Little By Little III von Chingya ================================================================================ Kapitel 6: Changes Or Routine? ------------------------------ In den letzten Tagen durchlebte ich die schlimmsten Rückenschmerzen meines Lebens. Lange konnte ich meine Schwangerschaft kaum noch ertragen und sehnte mich nach der Zeit, wo alles vorbei sein würde. Ich hätte nie gedacht, dass mir meine Schwangerschaft mal als nervig und lästig erscheinen würde - hatte ich mich doch immer auf Kinder gefreut. Mir war jedoch dabei ebenso klar, dass meine momentane depressive Phase damit zusammen hing, dass ich mit meinem Verlobten noch immer auf Kriegsfuß stand. Und das Ganze war gewiss nicht besser geworden, als Toshiya mir eines Abends in der Küche, wo er dabei war sich etwas zum Trinken aus dem Kühlschrank zu holen, verkündete, Dir en grey würden demnächst wieder ihre Tour fortsetzen. Darauf war er einfach in sein Arbeitszimmer gegangen. Ich hatte nicht einmal die Chance gehabt etwas zu erwidern, noch war ich ihm eines Blickes würdig gewesen. Im Endeffekt war ich einen Tag später zu Sony gefahren und hatte mir von Inoue Dir en greys aktuellen Zeitplan geben lassen. Wenn Toshiya nicht mit mir reden wollte, dann musste ich halt eigene Geschütze auffahren. Denn mir war klar gewesen, dass ich sonst nie herausbekommen hätte, was mich die nächsten Monate erwartete. Nun saß ich hier in meinem Büro und schaute auf die Skyline Tokyos, den Plan in meinen Händen haltend. Ich hatte mich den ganzen Weg hierher nicht getraut auch nur einen Blick auf diesen zu werfen. Wenn ich ehrlich war, hatte ich Angst davor, was ich lesen würde. Aber irgendwann gab ich mir einen Ruck und faltete das Papier auseinander. Meine Augen flogen nur kurz über die Seite und nahmen dabei im Schnellflug die Zahlen und Zeichen auf. Tränen traten mir in die Augen, als ich das Datum vom zwanzigsten Dezember las und die dickgedruckte Notiz dahinter, welche sich bis zum Ende des Blattes durchzog. Yasumi – Frei. ~*~ Meine Tage hatte ich die letzten Wochen damit verbracht, meine Fortschritte weiter auszubauen. Endlich hatte ich vom Arzt die Erlaubnis erhalten, dass ich jederzeit und so oft ich wollte das Gehen üben durfte. Mittlerweile lief es recht gut. Ich konnte ohne Hilfe laufen, wenn auch nur wenige Meter, denn dann ließen meine Kondition und meine Kraft in den Beinen nach. Doch ich blieb eisern. Der Gedanke endlich wieder richtig gehen zu können und dann hier heraus zu kommen, trieb mich immer wieder an. Ich wollte so schnell wie möglich wieder mein altes Leben wieder zurück, wenn auch nicht unbedingt alles davon. Shinya hatte sich strikt an meine Anweisungen, mich nicht besuchen zu kommen, gehalten. Dass Gackt das anders zu sehen schien, wunderte mich reichlich wenig. Er tauchte seit ein paar Tagen regelmäßig auf und half mir so die Zeit etwas zu vertreiben oder meine Erinnerungen wieder auf Vordermann zu bringen – vor allem, was meine Beziehung zu ihm anging. Denn Kira wusste noch immer geschickt diesen Teil meines bisherigen Lebens zu umgehen. „Wusste Shinya von uns?“, fragte ich Gackt, welcher neben mir auf der Bank saß. Wir hatten uns für Novemberwetter passend dick eingepackt und waren eine Runde im Park spazieren gewesen, bis mein Körper erschöpft rebellierte und wir somit eine Pause einlegen mussten. „Sicher“, war alles, was Gackt mir antwortete und er schaute dabei auf das ruhige Treiben vor uns. „Hatten wir eine Beziehung hinter seinem Rücken?“, irgendwie fühlte sich der Gedanke noch immer merkwürdig an, dass ich etwas mit Gackt haben sollte. Wie ich ihn kennen gelernt hatte, wusste ich ja jetzt – die Bilder vom Abend in Chachas Wohnung waren wieder präsent. Doch alles noch Nachfolgende fehlte noch immer. Gackt lachte auf meine Frage hin kurz auf und riss mich dabei aus meinen Gedanken. „Du hast ihn nicht betrogen, keine Angst.“ „Also bin ich nicht fremdgegangen?“ „Nein“, schaute er mich bei der Antwort ernst an und konnte dabei einen gewissen Unterton nicht verstecken. Im ersten Moment war ich jedoch erst einmal erleichtert, dass ich trotz all der Beziehungen um mich herum diesen Anstand gewahrt hatte. „Ihr wart nie zusammen, wenn wir…“, fuhr er fort, unterbrach mitten im Satz. Sein Gesicht verzog sich leidlich, ehe er seinen Blick wieder von mir wendete. Und plötzlich durchfuhr mich wieder eine Welle der Vertrautheit. Ich kannte dieses traurige Gesicht vom ihm. Nur woher? Hatten wir schon einmal ein ähnliches Gespräch geführt? Unerwartet sprang Gackt auf einmal auf und ich erschrak mich dabei. Er wirkte hilflos wie er sich mit den Händen durch die Haare fuhr um sich anschließend mit traurigem Blick zu mir umzudrehen. „Gackt, was…?“, verstand ich gerade gar nichts mehr. Doch er unterbrach mich barsch: „Hör auf!“ „Wie?“ „Du sollst aufhören! Hör auf mich Gackt zu nennen! Hör auf von Shinya zu reden! Ich kann das auch nicht ewig ertragen, verstehst du? Fünf Jahre habe ich gekämpft und versucht die Dinge so zu nehmen wie sie sind. Aber langsam verlässt auch mich meine Selbstbeherrschung.“ Überrumpelt schaute ich zu ihm auf, wusste nicht, was ich von seinem Ausbruch halten sollte. „Fünf Jahre“, hauchte ich. „Lily“, kniete er sich vor mich, legte seine Hand an meine Wange. „Ich weiß, es ist schwer für dich dieses Band von Erinnerungen in deinem Kopf wieder zu flicken. Ich weiß auch, dass es nicht gerade ein Leichtes sein mag die Beziehungen zu den Menschen in deiner Umgebung zu verstehen, aber du darfst bitte nicht vergessen, wie es auch uns dabei geht. Ich habe immer alles für dich getan und werde es weiterhin, denn ich liebe dich. Du weißt das, oder? Mir ist bewusst, dass du das nicht hören willst – so wie immer – aber es ist so. Ich kann das nicht ändern.“ Tränen liefen meine Wangen hinunter, als sich Bilder in meinem Kopf abspielten und sich zu einem kleinen Film zusammen woben. „Wir waren damals zusammen in Kyoto. Vor Sylvester“, kamen die Worte über meine Lippen, noch ehe ich sie daran hindern konnte. Ich erinnerte mich an diese Tage und an unsere Gespräche. „Ich habe dir immer nur wehgetan. Immer wieder nur wehgetan, obwohl ich wusste, dass das mit uns nur noch mehr Schmerz bedeutete.“ Gackt zog mich plötzlich in eine Umarmung. An meinem Hals konnte ich spüren, wie Tränen meine Haut benetzten. Doch ich rührte mich nicht. Mein Körper war wie gelähmt, als mir endlich wieder klar wurde, in welch einem Beziehungsdesaster ich mich befand und wie viel Lügen ich mir selbst aufgezwängt hatte. „Camui“, drückte ich ihn nun doch leicht von mir und schaute ihm darauf in seine glasigen Augen. „Denkst du nicht auch, dass es gut wäre die schicksalhafte Fügung zu nutzen und von Vorne anzufangen?“ Ich wusste, dass ich viel verlangte, noch ehe ich es in seinen Augen sah. „Von Vorne anfangen?“ „Ja, als Freunde. So, wie es immer hätte sein sollen, oder? Ich bin der Meinung, dass es das Beste für alle ist“, legte ich ihm vorsichtig meine Hand auf seine, welche auf meinem Knie ruhte. Doch er zog sie weg. „Meinst du mit alle etwa dich?“, stand er auf und kehrte mir den Rücken zu. Lange sagte keiner von uns etwas oder regte sich auch nur. Und dann, als ich dachte er würde noch etwas sagen, ging er wortlos von mir. Völlig sprachlos schaute ich in die Richtung, in welche Camui verschwunden war. Ich wusste nicht, was ich von seiner Reaktion halten sollte, hatte ich ihn doch nie so eingeschätzt, als würde er in einem wichtigen Gespräch trotzig verschwinden, nur weil es gegen seine Gunsten auszugehen schien. „Ist das nicht ein wenig zu hart gewesen?“, vernahm ich plötzlich eine Stimme hinter mir. Erschrocken fuhr ich zusammen, ehe ich mich langsam umwandte. Ein leichtes Lächeln schlich sich auf mein Gesicht, als ich die vertraute Person erblickte. „Hatte ich eine andere Wahl?“, reagierte ich auf die vorher gestellte Frage mit einer Gegenfrage. Daisuke lachte kurz auf, schüttelte dann seinen Kopf, bevor er vor der Bank zum Stehen kam. „Du solltest langsam lernen die Menschen in deiner Umgebung weniger hart mit deinem egoistischen Gehabe vor den Kopf zu stoßen.“ Mit verschränkten Armen schaute er auf mich hinab. Verärgert begegnete ich seinem Blick. Vor wenigen Sekunden hatte ich mich noch gefreut ihn zu sehen. „Bist du hergekommen, um dich mit mir anzulegen?“, fragte ich bissig. Ich war sauer. Den Kommentar hätte er sich wirklich sparen können. „Langsam hast du dich wieder regeneriert, oder? Klingt wieder ganz nach der Lily, die wir kennen.“ „Die!“, meinte ich genervt. „Was suchst du hier?“ Er löste seine verschränkten Arme und zog mich plötzlich an meinen Schultern an sich heran, sodass mein Gesicht an seinem Bauch ruhte, während seine Arme sich schützend um mich legten. Völlig irritiert, ließ ich es mit mir geschehen. Einen Moment herrschte völlige Stille zwischen uns, bevor Die sie brach: „Dir en grey gehen in ein paar Tagen wieder auf Tour.“ „Und?“, wusste ich nicht so recht, was ich mit der Information anfangen sollte. Wieder lachte er kurz auf. „Wenn ich ehrlich bin, dann hatte ich etwas Hoffnung gehabt, du würdest mehr dazu sagen.“ „Was soll ich dazu sagen? Ihr setzt eure Tour fort, mehr nicht. Denkst du etwa ich würde damit nicht klar kommen? Dann muss ich dich enttäuschen, Die.“ Ich löste mich aus der Umarmung, bei meinen Worten und lehnte mich auf der Bank zurück. „Ich weiß dennoch nicht, warum du hier bist. Sicher nicht nur deshalb, weil du mir das sagen willst.“ „Ich wollte schauen, wie es dir geht.“ Seine Worte kamen schnell und wirkten verletzt. „Aber ich glaube, es war keine so gute Idee. Der Moment schien nicht ganz der richtige.“ „Darum geht es doch gar…“ „Doch, Lily! Genau darum geht es! Ich hätte auf Kyo hören und es sein lassen sollen hier her zu kommen.“ Jetzt war ich diejenige, die sich verletzt fühlte. Ich ärgerte mich über mich selber. Nun hatte ich auch noch meinen besten Freund vor den Kopf gestoßen. Wieso konnte ich in manchen Situationen nicht ein Mal meinen Mund halten? Angst davor, dass nun auch Die einfach gehen würde, lehnte ich mich vor und griff nach seiner Hand. „Es tut mir leid“, flüsterte ich. „Geh nicht!“ Die seufzte und setzte sich dann neben mich, meine Hand fester in seine nehmend. Eine Weile saßen wir schweigen neben einander und ich genoss die angenehme Ruhe, war froh, dass er hier war. „Darf ich dich etwas Persönliches fragen?“, kamen die Worte leise über seine Lippen. Ich nickte nur. „Was hast du mit Shinya vor?“ Einen Moment überlegte ich, was ich ihm antworten sollte. War eine ehrliche Antwort gerade angebracht? Ich wusste seit ein paar Tagen, was ich machen würde, wenn ich hier raus war. Und mir war dabei genauso klar, dass es die beste Entscheidung für alle war. Allen voran für Shinya. Dennoch hatte ich Zweifel es Die gegenüber zu erwähnen. Ich würde ihn mit diesen Worten verletzen und das wollte ich vermeiden. Für heute hatte ich genug Leuten wehgetan. „Ich weiß es nicht“, sagte ich also und ließ dabei meine Stimme überzeugend wirken. Er sollte nicht merken, dass es nicht der Wahrheit entsprach. Daisuke ließ auf meine Worte hin meine Hand los und lehnte sich leicht nach Vorne. „Okay“, war alles, was ich zu dem Thema von ihm zu hören bekam. Wenn ich ehrlich war, dann war ich mehr als erleichtert darüber. ~*~ Es war spät am Abend, als ich zu Hause auf meinem Sofa saß und auf Toshiya wartete. Morgen würde Dir en grey die Tour fortsetzen und ich hatte mir vorgenommen vorher mit ihm zu reden. Doch er kam nicht. Wo auch immer er steckte, schien er nicht die Absicht zu haben allzu schnell nach Hause zu kommen. Frustriert zog ich meine Beine an und überlegte, was ich mit der weiteren Zeit anfangen könnte, in welcher ich auf ihn warten würde. Sollte ich jemanden anrufen? Doch wen? Niemand schien mir passend genug, um meine Melancholie zu vertreiben. Alles schien im Moment sinnlos, trist und grau. Ich hatte das Gefühl mich im Kreis zu drehen. Alte, bekannte Szenen spielten sich in meinem Kopf ab. Szenen, die ich eigentlich hatte vergessen wollen. Doch jetzt waren sie wieder so präsent, als wäre es erst gestern gewesen. Es war nicht das erste Mal, dass die Beziehung von Toshiya und mir so etwas durchmachte. Vor unserer Trennung damals war alles ganz genauso gewesen. Ich fragte mich, ob ein Teil der damaligen Gründe auch dieses Mal eine entscheidende Rolle spielten. Allein der Gedanke, dass es so sein könnte, ließ meinen Körper vor Angst erzittern. Nein, ich wollte die Hoffnung nicht aufgeben, dass es andere Gründe haben würde. Ich würde dafür kämpfen, dass es einen Ausweg aus der ganzen Sache gab, ohne den gleichen Fehler noch einmal zu machen. Egal wie. Ich war auch dem Sofa fast eingeschlafen, als ich vernahm, wie jemand die Haustür aufschloss. Sofort war ich schlagartig wach und richtete mich auf. Mein Herz schlug aufgeregt in meiner Brust. Einen Moment überlegte ich, ob ich aufstehen und Toshiya entgegen gehen sollte. Doch ein anderer Teil – und gewiss der größere Teil, nämlich mein Körper – weigerte sich, sich auch nur einen Millimeter zu rühren. Ich schluckte schwer, als ich seine Schritte im Flur hörte, wie sie näher kamen. Langsam kam er um die Ecke und blieb überrascht in der Wohnzimmertür stehen. Wir schauten uns beide stumm an, ohne eine weitere Regung. Ich war aufgeregt und nervös. Was würde er tun? Mich wieder ignorieren und in sein Arbeitszimmer gehen? Ich war gerade dabei mich mit genau diesem Gedanken schon anzufreunden, als er sich plötzlich bewegte und auf mich zukam. Vor Überraschung versteifte ich noch mehr. Es war Tage her, dass er auch nur freiwillig einen Schritt so auf mich zugemacht hatte. Ich hielt meinen Atem an, als er vor mir zum Stehen kam. So viele Fragen geisterten in meinem Kopf herum. Fragen, die ich ihm stellen wollte. Aber alles war vorbei, als er unerwartet seine Hand in meinen Nacken legte, sich zu mir herunter beugte um seine Lippen mit den meinen zu versiegeln. Ein kurzer Protestton entwich meiner Kehle. Verwirrt ließ ich es mit mir geschehen. Toshiya löste sich leicht von mir, als er wohl bemerkte, dass ich noch immer steif und völlig überrumpelt dasaß, unfähig auch nur irgendetwas zu erwidern. Er schaute mich mit seinen braunen Iriden an und schien zu überlegen. Bereute er gerade seine Entscheidung? Die kleine Falte, die sich zwischen seinen Augenbrauen bildete, zeugte davon, dass er mehr als überlegte, was er nun tun sollte. Die Stille nicht aushaltend, gab ich ihm mit einem leichten Zug an seinem Gürtel zu verstehen, dass er sich erst einmal hinsetzen sollte. Zu meiner Verwunderung tat er dies auch ohne Umschweife. „Ist es angebracht, wenn ich jetzt sage, dass ich ziemlich sprachlos bin von deinem Überfall eben?“, merkte ich wie ich noch immer völlig steif neben ihm saß. Ich hatte irgendwie nicht erwartet, dass Toshiya den großen Sprung von uns machen würde. Einen Moment schaute er mich an, bevor er seinen Blick im Wohnzimmer umherschweifen ließ: „Es tut mir leid!“, hauchte er. „Ich hatte nicht das Recht dazu dich so zu behandeln.“ „Was gab dir dann den Grund dafür?“ Wollte ich das wirklich wissen? Die mögliche Antwort auf meine Frage hallte in meinem Kopf immer wieder auf. „Ich war überfordert mit meinen Gefühlen, aber jetzt ist es wieder in Ordnung.“ Ich nickte und schaute auf seine Hände, die in seinem Schoß ruhten. Konnte ich mich dazu durchringen sie zu berühren? Meine Hände zitterten. Und, noch ehe ich hätte weiter darüber nachdenken können, fühlte ich plötzlich Toshiyas Hand auf meiner. Erleichterung kämpfte sich in mir hoch, als ich das vertraute Gefühl in mir wahrnahm, das seine Berührung auslöste. Dabei versuchte ich das kleine Stimmchen in meinem Kopf zu verdrängen, welches mir versuchte deutlich klar zu machen, dass ich noch immer keine zufriedenstellende Antwort auf meine Frage hatte. „Ich habe Angst“, hauchte ich, das Schweigen zwischen uns brechend, das aufgekommen war. „Wovor?“, sprach er ebenso leise. „Dass sich alles wiederholen wird. Dass du wieder weg sein wirst und es diesmal eine endgültige Entscheidung wäre.“ Ich schluckte schwer bei diesem Gedanken. Im Moment gab es für mich keine schlimmere Vorstellung. Toshiya war zu einem wichtigen Teil meines Lebens geworden. Der Gedanke, dass es mal anders sein würde, schnürte mir die Kehle zu. Ich wusste nicht, wie jemand von einem anderen Menschen so abhängig sein konnte. Was hatte Toshiya in mir ausgelöst, das mich so sehr an ihm band – mit Körper und Seele? „Ich werde nicht gehen. Nichts wird sich wiederholen, auch wenn es für dich den Anschein haben mag. Aber ich werde es nicht zulassen, dass es wieder passiert. Das verspreche ich dir.“ Seine Hände umfassten meine fester, zitterten nun ebenfalls leicht. Ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte. Irgendetwas in mir wollte, dass ich dennoch skeptisch blieb. Vielleicht war der Grund dafür, dass die Narben unserer letzten Trennung noch viel zu deutlich zu spüren waren. „Es tut mir noch immer so leid“, hörte ich ihn sagen. Ich schüttelte den Kopf. „Es ist nicht mehr zu ändern. Wir sollten aufhören darüber nachzudenken und das Thema ruhen lassen.“ In meinen Ohren hörten sich meine Worte wie eine Lüge an. Etwas zu sagen, was man selber nur schwer einhalten konnte, war ein Verrat an sich selber. „Denkst du, du bekommst das hin?“, lachte Toshiya leicht ironisch auf. Ich schaute ihn darauf an. Überlegte einen Moment. Bekam ich das wirklich hin? Konnte ich mit der Vergangenheit abschließen und endlich wieder eine Beziehung mit Toshiya führen, wie vor der Zeit, bevor wir uns getrennt hatten? „Sag du es mir“, antwortete ich auf seine Frage ohne auch nur eine Sekunde meinen Blick von seinen Augen zu nehmen. Toshiya schüttelte den Kopf, ehe er ein klares „Nein“ über seine Lippen brachte. Ein schmerzliches Lächeln zeichnete sich auf meinem Mund ab. „Ich bin hoffnungslos, oder? Auf der einen Seite will ich nichts mehr, als dich für mich allein und mir gewiss sein, dass es so lange wie möglich so sein wird. Und auf der anderen Seite kann ich dir dennoch für damals bis heute nicht richtig verzeihen.“ Ein Kampf zwischen Herz und Verstand, welcher unerbitterlich wirkte. „Du machst dir zu viele Gedanken. Ich kann dich verstehen. Vielleicht wäre ich nicht anders angesichts dieser Situation. Ich weiß es nicht. Aber bitte, zweifel niemals an meiner Liebe zu dir!“, meinte er eindringlich. „Für mich bist du die einzige Frau, mit der ich das alles haben möchte. Kinder und eine Ehe. Ich hatte mir früher niemals vorstellen können Vater zu werden oder zu heiraten. Dafür war ich viel zu sehr in das Leben vernarrt, was ich hatte. Freiheit im Übermaß. Da war niemand, mit dem ich mein Leben teilen musste. Aber zu dem Zeitpunkt wusste ich ja auch noch nicht, dass es da draußen eine so tolle Frau gibt, wie dich. Hätte ich nochmal die Wahl, würde ich mich wieder für dich entscheiden, ohne zu zögern. Das kannst du mir glauben. Also, mach dir keine allzu großen Gedanken. Wenn du es nicht irgendwann mal ausdrücklich willst, werde ich dich bestimmt niemals verlassen.“ Mein Herz schlug viel zu schnell in meiner Brust. Mir schwirrte der Kopf vor überquellenden Gefühlen, die in meinem Körper zu einem ungewohnt hohem Maß anschwollen und über zu fließen drohten. Toshiya hatte in all den vier Jahren unserer Beziehung nicht ein Mal so etwas zu mir gesagt. Klar, hatte er mir oft mitgeteilt, dass er mich lieben würde und hatte es mir mindestens, wenn nicht doppelt so oft, mit Gesten deutlich gezeigt. Schließlich hatte er mir einen Heiratsantrag gemacht, hatte mit mir eine Familie gegründet. „Manchmal frage ich mich, wie alles jetzt wäre, wenn wir uns anders entschieden hätten“, flüsterte ich. „Wie meinst du das?“ Sein Blick zeigte seine Irritation. „Was, wenn wir damals nicht wieder zusammen gekommen wären. Wie wäre es dann wohl jetzt?“ „Kira!“, meinte er mahnend. „Sag mir nicht, dass du ernsthaft über so etwas nachdenkst. Bist du denn nicht froh, dass es so ist, wie jetzt? Also, dass wir wieder zusammen sind und bald eine kleine Familie haben?“ „Doch! So war das auch gar nicht gemeint. Ich bin glücklich, dass du hier bei mir bist und alles endlich so ist, wie ich es immer haben wollte. Aber manchmal frage ich mich halt, wie mein Leben aussehen würde, wenn wir den Schlussstrich akzeptiert hätten.“ Toshiya seufzte, ehe er meinte: „Ich bin nicht der Meinung, dass mein Leben besser gewesen wäre. Irgendwann hätte ich dich zurück geholt, egal wie. Ein Leben ohne dich kann ich mir nur schwer vorstellen. In meinem Kopf hat sich schon eine Zukunft mit euch aufgebaut.“ Euch? Irgendwie überraschte mich der Mann heute laufend. Er tat und sagte nur Dinge, mit welchen ich nicht rechnete. „Was ist, wenn das dennoch irgendwann anders sein würde?“ Ich wusste nicht, warum, aber irgendwie wollte ich diese Frage von ihm beantwortet haben. Ich wusste, dass bei mir eine Welt zusammen brechen würde, wenn er sich jemals, aus welch einem Grund auch immer, für eine andere Frau entscheiden würde. Weniger in dem Sinne, dass er sie attraktiver oder aufregender fand, als mich. Vielmehr in die Richtung, dass er sich dauerhaft für sie entscheiden könnte. Dass er die Familie mit ihr aufbauen würde, die er immer mit mir geplant hatte. Denn letztendlich war man doch vor so etwas nie sicher. Es konnte jeden Tag passieren, dass Gefühle ins Spiel kamen, denen man nicht gewachsen und völlig ausgeliefert war. „Ich möchte mir darüber ganz ehrlich keine Gedanken machen. Nicht mal annäherungsweise habe ich solch eine Option je in Erwägung gezogen. Das damals, kam für uns alle plötzlich. Aber da spielten weitaus größere Gründe eine Rolle. Diese Situation wird nicht noch einmal eintreten und das weißt du ebenso gut wie ich, oder? Es sind viele Dinge verdammt schief gelaufen. Wir standen unter einem hohen Druck des Managements und der Presse. Doch das haben wir doch in den Griff bekommen. Da ist nichts mehr, um was du dir Sorgen machen musst. Oder sehe ich das falsch?“ Ich schüttelte einfach nur den Kopf, um mich gleichzeitig zu schölten. Denn ich wusste nur allzu gut, dass es etwas ganz Gravierendes gab, was mir Sorgen bereitete. „Dann…“, sprach er weiter, „dann sag mir, warum du immer noch dem Ganzen so nachhängst und du mir nicht zu vertrauen scheinst. Was ist es, was dich so dermaßen beschäftigt, dass unsere Beziehung darunter zu leiden hat?“ „Ich weiß es nicht.“ Meine Stimme war brüchig. Ich hatte Angst ihm die ganze Wahrheit zu sagen, denn das Risiko ihn nochmal zu verlieren war zu hoch. Es stand einfach viel zu viel auf dem Spiel, als dass ich das riskieren wollte. „Vielleicht liegt es an meiner Schwangerschaft. Ich meine, wir sind bald eine Familie und…“ „Du hast Angst, dass ich dich mit den beiden im Stich lasse. Dass ich auf Tour bin und so viel mit meiner Arbeit zu tun habe, dass da keine Zeit mehr für euch ist.“ Ich nickte. Innerlich atmete ich auf. Toshiya hatte mir eine Erklärung auf den Tisch gepackt. Eine Erklärung, die so logisch klang, dass sie gut als passende Ausrede fungierte. ~*~ „Ist bei dir und Kyo wieder alles in Ordnung?“ Daisuke und ich saßen noch immer auf der Bank im kleinen Park der Reha. Er lächelte leicht und nickte dann: „Ja, wir hatten es eigentlich noch am selben Tag geklärt. Wir haben uns also ganz brav zusammen hingesetzt und alles besprochen.“ „Das klingt gut“, meinte ich, schaute auf meine Hände, welche verschränkt in meinem Schoß lagen. „Es klingt vielleicht gut, aber mit Kyo ist ein Gespräch eigentlich nie ein einfaches Unterfangen. In diesen Situationen kann er wirklich dickköpfig und stur sein.“ „Er verteidigt halt alles, was ihm viel bedeutet, mit allen Mitteln. Wer kann es ihm verübeln? Jeder würde das doch so machen, oder?“ „Klar, keine Frage. Aber das ist leider nicht immer so leicht. Nicht jeder kann das so offenkundig tun, wie Kyo das macht.“ Daisukes Stimme klang bedrückt. Nicht nur mich, sondern auch ihn schien in letzter Zeit sehr viel zu beschäftigen. Doch ich traute mich nicht danach zu fragen, was ihm auf den Herzen lag. Ich war mir zudem auch sicher, dass mein bester Freund mit mir darüber reden würde, wenn er es wollte. Wenn ich denn überhaupt die geeignete Person war. Wie sehr konnte ich in meinem jetzigen Zustand, mit all den Gedächtnislücken, schon eine Hilfe sein? Erschrocken zuckte ich zusammen, als Die unerwartet seine Hand auf meine legte und mich so wieder aus meinen Gedanken holte. „Er sagte, dass er das mit uns wohl nie richtig nachvollziehen können wird. Für ihn ist unsere Freundschaft völlig krank.“ „Wie, krank?“, krächzte ich etwas geschockt. „Für ihn ist das alles zu eng. Wenn es wohl nach ihm ginge, sollte ich mich wohl mehr von dir fern halten.“ Seine Berührung an meinen Händen verstärkte sich etwas. „Aber da kann er lange warten und das weiß er auch.“ Eine Frage bildete sich gerade in meinem Kopf. Was, wenn Kyo ihn darum bitten würde die Freundschaft zu mir zu distanzieren? Um deren Beziehung Willen, weil Kyo es nicht mehr ertragen könnte. Würde Die es dann tun? Schließlich liebten sie sich schon seit Jahren. Meinem besten Freund diese Frage stellend, bekam ich erst einen geschockten Blick, dann eine Portion Schweigen. „Die?“, hakte ich nach, als ich die Stille als zu unangenehm empfand. „Würdest du das denn wollen?“, traf mich sein Blick. „Würdest du dann wollen, dass wir unsere Freundschaft auflösen?“ Er schien verletzt von meiner Frage. „Willst du es mit mir genauso machen, wie mit Gackt eben?“ „Das ist etwas völlig anderes!“, meine Worte kamen schneller aus meinem Mund, als ich denken konnte. „Ist es das?“, hob er fragend eine Augenbraue. „Für mich ist es fast die gleiche Situation. Gackt hast du doch auch eine einfache Freundschaft angeboten um Distanz in die ganze Sache zu bringen.“ „Schon, aber aus einem völlig anderen Grund. Er ist mit Masa zusammen und Camui kümmert sich momentan viel zu sehr um mich. Das sollte er nicht tun.“ Daisuke lachte plötzlich laut auf. „Was?“, fragte ich irritiert. „Du bist grausam!“, schüttelte er leicht den Kopf. Ich wollte darauf etwas entgegnen, aber ich konnte nicht, war völlig sprachlos. „Grausam, kühl und liebenswert“, wieder lachte er. Ich zog beleidigt meine Hände unter seinen weg und verschränkte dann meine Arme vor der Brust. „Vielen Dank auch.“ „Nun, komm schon! Als wenn dir das noch nie klar gewesen wäre“, zog er mich an sich, sodass mein Kopf an seiner Schulter ruhte. Sein Parfüm stieg mir in die Nase, während er seinen Arm um meine Taille schlang. Ich schloss meine Augen und genoss die Nähe. „Kyo hat gesagt, dass er mir vertraut. Also denke ich, dass unsere Beziehung vorerst im grünen Bereich ist. Zudem sind wir die nächsten Wochen auf Tour. Keine Gründe mehr für ihn Bedingungen zu stellen oder unbegründete Eifersuchtsszenen hinzulegen“, griff Die das Thema von vorhin wieder auf. „Wir sollten ihm sowieso keine weiteren Gründe geben“, löste ich von ihm und stand langsam auf. „Wir sollten zurück gehen. Allmählich wird mir kalt.“ Dass dies mitunter nur eine mögliche Ausrede von mir war, um dem unangenehmen Gefühl in meinem Bauch zu entkommen, verdrängte ich schnell. Daisuke stand ebenfalls auf und schweigend gingen wir zurück ins Warme. Die Freundschaft zwischen Die und mir war ein wunder Punkt. Ich wusste tief in mir, dass die Welt unter mir zusammen brechen würde, wenn Kyo Die den Kontakt zu mir verbieten würde – direkt oder indirekt. Egal wie, Kyo hatte die Zügel in der Hand. Ob es ihm bewusst war oder nicht. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)