Mein Tischnachbar ist ein Idiot! von Skeru_Seven ================================================================================ Kapitel 23: ------------ „Johannes, warum grinst Tobi schon die ganze Zeit?“, fragte Tanja beunruhigt, als sie noch vor Unterrichtbeginn an Tanjas Tisch standen und hofften, dass ihr Lehrer leider die Treppe hinunter gesegelt und deshalb nicht mehr in der Lage war, den Unterricht zu leiten und sie somit eine schöne Freistunde bekamen. „Nö, er hat einen guten Grund“, gab Johannes zu, dem es zum Glück noch gelungen war, Tobi knapp vor dem Klassenzimmer klar zu machen, dass sie nicht wie aneinander geklebt in den Saal spazieren konnten ohne verdächtig auszusehen. Dann wäre nämlich aus der 'geheimen Testbeziehung' schnell die öffentliche 'wir sind schwul und stolz drauf Beziehung' geworden. Und darauf hatte Johannes wirklich keine Lust, zum Schluss hörten das seine Eltern und wie sie darauf reagierten – vor allem, da sie nicht direkt von ihm benachrichtigt worden waren – wollte er nicht unbedingt wissen. „Aha, und welchen? Geburtstag hat er erst in ein paar Monaten.“ Aus irgendeinem Grund schien Tanja nicht in Erwägung zu ziehen, Tobis gute Laune könnte möglicherweise mit Johannes zusammenhängen. Wahrscheinlich glaubte sie einfach nicht, dass er sich so mir nichts dir nichts von Herrn L. ‚umschwulen‘ ließ oder wie man das am besten ausdrücken sollte. 'Umbien' klang nämlich nicht sehr intelligent. „Tobi hat jetzt inoffiziell einen festen Freund. Und dreimal darfst du raten, wie der heißt.“ Wenn sie das nicht verstand, würde er mal seinen Bruder fragen, ob er in einer unbeobachteten Minuten Tanjas weibliche Intuition gestohlen hatte. Doch endlich ging ihr ein Licht – oder auch zwei – auf und sie schaute sichtlich überrascht von Johannes zu Tobi und wieder zurück, weil sie mit dem Ergebnis noch nicht in so kurzer Zeit gerechnet hatte. Gut, er selbst auch nicht, aber bei und durch Tobi war viel möglich. Mehr, als man eigentlich bei dessen Kindergartenbenehmen oft vermutete. „Aber erst seit nicht einmal fünf Minuten“, fügte Johannes noch hinzu, damit sie sich nicht sofort wieder schlecht informiert fühlte. Andererseits hätte er auch als kleiner Racheakt... nein, hätte er sowieso nicht, so ein nachtragender Mensch war er einfach nicht, das schaffte er nicht. Zu anstrengend. „Eigentlich müsste ich dich dafür schlagen, dass du dir nicht mehr Zeit zum Überlegen genommen hast, aber erstens kann ich daran auch nichts mehr ändern und zweitens will ich mich nicht mit Tobi anlegen, also lass ich es lieber.“ „Find ich auch richtig so von dir“, schaltete sich ein gewisser jemand in ihre Unterhaltung ein – spionierte er ihnen hinter her oder weshalb wusste er immer, wann er reinreden sollte? – und zeigte deutlich seine Besitzrecht an Johannes, indem er ein weiteres Mal seine Hand an dessen Seite platzierte. Da lernte jemand nicht gerne dazu. „Tobi, hab ich vorhin meine Forderung auf chinesisch gestellt?“, beschwerte sich Johannes und schob die Hand seines eigensinnigen Freundes weg, hielt sie aber etwas länger als nötig gewesen wäre fest. Etwas musste er die Situation auch ausnützen dürfen. „Nein, aber ich sehe nicht ein, weshalb ich dich nicht anfassen soll. Ich steh auf dich, du auf mich, wo liegt das Problem?“ Nun begann er auch noch herum zu zicken und das so früh am Morgen. Musste das unbedingt sein? „Die tausend Leute, die drum herumstehen“, erklärte Johannes ihm, obwohl er nicht annahm, dass Tobi dafür Verständnis aufbrachte, eher bezeichnete er ihn als pingelig und verklemmt. „Wenn wir alleine sind, kannst du machen, was du willst.“ Von Tanja erntete er nur einen schrägen Blick, von Tobi ein zufriedenes Grinsen. „Aber könnten wir uns wenigstens in der Schule normal benehmen?“ Etwas unruhig fummelte er an Tanjas Mäppchen und riss dabei fast den Reißverschluss ab. Kam davon, wenn man sich ein Billigding aus Sonstwo zulegte. „Wieso sollten wir? Diese ganzen tollen Heteropaare machen ja auch wie bekloppt auf dem Schulhof herum, wieso müssten wir uns dafür irgendwo in ein kleines Räumchen verziehen? Wenn die ein Problem damit haben, können die gerne woanders hinsehen.“ „Die sind ja nicht unbedingt das Thema, ich find es allgemein irgendwie...“ Nun hatte er Beschreibungsschwierigkeiten, sowas blödes. „Johannes will uns einfach sagen“, übersetzte Tanja für Normalsterbliche, „dass ihm das ganze ziemlich peinlich ist, weil er noch nie mit jemandem zusammen war.“ „He, das stimmt doch gar nicht!“, versuchte das missverstandene Opfer hinterhältiger Wortfindungsstörungen Tanja zu stoppen, doch natürlich fand Tobi dieses Thema furchtbar spannend. „Deshalb hast du dich immer so angestellt. Muss man ja wissen.“ Fies grinsend zupfte er Johannes am T-Shirt herum, um ihn zusätzlich noch etwas zu ärgern. „Eigentlich müsstest du das wissen, du hast es nur verdrängt“, brummte Johannes, verscheuchte die belästigenden Finger von seiner Kleidung und warf Tanja noch einen bösen Blick zu, weil sie zu so einem idiotischen Thema umgelenkt hatte. „Kann sein, ich kann mir halt nicht dein ganzes Privatleben merken“; erwiderte Tobi und schielte zu seinem neuen festen Freund, der ihm gemeinerwiese verbot, ihn zu nerven. „Und ich nicht deine ganzen Exfreunde“, stichelte Johannes zurück.“ „Wenigstens hatte ich welche!“ „Darauf wäre ich nicht unbedingt so stolz.“ „Nur weil dich bis jetzt keiner mehr als zweimal angesehen hat!“ „Jungs, seid mal leise, ihr unterhaltet wieder alle anderen mit“, zischte Tanja ihnen zu, da tatsächlich die Aufmerksamkeit voll und ganz auf ihnen lag. So ein Schrott. „Kümmert euch um euer eigenes Leben“, fauchte Tobi die Umstehenden an, die eigentlich nur auf eine der seit langen ausbleibenden Schlägereien warteten. „Sagt der richtige.“ Tanja begann mit einem spitzen Bleistift ihr Deutschheft zu erstechen. „Warum streitet ihr euch überhaupt über sowas sinnloses?“ „Weil unser Lehrer nicht seinen Arsch hier her bewegen kann und uns deshalb langweilig ist“, behauptete Tobi. „Und weil dein Freund hier ohne mich bis an sein Lebensende einsam und allein vor sich hingegammelt hätte.“ „Ja ich weiß langsam, dass ich ohne dich, heiliger Tobias Valentin Lohr, niemanden zum Anbeten hätte. Soll ich gleich für dich eine eigene Glaubensrichtung gründen?“ Was er natürlich nicht tun würde, Kirche und so ein Zeug lagen ihm nicht besonders. „Wie kann man nur so einen Blödsinn erzählen?“ Tanja wunderte sich gerade über diese unglaubliche Gabe des männlichen Geschlechts, als in Tobis Gehirn wieder merkwürdige Dinge vor sich gingen, die er gleich an seine Umwelt weitergeben wollte. „Das bedeutet, dass ich eigentlich der erste war, der dich geküsst hat?“ „Wenn man mal meine halbe Familie und mögliche Kindergartenaffären ausschließt, eigentlich schon.“ Erwartete er dafür einen Preis, weil er sonst nur 'gebrauchte Ware' bekommen hatte? Konnte er vergessen, dafür bekam er nicht einmal eine Billigkopie des IKEA Katalogs. „Endlich mal jemand, der nicht vorher schon mit der halben Stadt seine Bakterien ausgetauscht hat.“ Dazu musste ausgerechnet er einen Kommentar abgeben, das passte ungefähr so gut wie Tunfisch auf ein Marmeladenbrötchen. „Sonst noch irgendwelche Probleme? Willst noch wissen, wo du ausnahmsweise als erster deine Pfoten gehabt hast?“ Gab ja nicht viele Dinge, die schon irgendjemand vor Tobi bei ihm getan haben könnte. „Vielleicht seltsame rosa Briefe mit kitschigem Inhalt?“ „Ach, darauf willst du hinaus.“ Gab es so etwas wie ein Wörterbuch Tobi-Deutsch? „Nein, zum Glück noch nie. Aber wenn willst, darfst du mir ruhig einen schreiben. Mit schönen Rechtschreibfehlern und zusätzlicher Parfümwolke.“ Sein persönlicher Alptraum, aber welcher Junge stand denn auf solches Zeug? „Ne lass mal, das überlass ich anderen dummen Leuten“, wehrte Tobi schnell ab. „Rosa ist nicht mein Fall. Und komisch gereimte Schnulzbotschaften gehören in die Mülltonne.“ „War ja klar, dass du sowas nie machen würdest. Wahrscheinlich kannst du das gar nicht.“ Gespielt gelangweilt stocherte Tanja weiter auf ihre Schulsachen ein. „Sogar Jos Bruder hat mir einen geschrieben, obwohl er... nicht ganz so war, wie ich es gerne gehabt hätte.“ „Ts, du hast doch keine Ahnung.“ Wie leicht man ihn auf die Palme bringen konnte; das wunderte Johannes jedes Mal aufs Neue. „Ich werde es euch beweisen!“ Damit rauschte er in seinem Ego gekränkt ab. „Seit wann schreibt mein Bruder solche Briefe an dich?“ Das der überhaupt dazu in der Lage war. Vielleicht half Bestechung dabei. „Gar nicht, aber ich wollte mal testen, wie dein Fan darauf reagiert.“ Entschuldigend lächelte sie ihn an. „Macht dir doch nichts aus, bald ein kleines Briefchen mit Hieroglyphen von deinem neuen Freund zu bekommen, oder?“ „Naja, solange es kein Drohbrief ist, stört es mich nicht.“ Im Gegenteil, es interessierte Johannes brennend, was Tobi sich kreatives einfallen ließ, um einen 'Liebesbrief' ohne Kitsch, Schnulz und Rosa zu fabrizieren. Nachdem ihr Lehrer mit deutlicher Verspätung in den Klassensaal gestürmt kam – anscheinend hatte er beim Schwätzchen halten die Zeit vergessen – lief der Tag langweilig wie immer ab. Außer, dass sich Tobi die ganzen zwei Pausen nicht an Johannes und Tanja hängte und selbst während des Unterrichts auf so viel Abstand wie möglich ging. Zuerst dachte Johannes, sein Tischnachbar wäre wütend oder etwas in der Richtung, bis ihm ein Stapel zerknüllter Blätter unter ihrem Tisch auffiel und er vermutete, dass Tobi seine Ruhe haben wollte, um den perfekten Brief zu kreieren. Mal sehen, was dabei herauskam. Das erfuhr er nach Schulschluss. Gerade hatte er seine Tasche gepackt und wollte sich auf den Heimweg machen, als ihm ein Zettel in die Hand gedrückt wurde, der schon eindeutig bessere Tage erlebt hatte. Juhu, die Post war da gewesen. Während Tanja von ihrem Platz aus ihm neugierig zusah, stand der Absender schon im Türrahmen und beobachtete, wie sein ultimativ erster Versuch eines unschnulzigen Liebesbriefs ankam. Interessiert entfaltete Johannes das Blatt und brachte erst mal kurze Zeit, um das Gekrickel zu entziffern, da so viel radiert worden war – oder auch aus Faulheit durchgestrichen – dass man an manchen Stellen fast schon Detektiv spielen durfte. Aber schließlich verstand er, was hier genau von ihm gefordert wurde. So, besser habe ich es nicht hinbekommen. Und wehe, du lachst, dann schlag ich dich! Also einmalig fing es wirklich schon an, das musste man Tobi lassen. Und der Rest zeugte auch von stundenlanger Überlegung. T O B I T O B I I T O B I T O B I C T O B I T O B I H T O B I T O B I M T O B I T O B I A T O B I T O B I G T O B I T O B I D T O B I T O B I I T O B I T O B I C T O B I T O B I H T O B I T O B I Also irgendwie schon. Gut, dass er das so genau wusste, aber vielleicht wollte er es nicht so öffentlich in einem Brief zugeben. Und auch die beeindruckende Wahl der Füllwörter zeigte von Tobis etwas überdimensionalem Selbstvertrauen. P.S. Wir gehen am Freitagnachmittag Eis essen. Keine Widerrede! Da hatte sich wirklich jemand sehr viel Mühe gegeben, so wenig Kitschpotenzial wie möglich in den Brief zu legen, nur die ganzen Drohungen hätte er besser weglassen sollen, wegen denen musste sich Johannes die ganze Zeit ein Grinsen unterdrücken und er wollte nicht unbedingt geschlagen werden. Wenigstens hatte er heute seinen ersten 'Liebesbrief von doofe für doofe' bekommen und konnte demnach sehr stolz auf sich sein. Und natürlich auf Tobi, der das Ding zusammengebastelt hatte und dafür im gesamten Unterricht nicht zugehört hatte. Was für ein unglaublicher Liebesbeweis! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)