junge Japanerin blinzelte erneut und schaute verwundert auf das kleine Meerschweinchen herab, das sie kurz ansah, erneut quiekte, ihren Arm hinauf flitzte und wieder an ihren Haaren zu knabbern begann. "Das ist..." flüsterte Rei gerührt und streichelte kleine, weiße Ohren. "Ja. Ich hab' Shinji die letzte Woche bekniet und jetzt haben wir einen vierten Untermieter." Asuka sah richtig stolz aus und Shinji wie jemand, der sich einfach in sein Schicksal ergeben hatte. Aber ein Lächeln stahl sich dennoch auf sein Gesicht, obwohl er befürchtete, in Zukunft zu füttern und Streu zu säubern, als er Rei das Meerschweinchen streicheln und anschließend kichern sah, als es nun an ihrem Ohr knabberte und sie wahrscheinlich kitzelte. Sie sieht so anders aus, wenn sie lächelt. Wenn sie kichert. Shinji beendete sein Werk mit der frisch gefüllten Wasserflasche und erhob sich. Nachdenklich strich er sich den Schlafanzug glatt. Ich würde sie gern so richtig lachen sehen. Ein Blick auf Asukas gespanntes Gesicht sagte ihm, daß es ihr genauso ging. Rei war ihnen beiden sehr ans Herz gewachsen. Sie war ihre beste Freundin geworden. In den letzten Wochen, aber eigentlich schon davor. Im gemeinsamen Kampf gegen die Engel. Sie wußten beide über Reis Herkunft Bescheid, aber es störte sie nicht weiter. Sie wollten beide nur eines: Daß Rei glücklich war. So glücklich wie Shinji, der sich sehr gut mit seinem Vater verstand. So glücklich wie Asuka, die endlich nach dem Tod ihrer Mutter ein Zuhause gefunden hatte und die Anerkennung erhielt, nach der sie ihr ganzes Leben immer gestrebt hatte. So glücklich wie Misato, die endlich mit ihrem Koji zusammen war und vermutlich auch zusammen bleiben würde. "Hey, Kleiner, du kitzelst." Kicherte Rei und neigte ein wenig den Kopf, um ihr Ohr aus den kleinen Zähnen zu befreien. Sie soll mal so richtig schön lachen. Und glücklich sein. Asuka und Shinji sahen sich kurz an und nickten leicht. Wir kriegen das schon auf die Reihe. Beide grinsten. Schließlich sind wir ihre Freunde. *** Kapitel 3: Sei du selbst "Shinji? Krieg ich mal die Sonnencreme?" Der erste Schultag verlief komplett anders ab, als es sich die drei ehemaligen Piloten vorgestellt hatten. Zum einen war das Schulgebäude gespenstisch leer, da viele Schüler aber auch Lehrer aus ihren Wohngebieten in andere Ortschaften innerhalb Japans evakuiert worden waren. Zum anderen, weil es keine geregelten Stundenpläne mehr gab. Worüber sollten die Lehrer mit ihnen sprechen? Die Bedrohung durch die Engel bestand nicht mehr, der Second Impact war nicht mehr wichtig und der Third Impact so verwirrend, daß keiner der Lehrer ihnen andere Informationen darüber geben konnte, als die, die sie bereits kannten. Also hatten sich die letzten noch übrig gebliebenen Lehrer in einer kurzfristigen Schulkonferenz zusammen getan und darüber diskutiert, was man mit den wenigen Schülern Sinnvolles anstellen konnte. Da, vermutlich ebenfalls als Folge des Third Impacts, die Jahreszeiten wieder einsetzen und der Sommer mit voller Kraft, sprich, mit ungefähr 35 Grad im Schatten, zuschlug, entschloß man sich schließlich, ins Freibad zu gehen. Viele Einrichtungen waren während der Kämpfe gegen die Engel stark beschädigt oder gar zerstört worden, aber das Neo Tokioer Freibad hatte die schlimme Zeit ohne größere Schäden überstanden. Gut, an einigen Stellen stand das Gras sehr hoch und das Zehnmeterbrett des hohen Sprungturms war aus Sicherheitsgründen gesperrt worden, aber ansonsten konnte man sich wirklich wohl fühlen. Besonders, wenn man sich faul in der Sonne räkeln konnte, anstelle im stickigen Klassenzimmer über lästigen Mathematikaufgaben zu schwitzen. "Und wo hast du die bitte hin gekramt?" Shinji war fast in dem großen Rucksack verschwunden, den sie in aller Frühe gepackt hatten. Die Lehrer wollten den ganzen Tag hier bleiben und am Abend sollte es ein großes Grillfest geben, dafür mußte man doch gut vorbereitet sein. Natürlich durfte Shinji derjenige sein, der sich mit diversen Getränkedosen, Decken und anderen Sachen abschleppen durfte, aber wie sie ein schattiges Plätzchen unter einem großen Kastanienbaum gefunden hatten, wußte er, daß es seine Anstrengungen wert gewesen waren. "Irgendwo ganz unten." "Ah ja, ganz unten!" tönte Shinjis Stimme aus dem Rucksack und schließlich zog er eine kleine, blaue Flasche hervor. "Sonnenschutzfaktor 35?" las er laut vor und runzelte seine Stirn. "Damit wirst du niemals braun." "Aber auch nicht rot." Asuka schnappte sich die Flasche und begann, die weiße Flüssigkeit großzügig über ihre Arme und Beine zu verteilen. Sie trug einen dunkelbraune Badeanzug, der perfekt zu ihren Augen paßte. Ein breiter Sonnenhut verbarg ihre roten Haare, die sie zu zwei Zöpfen geflochten hatte. Shinji, der sich ein wenig in europäischer Literatur auskannte, hatte sie >Pippi Langstrumpf< genannt und dafür mehr als nur einen vernichtenden Blick geerntet. "Außerdem wird sie's bestimmt auch gebrauchen können." Sie. Damit war Rei gemeint, die sich in eine der Umkleidekabinen zurück gezogen hatte, um ihren neuen Badeanzug auszuprobieren. Bisher hatte es keinen Grund für sie gegeben, einen zu besitzen. Daher hatte sie auch ein wenig erstaunt geschaut, als die Lehrer ihnen den außergewöhnlichen Ausflug offenbarten. Vermutlich wäre sie in ihrer typischen Schuluniform ins Wasser gegangen oder hätte gleich auf das erfrischende Naß verzichtet, wenn Asuka sie nicht erneut in die Innenstadt und in eine der unzähligen Boutiquen gezerrt hätte. "Vermutlich..." Shinji wühlte erneut in dem Rucksack und beförderte ein kleines Taschenbuch zu Tage. Es sah schon ziemlich heruntergekommen aus. ">Unendliche Liebe am Strande OsakasKnochenbrecher< oder >Einstampfer<. Asuka nannte ihn schlicht und ergreifen einen >hirnlosen Dummkopf<. "Laß mich in Ruhe." Zischte die Rothaarige und versuchte, sich aus seinem eisigen Griff zu befreien. Sie waren schon mehrfach aneinander geraten und dank ihres lauten Organs hatte meist Asuka die Nase vorn gehabt. Ohne große Umschweife hatte sie Hitsuko angeschrien und manchmal sogar getreten, wenn er sie wieder beleidigen wollte. So wie er jeden beleidigte, den er für schwächer hielt. Einmal hatte er sogar Shinji verprügelt, der eine Woche lang ein blaues Auge davon trug und deshalb nur noch mit Sonnenbrille zu sehen war. Bis Hitsuko begriff, daß Shinji ein EVA Pilot, und somit in seinem Kampfroboter stärker war als er. Vielleicht hätte er Asuka dann auch in Ruhe gelassen, denn sie war ja auch eine Pilotin. Da es ihr jedoch mehr als einmal gelungen war, ihn zu besiegen, schien er weiterhin triezen zu müssen, um seine verletzte Ehre wieder herzustellen. Typisch männliches Ekel! "Na? Hast du auch viel Spaß? Genauso viel Spaß, wie du in Deutschland hattest?" Asuka runzelte ihre Stirn und trat ihm schließlich gegen das Schienbein. Er jedoch reagierte blitzschnell und so trat sie ins Leere. Hart strampelte sie nach Gleichgewicht, aber er gab ihr noch einen Stoß und damit landete sie kopfüber in dem kalten Wasser. Zum Glück war das Schwimmbecken hier noch recht tief, so stieß sie sich den Kopf nicht an. Dafür waren ihre Haare, ihre frisch gewaschenen Haare, mit dem Chlorwasser durchtränkt. Einige Strähnen, die sich aus ihren Zöpfen gelöst hatten, fielen nun in ihr hochrotes Gesicht. Ihre Augen glitzerten gefährlich und vor Wut schnaubend schwamm sie zurück zum Rand. "Dafür wirst du büßen!" brachte sie zwischen zusammen gepreßten Zähnen hervor. Entschieden stemmte sie sich an der Metalleiter empor, fiel aber sofort zurück ins Wasser, als sie das Wort hörte, das er ihr förmlich entgegen spuckte. "Vollwaise." Groß waren ihre Augen, als sie wieder an die Wasseroberfläche kam. Jegliche Röte war ihrem Gesicht entwichen und für einen Moment wußte sie nicht, wie sie reagieren sollte. "Was denn? Auf einmal so sprachlos?" grinste der Hüne und lachte gemein. "Ich hab' meinen Vater mal angehauen und er hat so interessante Sachen über dich raus gefunden, du Supergenie aus Deutschland." Was? Asuka stand noch immer bis zu ihrem Kinn im Wasser und schluckte aus Versehen ein wenig davon. Laut mußte sie husten und ruderte automatisch mit ihren Armen nach Halt, fand jedoch keinen. Natürlich wußte sie, daß Hitsukos Vater ebenfalls Mitarbeiter bei Nerv gewesen war, obwohl er eine wesentlich kleinere Rolle als die Piloten oder gar die Kommandanten belegt hatte. Vermutlich war er für irgendwelche Sicherheitsaufgaben zuständig, vielleicht war er auch nur einer der vielen Mechaniker, die verantwortlich für die ständige Einsatzbereitschaft der EVAs waren. Aber was immer für einen Posten er auch belegt hatte, er konnte doch nicht viel über sie herausbekommen haben, oder? Oder?!? "Hört mal alle her! Unsere Streberin aus Deutschland, die immer alles besser weiß und über jedem erhaben ist, ist eine Vollwaise! Ihr Vater hat sich aus dem Staub gemacht und ihre Mutter hat sich selbst erhängt! Vermutlich hat man sie nicht mehr in Deutschland gebraucht, deswegen ist sie nach Japan gekommen. Pah!" Asuka wollte zu Hitsuko, wollte ihn auf der Stelle umbringen. Vierteilen wollte sie ihn, erwürgen, erschießen. Foltern, bis er qualvoll nach Erlösung bettelte. Verdammt! Das geht keinen etwas an! Sie schluckte noch mehr Wasser und versuchte, erneut zu der Leiter hinüber zu schwimmen. Aber ihre Beine waren wie gelähmt, ihre Arme versagten ihr den Dienst. Zu tief saß der Schock, daß jemand ihr Geheimnis kannte. Jemand, dem sie nicht vertraute, den sie förmlich haßte. Jemand, der es laut hinaus posaunte, so daß es jeder hören konnte. "Ich hab' ja immer gesagt, daß unser Deutschlandgenie verrückt ist, aber niemand hat auf mich gehört. Ihre Mutter hat sich erhängt. Um sich selbst zu töten, muß man verrückt sein. Also ist sie als Tochter einer Selbstmörderin auch verrückt." Halt deine Klappe! Halt einfach nur deine verdammte Fresse!!! Asuka wollte es laut schreien, aber sie verschluckte sich nur und begann, hingebungsvoll zu husten. Noch mehr Wasser schien über ihr zusammen zu schlagen und mit einem Mal fragte sie sich panisch, ob sie ertrinken würde. Das Wasser war nicht so tief, sie konnte eigentlich gerade so noch stehen, aber ihr ganzer Körper schien nicht mehr ihr zu gehören. "Was denn? Hat's dir auf einmal die Sprache verschlagen, du Verrückte? Sonst hast du doch immer sofort um dich geschrien. Jetzt auf einmal so leise? Jetzt, da wir die Wahrheit über dich wissen..." Wie immer der Satz auch weiter ging, Asuka wußte es nicht, da ihre Beine endgültig nachgaben und sie mit dem Kopf untertauchte. Verzweifelt ruderte sie mit ihren Armen. Nicht unbedingt, um sich selbst zu retten, sondern vielmehr, um doch noch zu Hitsuko zu gelangen und ihn so richtig dorthin zu treten, wo es Männern am meisten weh tat. Verdammt! Jetzt wissen alle Bescheid... In dem Moment sprang jemand direkt neben ihr ins Wasser. Na super, ich werde nicht nur ertrinken, sondern auch von irgend so einem Volltrottel erschlagen! Ein wenig hysterisch grinste sie und schluckte noch mehr Wasser, als sie kichern mußte. Da packten sie zwei Arme und sie wurde zurück an die Wasseroberfläche gebracht. "Alles okay, Ask?" brachte Shinji hervor, der nun ebenfalls hustete. Seine Stimme klang besorgt und Asuka konnte Rei neben Hitsuko stehen sehen. Mit großen, blutroten Augen starrte das Mädchen auf sie beide herab, ihre Hände hatte sie vor ihrem Oberkörper gefaltet als würde sie beten. "Es..." Asuka spuckte Wasser aus und hustete erneut. "Es geht schon." "Was war denn los?" Shinji konnte sich noch an die Mission erinnern, als Asuka in den Vulkan tauchte, um einen Engel zu bergen. Damals war sie ihm als eine souveräne Schwimmerin erschienen, nicht wie jemand, der in einem normalen Freibad ertrinken könnte - besonders, wenn man gerade so noch stehen konnte. "... wohl 'n Krampf..." murmelte Asuka, die sichtlich mit ihrer Fassung kämpfte. Tränen funkelten in ihren Augen und Shinji spürte, daß sie in seinen Armen zitterte. Er hatte nicht hören können, was Hitsuko und Asuka miteinander besprachen; es schien wohl nichts Erfreuliches gewesen zu sein, da Hitsuko einfach nur ein hirnloser Idiot war. Dann war Asuka ins Wasser gefallen und nicht mehr wieder heraus gekommen. Shinji unterbrach besorgt die Wasserschlacht und war froh, daß er so schnell hergekommen war. Der Hüne aus der Parallelklasse hatte nämlich keinerlei Anstalten gemacht, Asuka zu helfen. "Hey, Hitsuko! Sie hatte einen Krampf und du hast einfach nur zugesehen. Sag mal, schämst du dich denn nicht?!" schrie Shinji und fühlte sich mit einem Mal unglaublich wütend. Vorsichtig geleitete er Asuka hinüber zur Leiter und starrte haßerfüllt zu seinem Mitschüler empor. "Sie hätte ertrinken können!" "Ist sie aber nicht." Spottete der große Junge und rückte ein wenig von Rei ab. Ihre Anwesenheit behagte ihm ganz und gar nicht, außerdem konnte er die seltsamen Blicke aus diesen unnatürlichen Augen nicht so recht deuten. "Außerdem, vielleicht wollte sie es so? Ihre Mutter hat sich erhängt, vielleicht wollte sie sich jetzt ertränken. Vielleicht ist das so eine Familientradition, da wollte ich doch nicht dazwischenfunken!" nun röhrte Hitsuko wieder sein hämisches Lachen. "Was?" murmelte Shinji, der davon noch nie etwas gehört hatte. Solcherlei Privatsachen hatte Nerv gut zu verbergen gewußt. Nun, von dem Tod seiner Mutter wußte jeder, da sein Vater der Kommandeur war und der Unfall vor den Augen des fast kompletten Nerv-Teams geschehen war. Aber daß Rei in einem Labor geklont worden war, das hatten sie erst herausfinden müssen. Sie, genauso wie Rei selbst. Solche Informationen waren normalerweise top secret. Normalerweise. Dafür wird Hitsuko büßen. Wie auch immer! "Sag nur, du hast nicht gewußt, was für eine Verrückte du da zur Freundin hast?" Normalerweise hätte Shinji das Gerücht dementiert, daß Asuka seine Freundin war, aber Asukas unterdrücktes Schluchzen ließ ihn verstummen. Sie weint? Asuka weint?!? "Ihr Vater ist unbekannt und ihre Mutter hat sich selbst getötet. Bestimmt wird sie sich eines Tages auch mal umbringen. Wahnsinn ist vererblich." Grölte Hitsuko und einige Mitschüler waren, neugierig von dem Lärm, näher gekommen. "Am obersten Balken hat sie sich aufgehangen!" Asuka schloß ihre Augen, aber sie konnte das Bild nicht verdrängen, das plötzlich wieder vor ihr erschien. Ein Bild, das sie seit ihrer Kindheit verfolgte. In ihren Alpträumen, wie auch in ihren Erinnerungen. Das Bild von etwas, das im Wind leicht hin und her geschwenkt wurde. Leicht hin und her. Hin. Und. Her. Nein... Mit einem Ruck riß sich Asuka, die das alles nicht länger ertragen wollte, los und rannte schluchzend davon. Irgendwo hin. Egal, wohin. Nur fort von hier. Shinji sah ihr für einen Moment entgeistert nach und schluckte sichtlich. Sie hat keine Eltern mehr? Das hat sie nie erwähnt... Aber auf der anderen Seite, wenn es nicht schon so öffentlich gewesen wäre, hätte er ihr von dem tragischen Unfalltod seiner Mutter erzählt? Nur, um all die Schmerzen noch einmal zu durchleben? Sicherlich nicht. Und wenn, dann nicht vor aller Öffentlichkeit und in dieser demütigenden Art und Weise. "Du bist so ein hirnloses Rindvieh, Yamoto!" sagte er mit seltsam ruhiger Stimme, aber seine Augen funkelten voller Haß. "Wirklich, du bist das Allerletzte!" Mit diesen Worten drehte sich der ehemalige EVA-Pilot um und folgte der Deutschen, die jetzt wohl richtige Freunde verdammt nötig hatte. "Hah, das ist typisch. Gleich und gleich gesellt sich gern. Dieser Ikari hat ja auch keine Mutter mehr." Rief Hitsuko dem rennenden Jungen hinterher, aber Shinji drehte sich nicht zu ihm um, er zuckte bei den gemeinen Worten nicht einmal zusammen. "Warum hast du das gemacht?" fragte da plötzlich eine Mitschülerin, die genauso wütend wie Shinji aussah. "Ja, warum? Das war gemein!" "Du bist gemein!" "Richtig hinterhältig, ihr so weh zu tun." "Schließlich ist es für keinem leicht, seine Eltern zu verlieren!" Plötzlich war Hitsuko umzingelt von mehreren Mitschülern, die gar nicht belustigt aussahen. Viele von ihnen kannten jemanden, der durch die Kriege gegen die Engel zum Waise geworden war, ja, vermutlich hatten sogar welche von ihnen ein Elternteil oder einen anderen geliebten Menschen verloren. "Nun habt euch doch nicht so!" protestierte Hitsuko, der seine Felle davon schwimmen sah. "Das sollte doch nur ein Scherz sein!" Er drehte sich um und wollte zu seiner eigenen Decke zurück kehren, als ihm plötzlich Rei im Weg stand. Die Hexe, wie er sie im Geheimen nannte. Das unheimlich wirkende Mädchen mit den unnatürlich blutroten Augen und dem bleichen Gesicht. Nun aber war der sonst so gefühllose, gleichgültige Ausdruck aus eben jenen Augen verschwunden, hatte Platz gemacht für... Wut? "Was?!" fragte Hitsuko halb genervt, halb erschrocken und ging einige Schritte zurück, nur, um auf dem glitschigen Rand auszurutschen und selbst ins Wasser zu fallen. Prustend kam er wieder an die Wasseroberfläche und bemerkte zu seinem eigenen Entsetzen, daß ihn diese roten Augen nicht eine Sekunde lang außer Acht gelassen hatten. Eine Gänsehaut überzog seinen Rücken und am liebsten hätte er sich umgedreht und wäre davon geschwommen. Aber irgendwie konnte er das nicht. Dieser Blick hielt ihn gefangen, er konnte sich nicht dagegen wehren. Hexe! Sie ist wirklich eine Hexe! Aber er konnte es nicht laut sagen, getraute es sich plötzlich nicht mehr. "Du hast doch selbst noch Eltern, oder?" fragte Rei in ihrer typisch neutralen, leisen Stimme. Dennoch klang sie heute anders, irgendwie bedrohlicher. Unsicher nickte Hitsuko, weil er nicht wußte, was er anderes hätte tun sollen. "Ich hätte gedacht, daß gerade du dankbar darüber sein solltest, deine Eltern noch zu haben, anstelle über andere Menschen her zu ziehen, die dieses Glück nicht mehr besitzen!" Reis Augen schienen ihn zu durchbohren und er wimmerte leise. Dann drehte sie sich plötzlich um und ging davon, ohne ihn auch nur eines weiteren Blickes zu würdigen. Er erhielt von den anderen Schülern, ja sogar von einer Lehrerin, der man davon berichtete, gehörige Standpauken und entsetzte Blicke, aber nichts von all dem war mit Ayanami Reis blutroten Augen vergleichbar. *** Asuka hockte auf der Decke wie ein kleines Häufchen Elend. Sie hatte ihre Beine angewinkelt und ihre Arme um ihre Knie geschlungen. Tränen liefen über ihre Wangen und sie hielt ihren Kopf gesenkt, so als wollte sie nicht, daß jemand sie weinen sah. Shinji stockte für einen Moment, denn er hatte Asuka noch nie so gesehen. So... so verletzt. Ja, wütend, das konnte die junge Deutsche sein. Aufbrausend, zornig, vielleicht sogar verzweifelt. Aber verletzt und traurig? Das paßte irgendwie so gar nicht zu dem Bild, das er von Asuka über die letzten Monate bekommen hatte. Aber, paßte es denn zu dem Bild, das er über die letzten Wochen von ihr bekommen hatte? In den Wochen, die sie jetzt zusammen mit Rei und ihm in der Wohngemeinschaft verbrachte, seit dem Third Impact? Sie ist gerade daran erinnert worden, daß ihre Mutter tot ist. Shinji seufzte leise und verfluchte den gefühllosen Hitsuko stumm. Natürlich war Asuka traurig darüber. Egal, wie lange der Tod schon her war, man vermißte doch die so geliebte Person, nicht wahr? Manchmal sogar mit jedem Tag, der verging, ein Stückchen mehr. Shinji kannte diese Gefühle nur zu gut, er selbst hatte seine Mutter verloren, als er noch ein kleiner Junge war. Dennoch vermißte er sie schrecklich und hatte sich nach ihr gesehnt, als er gegen die Engel kämpfte, mehrfach dem Tod ins Gesicht sehen mußte. In manchen einsamen Nächte hatte er wach gelegen und um sie geweint. Heimlich, damit Misato ihn nicht hörte und versuchte, ihn zu trösten. Das wäre ihm unangenehm gewesen. Wäre es Asuka auch unangenehm? Shinji schluckte und blieb unschlüssig stehen. Ist es mir denn wirklich so angenehm gewesen? Ganz allein zu sein? Mit meinen Ängsten, meiner Trauer und meinem Schmerz? Still mußte er sich eingestehen, daß er keinen Trost gewollt, ihn jedoch bereitwillig angenommen hätte, wäre denn jemand für ihn dagewesen. In jenen Tagen, da niemand Zeit für ihn hatte, niemand anderes Interesse, ja sogar ein wenig Verständnis zeigte. Niemand, außer einer total überforderten Misato, die ihre eigenen Probleme zu meistern hatte - ebenfalls allein. Es waren schon beschissene Zeiten. Aber sie waren vorbei. Das wußte Shinji, als er neben Asuka auf die Knie ging und sie einfach in seine Arme schloß, einen drohenden Wutanfall oder eine brennende Wange in Kauf nahm. Solche Zeiten waren für alle Male vorbei. Sie mußten nicht mehr kämpfen, Freunden weh tun und sich selbst mit totaler Isolation strafen. Der Third Impact war vorbei, genauso die Bedrohung durch die Engel. Die Menschheit hatte sich geändert - zumindest die Mehrheit - und es gab für niemanden mehr auch nur einen Grund, unglücklich zu sein. Unglücklich und allein. Shinji hatte wirklich erwartet, daß Asuka ihn von sich stoßen, auf ihn einschlagen und ihn einen Baka oder einen Spanner nennen würde, aber nichts dergleichen geschah. Statt dessen lehnte sich Asuka näher an ihn und weinte sogar noch lauter. "Warum mußte er so etwas Gemeines sagen?" schluchzte Asuka, die sich plötzlich gar nicht mehr ihrer Tränen schämte. Noch vor einigen Monaten hätte sie Shinji für die tröstliche Umarmung geköpft und sich selbst für ihre angebliche Schwäche verflucht, aber heute wollte sie einfach nur verstanden werden. Sie war keine Verrückte. Sie hatte nie gewollt, daß ihre Mama so etwas tat! Sie wollte doch nur Freundschaft und Liebe! Gefühle, die ihr eine halbe Ewigkeit niemand entgegengebracht hatte. Gefühle, die sie zu oft mit Anerkennung verwechselt hatte. "Weil er ein Dummkopf ist." Flüsterte Shinji besänftigend und strich vorsichtig über den feuerroten Schopf. "Ein hirnloser Dummkopf..." korrigierte ihn Asuka und ihr Schluchzen klang für einige Momente wie ein Kichern, ein ziemlich trauriges. Einige Momente saßen sie so da, Asuka weinte leise und Shinji wiegte sie besänftigend, als sei sie ein kleines Kind. Er kannte ihre Gefühle gut, zu gut, und wollte nicht, daß sie darunter litt. "Das mit deiner Mutter tut mir leid." Murmelte Shinji schließlich. Es war die aufrichtigste Mitleidsbekundung, die Asuka bisher gehört hatte. Sie kam von jemandem, der sie verstand. Der wußte, daß der Verlust eines geliebten Menschen - auf welche Art auch immer - immer weh tat und daß es keinen Grund gab, sich zusammen zu reißen. Wenn einem wie Weinen war, so mußte man eben weinen. Egal, ob die Engel gerade angriffen oder Nerv einen weiteren Gegenschlag plante. "Du hättest mir davon ruhig eher erzählen können. Ich hätte nicht so gemein gelacht wie Hitsuko." "Aber... sie hat doch Selbstmord begangen. Über..." Asuka holte tief Luft. "... über so was redet man doch nicht." "Meine Mutter ist in einen gerade erst entwickelten EVA gestiegen und darin umgekommen. Auch nicht viel gescheiter, wenn du mich fragst." "Aber..." "Was immer du denkst, es war nicht deine Schuld, Ask. Ich hab' mir das auch jahrelang eingeredet, aber es stimmt nicht. Jeder ist für seine Tagen verantwortlich und unsere Mütter haben eben so entschieden. Es ist nicht deine Schuld, Ask. Nicht deine Schuld. Egal, was solche Hornochsen wie Yamoto sagen." Es ist nicht deine Schuld. Das war der Satz, den Asuka all die Jahre hatte hören wollen: Von ihrer Großmutter, von Koji, von Misato. Von all den anderen Befehlshabern in Deutschland und Japan, denen sie stolz ihre Kampfkunst mit dem roten EVA vorführte und von denen sie nur ein müdes Lächeln als Gegenleistung erhielt. Keinen Trost, kein Verständnis. Keine Liebe. Aber hier... Es ist nicht deine Schuld. Das tat so verdammt gut. Es war, als sei ein Tonnen schweres Gewicht von ihrer Seele genommen. Die Tränen wurden wieder stärker und die junge Deutsche schluchzte um so lauter. Aber der Schmerz in ihrem Herzen war kleiner geworden. "Alles ist okay, Ask." Flüsterte Shinji und seine Stimme klang nun ebenfalls zittrig, als er sie ein wenig fester an sich drückte. "Hitsuko ist einfach nur ein Arschloch." Arschloch. Shinji hatte selten so derbe Worte benutzt, das hatte Asuka statt dessen lautstark getan. Wenn sie gekonnt hätte, hätte sie ihn erstaunt angeschaut, dann wäre sie laut in Lachen ausgebrochen. So aber klammerte sie sich an ihn als sei er ihre Rettungsleine. Vielleicht war er es auch. Ein Schatten fiel über die beiden, aber keiner von ihnen schien es zu bemerken. Rei stand für einige Momente wie versteinert vor der Decke und schaute auf die beiden Jugendlichen herab. Ihre besten Freunde. Die beiden schienen zu weinen. Und das alles nur, weil Hitsuko so gemein ist. Er sollte es wirklich besser wissen! Reis Augen wanderten zwischen dem Rucksack, der Taschentücher enthielt, und den beiden Freunden hin und her. Unschlüssig trat die ehemalige EVA-Pilotin an die zwei heran und erinnerte sich plötzlich an die Szene im Krankenhaus, wo Asuka auch geweint hatte. Auch wegen ihrer toten Mutter. Sie weinen beide um ihre toten Mütter. Rei hockte sich hinter die beiden und umarmte sie ebenfalls. Ihre besten Freunde, die durch so viel Leid gegangen waren, das sie nie gekannt hatte. Nie wirklich. Das sie aber gerne kennen gelernt hätte. Denn man konnte den Schmerz über den Verlust der Mutter nur nachempfinden, wenn man eine gehabt hatte. Und dennoch war Rei nicht traurig darüber. Sie hatte zwei wunderbare Freunde, die in den letzten Wochen so viel für sie getan hatten. Das erste Mal in ihrem Leben hatte sie so etwas wie ein Zuhause gefunden. Das erste Mal in ihrem Leben konnte sie ein ganz normales Mädchen, konnte sie Ayanami Rei und nicht ein gefühlloser Klon sein. Das erste Mal in ihrem Leben besaß sie eine Familie. *** "Du brauchst keine Angst zu haben, dir kann nichts passieren." Seit dem Vorfall mit Hitsuko waren nun drei Stunden vergangen. Die Sonne hatte den Zenit überschritten, dennoch war es noch immer warm genug, um sich im Wasser zu amüsieren. Es dauerte eine ganze Weile, aber letzten Endes beruhigte sich Asuka und sie kehrten zum Pool zurück. Niemand machte sich über sie lustig, wie sie erst befürchtet hatte. Statt dessen sagten ihr mehrere Mitschüler, daß sich Yamoto wie ein Vollidiot benommen hatte und meinten, daß es ihnen leid täte. Einige erzählten ihr sogar von Verwandten, die sie selbst verloren hatten und daß sie deshalb wütend auf Hitsuko wären. Asuka nahm das alles eher überrascht zur Kenntnis, denn sie hatte erwartet, daß sich wohl fast jeder über ihre Demütigung freuen würde. Über die Demütigung der immer vorlauten, vorschnellen und überaus vorwitzigen Deutschen. Aber vermutlich hatte der Third Impact doch vieles bewirkt. Viele schienen über sich und ihre Umwelt nachgedacht zu haben, vergaben großzügig frühere Fehler und versuchten ganz einfach einen Neuanfang. Vielleicht war auch einfach nur die Stimmung so gelassen, weil die Bedrohung der Engel vorüber war und sie sich, anstelle in der Schule zu schmelzen, hier im Freibad amüsieren durften. So saß Asuka also am Rande des Schwimmbeckens, ließ ihre Beine ins Wasser baumeln und sah, den Sonnenhut mit einer Hand festhaltend, zum Sprungturm hinauf. Das Zehnmeterbrett war aus Sicherheitsgründen gesperrt worden, aber die restlichen Ebenen konnten noch immer benutzt werden. Zwei sehr bekannte Silhouetten standen soeben auf dem Dreimeterbrett und hellblaue Haare leuchteten im Sonnenlicht. "Es schaut aber so hoch aus." Gab Rei zu bedenken und sah ehrfürchtig zu, wie ein Klassenkamerad über das Brett raste und mit einer imposanten Bombe in das Wasser rauschte. Asuka schüttelte sich ein wenig, als sie einen ganzen Schwapp abbekam, beschwerte sich aber nicht weiter. Ihre Haare waren sowieso schon vom Chlor getränkt, da kam es auf die paar Tropfen auch nicht mehr an. "Es sind aber nur drei Meter, Rei. Ich bin sicher, daß es dir gefallen wird." "Na ja..." Zweifel war über Reis ganzes Gesicht geschrieben und anstelle auf den Abgrund zu zugehen, wich sie ein wenig zurück. "Laß sie doch, Shinji. Wenn sie nicht mag. Ich würde da auch niemals runterspringen." Grinste Asuka und winkte, als Rei schüchtern ihre Hand hob, um sie zu grüßen. "Aber sie ist im Wasser wie ein Fisch, Ask. Wenn sie erst einmal gesprungen ist, wird sie ganz verrückt danach sein." Erklärte der Junge und seine nassen Haare klebten in sein Gesicht, als er sich über das Geländer beugte. "Und warum würdest du hier niemals runterspringen?" Schalk stand in seinen Augen und Asuka beschloß, daß sie den Jungen bald wieder auskrabbeln mußte. Er wurde ihr gegenüber eindeutig zu frech! "Weil..." Ja, warum eigentlich? Ihre Haare konnte sie ja wohl kaum länger schützen, die waren schon naß genug. Die Höhe konnte es nicht sein, sie war schon immer abenteuerlustig genug gewesen. Wer mit einem EVA gekämpft hatte, der konnte doch vor so einem kleinen Dreimeterbrett keine Angst haben. Andererseits... Rei kannte es nicht und manchmal war sie neuen Erfahrungen gegenüber sehr skeptisch. Was wohl auch seine guten Seiten hatte, so rannte sie nicht immer gleich mit dem Kopf durch die Wand wie Asuka, sondern dachte erst einmal darüber nach, ob sie das, was sie vorhatte, auch wirklich tun wollte. Andererseits... es gab Dinge im Leben eins Mädchens, wo man nicht viel nachdenken sollte. Zum Beispiel einen frech grinsenden Jungen bestrafen. "Na warte!" grummelte Asuka und legte ihren Sonnenhut ab. Im nächsten Moment war sie auch schon die leicht glitschige Treppe hinauf gesprintet, die Mahnungen ihrer Lehrer überhörend, daß man in Nähe von Wasser nicht rannte. "Ich kriege dich, du Frechdachs!" Aber bevor sie auch nur die letzte Stufe erreicht hatte, sprang Shinji mit einem lauten Lachen ins Wasser und streckte ihr von der Oberfläche aus seine Zunge entgegen. "Krieg mich doch, wenn du kannst." Neckte er und schwamm ein wenig auf dem Rücken vom Brett davon. Damit er Platz machte, sollte Asuka sogleich hinein plumpsen oder ein Mitschüler eine Kerze, einen Kopfsprung oder eine Bombe präsentieren wollen. "Dir wird das Lachen schon noch vergehen!" knurrte Asuka, aber das breite Grinsen auf ihrem Gesicht verriet, daß ihr das alles einen Riesenspaß machte. Weg war die unnatürliche Blässe ihrer Haut, fröhliches Glitzern hatte die Tränen in ihren blauen Augen ersetzt. Sie wirkte jetzt viel fröhlicher als noch vor drei Stunden und Shinji und Rei waren beide sehr froh darüber. "Komm, dem zeigen wir's, Wondergirl!" Bevor Rei protestieren konnte, hatte Asuka auch schon ihre rechte Hand erfaßt und lief mit ihr hinauf auf das Brett. "Bei drei." "Aber..." Rei schaute sich zweifelnd um, aber sie waren allein auf dem Turm. Niemand konnte ihr helfen. Nun ja... vermutlich hätte ihr auch sonst niemand helfen können. Dies war wieder einmal eine von Asukas fixen Ideen, genauso, wie damals der Kauf ihres weißen Bikinis. Wenn sich die junge Deutsche etwas in ihren Sturrkopf gesetzt hatte, konnte nichts und niemand sie mehr aufhalten. "Eins." Rei schluckte und schaute hinab in die Tiefe. Die Sonne spiegelte sich auf der glatten Wasseroberfläche und die ehemalige EVA-Pilotin konnte das Lachen der anderen Mitschüler unter sich hören. Am anderen Ende des Beckens war wieder eine Wasserschlacht ausgebrochen. "Zwei." Das blauhaarige Mädchen konnte drei verschiedenfarbige Wasserringe leuchten sehen und vier Mädchen kämpften gegen fünf Jungen. Es sah fast so aus, als würden die laut quiekenden Mädchen gewinnen. Zumindest hatten sie bereits zwei der drei Schwimmringe erobert und waren somit ihrem Ziel der totalen Überflutung ihrer männlichen Klassenkameraden ein gutes Stück näher gerückt. "Drei!" Asuka sprang und zog Rei automatisch mit sich. Die erste Pilotin wollte schreien, aber das Gefühl war ganz anders als das, was sie gespürt hatte, als sie in dem EVA gesessen und gekämpft hatte. Nein, hier gab es keine Gefahr, keinen bodenlosen Fall, keinen harten Aufprall. Es war fast so, als würde sie fliegen. Frei und ungebunden. Bis das angenehm kühle Naß sie umfing. "Jetzt bist du dran, Shinji!" rief Asuka und schwamm so schnell sie konnte auf einen lachenden Jungen zu. Dieser machte es ihr nicht leicht, sie einzuholen. Und als sie endlich ihre krabbelbereiten Finger auf seine Seiten legte, zeigte er nur nach oben und lachte laut, da sie an ein Ablenkungsmanöver glaubte. "Nein, Ask. Schau mal da hoch, wirklich... bitte... nicht noch mehr kitzeln!" kicherte er und seine Hand fuhr zurück in das Wasser, um Asuka von sich fern zu halten und sie im Wasser herum zu drehen. "Wenn das jetzt..." Asuka verstummte, als sie Rei die Treppe hoch klettern und erneut auf das Brett hinausgehen sah. Ein glückliches Lächeln lag auf dem Gesicht des blauhaarigen Mädchens, als sie ihre Arme ausbreitete und für einige Momente die Strahlen der Sonne auf ihrer Gestalt genoß. Dann stieß sie sich ab und tauchte in einer perfekten Kerze in das Wasser hinab. "Wow." Entfuhr es der Deutschen. Dem Schauspiel sah sie noch zwei Mal zu, dann ließ sie von Shinji ab und schwamm zurück zum Turm. "Wondergirl hat ja ganz ungeahnte Talente." Asuka hechtete aus dem Wasser und drehte sich zu Shinji um. Da war ein beinahe diabolisches Grinsen auf ihren Lippen, das Shinji gar nicht so recht behagte. "Wer weiß, wie weit sie's in Turmspringen bringen würde, wenn ihr nur jemand zeigt, was man da alles machen kann." Asuka sah aus wie ein kleines Kind allein im Süßwarengeschäft. "Und du zeigst ihr, wie man einen Kopfsprung macht." "Vom Beckenrand." "Vom Dreimeterbrett." "Ach, meinst du?" "Natürlich. Du bist doch unser starker Held, oder?" Dieses Mal war es Asuka, die vor Shinji Reißaus nehmen mußte. Während Rei ihren wohl zehnten Sprung absolvierte und sich wunderte, warum man ihr noch nie jemand gezeigt hatte, daß das so viel Spaß machte. *** Die Sonne neigte sich allmählich dem Horizont entgegen. Ihr Licht wurde schwächer und eine angenehme Kühle hielt Einzug. Alle Schüler hatten sich um ein großes Lagerfeuer gescharrt und schauten ein wenig erschöpft von all dem Wassersport in die Flammen. Ein wenig erschöpft und definitiv hungrig. Die Lehrer hatten allerlei Sachen mitgebracht, die nun in dem Feuer vor sich hin schmorten. Shinjis Augen waren auf den Thunfisch fixiert, und der köstliche Duft brachte seinen Magen zum Knurren. Beschwichtigend strich er sein blaues Hemd glatt und rückte ein wenig näher an das Feuer, das in allen Farben zwischen gelb und rot die aufkommende Dunkelheit erhellte. Sie alle hatten sich ein paar Kleidungsstücke übergeworfen und es kümmerte keinen, daß diese ein wenig dreckig oder zerknittert waren. Es herrschte ausgelassene Stimmung unter den Schülern und alle waren sich einig, daß sie so einen Tag bald wiederholen mußten. Insgeheim hoffte jeder einzelne von ihnen, daß es noch sehr, sehr lange dauern würde, bis das Schulamt neue Lehrpläne herausbrachte und daß die Hitze noch viel länger währen und somit einen weiteren Besuch im Schwimmbad rechtfertigen würde. "Sie haben es sicherlich gut gemeint." Meinte Asuka und setzte sich neben Shinji. Energisch zerrte sie ihren Rucksack auf ihren Schoß und begann, hingebungsvoll darin herum zu wühlen. "Aber es gibt wieder nur Fleisch oder Fisch." Der Junge runzelte seine Stirn und schaute zurück in die Flammen. Er konnte sehr viel Folie glitzern sehen und einige hielten ihre Fleischstückchen an Spießen in das Feuer, aber es stimmte, Gemüse oder dergleichen konnte er nirgendwo ausmachen. "Oh je..." Aber bevor er etwas anderes sagen konnte, hielt Asuka schon mit einem triumphierendem >Tadam!< eine kleine Box in die Höhe. "Käse in Silberpapier und als Nachspeise einen Bratapfel." "Ob der Käse noch gut ist?" "Na klar. Es hat mich zwar Stunden gekostet, aber letzten Endes hat Misato doch ihre private Kühlbox rausgerückt. Ich hoffe, sie ist heute nicht verhungert." Asuka kicherte und ihre blauen Augen leuchteten, als sie sich nach der ehemaligen Pilotin von EVA00 umsah. "Super." Meinte Shinji plötzlich, der daran überhaupt nicht gedacht hatte. Gut, sie lebten jetzt schon ein paar Wochen mit einer Vegetarierin zusammen, aber irgendwie war es ihm einfach entfallen. Asuka dagegen hatte vorgesorgt. Nun ja, vielleicht war das auch der siebte Sinn der Frauen, den er wohl nie verstehen würde. "Du bist super!" Asuka errötete leicht, dann nickte sie und rannte über die angenehm kühle Wiese, als sie Rei am Wasser ausmachen konnte. Das Mädchen saß am Rand und hielt ihre Füße in das Naß. Leise plätscherte es, als sie ihre Beine bewegte. Ihre Augen waren geschlossen und ein friedlicher Ausdruck lag auf ihrem Gesicht. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen und sie erinnerte damit überhaupt nicht mehr an das gefühllose Wesen, das Asuka einst kennen gelernt hatte. Die Kampfmaschine, die noch erbitterter gegen die Engel gekämpft hatte als sie. Bestimmt ist sie erschöpft vom vielen Turmspringen. Asuka grinste und hockte sich neben Rei auf den kalten Beton. Das Mädchen schien die junge Deutsche gar nicht bemerkt zu haben. Shinji hatte sich dann doch dazu überreden lassen, Rei zu zeigen, wie man kopfüber ins Wasser sprang, ohne viel zu spritzen, obwohl der junge Japaner darauf bestand, es nur vom Einmeterbrett zu zeigen. Rei besaß eine wirklich ausgezeichnete Auffassungsgabe. Nur drei Versuche später stand sie auf dem Dreimeterbrett und zeigte einen unglaublich ausgereiften Kopfsprung. Einige Mitschüler, die es sahen, klatschten spontan und auch ihre Lehrerin sprach von einem Naturtalent. Sobald die Schule wieder ordentlich funktionierte, würde Rei sicherlich ins Team des Schwimmclubs aufgenommen werden. Ich wußte gar nicht, daß sie so begabt ist. Wie wir so vieles voneinander nicht wußten. Asuka war unglaublich dankbar, daß ihre beiden besten Freunde so verständnisvoll auf Hitsukos verletzende Worte reagiert hatten. Vielleicht würde sich die junge Deutsche für den Rest ihres Lebens für den Selbstmord ihrer Mutter schämen, aber sie wußte nun, daß sie nicht allein war. Daß es wenigstens zwei Menschen auf dieser weiten Welt gab, die ihr zeigten, daß sie nicht Schuld an den tragischen Vorfällen hatte. Zwei Menschen, die sie fühlen ließen, daß sie verstanden wurde. Akzeptiert wurde. Geliebt als der Mensch, der sie war und nicht diese dumme Maske, die sie immer zu sein vorgegeben hatte. "Wondergirl?" Rei zuckte leicht zusammen und öffnete müde ihre dunkelroten Augen. "Hai?" "Hier, dein Abendbrot. Leg einfach den Käse ins Feuer, dann wird er schmelzen und sehr lecker schmecken. Ist ein Rezept meiner Großmutter und ich fand es immer absolut genießbar." Asuka grinste und hielt der jungen Japanerin die kleine Box entgegen. Rei starrte einige Sekunden auf die weiße Schachtel in ihren Händen, dann wurde ihr Lächeln noch breiter. "Arigato." Sie legte ihr Essen in ihren Schoß und sah hinauf zum Himmel. Das flammende Rot des Sonnenunterganges veränderte sich langsam in ein zartes Violett, das am Horizont bereits von einem dunklen Blau abgelöst wurde. Die ersten Sterne funkelten am Firmament und es war nur eine Frage der Zeit, bis der Mond aufgehen würde. "Ich hoffe, daß Lily genug zu Fressen bekommt." Lily. Auf diesen Namen hatte Rei ihr kleines Meerschweinchen getauft, das sie abgöttisch liebte. Zuerst hatten sie alle das kleine Tier für ein Männchen gehalten und Asuka präsentierte bereits die ausgefallensten, gewiß deutschen, Namen, bis Misato das Meerschweinchen näher untersuchte und ihnen zu ihrer Überraschung sagte, daß ihr vierter Untermieter eine kleine Meerschweinchendame sei. Also wurden alle Pläne Asukas über den Haufen geworfen und Rei nannte das Fellbündel in ihrer Hand ganz einfach Lily. Der kleine Schneeball, wie Shinji es manchmal nannte, schien seinen neuen Namen zu mögen. Immer, wenn sie abends gemeinsam noch einen Film im Fernsehen ansahen, saß Rei auf einem großen Kissen, mit Lily auf ihrer Schulter, die mal wieder an hellblauen Haaren knabberte. Natürlich durften Asuka und Shinji das kleine Haustier auch mal streicheln und es war ihnen immer gestattet, ein Salatblatt vor das gierige Schnäuzchen zu halten, aber so richtig Vertrauen hatte das Meerschweinchen nur Rei gegenüber. "Misato hat versprochen, sich um Lily zu kümmern. Misato hält ihre Versprechen." "Na, hoffentlich bekommt sie dann auch Salat und kein Bier." Asuka gluckste bei der Vorstellung und drückte sanft Rei's Schulter. "Ich denke, Lily ist so schlau und wird ihr schon mit lautstarkem Quieken genau sagen, was sie fressen will und was nicht." Nun kicherte auch Rei. "Hast wohl recht, Ask." Ask. Das war ein Spitzname, den Shinji in letzter Zeit häufiger für die junge Deutsche benutzte, den Rei wohl langsam zu übernehmen begann. Asuka freute das insgeheim. Sie hatte noch nie einen Spitznamen besessen - zumindest nicht so einen nett gemeinten. Wondergirl. Ask. Baka. Ja, mit diesen Spitznamen konnten sie alle drei wohl ganz gut leben. Auch wenn Shinji da eventuell anderer Meinung war, er war überstimmt. "Komm, laß uns zurück zum Lagerfeuer gehen. Damit wir was zwischen die Kiemen kriegen." Meinte Asuka und erhob sich. Ihr Magen brummte leise vor sich hin und sie freute sich schon auf das Steak, das sie sich schon vor einer halben Stunde reserviert hatte. Rei nickte, umfaßte die kleine Box fester mit ihren Händen und folgte der jungen Deutschen. *** Nun war es richtig dunkel geworden und die Flammen erstarben langsam. Rot leuchtete die Glut in der sternklaren Nacht und einige Lehrer hatten beschlossen, noch ein paar spannende Geschichten zu erzählen. Ihr Bus würde sie erst in einer halben Stunde abholen und zurück zur Schule fahren, so hatte man beschlossen, die Zeit sinnvoll zu nutzen und einige Sagen aus der japanischen Mythologie zu erzählen. Ihr Ethiklehrer, ein sehr junger, lustiger Mann, formulierte diese Legenden natürlich um und transformierte sie einfach in die heutige Zeit. So daß sich einige Götter über defekte Mikrowellen ereiferten und starke Recken nicht auf unzähmbaren Hengsten, sondern auf schnellen Motorrädern anstelle über den weiten Himmel über breite Autobahnen preschten. Bald bogen sich die Schüler vor Lachen. Es war eine unglaublich gelöste Atmosphäre. So voller glücklicher Menschen. Eine Atmosphäre, die viele Schüler aufgrund ihres Alters noch nie erlebt hatten. Für sie hatte es bisher nur Angst vor den Engeln gegeben. Nächte wie diese hätten sie früher wohl in einem der vielen Luftschutzbunker verbracht oder wären vollkommen aus Neo Tokio evakuiert worden. Heute aber waren sie alle einfach nur glücklich. Shinji lächelte vor sich hin, als er an seiner Cola nippte und lachte mit seinen Mitschülern, als ihr Ethiklehrer eine andere Sage auf die Schippe nahm. "Auf die Idee wäre ich nie..." er drehte sich um, um kurz mit Asuka darüber zu diskutieren und stockte, als er Asuka gegen einen der großen Bäume gelehnt sah. Rei war neben ihr zusammen gesunken, vermutlich hatte sie die Müdigkeit nach all den Turmsprüngen letzten Endes doch eingeholt. Ihr Kopf lag in Asukas Schoß und die junge Deutsche hatte die einmalige Chance genutzt. Ihre Haarbürste glitzerte im fahlen Licht des gerade aufgegangenen Mondes und Shinji konnte sehen, daß sie schon mehrere Bündel hellblauer Haare zu kleinen Zöpfen gelochten hatte. Da Reis Haare ihr nur knapp auf die Schultern reichten, standen sie von ihrem Kopf wie die Stachel von einem Igel abstehen. Es sah unglaublich komisch aus. "Sie wird dich mit ihren Augen zu Tode starren, wenn sie wieder aufwacht." Murmelte er und konnte ein Lachen nicht unterdrücken. "Wieso denn? Das sieht doch niedlich aus!" protestierte Asuka, legte ihre Bürste beiseite und fuhr fort in ihrem Werk. "Niedlich?" wieder mußte Shinji lachen. "Na, hoffentlich machst du das nie mit mir!" "Bei deinen Stuppeln? Vergiß es!" "Hab' ich ein Glück!" "Sei nicht so gemein. Wondergirl wird ihre neue Frisur bestimmt mögen!" "Träum weiter." "Ignorant!" Asuka streckte ihm die Zunge aus, dann konzentrierte sie sich wieder auf das Flechten der widerspenstigen, aber sehr weichen Strähnen. Es hatte sie schon den ganzen Tag in den Fingern gejuckt, besonders, nachdem Reis frisch getrocknete Haare wild um ihre Ohren gestanden hatten. "Ich bin froh, daß ihr zwei endlich richtige Freunde geworden seid." Shinji lächelte ehrlich, dann wandte er sich wieder um, um einer weiteren abgewandelten Legende ihres Ethiklehrers zu lauschen. Bald erfüllte wieder lautes Lachen die Luft, übertönte das angenehme Knistern des langsam erlöschenden Lagerfeuers. Asuka beendete einen weiteren Zopf und hielt kurz inne, um über Reis leicht gerötete Wange zu streicheln. Die junge Japanerin verzog nur ein wenig gestört ihr Gesicht, schlief aber weiter. "Ich auch." Flüsterte die Rothaarige so leise, das sie keiner hören konnte. Für einige Augenblicke dachte sie mit Schauern an all die Momente zurück, in denen sie so kaltherzig zu der ehemaligen Pilotin von EVA00 gewesen war, in denen Rei sie mit ihrem gefühllosen Gehabe auf die Palme getrieben hatte. "Ich auch. Und wie." *** Lautes Telefonklingeln weckte sie am nächsten Morgen. Asuka wollte es zunächst ignorieren und preßte ihr Kopfkissen hart auf ihr rechtes Ohr, aber es half alles nichts. Vermutlich schliefen die anderen zwei noch so fest, daß sie es gar nicht hörten und Asuka hatte keine Lust, die nächsten fünf Minuten durch das unangenehme Geräusch noch richtig wachgerüttelt zu werden. Also war es wohl besser, das Telefon zu beantworten und dann gleich wieder zurück in ihr weiches Bett zu kriechen, um noch ein wenig länger schlafen zu können. Sechs Uhr in der Früh! Asuka gähnte herzhaft und stolperte durch den Flur. Heute war Samstag, keine Schule. Es war gemein, sie an einem Tag wie diesen so zeitig zu wecken! "Hm?" nuschelte sie in den Hörer und schaute verschlafen zu Lily, die ebenfalls in ihren Häuschen lag und sehr müde aussah, aber vorsichtshalber ihr Schnäuzchen in die Luft reckte, nur für den Fall, daß vielleicht ein Salatblatt in den Käfig fiel und ihr ein zeitiges Frühstück bescherte. Kurz hörte die junge Deutsche der etwas schüchternen Mädchenstimme am anderen Ende zu. Sie wollte bereits tief Luft holen, um die anderen wach zu schreien, als auch schon Türen aufgeschoben wurden und Rei und Shinji neben ihr erschienen. Beide sahen genauso verschlafen aus. Rei sogar noch um einiges mehr, da ihr Haar noch immer in exakt 36 Zöpfe geflochten war und diese leicht abgewinkelt in alle Richtungen abstanden. Ihr Nachthemd war zerknittert und Asuka wußte, womit sie Shinji den ganzen Tag über aufziehen konnte, als sie seine Boxershorts sah. "Es ist für dich, Wondergirl. So eine Sakura ist dran. Du weißt doch, die aus der Parallelklasse. Es geht um den Schwimmclub." Sie gähnte erneut herzhaft und überreichte einer sichtlich überraschten Rei den Hörer. "Soll ich Brötchen holen? Der Bäcker müßte schon aufhaben." Bot sich Shinji an und köderte Lily mit einem Salatblatt. Der Meerschweinchen zögerte nicht lange und kam neugierig aus ihrem Häuschen getrottet. Bald erfüllte ihr Knabbern und Reis verwundertes Schweigen die Wohnung und großzügig ließ sich Lily von ihrem edlen Spender hinter den Ohren kraulen. "Bist du denn nicht mehr müde?" fragte Asuka, die sich selbst wie eine wandelnde Leiche fühlte. Es war sehr spät geworden letzte Nacht und sie fühlte sich dementsprechend ausgelaugt. "Die Sonne ist schon aufgegangen und wir haben jetzt schon 25 Grad. Bei der Hitze kann doch niemand schlafen." Shinji blickte hinaus zum Fenster und streckte sich ein wenig, um die Müdigkeit aus seinem Körper zu vertreiben. "Außerdem dachte ich, daß wir heute noch mal ins Freibad gehen. Dort kannst du im Schatten noch genug schlafen." "Na gut." Asuka setzte sich auf ein weiches Kissen und bedeckte ihre brennenden Augen mit ihren Händen. "Ich werde schon lernen, meine Brötchen im Schlaf zu schmieren." "Solange du nicht all zu laut schnarchst dabei." Grinste Shinji und ging in Deckung, als Asukas linker Fuß spielerisch nach ihm zielte. In dem Moment kam Rei zu ihnen hinüber, noch immer den Hörer in ihren Händen haltend. Aber es sah so aus, als sei das Telefonat bereits beendet. "Es war Sakura." Sagte sie leise, noch immer stand ihr die Überraschung ins Gesicht geschrieben. "Sie ist die Vorsitzende des Schwimmvereins und hat mich gestern vom Turm springen sehen. Die wollen mich in ihrem Team haben." Rei schüttelte ungläubig ihren Kopf. "Mich!" Es schien ihr vollkommen unerklärlich zu sein, wie jemand gerade sie haben wollte. Grimmig dachte Shinji, der ihre Gedanken erriet, daß Rei einfach zu lange in EVA00 kämpfte, daß die junge Japanerin einfach eine verkehrte Vorstellung von sich selbst nach ihrer Erziehung zur Pilotin hatte. "Natürlich wollen sie dich, Rei. Du hast ein großes Talent. Du schwimmst wie ein Fisch und springst wie ein junger Gott." Bei diesen Worten errötete Rei stark und umklammerte das Telefon stärker. "Heute nachmittag soll ich mich mit ihnen im Schwimmbad treffen." "Das ist doch super!" Asuka versuchte krampfhaft, ihre Augen offen zu halten und jubelte, wenn auch ein wenig verschlafen. "Wir wollten heute sowieso noch mal ins Schwimmbad, da können wir dich auch gleich begleiten und mal schauen, was die anderen so drauf haben." "Solange DU denen nicht deinen berühmten Bauchklatscher zeigst." Stichelte Shinji, aber Asuka ignorierte ihn absichtlich. Sie war einfach zu müde, um sich jetzt mit ihm zu balgen. Das hatte ja auch noch später Zeit. "Naja..." Rei blickte ein wenig unsicher von Shinji zu Asuka und zurück und entschloß sich schließlich, ihre Lily auf den Arm zu nehmen. Das Meerschweinchen putzte sich kurz das Schnäuzchen, bevor es den Arm hinauf rannte und es sich an Reis Hals bequem machte. "Ich weiß doch gar nicht, wie man mit fremden Menschen umgeht." Rei senkte schuldbewußt den Kopf und zuckte, sehr zu Lilys Mißfallen, hilflos ihre Schultern. Einen kurzen Augenblick sahen sich Asuka und Shinji an, dann trat Shinji zum dem ehemaligen First Children hinüber. Zu gut konnte er sich noch daran erinnern, wie Rei gewesen war, als sie noch gemeinsam in den Kampfrobotern gegen Engel gekämpft hatten. Und zu gut hatte er die Veränderung in der jungen Japanerin miterlebt. Aus dem gefühllosen, verschlossenen Mädchen war ein offenes, liebevolles Wesen geworden, das offen lächeln und sogar Witze reißen konnte. Gestern im Schwimmbad war sie richtig aufgeblüht und hatte sich hier und da schon scheu mit einigen Klassenkameraden unterhalten, die sie früher nie wahrgenommen hatten. Wasser war Reis Element, sie paßte gut in den Schwimmclub. Auch mit den Mitschülern dort würde sie sicherlich gut zurecht kommen. Ja, gestern hatte Rei die halbe Schule davon überzeugt, daß sie nicht das stille, introvertierte Mädchen war, das sie in der Schule kennen gelernt hatten. Genauso wie Asuka mit einem Mal sanfter und verständnisvoller war und Shinji urplötzlich lauthals lachen konnte. Ja, es hat sich viel seit dem Third Impact verändert. Zum Guten hin. Shinji lächelte Rei vertrauensvoll an und hielt einer leicht durchgerüttelten Lily ein Salatblatt hin. Das Meerschweinchen beschloß, daß ihr das Schmollen nicht viel bringen würde und begann schließlich, genüßlich zu knabbern. "Doch, du weißt, wie du mit anderen Menschen umgehst, Rei. Das hast du gestern gezeigt." Sagte der junge Japaner leise, aber bestimmt. "Genau." Gähnte Asuka ausgiebig und rieb ihre müden Augen. "Sei einfach du selbst, Wondergirl. So, wie du es gestern im Schwimmbad auch gewesen bist. Dann kann nix mehr schief gehen." Aufmunternd lächelten sie beide und Rei nickte andächtig. ------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------ Epilog: Lachen Der heiße Sommer ging vorüber und zusammen mit dem Herbst kamen auch die neuen Lehrpläne. Die Badesaison war beendet und das Training des Schwimmclubs, der nun um ein sehr talentiertes Mitglied reicher war, wurde in das Hallenbad der Schule verlegt. Dennoch war die Stimmung bei den Schülern nicht gedrückt, im Gegenteil. Der Unterricht wurde nun etwas anders abgehalten als noch vor wenigen Monaten, es wurden andere Themen gelehrt und der Second Impact schien aus den alten, abgegriffenen Büchern verschwunden zu sein. Die Welt begann, sich von dem Terror der Engel zu erholen und die Menschen taten es mit ihr. Zudem kam die Überraschung, daß sich die Natur wieder an die Jahreszeiten hielt. Noch nie hatten die Schüler einen solch heißen Sommer erlebt, und das Färben der Laubbäume war ihnen ebenfalls fremd. Aber rasch gewöhnten sie sich daran und es gab heiße Schlachten in den bunten Blättern. Ein Mann stand auf dem Gang eines großen Wohnblocks und schaute dem herbstlichen Treiben zu. Wie schnell doch die Zeit vergangen war! Nun lag der Third Impact fast zwei Monate zurück und dennoch war er noch nie hier gewesen. Immer hatte er seinen Sohn zu sich eingeladen oder sie waren irgend wo hin essen gegangen. Aber heute mußte er einfach kommen. Heute war ein besonderer Tag und über die letzten Wochen hinweg war ihm bewußt geworden, daß seine Arbeit nicht das Wichtigste in seinem Leben war, sondern seine kleine Familie. Zumindest der Teil, den er nicht über die letzten zehn Jahre zerstört hatte. "Ikari-san!" Misato stieg aus dem Fahrstuhl, einen großen Blumenstrauß in ihren Händen haltend. Ein breites Grinsen überzog das Gesicht der jungen Frau und rasch überprüfte sie, ob ihr dunkelblaues Kleid auch richtig saß. Schließlich wollte sie von ihrem Chef nicht über ihre Kleiderordnung aufgezogen werden. Wenn sie Glück hatte, übersah er vielleicht auch die winzigen Tomatenflecken auf dem Saum, aber sie hatte nach der Arbeit einfach keine Zeit mehr gehabt, sich umzuziehen. "Das ist aber schön, daß Sie auch kommen konnten. Shinji wird sich bestimmt riesig freuen." Der Kommandant drehte sich um und sie sah, daß er ein großes, in Geschenkpapier eingewickeltes Päckchen bei sich trug. Er hat sogar an ein Geschenk gedacht! "Natürlich bin ich da. Mein Sohn wird schließlich nur einmal in seinem Leben 15 Jahre alt!" Ikaris Stimme war selbstsicher, aber beide wußten, daß dies in der Vergangenheit gar nicht so selbstverständlich gewesen war. "Dann wollen wir mal." Misato klingelte und sie beide taumelten ein paar Schritte zurück, als die Tür schwungvoll aufgerissen wurde. Einige Sekunden später hatte Shinji seinen Vater heftig umarmt und Misato konnte das Geschenk des Kommandanten nur mit Mühe und Not retten. Früher wäre er nicht so offen gewesen. Misatos Grinsen wurde noch breiter. Ich bin froh, daß er fröhlich ist. Schließlich ist er ein fünfzehnjähriger Junge und sollte sich auch genauso verhalten! Bevor Ikari jedoch etwas zu seinem Sohn sagen, ihm zu seinem Geburtstag gratulieren konnte, drang Lärm aus dem Wohnungsinneren und machte jeglichen Gedankenaustausch unmöglich. "Was ist denn hier los?" fragte Misato über den hohen Geräuschpegel hinweg. "Ich hab noch ein paar Klassenkameraden eingeladen und jetzt spielen sie alle im Wohnzimmer >Ninja Fighter<." Misato nickte. Sie selbst hatte Shinji dieses Spiel erst heute in aller Frühe zum Geburtstag geschenkt. Es war sein Wunsch gewesen und anscheinend hatten seine Freunde großen Spaß daran. Lautstark riefen sie seltsame Namen, vermutlich die Namen der Kämpfer, und lachten fröhlich. Misato hatte sich kurz die Beschreibung auf der Rückseite der Spielverpackung durchgelesen und so richtig hatte sie das Videogame nicht begriffen. Aber sie war ja auch keine Fünfzehn mehr. "Und wieso spielst du nicht mit?" "Ich hab' schon drei Mal verloren und die anderen wollen ja auch mal spielen." Gestand Shinji und errötete ein wenig. "Aber gegen diese Kampfkatzen kommt ja auch keiner an!" "Kampfkatzen?" Der Kommandant schien kein Wort mehr zu verstehen. Auch hatte er sich nie mit derlei Spielen auseinander gesetzt. In dem Paket unter seinem rechten Arm verbarg sich eine Stereoanlage, mit der Shinji endlich seine Musik so richtig schön laut anhören konnte. Davon verstand Ikari etwas. Vielleicht werde ich auch einfach nur alt. Bei dem Gedanken mußte er amüsiert lächeln. Wenn seine Frau noch am Leben wäre, sie hätte ihm bestimmt einen leichten Klaps auf den Hinterkopf gegeben und behauptet, daß er noch lange nicht aufs alte Eisen gehörte. Schließlich besaß er noch kein graues Haar. Oder zumindest keines, das er sich nicht sofort ausgezupft hätte. Shinji geleitete sie hinüber zum Wohnzimmer und der Geräuschpegel stieg noch um einige Dezibel an. Daß sich die Nachbarn nicht beschwerten, das war ein Wunder. Oder aber sie wurden inmitten des Lärms einfach überhört. Auf den weichen Sesseln saßen zehn Jugendliche und starrten in den Fernseher. Acht von ihnen kannten Ikari und Misato vom Sehen her. Sie waren Schulkameraden von Shinji und schienen sich prächtig zu amüsieren. Direkt vor dem Gerät saßen zwei sehr bekannte Gestalten und starrten entschlossen zum Bildschirm hinauf, über den mehrere Gestalten in Katzenform tänzelten. "Man kann sich jeden beliebigen Charakter erschaffen und muß dann gegen Ninja kämpfen und gewinnen." Erklärte Shinji, aber weder Misato noch Ikari konnten mit seiner Erläuterung etwas anfangen. Teils, weil ihr persönliches Videospiel aus MAGI bestand, teils, weil sie gebannt auf die zwei Mädchen starrten. Asuka und Rei grinsten über das ganze Gesicht, während ihre Hände hektisch auf kleinen Spielkonsolen umherflogen. Asuka hatte ihre feuerroten Haare im Nacken zusammen gebunden und saß im Schneidersitz auf dem weichen Teppich. Sie trug dunkle Hosen und ein grellgrünes T-Shirt mit der Aufschrift: Ich bin die Größte! Es war in einer fremden Sprache, vermutlich Deutsch, geschrieben, aber niemand rätselte weiter über den Inhalt. Asuka hatte sich über die letzten Wochen sehr verändert, aber einige Charaktereigenschaften gehörten einfach zu ihr. Ohne diese wäre das Leben auch viel zu langweilig und Shinji hätte nichts, womit er die junge Deutsche immer wieder necken könnte. Ein grelles Licht flackerte über den Bildschirm und eine Katzenfigur fiel in einem roten Kegel zu Boden. "NEIN!!!" Asuka starrte entsetzt auf ihre Konsole, dann auf den Bildschirm und schließlich auf ihre Klassenkameraden. "Das kann nicht sein..." stotterte sie, vollkommen verwirrt und schüttelte das kleine, schwarze Kästchen in ihren Händen, um zu überprüfen, ob es kaputt sei. Das war es natürlich nicht. "Ich war doch gerade am Gewinnen... das kann doch nicht sein..." "Du hattest nur noch zehn Prozent Leben. Hast du das etwa nicht bemerkt?" Misato riß ihre Augen auf, als sie zu Rein hinüber blickte, die eben gesprochen hatte. Bisher hatte die junge Frau das Mädchen nur in ihrer Schuluniform gesehen, die sie tagsüber trug. Nun aber war die junge Japanerin in ein violettes Kleid gehüllt, dessen Saum silbern glitzerte. Ein kleines Meerschweinchen saß auf ihrer Schulter und schaute sehr zufrieden aus. Ein Salatblatt steckte in seinem Schnäuzchen und munter knabberte es vor sich hin. Was jedoch Misato am meisten verwunderte, war Reis Frisur. Ihre Haare reichten ihr bis auf die Schultern herab, das war der jungen Nerv-Mitarbeiterin nie aufgefallen, und jemand hatte zwei große Strähnen genommen und zu Zöpfen zusammen gebunden, die nun direkt über Reis Ohren thronten. Es sah frech aus und Misato ahnte, daß Asuka Rei mit ihren Künsten solange genervt hatte, bis die junge Japanerin nachgab. "Nur noch zehn Prozent?" Die junge Deutsche sah noch verblüffter drein und konnte es gar nicht fassen, daß sie soeben verloren hatte. Dabei hatte sie sich doch auf der Gewinnerstrecke gefühlt und den Preis, ein halbes Pfund weißer Schokolade mit Mandelsplittern, schon fast auf ihrer Zunge geschmeckt. "Das ist unfair!" Nun schmollte sie und machte dabei ein solches Gesicht, daß sogar Ikari schmunzeln mußte, während die restlichen Jugendlichen kicherten oder in schallendes Gelächter ausbrachen. Erst sah die junge Deutsche aus, als wolle sie jeden einzelnen eigenhändig erwürgen, dann aber erhellte sich ihre Miene und sie mußte ebenfalls grinsen. "Du kriegst auch was ab." Kicherte Rei, deren Katzenkrieger bisher jedes Spiel heil überstanden hatte und die nun die Führung um die Schokolade übernahm. "Ich kann sowieso nicht alles allein essen." "Krieg ich dreißig Prozent?" begann Asuka natürlich, sofort zu feilschen. Jeder wußte, daß sie weiße Schokolade liebte und schon den ganzen Tag um Shinjis Geburtstagstisch umher tigerte. "Du bist ganz schön verfressen, weißt du das, Ask?" Ikari riß nun ebenfalls seine Augen auf, als er die neckende Stimme hörte, in der ein leises Kichern mit schwang. Eine ruhige Stimme, die er bisher nur neutral, ja beinahe gefühllos erlebt hatte. Aber er hatte sich nicht geirrt, es war Rei gewesen, die da gesprochen hatte. "Und du bist furchtbar frech, Wondergirl. Das ist reinstes Anfängerglück." "Bei dir ist's wohl Profipech." "Wondergirl!" "Ask!" Shinji schüttelte nur amüsiert seinen Kopf und nahm Misato mit einem >Arigato< die Blumen ab, um sie in eine Vase zu stellen. Nein, mit Asuka wurde es nie langweilig, und seitdem Rei auftaute und sich wie ein normales Mädchen benahm, wurde ihr Leben noch viel lustiger. Ja, er war unheimlich froh, daß er sich damals vor fast zwei Monaten durchgesetzt und diese Wohngemeinschaft mit den ehemaligen Children Nervs gegründet hatte. Asuka und Rei waren mehr als nur seine besten Freunde, sie waren neben seinem Vater und Misato seine Familie. Shinji ahnte, daß es den beiden Mädchen ähnlich wie ihm ging. "Frechdachs!" Lily, das kleine Meerschweinchen, brachte sich rechtzeitig in Sicherheit und beobachtete, noch immer kauend, in den Händen eines Mädchens mit kurzen, braunen Haaren, wie Asuka über Rei herfiel und ihre stärkste Waffe einsetzte, die auch Shinji zu fürchten gelernt hatte: Sie kitzelte die junge Japanerin aus. Der Kommandant hätte beinahe das Geschenk fallen gelassen, als Rei, die sonst so gefühllose, introvertierte Pilotin von EVA00, herzhaft zu lachen begann. Sie sah so glücklich aus, wie Ikari sie noch nie zu vor in seinem Leben gesehen hatte. So glücklich, wie sie ihr ganzes Leben schon hätte sein sollen. So glücklich, wie sie jetzt endlich war und wie sie es zusammen mit ihren besten Freunden - ihrer Familie - wohl auch bleiben würde. *** Finis Letzte Erläuterungen: Diese Geschichte hat an dem Sommer Fanfiction-Wettbewerb des Animexx 2002 teilgenommen. Bedingungen waren die Jahreszeit Sommer, ein Gewässer und eine Mindestzahl von 20 sowie eine Höchstzahl von 50 Seiten. ICH HABE GEWONNEN!!! Das hat mich richtig glücklich gemacht. Wirklich. Danke schön an die Jury für das tolle Organisieren, das Bewerten und - natürlich - das Lesen ^-^. Leider habe ich keine Ahnung, wann Shinji genau Geburtstag hat. Ich habe noch einmal den Manga durchgelesen, aber leider keine Anhaltspunkte finden können. Also hab' ich diesen Tag einfach in den Herbst gelegt, denn der Junge kann ja nicht ewig 14 bleiben ^-^. Falls sich jemand fragen sollte, wer ist denn nun mit wem zusammen, darauf kann ich leider keine Antwort geben. Für mich sind Shinji, Asuka und Rei die besten Freunde und frühere Leidensgenossen im Kampf gegen die Engel. Hier sollte kein Annäherungsversuch oder eine beginnende Liebesgeschichte erzählt werden, sondern einfach nur eine Geschichte über drei richtig dicke Freunde. Das ist nun meine Version des "Third Impact". Teils, weil ich diese seltsamen Filme nicht verstanden habe (hat das überhaupt jemand? *grins*) und teils, weil mir diese Variante irgendwie logischer erscheint. Wenn sich die Menschen durch die Vernichtung der Engel und der Veränderung der Welt wandeln sollen, dann doch eher so: Shinji wird ein fröhlicher Junge, Asuka eine aufbrausende, aber dennoch sehr verständnisvolle Freundin und Rei endlich ein offenes Mädchen, das Gefühle besitzt. Danke schön fürs Lesen ^-^. April Eagle Geschichte beendet am: 23. August 2002 Geschichte veröffentlicht am: 21. Oktober 2002 Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)