Funny Boy von Vanillaspirit (Wichtel-Fanfic für bad_kitty) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Es war eisig, verschneit und Valentinstag. Drei Dinge, die Kawachi Kyousuke an einen emotionalen Tiefpunkt brachten. Die Hände tief in den Taschen, stapfte er durch, für Tokyos Innenstadt ungewöhnlich tiefen Schnee und versuchte immer wieder kichernden Mädchengruppen auszuweichen. Er wurde an normalen Tagen schon kaum vom weiblichen Geschlecht wahrgenommen und wenn, dann höchstens von leichten Mädchen, die in ihm schon nicht einmal mehr eine leichte Beute, sondern nur noch Aas sahen. Heute war dieser Zustand noch schlimmer. Sie schauten ihn nicht einmal an, obwohl sie ihn anrempelten. Es war, als würde das zweite X-Chromosom die Fähigkeit den Bäcker zu sehen, hören oder wenigstens zu riechen, völlig unterdrücken. Nicht gerade etwas, was einem jungen Mann im fortpflanzungsfähigen Alter diesen Tag versüßte. „Excuse me?“ Im ersten Moment nahm Kawachi die Stimme neben ihm gar nicht wahr und reagierte erst, als sich eine Hand auf seine Schulter legte. Hastig drehte er sich um und funkelte die impertinente Person an, die es gewagt hatte ihn bei seinen Gedankengängen zu stören. Seine Brauen trafen sich über der Nasenwurzel und er versuchte fast verkrampft Blitze aus seinen Augen zu schießen. Es war seine Art mit dieser Sorte Mädchen umzugehen, die sogar an einem Tag wie diesem glaubten, er hätte es so nötig - und es musste eine dieser Zicken sein. Wer sonst trug bei Minusgraden einen Minirock? Da halfen auch der dicke Anorak und die gefütterten Cowboystiefel nicht, ein etwas seriöseres Auftreten vorzugaukeln. „Nicht heute – klar?“ Das Mädchen im Minirock blinzelte verwirrt über dem rosa Schal, der fast alles an Gesicht verdeckte. „Sorry“, sagte sie eher aus einem Reflex heraus. Ihr Gegenüber begann heftig mit einer Hand zu winken und deutete an, sie solle sich doch schnell verziehen. Ein aussichtsloses Unterfangen, was ihm nur einen noch irritierteren Blick einbrachte. Es war mittlerweile offensichtlich, dass die Fremde ihn für sehr sonderbar hielt. Sie legte ihren Kopf schief und eine einzelne blonde Strähne rutschte unter ihrer Wollmütze hervor. „Saint Pierre?“ Kawachi bemerkte erst jetzt ihren harten Akzent und starrte sie an wie ein exotisches Tier. „Hä?“, fragte er äußerst charmant und weltmännisch. Die Fremde verengte die Augen. Ihr Blick sagte alles: er war ein Idiot und sie hatte das Pech auf ihn angewiesen zu sein. Nachdenklich kramte sie in ihrem Verstand nach allem, was sie an japanisch aufbringen konnte. „Wo Saint Pierre ist?“ Ihr Gegenüber zog eine Grimasse. Ihre Betonung klang so unglaublich falsch, aber wenigstens bemühte sie sich. Er holte tief Luft und rasselte eine Antwort hinunter, die nur ein fettes Fragezeichen in ihr Gesicht zeichnete, zumindest auf den Teil, der zwischen Mütze und Schal erkennbar war. „Please, stop!“ Hilflos schaute sie ihn mit einem ‚Jungfrau in Nöten‘-Blick an, der seine naturgemäße Wirkung nicht verfehlte: Kawachis Wangen glühten. Sein Hormonhaushalt begann in Wallung zu kommen, schüttete alles aus, was er für relevant hielt und erinnerte den Jungen kichernd daran, dass er ein Mann war, ein Beschützer, der Typ mit der Keule und sie war eine Frau. Ein Bild aus Urzeiten lief innerhalb der grauen Masse zwischen seinen Ohren ab: Mann mit Keule schlägt Frau ohne Keule, weil es einfacher ist als erst einmal mühevoll Mammuts für romantische Dinner zu jagen, sich ihren Geburtstag zu merken und sich mit der Schwiegermutter gut zu stellen. Hauptsache Mann mit Keule schleppt Frau ohne Keule am Ende noch lebend in die Nun-nicht-mehr-Junggesellenhöhle. Etwas barbarisch vielleicht und in Zeiten der Emanzipation nur noch schwer zu bewerkstelligen, also wählte Kawachi einen Weg, der eigentlich noch hinterhältiger war, dies aber sehr gut zu verstecken wusste. „Ich werd‘ dich hinbringen“, erklärte er generös, während sein Testosteron bereits die Keule polierte. Ächzend bemühten Kawachis Gesichtsmuskeln sich ein Grinsen zu formen, ohne einen Krampf zu bekommen. Eine Meisterleistung angesichts der Tatsache, dass seine Mundwinkel fast an seine Ohren stießen. Es war Valentinstag und er ging mit einem hübschen, exotischen Mädchen durch die Stadt. Er glaubte zumindest, dass sie hübsch war, exotisch aber auf jeden Fall. Es war dabei auch völlig egal, dass rein gar nichts zwischen ihnen war, Hauptsache er wurde gesehen und konnte es Kuroyanagi, Suwabara und den anderen heute leer Ausgegangenen fingerbreit unter die Nase schmieren. „Ist es weit?“ Der junge Bäcker zuckte zusammen und zog hastig seine Hand zurück, die sich fast von allein beinahe auf ihren Rücken gelegt hätte. Er blinzelte verwirrt, als er ihre Augen bemerkte. Das Blau war wesentlich kühler und trüber, als noch vor ein paar Minuten. Sie wirkte frecher, abgebrühter und nicht mehr wie die hilflose Ausländerin von vorhin. „Nein, wir sind gleich da.“ Nachdenklich betrachtete er das Mädchen, welches den Ärmel ihrer Jacke zurückschob und eine Armbanduhr freilegte. „Too early“, murmelte sie zu sich selbst. Ihr Blick wanderte über die Straße, von Haus zu Haus und blieb schließlich an einem StarBucks auf der anderen Straßenseite stehen. Ihr Begleiter konnte nicht schnell genug reagieren, da hatte sie ihn schon am Ärmel gepackt und halb über die Straße gezogen. „Need a coffee badly.“ Sie ließ ihm keine Zeit über die momentane Situation nachzudenken, da ging er schon wieder auf dem Fußweg und hielt einen Pappbecher mit so etwas ähnlichem wie Kaffee, nur mit mehr Milch, Schaum und Zimtgeruch, in der Hand. Zu sagen er wäre verwirrt, wäre eine reine Untertreibung. Er hatte das Gefühl, einige Zeit seines Lebens sei einfach unter den Cutter gekommen, bevor er überhaupt sehen konnte, ob die Szene nicht vielleicht doch brauchbar gewesen wäre. „Äh“, war alles was seine geistige Grütze als Kommentar dazu hervorbringen konnte. „What?“ Oh ja, natürlich, seine Begleitung war auch noch da. Mit ihren Rehaugen, falls Rehe blaue Augen haben konnten, schauten sie von ihrem Pappbecher auf, aus dem noch nicht ein Schluck fehlte. Ihre Finger hielten den heißen Kaffee fest, als wäre er die Quelle allen Lebens und ihr Tod wäre besiegelt, wenn sie diese verlieren würde. Ein seltsames Wesen, selbst für eine Frau. Nicht, dass Kawachi viel Erfahrung mit Frauen hatte. Er kannte gerade einmal drei, die auch mit ihm sprachen. Mit zweien war er verwandt und die andere stand außerhalb jeder Skala. Die würde erst einen Mann in ihm sehen, wenn er sich wie ein naiver Idiot verhielt, den ganzen Tag vom Backen sprach und es ihm nicht zu peinlich war Haarschmuck in der Öffentlichkeit zu tragen. Vielleicht reichte dafür auch schon eine eigene Kollektion an seltsam klingenden Brotvariationen. Er zuckte mental die Schultern. Das Herauszufinden stand auf seiner Prioritätenliste nicht gerade an erster Stelle. „Yo, boy?“ Seine Braue schnellte hoch und langsam drehte Kawachi sich zu seiner eigenartigen Begleitung. „Yo, boy?“, wiederholte er mit einer Mischung aus Irritation und Schmollen. „What’s the matter with your monkey face?” Monkey? Kawachis innere Stimme quietschte entsetzt auf. Getroffen schob er die Unterlippe vor und blickte sie beleidigt an, was sein Gesicht nur noch mehr in ein Cheetah-Gedächtnis-Bild verwandelte. Es rang ihr nicht mehr als ein Kichern ab. „You’re funny.“ Sie lachte, über ihn, heute, in aller Öffentlichkeit und er konnte nicht einmal so tun, als hätte er einen Witz gemacht. Jeder positive Moment war verflogen und mit Lichtgeschwindigkeit näherte seine Laune sich wieder einem depressiven Tiefpunkt. Er bereute es mittlerweile diesen Tag doch nicht allein verbringen zu können. Hätte sie ihn nicht einfach übersehen können, wie alle anderen auch? Dann würde jetzt wenigstens nicht die Blicke der vielen Passanten in seinem Rücken spüren. Jedes Augenpaar, das auf ihn fiel, war wie ein Messerstich und er wand sich dramaturgisch wertvoll unter diesen - sehr zur Belustigung der Fremden. „Ha ha, really funny“, bestätigte sie immer wieder und vergoss fast ihren Kaffee. „Japanese are natural born comedians.“ Nun ja, wenigstens brachte er sie zum Lachen. Hieß es nicht, dass Frauen humorvolle Männer schätzten? „Darf ich dann mal wissen, warum du unbedingt zu St. Pierre willst? Andere Bäckereien sind viel näher.“ Kawachis neugierige Frage stoppte das Gekicher der Ausländerin und ließ sie nachdenklich ihre Stirn runzeln. „Business matters“, antwortete sie zögernd und übersetzte schließlich sinngemäß: „Ist geschäftlich.“ Ihre Finger drehten den noch immer unberührten Kaffee in ihren Händen. „Mein Japanisch ist noch nicht sehr gut, sorry.“ Es war besser als sie dachte, aber Kawachi interessierte mehr der erste Teil ihrer Antwort. „Bist du Bäcker?“ Wieder lachte sie und schüttelte den Kopf. „Nope.“ Kein Bäcker? Was konnte sie dann bei St. Pierre wollen? Nur um etwas Brot zu kaufen, war der Weg mittlerweile doch zu weit. „Hast du einen Freund da?“, hakte er nach und erntete nur ein Kopfschütteln. Konnte diese Frau nicht einfach sagen, was Sache war? Kawachi lief fast gegen das Mädchen, als dieses abrupt stehen blieb und auf einen Punkt weiter vorn starrte. Eine lange Menschenschlange wurde Stück für Stück von einem Gebäude verschluckt. Ihre Augen hafteten an dem großen Reklameschild über dem Eingang. „Sankt Pierre“, las Kawachis Valentinsbegleitung vor. War wohl an der Zeit gekommen sich zu trennen. Einerseits war Kawachi froh nicht mehr ausgelacht zu werden, andererseits war sie süß, wie ein Blick in ihr halbverdecktes Gesicht nur bestätigte. Eine etwas schroffe Person, die einem aber den Neid der Kollegen einbringen konnte. Vielleicht nicht gerade die feinsten Gedanken, aber für jemanden, der sonst unsichtbar für das andere Geschlecht war, konnte es nicht besser kommen. Er war zum ersten Mal in seinem Leben nicht der Loser an einem Valentinstag. Zugegeben, es war kein Date, aber das konnte man auch dezent verschweigen. „Dann heißt es hier wohl Gudebei“, stellte er mit mittelmäßigem, japanischem Schulenglisch fest und drehte sein Gesicht mit dem breitesten und dämlichsten Grinsen zu dem er fähig war in die Richtung der Südtokyo-Filiale. Wie praktisch, dass die St. Pierre-Kette sich entschlossen hatte ihre Hauptfiliale ausgerechnet hier zu eröffnen. Es war befriedigend zu sehen, wie die gesamte Belegschaft des Pantasia-Außenpostens die Druckbelastbarkeit des Schaufensters mit den Nasen testete. Sie sahen aus wie ein Schwarm Welse am Aquariumglas. „Yeah, Goodbye!“ Sofort schwenkte der junge Bäcker um und schaute verdutzt zum Mädchen, welches mittlerweile haderte den Kaffee einfach wegzuschmeißen oder zu versuchen die mittlerweile eiskalte Brühe zu trinken. Letztendlich drückte sie den Becher ihrem japanischen Führer in die Hand, dessen Braue fragend hochschnellte. „Was?“ „Happy Valentines Day, funny boy“, erklärte sie schulterzuckend in einem nicht astreinen, hart gesprochenen Englisch, steckte ihre Hand in die Jackentasche und marschierte Richtung St. Pierre. Kawachi blieb allein zurück, schaute abwechselnd zwischen den langen, wippenden Zöpfen der Fremden und dem geschenkten Eiskaffee hin und her. „Hey“, rief er ihr nach und brachte sie tatsächlich zum Stehen, „können wir uns mal wieder sehen?“ Ihre Augen blitzten erstaunt auf, bevor sich unter ihrem Schal ein Grinsen abzeichnete. „Sorry, funny boy. I prefer real men.“ Die gesamte Härte ihrer Worte traf ihn wie eines dieser berühmt-berüchtigten Cartoon-Tonnen-Gewichte und ließ ihn zu Boden gehen. „Und was verstehst du darunter?“ Nachdenklich tippte sie sich gegen das verkleidete Kinn. „A strong and gentle cutie.” Ihr Grinsen war unübersehbar. “Ich mag Samurai.“ Das Tonnengewicht wurde stärker. Was fanden diese Ausländer nur an Samurais? Wussten die nicht, wie die aussahen, sich benahmen und welchen Stich die hatten? Von allen Bewohnern Japans würde er Suwabara auf keinen Fall als das Ideal bezeichnen, unter keinen Umständen. Dieser düstere, mordlustige Typ hatte schlicht einen Knall, so wie alle anderen, die noch immer mit einem Schwert und altertümlichen Klamotten herumliefen. „Darf ich dann wenigstens wissen, wie du heißt?“, fragte er niedergeschlagen und am Ende all seiner Illusionen. Wortlos stapfte Kawachi durch die Backstube, ignorierte die Blicke der anderen und deren knallrote Nasenspitzen. Sein Weg führte direkt zum Tiefkühlschrank. Mit mehr Schwung als nötig, riss er die Tür auf und stellte den Pappkaffeebecher zwischen gefrorenes Obst. „Was tust du da?“ Es war Kazumas Stimme, die nahe seinem Ohr erklang. Neugierig wie er war, musste er seinem Freund natürlich über die Schulter schauen und die Stirn runzeln, als er das Objekt im Tiefkühlfach erblickte. „Ich verwahre mein Valentinstaggeschenk“, war die simple Antwort. Kawachi grinste. Er grinste breit und glücklich. Es war seine allererste Valentinstagverabredung gewesen. Technisch gesehen war es zwar kein Date gewesen und realistisch betrachtet hatte er sogar einen Korb bekommen, aber das waren nur Kleinigkeiten, die seine eigene Wahrheit kaum trüben konnten. Es war Valentinstag, ein Mädchen hatte sich mit ihm abgegeben und er hatte etwas bekommen, das zumindest die Farbe von Schokolade hatte – sein erstes Valentinstaggeschenk. Zu schade, dass er sie nicht mehr wiedersehen würde und sich für den Tag bedanken konnte, aber Monica Adenauer klang nicht gerade wie ein Name, der in der Bäckerwelt Japans groß Karriere machen würde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)