Erwarte nichts, rechne mit allem von Vandra ================================================================================ Kapitel 18: Mechanismen der Zerstörung - Teil 2 ----------------------------------------------- Genau in dem Moment fielen diese kalten schwarzen Augen auf ihn und Anachels Arme bewegten sich wie in Zeitlupe, hoben ein Schwert wie in Überlegung, um es dann nach hinten zu führen. Kurz hielt es an, bis es sich aus der Hand löste, beschleunigte und anfing zu rotieren, wie ein Geschoss geradeaus nach vorne raste – genau auf Lucive zu. Der riss die Augen auf, schwang seine Adern, seine Fäden, ohne Erfolg. Ohne einen Ton bohrte sich die Waffe in ihn, riss ihn zurück, hinunter. „Jetzt gehörst du mir!“ Anachel kam auf ihn zu, raste mit ausgestrecktem Schwert auf ihn zu, während er nach hinten stolperte. Er konnte diesen Teufel nicht aus den Augen lassen, fühlte, wie sich sein Gürtel wieder um seine Hand schlang, immer stärker und schneller, sein Gegner nur noch Sekunden entfernt. „JIN!“, schrie er ein letztes Mal, hoffte, bangte, blieb stehen. „Der ist tot“, kam es selbstgefällig, brachte alles zum Einsturz. Jedes Gefühl wich aus ihm, sein Kopf leer. Sein Herz fiel so tief, dass es kaum noch pochte, still und leise. In seiner Brust schnürte sich etwas ab, drückte nur noch Kälte hoch. Sein Gesicht versteinerte sich, eine Träne in den Augen. Kämpfen würde er, musste er. Alles andere war sinnlos, alles war sinnlos. Halb taub hob er die Hand und wartete, schluckte, als die Schwertspitze nur noch Zentimeter vor ihm war, gleich aufschlagen würde. Doch dann riss irgendetwas Anachel zurück, ließ diesen taumeln und zu Boden krachen, über den er geschleift wurde. „Ach, bin ich das? Sehr schön…dann, Lüftchen, darfst du noch mehr leiden.“ Mark riss die Augen auf, alle Tränen vergessen, ein Lächeln auf den Lippen, bevor es wieder verschwand. Jin stand zwar dort, zog an dem blauen Band, aber er sah so anders aus. Sein Gesicht war auf einer Hälfte zerfetzt, ein einziger Klumpen Fleisch. Haut hing hinunter, flatterte im nicht vorhandenen Wind, offenbarte damit die zuckenden Muskeln, die halb durchtrennt an der Wange klebten. Die ganze Seite des Bauchs war aufgerissen, von tiefen Furchen umgeben, mit einem Loch, das ihn sogar durch seinen Dschinn hindurchsehen ließ auf die Schlacht, die jetzt verebbte. Überall, auf jeder Stelle der Haut waren Furchen, Risse, die sich viel zu langsam schlossen. Ein betäubendes, zerrendes Gefühl, ein schmerzhaftes Ziehen trieb ihn, trieb ihn dazu näher kommen zu wollen. „Oh Gott…“, flüsterte er, zitterte am ganzen Körper, ging Schritt um Schritt nach vorne, wollte, musste etwas tun. „Warte…das ist Typhon“, erklärte ihm Lucive, legte ihm Hände auf die Schultern, hielt ihn ab, hielt ihn auf, egal wie sehr er sich wehrte. „Das weiß ich…ich muss zu ihm! Er hat mich…“, versuchte er etwas zu sagen, unfähig wegzuschauen, wollte nicht wegschauen, als Anachel inzwischen in einem dutzend Bänder gefangen bei Jin angeschleift kam. „…ich schulde es ihm“, schloss er endlich, versuchte sich loszureißen. „Ich werde dich nicht aufhalten, wenn er fertig ist, aber ich würde dir raten jetzt wegzuschauen. Du magst ihn doch sehr und das hier…“ Der Satz blieb unvollendet in der Luft hängen, von einem heiseren Schrei unterbrochen. Damit wurde Mark schlagartig klar, was Lucive gemeint hatte, konnte nicht aufhören zuzusehen, wie sein Dschinn mit einem grauenhaften Lächeln, einer fiesen Grimasse seine Arme hob, zugriff. Und dann bogen sich die Flügel Anachels, knackten, als sie immer weiter nach oben gedreht wurden, krachten als sie brachen und in den wildesten Richtungen stehen blieben. Schreie, Gebrüll voller Schmerzen hallte in seinen Ohren wider und wider, wollte nicht aufhören, als die Flügel immer stärker geknickt wurden, wie Stöcke in tausende Teile zerbrachen und noch aufeinander gedrückt wurden. Dabei zerrten die Bänder Anachel näher zu dem Feld, während dieser sich kaum noch rührte und nur noch wimmerte. „Wenn ihr nicht gewesen wärt, hätte das alles nicht passieren müssen. Aber wenn du mir schon die Freude lassen willst…“, grollte Typhons Stimme stärker, die Krallen einer Hand hoch über seinen Kopf gehoben, während die andere Hand sein Opfer am Hals gegen den Wald drückte und der Schrei panisch wurde. „Oh, nein, nicht jeder stirbt, wenn ich das hier tue“, damit krallten sich die Finger in die Haut, zogen Anachel hoch, nur um ihn im nächsten Moment voller Wucht gegen die Wand zu schleudern und die Finger halb im Fleisch versinken zu lassen. Mark schluckte, unfähig diese Mischung aus Kälte und Wärme zu ertragen, unfähig seinen Blick abzuwenden. Er zuckte zusammen, riss seine Schultern hoch, wie um seinen Hals zu schützen, den Kopf zu versenken, als sein Jin ausholte und die Krallen der gehobenen Hand sich nach unten stürzten. Es war ein Geräusch wie er es noch nie gehört hatte, etwas, das in seinem Ohr widerhallte und seinem Magen dazu brachte sich zu drehen und zu winden, unbeschreiblich. Zu viel war es, zu viel zu sehen, wie diese messerscharfen Waffen an den Fingern sich rasend in die Haut bohrten, etwas taten und im nächsten Moment einen riesigen Fetzen mit sich zogen, der daran hing wie ein Stück tropfender Stoff. Mark hob die Hand, würgte ohne dass noch etwas dort war, würgte Säure hoch, als das Ding in hohem Bogen an ihm vorbeiflog und die Hand sich wieder hob und senkte – wieder und wieder. Es dauerte viel zu lang, ein Fetzen nach dem anderen, der in wildem Bogen flog, ohne dass Anachel ohnmächtig wurde, während er dort hing. „Hö…au…“ Irgendetwas schien der Fast-Engel stöhnend zu versuchen, hob seine gefesselte Hand, während die Flügel zuckten. Von Minute zu Minute färbten sie sich immer röter, fast so als ob diese Farbe an ihnen hinunter lief und kleben blieb und damit die furchtbare Farbe widerspiegelte, die den ganzen Körper kennzeichnete, ohne dass ein Tropfen Blut fiel. „Oh nein...du wolltest mir das nehmen, was mir gehört. Du wolltest mir das nehmen, was mir niemand nehmen darf. Mein…meinen Markus wird mir niemand nehmen!“ Damit ließ Typhon los, löste alle Bänder und trat einen Schritt zurück, ließ in Mark Hoffnung aufkeimen, als Anachel zusammensackte. Doch es war zu früh. Mit einem Grollen, einem Brüllen und dem Fletschen von Hauern, die vorher nicht da gewesen waren, holte sein Jin aus, holte mit seinen Krallen aus. Wie in Zeitlupe raste die ausgestreckte Handfläche nach vorne, zur Seite, schnitt in den Hals, schwarze Augen geweitet, der Schrei mitten im Entstehen unterbrochen. Ein Zischen war alles was kam, ein kurzer Moment der Unklarheit, bevor sich der Kopf löste, zur Seite kippte und die noch offenen Augen ihn erschreckt anstarrte. Als er auf dem Boden aufprallte, beugte sich sein Dschinn nach unten, hob den Kopf an den Haaren hoch. Triumphierend schaute er kurz, wedelte ein wenig damit herum, bevor er: „Das war noch nicht alles“, sagte und ausholte. Im nächsten Moment flog das Geschoss durch die Gegend, landete direkt hinter dem Riesen, der Mark fast getötet hatte, gefolgt von einem Band, das sich um ein Bein dieses Wesens wickelte – und zog. Völlig aus dem Gleichgewicht gebracht, stolperte dieser Titan erst einen Schritt nach vorne, nur um dann nach hinten zu kippen und im letzten Moment seinen Fuß aufzusetzen. Grauenhaftes Knirschen erklang, als er auf dem Boden aufkam, auf dem Kopf, der direkt darunter lag. Der Riese tapste schnell wieder nach vorne, drehte sich gleich panisch nach hinten, bevor er anfing davon zu trampeln, immer schneller wegzurennen. Mark wollte nicht hinschauen, würgte und würgte, als ein blaues Band sich um das platte Ding schlang und es wieder durch die Lüfte zog, dabei eine Spur von roten Tropfen, weißen Stücken hinter sich herzog. „Na…“, hörte er Jin triumphierend, „das wird dich etwas lehren…“ Dieser ergriff das Band, das sich um den Kopf gewickelt hatte, ließ es über sich wie eine Schleuder im Kreis rasen und Spritzer verteilen, die seinen Magen zum Überkochen brachten. Genau in dem Moment als es sich löste und flog, konnte er nicht mehr. Er beugte sich nach vorne, würgte wieder, brachte kleine Tropfen hoch. Sie brannten, ätzten, bis sie draußen waren und davonstoben, das beruhigende Klopfen auf seinen Rücken der einzige Halt. Atmen war schwierig, fast unmöglich. Etwas hilflos versuchte Lucive ihn zu beruhigen. „Das ist…fast normal und keine Sorge…er ist nicht tot. Er kommt wieder…und er hatte es…verdient?“ Mark versuchte dem zuzustimmen, seinen Magen davon zu überzeugen, aber das alles war zu viel, zu viel für ihn. Vor ihm begannen plötzlich weiße Punkte, ein schwarzer Grund zu entstehen, beständig zu wachsen. Gleichgewicht verabschiedete sich, er schwankte, wankte – bis ihn ein Griff hochschreckte. „Atme…“ Irgendwie schien das seine Lunge anzustecken, tiefe Atemzüge die Folge, der Schwindel mit jeder Sekunde weniger. Seine Augen wanderten dabei langsam hoch, über die immer kleiner werdenden Wunden, die tausenden Risse, die sich schlossen, bis er schließlich das Gesicht Jins sah und schluckte. „War das…?“, rutschte es ihm heiser, leise heraus, während Verständnis hochkroch, die Erkenntnis, noch bevor die Antwort folgte. „Ja, Anachel und seine Schergen…“ Zu seinem Entsetzen löste sich bei diesen Worten das Stück Haut, das halb befestigt die Muskeln überdeckte, flatterte nach unten, nur um von einer Hand aufgefangen zu werden und schnell wieder auf die Stelle gedrückt zu werden. Er schluckte. „Wann können wir hier endlich weg?“, presste er hervor, tastete vorsichtig nach den goldenen Haaren, nach dem einzigen, das er ohne Schmerzen anschauen konnte, ohne dieses mulmige Gefühl in seinem Bauch, wenn er ihm zu nahe kam. „Keine Sorge Mensch, diese Schlacht hier war nie ein Krieg – wie immer. Und sie ist schon vorbei, also mach dir keine unnötigen Sorgen, wenn du das Leben…“, versuchte ihn Lucive aufzumuntern, noch immer nah, stoppte dann aber mitten im Satz. Irgendetwas war an ihm vorbeigeflogen, flatterte in seinen Augenwinkeln und er folgte diesem Etwas, folgte diesem blauen Band, ergriff die goldenen Haare fest. „Jin, lass da…“ Seine Zunge arbeitet schneller als seine Gedanken, seine Hände zogen an dem weichen Büschel in seiner Hand. Enger und enger schien sich das Stück Stoff um den Hals Lucives zu schnüren, während dieser nur ruhig dastand und geradeaus starrte, ihn damit wahnsinnig machte. „Lass ihn los!“, verlangte er vehementer, wollte nicht mehr zusehen, riss an den Haaren, griff schließlich mit der anderen Hand nach vorne auf die zerfetzte Kleidung schrie „JIN!“. „Du hast meinen Mensch angefasst…dafür wirst du büßen. Niemand verletzt ihn, niemand nimmt ihn mir…“, ignorierte ihn Typhon mit seinen nächsten Worten völlig, die Augen nur auf sein Opfer fixiert, ein Arm auf dem Band, an dem er zog, immer stärker zerrte. Mark schüttelte den Kopf, streckte ihn leicht nach vorne, fühlte nur Unverständnis, leise Wut hochkriechen im Angesicht dieses neuen Wahnsinns, ließ los. In einer Bewegung, ohne einen Gedanken zuzulassen, schwang er seinen Arm nach hinten, nur um ihn im nächsten Moment nach vorne zu schmettern und kurz vor dem Aufprall zu bremsen. Ein lautes Platschen war alles, was folgte und das Band auf den Boden fallen ließ. Goldene Augen starrten ihn jetzt verständnislos an, fast beleidigt, seine ganze Brust ein einziges Schnüren, während er mit zitternder Hand über die Wange strich, alles vergessen machen wollte. „Ich…“, räusperte er sich, schaute auf den Boden, presste seine Lippen aufeinander, versteckte sie kurz in seinem Mund, „…er…niemand würde mich SO anfassen außer dir. Er hat mich gerettet, er hat mich nur gerettet mit diesem…Solyo zusammen.“ Genau in dem Moment humpelte der gerade erwähnte heran, auf Lucive zu, hielt einen seiner gebrochenen Flügel, an dem weniger Federn klebten als an dem anderen. Mark schluckte, schaute hoch, bevor er fortsetzte: „Zum Henker, ich entscheide selbst, was ich mache und wer mich anfassen darf und du…du…musst keine…Angst haben…“ Die letzten Worte kämpfte er hervor, ignorierte die Kälte in seiner Brust, diese dumpfe Furcht, als ein Arm in Windeseile an ihm vorbeischoss, ihn dazu brachte zusammenzuzucken. Eine Hand legte sich auf seinen Rücken, drückte ihn nach vorne, verhinderte seine Flucht. Sanft begann sie nach unten zu streichen, über seine Haut zu fahren. „Markus…“, kam es erst kalt, bevor plötzlich wieder das Lächeln erschien und seine Brust wärmte, die Stimmung drehte, „also wenn das deine Form der Liebeserklärung ist, solltest du wohl noch etwas üben.“ Völlig verdattert starrte er dabei nur noch, konnte den schnellen Umschwung nicht fassen, hörte Kichern hinter sich. Kurz huschte ein unerklärliches Grinsen über sein Gesicht, bevor er sich umdrehte und wütend schnaubte – oder es zumindest versuchte. Die Hand auf seinem Rücken war mit gewandert und presste ihn jetzt nach hinten, an Jin. In Gedanken an die Verletzungen versuchte er sich zu befreien, wand sich, scheiterte endgültig, als ein „Wenn du mich erregen willst, dann mach bitte so weiter, mein Markus…“, ihn stoppte. „Idiot“, murmelte er zurück, bevor er sich den beiden kichernden Flügelgestalten zuwandte und: „Das ist nicht zum Lachen, zum Henker. Ich habe euch gerettet, verdammt und was sollte das mit der Schlacht? Wisst ihr eigentlich wofür ihr euch da…was euer Paradies ist?“, fauchte. Seine Gedanken überschlugen sich, drängten alle gleichzeitig heraus, ohne komplett herauszukommen. „Markus, das hättest du mich doch auch fragen können – und mir dann meine Belohnung dafür geben können.“ Mark hob bei dieser Bemerkung Jins schon seinen Ellbogen etwas, wollte nach hinten schlagen, stoppte im letzten Moment bei dem Gedanken an all die Verletzungen und biss lieber die Zähne zusammen. „Hier ist ein Krieg eher eine nette Idee. Doch jeder kämpft nur mit, wenn er etwas davon hat oder in der Nähe ist – ohne Zeit lässt sich auch alles ein wenig schwer so koordinieren wie in der Menschenwelt. Zudem sehen viele nicht den Sinn in den Kämpfen und hängen dem Spaß ein wenig mehr nach – so kämpfen sie auch gegen Leute ihrer eigenen ‚Gruppe‘, wenn sie denn überhaupt einer angehören. Wenig Sinn, außer uns und ein paar anderen mehrmals Spaß zu bringen…“ „So kann man es wohl aus Sicht der Bacarer auch ausdrücken. Oder man sagt es, wie es ist: Ein sinnloses Gemetzel in dessen Lauf nur der Glaube retten kann und…“ergänzte Lucive, bevor er harsch unterbrochen wurde. „Der Glaube? Das kann auch nur ein Novarer sagen. Mein lieber Lucive, du warst den Bacarern auch nicht abgeneigt und jetzt glaubst du, dass es irgendwo eine Erlösung gibt?“, schnaufte Typhon. Schweigen folgte, in dem Solyo von einem Fuß auf den anderen tapste. Schließlich trat er einen Schritt nach vorne, ließ dann seinen Flügel los. „Oh bitte, könnt ihr diesen sinnlosen Grabenkampf aufgeben? So viel liegt zwischen Lucives Ausstieg und dieser Schlacht. Und ich weiß, ich bin ein Samarer und tue ja nichts anderes als zu helfen“, schien Solyo gleich alles vorwegnehmen zu wollen, „Aber wenigstens habe ich etwas gefunden, das nicht erfordert seinen Gegner zu filetieren um ein Gefühl des Erreichens zu bekommen.“ Nur kurz stoppte er dort, bevor er nahtlos weiterredete und dabei experimentell mit den Flügeln schlug, die inzwischen wieder fast verheilt aussahen. „Oh, und natürlich mischen wir uns als ‚Helfer‘ ein, auch wenn es manchmal nicht gefragt ist und nehmen einem Dschinn die Möglichkeit sich umzubringen oder ‚ins Paradies zu kommen‘. Das kann er aber auch schnell nachholen. Ich glaube damit dürften alle deine Argumente gegen mich weg sein, oder Typhon?“ Mark glaubte langsam, dass die Krallen sich bald in seine Haut bohren würden, so stark wie sie sich im Moment in seinen Bauch senkten und ihn nach hinten drücken wollten. Als er dann eine Bewegung spürte, konnte er nicht mehr. Er holte endlich aus, hob seinen Arm und schlug fast schon sanft mit seinem Ellbogen nach hinten, belohnt von einer Lockerung des Eisengriffes und einem erschreckten Blick der beiden vor ihm. „Ihr braucht gar nicht so zu schauen, zum Henker!“, regte er sich auf, müde und wenig glücklich, als sein Blick kurz in die Nähe des Waldes streifte und ein mulmiges Gefühl aufkam. Kopfschüttelnd murmelte er: „Ihr seid alle nur verrückt…“ Scheinbar hatte Lucive das gehört, denn gleich darauf fragte er: „Und wie kommst du auf die Idee wir wären alle verrückt und nicht nur dein Geliebter? Schließlich haben wir beide dich gerettet, als du aus dem Paradies, dem Wald kamst…“, worauf Mark schnell seinen Kopf nach hinten lehnte und hochstarrte um sich schnell zu versichern, dass es nicht gleich wieder einen Kampf gab. Als er schließlich den wartenden Blick erkannte, seufzte er erleichtert, bevor er sich wieder nach vorne wandte. „Weil ihr alle einen Schuss habt. Habt ihr nichts Besseres zu tu…okay, vergesst das“, unterbrach er sich schnell selbst, bevor er zum Wald schaute und darauf deutete. „Wisst ihr eigentlich, dass das hier noch ein Paradies im Vergleich zu diesem Wald ist? Dort…das ist die Hölle, nur die Hölle. Kalt…so kalt und ein Gestank, unerträglich, ein Geräusch, dass sich in dein Gehirn hämmert. Wieder und wieder zerfällt vor deinen Augen alles zu Staub, während man keinen Ausgang sieht, nichts. Bevor ich dort je wieder rein muss, verkünde ich lieber der ganzen Welt, dass ich Jin li…“, ratterte seine Zunge ohne sein Einverständnis immer weiter, bis er mit voller Wucht darauf bis und leise „Au“, keifte. Zwischen den Pochern in seinem Mund hatte er das Gefühl, dass ihm hier gerade etwas herausgerutscht wäre, das nie hinaus sollte und konnte und doch wahr war. All das wurde nur noch verstärkt von dem heißem Atem, der um seinen Hals spielte und schließlich dem sanftem Kuss hinter sein Ohr. „Was meinst du damit?“, mischte sich jetzt Solyo ein, eine Mischung aus einem fast glücklichen und einem fragenden Lächeln im Gesicht und lenkte ihn zu seiner Erleichterung wieder ab. „Dass das da drin die Hölle ist, zum Henker noch mal, das meine ich! Wie könnt ihr glauben, dass das ein Paradies ist? Wie könnt ihr nichts davon wissen, wenn schon Menschen da waren? Das ist nur tot, Zerfall, Staub und Qual da drinnen – und drinnen, in der Mitte…da…“, versagte seine Stimme bei dem Gedanken an den Anblick, der sich ihm dort geboten hatte, kam nur leise heiser wieder, „war ein Dschinn, zerfallen in alle Einzelteile und wollte nur sterben. Tat er auch, aber das ist kein Paradies…kein Paradies!“ Lucive hielt sich eine Hand vor den Mund, strich sich damit über das Kinn und wandte schließlich: „Hm, aber das heißt nicht, dass das Paradies nicht vielleicht woanders sein könnte…es muss irgendwo sein…“, ein. „Selbst wenn wir deine Erlebnisse verbreiten würden, würden es nur die glauben, die es auch schon jetzt glauben. Kein Mensch vor dir hat es bisher über die Lippen gebracht, keiner vor dir hat sich zu dem Wald geäußert, alle brachten sich um, mit Stummheit geschlagen. Und in Wahrheit sind wir doch alle ein wenig Novarer, ein wenig Gläubige…“, setzte Solyo ein wenig unpassend fort, schien fast erleichtert und ignorierte das dezente Knurren Typhons offensichtlich gewissenhaft indem er mit keiner Bewegung darauf einging. „Und für mich ändert das nichts. Ich bin hier gefangen, gefangen ohne einen Weg hinaus, selbst eine Veränderung bleibt mir versagt…“ „Aber vielleicht gibt es doch Hoffnung für dich, Solyo“, mischte sich Lucive wieder ein, klopfte mit einer Hand auf Solyos Schulter und drängte sich ein wenig vor, „denn wer sagt schon, dass dieser Wald das Paradies ist. Schließlich schafft uns das Feld rundherum weg in andere Welten, fort von diesem Ort und ich glaube einfach nicht, dass da nichts anderes ist, dass nach dem Tod nichts da ist. Es kann nicht sein…“ „Und wenn doch?“, kam es leise, kaum hörbar, zwickte selbst in Marks Brust ein wenig. Doch Lucive schüttelte nur vehement den Kopf. „Ich glaube nicht daran, dass das hier alles ist und danach nichts kommt – das wäre…“ Kurz fühlte Mark sich Krallen in seine Haut bohren, ihn näher an seinen Jin drücken, bis er endlich aufschaute und wegen des Zwickens wütend aufstampfte, erleichtert das makellose Gesicht sah und lächelte. „Die Hölle?“, hörte er über sich, sah im nächsten Moment, als er sich umdrehte, die versteinerten Gesichter der beiden Dschinns und seufzte schon. „Euer Gerede ändert nichts daran, dass das hier eine Hölle ist – alles. Und ihr habt mit eurem Leben nichts Besseres anzufangen, als zu dienen, zu glauben und darauf zu hoffen, irgendwann eine Erlösung zu erfahren, anstatt es zu nützen und euer Paradies zu erschaffen. Lächerlich…“ „Du meinst anstatt wie du lieber alles abzuschlachten und keinen anderen Gedanken als Egoismus zu haben? Selbst wenn mir mein Glaube nichts bringt, bringt dir dein ‚Spaß‘ auch nicht mehr. Denn wenn es irgendetwas da geben sollte, das uns hierher verbannt hat, hierher in die Hölle, in diese Einöde von Hölle, dann wirst du dafür bezahlen – glaub mir.“ Lucive hatte die Hände zu Fäusten geballt, öffnete seinen Mund bei keinem Wort wirklich und zitterte sichtlich, während Mark langsam das Gefühl hatte, in einem Theaterstück gefangen zu sein, das nicht so verlief, wie er es gewollt hätte. Solyo hatte bisher zugeschaut, doch jetzt fingen seine Flügel an wild zu schlagen und ihn Zentimeter über dem Boden zu halten, immer höher zu tragen. „Ohne jetzt auf den Glauben einzugehen: Helfen kann einen erfüllen und Spaß bringen wie nichts anderes. Du filetierst und schürst Hass, der dir in deinem Leben gefährlich werden kann, während wir wenigstens etwas tun und unter anderem deinen Menschen gerettet haben. Die von dir Gequälten lieben dich nicht dafür was du tust, sie hassen dich und du schaffst ein Heer an Gefahren. Und jetzt erzähl mir noch einmal, dass mein Weg oder auch der der Novarer so falsch ist, denn selbst dein Mensch ist mehr einer von uns als einer von euch – denn er hat dich gerettet…“, klang er immer verklärte, immer sicherer, während er in die Lüfte stieg und dort schließlich mit gekreuzten Armen wartete. Mit einem Schnalzen raste ein blaues Band nach vorne, umklammerte ein Bein, zog, zog und kostete Solyo immer mehr an Höhe, während dieser wie eine Statue unverändert in seiner Position verharrte. Selbst Lucive starrte nur verwirrt, ließ eine Hand über dem Herzen schweben. Mark seufzte schließlich, fühlte sich so müde und wollte diesem Kampf, in dem er zwar Mittel aber nicht vorhanden war, nicht mehr angehören. „Ihr…ihr habt sie alle nicht mehr…“, fing er schließlich an, blinzelte ein wenig, bevor er tief Luft holte. „Ihr seid einfach nur verrückt und nichts weiter. Und jetzt will ich wirklich wissen, ob ihr alle zusammen nichts Besseres zu tun habt…so etwas wie nach einem Weg weg von hier zu suchen oder vielleicht miteinander reden oder mich nicht ignorieren? Ja, nein…vielleicht? ZUM HENKER!“ Genervt rollte er mit den Augen, als das blaue Band unverändert neben ihm flatterte, griff zu und zog daran, zerrte, bis es sich löste, fiel und nach hinten raste. „Ich fasse es nicht…ich fasse es wirklich nicht. Wie könnt ihr nur so ungerührt darauf reagieren, wie könnt ihr die ganze Zeit so einen Stuss reden?“ Er versuchte sich in der Umarmung zu winden, das Rasen in seinem Kopf, seinem Herzen zu ignorieren, das die Müdigkeit mit jedem Schlag in einem dumpfen Rauschen ertränkte. Fast mitleidig waren die Blicke, die ihm dabei begegneten, die seine Stimmung noch tiefer in den Keller zerrten. Es war für ihn einfach unfassbar. „Wisst ihr…ich hatte irgendeine Regung, ein Mitleid, irgendetwas erwartet. Aber stattdessen habt ihr wirklich nichts besseres zu tun als einen sinnlosen Kampf zu kämpfen und mich dabei fast entführen zu lassen und jetzt markiert ihr irgendein nicht vorhandenes Revier und jeder…ihr versucht doch nur euch im besten Licht darzustellen – Alle, und das noch so dämlich. Man kann doch auch glauben und helfen, Spaß haben und was auch immer…“, „Das machen wir auch alle. Ich war Bacarer, ich bin Novarer und ich werde…“, begann Lucive unbelehrbar, kam nicht weit, als Mark ihn mit einem „Zum Henker“, stoppte. „Zum Henker, so meine ich das nicht. Es ist doch völlig egal welcher Gruppe man angehört – ihr habt größere Probleme und könntet euer Gehirn einschalten, verdammt, und euer Leben genießen, anstatt euch in irgendwelche Gruppen…“ Er schrie schon fast, stoppte dann plötzlich, als seine Worte in sein Gehirn drangen und seine Augen sich weiteten. „…in Gruppen einordnen und vielleicht das Leben davon bestimmen zu lassen? Mein Markus, siehst du, dass kein Unterschied zwischen uns und euch besteht?“, flüsterte ihm Typhon dabei ins Ohr, verstärkte seine Vermutung nur noch mehr und brachte ihn endgültig zum Schweigen. Warmer Atem strich mit den nächsten Worten über seinen Hals: „Aber du hast Recht, mein Markus. Also wieso ordnest du dich einer Gruppe unter und lässt dein Leben davon regieren?“ Ohne eine Antwort schloss er die Augen, fühlte seine Anspannung weichen. Die Müdigkeit war mit einem Mal zu groß, das Brennen zu stark, so dass er die Tränen nicht ganz zurückhalten konnte und ablenkend murmelte: „Tue ich nicht…lenk nicht ab“, und sich auf die Zunge biss, der Schmerz wie ein Weckruf an seinen Körper. Er schüttelte sich, umklammerte den Arm, der fest um ihn geschlungen lag, drückte mit seinen Fingern zu, so fest er konnte, hörte Lachen. „Ihr habt Recht, aber wie sagte einmal ein Mensch bevor er sich auf einen Dschinn stürzte, der zerfiel und dann mit ihm verschwand…?“ Solyo schien zu überlegen, legte zwei Fingern ans Kinn, schaute zu Boden, bis sein Blick hochraste und er die Hand triumphierend in den Himmel streckte. „Genau“, hellten sich die Augen in Erkenntnis, während die Stimme tiefer wurde, „das war es. Also er sagte: ‚Das hier ist wie in einem riesigen Gefängnis aus Stein. Es gibt nichts, es wird nie etwas geben und es ändert sich nichts. Selbst all die Leute um dich herum werden irgendwann langweilig und alles was du tun kannst ist immer nur dasselbe. Selbst in der Vielfalt siehst du irgendwann dieselben Muster. Und wenn der einzige Hoffnungsschimmer den du hast in Wahrheit nur ein noch grauerer Ort ist, ein Ort, über den du nichts sagen kannst, was willst du dann noch tun? Ich beende mein Leid lieber jetzt, auch wenn dir das nichts sagt‘ und brachte sich dann um.“ „Wer war er…und wieso schmeißt du dich nicht einfach auf einen Dschinn, wenn man sich dann einfach so mit auflöst?“, brachte Mark zwischen dem Knoten in seinem Hals und der Müdigkeit, die jetzt wieder Einzug hielt, heraus. Langsam wollte er nur noch Ruhe… „Er war ein interessanter Mensch, auch wenn sein Tod seiner Ankunft folgte, aber ich denke so dürftest du verstehen, wieso wir verzweifelt versuchen ständig etwas zu ändern – irgendetwas. Leider hilft das nicht und bisher ist es keinem Dschinn gelungen mit einem anderen zu gehen …“ Solyo schaute wieder kurz zu Boden, beide Arme nach vorne gestreckt, wie als würde er ihn einladen, auf ihn zeigen, während man die Trauer in jeder Bewegung erkennen konnte. „Aber wie wir sehen ist alles möglich. Alles ist möglich, also hilf ihm, hilf dir! Auf ein Abwechslungsreiches Leben!“, rief er ihm plötzlich voller Freude zu, bevor die Flügel wild flatterten und den Dschinn in einem irrwitzigen Tempo davontrugen, ohne ihm die Möglichkeit zu lassen, auch nur irgendetwas zu sagen. „Keine Sorge…er hasst Abschiede nur so furchtbar, dass er sie nie zulässt. Und damit…“, begann Lucive, die Flügel schon nach hinten geschwungen, als sich dessen Augen plötzlich weiteten und er mit der Hand an die Brust griff. Und dann riss Mark den Mund auf, musste zu seinem Entsetzen sehen, wie sich die Finger in die Brust bohrten, sich um etwas schlossen und im nächsten Moment zogen. Ein Quietschen erklang, ein Knallen, ein Geräusch wie das Reißen von Schnüren und mit einem Mal klaffte Lucives Haut auseinander. Sie riss, riss so weit, bis ein Bündel an immer kleiner werdenden Fäden darin zu erkennen waren, sie hervortraten, gezogen von der Hand in der eine riesige Ader lag sich Stück um Stück lösten. Mark kämpfte mit seinem Magen, als dieses Geflecht schließlich bis zur kleinsten Zehe hervorbrach. Schlaff schwankte dieses Ding hin und her, um sich im nächsten Augenblick zu erheben und die tausend Fäden sich umeinander zu schlingen. Wild wirbelnd konnte man davon nichts mehr erkennen, bis das Knäuel plötzlich jede Bewegung stoppte und auseinanderfiel, in zwei Stränge zerfiel, die über den klaffenden Wunden schwebten. Sekunden tanzten sie förmlich in der Luft hin und her, regten sich, als die Hand in der sie lagen sich rührte. Sie peitschten an ihm vorbei, nur um gleich wieder zu stoppen, ein heiserer Schrei hinter sich das Zeichen, dass er nicht schauen sollte, während seine Augen nicht widerstehen konnten. Sie drehten sich mit dem Kopf mit, zur Seite, nur um sich im nächsten Moment in Schrecken zu weiten. Dort, hinter seinem Typhon, stand ein braunes Dornenwesen, so mit Stacheln übersät, dass die Formen darunter nur noch schematisch erkennbar waren. Eine ausgestreckte riesige Spitze verharrte von blauen Bändern umschlungen mitten in der Luft, gehalten von Jins Mantel, der sich in mehrere Teile geteilt hatte, während der Hals des Wesens von diesen eigenartigen silbernen Fäden zugeschnürt wurde. „Ich hasse so etwas…“, hörte er im gleichen Moment, in dem sich einer der Fäden tiefer in den Hals bohrte, das lose Ende an ihm vorbei flog, nur um im nächsten Moment so straff wie sein Nachbar in Lucives Hand zu enden. Und dann geschah es. Das Wesen riss einen tiefschwarzen Mund auf, kleine Augen traten hervor, immer weiter, bis sie wie eine Flüssigkeit, wie Tropfen über die Dornen rannen, der Hals an einer Stelle immer dünner wurde, die Stahladern sich dort hineinbohrten und im Fleisch vergruben. Mark schluckte, versuchte langsam seinen Kopf wegzudrehen, schaffte es nicht mehr rechtzeitig und musste mit ansehen, wie das Teil zur Seite kippte, immer stärker kippte, schließlich mit einem Knacken nach hinten kullerte und auf den Boden prallte. Der Kopf schlug auf, sprang immer wieder von der Erde weg, rollte davon, als der Körper nach hinten rutschte, die Bändern sich lösten und zu Jins Mantel zusammenfügten. Die Fäden blieben noch einen Moment dort, hingen halb über dem gefallenen Dschinn, nur um zu Lucive zurückzurasen und sich in einer einzigen Bewegung wieder in ein Knäuel zu verwandeln, sich wieder in die gespaltene Haut zu senken, bevor sie sich schloss. Mark schluckte noch einmal, stotterte erst nur einzelne Laute, bis er schließlich seufzte und: „Wieso immer Köpfe?“, murmelte. „Schlägt man den Kopf ab, dann dauert es länger bis sich der Dschinn regeneriert und man hat seine Ruhe“, erklärte Lucive, und sich schüttelte und seine Beine immer wieder testweise hochhob. „Oh, und damit verabschiede ich mich wirklich. Bei dem wie Typhon gerade schaut, sehnt er sich wohl sehr nach jemandem, und trotzdem traue ich mich: Es war eine Freude dich kennenzulernen…“ Damit ließ ihm der nächste keine Zeit sich zu verabschieden. Lucive erhob sich mit einem schnellen Satz in die Lüfte, schlug mit seinen Flügeln so stark, dass er über ihre Köpfe hinwegrauschte, ohne dabei auf ein letztes Winken zu verzichten. „Endlich…“ Jin hörte sich glücklich an und in dem Moment in dem Mark sein Gesicht erblickte, sah er das zufriedene Lächeln wieder auftauchen, den verschmitzten Ausdruck. „…Ruhe ist unser. Ab zu Haus, Spaß…Sex.“ „Oh nein. Du perverser…nicht schon wieder hier…“, murrte er, rollte mit den Augen und trabte los – in einer lockeren Umarmung gefangen, immer wieder von hinten gestupst. Glücklich. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)