Mein Tischnachbar ist ein Idiot! von Skeru_Seven ================================================================================ Kapitel 28: ------------ „Los, Kevin, beeil dich, wir haben nicht den ganzen Tag Zeit!“, forderte Johannes seinen Bruder genervt auf, als dieser am Samstag morgen um halb elf endlich aufgestanden war und zum Frühstück wanderte. „In einer halben Stunde kommen Tanja und Tobi, also beweg deinen Arsch.“ „Oh, so autoritär heute morgen“, machte sich Vera über ihren jüngeren Bruder lustig, „muss ja etwas ganz Wichtiges sein. Es ist noch nicht mal elf und ihr steht freiwillig auf. Seid ihr krank? Oder habt ihr eine Wette verloren?“ „Nein, wir haben etwas vor“, erklärte Johannes ihr, während er das Plastikgeschirr aus den Tiefen des Küchenschranks holte und sich über die Abwesenheit des dazugehörigen Plastikbestecks ärgerte. „Sieht man doch, oder?“ Wo war das Zeug nur? Das benutzte sonst auch keiner, also musste es hier irgendwo herumliegen! Oder hatte seine Mutter wieder ohne Vorwarnung aussortiert? „Ihr beide zusammen?“ Langsam wurde es Vera fast unheimlich. Erst wurde Kevin wie von Zauberhand von seinem übermäßigen Fernsehkonsum geheilt und plötzlich unternahmen er und Johannes seltsame Dinge, die stark nach einem Picknick aussahen. Verkehrte Welt oder wie? Das taten doch keine normalen Jungs freiwillig. „Nicht nur.“ Mehr brauchte sie nicht zu wissen, fand Johannes und schnappte sich zufrieden die Gabeln und Messer aus dem billigsten Material des Universums; wieso versteckten sie sich auch in der Salatschüssel? Seine restliche Familie würde noch früh genug erfahren, wer seid neustem immer mit ihm abhing und ihre Reaktion konnte er sich schon vorstellen. Entweder entsetzt oder völlig entsetzt. Vielleicht auch volle Kanne entsetzt. „Aha, wer denn noch? Kenn ich diejenigen?“ Nach ihrem Gesichtsausdruck zu urteilen, nahm sie sofort an, es handle sich um mindestens ein Mädchen. Stimmte eigentlich sogar, außer Tanja hatte ihm jahrelang etwas verschwiegen, was er hätte wissen sollen. „Müsstest du.“ Genug Informationen, den Rest durfte sie sich sonstwoher zusammensuchen. Er jedenfalls benötigte Proviant, denn ohne diesen machte ein Picknick so viel Sinn wie ein PC-Spiel ohne Computer. Im Keller müsste noch viel Essen sein, gestern hatten seine Eltern erst den halben Supermarkt leergekauft und den danebenstehenden sicher auch. Irgendetwas Gutes würde sicher dabei sein, zur Not düste er noch schnell in den kleinen Gammelladen an der Ecke, in dem es alles und noch viel mehr gab. Nachdem Johannes sich für ihren Ausflug mit allen möglichen – und unmöglichen – Produkten, hauptsächlich Kuchen und solchem Süßzeug, eingedeckt hatte, warf er alles in ein kleines Körbchen, das ihm Vera unter die Nase hielt und wartete ungeduldig, dass Kevin freundlicherweise einen Zahn oder zwei zulegte und nicht bis an sein Lebensende im Bad am Waschbecken stand. Und in seinem Zimmer vor dem Kleiderschrank plus Spiegel. Kurz nach elf klingelte es an der Haustür und davor standen Tanja und Tobi, die sich gegenseitig gefährlich musternde Blicke zuwarfen. Langsam sollten sie sich vertragen, schließlich würden sie sich noch längere Zeit ertragen müssen, ob sie wollten oder nicht. Und das galt nicht nur für heute, sondern möglicherweise für die folgenden Monate. „Kevin kommt gleich, er schminkt nur gerade noch sein Ego“, berichtete ihnen Johannes und drückte der verwirrten Tanja das Körbchen in die Hand. „Ist erst vor einer halben Stunde aufgestanden, der Depp, der hat Nerven.“ „Sei nicht zu freundlich, er ist halt so.“ Tanja reichte den tonnenschweren Korb einfach an Tobi weiter, dem das gar nicht gefiel, einfach vom Mensch zum Packesel degradiert zu werden. „Außerdem ist eine halbe Stunde früh genug.“ „Schon, aber nur, wenn man die ganze Arbeit seinen Geschwistern überlässt. Vera musste Frühstück machen und ich das Picknickgedöns zusammenpacken.“ Faulheit gehörte manchmal wirklich bestraft. „Ich bin ja schon da.“ Seufzend trottete Kevin in dem Flur, um allen seine anbetungswürdige Anwesenheit zu präsentieren, was allerdings nur Tanja richtig freute. Johannes war es relativ egal und Tobi... der hatte andere Probleme. „Wir haben noch einen zusätzlichen 'Mitesser'“, warnte er Johannes vor und zerrte Sarah aus einem der Rosenbüsche, in dem sie bis vor einigen Sekunden fleißig auf Käferjagt gewesen war. „Meine Eltern fanden es nämlich eine tolle Idee, sie mir für heute anzudrehen, weil ich ja sowieso nichts Besseres vorhabe, als auf sie aufzupassen. Ignorante alte Leute. “ „Hallo Johannes!“, begrüßte Sarah ihn fröhlich, „bist du jetzt endlich mit Tobi zusammen?“ „Äh.“ Musste sie immer gleich auf dieses Thema wechseln? Aus ihr wurde später sicher eine gute Klatschtante. Eigentlich waren die zwei Probewochen um, er konnte theoretisch ein riesiges Schild mit 'Tobi und ich heiraten bald!' aufhängen und würde sich nicht strafbar machen, aber es der kleinen Schwester seines Freundes auf die Nase binden? Tobi fände das bestimmt alles andere als lustig. „Naja, also eigentlich, wie soll ich das sagen?“ Hoffentlich nervte er sie mit seinem doofen Vielleicht-Getue so sehr, dass sie es nicht mehr hören wollte, doch Tobi ersparte es ihm schnell. „Ja, sind wir, zufrieden, Frau Löhrchen?“ „Nenn mich nicht so“, beschwerte sie sich. „Du bist nur eifersüchtig, weil ich es vor dir gewusst habe, dass es so kommen wird.“ Ob Tobi tatsächlich auf Sarahs zweifelhaften Hellseherfähigkeiten neidisch war, blieb natürlich im Dunkeln, da die restlichen Teilnehmer des Ausfluges forderten, endlich loszugehen, damit sie im Park noch halbwegs schöne Plätze bekamen. In Zweiergrüppchen mit Sarah an der Spitze als die neue Körbchenträgerin liefen sie zur nächsten Bushaltestelle und warteten, dass der Bus, der sie zum gewünschten Zielort fahren sollte, sich beeilte. Was er wie immer nicht tat, man wurde ja nur dafür bezahlt, und mit einer Viertelstunde Verspätung verteilten sich die vier inzwischen leicht gereizten Jugendlichen inklusive Kind mit Gepäck in dem Fahrzeug, das auch schon bessere Tage gesehen hatte. Irgendwann in der Steinzeit ungefähr. „Das nächste Mal laufen wir da hin“, bestimmte Tobi, der es sich auf Johannes‘ Schoß bequem gemacht und als aller erstes einen Typen in ihrem Alter angefaucht hatte, weil dieser ihn als komisches Mädchen bezeichnet hatte. Trug er ein Kleid oder wieso nahm der Vollidiot das an? Vielleicht sollte dieser in eine Brille statt in coole Klamotten investieren. „Das will ich sehen“, rief Sarah, „du bist bestimmt der erste, der sich ein Privattaxi wünscht.“ „Klappe dahinten“; fuhr ihr Bruder sie an, „ nach deiner Meinung hat dich keiner gefragt.“ „Lass sie doch“, mischte sich Tanja ein, die zusammen mit Kevin auf der anderen Seite des Busses saß. „Wenigstens hat sie eine.“ „Könnt ihr einmal aufhören, euch zu streiten?“, fragte Johannes und plante beinahe schon, demonstrativ an der kommenden Haltestelle auszusteigen und zurück nach Hause zu gehen. Mit diesen Menschen wurde es nie ruhig, wo hatte er bloß das Klebeband liegen gelassen? „Wir streiten nicht, wir machen uns zur Schnecke, um uns gut zu fühlen“, berichtigte Tobi ihn und zupfte Johannes eine Staubflocke aus den Haaren, die es sich dort gemütlich gemacht hatte. „Macht Spaß, versuch es doch auch.“ „Nicht, wenn der ganze Bus zuhört.“ Der dumme Typ von vorhin schien sehr an ihrem Gespräch interessiert zu sein und weiter vorne saß ein Grüppchen anderer Jugendliche, die inzwischen auch lieber sie als Alleinunterhalter benutzten. Toll. „Kannst ja Geld dafür verlangen“, schlug Kevin vor. „Oder du lernst ganz schnell Telepathie, dann klappt das auch irgendwie.“ Die weitere Fahrt lang schwieg Johannes aus Protest und belauschte Tanja und Kevin, die sich über den Horror von Schulausflügen aufregten und die Lohrgeschwister bei einem anhaltenden Wortgefecht über dies, das und noch viel mehr. Und die anderen Fahrgäste taten es ihm gleich, obwohl sie eigentlich gar nicht verstanden, um was es hier ging. Was für Mitläufer. „Und wo lang jetzt?“ Der Bus hatte sie irgendwo am Ortsrand hinausgeworfen – Endhaltestellen sollten verboten werden – und nun standen sie hier und fragten sie, in welcher Richtung sich der sagenumwobene Park befand. Irgendwo in der Nähe, und mehr wussten sie auch nicht mehr. Peinliche Panne beim Picknick. Beziehungsweise vorm Picknick. Sarah kam schließlich auf den Gedanken, jemanden, der aussah, als hätte er Ahnung, nach dem Weg zu fragen, doch entweder tarnten sich alle, die ihnen weiterhelfen könnten oder sie wählte immer die falschen aus. „Wenn das so weitergeht, essen wir halt hier“, meinte Tanja und deutete auf den einladenden Asphaltboden mit den vielen kleinen Löchern drin. „Schmeckt doch überall gleich.“ „Dann hätten wir auch zuhause bleiben können“, meckerte Tobi sofort und Johannes hielt sich schon vorläufig die Ohren zu, um einem erneuten Zickenkrieg zwischen den zwei Ts zu entfliehen. Wie Kevin das bloß aushielt, ohne wenigstens etwas die Nerven zu verlieren. würde wohl auch eins dieser störenden Rätsel des Lebens bleiben. „Ich weiß, wo wir hin müssen“, unterbrach plötzlich Sarah die beiden und deutete auf eine kleine Seitenstraße. „Da hinten irgendwo.“ Dabei wirkte sie so stolz, als hätte sie soeben dem Osterhasen die Ostereier geklaut und im Internet versteigert. „Schön, und woher? Kannst du doch hellsehen?“ Skeptisch hakte sich Tobi bei Johannes ein und zog ihn in die angegebene Richtung. „Oder steht ein Schild hier, das keiner aus dir schlauem Kind gesehen hat?“ „Da vorne ist ein Stadtplan.“ Nach diesem kleinen Zwischenfall landeten alle fünf halbwegs wieder in Normalzustand in der ungewöhnlich grünen Oase – Johannes tippte auf Kunstrasen – und breiteten eine deutlich zu kleine Decke aus, auf der sie mit allem Zubehör kaum Platz fanden. Vielleicht hätten sie vorher achten sollen, nicht das nächste Bettlaken aus dem Schrank zu ziehen. „Viel zu viel Natur“, moserte Tobi und verscheuchte eine Taube, die ihm sein Törtchen klauen wollte. „Überall krabbelt es, das nervt.“ „Du nervst auch, hier ist es schön!“ Wie immer ließ sich Sarah von ihm nicht die Stimmung ruinieren und fütterte den hungrigen Vogel mit einem Stück ihres Kuchens. „Aber du kannst eh nur rumnörgeln.“ „Stimmt gar nicht, ich sage nur die Wahrheit.“ „Leute, aufhören.“ Wenn das nicht bald aufhörte, würde er sich einen Sonderplatz suchen, auch ohne Decke, aber mit dem Essen, beschloss Johannes. „Esst, genießt es und haltet die Klappe.“ Nach einigen Minuten hielten sich endlich alle daran und bald rannte Sarah irgendwo zwischen den Bäumen herum und sammelte Insekten, um sie später ihrem Bruder ins Bett zu legen. Natürlich ohne dass dieser etwas von diesem Plan ahnte, dann wäre ja der Witz weg. „Oh Mann, jetzt ist mir schlecht“, stöhnte Johannes nach dem dritten Stück Kuchen und einer Ladung seltsamen Obstsalats, in dem sich scheinbar noch ganz andere Dinge befanden außer Trauben und Melonen. Dass sich Tobi zusätzlich auf ihm breit machte, half ihm kein bisschen, das verschlimmerte alles nur noch. Tanja und Kevin bewarfen sich gerade mit einigen Karottenstückchen und trafen dabei in 99 Prozent der Fälle alles außer ihrem Ziel, nämlich Johannes‘ Gesicht, Tobis Haare und sogar den Inhalt des einzig vollen Platikbechers. Ob Kakao mit Möhre gut schmeckte? Johannes konnte in seinem momentanen Zustand darauf verzichten zu probieren. „Wenn du kotzen musst, sags vorher.“ Wie so oft bei aufkommender Langweile fand Tobi es ganz interessant, ihn von oben bis zu erkunden und ging Johannes gleich noch auf den Geist, dass sie ihr „Johannes übernimmt die Führung-Training“ so schnell wie möglich fortsetzen sollten, damit bald endlich etwas mehr passierte. Auf was er hinauswollte, war natürlich klar. „Sag mal Tobi“, murmelte Johannes ihm ins Ohr, „denkst du auch mal an was anderes? Man kann eine Beziehung auch ohne 'es' führen, schon gewusst?“ „Nee, natürlich nicht, dafür bin ich zu blöd.“ Zur Strafe für diese gemeine Unterstellung ging Tobis Zunge in Johannes Mund auf Wanderschaft, bis sie das Gefühl hatte, genug gesehen zu haben. „Musste das sein?“ Direkt vor seinem Bruder, das ging den eigentlich gar nichts an. „Jeder darf das, wir auch. Was glaubst du, was dein Bruder und Tanja machen, wenn sie allein sind?“ Das wollte sich Johannes nicht unbedingt vorstellen, es reichte, wenn sie es selbst wussten. Privatsphäre war nicht umsonst privat, oder? Die folgenden Stunden lagen sie weiter auf der Decke, beobachteten Sarah bei ihrer Mission, auf jeden Baum zu klettern und fast nicht mehr herunterzukommen, verteidigten ihr Plätzchen gegen einen Haufen Mütter mit Kinderwagen und chillten einfach. Tobi nötigte Johannes außerdem wieder, in aller Öffentlichkeit seine Belästigungen zu ertragen – schließlich durfte er es nun offiziell – und versuchte ihn dazu zu bringen, heute Nacht bei ihm zu übernachten. Unglaublicherweise sogar mit Erfolg, da Johannes im Moment seine netten fünf Sekunden hatte. „Ich bin müde, ich will nach Hause.“ Quengelnd setzte sich Sarah neben Johannes und trommelte so lange mit einer Gabel auf den Korb ein, bis auch der letzte von ihnen genervt einwilligte, den Rückzug anzutreten. Zwar hätten sie noch länger hier herumliegen können, aber zuhause war es ja auch schön. Und außerdem hatte sich Tanja ausversehen den halben Kakao über ihre Bluse geleert, was Tobi richtig lustig gefunden hatte. Schadenfreude gehörte immer noch zur besten Freude. Solange, bis man selbst davon betroffen war. Diese Mal verlief die Busfahrt nur halb so chaotisch wie bei der Hinfahrt, was ihnen allen aber ganz recht war, da sie mit der Zeit in den Schlafmodus verfielen und knapp von Kevin an ihrer Haltestelle geweckt wurden, da er einer dieser Menschen war, denen beim kürzesten Nickerchen im Bus furchtbar schlecht wurde. Auf der Hälfte des Weges verabschiedeten sich erst Kevin und Tanja von ihnen, da sie noch einen Kinobesuch geplant hatten – natürlich allein – und dann Sarah, die ohne ihren großen bösen Bruder nach Hause gehen musste, weil dieser sich für heute Nacht bei Johannes einquartiert hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)