Dating Seto Kaiba von Tea_Kaiba (Wettschulden sind Ehrenschulden) ================================================================================ Prolog: Wettschulden sind Ehrenschulden --------------------------------------- Ruhe. Frieden. Kaffee. Was braucht der Mensch mehr zum Glücklichsein? Einen kleinen Bruder, der einen an fast schon verjährte Versprechen erinnert. Der Meinung schien jedenfalls Mokuba zu sein, der sich vorwurfsvoll vor Seto aufgebaut hatte und mit dem Schachbrett klapperte. „Komm schon, Seto, du hasts versprochen.“ Hatte er das? Offensichtlich, normalerweise war es nicht Mokubas Art, solche Dinge zu erfinden. „Mokuba, ich bin müde. Können wir das nicht auf Morgen verschieben?“ Ein Knäuel aus schwarzen Haaren und blau-weissen Streifen landete im Sessel gegenüber. Geistige Notiz: Unbedingt Roland sagen, er soll Mokuba mal ein paar andere Pullover besorgen. „Nein, können wir nicht. Das hast du schon die letzten drei Abende gesagt!“ Konnte sein Bruder seine Gehirnkapazität nicht nutzen, um andere Dinge zu speichern? „Ausserdem habe ich so wenigstens mal eine Chance, zu gewinnen.“ Aber klar doch. „Aber höchstens, wenn ich dabei einschlafe.“ Was bildete sich Mokuba eigentlich ein, dass er gegen den amtierenden Weltmeister einfach mal so gewinnen könnte? Er war ja gut, aber eben nicht so gut wie Seto. Daran änderte auch das bisschen Müdigkeit nichts. Ein dämonisches Grinsen erschien auf dem Gesicht seines kleinen Bruders. „Wetten?“ Seto musterte ihn misstrauisch. „Um was?“ „Wenn ich gewinne, musst du fünf Abende dran geben und mit fünf Mädels ausgehen, die ich dir aussuche.“ Jetzt war er doch baff. Keine neue Playstation, kein Besuch in KaibaLand, kein Familienurlaub, nicht mal die Abende für sich reservieren wollte der Kleine? Na gut, ihm konnte es ja egal sein, er würde sowieso nicht verlieren. „Also gut. Die Wette gilt.“ Zwanzig ermüdende Minuten später. „Schachmatt.“ He, Moment mal. Das war sein Satz. Überrascht riss Seto die Augen auf, die ihm wohl zugefallen sein mussten. Tatsächlich. Und Mokuba hatte schon wieder dieses Grinsen im Gesicht. Wo hatte er das überhaupt her? „Tja, Seto. Kneifen gilt nicht. Wettschulden sind Ehrenschulden. Am Montag gehts los.“ Kapitel 1: Tag 1 - Vergüngungspark des Grauens - moonlily --------------------------------------------------------- Autor: moonlily Die Vögel zwitscherten vergnügt in den Bäumen des Gartens und begrüßten mit ihren Klängen den neuen Morgen. Die Sonne schickte ihre warmen Strahlen durch das große Panoramafenster und ließ sie auf das Bett fallen. Unter der Bettdecke sah ein Büschel brauner Haare hervor. Seto warf einen Blick zwischen den Stofflagen hervor und konstatierte: Willkommen in der Hölle. Seine Hand fuhr an seinen schmerzenden Schädel. Er fühlte sich, als wäre er unter eine Dampfwalze geraten. Nie wieder Alkohol!, schwor er sich, wohl wissend, dass sein Schwur die nächsten vierundzwanzig Stunden nicht überleben würde. Wie sonst sollte er die vor ihm liegenden Tage aushalten? Er verfluchte sich längst selbst, sich überhaupt auf die Partie Schach gegen Mokuba eingelassen zu haben. Aber wer hätte auch ahnen können, dass sein kleiner Bruder ausgerechnet dieses Mal eine Glückssträhne haben würde? Darüber hatte ihn auch die Flasche Whiskey nicht hinwegtrösten können, die er sich gestern Abend noch genehmigt hatte, nachdem er Mokuba ins Bett geschickt hatte. Wenn er nur daran dachte, nun gleich fünf dieser wunderbaren, von seinem kleinen Bruder geplanten Tage vor sich zu haben ... Fünf Tage, fünf Verabredungen mit einer Unbekannten, deren Namen er genauso wie den Treffpunkt erst im letzten Moment erfahren sollte ... Was hatte Mokuba sich dabei gedacht? Diese Frage beschäftigte Seto, seit er ihm mit einem süßen Lächeln das vernichtende – und unfassbare – Ergebnis ihres Spiels mitgeteilt hatte. Als er sich auf die andere Seite drehte, jagte eine neue Welle stechenden Schmerzes durch seine Hirnwindungen. Sein Mund fühlte sich staubtrocken an. Er hätte den Sake und den Rum, den er nach dem Whiskey getrunken hatte, weglassen sollen. Ob Mokuba ein Einsehen hat, wenn ich ihm sage, dass ich krank bin?, überlegte Seto. Sekundenbruchteile darauf bebte er unter einem innerlichen Lachkrampf. Ausgerechnet er, Seto Kaiba, und krank? Das passte für ihn so wenig zusammen wie Jonouchi Katsuya und die Obere Duellantenliga. Er war ja nicht mal bei der Grippewelle vor ein paar Jahren, die die halbe Schule entvölkert hatte, im Bett liegen geblieben, obwohl der Arzt (Quacksalber traf es in seinen Augen eher) ihm strenge Bettruhe verordnet hatte. Ein schrilles Rasseln riss ihn aus seinen Gedanken. Seine Hand schoss unter der Bettdecke hervor, bekam den Unruhestifter, auch als Wecker bekannt, zu fassen und beförderte ihn mit einem gezielten Wurf auf den Fußboden. Der weiche Teppich wurde dabei mit vollster Absicht um einige Zentimeter verfehlt. Das Rasseln verstummte. Seto rieb sich über die Augen und kroch widerwillig unter der Bettdecke hervor. Auch wenn er es gern verdrängt hätte, es gab nichts, was ihm dieses Schicksal ersparen würde. Bis zu seinem ersten Blinddate waren es noch ein paar Stunden und die konnte er sich am besten mit seiner Arbeit vertreiben, das würde ihm die nötige Ablenkung verschaffen. Aahhh ... Ja, nach einem Hektoliter Kaffee. Mokuba würde zwar die Stirn runzeln und ihm eine seiner Standpauken über gesunde Ernährung halten, aber verbieten ließ er sich seine Lebensgrundlage ganz sicher nicht. Erst recht nicht heute, wo er besonders viel davon brauchte, am besten kombiniert mit ein paar Kopfschmerztabletten und einer großen Flasche Wasser. Und vielleicht ein Stück Toast, um Mokuba zufrieden zu stellen. Der allmorgendliche Blick in seinen elektronischen Terminkalender ließ ihn für einen Augenblick seinen Kater vergessen, denn der Schock nüchterte ihn mit einem Schlag praktisch aus. Für zwölf Uhr prangte dort dick angestrichen: Katsumoto, Tokyo Palace. Wie hatte er ausgerechnet das vergessen können? Das Treffen war seit Wochen anberaumt, Katsumoto und er wollten sich zum Mittagessen treffen, um die letzten Einzelheiten des Vertrages zu besprechen, den sie in zwei Wochen abschließen wollten und welcher der Kaiba-Corporation einen nicht unbeträchtlichen Gewinn einbringen sollte. So aber konnte er dort unmöglich auftauchen. Ein Kater war das letzte, was seinem Image eines knallharten Geschäftsmannes zuträglich war. Seto ging in sein Bad und stellte die Dusche an. Kalt. Eiskalt. Das Wasser vertrieb die Alkoholschwaden nach einer Weile aus seinem Kopf und ließ ihn klarere Gedanken fassen. Wenn Mokuba auf der Einlösung seiner Wette bestand, gut, das konnte er haben. Aber wenn er glaubte, er würde diesen ganzen Quatsch, der so zu einem Date gehörte, mitmachen, hatte er sich geschnitten. Die Damen, mit denen er sich treffen sollte, würden ihre Zusage noch bereuen. Seto lehnte sich zufrieden gegen die Lehne seines Bürosessels, drehte sich mit ihm herum und genoss den Blick über Domino. Der frühe Nachmittagshimmel war strahlend blau und von seinem Büro in der obersten Etage des Hauptgebäudes der Kaiba-Corporation war die Aussicht schlichtweg atemberaubend. Meistens nahm er sie schon gar nicht mehr wahr. Seine Geschäftspartner, die er hier oben empfing, zeigten sich stets beeindruckt, doch wenn man diese Aussicht jeden Tag sah, hatte man sie sich früher oder später übergesehen und sie war nichts Besonderes mehr. Heute aber war Seto zu guter Stimmung. Dank einer Intensivtherapie mit kalter Dusche, Kaffee und einigen anderen Heilmittelchen hatte er seinen Kater relativ schnell überwunden und auch das Treffen mit Katsumoto war genau so verlaufen, wie er es sich gewünscht hatte. Ihrem Vertrag stand nichts mehr im Wege. Die Gegensprechanlage seines Telefons piepte. „Ja?“ „Kaiba-sama, Ihr Herr Bruder ist da.“ „Lassen Sie ihn ein.“ Warum ist er denn ... Oh. Während der letzten Stunden hatte er sich ausschließlich auf seine Arbeit konzentriert und alles, was danach noch auf ihn zukommen sollte, erfolgreich verdrängt. Nun jedoch genügten die wenigen Worte seiner Sekretärin, um ihn in die Realität zurückzureißen. „Hallo, Seto. Wie war dein Tag?“, begrüßte Mokuba seinen Bruder mit einem breiten Lächeln. „Bisher gut.“ „Dann wirst du dich ja freuen zu hören, dass er bald noch besser wird.“ „Das möchte ich bezweifeln“, brummte Seto. „Na, na, willst du etwas kneifen? Du weißt doch, Wettschulden –“ „Sind Ehrenschulden, ich weiß. Allerdings wüsste ich lieber, was dich dazu getrieben hat.“ Mokubas Grinsen verbreiterte sich. „Tja, das ... Hi hi. Das ist mein kleines Geheimnis. Mal sehen, vielleicht verrate ich es dir am Ende der Woche. Und jetzt komm, dein Date wartet.“ „Mokuba“, drang es leise, knurrend aus Setos Mund. „Eine Frau soll man nicht warten lassen, großer Bruder“, erwiderte Mokuba, speicherte rasch die Dateien nach, die sein Bruder noch geöffnet hatte, und fuhr seinen Laptop herunter. Seto warf ihm einen unwilligen Blick zu und verließ mit ihm das Büro. Der Aufzug fuhr für Setos Geschmack heute viel zu schnell und erreichte sein Ziel, die Tiefgarage unterhalb des Bürogebäudes, in Rekordzeit. „Sag mir wenigstens, um wen es sich handelt“, sagte Seto, als sie durch die Reihen der parkenden Autos zur wartenden Limousine gingen. „Dann wäre es aber keine Überraschung mehr“, grinste Mokuba. Dies waren vorerst die letzten Worte, die Seto von seinem Bruder hörte, denn sobald der Wagen die Garage verließ und auf die belebte Straße bog, verfiel er in Schweigen. Die Häuserblocks zogen an ihnen vorbei, sie ließen das Geschäftsviertel hinter sich zurück und durchquerten mehrere Wohngebiete. „Wo fahren wir hin? Ich dachte, ich soll die Mädchen zum Essen ausführen und alle vernünftigen Restaurants liegen in der anderen Richtung.“ Mokuba gähnte demonstrativ. „Essen gehen ... Wie langweilig. Nein, ich hab mir was Kreativeres für dich ausgedacht, Seto. Warte es ab.“ Kreatives ... Mir schwant nichts Gutes. Als der Wagen vor dem großen, mit einer bunten Leuchtreklame versehenen Tor hielt, wollte Seto seinen Augen nicht trauen. „KaibaLand? Soll das heißen, ich bin in meinem eigenen Park zu einem Date verabredet, von dem ich nicht mal weiß, mit wem?“ „Sieh es als ein kleines Entgegenkommen meinerseits an“, sagte Mokuba. „Ich gewähre dir einen Heimvorteil. KaibaLand kennst du doch wie deine Westentasche.“ „Ach, und das soll mich beruhigen. Für einen Sechzehnjährigen bist du ganz schön frech. Was habe ich an deiner Erziehung nur falsch gemacht?“, seufzte er. „Wenn es dich beruhigt, du hast bei mir alles richtig gemacht. Los, steig aus. Sie wartet schon auf dich.“ Seto warf einen Blick durch die verspiegelte Scheibe, konnte aber nicht erkennen, wen sein Bruder meinte. Natürlich erregte die Limousine Aufsehen, aber keines der Mädchen, die zu ihnen sahen, machte den Eindruck, als sei es hier mit ihm verabredet. Er warf Mokuba einen letzten grimmigen Blick zu, dann stieg er aus und blickte sich erneut um. Dann sah er sie. Sie stand direkt am Eingang, aber so hinter einer der Weißer-Drache-Statuen versteckt, dass man sie im ersten Moment nicht bemerkte. Sie hatte sich die Sonnenbrille nach oben geschoben, ihre langen braunen Haare wehten in einer leichten Brise, die vom Meer herüberkam. Die helle Bluse und der kurze Rock betonten die schlanke Figur. Seto hätte seinen Bruder erwürgen können. Was hatte ihn dazu veranlasst, Shizuka Kawaii, die Schwester dieses Möchtegern-Duellanten, darum zu bitten, sich mit ihm zu verabreden? Mokuba, der auf den Platz seines Bruders gerutscht war und das Fenster heruntergelassen hatte, winkte ihr zu. Die zögernde Geste, als sie ihre Hand hob und seinen Gruß erwiderte, verriet Seto auf den ersten Blick, dass sie noch genauso schüchtern sein musste wie damals, als sie sich kennengelernt hatten. Das war über fünf Jahre her. „Hey, Shizuka, wie geht es dir?“, rief Mokuba. „Gut und dir?“ „Alles bestens.“ Seto drehte sich zu ihm um. „Mokuba, das ist nicht dein Ernst.“ „Ich wünsche euch beiden viel Spaß“, erwiderte dieser nur und bevor Seto die Gelegenheit bekam etwas zu erwidern, fuhr der Wagen an und verschwand mit Mokuba. Na warte, dir streiche ich die nächsten Wochen das Taschengeld, nahm Seto sich vor. Irritiert bemerkte er, wie jemand am Ärmel seiner Jacke zog. Shizuka stand neben ihm, vermied es jedoch, ihn direkt anzusehen. „Wollen wir?“, fragte sie. „Was hat dir mein Bruder dafür geboten, mit mir auszugehen?“ Nun war es an Shizuka, eine verwirrte Miene zur Schau zu stellen. „Einen schönen Nachmittag. Wieso?“ Über so viel Naivität konnte Seto nur den Kopf schütteln. Das kann ja heiter werden. Na schön, bringen wir es hinter uns. „Okay, gehen wir“, sagte er und wandte sich vom Haupteingang ab. „Wo willst du denn hin? Die Kasse ist dort drüben.“ „Hallo? Du scheinst noch mehr Ähnlichkeit mit dieser Töle zu haben als ich dachte. Wir sind in KaibaLand. Glaubst du, ich bezahle für den Eintritt in meinen eigenen Park?“ „So ... So war das mit deinem Bruder ausgemacht“, wagte sie einzuwenden. Okay, zu dem Taschengeldentzug kommt eine Woche Hausarrest, notierte er sich gedanklich und zückte sein Handy. „Ja, das hab ich mit ihnen so vereinbart“, antwortete die Stimme seines Bruders. „Du bezahlst die Spesen und der Eintritt gehört auch dazu. Bis heute Abend.“ „Aber –“ Klick. Aufgelegt. Seto war nicht amüsiert. Und wie er seinen Bruder einschätzte, würde er sich heute noch von Shizuka Bericht erstatten lassen, wie es denn gelaufen sei und ihm vorwerfen, seine Wette nicht ordnungsgemäß einzulösen. Er steckte das Handy weg, zückte dafür seine Lederbrieftasche und nahm einige Scheine heraus, mit denen er zur Kasse trat. „Zwei Erwachsene“, sagte er zähneknirschend. „Oh, Kaiba-sama, Sie ...“, begann die Kassiererin. „Geben Sie mir einfach die Eintrittskarten.“ Die Frau sah verwundert drein, als ihr Chef ihr die Karten abnahm und in Begleitung einer jungen Frau durch das Tor trat. KaibaLand war wie immer bestens besucht. Die gepflasterten Straßen, die sich kreuz und quer durch den Park zogen, waren voller Menschen, die von einer Attraktion zur nächsten hetzten, um nur ja nichts zu verpassen. Seto und Mokuba hatten bei der Planung ganze Arbeit geleistet. Ein lockendes Fahrgeschäft reihte sich an das andere, dazwischen hatten die Händler ihre Stände bezogen und boten alles an, was das Kaibasche Warenlager zu bieten hatte: bedruckte T-Shirts und andere Kleidungsstücke, Poster, eine schier unendliche Auswahl an Geschenkartikeln, Puppen und Plüschtiere, Spielkarten ... Dazwischen liefen als Duel Monsters-Figuren verkleidete Angestellte herum, die wie ein Magnet auf die Kinder wirkten. Besonders das Schwarze Magiermädchen und der Schwarze Magier wurden von ihnen belagert. Seto konnte mit den Umsätzen mehr als zufrieden sein. Er sah regelmäßig im Park vorbei, um sich zu vergewissern, dass alles in Ordnung war. Allerdings waren seine Besuche immer ausschließlich beruflicher Natur gewesen, er war nie privat hierher gekommen. So konnte er seinem unfreiwilligen Date zumindest in diesem Punkt etwas Positives abgewinnen, seinen Park einmal aus der Perspektive des Gastes zu erleben. Shizuka blieb vor der großen Übersichtskarte des Geländes stehen und ging die daneben angebrachte Legende durch, in der die verschiedenen Attraktionen aufgelistet waren. „Ist das eine Auswahl, wie soll man sich denn da entscheiden? Hmmm ... Am liebsten würde ich in alles reingehen. Zuerst zur Achterbahn, dem Magischen Zylinder-Karussell oder doch lieber ins Labyrinth?“ „Sag mir einfach, wo du hin willst“, zuckte Seto mit den Schultern. „Dann ... als erstes in die Achterbahn“, entschied sie mit einem letzten Blick auf die Karte. Die Achterbahn war schon von weitem gut zu sehen, die riesige Anlage, die mehrere Loopings und einiges an scharfen Kurven aufwies, überragte die Bäume mit Leichtigkeit. Beim Design der Wagen hatte sich Seto, wie so oft, von seiner Lieblingskarte inspirieren lassen. Die Drachen fegten in einem Höllentempo die Gleise entlang, dass sich manche der unten stehenden Zuschauer abwandten, um den Würgreiz besser zu unterdrücken. Am Einstieg hatte sich eine lange Schlange gebildet, die Achterbahn war eines der beliebtesten Fahrgeschäfte des Parks. Rote Bänder und im Boden verankerte Stangen trennten die Besucher voneinander, damit sich niemand vordrängeln konnte. Mehrere Männer in T-Shirts mit dem Parklogo standen dazwischen und verkündeten den Besuchern, unterstützt von mehreren Schildern, die Wartezeit. Shizuka seufzte. Momentan betrug die durchschnittliche Wartezeit eine Dreiviertelstunde. Wenn das bei allen Sachen so war, würde sie kaum etwas vom Park sehen und die paar Stunden wären schneller als ein Wimpernschlag dahin. „Passt dir was nicht?“, fragte Seto. „Wenn wir uns jetzt anstellen, kann ich mir den Rest deines Parks nicht mehr ansehen.“ „Wann ich habe ich gesagt, dass wir uns anstellen?“ „...“ „Wie du eben so treffend bemerkt hast, ist das mein Park. Mokuba mag ja auf dem Eintrittsgeld bestehen, aber er kann nicht von mir verlangen, dass ich mich anstelle.“ Mit diesen Worten marschierte Seto an der Schlange vorbei. Nach ein paar Schritten blieb er stehen und blickte zu der unschlüssig mit den Füßen wippenden Shizuka. „Worauf wartest du? Brauchst du eine Extraeinladung?“ Seto ignorierte die empörten Blicke und Stimmen gekonnt, drängte sich mit Shizuka an ein paar Jugendlichen vorbei und stieg die Treppe hinauf. „Entschuldigung, Sie können doch nicht einfach –“, setzte einer der Angestellten an, um gleich darauf in betretenes Schweigen zu verfallen. Es war doch ein schönes Gefühl, Herr der Lage und des Hauses bzw. Parks zu sein – und sich vor allem die lästige Warterei zu ersparen. Die Wagenkette hielt vor ihnen, die letzten Fahrgäste stiegen aus. Ein Mann torkelte leicht, sein Begleiter war um die Nase grün angelaufen. Seto betrachtete Shizuka skeptisch von der Seite. Das zierliche Mädchen machte auf ihn nicht gerade den Eindruck, als würde es diese Fahrt heil überstehen. „Und du bist dir sicher?“, fragte er sie vorsichtshalber. „Absolut“, antwortete sie und stieg in den vordersten Wagen ein. Als Seto neben ihr in das Gefährt kletterte, durchzuckte es ihn. Er fühlte sich beobachtet. Und er meinte damit weder seine Angestellten noch die anderen Parkbesucher, die ihn nicht aus den Augen ließen und jeder seiner Bewegungen folgten. Das Gefühl verflüchtigte sich spätestens, als sich der Wagen in die erste Kurve legte und kurz darauf steil in die Höhe schoss. Der Fahrtwind sauste ihnen um die Ohren und peitschte ihre Haare. Shizuka schien die Fahrt zu genießen, sie kreischte jedes Mal, wenn sie in die Tiefe gerissen wurden, fröhlich. Setos Miene wirkte dagegen, als hätte man sie in Stein gemeißelt, nicht einmal in seinen Augen war eine Gefühlsregung zu lesen. Es ging über eine letzte Anhöhe, dann bremsten die Wagen ab und kamen zum Stehen. „So, auf zum nächsten“, verkündete Shizuka und war schneller am Ausgang, als Seto gucken konnte. Er musste bald feststellen, dass Shizuka entschlossen schien ihre Drohung, sämtliche Attraktionen von KaibaLand abzuklappern, wahr zu machen. Nach einem Besuch des Labyrinths kam Seto in den zweifelhaften Genuss einer Fahrt mit dem Karussell. Dieses war den alten europäischen Dampfmaschinen-Karussells nachempfunden. Statt der Holzpferde ritten die Besucher jedoch wahlweise auf dem Weißen Drachen, dem Schwarzen Rotauge, in einer X-Drachenkanone, auf einer Harpyie, dem Fluch des Drachen oder einem Kuriboh. Seto saß mit verschränkten Armen und einer süßsauren Miene auf einem der mit braunem Pelz besetzten Exemplare der kleinen Fellkugeln und warf dem kleinen Jungen, der ihm den letzten Drachen weggeschnappt hatte, giftige Blicke zu, während das Karussell Runde um Runde drehte. Shizuka bemerkte nichts von der Verärgerung ihres Begleiters, der im Begriff stand, Mokubas Hausarrest die nächste Verlängerung zu verpassen. Da konnte er hundertmal einen so herzerweichenden Blick wie ein junger Dackel draufhaben, dieses Mal würde ihm das auch nicht weiterhelfen ... Seto hasste die Kuribohs, seit Yugi ihn mit einer ganzen Mauer davon im Königreich der Duellanten zum Narren gehalten hatte. Nun einen davon als Reittier benutzen zu müssen, kratzte gewaltig an seinem Ego. Endlich kam das Karussell zum Stehen. „Was machst du denn für ein grummeliges Gesicht?“, fragte Shizuka. „Hat es dir nicht gefallen?“ Statt einer Antwort gab er nur ein unwilliges Brummen von sich. „Wie wäre es mit einem Eis?“, schlug sie vor. „Das bringt dich auf andere Gedanken.“ Seto folgte ihr zu einem Stand, an dem eine Frau im Kostüm der Heiligen Elfe Eis verkaufte. „Was ist deine Lieblingssorte?“, wandte sich Shizuka an ihn. „Ich habe keine.“ „Ach komm, jeder hat eine Lieblingssorte. Bitte, ich verrate auch keinem, was es ist.“ „... Schokolade“, sagte er nach einigem Zögern. „Schön, dann einmal Schokolade und einmal Kirsche“, bestellte sie. Die Eistüten in der Hand, gingen sie langsam weiter. Vor den Magischen Zylindern, die sich auf einer großen Scheibe mehrfach sowie um sich selbst drehten, drückte Shizuka Seto ihr halb aufgegessenes Eis in die Hand und stieg in einen der Zylinder. Während sich diese drehten und ihren Fahrgästen lautes Kreischen entlockten, schmolz die Schokolade unter Setos Zunge rasch dahin. Die Eiswaffel warf er in den nächsten Mülleimer, die schmeckte ihm zu pappig. Memo an mich selbst: Parkleitung damit beauftragen, bessere Waffellieferanten zu suchen. Als Shizuka auf ihn zukam und ihm ihr Eis abnahm, begann sie zu kichern. „Was ist so lustig?“ „Du ... Ha ha ... hast einen ... einen Schokoladenbart“, prustete sie. Shizuka kramte in ihrer Handtasche und förderte einen kleinen Handspiegel und ein Taschentuch zutage, die sie Seto reichte. Mit einem Schlag wurden Seto die seltsamen Blicke klar, mit denen er vorhin von den Leuten bedacht worden war. Und hatte er nicht eben ein verdächtiges Klicken gehört? Wenn jemand von ihm in diesem Zustand ein Foto gemacht hatte ... Demjenigen würde er sein ganzes Rechtsanwaltsheer auf den Hals hetzen, wenn es nötig war. Hatte sich da nicht gerade was im Gebüsch bewegt? Er beeilte sich damit, seinen Mund zu reinigen und gab, nachdem er noch einmal nachgeprüft hatte, dass alles weg war, den Spiegel an Shizuka zurück. Spätestens mit dem Besuch im Geisterhaus wurde Shizuka das Lachen vorerst vom Gesicht gewischt. Sie brauchte nur die ersten Monster zu sehen, um zu erkennen, dass als Vorlage die Decks eines gewissen Grabräubers und eines ehemaligen Grabwächters als Vorlage gedient hatten. Die Erinnerungen, die damit aufstiegen, erschreckten sie jedoch weitaus mehr als die Monster hier. Die Schauspieler, die sich zwischen den Puppen versteckten, sorgten dafür, dass den Besuchern der Schreck noch gründlicher in die Glieder fuhr. Seto warf einen misstrauischen Blick auf das Friedhofsfeld, an dem sie vorbeikamen. Kurz glaubte er, hinter einem der Grabsteine eine in weißen Stoff gehüllte Schulter aufblitzen zu sehen, die nicht dorthin gehörte, aber als er nochmals hinsah, war sie verschwunden. Entwickle ich gerade eine Paranoia? Leide ich jetzt schon unter Verfolgungswahn? Mehrere Stunden später musste sich Seto eingestehen, dass Shizuka einen wahren Pferdemagen haben musste (zwischen den ganzen Fahrten hatten sie ein weiteres Mal am Eisstand sowie bei den Pommes Frites, den Okonomiyaki und in der Nudelsuppenküche Halt gemacht) und dass ihr Durchhaltevermögen schon unmenschlich hoch war, denn sie zeigte kein Anzeichen von Müdigkeit, während ihm in seinen neuen Designerschuhen langsam die Füße zu drücken begannen. Er fragte sich, wo sie die ganze Kondition hernahm. Vielleicht Shoppingtouren mit Anzu? Und in der ganzen Zeit war er das Gefühl nicht losgeworden, dass er von jemandem verfolgt wurde, auch wenn er niemanden hatte entdecken können. „Oh, was ist das denn?“, rief Shizuka, lief auf eine Halle mit Spielautomaten zu und winkte Seto zu sich. So viel zu ihrer Schüchternheit, dachte er. Die hatte sich im Verlauf des Nachmittags immer weiter abgebaut. Wenigstens besaß sie nicht die Frechheit, ihn „Seto“ zu rufen. „Angelst du mir eine von den Figuren?“ Sie deutete auf einen großen Glaskasten, der mit Puppen und Plüschfiguren gefüllt war, über denen metallene Greifer schwebten. Mädchen, dachte er nur und steckte eine Münze in den Schlitz des Automaten. „Welches soll es sein?“ „Warte ... den Weißen Drachen da!“ Er steuerte den Greifer mitten in das Feld hinein und ließ ihn über der Figur absinken. Beim zweiten Anlauf bekam er sie am Kopf zu packen und beförderte sie mit ruhiger Hand zum Ausgabefach. Shizuka öffnete ungeduldig die Klappe, nahm den Drachen heraus und drückte ihn an sich. „Vielen Dank. Ist der süß“, sagte sie. „Einfach zum Knuddeln.“ Setos Kinnlade fiel in Gedanken ein paar Stockwerke tiefer und krachte auf den Boden. Wie hatte sie gerade seinen Drachen genannt, süß? Einschüchternd, Respekt einflößend, das waren Attribute, die zu seinem Weißen passten. Aber süß? „Was machst du denn jetzt wieder für eine Miene?“, fragte sie. „Ich weiß nicht, wie du darauf kommst, ihn“, er deutete auf den Stoffdrachen in ihren Händen, „als süß zu bezeichnen. Ein süßer Drache hätte mir wohl kaum bei meinen Duellen geholfen.“ „Ich finde deinen Drachen nun mal süß. Da fällt mir ein ... Warum hast du dich damals überhaupt so plötzlich von den aktiven Duellanten zurückgezogen? Du hast das Profilager von einem Tag auf den anderen verlassen.“ „Sieh dich um, dann hast du die Antwort. Meine Firma expandiert seit Jahren, da bleibt mir keine Zeit mehr, mich noch selbst an den Turnieren zu beteiligen. Um die Töle ist es ja auch still geworden. Aber war ja nicht anders zu erwarten. Ich habe mich ohnehin immer gefragt, wie er es überhaupt nach Battle City geschafft hat.“ Shizukas Blick wurde kühl. „Mein Bruder war und ist ein sehr guter Duellant. Aber genau wie du hat er jetzt wichtigere Aufgaben“, sagte sie hoheitsvoll. „Er muss sich um sein Studium kümmern.“ „Der Köter und studieren? Was denn, etwa Flohdressur?“ „Hör endlich auf, Jonouchi ständig zu beleidigen!“, fuhr Shizuka auf. „Und wenn du es genau wissen willst, er studiert Kunstgeschichte.“ „Armselig“, war Setos Kommentar dazu. „Er gehört zu Professor Azawas besten Studenten“, entgegnete sie. „Er war schon bei ein paar großen Ausgrabungen mit und die Leiter haben ihm alle gute Empfehlungen geschrieben.“ „Was für eine Papierverschwendung.“ Seine Augen huschten nach links. Hatte der Busch da gerade geknurrt? „Seto Kaiba, ich finde es überhaupt nicht nett von dir, wie du mit meinem Bruder umspringst. Jonouchi ist nicht der Dummkopf, für den du ihn hältst. Du hältst dich immer für besser, dabei hat er dir eine Menge voraus.“ „Ach ja? Und was soll das sein?“ „Der Umgang mit anderen Menschen zum Beispiel.“ Seto rümpfte die Nase, doch Shizuka beachtete ihn schon nicht mehr. Sie hatte sich in dem Faltprospekt des Parks vergraben und ging zum sicher hundertsten Mal (Seto hatte zwischen dem Besuch des Toon-Schlosses und der Fahrt mit der Eisenbahn, auf der er mit seinen langen Beinen kaum untergekommen war, zu zählen aufgehört) die Attraktionsliste durch. „Mal sehen ... Da waren wir ... da auch ... Wir haben uns so gut wie alles angesehen.“ Kunststück bei der stundenlangen Hetzjagd, dachte Seto. Es dämmert schon. Die Sonne näherte sich dem westlichen Horizont und tauchte den Himmel in Rosé und sattes Goldgelb. Hoffentlich will sie mit mir nicht auch noch ins Riesenrad. „Aber das Beste hab ich mir für den Schluss aufgehoben“, fuhr Shizuka fort. „Sozusagen als Abschluss unseres Dates.“ Ich hab es geahnt. Sie schob Seto die Karte hin und tippte mit dem Finger auf einen Punkt. „WIE BITTE?!“ Das war schlimmer, viel schlimmer als das Riesenrad. „Denkst du, den lasse ich mir entgehen? Komm, da vorne ist es gleich.“ Allein der Anblick der Figuren brachte Seto ins Schwanken. Von selbst wäre er nie auf die Idee gekommen, so etwas in seinem Park einzubauen, das war Mokubas Idee gewesen. Er hatte gemeint, das dürfte heute in keinem Park fehlen, so auch nicht in KaibaLand. Noch so einer von seinen fantastischen Einfällen, die er jetzt ausbaden durfte. „Wenn er das wagt ...“, murmelte eine Stimme leise. Setos Blick heftete sich auf den Busch. Seine Stimme war ruhig, als er sprach. „Ich weiß genau, dass du da drin bist, Jonouchi Katsuya. Komm raus!“ „Niemand zu Hause“, drang es aus dem Busch. „Und so was studiert Kunstgeschichte. Deine Professoren müssen taub und blind sein“, sagte Seto, griff mit einer Hand zwischen die Blätter und zerrte aus ihnen den sich sträubenden Jonouchi hervor. Um seinen Hals baumelte eine Digitalkamera. „Sämtliche Bilder, die du heute gemacht hast, werden gelöscht. Hast du verstanden?“ „Und wenn nicht?“, fragte Jonouchi herausfordernd. „Dann verklage ich dich so, dass du die Kosten noch in hundert Jahren abbezahlen kannst.“ „Hmmm, wenn das so ist ... Aber schade, der Schnappschuss von dir mit Schokomund ist echt Gold wert. Wenn ich das den anderen zeige ...“ „Wag es nicht!“, zischte Seto. „Dann verzichte du darauf, mit Shizuka durch den Liebestunnel zu fahren.“ „Sehe ich etwa so aus, als würde ich das freiwillig tun?“ „Unser Date läuft aber noch“, mischte sich Shizuka ein. „Und ich bestehe darauf, dass wir durch den Tunnel fahren.“ „Schwesterchen –“ „Lass mir doch einmal den Spaß. Und Mokuba.“ „Du ... Argh, na gut. Aber warum müssen kleine Geschwister nur so nervig sein“, sagte er kopfschüttelnd. Seto konnte es nicht fassen – zum ersten Mal musste er Jonouchi Recht geben. Shizuka hakte sich bei Seto ein und zog ihn mit sanfter Gewalt Richtung Liebestunnel. Ihm drehte sich beim Anblick der in Weiß und Rosa gekleideten Engelchen beinahe der Magen um. Jonouchi folgte den beiden und blieb direkt hinter ihnen stehen. Vor ihnen waren nur zwei Paare, die auf die Boote warteten. „Was soll das werden?“, erkundigte sich Seto an Jonouchi gewandt. „Ich fahre mit euch“, erklärte er ungerührt. „Kommt nicht in Frage!“, sagten Shizuka und Seto wie aus einem Mund. Überhaupt zu dieser Fahrt gezwungen zu werden, war schon schlimm genug, aber dann auch noch mit Jonouchi an seiner Seite – das war für Seto die Hölle. „Nur weil du mal für Kaiba geschwärmt hast, was ich absolut nicht verstehen kann, ist das kein Grund –“, setzte Jonouchi an. „Ich habe nie für ihn geschwärmt!“, stieß Shizuka hervor, konnte jedoch nicht verhindern, dass sie rot anlief. Nicht zum ersten Mal an diesem Tag wünschte sich Seto weit weg, in sein Büro, in seine Villa, irgendwohin, bis diese schreckliche Woche vorbei war. „Entschuldigung, würden Sie bitte einsteigen? Sie halten die anderen Gäste auf.“ Einer der Engel wies auf das Boot, das sanft auf dem Wasser des künstlichen Flusses schaukelte. Shizuka und Seto stiegen ein; Jonouchi drängte sich als Letzter in das schwankende Gefährt. „Mach dich nicht so breit, Kaiba. Ich fall noch raus.“ „Dann nimm das nächste Boot“, gab er trocken zurück. „Ich denk nicht dran.“ Seto kam sich vor wie eine Sardine in der Büchse, eingeklemmt zwischen den Geschwistern. Das Boot fuhr durch den herzförmigen Torbogen in den Tunnel, hinein ist eine rosarote Welt aus Kitsch, Rosen, Herzchenkonfetti – hinein in Setos persönlichen Albtraum. Er hatte nicht gedacht, jemals in diese Situation zu kommen und noch absurder kam es ihm vor, diese Fahrt auch noch mit Jonouchi anzutreten, der seinen Streit mit seiner Schwester über Setos Kopf hinweg fortsetzte. „... Und wer hat Anzu damals die Ohren vollgeschwärmt?“ „Das hab ich nie getan. Kauf dir mal ein Hörgerät. Überhaupt finde ich es eine bodenlose Unverschämtheit von dir, mir zu einer Verabredung nachzuschleichen.“ „Irgendjemand muss schließlich auf dich aufpassen. Vor allem, wenn du mit Kaiba unterwegs bist.“ „Ich bin alt genug, um selbst auf mich aufzupassen.“ So ging es zwischen den beiden hin und her. Setos Anwesenheit schienen sie völlig vergessen zu haben. Dieser war sich nicht sicher, worüber er ungehaltener sein sollte: Dass sie ihn völlig ignorierten oder dass er gleichzeitig im Mittelpunkt ihrer Unterhaltung stand. Dazu zerrten die süßen Klänge der romantischen musikalischen Untermalung an seinen Nerven. „SEID ENDLICH RUHIG!“, schrie Seto, als sie gerade an einer Kapelle mit Brautpaar vorbeisteuerten. Die beiden Geschwister sahen ihn erschrocken an. „Hey, was ist dir denn für eine Laus über die Leber gelaufen, Kaiba?“ „Deine Schwester schleppt mich seit Stunden kreuz und quer durch KaibaLand und zur Krönung muss ich mit euch diese idiotische Fahrt machen. Reicht das?“ „Dass ich mal erleben darf, wie der große Seto Kaiba die Kontrolle verliert. Bist anscheinend doch nicht so ein Eisschrank.“ „Wünsch dir lieber nicht zu erleben, wie ich die Kontrolle verliere“, sagte Seto und setzte seinen kältesten Blick auf. Sie erreichten den Anlegesteg. Das Boot stieß sachte gegen die Mauer. Ein Engel streckte ihnen die Hand entgegen, um ihnen an Land zu helfen. Außerhalb der Anlage fuhr sich Seto durch die Haare, um die Reste des Konfettis herauszuschütteln. „Da dies, wie du vorhin angemerkt hast, der letzte Programmpunkt auf deiner Liste war, gehe ich davon aus, dass unsere Verabredung damit beendet ist“, sagte Seto. „Ja, und ich hoffe, es hat dir ebenfalls etwas Spaß gemacht. Ich habe mich jedenfalls gut amüsiert“, sagte Shizuka. „Das ... freut mich für dich.“ „Auch wenn ich mit meinem Bruder anscheinend noch ein ernstes Wort reden muss“, fügte sie mit einem Seitenblick auf Jonouchi hinzu. Immer schön höflich bleiben, mahnte Setos inneres Stimmchen. Du bist die zwei gleich los. „Was ich gern noch wüsste, Jonouchi“, sagte er, „woher wusstest du von der Verabredung?“ „Na, das wissen wir doch alle. Yugi und ich sind immerhin gut mit deinem kleinen Bruder befreundet. Grüß ihn von mir. Wüsste gern mal, wie er es geschafft hat, dich im Schach zu schlagen.“ „Weißt du überhaupt, wie man das schreibt?“ „Natürlich, aber ich bleibe trotzdem lieber bei Duel Monsters.“ Die Skepsis in Setos Gesicht machte Jonouchi wütend. „Ach, du glaubst wohl, ich könnte dich immer noch nicht schlagen. Wie wär’s mal wieder mit ’nem Duell?“ „Wozu, ich kenne deine drittklassigen Fähigkeiten doch nur Genüge.“ „Warte es ab. Wie ist es mit Samstag, um zwei Uhr?“ „Meinetwegen, eine Niederlage mehr oder weniger auf deinem Konto macht keinen Unterschied.“ Direkt am Haupteingang von KaibaLand stand Setos Limousine samt Chauffeur. Seto nickte Shizuka und Jonouchi zu und ließ sich in die weichen Polster sinken. Die Tür schloss sich hinter ihm und die verspiegelten Scheiben blendeten seine Umwelt aus. Ein Duell am Samstag. Wenigstens etwas in dieser Woche voller Dates, auf das er sich freuen konnte. Und eines wusste er genau: Auch wenn der Ausgang ihres Spiels feststand, mit Jonouchi würde er sich nicht auf eine Wette einlassen. Kapitel 2: Tag 2 - Videospiel des Schreckens - Tea_Kaiba -------------------------------------------------------- Endlich, endlich, endlich ist es fertig, mein Kapitel. War eine schwere Geburt. Wenn moonlily nicht gewesen wäre, läge diese Datei immer noch im Datengrab meiner Festplatte... Also gebührt ihr aller Dank dafür, mich immer mal wieder anzustupsen ("Wie weit bist du denn?"), Ideen für den Schluss zu geben und meine schrecklichen Fehler auszubessern ("Irritiert hob er der Blick."). Und ich dachte, ich wäre eigentlich recht gut darin, grammatikalisch und orthographisch korrekte Sätze aufzustellen! Iiiiek - ERROR - ERROR - ERROR. :D Hoffe, es gefällt euch, was ich fabriziert habe! ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Sie ließ sich grinsend auf ein quietschgrünes, seltsam aufgeplustert wirkendes Etwas von einem Sofa sinken und machte eine einladende Geste, die wohl heißen sollte, er solle sich setzen. „Fühl dich wie Zuhause.“ Wie Zuhause? Das würde schwierig werden. Es wäre Seto nicht einmal im Traum eingefallen, dieses luftkissenbootartige Ufo-Möbel auch nur auf einhundert Meter an sein Grundstück heran zu lassen. Es sei denn... Mokuba würde es sich unbedingt zu Weihnachten wünschen und versprechen, es so dezent in seinem Zimmer aufzustellen, dass Seto sich nie, niemals die Augen daran zu verätzen brauchte. Aber nicht einmal sein kleiner Bruder hatte einen so knalligen Geschmack. Skeptisch befühlte Seto kurz die für seinen Geschmack viel zu weiche Sitzfläche und ließ sich schließlich darauf nieder... oder eher darin, denn sofort hatte er das Gefühl, zwanzig Zentimeter tiefer zu sitzen. Nicht gerade gut fürs Selbstbewusstsein, dieser Zustand. „Ich dachte, wir probieren mal mein neues Projekt aus, es ist noch nicht so ganz ausgereift, aber vielleicht kannst du mir ja hinterher ein paar Tipps geben, was noch fehlt.“ Unter ihren blonden Pferdeschwänzen hervorgrinsend reichte Rebecca ihm etwas, das auf den ersten Blick wirkte wie ein Motorradhelm. Seto sah etwas genauer hin und musste feststellen, dass das, was er in der Hand hielt... tatsächlich ein Motorradhelm war. „Bist du nicht noch viel zu jung für einen Führerschein? Oder bastelst du nur an den Dingern herum und erwartest jetzt von mir, dass ich fahre? Wenn ja, muss ich dich leider enttäuschen, ich habe nicht vor, mich auf eine Höllenmaschine zu setzen, die sicher den TÜV noch nicht einmal von weitem gesehen hat.“ Sein Blind Date kicherte nervös. „Basteln? Nur virtuell. Ich dachte, du wüsstest das. In ein paar Jahren mache ich dir und der KC Konkurrenz, wirst schon sehen.“ Ein letztes Augenzwinkern und zwei geübte Bewegungen, die die Gummis aus ihren Haaren streiften, dann fiel die blonde Mähne über ihre Schultern und verschwand gleich darauf unter einem zweiten Helm. „Die Dinger habe ich von einem Bekannten bekommen, es war einfacher, sie umzubauen, als komplett neue Helme zu konstruieren. Aber sie funktionieren einwandfrei, probier es ruhig aus!“ Funktionieren? „Danke, ich verzichte. Ich habe eigentlich nicht vor, mir von dir eine Gehirnwäsche verpassen zu lassen oder was es auch immer ist, was du mit diesen Helmen bezweckst.“ Das Visier ihres Helms klappte nach oben und gab den Blick auf zwei vorwurfsvolle blaue Augen frei. Hatte er nicht immer gehört, sie wäre so ein Sonderling und würde kaum jemals mitziehen, wenn es darum ging, auszugehen oder sich sonst einer „normalen“ Beschäftigung für ein Mädchen ihres Alters zu widmen? Dafür beherrschte sie die Körpersprache dieser Altersgruppe erstaunlich gut, oder hatte sie sich dieses spöttisch-kokette Augenrollen selber beigebracht? Doch wohl hoffentlich nicht im Hinblick auf dieses Date. „Also wirklich Seto. Ich kann dich doch so nennen, wenn dein Bruder uns schon zu einem Date verdonnert hat? Jedenfalls, glaubst du wirklich, ich locke dich hier her, um dich einer Gehirnwäsche zu unterziehen? Da fällt mir doch weitaus Besseres ein.“ So langsam wurde Seto unbehaglich, vor allem, da Rebecca ihre Worte mit einem Kichern abrundete, das erschreckend vielsagend klang für eine Fünfzehnjährige. Eigentlich war er bisher immer davon ausgegangen, seine „Blind Dates“ wären genauso wenig an einem „richtigen“ Date interessiert wie er selbst. „Also gut, was hast du dann vor?“, fragte er rasch, in der Hoffnung, sie vielleicht auf andere Gedanken zu bringen. „Wir probieren mein neues Virtual Reality Game aus, du Genie. Wirklich, da hättest du auch ein bisschen schneller drauf kommen können. Deine Firma stellt doch dieses Zeug selber her. Klar, das Equipment sieht ein bisschen anders aus, aber Helme gehören doch auch dazu.“ Überrascht ruckten seine Augenbrauen nach oben. Damit hatte er zugegebenermaßen nicht gerechnet. Gut, sie hatte sich als Hackerin einen Ruf gemacht, aber Spiele programmieren und dann auch noch die dazugehörigen Bedienelemente selbst konstruieren? Das war eine ganz andere Liga. Er musste feststellen, dass er neugierig wurde. Sie wäre froh gewesen, endlich ihr Visier wieder herunterklappen zu können, um diesem Blick nicht mehr ausgesetzt zu sein. Klar, dass das nicht seine Absicht war, aber es machte Rebecca dennoch nervös, Kaibas – nein, Setos! Er hatte ihr schließlich nicht widersprochen! – durchdringende blaue Augen auf sich zu spüren. Sie spürte ihren eigenen Herzschlag sogar in den Fingerspitzen. „Also gut, ich erkläre dir, wie es funktioniert. Aber bild dir bloß nicht ein, du kannst meine Technik einfach so kopieren.“ Das klang selbstbewusster, als sie war, denn ganz abgesehen davon, dass seine Anwesenheit als Person sie kribbelig machte ohne Ende, war die Gefahr, der CEO der Kaiba Corporation könnte einige ihrer Tricks durchschauen und ganz ohne entsprechenden Vertrag auf seine eigenen Produkte übertragen, auch nicht zu unterschätzen. Sie nahm ihren Helm wieder ab und nahm flüchtig zur Kenntnis, dass ihre Finger leicht feuchte Spuren auf dem glatten Lack hinterließen. Verdammt pubertäre Reaktion! Wie sollte sie denn so irgendjemand ernstnehmen? „Hier, die Polsterungen zum Beispiel habe ich ausgetauscht. In dem neuen Schaum sind entsprechende Sensoren eingebaut, die Impulse aus deiner Kopfhaut, deinen Augenbewegungen und so weiter auffangen und in Bewegungen im Spiel umsetzen, das erspart uns das lästige Rumfuhrwerken mit Handschuhen oder sogar irgendwelchen klobigen Ganzkörperkabinen. Nun kuck nicht gleich so! Keine Sorge, Gedanken lesen kann damit keiner.“ Aber das war es gar nicht, was Seto gedacht hatte. Eher war der Ruck, der ihn kurz durchfahren hatte, die widerwillige Erkenntnis gewesen, dass er diesem halbwüchsigen Gör Respekt zollen musste. An einer solchen Technik arbeiteten seine Techniker seit Jahren, aber bisher hatten sie es nicht geschafft, etwas Marktfertiges zu präsentieren. Und diese blonde Kichererbse bastelte mal eben so aus zwei Motorradhelmen eine komplette Ausrüstung? Er konnte nur hoffen, dass sie sich niemals mit seiner Konkurrenz einlassen würde. Nun, abwarten. Noch hatte er nicht gesehen, wie gut das Ganze funktionierte. „Klingt interessant. Wie sieht es mit visuellen Effekten aus? Werden die auch per Impuls übetragen oder hast du einen Bildschirm eingebaut?“ Sein Gegenüber nickte. „Die sind hier“, antwortete sie und tippte mit einem tief orangerot lackierten Fingernagel vorsichtig von außen auf das Visier. Bei näherem Hinsehen stellte Seto fest, dass tatsächlich das gesamte Visier von innen mit einer Art Bildschirm überzogen war. „Allerdings wollte ich heute ein Experiment wagen. Ich habe tatsächlich eine Möglichkeit gefunden, über Impulse das Spielgeschehen direkt ins Gehirn zu übertragen, aber bisher habe ich das nur ein einfachen Simulationen ausprobiert, nie mit meinem Spiel zusammen. Wenn es allerdings funktioniert, sollte das das Spielgeschehen um einiges realistischer machen. Geht das in Ordnung?“ Seto überlegte kurz. Warum nicht? Er konnte der Erste sein, der diese Technologie ausprobierte, außerdem konnte es durchaus sein, dass er ein paar Kniffe für seine Firma übernehmen konnte. Gefährlich würde es schon nicht sein, sie behauptete ja, es schon getestet zu haben. „Von mir aus. Wie starte ich das Teil?“ Unschlüssig drehte er den Helm in seiner Hand, aber Rebecca wehrte ab. „Alles schon passiert. Du musst es nur noch überziehen.“ Choose your style. Seto blinzelte, um genauer sehen zu können, und die Schrift verschwand vor seinen Augen. Stattdessen stellte er verblüfft fest, dass die Gestalt, die sich auf dem Bildschirm vor seinen Augen drehte, ein genaues Ebenbild seiner selbst war, eine Tatsache, die ihn für den Moment davon ablenkte, dass ganz offenbar die versprochene Simulation entweder doch nicht funktionierte oder noch nicht aktiviert war, denn was er vor sich hatte, war nichts weiter als ein gewöhnlicher Bildschirm, wenn auch ein überraschend fortschrittlicher. „Ich habe mir erlaubt, dich am Eingang mit meinen Kameras zu registrieren, damit dein Charakter realistischer wirkt“, klang ihm Rebeccas Stimme in den Ohren, und es dauerte eine Sekunde, bis er merkte, dass er sie nicht gedämpft durch den Helm hörte, sondern glockenklar aus einem Lautsprecher. Offenbar hatte sie auch an Mikrophone gedacht. Und das war nicht alles, dieses Bild war eindeutig mehr, als man mit einer normalen Kamera erfassen konnte, schließlich war es dreidimensional und äußerst detailliert. Vermutlich hatte sie mit Wärmekameras und wer weiß welchen Schnickschnäckchen sonst noch gearbeitet. „Ich hoffe für dich, dass du dir nicht noch mehr ‚erlaubt’ hast, ansonsten müsste ich mir wirklich überlegen, meine Anwälte auf dich loszulassen!“, gab er kalt, aber nicht ganz so schneidend wie beabsichtigt zurück und merkte im selben Moment, dass er zu laut gesprochen hatte, offenbar waren diese Mikrophone höchst sensibel. Verflucht. Wie er es hasste, sich auf unbekanntem Terrain zu bewegen und dabei von jemandem beobachtet zu werden, der sich besser auskannte. „Bist du fertig?“, erkundigte sich Rebecca, seinen unhöflichen Kommentar einfach übergehend. Fertig? Oh, richtig. Wie war das noch gleich gewesen? Choose your style. Erst jetzt fiel ihm auf, dass sein virtuelles Ebenbild ihm zwar körperlich bis aufs Haar glich, aber äußerst seltsame Kleidung trug. Farmer, verkündete die Schrift unterhalb der sich immer noch langsam drehenden Gestalt überflüssigerweise, denn die braune, ausgefranste Hose und das beigefarbene Hemd passten genau ins Schema eines auf Mittelalter getrimmten Videospiels. Nein danke, er hatte kein Interesse daran, sich durch seine Aufmachung zum absoluten Unterschichtler machen zu lassen. Schlimm genug, dass er vermutlich auf Rebeccas Führung angewiesen war. „Einen Moment noch.“ Versuchsweise fixierte er den Pfeil neben seinem Charakter und stellte fest, dass das Programm reagierte. Das nächste Outfit erschien auf dem Bildschirm. Magician. Blacksmith. Witch. Offenbar wirklich eines von diesen unsäglichen Mittelalterspielen. Aber Moment mal. Hexe? Da hatte sich wohl ein Set aus der weiblichen Version eingeschlichen. Schaudernd stellte Seto fest, dass sein virtuelles Ebenbild tatsächlich in einen seltsamen Rock gekleidet war und einen Besen in der Hand hielt. Schnell weiter. Joker. Genauso schlimm, als Hofnarr konnte sich vielleicht Wheeler verkleiden, aber er doch nicht. King. Outlaw. Bishop. Prince. Knight. Na gut, besser würde es wohl nicht werden. Seto erwägte kurz, sich als Prinz auszugeben, aber der Gedanke, mit einem affigen Goldreifen auf dem Kopf durch die Gegend zu laufen, widerstrebte ihm. Also der Ritter. Nicht gerade die Rolle, die er sich ansonsten zugedacht hätte, aber Seto musste sich im Stillen eingestehen, dass seine Gestalt in enganliegendem, silbrigem Rüstungshemd und mit einem Schwert an der Seite äußerst imposant wirkte. Zufrieden aktivierte er die Schaltfläche am unteren Rand des Bildschirms. Finished. „Na endlich. Du bist ja eitler als eine Frau.“ Er konnte das Grinsen in Rebeccas Stimme geradezu hören. „Dann aktiviere ich jetzt die Video-Sensoren. Schließ die Augen, sonst kriegst du nichts davon mit.“ Kurzzeitig wurde es schwarz um Seto, dann überkam ihn ein leichtes Schwindelgefühl, als die neue Sichtweise um ihn herum aufflackerte. Der erste Eindruck, der sich ihm bot, war äußerst... eintönig, im wahrsten Sinne des Wortes. Grünes Gras, grüne Bäume, sogar der Weg, auf dem er offenbar stand, war irgendwie moosig-grün überwachsen. „Hast du ein Problem mit der Graphik oder hat deine Phantasie nicht für mehr Farben gereicht?“ Wo war sie überhaupt? Suchend sah sich Seto um, den Blick instinktiv auf Rebeccas Augenhöhe ausgerichtet... und blickte direkt in einen verdächtig prall gefüllten Ausschnitt. Irritiert hob er den Blick. Sie grinste nur. „Gefällts dir? Mein Avatar. Ist ein bisschen unpraktisch, als Sechzehnjährige eine Bande von Gesetzlosen anzuführen, die nehmen einen nicht so ernst, weißt du. Um auf deine Frage zurückzukommen, wäre es dir lieber, ich hätte pinkfarbige Bäume aufgestellt?“ Seto antwortete nicht, die Antwort auf diese Frage erübrigte sich wohl ohnehin, und das konnte ihm gerade recht sein, denn sehr zu seinem Widerwillen stellte er fest, dass er sein Gleichgewicht erst wieder finden musste nach der Überraschung, statt einem halb ausgereiften Teenager auf einmal einer erwachsenen Frau gegenüber zu stehen. Nicht, dass das irgendetwas an der Art änderte, wie er sie ansah. Vermutlich war sie hübsch, aber in solchen Kategorien dachte Seto nur äußerst selten, wenn es um Frauen ging, schon gar nicht, wenn selbige ihm von seinem kleinen Bruder aufgezwungen wurden. Mit einem Kick beförderte Rebecca eine flauschige, übergroße Raupe ins Gebüsch, die sich um ihre Beine geschlängelt hatte. „Lästige Viecher“, grummelte sie, während das Tier sich unter erstaunlich beleidigt klingendem Pfeifen ins Unterholz zurückzog. „Plüschspanner. Hätte ich nicht erfinden sollen, inzwischen bevölkern sie die ganze digitale Welt hier. Allerdings ist es im Menü am Schlimmsten.“ Na toll. Plüschspanner? Was kam als nächstes, sprechende Teddybären? Ach nein, die Phase hatte sie ja angeblich hinter sich. „Und nun? Stehen wir hier weiter rum und beschäftigen uns damit, pfeifende Raupen in der Gegend herumzukicken, oder bietet dein Spiel noch andere Möglichkeiten, einen Nachmittag rumzubringen?“ Vorzugsweise eine, die mehrere Kannen Kaffee und einen Laptop beinhaltete, aber das brauchte er in diesem Mittelalterverschnitt von einer Welt wohl gar nicht zu hoffen. Ein verächtliches Nasekräuseln unter blinkenden Brillengläsern war die einzige Antwort, die er bekam, jedenfalls zunächst. Im nächsten Augenblick drehte sich Rebecca um und ging zielstrebig auf einen Baum zu, der sich direkt in der Mitte einer Weggabelung befand. Seto hatte ihn bisher nicht einmal bemerkt. Kaum war Rebecca auf den Grünstreifen vor dem Gehölz getreten, als sich der Baum auch schon merkwürdig auszustülpen begann – Sekunden später befand sich in bequemer Lesehöhe ein Aststumpf, dessen Vorderseite aus einem einzigen, runden Bildschirm bestand. „Wenn du allein hergekommen wärst, hätte dich ein Spielkommentar auf den Menübaum hingewiesen“, erklärte Rebecca lässig, während Seto neben sie trat und nicht umhin konnte, die tadellose Graphik zu bewundern. Obwohl sowohl Baum als auch Display absolut lebensecht wirkten, waren sie so miteinander verschmolzen, als sei das Ganze kein Zusammenschnitt von eigentlich unvereinbaren Gegenständen, sondern vielmehr eine Lebensform, die er einfach nie zu vor gesehen hatte. „Aber nachdem ich dabei bin, habe ich die Hilfestellungen von vornherein ausgeschaltet, die brauchen wir ja jetzt nicht. Also, wo willst du hin?“ Auf dem Bildschirm war eine Landkarte erschienen, auf der verschiedene Fenster eine Vergrößerung der jeweils an diesem Ort zu findenden Landschaft zeigten. Während Seto noch damit beschäftigt war, die diversen Namen und Erklärungen zu lesen und zu entscheiden, welche dieser Möglichkeiten sein Nervenkostüm am wenigsten beanspruchen würde, brach ein Stück weit den Weg hinab ein runder, kleiner Mann aus dem Gebüsch, dessen Aufmachung der von Rebecca auffallend ähnelte, und stolperte keuchend auf sie beide zu. „Rebecca! Zum Glück, da bist du ja! Saltimbocca ist verschwunden!“ Kaum hatte der seltsame Bote ausgesprochen, schon brach um Seto herum die Hölle los. Rebecca brauchte keine zwei Sekunden, um ihre übliche, spielerisch-spöttisch-süßliche Art abzulegen und eine perfekte Befehlshaltung einzunehmen. Seto hatte ja keine Ahnung, wer oder was dieses Saltimbocca sein sollte – er ging einfach davon aus, dass es NICHT das war, wonach es klang, nicht einmal in einem Videospiel würde sich irgendjemand so über das Verschwinden seines Abendessens aufregen –, aber so entsetzt, wie der Kugelzwerg geklungen hatte, hätte er doch erwartet, dass auch Rebecca eine gewisse Bestürzung zeigen würde. Weit gefehlt. „Habt ihr Spuren?“, fragte sie knapp, und ohne eine Pause einzulegen, um dem Kopfschütteln ihres Gegenübers noch eine Erklärung folgen zu lassen, feuerte sie auch schon die nächste Frage hinterher: „Wo stecken die Anderen?“ Statt einer Antwort brachen überall um sie her aus dem Unterholz weitere Gestalten in grünen Kitteln hervor. Sie schienen allesamt erwachsen zu sein, in der Mehrzahl Männer, aber, obwohl kräftig, äußerst kleinwüchsig. Also hatte sie offenbar nicht nur sich selbst erwachen gemacht, sondern obendrein auch noch die Menschen dieser Welt so gestaltet, dass keiner von ihnen sie überragen würde. Was für eine kleine Diktatorin. Schlimmer als Mokuba. Der fiel wenigstens nur seinem Bruder mit seinem Wunsch auf die Nerven, sich die Wirklickeit nach seinen Wünschen zurecht zu biegen. Während er das dachte, bekam Seto am Rande mit, dass Rebecca mit grimmiger Miene ihrer seltsamen Bande von Anhängern Befehle gab, die offenbar darauf abzielten, sie in verschiedene Richtungen auf die Suche zu schicken, Wachen für „das Lager“ aufzustellen und andere Aufgaben zu erfüllen, die genauso gut einem Robin-Hood-Roman entsprungen sein könnten. Vielleicht zu viel gelesen? „So, das hätten wir. Man muss ihnen das Gefühl geben, gebraucht zu werden, das hält sie ruhig, weißt du.“ Rebecca wandte sich wieder ihm zu, jetzt ein strahlendes Lächeln auf dem Gesicht. „Hier entlang, bitte.“ Zielstrebig steuerte sie eine der Weggabelungen an und merkte erst nach mehreren Metern, dass ihr Seto nicht folgte. Mit über der Brust verschränkten Armen stand er wie angewurzelt an seinem ursprünglichen Platz und warf seinem Blind Date einen Blick zu, der irgendwo im Niemandsland zwischen Trotz und Verachtung angesiedelt war. „Wie wäre es mit einer kleinen Erklärung? Ich habe nämlich eigentlich überhaupt keine Lust, in diesem seltsamen Kostüm durch einen Wald zu stapfen, der wahrscheinlich nicht nur voll von seltsamem Phantasiegetier ist, sondern obendrein auch noch Zecken und sonstige Pestviecher beherbergt. Nenn mir einen vernünftigen Grund, warum ich mir das antun sollte.“ Befriedigt stellte er fest, dass Rebeccas Gute-Laune-Grinsen in sich zusammenfiel. Sollte sie doch ruhig auch zu spüren bekommen, dass dieses „Date“ keine Spaßveranstaltung für ihn war, und ganz bestimmt nicht freiwillig zustande gekommen war. „Naja, wo wir sowieso schon mal hier sind... ich dachte einfach, es schadet doch nichts, das Spiel mal ein bisschen auszuprobieren. Und zu zweit ist es sicher lustiger als allein, diese Computerfiguren sind immerhin ziemlich vorhersehbar, wenn man sie selbst programmiert hat.“ Lustig gehörte eindeutig nicht zu den Adjektiven, mit denen Seto einen Nachmittag beschreiben würde, den er als gelungen bezeichnen konnte. Gut für Rebecca, dass sie wenigstens das schnell zu kapieren schien und ihn nicht dazu zwang, seine eigene Laune mit langatmigen Antworten weiter in den Keller zu treiben. „Also gut, ich seh schon, du hast keine Lust auf sowas. Aber was willst du dann machen? Mokuba hat mir gesagt, ihr habt eine Wette am Laufen, und dass du die sicherlich nicht sausen lassen wirst, du hättest gute Gründe dafür. Willst du also den ganzen Nachmittag in meinem Wohnzimmer sitzen und mich anschweigen?“ An dem Argument war leider nur allzu viel Wahres. „Schön.“ Seto ließ sich auf einen Baumstamm am Wegesrand fallen. „Schön, suchen wir dieses... Saltimbocca. Aber erst, wenn du mir erklärt hast, wer oder was das sein soll.“ Er konnte der vollbusigen Blondine, in die sich Rebecca verwandelt hatte (das Gesicht war immer noch das Alte, was sie bei näherem Hinsehen zu einer leicht verwirrenden Erscheinung machte), nur allzu deutlich ansehen, dass sie diese Verzögerung nur unwillig annahm, aber das war ihr Problem. Sie pustete sich eine Haarsträne aus dem Gesicht und setzte sich ebenfalls, wenn auch nicht, ohne weiter ungeduldig mit dem Fuß zu wippen. „Saltimbocca ist... sowas wie das Maskottchen unserer Truppe. Eine der Plüschspinner-Raupen, wie du sie vorhin gesehen hast.“ „Du hast eine Raupe nach einem italienschen Kalbsfleischgericht benannt?“ Vielleicht sollte er sein Urteil, das ihr überraschend weit entwickelte geistige Fähigkeiten für ihr Alter bescheinigte, noch mal überdenken. „Naja... ich fand, es ist ein hübsches Wort. Spontaner Einfall. Das ist alles. Wie auch immer... sie ist sicher entführt worden, ich hab einen Gegenspieler ins Programm eingebaut, der jetzt bald in Erscheinung treten dürfte.“ Na toll. Gestern hatte er sich durch seinen eigenen Vergnügungspark schleifen lassen, inklusive einer Fahrt durch den Liebestunnel, die er lieber aus seinem Gedächtnis streichen würde, und heute würde er sich mit einer Sechzehnjährigen durch den Urwald schlagen, um einem vorprogrammierten mittelalterlichen Bösewicht eine pelzige Riesenraupe abzujagen? Ich bezweifle, dass es das war, was Mokuba im Kopf hatte, als er von Dates sprach. „Gut, wenn das alles war, das du wissen wolltest, können wir ja jetzt gehen“, meinte Rebecca gelassen, die sein Schweigen wohl für Zustimmung zu halten schien. Zwecklos. Wenn er sich weigerte, würde er wohl den Rest des Tages damit verbringen, auf diesem modrigen Baumstamm zu sitzen. Wobei der Rest des Tages nicht mehr so lang zu sein scheint. Der Wald um ihn her färbte sich bereits verdächtig grau, entweder, die Tageszeiten verliefen hier anders als in der Realität draußen, oder die Zeit war schneller vergangen, als es ihm vorgekommen war. Seto befürchtete Ersteres. Und er war zwar nicht gerade jemand, der sich im Dunklen fürchtete, aber er war auch nicht unbedingt erpicht darauf, sich nachts in einer unbekannten grünen Hölle voller seltsamer Ausgeburten der Phantasie einer Sechzehnjährigen wiederzufinden. Wer wusste schon, was ihr außer knuffigen Maskottchen noch so alles eingefallen war. Da war es ihm doch lieber, mit jemandem unterwegs zu sein, der die Eigenheiten dieser Welt kannte, auch wenn es ihm widerstrebte, sich quasi in den Schutz einer Frau begeben zu müssen, noch dazu einer, die nicht viel älter war als sein kleiner Bruder. „Dann mal los.“ Im Grunde war es genau so, wie er es befürchtet hatte. Nicht nur der Teil von Rebeccas Welt, in der sie sich zu Anfang befunden hatten, der gesamte Planet, falls dieses Spiel in solchen Kategorien funktionierte, war anscheinend hoffnungslos unterentwickelt. Ab und zu blitzte es seltsam auf und ihre Umgebung schien für eine Sekunde zu verschwinden, sodass Rebecca und Seto in einem nichtssagenden weiß-grauen Raum schwebten, aber das war das Einzige, was darauf hinwies, dass sie sich nicht in einer Wirklichkeit befanden, die ganz genauso mühsam war, wie sie schien. „Die Grenzen zu den benachbarten Leveln“, erklärte Rebecca mit einem Seitenblick, als die seltsame Unregelmäßigkeit sie das erste Mal heimsuchte. „Normalerweise sollte es möglich sein, an jeden dieser Orte per Menübaum zu springen, aber ich habe die einzelnen Teile der Welt noch nicht genügend vernetzt, um das schon überall gewährleisten zu können. Also müssen wir laufen.“ Seto biss die Zähne zusammen und ließ seine unterdrückte Wut an einem Moskito aus, der so dumm gewesen war, sich auf seinem Arm niederzulassen. Vermutlich würde Mokuba es nicht allzu gut aufnehmen, wenn er einem seiner Dates gegenüber handgreiflich wurde, selbst wenn das nur virtuell geschah. Erschreckend, wie befriedigend so ein kleiner Blutfleck auf dem Ärmel sein konnte. “Wie nennst du dieses vorsintflutliche Fegefeuer von einer Welt überhaupt? Greentopia?“ “Sie hat noch keinen Namen. Aber das ist gar keine schlechte Idee, weißt du.“ Das Mädchen sollte dringendst seine Sarkasmus-Sensoren neu justieren lassen. Zuerst war er sich nicht sicher, ob seine Augen vielleicht verrückt spielten – es war bestimmt ungesund, so lange nichts als grün zu sehen –, als sich vor ihnen im Gehölz eine Lücke auftat, durch die tatsächlich ein paar andere Spektren der Farbpalette sichtbar wurden: ein Stück Himmel in einem Blauton, den man nur als mitternachtsblau bezeichnen konnte, der aber dennoch immer noch eingefasst wurde von einem fast obszön knalligen Streifen himbeerrosa, das alles gesprenkelt mit ein paar Flecken dunkelstem, schmutzigstem Kompost-Braun, die offenbar Häuser darstellen sollten. Je näher sie dem Waldrand jedoch kamen, desto klarer wurde, dass Seto sich nicht getäuscht hatte, und bald kam er neben Rebecca unter den Zweigen der letzten Bäume zum Stehen. Sie sah geradezu aufreizend entspannt aus, so als hätte sie gerade nur einen kleinen Spaziergang gemacht, während Seto deutlich merkte, wie ihm unter der Rüstung der Schweiß an der Haut hinabrann, und ein unangenehmes Drücken spürte, wo sein Schwertgürtel auf der Hüfte lag. Wenigstens sein Atem ging noch gleichmäßig, schließlich war er alles andere als erpicht darauf, zu zeigen, wie ihn dieser Marsch mitgenommen hatte. Sie hat an die realistischen kleinen Details gedacht, das lässt sich nicht leugnen. „Ich denke, wir müssen da hoch“, verkündete Rebecca gelassen und zog einen Stoffstreifen aus ihrer Tasche, mit dem sie sich das wild um ihr Gesicht hängende Haar zurückband. Ein Nicken ihrerseits ließ Seto ein Stückchen nach links schauen, wo sich eine Art Trampelpfad einen Hügel hinaufschlängelte, der gekrönt wurde von einem Gebäude, das ganz und gar nicht in diese Welt zu passen schien. „Eine Sternwarte? Was zum Henker bringt dich auf die Idee, wir könnten dort dein Schoßvieh finden, sagtest du nicht, es wäre entführt worden?“ Offensichtlich dachte Rebecca einen Augenblick lang darüber nach, ihm für diese Bezeichnung ihres überdimensionalen Kriechtiers einmal kräftig die Meinung zu sagen, entschied dann aber – richtigerweise – dass das nichts bringen würde. „Nun ja, ich dachte einfach, ein Schloss oder eine Höhle wären ein bisschen langweilig, oder? Das ist doch genau das, was man von dem Bösewicht eines Mittelalterspiels erwartet. Also hab ich das hier erfunden: Das Observatorium von Othello dem Obskuren.“ Alliterationen. Knirschend biss Seto die Zähne aufeinander. Nicht aufregen. Es kann schließlich nicht mehr lange dauern, bis dieses wahrgewordene Klischee der Verangenheit angehört. Wir müssen doch inzwischen schon bestimmt zwei Stunden hier sein. „Also gut, dann bringen wir´s hinter uns.“ In Gedanken setzte er hinzu: Je schneller, desto besser. Sie stapften den Trampelpfad nach oben, allerdings schien der kurze Anstieg nach dem Marsch zuvor geradezu lächerlich wenig anstrengend. Es dauerte nicht lange und Seto fand sich mit seiner ungewohnten Begleitung vor dem Eingangsportal der Sternwarte wieder. Er fand es nach wie vor irritierend, mit einer Sechzehnjährigen unterwegs zu sein, die so abrupt um gut zehn Jahre gealtert war, aber vermutlich, ging ihm auf einmal auf, war das gar nicht so schlecht. Obwohl sie ja niemals übergewichtig gewesen war, wirkte Rebecca in ihrem digitalen Körper doch wesentlich sportlicher als im realen Leben – und das konnte schließlich nicht schlecht sein, wenn es hier zu einem Kampf kommen sollte. Nicht, dass er sich in wirklicher Gefahr wähnte, aber so, wie er Rebeccas Simulation bisher kennen gelernt hatte, würde er es durchaus vorziehen, diese Geschichte schnell über die Bühne zu bringen, um sich schmerzhafte Kampfsituationen zu ersparen. “Das hier solltest du lieber bereithalten“, meinte Rebecca mit Blick auf das protzige Schwert, das nach wie vor an Setos Seite hing. Insgeheim bezweifelte er, dass diese Strategie irgendwelche Wirkung zeigen würde, denn obwohl er zu Zeiten des verstorbenen Gozaburo Kaiba einige Fechtstunden gehabt hatte, mit dieser sehr viel schwereren Waffe würde er wohl kaum umgehen können. Allerdings beabsichtigte er nicht, Rebecca dieses Defizit unter die Nase zu reiben, zog also wortlos das Schwert aus der Scheide und hielt es in einer Position, die für ihn halbwegs kampfbereit wirkte, und betrat hinter Rebecca das Gebäude, nachdem sie die Tür aufgestoßen hatte. Drinnen war es still wie in einer Kirche, schwer zu glauben, dass dies der Ort einer Entführung sein sollte. Staubiges Mondlicht fiel durch viele kleine, bunte Scheiben knapp drei Meter über dem Boden, und in so großer Höhe, dass sie nicht größer wirkte als ein Handteller, wölbte sich eine gläserne Kuppel über ihnen. Ansonsten gab es hier keine Fenster, was dem Innenraum des Observatoriums eine äußerst düstere Atmosphäre gab. Von der Mitte des Raumes aus schlängelte sich eine enge Wendeltreppe aus kunstvoll geformten Metallstäben kuppelwärts, und als Seto den Kopf in den Nacken legte, entdeckte er, dass es etwa auf halber Höhe des Raumes noch einmal eine Art Stockwerk gab, oder besser, eine breite Galerie aus Stein, die einmal im Kreis herumführte. Rebecca bewegte sich auf die Treppe zu, offenbar mit dem Ziel, sie hinaufzusteigen. War sie wirklich so naiv, einem potentiellen Feind auf diesem schmalen Grat entgegenzulaufen? WUSCH! Seto zuckte jäh zusammen und vergaß für einen Moment all seine Überlegungen, wie sich dieser Raum taktisch günstig oder ungünstig ausnutzen ließe, als zwischen ihm und Rebecca eine hochaufgerichtete Gestalt so geschmeidig landete, als sei sie eine Katze, die gerade vom Tisch gesprungen war. Alles, was diesen Eindruck störte, war die Tatsache, dass der Tisch – die Galerie – sich in etwa fünfundzwanzig Metern Höhe befand und das Wesen, das da soeben gelandet war, einer Katze nicht im Mindesten glich. Sie war ganz eindeutig menschlich, wirkte aber seltsam unausgereift, steif in ihren Bewegungen und unnatürlich im Körperbau, auch wenn dieser von einem weiten Umhang und einer Kaputze weitgehend verborgen wurde. Endlich. Ich dachte schon, ihr elenden Feiglinge würdet überhaupt nicht mehr hier auftauchen. Verwirrt blinzelte Seto, als die Worte giftgrün in seinem Sichtfeld aufflammten, und die Schrift verschwand. Im selben Augenblick wurde ihm klar, dass er offenbar für einen Augenblick vergessen hatte, dass er sich in einem Spiel befand, und diese Situation tatsächlich für real gehalten hatte. „Mist! Ich hatte ganz vergessen, dass das hier alles noch so unausgereift ist... Anscheinend habe ich noch keine Sprachfunktion für ihn angelegt!“, hörte er Rebecca zu ihm hinüberrufen. „Na, das sollte uns die Arbeit erleichtern...“ Stellt euch meiner Übermacht und kämpft, wenn ihr nicht als wimmernde Würmer sterben wollt! „Die Stimme ist eindeutig nicht das Einzige, woran du bei diesem Typen gespart hast“, gab Seto verächtlich zurück. „Als ob es nicht reichen würde, dass er sich ausdrückt wie der reinste Stereotypen-Bösewicht, er merkt ja noch nicht mal, wenn man von ihm spri- WOHA!“ Völlig ohne Vorwarnung peitschte ihm aus der ausgestreckten Fingerspitze des Magiers ein grün-pink flammender Strahl entgegen, dem Seto nur um Haaresbreite entkam, weil er sich instinktiv duckte und die Klinge über den Kopf riss, sodass der Zauber an seinem Schwert abprallte und stattdessen in Rebeccas Richtung davonsauste. Die allerdings hatte die Sekunden, in denen ihr Gegner abgelenkt gewesen war, bereits genutzt, und war mit geübten Sprüngen die Wendeltreppe nach oben geeilt. Beinahe jedoch wäre sie rückwärts wieder hinabgefallen, als kurz darauf das Gestänge von einer geballten Ladung Magie getroffen und aus seinen unteren Halterungen gerissen wurde. Im Stillen musste sich Seto wundern, dass sie es nicht nur geschafft hatte, sich weiter festzuhalten, sondern außerdem kaum eine Sekunde brauchte, um sich wieder zu erholen und weiterzulaufen, jetzt auf gefährlich schwankendem Untergrund. „Saltimbocca! Bist du da oben? Warte, ich komm dich holen.“ Offensichtlich dachte sie überhaupt nicht mehr daran, dass sie ihrem selbstkreierten Antagonisten als Zielscheibe dienen könnte. Dieser stieß sich jetzt vom Boden ab und katapultierte sich so aus dem Stand wesentlich schneller zurück auf die Galerie, als irgendjemand hoffen konnte, dasselbe Ergebnis durch Treppensteigen zu erzielen. Na Klasse. Schon wieder rennen. Seufzend ließ Seto das Schwert sinken, das sich in seinen Händen inzwischen unangenehm heiß anfühlte, und kletterte Rebecca widerstrebend nach. Sehr zu seiner Überraschung wurde keiner von ihnen angegriffen, während sie sich auf der instabilen Konstruktion, die einmal eine Treppe gewesen war, nach oben vorarbeiteten, und als er oben ankam, standen sowohl Rebecca als auch Othello nur abwartend da. Erst als Seto die Galerie betrat, auf der seltsamer, glitzernder Staub seine Schritte dämpfte, kam schlagartig wieder Leben in die Szene. Wie ich sehe, habt ihr es geschafft, meinen geheimen Unterschlupf zu infiltrieren, ihr Bastarde. Aha. Ganz offenbar die unvermeidliche Sequenz „Bösewicht unterhält seine Feinde mit seitenlangen Monologen“. Laut schnaubte Seto: „Geheim? Dieses Ding hier könnte nicht einmal eine Neunzigjährige ohne Sehhilfe aus zehn Kilometern Entfernung übersehen!“ Leider war seine bildhafte Ausdrucksweise an den wenig komplex generierten Magier völlig verschwendet, er drehte nicht einmal den Kopf, um Seto wirklich anzusehen, sondern starrte weiterhin auf den leeren Platz zwischen ihm und Rebecca, weil er sich offenbar nicht entscheiden konnte, welchen seiner Gegenspieler er ansehen sollte. Stattdessen hob der Zauberer jetzt die Hände und streifte die Kaputze zurück. Obwohl er sich für abgehärtet gehalten hatte, zuckte Seto beim Anblick des rohen Fleischklumpens, der darunter zum Vorschein kam, unwillkürlich zusammen, bevor ihm klar wurde, dass er es nicht mit einer schrecklichen genetischen Deformation zu tun hatte, sondern mit einem leeren menschlichen Schädel, überzogen mit farbloser Haut, aber weder mit Haaren noch sonst einem Organ ausgestattet, einfach, weil er noch nicht zu Ende programmiert war. Das erklärt zumindest, warum er nicht sprechen kann. Macht euch bereit, eurem Ende entgegenzugehen!“ Ein weiterer Lichtstrahl schoss aus einem seiner Finger hervor, doch diesmal schien es Othello nicht auf einen von ihnen abgesehen zu haben, denn der Zauber zischte an ihnen vorbei, wirbelte einiges von dem herumliegenden Staub auf und schlängelte sich darum, woraufhin sich in Sekundenschnelle eine funkelnde, grauschwarze Mauer dort aufbaute, wo bisher der Durchgang zur Treppe gewesen war. Abrupt wandte sich der Magier ab und begann, die Fingerspitzen aneinandergelegt, die Galerie abzuschreiten. Seto vermutete, er hätte auch noch gemurmelt, wäre er dazu in der Lage gewesen. Das war es allerdings nicht, was seine Aufmerksamkeit jetzt auf sich lenkte. Mit durchdringendem Sirren schoss aus einer Mauerniesche ein türkisfarbiges, plüschiges Etwas hervor, über dessen fliegendem Körper silbrige Flügel glitzerten, drehte eine pfeilschnelle Runde durch den Raum und umkreiste dann Rebecca wie ein Hündchen, das sich über die Heimkehr seines Herrchens freut. Ein sehr buntes, fliegendes Hündchen, um genau zu sein. Zu allem Überfluss stupste die geflügelte Raupe – denn nichts anderes war das Tier bei näherem Hinsehen – der Blondine jetzt auch noch liebevoll ins Gesicht, als wollte sie sie mit einer nicht vorhandenen Zunge ablecken. „Schon gut, Saltimbocca, ich freu mich ja auch, dich zu sehen“, lachte Setos Blind Date, und schien für einen Moment ganz vergessen zu haben, dass sie sich noch immer in einer Kampfsituation befanden. Kaum hatte er dies allerdings missbilligend bemerkt, als auch aus Setos Gedächtnis diese Tatsache für den Augenblick verdränkt wurde. Das Tier hatte angefangen, zu sprechen! Zugegeben, seine Stimme klang immer noch sehr nach dem Pfeifen, das Seto Stunden zuvor bei seinem entfernten Verwandten gehört hatte, aber sie bildete eindeutig Worte. „Wurde auch Zeit, glaubst du, ich habe Lust, hier zu vermodern? Im übertragenen Sinn gesprochen, natürlich. He du, was kuckst du so blöd? Noch nie ein Videospiel mit ungewöhnlichen Geschöpfen gespielt? Nach allem, was Rebecca so über dich abspeichert, hätte ich dich wirklich für intelligenter gehalten.“ Seto war zu verdutzt über diese plötzliche Ansprache, um irgendetwas zu erwiedern. “Was sie über dich abspeichert?“ Was zum Teufel sollte denn das nun wieder bedeuten? Sammelte Rebecca etwa irgendwelche geheimen Daten über ihn? Es wäre ihr zuzutrauen, schließlich wäre das nicht das erste Mal, dass sie sich in sein System hackte. Verdammtes frühreifes Wunderkind. Allerdings erklärte das immer noch nicht, warum dieses Vieh davon wusste. Schließlich konnte es wohl kaum sein Spiel verlassen und anderswo in Rebeccas System zu einem Spaziergang aufbrechen. „Was ist, hat´s dir die Sprache verschlagen? Na so ein Unglück. Dabei wäre das doch hier beinah die Erfüllung all ihrer Träume.“ Jetzt schien es nicht mehr nur Seto die Worte genommen zu haben, sondern auch Rebecca. Allerdings wirkte sie nicht verblüfft, sondern vielmehr peinlich berührt, ja, sie schien sogar rot angelaufen zu sein. Hastig streckte sie die Hände nach ihrem Maskottchen aus und versuchte, es einzufangen, aber Saltimbocca wich ihr geschickt aus. Rebecca lief ihr nach... „Vorsicht!“ Doch Setos Ruf kam zu spät, in den paar Sekunden, die er gebraucht hatte, um Rebecca zu warnen, war der Fußboden unter ihr bereits zerbröckelt und sie stürzte in die schwarzen Tiefen hinab. Seto starrte noch immer auf den so plötzlich auf einem Streifen eingebrochenen Fußboden (offenbar war überall dort, wo Othello zuvor geschritten war, der Stein brüchig und spröde geworden), als von unten ein magenumdrehendes Hybridgeräusch aus dumpfem Knall und feuchtem Flatschen ertönte. Das war das Letzte, was Seto wahrnahm, bevor seine Sicht von unglaublich vielen giftgrünen Buchstaben versperrt wurde. Ahahahahahahahaa.... hihihihihi.................... Ahahahahahahahaa.... hihihihihi.................... Ahahahahahahahaa.... hihihihihi.................... Ahahahahahahahaa.... hihihihihi.................... Ahahahahahahahaa.... hihihihihi.................... Ahahahahahahahaa.... hihihihihi.................... Ahahahahahahahaa.... hihihihihi.................... Ahahahahahahahaa.... hihihihihi.................... Ahahahahahahahaa.... hihihihihi.................... Ahahahahahahahaa.... hihihihihi.................... Ahahahahahahahaa.... hihihihihi.................... Ahahahahahahahaa.... hihihihihi.................... „Ja, schon gut, ich hab´s verstanden, du ekelhafter Saftsack!“, fuhr Seto den Zauberer an, der nun wieder hinter ihm stand und offenbar das Gefühl genoss, einen seiner Gegner ausgeschaltet – Seto musste sich zwingen, nicht „ausradiert“ zu denken – zu haben. Noch immer kämpfte er gegen die Übelkeit an, die ihn bei Rebeccas Aufprall überfallen hatte. Was es wohl für eine Auswirkung hatte, wenn man in diesem Spiel starb? Sicherlich war sie körperlich noch unversehrt, aber angenehm konnte das nicht gewesen sein... und wie sollte er ohne Rebecca hier wieder rauskommen? Noch immer war die schlecht generierte Figur vor ihm damit beschäftigt, zu lachen, und Seto musste heftig blinzeln, um seine Sicht buchstabenfrei zu halten. Das Schwert in seiner Hand zitterte und schien zu glühen, aber Seto war nicht sicher, ob es sich selbstständig gemacht hatte oder er seine nächste Handlung einem weiteren Reflex zu verdanken hatte... Einen Moment später steckte es bis zum Heft im Körper von Othello dem Obskuren, der dankenswerterweise nicht anfing zu bluten, sondern nach einem Moment der ungläubigen Starre in viele, schimmernde Einzelteile zerstob und eine Sekunde darauf völlig verschwunden war. Als er wieder am Fuß der Treppe ankam, umschwirrte Saltimbocca den seltsam verrenkt daliegenden Körper ihrer Herrin, allerdings wirkte sie auf Seto nicht unbedingt aufgeregt, eher gelassen oder vielleicht sogar fast gelangweilt, obwohl er beim besten Willen nicht sagen konnte, woran er das bei einer Raupe festmachte. „Ist sie…?“ Seine Stimme klang seltsam belegt und er wagte nicht, die Frage zu Ende zu führen. So kannte er sich ja gar nicht! Aber schließlich sah er auch nicht jeden Tag alte Bekannte aus fünfundzwanzig Metern Höhe in den Tod stürzen… und dass sich ihm jetzt unwillkürlich die Frage aufdrängte, ob es wohl ähnlich geklungen hatte, als Gozaburo Kaiba sich mit einem Sprung aus dem Fenster seiner eigenen Firma das Leben genommen hatte, tat auch nichts dazu, seinen aufgewühlten Magen wieder zu beruhigen. „Ach was!“, pfiff ihn die knallig türkise Raupe halb genervt, halb fröhlich an und ließ sich auf seiner Schulter nieder. Es wäre Seto lieber gewesen, sie hätte das gelassen, aber er wusste auch nicht so recht, wie er das Geschöpf wieder abschütteln sollte, ohne ihm irgendwie Schaden zuzufügen. Im Moment jedenfalls, so kam es ihm vor, gab es schon genug Zerstörung in dieser Welt, da musste er nicht noch weiter dazu beitragen. „Aber sie wird sich natürlich freuen, zu hören, dass du dich um sie sorgst… überhaupt, bemerkenswerte Ähnlichkeit hat das alles hier mit dem Traum, mit dem sie mich vor ein paar Tagen zugetextet hat. Jetzt schau nicht so, sie wacht gleich wieder auf, ist ja nicht so, als wäre sie an die Welt hier gebunden.“ Nun, das war zumindest schon mal eine halbwegs gute Neuigkeit. Schließlich hatte er kein Interesse daran, hier noch länger festzustecken. Und irgendwie, sagte ihm das nagende Gefühl in seinem Hinterkopf, war es auch schwer, sich einzureden, dass das alles hier nur ein Videospiel war, wenn man einen so zerschmetterten Körper vor sich hatte. Mühsam riss er sich von Rebeccas Anblick los und versuchte, sich von dem flauen Gefühl in seiner Magengrube abzulenken. „Was heißt, sie hat dich mit einem Traum zugetextet? Ich dachte, sie käme hier her, um irgendwelche seltsamen Abenteuer mit ihrer Truppe zu bestehen… und du bist ihr Maskottchen?“ Dafür, dass es nur ein Pfeifen war, klang Saltimboccas Lachen erschreckend amüsiert. „Das hat sie dir erzählt, ja? Ach was, ich bin so was wie ihr virtuelles Tagebuch. Sie erzählt mir alles Mögliche, was sie sonst niemandem sagen will… Und meistens geht’s dabei um dich. Hier zum Beispiel, vorgestern.“ „Ach, Saltimbocca…“ Erstaunt wandte sich Seto zu Rebecca um, als er plötzlich ihre Stimme erklingen hörte, aber sie hatte sich noch immer nicht gerührt und wenn er es sich genau überlegte, klang das, was er da hörte, auch verdächtig mitgeschnitten, wie etwa auf einem Anrufbeantworter. Weiterhin bewegte die Raupe den Mund, so als wäre sie es, die die Worte formte. „Wenn ich nur wüsste, was er über mich denkt! Aber bestimmt macht er sich überhaupt keine Gedanken über mich… ist ja auch nicht so, als ob ich viel dafür tue, ihm aufzufallen. Ich träume nur ständig von ihm. Gestern Nacht habe ich geträumt, wir wären zusammen hierher gekommen, er war als Ritter verkleidet und hat mich vor Othello gerettet… und am Ende haben wir uns gek-“ „Saltimbocca, halt die Klappe!“ Diesmal klang die Stimme deutlich echter, wütender und heiserer, tatsächlich war sie außerdem so laut, dass Seto das Ende des Satzes nicht mehr mitbekam, aber er konnte sich ja ohnehin denken, wie er ausgegangen wäre. Er hatte das Gefühl, den Halt zu verlieren, als mit einem Mal die Umgebung verschwand und von einem Farbengemisch aus Rot, Schwarz und Grellweiß ersetzt wurde, das einige Sekunden andauerte, bevor er seinen ganzen Körper ein paar Zentimeter absacken spürte und sich auf einmal bewusst wurde, dass er einen Helm trug. Einen Motorradhelm, um genau zu sein, dafür hatten sich Rüstung und Schwert buchstäblich in Luft aufgelöst. „Ich denke, du gehst jetzt besser“, klang ihm eine sehr verlegene Stimme über die Kopfhörer seines Helms entgegen. Kapitel 3: Tag 3 - Karaoke des Entsetzens - Shizuka_chan -------------------------------------------------------- Autor: Shizuka_chan ‚Furchtbar, einfach nur furchtbar!’, dachte Kaiba, als er klingelte, eine stark geschminkte Blondine in knapper Kleidung öffnete und ein: „Hallo Seto – ich darf dich doch Seto nennen? Immerhin gehen wir zusammen aus. Schön, dass du da bist, ich habe mich schon riesig auf heute Abend gefreut. Das wird bestimmt super.“, zwitscherte - etwa in der Tonlage einer Opernsängerin. Der Tag hatte schon schlecht angefangen: Er hatte verschlafen, kam demzufolge zu spät zur Arbeit und hatte noch nicht einmal annähernd seinen Kaffeekonsum befriedigen können. … Und jetzt auch noch das! Ein Date mit Mai Valentine, das war wie als würde er zu einer Edelhostess gehen – wobei, damit würde er ihr fast schon wieder ein Kompliment machen. „Hallo.“, er warf ihr ein kurzes Nicken zu und schaute sie fragend an: „Können wir dann los?“ Je schneller sie fertig waren, desto besser, dann könnte er heute Abend noch die Arbeit nachholen, die er hätte machen müssen, während er verschlafen hatte. Außerdem würde ihr mit ihm bestimmt schnell langweilig werden, zumindest hoffte er in diesem Fall darauf. „Sicher.“, antwortete Mai und schloss die Tür hinter sich. „WOW! Ich hätte echt nicht gedacht, dass Mokuba das Ernst gemeint hat, als er gesagt hat, du würdest mich in einer Limousine abholen. Es hat sich wirklich gelohnt, auf sein Angebot einzugehen!“, rief sie begeistert, als sie das schwarze Auto sah. „Angebot? Welches Angebot?“, fragte Seto misstrauisch. „Oh, ich glaube, das darf ich dir nicht sagen, aber andererseits, weißt du es sowieso schon fast, von daher… Also dein Bruder hat mich bezahlt, damit ich dafür sorge, dass du auch ein bisschen Spaß im Leben hast.“, meinte Mai fröhlich und stakste mit ihren Pumps auf die Limousine zu. Bevor sie auf dem Sitz Platz nahm, beugte sie sich noch schnell zum Fahrer vor und nannte ihm ihr Ziel Seto folgte ihr und ließ sich neben ihr auf dem Rücksitz nieder. Mokuba hatte sie also hierfür bezahlt. Das hieße, sie war vermutlich auch nicht sonderlich scharf darauf, den Abend mit ihm zu verbringen, sonst hätte sein Bruder sie nicht bestechen müssen. Aber andererseits klang der letzte Satz dieser Barbiepuppe irgendwie wie eine Drohung. „Der Wagen sieht von innen ja noch besser aus als von außen!“, quietschte seine Begleitung begeistert. „Das Leder fühlt sich super an. Und hier sind ja sogar Spiegel bei den Rücksitzen.“ Mai drückte den Spiegel aus der Decke und begann sich die Lippen nachzuziehen. Prüfend schaute sie sich an und verzog die Lippen zu einem Lächeln. „Dieses Auto ist der Hammer!“ „Gewöhn dich nicht zu sehr daran, das wird der einzige Abend sein, an dem du hier drin sitzen darfst.“, erwiderte Seto trocken. Nach einer Weile wurde ihm jedoch unwohl. Sie waren nun schon ziemlich lange unterwegs und er hatte immer noch keine Ahnung, wo sie hinwollten – oder vielmehr, wo Mai hinwollte. Wer weiß, in welcher Gegend diese Frau sich normalerweise abends herumtrieb. „Wie lange dauert das denn noch?“, fragte er die Blondine unwirsch. „Oh, nicht mehr lange, wir sind gleich da. Das wird klasse, sag ich dir. Du wirst dich bestimmt super amüsieren.“ „Aha.“, sagte Seto und sah wieder schweigend aus dem Fenster. Kurze Zeit später hielt der Wagen und als Seto die Tür öffnete, musste er die Augen zusammenkneifen, so hell war es draußen - und das um zehn Uhr abends! „Wir sind dahaaaa!“, kreischte Mai da auch schon begeistert und ploppte unvermittelt an seiner Seite auf. Wie sie sich bei dem grellen Licht so schnell orientierten konnte, war ihm ein Rätsel. Überall um ihn herum leuchteten Reklameschilder, Namen von Bars, Diskotheken und anderen dubiosen Institutionen in den schrillsten Farben von grellrot über neongrün bis hin zu pink – er war in der Hölle gelandet! Während Seto noch versuchte, sich einen Überblick über all die bunten Schilder zu verschaffen, ging Mai zielsicher auf ein Gebäude mit dem Namen „Revolution“ zu. Seto beäugte derweil kritisch die Gäste die vor Mai den Club betraten – Jungen mit Tattoos und Piercings und Mädchen mit knappen Röcken, die aussahen, als wären sie in einen Schminktopf gefallen. Nicht unbedingt seine bevorzugte Gesellschaft, in der Schule schaffte er es meistens, diesen Leuten aus dem Weg zu gehen - oder vielmehr sie ihm. Nach ein paar Metern fiel Mai wohl auf, dass Seto ihr nicht folgte, denn sie drehte sich um und winkte ihm ungeduldig zu: „Na komm schon! Worauf wartest du noch? Die Happy Hour geht nur bis zwölf und das müssen wir ausnutzen!“ Das konnte ja heiter werden, wie viel hatte die Frau denn vor in zwei Stunden zu trinken?! Seufzend ergab sich Seto in sein Schicksal und folgte Mai durch den Eingang. Bildete er es sich nur ein, oder hatte der Türsteher ihn komisch angesehen, als er hineingegangen war? „Ich hoffe, du hast deine Kreditkarte dabei?!“, riss Mai ihn aus seinen Gedanken und schaute ihn fragend an. Wie bitte? Erwartete die Frau etwa tatsächlich von ihm, dass er für sie zahlte? Offensichtlich, denn sie stand weiter mit ausgestreckter Hand vor ihm und begann nun mit ihrem Absatz zu klappern. „Geht das in solchen Läden überhaupt?“, setzte er schwach zur Gegenwehr an. „Natürlich, wieso denn nicht?“, antwortete Mai. Ächzend holte Seto seine Platin-Card hervor und gab sie der Blondine. Die ging geradewegs zur Bar und kam keine zwei Minuten später mit zwei Cocktailgläsern wieder. Eins davon drückte sie Seto in die Hand, die Kreditkarte behielt sie bei sich. Das Getränk hatte eine seltsam blaue Farbe und roch ziemlich süß, stellte Seto fest, nachdem er vorsichtig daran gerochen hatte. Angewidert hielt er das Gemisch ein wenig von sich und fragte skeptisch: „Was genau soll DAS denn sein?“ „Das, mein Lieber, nennt sich „Blue Lagoon“.“, erwiderte die junge Frau vergnügt und zog an ihrem Strohhalm. Da sie dabei nicht das Gesicht verzog und auch sonst noch relativ gesund aussah, beschloss Seto, dass es ungefährlich war, davon zu trinken. Er nahm vorsichtig einen kleinen Schluck und hätte ihn fast auf der Stelle wieder ausgespuckt – das war ja widerlich! „Schmeckt’s nicht?“, fragte Mai grinsend und ließ sich auf einem der Barhocker nieder, die im ganzen Raum kreisförmig um die Tanzfläche verteilt waren. Ihr Glas stellte sie auf angrenzenden Stehtisch. „Da bekommt man ja einen Zuckerschock! Was ist denn da drin?“, wollte Seto hustend wissen. „Blue Curacao, Sprite, Wodka und Grenadine.“, zählte die Blondine auf. „Dann ist der Anteil an Wodka aber definitiv zu gering.“, meinte Seto und begab sich an die Bar, um sich einen Wodka pur zu holen. „Jetzt geht’s mir besser.“, sagte er und setzte sich ebenfalls auf einen der Barhocker. „Ich nehme mal an, deinen Cocktail willst du nicht mehr?“, fragend sah Mai ihn an, während sie die Hand ausstreckte und Setos Glas zu sich herüberzog. „Nein.“, antwortete er mit einem dünnen Lächeln. Mai nippte an ihrem Drink und begann leicht mit dem Stuhl zu wackeln, während Seto verzweifelt darum betete, dass der Abend möglichst schnell vorbeigehen möge. Ein junger Mann, ungefähr so alt wie Mai, kam plötzlich auf die Beiden zu und verwickelte Mai in ein Gespräch. Leider konnte Seto nicht verstehen, worum es ging, da die Musik zu laut war. Zwischendurch warfen Beide immer wieder einen Blick auf ihn – der Mann abschätzig, Mai eher bedauernd – dann zuckte Mai mit den Schultern und der Typ verschwand wieder. Die Blondine sah ihm noch kurz hinterher und wandte sich dann wieder Seto zu. „Weißt du, ich finde es super hier. In der Regel komme ich alle zwei Wochen her. An den anderen Wochenenden gehe ich ins „Ground Zero“, da ist es auch klasse und die Drinks sind billiger. Aber dafür ist hier die Tanzfläche größer und die Musik besser.“, fing Mai an zu plaudern. Dass aus ca. acht Boxen laute Musik in den Raum schwappte, ignorierte sie gekonnt. „Ich kann dich kaum verstehen.“, brüllte Seto sie über den Lärm hinweg an. „Was sagst du?“, schrie sie zurück. „ICH KANN DICH NICHT VERSTEHEN!“ „Oh, ach so. Das ist normal in solchen Clubs, rück einfach ein bisschen dichter zu mir.“, antwortete Mai und begann weiter zu plappern. Seto beschloss, den Abend einfach stillschweigend über sich ergehen zu lassen – schließlich redete Mai für drei – und darauf zu hoffen, dass diese schreckliche Woche bald zu Ende war. Immerhin war heute schon Halbzeit… Eine Stunde und fünf Wodkas später starrte Seto, mittlerweile ein wenig müde - die letzten Tage hatten ihn doch mehr geschlaucht, als er zugegeben hätte - die sich öffnenden und schließenden Lippen Mais an, die noch immer redete und höchstens Pause machte, um sie etwas Neues zu trinken zu holen. Momentan hatte sie etwas Rotes in ihrem Glas, das sah zwar immer noch seltsam aus, aber bei Weitem ungefährlicher als das blaue Zeug vorher. Noch immer verstand er nicht, was sie eigentlich sagte, doch Mai schien das nicht weiter zu stören, solange er zwischendurch brav nickte, wenn sie ihn erwartungsvoll ansah und ab und an ein wenig die Lippen verzog, was man mit viel Fantasie als ein Lächeln deuten konnte. Plötzlich hielt sie ihm jedoch ihr Getränk vor die Nase und sah ihn auffordernd an. Offensichtlich wollte sie, dass er davon probierte – wehe, das schmeckte genauso scheußlich wie dieses Blue-Dingsda. Seto verzog das Gesicht und nahm Mai das Glas ab, dabei berührten sich leicht ihre Finger. Sofort zog die Blondine die Hand weg und schaute zur Seite. Seto nahm unwillig einen Schluck von dem Cocktail und war positiv überrascht. Er würde ihn zwar nicht als „gut“ bezeichnen, aber er war wesentlich besser als der Erste. Anscheinend hatte das auch Mai bemerkt, denn sie lehnte sich zu ihm herüber und fragte frivol: „Und? Besser?“ „Man kann es trinken. Was ist das?“, erwiderte Seto und schon sie leicht von sich. „Tequila Sunrise. Wenn du willst, kann ich dir auch einen holen.“, meinte sie und wollte aufstehen. „Nein, lass mal. Ist schon gut.“, winkte der Braunhaarige ab und versuchte sich entspannt zurückzulehnen. Dabei vergaß er jedoch, dass sein Stuhl keine Lehne hatte und verlor deshalb leicht das Gleichgewicht. Glücklicherweise konnte er sich rechtzeitig wieder aufrichten, bevor er von dem Barhocker gefallen wäre, jedoch vermutete er, dass er dabei reichlich unelegant aussah, was ihm Mai durch ihr Kichern auch bestätigte. „Wir können uns auch den hier teilen. Die Barkeeper tun nicht umsonst zwei Strohhalme in die Cocktails.“, grinste sie süffisant und stellte das Glas zwischen sie Beide auf den Tisch. Seto schnaubte und setzte sich wieder richtig hin. Mai schien mittlerweile schon reichlich angeheitert zu sein, denn nach einer Weile begann sie zur Musik zu singen – dass sie dabei weder die richtigen Töne traf, noch den Text konnte, schien sie nicht weiter zu stören. Plötzlich sprang sie auf und griff nach Setos Hand: „Los, wir gehen tanzen!“, rief sie und zog ihn hinter sich her. Zumindest versuchte sie das, doch Seto bewegte sich kein Stück und sah sie nur fassungslos an. Wie kam diese Person darauf, dass er zu SOLCHER Musik tanzen würde? Gut, bei einem Walzer hätte er das noch verstanden, auch wenn er generell nicht gerne tanzte, war es manchmal unvermeidbar, aber das hier überschritt deutlich seine Toleranzgrenze. „Vergiss es!“, zischte er ihr ins Ohr. „Och, bitte?! Das ist vielleicht die letzte Gelegenheit, nachher ist es zu spät!“, bettelte Mai, wobei sich das mehr wie eine Drohung anhörte. Was zum Teufel meinte sie mit zu spät? Trotzdem schüttelte der Braunhaarige bestimmt den Kopf und Mai stiefelte angesäuert alleine Richtung Tanzfläche. Seto begann in der Zwischenzeit damit, die Cocktailkarte zu studieren, da der letzte Longdrink doch nicht so schlecht gewesen war, wie er vermutet hatte. Vielleicht fand er etwas, das er trinken konnte, ohne dass sein Gaumen sich anfühlte, als hätte er eine ganze Packung von Mokubas Kinderkaugummis gegessen. Praktischerweise war für jedes Getränk ein Bild vorhanden, so konnte er alles was blau oder grün war oder sonst irgendeine unnatürliche Farbe hatte gleich aussortieren. Dann fiel sein Blick auf etwas, das man aus seiner Sicht mit viel Wohlwollen als Rum mit irgendwas anderem bezeichnen konnte. „Cuba Libre“ prangte in schwarzen Buchstaben unter dem Bild und bei den Zutaten war glücklicherweise auch Rum aufgeführt. Rum kannte er. Rum war gut. Da konnte er doch nichts mit falsch machen, oder? Also begab sich Seto an die Bar und bestellte sich einen Cuba Libre und erstaunlicherweise schmeckte er gar nicht so schlecht, er war sogar richtig gut und da seine Begleitung immer noch nicht wieder aufgetaucht war, bestellte er sich gleich noch einen. Verdammt, warum hatte er dieses Zeug nicht schon früher probiert? Das war echt klasse. Eine Stunde später – zumindest kam es Seto so vor – erschien Mai unvermittelt neben ihm auf der Bildfläche. „Was hast du denn da?“, fragte sie neugierig und riss Seto schon das Getränk aus der Hand. „Mmmh, Cuba Libre, schmeckt ganz gut, sollte man aber nicht zuviel von trinken.“, kommentierte sie und reichte das Glas wieder an Seto zurück. Dann kniff sie die Augen zusammen und betrachtete Seto kritisch: „Sag mal…“, begann sie, „wie viel hast du davon schon getrunken, Seto?“ „Nicht viel, vielleicht zwei oder drei, können auch vier gewesen sein.“, meinte Seto und zwinkerte ihr verschwörerisch zu, seiner Laune ging es schon viel besser. Möglicherweise konnte der Abend doch noch ganz gut werden. „Verstehe.“ Mai zog die rechte Augenbraue hoch und schleifte Seto dann zu einem Tisch an der Tanzfläche. „Hey! Was soll das denn?“, protestierte Seto und schaute sie böse an. „So muss ich immer so weit laufen, um mir was Neues zu trinken zu holen!“, meckerte er weiter. „Eben, das ist auch Sinn der Sache.“, unterbrach ihn Mai. „Außerdem geht es gleich los, es ist kurz vor zwölf.“, fügte sie nach einem Blick auf ihre Armbanduhr hinzu. „Was geht los?“, fragte Seto. Er hatte ein komisches Gefühl bei der Sache, so langsam fühlte er sich unbehaglich. „Na, das Karaoke-Singen!“, erwiderte Mai begeistert. Auf seinen fragenden Blick hin seufzte sie nur und erklärte: „Pass auf, im Grunde genommen ist es ganz einfach. Und da du schon ein bisschen was getrunken hast, ist es für mich auch nicht mehr ganz so schwer, dich dazu zu überreden – übrigens vielen Dank noch mal, ich hätte nicht gedacht, dass du mir so entgegenkommst und dich so gehen lässt, das macht es wesentlich einfacher. Also, beim Karaoke läuft im Hintergrund die Musik deiner Wahl, nur eben ohne Gesang, deshalb musst DU singen.“ „Moment mal! Wie kommst du darauf, dass ich singen werde?!“, fragte Seto entrüstet. „Ach, komm schon, so schlimm ist es gar nicht. Du bist auch nicht der Einzige, der auf die Bühne muss, es werden noch andere Gäste singen. Glaub mir, das macht super viel Spaß.“, versuchte Mai ihn zu überreden. „Warte kurz, ich glaube, ich habe mich gerade verhört: Hast du gesagt „auf der Bühne“?“ „Aber sicher. Wie sollen die Leute denn sonst wissen, wer singt und außerdem steht da vorne der Fernseher mit dem Text. Zudem bist du es doch gewöhnt, vor anderen Menschen aufzutreten und dich dabei souverän zu präsentierten. Jetzt sag mir nicht, du hast Angst?“, entgegnete die Blondine ohne mit der Wimper zu zucken. Seto wusste nicht, was ihn mehr erschreckte: Die Tatsache, dass Mai tatsächlich glaubte, er könnte sich dort vorne hinstellen und singen oder dass er wirklich mit ihr über diese vollkommen inakzeptable Möglichkeit diskutierte. „Ah, verstehe, ich lag also richtig?! Der große Seto Kaiba hat Schiss!“ Mais Augen funkelten gefährlich als sie zu dieser Erkenntnis kam. Es passierte nicht oft, dass Seto etwas peinlich war und noch seltener, dass er deswegen rot wurde, aber wie hieß es so schön? Ausnahmen bestätigten die Regel. Und das hier war definitiv eine Ausnahme, schließlich war er vorher in keiner annähernd vergleichbaren Situation gewesen und hatte folglich keine Ahnung, wie er sich verhalten konnte. „Wenn du dich nicht traust, können wir natürlich auch zusammen singen – ein Duett sozusagen.“, meinte die Blondine unverschämt grinsend und beugte sich ein Stück weiter vor, sodass Seto eine prima Aussicht auf ihr Dekolleté hatte. Verdammt! Der Alkohol setzte ihm mehr zu als er dachte und Setos Blick rutschte – versehentlich natürlich – ein klein wenig zu tief. Es war wie bei einem Verkehrsunfall: Schrecklich, aber man konnte nicht wegschauen. Gut, Mai hätte das ganz sicher nicht als Kompliment gewertet, wenn sie gewusst hätte, was Seto über ihre Brüste dachte, doch im Grunde genommen war sie selbst schuld. Vermutlich waren die Dinger noch nicht mal echt! Mit dem arrogantesten Blick, den er hatte schaute Seto Mai in die Augen und antwortete: „Pah, wenn sich eine zweitklassige Duellantin traut, sich vor all den Leuten zu blamieren, von mir aus, aber ich werde auf jeden Fall gewinnen.“ Na gut, sie war eigentlich gar nicht so schlecht in Duel Monsters, wenn man sie mit Wheeler verglich, trotzdem, irgendwie wollte er sie im Moment beleidigen, außerdem setzte es ihm doch mehr zu, als er dachte, dass Mokuba sie bestochen hatte, mit ihm auszugehen. Mai seufzte resignierend: „Du hast es immer noch nicht verstanden, nicht wahr? Wir singen ein DUETT und kein DUELL, miteinander und nicht gegeneinander. Es geht nicht um das Gewinnen, es geht um den Spaß.“ „Meinetwegen, also können wir dann jetzt anfangen?“, murrte Seto und wollte schon aufstehen. „Moment noch, wir müssen uns zuerst ein Lied aussuchen und außerdem hat der DJ den Karaoke-Wettbewerb noch gar nicht eröffnet.“, sagte Mai, rutschte vom Stuhl und wackelte auf ihren Absätzen Richtung Mischpult um eine Songmappe zu besorgen. „So, also was wollen wir nehmen? Mal sehen, hier hätten wir „Barbie Girl“, wie wäre das?“, fragte Mai und setzte sich wieder auf ihren Hocker um die Titelliste in Augenschein zu nehmen. Nach einem kurzen Blick zu Seto fügte sie aber hinzu: „Wohl eher nicht. Was ist mit „We’ve got tonight“? Das ist total romantisch.“ „Vergiss es. Können wir nicht lieber etwas Neutraleres nehmen?“, meckerte der Braunhaarige. „Aber das wird dem Publikum bestimmt nicht so gut gefallen, wie eine Ballade. Und nur sie entscheiden, wer am Ende am Besten gesungen hat.“, hielt Mai dagegen. „Also gibt es doch einen Sieger?“, erwiderte Seto. „So gesehen schon… Aber es geht hierbei weniger ums Gewinnen.“, antwortete Mai ächzend. Doch Seto hörte ihr schon gar nicht mehr zu. „Wir nehmen das da!“ Mit dem Finger deutete er blind auf ein Lied auf der Seite, die Mai gerade aufgeschlagen hatte. „Du willst „Something stupid“ singen? Das ist aber nicht gerade einfach.“ Mai schaute ihn zweifelnd an. „Na und? Ansonsten wäre es doch keine Herausforderung!“ Kaum zehn Minuten später stand schon der erste Teilnehmer auf der Bühne und schrie „Smells like Teen Spirit“ ins Mikro. Seto und Mai saßen an einem der Tische vor der Bühne und Seto meinte siegessicher: „Wenn die alle so singen wie der da, haben wir so gut wie gewonnen. Das wird ein Kinderspiel. Wann sind wir denn endlich dran?“ „Wie oft soll ich es dir noch sagen, dass es nicht darum geht zu gewinnen, sondern um den Spaß? Wir sind dran, wenn der DJ uns aufruft, das kann noch dauern, vor uns haben schon einige ihren Zettel abgegeben.“ Mai sah Seto strafend an. „Vielleicht solltest du noch einen Cuba Libre trinken um lockerer zu werden?“, schlug sie dann vor. „Ich bin locker! Ich bin total locker!“, erwiderte Seto gereizt und drehte sich wieder Richtung Bühne. „Also ich hol mir jetzt einen „Sex on the Beach“, das dauert hier wohl noch länger.“, verkündete Mai nach einiger Zeit und stand auf, um in Richtung Bar zu gehen. „Willst du auch noch was?“ „Hmm, du kannst mir doch einen Cuba Libre mitbringen, ich hab’s mir anders überlegt.“, antwortete Seto. „Jawohl, Boss.“ Entweder hatte Seto den zynischen Unterton nicht gehört oder er ignorierte ihn gekonnt. Mai stöckelte verstimmt zum Tresen und gab ihre Bestellung auf. Kurz darauf war sie wieder da und knallte Seto sein Glas vor die Nase. „Bitteschön! Dein Cuba Libre! Brech dir bloß keinen Zacken aus der Krone, wenn du „danke“ sagst!“ „Bist du sauer auf mich?“, fragte Seto verwundert. „Nein, wie kommst du denn darauf?“ Diesmal war der Sarkasmus wirklich nicht zu überhören und Seto schluckte, bevor er zu einer Erwiderung ansetzte: „Was auch immer ich getan habe, du solltest mir das nicht übel nehmen. Ich wollte dich nicht verärgern, aber du musst auch nicht alles gleich so persönlich nehmen.“, rechtfertigte er sich. „Du entschuldigst dich nicht sonderlich oft, nicht wahr?“ Mai nippte langsam an ihrem Getränk. „Nein, eigentlich nicht.“, meinte Seto. „Verstehe.“ Einigermaßen besänftigt reichte Mai Seto ihr Glas herüber. „Möchtest du mal probieren?“ „Gerne.“ Irgendwie war Seto der Meinung, er hätte etwas gutzumachen. Hmm, schmeckte gar nicht so schlecht, das Zeug, das Mai da hatte! Es hatte nur so einen vulgären Namen. Wie hieß es noch gleich? Irgendwas mit Sex… „Und? Wie ist es?“, fragte Mai da auch schon nach. „Ganz annehmbar.“, erwiderte Seto, „Wann sind wir denn jetzt endlich dran?“ So langsam wurde der CEO ungeduldig. „Es kann eigentlich nicht mehr lange dauern. Das Mädchen, das gerade singt, hat ihren Zettel nur kurz vor uns abgegeben.“, antwortete Mai und zog an ihrem Strohhalm. „Nun ja, gegen sie zu gewinnen dürfte nicht sonderlich schwer sein.“, meinte Seto zynisch, als das Rothaarige Mädchen unter Buhrufen die Bühne verließ. „Sie hat wirklich fürchterlich gesungen.“ „Lehn dich lieber nicht zu weit aus dem Fenster, mein Lieber. Noch hast du nicht bewiesen, dass du es besser kannst.“, entgegnete seine Begleitung. Seto schnaubte abfällig und sagte: „Glaub mir, besser als die bin ich allemal und wehe, du strengst dich nicht auch an! Ich will auf jeden Fall gewinnen!“ „Uuuuund als nächstes treten beim heutigen Revolution-Karaoke-Contest Mai und Seto an! Applaus für die Beiden!“, brüllte der DJ ins Mikro und Mai zog Seto mit den Worten „Das sind wir! Das sind wir!“, aufgeregt Richtung Bühne. „Die Beiden singen für uns ein Duett von Nicole Kidman und Robbie Williams! Viel Spaß bei ihrer Version von „Something stuipd“! Whoooa!“ Der DJ legte sein Mikro beiseite und stellte die Musik an. Mai und Seto traten vor ihre Mikros und die Blondine sah Seto aufmunternd an. „Das klappt schon.“, flüsterte sie ihm zu. „Natürlich klappt das, was denkst du denn? Schließlich bin ich Seto Kaiba.“, zischte der Braunhaarige zurück, aber Mai hörte ihm schon gar nicht mehr zu: „Es fängt an!“, wisperte sie und begann zu singen: „I know I stand in line until you think you have the time to spend an evening with me. And if we go someplace to dance I know that there’s a chance you won’t be leaving with me.” Nach den ersten zwei Takten hatte auch Seto bemerkt, dass er singen musste und sein Part mit blauer Schrift die Wörter markierte, die er gerade zu singen hatte. Er hätte nicht gedacht, dass es soviel Spaß machen würde, Karaoke zu singen. Als sie gerade dabei waren „And then I go and spoil it all, by saying somethin' stupid like: "I love you." zu singen, nahm Mai ihr Mikro vom Ständer und ging auf ihn zu. Das Publikum jubelte auf und Pfiffe ertönten. Seto nahm seinerseits nun auch das Mirko aus der Verankerung und ging auf die Blondine zu. Die Beiden umkreisten sich und bei „The time is right, your perfume fills my head, the stars get red, and oh, the night's so blue.”, hatten die Beiden ihre ursprünglichen Plätze getauscht. Das Lied endete mit “I love you” und Mai und Seto sahen sich tief in die Augen. Das Publikum kreischte und klatschte laut Beifall. Mit einem selbstgefälligen Lächeln schob Seto das Mikro zurück auf den Ständer und ging zur Bar um sich noch einen Drink zu genehmigen. “Also damit gewinnen wir mit Sicherheit.”, meinte er zufrieden zu Mai, die ihm gefolgt war. “Du schaffst es auch, jede romantische Stimmung zu zerstören. Außerdem dachte ich, das Thema hätten wir abgehakt? Es geht nicht nur ums Gewinnen. Es geht darum, dass es Spaß macht.”, seufzte Mai und nahm ihren Strawberry Daiquiri entgegen. Zusammen mit Seto setzte sie sich wieder an einen der Tische in der Nähe der Bühne, um sich die restlichen Möchtergernsängerinnen und –sänger anzuhören. „Konntest du dich denn wenigstens ein bisschen amüsieren?“, fragte sie schließlich, nachdem sie ihr Getränk ausgeschlürft hatte. „Natürlich, ich fand es super lustig, wie schief die anderen gesungen haben.“, erwiderte Seto vergnügt. „Nein, jetzt mal ernsthaft?“ Mai schaute den Braunhaarigen neugierig an. „War es wirklich sooo schlimm?“ Seto versuchte ihrem Blick auszuweichen und druckste ein wenig herum. Verdammt! Er war doch sonst um kein Wort verlegen! Warum musste er jetzt erst überlegen, bevor er eine ehrliche Antwort gab? – Weil er in der Regel auch keine ehrlichen Antworten gab! Er musste seine Geschäftspartner nur von der Theorie überzeugen und nicht von der Wahrheit! Memo an sich selbst: Nicht mehr soviel Alkohol trinken, die Selbsterkenntnis tut nicht gut! Trotzdem erwartete sein Gegenüber eine Antwort. Aber Mai war kein Geschäftspartner, sie war eine… Was war sie eigentlich? Eine flüchtige Bekannte? Dazu sahen sie sich eigentlich zu oft. Was dann? Seto beschloss, die Antwort dieser Frage auf später zu verschieben, so viele Eingeständnisse an einem Abend – auch wenn sie nur an ihn selbst waren – taten seinem Image definitiv nicht gut. „Also?“, holte Mai ihn zurück in die Realität und schaute ihn interessiert an. „Es war nicht ganz so furchtbar, wie ich befürchtet hatte…“, antwortete Seto langsam, doch als er Mais triumphierenden Blick sah, schob er schnell hinterher „Trotzdem muss ich in absehbarer Zeit nicht wieder in so ein Etablissement.“ „Na bitte, es geht doch! Sogar Seto Kaiba kann Spaß haben.“, sagte die Blondine vergnügt. „Damit habe ich meine Mission wohl erfüllt. Von mir aus können wir gehen.“ „Was? Jetzt schon? Aber wir wissen doch noch gar nicht, wer gewonnen hat!“ Hatte er wirklich so panisch geklungen oder bildete er sich das nur ein? „Sieh einer an! Du willst freiwillig noch länger hier bleiben?“ Mais Grinsen konnte durchaus als boshaft auslegen. „Nein, nein, natürlich nicht. So wichtig ist das auch wieder nicht, außerdem ist doch klar, dass ich gewonnen habe.“, rechtfertigte sich der Braunhaarige. „Ist das so? Aber du hast Recht, wir können auch noch einen Moment bleiben, es singt gerade der letzte Teilnehmer. Mal abgesehen davon, wenn, dann gewinnen WIR und nicht DU!“ Die Blondine grinste immer noch und wandte sich wieder der Bühne zu. Ungefähr zehn Minuten später stand das Ergebnis fest: Sie hatten tatsächlich gewonnen! Und auch wenn Seto so tat, als berühre ihn das nicht weiter, war er insgeheim doch ein bisschen stolz auf sich, dass er sogar in unbekanntem Territorium siegen konnte. Grinsend verließ er kurz darauf mit Mai die Bar. Er fühlte sich großartig. Jetzt war er sich sicher, auch noch Donnerstag und Freitag zu überleben, und dann wäre diese furchtbare Woche endlich vorbei! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)