Das dunkle Tor von KumaChan ================================================================================ Kapitel 1: Ein nicht so normaler Tag ------------------------------------ Die Dunkelheit umfing Misaki, wie ein sanfter Schleier aus Seide. Endlich neigte sich dieser endlose Tag dem Ende zu, endlich kam die Nacht. Wie jeden Abend vor dem Schlafengehen, rief sich Misaki die Ereignisse des Tages ins Gedächtnis. Was sonst immer mit „Langeweile“, „lernen“ und „arbeiten“ beschrieben werden konnte, musste sie diesmal mit „Tod“, „Angst“ und „Entführung“ ersetzen. Es war eine Menge geschehen an diesem Tag. Misaki lag auf einem riesigen, reich verzierten Bett, in einem noch viel reicher möblierten Zimmer und starrte in die völlige Dunkelheit. „Nicht mein Bett, nicht mein Zimmer...“, dachte Misaki und ertappte sich dabei, wie sie nach dem Schnarchen ihres Vater und den Stimmen des Fernsehers lauschte. Es war nichts zu hören. „Ich bin nicht zu Hause.“ Sie war an einem fremden Ort, wo es nicht mehr ihre geliebte Routine gab. Ihre ach so geschätzte Routine war endgültig dahin und übrig blieb ein junges verwirrtes Mädchen, das nicht wusste, was sie tun sollte. „In Ordnung,“, dachte sie, „noch einmal ganz von Vorne. Wie hat mein Tag begonnen? Zuerst fütterte ich Betsy, danach ging ich zur Schule...“ Misaki hatte die Angewohnheit ihre Gedanken nicht in Worte zu fassen und wurde in der Schule als stumme Außenseiterin abgestempelt. Ihr machte es nichts aus, dass sie keine Freunde hatte. Seit ihrem siebten Lebensjahr war sie auf sich allein gestellt. Seit dem Tod ihrer Mutter versorgte sie sich nicht nur selbst, sondern auch ihren Vater und ihren Hund, Betsy. Die drei waren eine Familie, ihr Vater, der Alkoholiker, Betsy, die Mischlingshündin mit dem struppigen Fell und sie selbst, ein 15-jähriges, dürres Mädchen, das kaum sprach und höchstwahrscheinlich sogar psychotisch war. Misaki lag in der Dunkelheit und dachte daran, dass ihre „Ticks“, also der Ordnungs- und Höflichkeitszwang, sowie ihr überschäumendes Verlangen nach Routine von ziemlich psychotischer Natur sein mussten. Ihr selbst war es egal, dem Rest der Welt war es auch egal, also weg mit dem Gedanken. „Ich ging zur Schule und schrieb eine Arbeit...“ Misaki war sich ziemlich sicher, dass es wieder eine Eins werden würde, denn sie hatte nur Einsen. Konnte sie etwas nicht, übte sie so lange, bis sie es konnte, um jeden Preis! Sie wollte schon immer den Erwartungen anderer gerecht werden und nie jemanden Unannehmlichkeiten bereiten, auch ein „Tick“ von ihr. Nach der Schule ging Misaki, wie jeden Tag, arbeiten um ihre seltsame Familie über Wasser zu halten. Sie arbeitete in einem Supermarkt, in dem sie ihre Routinesucht ausleben konnte. Es kamen immer die gleichen Leute, die Misaki selbstverständlich alle beim Namen kannte und sie wusste wie jede einzelne Ware hieß und wo sie stand. Auf eine Frage nicht antworten zu können wäre für sie unerträglich gewesen. „Die Hälfte des Tages verlief also wie immer. Schule, Arbeiten.“ Die Sonne war schon dabei unter zu gehen, als Misaki die selben Straßen, wie jeden Tag, entlang gegangen war. Ihre Einkäufe hatte sie ordentlich in zwei braune Papiertüten eingepackt und war in Gedanken noch einmal die Vokabeln des Tages durchgegangen. Kurz darauf hatte sie hastige Schritte auf sich zu rennen hören. Nichts Ungewöhnliches, sicher nur ein Obdachloser, hatte sie gedacht und war einfach weiter gegangen. Die Schritte kamen näher und eine Männerstimme hatte etwas gerufen, doch Misaki verstand es nicht und ignorierte es. Plötzlich hatte sie jemand von hinten geschupst und sie fiel, samt Einkäufe, auf den Boden. „Das schöne Essen!“, hatte sie entsetzt gedacht und streckte ihre Hand aus, um das Durcheinander zu beseitigen. Ein Schuss durchbrach die Stille. Jemand schoss und die Kugel streifte Misakis Wange. Mehrere Männer liefen mit gezückten Waffen der flüchtenden Person hinterher. Diese war ein paar Meter hinter Misaki, die noch immer auf dem Boden saß, stehen geblieben und schaute zu den Männern. Misaki hatte den Jungen interessiert angestarrt. Er war sehr jung, nicht viel älter, als sie selbst, vielleicht 16 oder 17. Er hatte schwarze kurze Haare und ein ziemlich hübsches Gesicht, doch am ungewöhnlichsten waren seine Augen. Ein so helles Blau hatte Misaki noch nie gesehen. Diese fast schon weißen Pupillen wurden von einem dunkelblauen Ring umrandet. „Wunderschön...“, hatte sie gedacht. Die schwarz gekleideten Männer waren ein paar Meter vor Misaki stehen geblieben und zielten mit ihren Waffen auf den Jungen. Dort verharrten sie also, Ein ziemlich hübscher Junge, drei schwarz gekleidete Männer mit gezogenen Waffen und ein verträumt wirkendes Mädchen, dass auf dem Boden zischen den beiden Parteien saß und beiläufig ihre Einkäufe einräumte. Während Misaki die Szene resigniert beobachtet hatte, wurde sie von den Männern vollkommen ignoriert. „Das ist dein Ende, du verdammter Dämon!“, zischte einer der drei Männer. In der Ferne konnte Misaki die Schritte von etlichen Menschen hören. Der Junge hatte zuerst zu Misaki und dann zu den Männern geschaut. Sie hörte ihn etwas Nuscheln, dass so klang, wie „... muss wohl sein...“ und faltete seine Hände, wie zum Gebet. Plötzlich umgab ihn etwas, wie eine rote Lichthülle und die drei Männer schossen los. Misaki konnte sehen, wie die Kugeln immer langsamer wurden und schließlich einen halben Meter vor ihm zum Stillstand kamen. Die drei Männer fluchten laut und Misaki hatte das Gefühl, dass sie große Angst hatten. Der Junge sprach mehrere Wörter in einer seltsam klingenden Sprache, hielt seine Augen geschlossen und verharrte in seiner betenden Position. Wie aus dem Nichts tauchte neben ihm, mitten in der Luft, ein schwarzes Loch auf. Erst klein, wie ein Fußball und dann immer größer werdend, bis es schließlich doppelt so groß wie der Junge war. Dieses Loch verströmte eine eisige Kälte und als Misaki hinein sah, war es, als blickte sie in eine schwarze Hölle. Plötzlich leuchteten rote Augen auf und eine riesige, klauenartige Hand erschien am Rand des Loches und hielt sich daran fest, als wäre es ein Türrahmen. Eine Kreatur stieg aus dem Loch, das offensichtlich ein Tor war und schaute Misaki an. Ja, sie, das dürre braunhaarige Mädchen, das dort zwischen verschiedenen Dosen auf dem Boden kauerte. Die Kreatur hatte eine schwarze schuppige Haut und zwei gigantische Hörner. Seine Nase ähnelte der eines Wolfes und aus seinem geöffneten Mund ragten riesige spitze Zähne. Sein Körper war muskulös und wirkte fast menschlich. Auf seiner Schulter prangten spitze Stacheln, doch das beeindruckendste an dieser Kreaturen waren seine riesigen lederartigen Schwingen, die fast doppelt so groß, wie die Kreatur selbst waren. So seltsam es auch schien, doch Misaki war es, als würde sie das Wesen von irgendwo her kennen und das Wesen schien auch sie zu erkennen, so seltsam, wie es sie ansah. Die schockierten Männer fingen an, wild herum zu schießen, doch die Kugeln prallten einfach an dem Wesen ab. Der Junge sprach erneut seltsame Worte und das, was als nächstes Geschah, raubte Misaki fast dem Atem. Das Wesen und der Junge verschmolzen! Der Junge keuchte, er hatte offenbar Schmerzen, während er sich nach und nach veränderte. Er bekam schwarze Schwingen, seine Haut wurde schwarz und schuppig und sah aus, wie eine Rüstung. Seine Augen wurden rot und ihm wuchsen zwei kleine Hörner. Die Männer schossen auch weiterhin auf die Kreatur, doch es war völlig sinnlos. Eine Kugel traf Misaki in den Oberarm. Sie zuckte kurz zusammen, doch sie war einfach zu fasziniert um sich näher damit zu beschäftigen. Die Verschmelzung war komplett, die Kreatur sprang über Misaki hinweg und hüllte sie mit ihren riesigen Schwingen ein. Dutzende Kugeln prallten an seinem Rücken ab. „Es tut mir Leid!“, hörte Misaki eine kehlige Stimme. Sie konnte nur nicken. Die Kreatur schloss kurz die Augen, atmete tief ein und stand auf. Er drehte sich um und noch während er dies tat, durchtrennte er den Rumpf von zweien der Männer mit einem seiner Flügel. Es kamen Dutzende weitere Männer, die Misaki schon zuvor kommen gehört hatte. Es waren etwa dreißig, die alle auf das Wesen einschossen. Keine Kugel konnte etwas ausrichten und das Monster tötete einen nach den anderen, doch immer so, dass Misaki kein Blut ab bekam. Schon nach kurzer Zeit war der Boden rot und voller Leichenteile. Merkwürdigerweise war Misaki nicht geschockt, sondern betrachtete die Szene völlig gefühllos. Nach wenigen Augenblicken standen nur noch zwei ängstliche Männer da, die er mit einem einzigen Schlag seiner Klaue enthauptete. Die Kreatur stand schwer atmend in einem Berg aus Leichen und drehte sich langsam zu Misaki um. Wie traurig er aussah! Es schien, als täte ihm das alles unendlich leid, als hätte er nicht töten wollen. Er sagte kein Wort und auch Misaki schwieg. Ihr Arm pochte schmerzhaft. Die Kreatur spannte die Flügel und flog auf Misaki zu. Es packte sie von hinten und hob sie in die Lüfte. Misaki konnte es nicht leiden, wenn ihr jemand zu nahe kam und erst recht nicht, wenn sie jemand berührte, doch sie ertrug es schweigend. Der Wind peitschte ihr um die Ohren und sie konnte kaum die Augen öffnen. Misaki sah undeutlich ihre Schule und die vielen Villen, die in der Nähe der Schule standen. Kurze Zeit später landete die beiden vor einer der riesigen Villen mit einem unglaublich riesigen Garten. Die Kreatur setzte Misaki ab und sprach einige unverständliche Worte. Junge und Kreatur fingen an, sich zu trennen Als es geschafft war, stand der Junge keuchend da und hielt sich die Brust, während die Kreatur in einem plötzlich erschienenden Loch verschwand. Der Junge brauchte eine Weile um sich zu fangen. Misaki blieb die ganze Zeit schweigend neben ihm stehen. Als er wieder normal atmete sah er sie sehr ernst an und kam auf Misaki zugestapft. Er packte sie am Handgelenk und zog sie hinter sich her. Es war ihr äußerst unangenehm, nicht nur, weil sie Berührungen hasste, sondern auch, weil ein Blutschwall aus ihrem Oberarm schwappte und ihren Arm entlang lief. Der Junge öffnete die riesige Eingangstür und eine Gruppe von Menschen stürmte ihm entgegen. „Setz dich da hin und bleib da!“, sagte er zu Misaki und setzte sie auf einen gepolsterten Stuhl in dem großen Flur. Eine Frau umarmte den Jungen und rief erleichtert: „Gott sei dank bist du unverletzt, Sorai! Ich habe mir solche Sorgen gemacht!“ Er hieß also Sorai. Misaki hatte ihre Schuhe schon während des Hereinkommens abgestreift und sah nun kerzengerade mit im Schoß gefalteten Händen da. Sie bemühte sich, möglichst nicht auf den Teppich zu bluten, denn aus ihrem Oberarm kam immer mehr Blut. Sie hielt ihre recht Hand fest, die immer mehr zitterte und kalt und blau war und beobachtete ruhig das hektische Treiben. Zwei weitere Frauen umarmten Sorai und die zwei Männer befragten ihn nach den Geschehnissen. Einer der Männer, ein recht großer Mann mit ziemlich langen, schwarzen Haaren hatte Misaki bemerkt und schaute neugierig zu ihr hinüber. Er fragte Sorai, wer sie sei und auch die anderen bemerkten sie endlich. „Sie hat alles mit angesehen, ging nicht anders.“ Die Menschen beäugten sie argwöhnisch, besorgt und missmutig. Misaki wischte sich das Blut von ihrer Wange und schaute sie noch immer völlig ruhig an. „Ich glaube sie steht unter Schock.“, sagte eine blonde junge Frau. Die anderen stimmten ihr zu und tuschelten miteinander. Der langhaarige Mann kam auf Misaki zu und schaute auf ihre Hand, die immer noch zitterte. Sie war blutig und als auch Sorai schaute auf seine Hand, an der Misakis Blut klebte. Misaki hatte einen schwarzen Pullover an, daher sah man ihr Blut kaum und das Einschussloch gar nicht. Der langhaarige Mann sah sich Misakis Arm an und riss ihren Pulloverärmel mit einem Ruck ab. „Der schöne Pullover!“, dacht Misaki entrüstet, ließ sich aber nichts anmerken. Man konnte das tiefe Einschussloch gut in ihrer weißen Haut erkennen und unterhalb des Loches war ihr Arm blutrot. Die Frauen erschraken. Der langhaarige Mann blieb völlig ruhig und band den abgerissenen Ärmel über dem Loch fest zu. „Jetzt komm mit, junge Dame, die Kugel muss rausgeholt werden.“ Sorai sah Misaki an und dann wieder auf seine blutige Hand. Misaki war ihm nicht böse, er hatte sich ja schon entschuldigt. Sie folgte gehorsam dem langhaarigen Mann und die anderen gingen in einen anderen Raum. Die Villa war wirklich riesig. Überall hingen Gemälde und haufenweise Kronleuchter , alles schien sehr alt und wertvoll zu sein. Der Mann führte Misaki in einem Raum, der wie eine Arztpraxis aussah. Eine blondgelockte Frau begrüßte den Mann. „Hallo, Katsura! Wie schön dich mal wieder zu sehen. Was verschafft mir die Ehre?“ Katsura deutete auf Misaki und die Frau sah besorgt auf ihren Arm. „Verstehe!“, sagte sie und fing an, in den Schränken zu wühlen. „Setz dich doch.“, sagte Katsura und deutete auf die, für Arztpraxen typischen Liegen. Misaki setzte sich und bemerkte, dass ihr Arm immer tauber und blauer wurde. Katsura zog sich einen Arztkittel über und rutschte mit einem Stuhl vor Misaki. „Ein typischer Arzt...“, schoss es ihr durch den Kopf. Obwohl Misaki keine Spritzen mochte, fand sie es in Arztpraxen immer angenehm steril und ordentlich. Die Frau reichte dem Doktor Katsura ein Tablett mit allerhand Instrumenten. Er reinigte die Wunde und gab Misaki eine Betäubungsspritze. Er redete ihr die ganze Zeit freundlich zu und erklärte ihr, was er tat. Misaki mochte ihn und war sich sicher, dass er ein guter Kinderarzt gewesen wäre. Er holte die Kugel aus ihrem Arm, sie fand sie seltsam rund. Katsura erklärte ihr, dass die Kugel keinen größeren Schaden angerichtet hatte und dass es in ein paar Wochen verheilet wäre. „Noch mal Glück gehabt, junge Dame.“, lächelte er sie an. Er verband den genähten Arm und hängte ihr eine Armbinde um, in die er Misakis Arm legte. Zuletzt klebte er ihr noch ein Pflaster ins Gesicht. „Fertig!“ Sie nickte. „Vielen Dank, das war sehr freundlich von ihnen.“ Doktor Katsura wirkte ein wenig enttäuscht. Misaki verstand es nicht, sie hatte sich doch bedankt, wie es sich auch gehörte. „Wie heißt du?“, fragte er sie freundlich. „Misaki Ayoma.“, antwortete sie. „Nun dann, Misaki- chan, wollen wir doch mal klären, was wir mit dir machen sollen.“ Sie gingen in einen großen Raum, das anscheinend das Wohnzimmer war. Es waren alle, die Misaki schon zuvor gesehen hatte anwesend. Die Atmosphäre im Raum schien ziemlich angespannt zu sein. Misaki setzte sich neben auf das Sofa neben Sorai, der mürrisch ins Leere starrte. Die älteste der Frauen fing an zu sprechen. Sie hatte graues Haar mit braunen Strähnen. Misaki nahm an, dass sie Sorais Großmutter war, denn sie hatte ebenfalls sehr hell blaue Augen. Sie waren lange nicht so hell, wie die von Sorai, dennoch ziemlich schön. „Wie ist dein Name?“, fragte sie Misaki. „Misaki Ayoma.“, antwortete sie erneut. „Kannst du dich an das, was heute Abend geschehen ist, erinnern?“ Misaki nickte. „Natürlich kann ich das.“ Sorai seufzte. Hätte Misaki gesagt, dass sie unter Schock gestanden hätte und sich an nichts erinnern könne, hätten sie sie wahrscheinlich einfach gehen lassen, das war Misaki klar. „Ich lüge nicht, auch wenn es manchmal besser wäre.“, sagte sie zu Sorai, der sie skeptisch anschaute. „Wir können dich nicht einfach gehen lassen, denn du kennst unser Familiengeheimnis. Wir können nicht zulassen, dass es jemand herausfindet...“, mischte sich eine der jüngeren Frauen ein. „Ich kann ein Geheimnis durchaus für mich behalten.“, antwortete Misaki höflich. Die Personen im Raum musterten sie argwöhnisch, sie waren wohl anderer Meinung. Eine hitzige Diskussion wurde entfacht, in der Vorschläge gemacht wurden. Einige waren dafür, sie gehen zu lassen, die anderen wollten dieses Risiko nicht eingehen. Es fielen sogar Worte wie wegsperren, versklaven, töten und ähnliches. Misaki hörte höflich zu und antwortete, wenn sie etwas gefragt wurde. Sie wurde allerdings immer schläfriger und ihr fielen fast die Augen zu, doch es wäre ja unhöflich gewesen, einfach ein zu schlafen und so hielt sie sich mit Mühe und Not wach. „Es wird schon spät und heute ist eine Menge passiert, das unser Gast erst einmal verdauen muss. Wir sollten morgen eine Entscheidung treffen.“, mischte sich Katsura ein. Er hatte wohl gemerkt, wie es Misaki erging und sie war ihm sehr dankbar. Zögerlich stimmten auch die anderen zu. Misaki sah sich die Leute noch einmal an. Während des Gespräches hatte sie ihre Namen aufgeschnappt. Die grauhaarige Frau hieß Keiko, die blonde Frau Yuri und die jüngste, schwarzhaarige Satsuki. Sie war etwa 25 Jahre alt und Sorais ältere Schwester, das hatte Misaki im Gespräch entnommen. Der braunhaarige Mann neben Katsura wurde Yamata genannt. Misaki prägte sich ihre Namen ein. „Komm mit Misaki- chan, ich habe dir ein Zimmer vorbereiten lassen.“ Katsura stand auf und reichte Misaki seine Hand, als sei sie noch ein kleines Kind. Sie stand auf und verbeugte sich vor den anderen. „Ich wünsche ihnen eine gute Nacht. Die Umstände, die ich ihnen bereite, tun mir schrecklich leid.“ Misaki schaute zu Katsura und dieser sah es als Zeichen, dass sie seine Hand nicht nehmen würde. Er zog sie zurück und sagte freundlich: „Folge mir einfach.“ Als Misaki schon fast das Zimmer verlassen hatte, murmelte Sorai so etwas wie „Gute Nacht“ und Misaki nickte ihm zu. „Vielen Dank für alles!“ Sie verbeugte sich erneut und ließ einige verdutzte Menschen zurück, als sie den Raum verließ. Das war es also, das war der ganze Tag. Wie sollte es weitergehen? Misaki machte sich sorgen um Betsy und vermisste ihre Nähe. Endlich übermannte der Schlaf Misaki endgültig und all die Sorgen und Rätsel waren wenigstens für ein paar Stunden verschwunden. Kapitel 2 Misaki wachte noch vor dem Sonnenaufgang auf. Wie immer. Seit ihrer frühesten Kindheit war es schon so gewesen und keiner wusste warum. Misakis Oberarm pochte und schlagartig wurde ihr alles wieder klar. Sie war nicht zu Hause und sie war eine Gefangene. Sie zog sich so gut es mir ihrem Arm ging um. Sie musste einfach nach Hause, nur ein paar Stunden. Betsy brauchte ihr Futter und Auslauf und ihr Vater würde es irgendwann mitbekommen, wenn alles nicht mehr sauber und im Kühlschrank kein Essen und Bier waren. Misaki öffnete mühelos das Fenster, das einen Ausblick auf den hinteren Teil des Gartens hatte. Wenn sie sich beeilte würde es doch sicher niemanden stören. Sie war schließlich ein höflicher Mensch und würde nicht einfach so verschwinden. Als Misaki aus dem Fenster geklettert war, fiel ihr auf, dass sie noch die Hausschuhe anhatte. Sie zuckte mit den Achseln. „Ich werde ja wieder zurück kommen.“, dachte sie sich. Sie lief bis zum Hauseingang, was eine Weile dauerte, denn der Garten war wirklich riesig und hatte sogar einen Wald. Im trüben Licht der Morgendämmerung erkannte Misaki einen großen Schatten am Eingangstor. Neugierig ging sie weiter und ein tiefes Grollen ertönte. Verwirrt blieb sie stehen. Irgendwie kam ihr das Geräusch bekannt vor, doch sie konnte es nicht recht einordnen. Misaki ging langsam weiter und im Licht der Laterne, die am Haupteingang stand, erkannte sie es endlich. Ein Hund! Ein riesiger Hund. Misaki schaute nach oben. Der braune Mischlingshund hatte sehr kurzes Fell und einen starken Körperbau und, was Misaki gar nicht mehr aus dem Staunen raus bracht, er war drei Mal so hoch, wie sie selbst. Dieser gigantische Koloss fletschte drohend seine Zähne und knurrte leise. „Sie haben also einen Wachhund.“, dachte Misaki und ging auf ihn zu. Der Hund spannte seinen Körper an. Misaki streckte ihre Hand aus, um ihn daran schnuppern zu lassen. Misaki liebte Hunde. Das war das einzig Normale, was sie überhaupt mochte. Nur wiederstrebend duckte sich der Hund zu ihr hinunter und beschnupperte ihre Hand. Misaki kicherte und der Hund legte seinen Kopf schräg. „Das Kitzelt.“, kicherte sie. Der Hund legte sich hin und schaute Misaki direkt ins Gesicht. Sie streckte erneut ihre Hand aus und streichelte ihn an der Schnauze. Der Hund beschnupperte sie von Kopf bis Fuß. Misaki fing an zu lachen, was sie nur sehr selten tat. „Hey, immer mit der Ruhe, sonst atmest du mich noch ein!“ Der Hund wedelte mit deinem dünnen Schwanz und schleckte Misaki ab. Diese war ziemlich nass, doch es störte sie nicht. Sie streichelte ihn weiter und krauelte ihn am Bauch. Der Hund wälzte sich glücklich und Misaki merkte, dass seine Anspannung nachließ. Misaki schaute auf das Halsband des Hundes, auf dem in großen Lettern „Bodo“ zu lesen war. „Ach, du heißt Bodo, wie süß!“ Bodo schleckte sie erneut ab. Misaki lachte. „Du bist aber ein Lieber! Du würdest dich bestimmt gut mit meiner Betsy verstehen!“ Bodo schaute Misaki fragend an. „Das ist mein Hund, weißt du. Sie ist mir das Liebste auf der Welt. Sie braucht ihr Futter und ihren Auslauf, weißt du. Ich muss unbedingt zu ihr.“ Bodo schaute erst Misaki und dann das Eingangstor an. Er fiepte leise. „Schon gut, mein Großer. Ich komm doch wieder, wirklich! Sieh doch, ich hab nur meine Hausschuhe an. So weit weg wohn ich gar nicht.“ Bodo stand auf und schüttelte sich. Er beugte sich hinunter und schaute Misaki tief in die Augen. „Ich lüge nicht, so etwas tue ich nicht. Sie werden nicht einmal merken, dass ich weg war, du bekommst schon keinen Ärger, okay?“ Bodo schaute sie noch einen Augenblick an und trottete dann mit hängendem Kopf davon. „Bis nachher, Bodo!“ Der Hund fiepte leise und verschwand im Wald. Das Tor war nicht abgeschlossen und Misaki beeilte sich, so schnell, wie möglich nach Hause zu kommen. Da sie auf den Weg zur Villa die Schule gesehen hatte, konnte sie sich leicht orientieren und kam schnell an. Es hatte sich nichts verändert. Obwohl sich Misakis auf den Kopf gestellt hatte, war in ihrem zu Hause alles gleich geblieben. Sie hörte den Fernseher ihres Vaters und sein lautes Schnarchen. Betsy begrüßte Misaki überschwänglich und schleckte sie ab. Sie wurde bei weiten nicht so nass, wie bei Bodo. Misaki gab ihrer lieben Freundin Futter und ging dann leise in den Keller. Sie holte genügend Bier und Nahrung aus dem Keller, damit ihr Vater ein paar Tage ohne sie zurecht kam. Doch was sollte sie mit Betsy tun. Misaki war doch eigentlich eine Gefangene und konnte nicht auch noch verlangen, dass sie ihren Hund bei sich aufnehmen würden. Sie seufzte leise und kraulte deprimiert die Stirn ihrer Freundin. „Da wirst du wohl eine Weile bei Frau Mikoto bleiben müssen.“ Nach einem kurzen Spaziergang, klingelte Misaki an der Tür ihrer Nachbarin, die noch ganz verschlafen war. „Misaki? Was ist denn los, es ist noch Mitten in der Nacht...Was ist denn mit deinem Arm passiert?“ Misaki verbeugte sich. „Es tut mir wirklich Leid, sie so früh zu belästigen, Frau Mikoto. Ich muss kurzfristig für ein paar Tage verreisen. Können sie sich um Betsy kümmern? Sie sind die einzige, die ich darum bitten kann.“ Frau Mikoto gähnte herzhaft und schaute Misaki dann lächelnd an. „Das weißt du doch, Liebes. Ist kein Problem. Wann kommst du denn zurück und wo gehst du überhaupt hin? Und dein Arm...“ Ich verbeugte mich. „Tut mir Leid, aber das kann ich ihnen momentan nicht sagen. Ich bin ihnen wirklich zu tiefsten Dank verpflichtet. Für das Futter und ihre Zeit werde ich selbstverständlich aufkommen. Passen sie gut auf Betsy auf, auf Wiedersehen!“ Misaki drückte ihr die Leine in die Hand und rannte los. Sie wollte zurück sein, bevor jemand etwas bemerkte. Als die Villa wieder in Sichtweite war, war die Sonne bereits am Aufgehen. Misaki stürmte durch das Tor und schnaufte. Am Waldrand konnte sie Bodo sehen, der nervös in ihre Richtung schaute. So schnell und leise sie konnte schlich sie um das Haus und schlüpfte durch das Fenster in ihr hübsches Gefängnis. Misaki klopfte ihre Hausschuhe aus und wartete, bis sie wieder ruhig atmete. Dann ging sie durch das Haus, um zu sehen, ob jemand etwas bemerkt hatte. Vor der Wohnzimmertür blieb sie stehen. Sie konnte aufgeregte Stimmen hören. „Sie ist einfach weg! Keine Spur, wie soll das gehen?“, hörte sie Yuris Stimme. „Sie kann nicht weg sein, Bodo bewacht das Haus.“, mischte sich Keiko ein. „Vielleicht hat er sie gefressen!“, erwiderte Sorai mürrisch. Yamata lachte tonlos. „Du weißt genau, dass Bodo bessere Methoden hat, als jemanden zu töten. Wir hätten zumindest Reste finden müssen.“ Misaki bekam eine leichte Gänsehaus von dem Gedanken. War der Hund, mit dem sie so herumgetollt hatte wirklich so gefährlich? „Nun beruhigt euch erst einmal. Wahrscheinlich hat sie die Toilette gesucht und sich in dem großen Haus verlaufen.“, beruhigte sie Katsura. Das war ihr Stichwort, wie Misaki fand. Sie klopfte leise an. Es herrschte einen Augenblick stille und dann riss Sorais Schwester, Satsuki, die Tür vor Misaki auf. „Du?!“ Misaki verbeugte sich höflich. „Ich wünsche einen guten Morgen.“ Völlig perplex ließ sie Misaki ins Zimmer eintraten. Alle starrten verwirrt an. „Da seht ihr’s, ich hab es euch doch gesagt!“, lächelte Katsura und stand vom Sofa auf. „Guten Morgen, Misaki- chan, hast du gut geschlafen?“ Sie nickte. „Es ging, den umständen entsprechend, würde ich sagen.“ Sie deutete mit ihrem Kopf auf ihren verletzten Arm. „Ich kann mir vorstellen, dass es unangenehm ist. Ich werde heute den Verband wechseln und nach der Wunde schauen.“ Misaki verbeugte sich. „Vielen Dank, Doktor Katsura.“ Die anderen schienen sich endlich gefangen zu haben. „Wo bist du gewesen?“, fragte Yamata streng. „Zu Hause.“, antwortete Misaki wahrheitsgemäß. Sie sogen alle erschrocken die Luft ein, lediglich Sorai lachte leise. Seine Großmutter schaute ihn streng an. „Wie meinst du das, zu Hause?“, fragte sie an Misaki gewand. Diese setzte sich auf einen der gepolsterten Stühle und lächelte höflich. „Na, wie ich es gesagt habe. Ich habe meinen Hund gefüttert und bei einer Nachbarin abgegeben. Mein Vater kommt mit dem, was ich ihm hingestellt habe auch ein paar Tage zurecht. Ich dachte mir, wir könnten in dieser Zeit eine Lösung finden, die alle zufrieden stellt.“ Keine sagte etwas. Es schien Misaki sogar so, als würden sie die Luft anhalten. Sorai hingegen schien bester Laune zu sein und betrachtete seine Familie belustigt. „W-Wie bist du an Bodo vorbei gekommen?“, fragte Yamata leise. Er schien völlig erschöpft zu sein. „Oh, es ist wirklich nicht seine Schuld. Da ich die ganze Nacht in ihrem Bett verbracht habe, werde ich sicherlich wie Sie riechen. Bestimmt hat er mich verwechselt.“ Das Misaki schon bekannte Misstrauen war auf ihren Gesichtern deutlich zu erkennen. Misaki log nicht, es sei denn, sie musste jemanden schützen... „Wie dem auch sei. Es war vernünftig, dass du wieder zurück gekommen bist, wir hätten dich sowieso gefunden.“, wandte sich Sorais Großmutter an Misaki. Ihre Stimme war äußerst kühl. Doktor Katsura räusperte sich. „Hattest du keine angst vor so einen gigantischen Hund?“ Misaki lächelte höflich und nickte. „Aber natürlich, ich habe mich anfangs ein wenig erschreckt. Wissen Sie, ich mag Hunde. Auch wenn sie gigantisch sind.“ Das Schweigen nach diesem Satz dauerte lange an. Sorai stand auf und schlürfte aus dem Raum. „Wo willst du hin?“, fragte ihn seine Schwester. „Trainieren.“ Niemand kommentierte diese Aussage und so konnte Misaki nur erahnen, wie dieses Training aussah. Sie hatte in der vorherigen Nacht ja schon einiges gesehen. „Ich werde Bodo auf jeden Fall noch einmal einschärfen, worin seine Aufgabe besteht. Ein weiteres Versagen können wir nicht dulden.“ Misaki konnte sich denken, was Yamata damit meinte. Sie würden den Hund sicher töten, wenn er seine Aufgabe nicht mehr erfüllen konnte. Sorais Großmutter musterte Misaki streng. „Ich weiß einfach nicht, was ich von dir halten soll, junge Dame. Ich bin mir nicht im klaren, in wie fern wir dich einsperren sollen. Ob nun in eine Zelle oder in einen Raum, ich weiß nicht, was angemessener wäre.“ – „Wenn Sie erlauben, Keiko-sama, würde ich vorschlagen, dass wir dieses Grundstück als Gefängnis für unseren Gast erachten. Sie kann doch nichts dafür, dass sie zur falschen Zeit am falschen Ort war. Sie ist doch noch ein Kind und ein zweites Mal wird sie bestimmt nicht weglaufen, nicht wahr, Misaki-chan?“ Misaki nickte. „Ich werde es nicht versuchen. Ich musste nur ein paar Dinge erledigen, die nicht aufschiebbar waren, wie ich Ihnen schon sagte. Ich werde Ihnen keine weiteren Unannehmlichkeiten mehr bereiten, Versprochen.“ Obwohl Sorais Großmutter nicht völlig überzeugt schien, willigte sie schließlich ein. „Na, dann komm mal mit Misaki-chan, ich wechsle dir den Verband.“ Misaki stand auf und verbeugte sich, wie immer, höflich zum Abschied und folgte Katsura auf den Weg in seine kleine Hauspraxis. „Na, da hast du ja einiges angerichtet. Kaum ein Tag hier und schon versetzt du alle ins Staunen.“ – „Das war wirklich nicht meine Absicht.“, erwiderte Misaki leise. Katsura lachte. „Es gehört schon einiges dazu, diese Menschen zu beeindrucken, du hast meinen größten Respekt, Misaki-chan!“ Katsura machte eine übertriebene Verbeugung und öffnete die Tür zu seiner Praxis. „Hereinspaziert, Prinzessin.“ Misaki reagierte nicht auf seine Scherze und Katsura schien ein wenig enttäuscht. „Richtig so, Misaki, reagier bloß nicht auf diesen seltsamen Humor, sonst kommt er sich noch komisch vor.“, begrüßte Doktor Katsuras Assistentin sie. „Das war gemein, Mi-chan!“, lachte Katsura. Katsuras Assistentin hatte schon alles vorbereitet, wie Misaki feststellte. Bevor Misaki sich auf die Liege setzte, verbeugte sie sich. „Wir haben uns noch gar Vorgestellt. Mein Name ist Misaki, freut mich, Sie kennen zu lernen.“ Die Frau lächelte. „Du bist ja höflich. Mein Name ist Sarah Mikawa, freut mich ebenfalls, dich kennen zu lernen, Misaki.“ Misaki setzte sich und schaute Sarah nachdenklich an. „Ich nehme an, Sie sind Halbengländerin, nicht wahr, Mikawa-san?“ Während Katsura seinen Kittel überzog, holte Sarah das Tablett. „Da hast du ganz Recht, aber bitte nenn mich Sarah, oder Mi-chan, sonst fühl ich mich so alt.“ – „Na das bist du ja au...“ Bevor Katsura zuende sprechen konnte hatte er sich einen mahnenden, eiskalten Blick von Sarah eingefangen und schwieg. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)