Little By Little III von Chingya ================================================================================ Kapitel 3: EXISTENCE -------------------- ~*~ Ein Rütteln an meiner Schulter ließ mich schwerfällig die Augen aufschlagen. Ich murrte leicht, hatte ich seit langem doch mal wieder gut schlafen können. „Hey, Kira!“, hörte ich Hydes Stimme zu mir durchdringen. „Komm, du musst aufstehen!“ „Was?“, verstand ich nicht. Um mich herum war der Raum noch in Dunkelheit getaucht, nur das Licht vom Flur her, beleuchtete Hydes Gestalt. „Wir müssen los.“, zog er mich zu sich hoch. Ich war verwirrt und versuchte noch immer wach zu werden. Ein Blick auf meine Armbanduhr verriet mir, dass es gerade mal 3 Uhr morgens war. „Was ist denn überhaupt los?“, fuhr ich mit meinen Händen über meine Augen. Ich konnte sie kaum offen halten. Hyde schaute mich einen Moment prüfend an, strich mir eine Haarsträhnen hinter das Ohr ehe er ruhig meinte: „Gackt hat gerade angerufen. Lily ist aufgewacht.“ Okay, jetzt war ich wach. Panisch hechtete ich in den Flur und zog mir Schuhe sowie Jacke an. Ich hatte kaum Zeit verschwendet nachzudenken, tat alles mechanisch. Mein bester Freund griff nach meiner Hand, als ich startklar war und verließ mit mir die Wohnung, um zum Krankenhaus zu fahren. Während der Fahrt saß ich schweigend auf den Beifahrersitz, mein Kopf war völlig leer. Das Einzige, was von meiner Aufregung zu sehen war, war das unkontrollierte Zittern meiner Hände. „Wir sind gleich da.“, sagte Hyde beruhigend. Mein Blick glitt derweil nur aus dem Fenster, zu meiner Linken, betrachtete die Wohnhäuser, die an uns vorbeizogen. Am Krankenhaus angekommen, stürmte ich aus dem Auto und durch das Gebäude, zur Intensivstation. Mein Herz raste, als ich im Fahrstuhl stand und das Gefühl hatte, dass es eine Ewigkeit dauerte ehe ich in der entsprechenden Etage ankam. Hyde war zurückgeblieben. Auf der Intensivstation kam mir gleich Gackt entgegen. Er sah fertig aus, hatte scheinbar geweint. „Kira.“, hauchte er, als er vor mir zum Stehen kam. Ich musterte ihn kurz, als könnte ich so die momentane Lage abchecken. Nur kurz ließ er zu, dass ich in seinen Augen nach einer Antwort suchte, bis er plötzlich einen Schritt vor machte und mich so unerwartet in eine Umarmung zog. Vor Schreck konnte ich darauf kaum reagieren, blieb im ersten Moment völlig steif stehen. „Sie ist wach.“, sagte er und vergrub dabei sein Gesicht in meiner Halsbeuge. Ein Schauer ging durch meinen Körper – war es das erste Mal, nach all den Jahren, dass er mir so nah war. „Wie geht es ihr? Hat sie was gesagt?“, wollte ich wissen, strich dabei durch seine Nackenhaare. Gackt nickte, löste sich dann jedoch wieder von mir. „Sie schläft jetzt wieder, aber… .“ „Galiano-san.“, unterbrach die Stimme des Arztes ihn. Ohyama-san kam auf uns zu und wirkte, wie auch Gackt schon, wenig optimistisch. Ich merkte, wie das wieder Unruhe in mir herauf beschwor. „Ich würde Sie bitten, mir vorher kurz zu folgen, bevor Sie zu Ihrer Freundin gehen.“, verbeugte er sich dabei zur Begrüßung. Ich stimmte zu, fasste unbewusst nach Gackts Hand um so, zusammen mit ihm, dem Arzt in dessen Besprechungszimmer zu folgen. Dort angekommen, bat dieser uns an Platz zu nehmen und ich kam nicht auf den Gedanken es abzuschlagen. Schwindelgefühl kroch nämlich in meinem Körper hoch und ließ mich kaum noch fest stehen. Gackt nahm auf dem Stuhl neben mir Platz, während der Arzt sich vor uns, hinter seinem Schreibtisch setzte. „Ich möchte gar nicht lange um den heißen Brei reden, Galiano-san.“, begann Ohyama-san, faltete seine Hände auf dem Tisch. „Ihre Freundin ist vor knapp zwei Stunden aus dem Koma aufgewacht. Ihre Vitalzeichen sind, soweit wir es beurteilen können, stabil. Ein wenig müssen sich jedoch ihre Augen und Stimmbänder daran gewöhnen, dass sie wieder Arbeit haben.“ Ich nickte verstehend. „Hat Lily schon was gesagt?“, stellte ich wiederholt meine Frage, die ich schon an Gackt gerichtet hatte. „Das ist eigentlich der Grund wieso ich in Ruhe mit Ihnen sprechen wollte.“ Meine Hände fingen an zu zittern. Das Alles schien nichts Gutes zu bedeuten, zumindest wirkte es auf mich, in diesem Moment, so. Dankbar blickte ich Gackt an, als er meine Hand ergriff, mir mit einem leichten Druck verdeutlichte, dass er da war. „Ihre Freundin hat wohl durch die subduralen Blutungen, vom Unfall, doch einige Komplikationen davongetragen.“ „Was?“, entfuhr es mir. „Das sind jedoch Komplikationen, welche meist nur zeitweise bestehen. Was ich Ihnen damit sagen möchte: Ryan-san leidet unter einer retrograden Amnesie. Sie kann sich, laut Aussagen Ihres Freundes, zurzeit an keine Dinge erinnern, die vor dem Unfall geschehen sind. In welchem Umfang diese Amnesie ausfällt, können wir Ihnen im Moment jedoch noch nicht sagen. Dafür bedarf es später noch einiger Untersuchungen.“ „Was meinen Sie mit Umfang?“ „Damit meine ich, dass wir leider noch nicht wissen, ob sich diese Amnesie nur auf Stunden, Tage oder gar Jahre ausdehnt.“ „Jahre?“, fragte ich geschockt. Oh Gott, das wollte ich mir gar nicht erst vorstellen. „Ja. Amnesiepatienten sind oft nach traumatischen Unfällen vorzufinden. Die Patienten haben meist nur noch prägende Erinnerungen oder können sich nur bis zu einem prägenden Lebensabschnitt erinnern. Wie sieht es bei Ryan-san aus? Gibt es bei ihr ein spezielles Ereignis in der Vergangenheit? Das könnte uns vielleicht helfen festzustellen wie groß ihre Gedächtnislücke ist.“ Ich musste erst einmal einen Moment alles auf mich wirken lassen, es verstehen. Da waren so vielen Informationen innerhalb von nur ein paar Minuten, dass mein Gehirn kaum in der Lage war diese zu verarbeiten. Deswegen nahm ich auch kaum die letzte Frage vom Arzt wahr. Gackt umso mehr, weshalb er sie für mich beantwortete – zu meiner Verwirrung. „Lilys Bruder ist vor 10 Jahren bei einem schweren Autounfall ums Leben gekommen, wobei sie am Steuer gesessen hatte. Sie standen sich sehr nahe und Lily hängt noch immer bei diesen Tag fest.“ Ohyama-san nickte verstehend, schrieb etwas auf seine Unterlagen. „Dann müssen wir wohl davon ausgehen, dass eine größere Gedächtnislücke bestehen könnte.“ Meine Arme schützend um meinen Oberkörper schlingend, versuchte ich lieber nicht darüber nachzudenken, was solch eine Diagnose zu bedeuten hätte. Nicht nur für Lily, sondern auch für alle Beteiligten. „Hey!“, nahm Gackt mich in seine Arme. „Nicht weinen! Wir schaffen das, egal welche Diagnose am Ende herauskommt. Hörst du?“ Weinen? Erst jetzt bemerkte ich die Tränen, die lautlos meine Wangen hinab liefen. Ich wischte sie mir etwas unbeholfen weg und wagte dabei einen Blick zu Ohyama-san, stellte dabei fest, dass er gegangen war. „Er hat gesagt, dass er später nochmal wiederkommt.“, klärte Gackt mich auf. „Wenn du magst, dann können wir jetzt zu Lily gehen.“ Zu Lily? Konnte ich jetzt zu ihr? Nein, konnte ich nicht – es ging nicht. Ich musste erst einmal verstehen was hier geschah. „Ich mag erst einmal zur Ruhe kommen.“, teilte ich ihm also mit und erhob mich darauf von meinem Platz, um den Raum zu verlassen. Hinter mir hörte ich, dass Gackt es mir gleich tat und mir folgte. Meinen Blick, beim Herauskommen, über die Intensivstation gleiten lassend, sah ich, dass Hyde jetzt auch da war. Er saß auf einen der Stühle, im Wartebereich, und lächelte leicht, als er uns beide erblickte. Langsam gingen wir zu ihm. Ich ließ mich wortlos neben ihn sinken, während Gackt vor uns stehen blieb. Keiner sagte etwas und es war mir nur Recht. Weitere Fragen wären jetzt einfach unangebracht gewesen. Nach 10 Minuten hielt Gackt scheinbar die Stille nicht mehr aus. „Magst du ihn anrufen oder soll ich es machen?“ Fragend schaute ich ihn an, nachdem ich realisiert hatte, dass ich angesprochen wurde. „Shinya.“, deutete er meinen Blick richtig. „Magst du ihm nicht sagen, dass seine Freundin aufgewacht ist?“ Auch jetzt sprach er „seine Freundin“ mit einem gewissen Unterton aus. Er hatte noch immer schwer mit Lilys Entscheidung zu kämpfen, auch wenn Gackt immer gerne alle glauben ließ, dass er damit klar kam und er ja glücklich mit Masa war. „Ich werde ihn später anrufen. Erst einmal mache ich mir ein eigenes Bild von dem Ganzen.“, erwiderte ich und schaffte mir somit etwas Raum. Ich hatte Hyde und Gackt gebeten gehabt, mich alleine zu Lily gehen zu lassen. Doch jetzt, vor der Zimmertür stehend, überlegte ich, ob es nicht doch besser gewesen wäre, hätte ich wenigstens Gackt mitgenommen. Ich hatte Angst vor Lilys Reaktion, wenn sie mich zu Gesicht bekam. Aber irgendwann nahm ich mich dann doch zusammen und drückte die Türklinke hinunter. Ich konnte immerhin nicht ewig vor diesem Schritt fliehen. Irgendwann hätte ich mich sowieso dem Stellen müssen. Lilys Blick traf mich sofort, nachdem ich die Tür hinter mir geschlossen hatte. Sie wirkte erleichtert als sie mich sah, aber nur einen kurzen Augenblick. Denn als ich mich ihr ganz zuwandte und näher kam, schaute sie irritiert. „Kira?“, fragte sie leise, als wäre sie nicht ganz sicher, ob ich es wirklich war. Und sofort kamen mir die Worte von Ohyama-san in den Sinn – was er über die Ausmaße der Amnesie gesagt hatte. Tränen traten mir in die Augen, während ich nach all den Wochen wieder so deutlich ihre Stimme vernahm. Doch gleichzeitig spürte ich in diesem Moment auch allzu deutlich die Kluft, welche plötzlich zwischen uns herrschte. Ich wusste in diesem Moment, bei ihren Anblick, intuitiv, dass ich nicht mehr die Lily vor mir hatte, die sie vor dem Unfall gewesen war. Sie könnte, laut Arzt, 10 Jahre mit ihren Erinnerungen zurück sein. Aber was bedeutete dies für unsere Freundschaft? Denn ich hatte nicht vergessen was in den letzten Jahren geschehen war – ob gute oder schlechte Momente. Und plötzlich bekam ich Angst. Angst vor der möglichen Situation und auch Angst vor meiner Freundin. Ohne, dass ich groß darüber nachdachte, stolperte ich ein paar Schritte zurück und riss Hals über Kopf die Tür auf, als ich diese hinter mir spürte. „Kira? Was?“, richtete Lily sich mit Mühe im Bett auf. Ich ignorierte es, verließ ohne ein Wort das Zimmer wieder und hörte die Tür hinter mir ins Schloss einrasten. Hemmungslos fing ich darauf an zu weinen, rutschte die Tür hinunter und vergrub meinen Kopf unter meinen Armen. Gleich danach waren auch Hyde und Gackt bei mir, gingen vor mir in die Hocke. Hyde war der Erste, der mich in die Arme nahm, mir einen tröstenden Kuss auf das Ohr hauchte und mir beruhigend über den Rücken strich. „Was ist passiert?“, fragte Gackt. „Ich kann…ich kann das nicht.“, kam es mit Schluchzern über meine Lippen. „Schon gut. Gib dir Zeit.“, zog Hyde mich noch fester an sich. „Ich denke, dass ich zu Lily gehen sollte.“, vernahm ich Gackts Stimme, schaute aber nicht auf. Hydes Nähe tat mir in diesem Moment viel zu gut, als dass ich sie aufgeben wollte. Gackt erhob sich mit einem Seufzen und verschwand dann im Zimmer, hinter mir. „Komm, lass uns aufstehen! Es ist kalt auf dem Boden.“, wollte Hyde sich von mir lösen. Doch ich ließ es nicht zu, verkrallte meine Finger regelrecht in seinen Pullover. Er seufzte ergeben und hielt mich wieder fester. Nur einen Moment noch. Einen kleinen Moment wollte ich spüren, dass jemand auch für mich da war. Irgendwann schliefen dann jedoch meine Beine ein und dies veranlasste mich dazu mich widerwillig von Hyde zu trennen. Wir erhoben uns beide. „Geht’s?“, fragte er mich, wischte die letzten Tränenspuren von meinen Wangen. Ich nickte und zog meine Sachen etwas zu recht. „Lass uns einen Kaffee trinken oder etwas an die frische Luft.“, legte er einen Arm um meine Schultern und führte mich so von der Station. Ich ließ es ohne Widerstand geschehen und war sogar dankbar dafür als sich, draußen angekommen, die warme Morgensonne auf mein Gesicht legte. „Ich werde Toshiya anrufen.“, meinte Hyde kaum verständlich neben mir, schaute mich dabei nicht an. „Er sollte kommen und die anderen auch. Du brauchst ihn jetzt mehr als irgendjemand sonst.“ „Ja.“, erwiderte ich ebenso leise und machte mich auf den Weg zu einer Bank, unweit von uns entfernt. Er folgte mir unauffällig und zusammen ließen wir uns auf diese nieder. Gleich darauf holte Hyde sein Handy hervor um meinen Verlobten anzurufen. „Warte!“, hielt ich ihn davon ab, indem ich meine Hand auf seine legte. „Lass mich es machen. Das bin ich ihm schuldig.“ „In Ordnung.“, reichte er mir das Handy. Ein Blick auf dieses verriet mir die momentane Uhrzeit. 6 Uhr. Ob Toshiya noch schlief? Ich würde es wohl gleich wissen. Mit zittrigen Fingern wählte ich seine Handynummer. Kurz zu Hyde schauend, wartete ich, dass Toshiya rangehen würde. Zu meiner Verwunderung tat er es ziemlich schnell. „Hyde?“, meldete er sich, als er wohl Hydes Nummer erkannt hatte. „Nein, ich bin es. Kira.“ Einen Moment kam nichts von der anderen Seite. Er war scheinbar mehr als überrascht meine Stimme zu hören. „Oh Gott, du glaubst nicht wie sehr ich auf eine Antwort von dir gehofft habe.“ „Es tut mir so leid. Das musst du mir glauben.“, fingen wieder an Tränen sich in mir hoch zu kämpfen. „Schon gut. Hyde hat mir alles erklärt.“ „Hyde?“, schaute ich zu diesem. Aber dieser bemerkte es gar nicht, denn er hatte sich zurück gelehnt und die Augen geschlossen. „Hab ich dich geweckt?“, fragte ich Toshiya, versuchte so noch etwas von der momentanen Situation abzulenken. „Nein, keine Sorge. Wir sind schon etwas länger wach.“ „Wir?“ „Ja, der Rest unserer Truppe. Wir sind gerade auf dem Weg zur nächsten Halle.“ „Achso.“, entgegnete ich nur. Ich wusste nicht wieso, aber irgendwie spürte ich bei seinen Worten einen Stich im Herzen. Wieder ging es nur um seine Arbeit, wo er eigentlich hier hätte sein sollen. „Wie geht es euch?“, stellte er dann die Frage, welche hätte kommen müssen, weil sie es immer tat. Einen kurzen Moment überlegte ich wirklich, ob ich das „euch“ nur auf mich und die Zwillinge beziehen sollte und tat es auch letztendlich. „Es ist alles okay bei uns.“, sagte ich also. „Macht euch also keine Sorgen.“ „Das klingt doch gut. Du, ich mag dich wirklich nicht unterbrechen, aber wir kommen gerade an der Halle an.“ „Geht klar. Ich will dich auch gar nicht aufhalten.“, versuchte ich meine Enttäuschung nicht allzu deutlich mit meiner Stimme mitschwingen zu lassen. „Ich kann mich ja auch später…“, stieß Hydes Ellenbogen, mitten im Satz, in meine Rippen und ließ mich so inne halten. ‚Was?‘, fragte ich ihn lautlos. Doch die Frage war eigentlich sinnlos, denn sein Blick sagte alles. „Toshiya?“, beugte ich mich also Hydes Drängen. „Was ist wirklich los? Du stellst meinen Namen selten in Frage.“ Wie Recht er hatte. Ein Schluchzen unterdrückend und mit bebenden Lippen bat ich ihn dann darum, worauf ich schon seit Wochen hoffte. „Kannst du kommen? Bitte, ich…ich brauche dich hier.“ „Was ist passiert?“, klang nun auch seine Stimme zittrig. „Ist dir was passiert und den Kleinen? Dir geht es doch gut, oder? Das hast du doch eben noch…“ Toshiyas panisches Gerede unterbrechend, brachen die nächsten Worte aus mir heraus: „Lily ist aufgewacht.“, und stieß ihm damit wohl voll in die Breitseite. Kurz herrschte Schweigen, aber dann: „WAS? Lily ist wach? Scheiße, Kira. Wann wolltest du damit rausrücken?“ Beschämt schloss ich meine Augen und seufzte schwer. Mir war so bewusst gewesen, dass er so reagieren würde. Schließlich war Lily die Freundin von einem seiner besten Kumpels. Bei Toshiya, im Hintergrund, konnte ich aufgeregte Stimmen hören – Kaoru am Deutlichsten. „Hör zu, Kira. Wir werden uns jetzt auf den Weg zu euch machen.“, meldete Toshiya sich wieder. „Okay.“ „Ist Hyde oder jemand anderes bei dir?“ „Ja, Hyde.“ Einen Moment verstand ich nicht was er vor hatte. „Gibst du ihn mir mal?“ Ohne noch ein weiteres Wort zu sagen, reichte ich meinem besten Freund das Handy, welches er fragend entgegen nahm. Während Hyde mit meinem Verlobten sprach, erhob ich mich von der Bank. Ich wollte ein paar Schritte gehen, das Gespräch noch ein Mal Revue passieren lassen. Er würde also zurück nach Tokyo kommen. Ich lächelte verbittert. „Für Lily kommst du also…“ ~*~ In meinem Bett liegend, beobachtete ich den Mann, der vor mir, am Fenster stand. Noch immer sah ich Kiras plötzliches Erscheinen vor meinen Augen, genauso wie ihren unerwarteten Abgang. Ebenso schwirrten mir die Fragen des Arztes im Kopf herum, der vor fünf Minuten noch hier gewesen war und mich irgendwelche psychologisch wertvollen Dinge gefragt hatte. Zumindest schienen sie für ihn wertvoll gewesen zu sein, denn mich hatten sie nur verwirrt und mich innerlich aufgewühlt. Somit mein momentanes Selbstbild erschüttert. Nun verstand ich irgendwie Kiras Reaktion vorhin, auch wenn sie schmerzte. „Sind wirklich so viele Jahre vergangen?“, hielt ich die Stille im Raum kaum noch aus, wollte Antworten haben. Und in diesem Moment war dieser Mann meine einzige Quelle. Er drehte sich auf meine Frage hin leicht zu mir herum, schaute mich kaum an. „Ja. So sehr ich auch wünschte, dass es nicht so wäre.“ „Wieso? Wie stehen wir denn zueinander? Bist du mit Kira zusammen, Gackt?“ Ja, ich hatte den Mann vor mir schon längst erkannt und den ersten Schrecken dabei überwunden. Doch jetzt brachte das alles nur noch mehr Fragen zum Vorschein. Gackt zuckte bei der Nennung seines Namens merklich zusammen, hatte nun bemerkt, dass ich ganz genau wusste wer er war. Sich wieder von mir abwendend, antwortete er mir: „Ich bin nicht mit Kira zusammen. Wir sind nur befreundet. Genauso wie wir beide es sind.“ Ich nickte verstehend, versuchte mich zu erinnern. Aber mehr als Kopfschmerzen brachte es mir nicht. Deshalb nahm ich den einfacheren Weg, ich wollte mehr durch Gackt erfahren. „Mmh, ich bin also 30 Jahre. Was mache ich eigentlich hier in Japan? Wie lange bin ich schon hier?“ Seufzend drehte er sich zu mir, kam auf mein Bett zu. Ich beobachtete jede Bewegung, die er tat und erschrak mich dennoch, als er sich auf der Bettkante niederließ und meine Hand ergriff. „Hör zu, Lily. Ich glaube nicht, dass ich der Richtige bin, der dir das alles erzählen sollte.“ Frustriert und enttäuscht entzog ich ihm meine Hand wieder. „Und wer ist dann die richtige Person? Wen soll ich denn sonst fragen, wenn nicht dich? Du bist immerhin seit Stunden der Einzige in meiner Nähe.“ Darauf erwiderte er nichts, nahm einfach meine Hand wieder in seine. Ich ließ es zu. Mir kam diese Berührung so vertraut vor und ich wusste in diesem Moment, dass mir seine Nähe nicht so fremd war, wie er es mit einer einfachen Freundschaft Glauben machen wollte. Dafür waren die Gefühle, die mich dabei durchströmten, zu intensiv. ~*~ Ich saß auf einer Bank, unweit von Hyde entfernt. Er telefonierte wohl noch immer mit Toshiya. Ich beobachtete ihn dabei, fragte mich insgeheim, was die beiden da wohl so lange zu besprechen hatten. Und ohne es anzuzweifeln, war mir nur zu klar, dass es um mich ging. Alles andere hätte Toshiya doch sonst auch mit mir besprechen können, oder? Dir en grey würden also so bald wie möglich zurückkommen. Sie waren zurzeit in Nagano, wenn ich mich recht erinnerte. Es würde also nicht allzu lange dauern. Vielleicht wären sie sogar noch heute am späten Abend wieder in Tokyo. Ich konnte nicht sagen wieso, aber ich hatte ein ungutes Gefühl bei der ganzen Sache. Nicht nur ich war kaum bereit dazu die fünf Männer wieder zu sehen, auch Lily wäre damit sicher stark überfordert. „Willst du nichts mehr mit mir zu tun haben?“, stand plötzlich Hyde vor mir und nahm mir die warme Sonne. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt und schaute auf mich hinab. Ich entgegnete lediglich seinem Blick. Was wollte er von mir hören? „Du bist sauer, oder?“ „Nein, bin ich nicht.“, meinte ich etwas zu zickig, hielt seinem Blick stand. Hyde lächelte darauf leicht. „Doch, bist du. Was hat er gesagt, dass du so „erfreut“ bist ihn wieder zu sehen? Oder ist es, weil ich gerade mit ihm so lange telefoniert habe?“ Ich schnaubte nur. Egal was es doch war, konnte ihm doch egal sein. Was änderte es an der Tatsache, dass Toshiya und die anderen sich erst jetzt hierher bequemten? Ich war nicht sauer, sondern ziemlich verletzt und enttäuscht. Und ich wusste nur allzu gut, dass ich keinen der Männer in dieser Verfassung gegenübertreten wollte. „Ist das von so großer Wichtigkeit?“, fuhr ich also Hyde etwas ungehalten an. „Mach von mir aus jetzt was du willst. Ich werde wieder zu Lily hochgehen.“ Ich stand von der Bank auf und schritt einfach an meinem besten Freund vorbei. Mir war klar, dass ich ungerecht reagiert hatte, gerade jetzt, wo Hyde so viel für mich tat. Doch ich war zurzeit viel zu sehr mit mir selber beschäftigt und hatte das Gefühl in Problemen und Sorgen zu ersticken. Mein Weg führte mich nicht gleich zu meiner Freundin. Erst machte ich noch einen kleinen Abstecher in die Cafeteria um mir einen Kaffee zu holen. Dabei überlegte ich, wie ich es am besten anstellte Lily gegenüber zu treten. Einen erneuten voreiligen Abgang wollte ich mir nämlich nicht ein weiteres Mal erlauben. Als ich die Tür zu Lilys Zimmer öffnete, stellte ich schon fest, dass alles ruhig im Inneren war. Erst spielte ich mit dem Gedanken, Gackt könnte schon gegangen sein, aber ich wurde eines Besseren belehrt, als ich ihn neben Lily, auf dem Bettrand, sitzen sah. Er hielt ihre Hand, während Lily die Augen geschlossen hatte. Leise schloss ich die Tür hinter mir und stellte dann erst einmal meinen Kaffee auf den Nachtschrank ab. Gackts Blicke verfolgten mich dabei schweigend. „Schläft sie?“, fragte ich ihn, nachdem ich an die andere Seite des Bettes getreten war. „Nein.“, schüttelte er dabei sachte den Kopf. Im gleichen Moment schlug Lily die Augen auf und schaute mich an. Ich spürte wie mir dabei kurz das Herz stehen blieb um dann im doppelten Tempo weiter zu schlagen. „Hey, Süße.“, hauchte ich und versuchte standhaft zu bleiben, ihr ein kleines Lächeln zu zeigen. „Hey.“, antwortete sie mir. Ihr Blick wirkte traurig. „Ich dachte nicht, dass du so schnell wieder kommst.“ Die Stimme klang etwas krächzend und angeschlagen. Aber das spielte im Moment keine Rolle. Wichtig war, dass ich es geschafft hatte wieder hierher zu kommen und mich dem Schicksal zu stellen. „Tut mir leid. Ich wollte eigentlich vorhin nicht so überstürzt…“ „Schon gut.“, unterbrach sie mich. „Ich kann es irgendwie verstehen. Ich hätte wohl nicht anders reagiert, wenn ich feststellen hätte müssen, dass meine beste Freundin 10 Jahre ihres Lebens vergessen hat.“ Sie versuchte aufmunternd zu lächeln, doch es wirkte eher gezwungen. „Es ist dennoch nicht richtig gewesen.“, nahm ich ihre Hand, stockte dann jedoch. Was hatte sie eben gesagt? 10 Jahre? Hilfesuchend schaute ich zu Gackt hinüber, suchte dort eine Antwort auf meine Vermutung. Dieser schien zu verstehen was mich beschäftigte und nickte nur bestätigend. Einen Moment kämpfte ich geschockt mit den Tränen. Also hatte es sich doch bewahrheitet. Nicht, dass alles andere nicht schon reichte. „Du hast dich verändert.“, hörte ich Lilys Stimme nur stumpf zu mir durchdringen. Mich wieder auf sie konzentrierend, blickte ich sie an. „Es ist auch viel Zeit vergangen.“ „Ja, ich weiß. Und ich kann es an dir nur zu deutlich sehen.“ Ich schluckte schwer. Sicher, mein dicker Bauch war ja auch nicht gerade zu übersehen. Und wieder fragte ich mich, wie ich das alles Lily erklären sollte. Wie sollte ich ihr nur 10 Jahre ihres Lebens nahe bringen? Gleichzeitig bewunderte ich, in diesem Moment, dass meine Freundin so ruhig blieb. „Du nimmst das gerade alles sehr gelassen.“, teilte ich es ihr mit. Kurz lachte Lily leise auf. „Oh ja, und wie. Du hast keine Ahnung wie es in mir drinnen aussieht. Da sind so viele Fragen.“ Nickend nahm ich vorsichtig ihre Hand in meine. Es wirkte beruhigend auf mich und schaffte wieder etwas Nähe. „Ich verspreche dir, dass ich dir alles beantworten werde, soweit ich kann. Aber heute solltest du dich wirklich noch ausruhen.“ „Okay.“, drückte sie kurz meine Hand. Es war nur ein leichter Druck, fast kaum zu spüren. Dies zeigte mir, wie geschwächt ihr Körper eigentlich noch war. „Willst du jetzt wieder gehen?“ Lilys fragender Blick durchbohrte mich regelrecht. Kurz überlegte ich wirklich, ob ich nicht gehen sollte, aber dann entschied ich mich dagegen. „Nein, ich bleibe noch ein wenig.“ „Danke.“, lächelte sie und schaute dann kurz zu Gackt. Ich konnte mir nicht helfen, aber es schien trotz allem immer noch eine gewisse Vertrautheit zwischen den Beiden. Sie war zwar kaum zu sehen, dafür jedoch umso deutlicher zu spüren. Ja, manche Dinge scheinen sich einfach nicht ändern zu wollen. Und andere Dinge wiederum änderten sich viel zu schnell und unverhofft. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)