Mein Tischnachbar ist ein Idiot! von Skeru_Seven ================================================================================ Kapitel 7: ----------- Der Tag verlief harmlos, obwohl man Tobi ansah, dass seine Laune irgendwo im unteren Bereich der imaginären Skala herumpendelte, aber er riss sich zusammen, ein unglaublicher Fortschritt. Wahrscheinlich reichte ihm ein Klassenbucheintrag am Tag. Zuhause aß Johannes zu Mittag, verrichtete eher schlecht als Recht seine Hausaufgaben – er hatte heute seltsamerweise noch weniger Lust als sonst dazu – und hockte sich schließlich zu seinem Bruder auf die Couch im Wohnzimmer, um sich eine nicht besonders geistreiche Sendung über die Probleme unterschiedlich unsympathischer Menschen anzusehen. Als reichte nicht das eigene Leben, nun musste man schon in der Privatsphäre andere Leute herumstöbern, um sich zu freuen, dass man nicht ganz so viele Schwierigkeiten wie diese besaß. Arme Gesellschaft. Und dazu gehörte er selbst, weil er sich den Blödsinn freiwillig antat, höchst peinlich. „Na, lebst du noch, alles heil an dir?“, scherzte Kevin und piekte ihm spielerisch in die Seite, worauf er nur ein Brummen erhielt. Johannes konnte auf Dauer diese nervigen Anspielungen auf Herr – oder Frau, wie man es nahm – Schlägerkind nicht mehr anhören. Zwar war Tobis Verhalten auf keinen Fall akzeptabel, doch diese ständigen Bemerkungen seiner Mitmenschen störten Johannes; er kam sich dadurch wie ein hilfloses Grundschulkind vor, das sich nicht gegen einen Vollidioten oberster Kategorie wehren konnte. So wollte er auf keinen Fall enden, zum Schluss hätte Tobi vielleicht noch etwas, worüber er lachen konnte und das ließ sich Johannes nicht bieten. „Hallo, redest du mal mit mir?“ Eingeschnappt beendete Kevin seinen fehlgeschlagenen Konversationsversuch und wendete sich wieder dem Fernseher zu, in dem sich gerade eine blonde stark überschminkte Frau und ein Mann gegenseitig zur Schnecke machten. Niveau pur, der Sender durfte stolz auf sich sein. Nach einer Viertelstunde hielt Johannes diese Intelligenz auf dem Bildschirm nicht länger aus und ließ sich auf sein Bett fallen, um sich eine andere sinnvolle Beschäftigung für den Tag zu suchen. Der Fernseher fiel eindeutig aus, auf Computerspiele hatte er keine Lust, zum Lesen fehlte ihm das entsprechende Buch, Malen konnte er vergessen – selbst Kindergartenkinder waren begabter, vielleicht sogar die Nachbarskatze – sich mit jemanden zu treffen lohnte sich nicht... die Liste ließ sich unendlich lang fortsetzen. Für jeden Vorschlag fand er ein mehr oder weniger plausibles Gegenargument und ließ es dabei bleiben. Er sollte sich einfach eingestehen, dass er gerade seine faule Phase hatte und den halben Tag auf dem Bett dösen würde. Ende der vergeudeten Überlegungen. Ein Klingeln an der Haustür überhörte er, war sicher nicht für ihn und falls doch, gab es vier weitere Menschen, die sie öffnen konnten. „Johannes, Besuch für dich.“ Die Stimme seiner Mutter klang merkwürdig, sehr angespannt, was nicht zu ihr passte, vor allem nicht, wenn Gäste kamen. Wer konnte das denn sein, dass seine Mutter dieser Person am liebsten die Tür vor der Nase zugeknallt hätte? Jemand rannte die Treppe hinauf und klopfte zaghaft an seine Zimmertür. „Ja, was ist?“, fragte Johannes genervt und setzte sich auf, damit er nicht allzu unhöflich herüberkam. Wer oder was auch immer ihn besuchen wollte, hatte die falsche Zeit gewählt, er traf sich normalerweise höchstens am Wochenende mit anderen, weil man da deutlich mehr unternehmen konnte. „Hallo.“ Ein junges Mädchen trat schüchtern in seinen Raum ein und Johannes fragte sich, ob er an Gedächtnisverlust litt oder warum er sie nicht kannte. „Wer bist du?“ Eine peinliche Frage, aber besser als so tun, als wüsste man, mit wem man es zu tun hatte. „Meine Schwester Sarah.“ Die zweite Person, die nun hinter dem Mädchen stand, hätte Johannes gerne per Gedächtnisverlust vergessen, jedoch gelang ihm das nicht. Schlecht gemacht, aber echt. „Was machst du hier, Tobi?“ Deshalb hatte seine Mutter alles andere als freundlich geklungen, bei diesem Menschen kein Wunder. „Willst du mich schon in meinem eigenen Zuhause verprügeln und brauchst dafür Hilfe von deinen Geschwistern?“ „Nein, du Flasche, ich wollte dir beweisen, dass diese Fakeentschuldigung nicht von mir ist sondern von ihr. Mir tut das alles nämlich kein bisschen leid, damit dir das klar ist.“ „Was erzählst du denn, Tobi?“, mischte sich plötzlich Sarah ein. „Natürlich tut es dir Leid.“ „Halt die Klappe!“, fuhr er sich an und Johannes schüttelte schockiert den Kopf. Sogar vor kleinen Mädchen machte Tobis Unverschämheit nicht halt. Der Junge brauchte mal erzieherische Maßnahmen, wie wäre es mit der Supernanny, das könnte er selbst dann sogar schön im Fernseh mitverfolgen und sich darüber lustig machen. Sarah ignorierte gekonnt die Unfreundlichkeit ihres Bruders – sicher jahrelanges Training – und sah sich ein wenig in Johannes’ Zimmer um. Der Anblick schien ihr zu gefallen. „Schön hast du es hier“, meinte sie und Johannes nickte mechanisch. Noch nie hatte sich irgendjemand sein Zimmer genau angesehen, aber Mädchen verhielten sich in solchen Dingen anders als Jungs. „Sarah, hör auf, meinen Klassenkameraden zu belästigen“, knurrte Tobi überraschenderweise und erntete dadurch von den beiden belustigte Blicke. „Bist du eifersüchtig oder so?“, stichelte Johannes und wich einem fliegenden Taschenbuch aus, das direkt auf ihn zugesteuert kam. „Sicher nicht, ich finde es nur peinlich, wie sie sich wieder an ältere Jungs ranschmeißen muss“, behauptete Tobi und warf Sarah giftige Blicke zu, die diese mit einem Kichern quittierte. Nette Familie, hoffentlich hatten die Eltern keine weiteren Kinder. „Weshalb seid ihr denn genau hier?“, versuchte Johannes das Thema auf das Wesentliche zurückzulenken und schien damit erfolgreich, denn die zwei Lohrgeschwister beendeten ihren kindischen Kleinkrieg und Tobi widmete seine Aufmerksamkeit dem Jungen vor sich auf dem Bett. „Wir geben dir eine Schriftprobe ab, damit es keine Zweifel für meine Unschuld gibt“, verkündete er, nahm sich ungefragt einen Zettel und einen Kugelschreiber vom Schreibtisch und kleisterte in seiner schönsten Krakelschrift einen Satz auf das Papier. Du kannst mich mal. „Tut mir Leid, aber das Angebot muss ich ablehnen“, erklärte ihm Johannes und seufzte innerlich lautstark auf. Dieser Junge besaß soviel Taktgefühl wie ein Lebkuchenhaus mit Zuckerguss. „Jetzt bin ich“, rief Sarah freudig, riss ihrem Bruder den Stift aus der Hand und schrieb fein säuberlich 'Tobi ist doof’ unter den ersten Satz. Das Mädchen wurde Johannes sympathisch. Er musste zugeben, ihre Schrift ähnelte sehr stark der auf dem Brief. So viel zum Gedanken, dass Tobi möglicherweise doch Schuldgefühle besaß. Nichts gabs. „So, fertig, wir können gehen.“ Tobi wandte sich in Richtung Ausgang, doch Sarah hielt nichts davon; stattdessen hockte sie sich neben Johannes auf das Bett und begann ihn über irgendwelche Dinge auszufragen. „Wann hast du Geburtstag?“ „Ähm, im Oktober“, stotterte Johannes verwirrt und fragte sich, was sie damit bewirken wollte. „Wieso?“ „Nur so“, strahlte sie und Tobi bekam hinter ihr einen extremen Hustenanfall, um sein Missfallen über das Verhalten auszudrücken. „Sarah, mach dich an Leute in deinem Alter ran, niemand steht auf neunjährige.“ „Ich bin fast zwölf, du Blödmann“, beschwerte sie sich und verschränkte beleidigt die Arme. „Kannst ja schon mal gehen, ich habe noch was zu tun.“ „Mach doch, was du willst. Und Johannes: Finger weg von meiner Schwester, verstanden?“ Was erwartete Tobi von ihm? Der Typ sollte sich gefälligst um seine eigenen privaten Liebesprobleme kümmern, wer hatte denn schon mit zwanzig Leuten eine Beziehung geführt – oder es zumindest versucht? Nachdem der Giftzwerg unter lauten Gepolter die Treppe hinuntergestapft war, seufzte Sarah theatralisch und zupfte sich einen Fussel aus dem Haar. „Mein Bruder kann manchmal echt hohl sein, aber sonst ist er ganz in Ordnung.“ Sprachen sie gerade von derselben Person? Tobi und ganz in Ordnung? Höchstens wenn er schlief. „Dafür schlägt er aber hart zu“, meinte Johannes und rieb sich demonstrativ die Seite, die fast an Gewalt gewöhnt war. „Er ist halt... etwas schwierig, aber eigentlich findet er dich gar nicht so doof wie er immer behauptete“, erzählte Sarah grinsend und Johannes vermutete stark, dass irgendjemand sie für diese Aussage bestochen hatte. Tobi war ein Idiot. Nettigkeit stand nicht in seinem Verhaltenscodex, wahrscheinlich besaß er keinen. „Wieso bringt er mich dann fast mit einem Physikbuch um, wenn er mich so toll findet? Macht er das bei seiner Freundin auch?“ „Basti hat er auch erst wochenlang niedergemacht, bis er entdeckt hat, dass er ihn doch nicht so schrecklich findet.“ Was war schlimmer? Ein brutaler Tobi oder ein Tobi, der möglicherweise in ihn verknallt sein könnte? Eher letzteres, es passte nämlich nicht zu ihm. „Ich muss dann auch mal los, sonst nervt Mama wieder“, verabschiedete sich Sarah und drückte ihm schnell einen gefalteten Zettel in sie Hand. „Tobis Handynummer, falls du mal anrufen willst“, lächelte sie und Johannes überkam das Gefühl, von einem kleinen Mädchen mit deren Bruder verkuppelt zu werden. Wie frühreif sich jüngere Kinder heute benahmen, als er in ihrem Alter gewesen war, kannte er den Begriff „schwul“ noch nicht mal wirklich und sie fand es scheinbar sogar toll. ______________________ Ein wenig länger als sonst, sozusagen als Entschädigung für die längere Wartezeit. ^.~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)