Eistränen von Kimiko_Grey ================================================================================ Kapitel 15: Klinikaufenthalt ---------------------------- Vom Krankenhaus in die Klinik. So hatte ich mir das nicht vorgestellt. Ich hatte meinen Rippenbruch auskuriert und meine Eltern, sowie mein Bruder holten mich ab. Meine Sachen waren gepackt und ich saß auf meinem gemachten Bett wie auf heißen Kohlen. Als sie reinkamen sprang ich auf wie ein Flummi, so sehr freute ich mich darauf, dass ich nach Hause könnte. Jedoch schien die Freude nur einseitig zu sein. Mein Vater erklärte mir, dass ich nicht nach Hause komme, sondern nach Okinawa in eine Klinik für Essstörungen. Ich wurde wütend: „ICH HABE KEINE ESSSTÖRUNG!!!“ schrie ich ihn an, doch er blieb unerbittlich. Seiya und meine Mutter versuchten zu vermitteln. „Kimiko sieh es ein“ sagte mein Bruder. „Du bist nichts weiter als Haut und Knochen, wo ist denn meine hübsche Yumi geblieben?“ Meine Mutter war den Tränen nah. „Willst du sterben?“ Ich erinnerte mich an das was mir widerfahren war und dachte, wenn ich tot bin, kann Haku mich nicht mehr missbrauchen. „JA“ antwortete ich barsch und fing mir das erste und letzte Mal eine saftige Ohrfeige von meinem Vater ein. Geschockt und mit offenem Mund starrte ich ihn an. „Du wirst in diese Klinik gehen! Schon morgen werde ich dich persönlich dort abliefern. Ich will meine einzige Tochter nicht zu Grabe tragen müssen.“ Ich schwieg. Was sollte ich tun? Ich war noch nicht volljährig. „Wir haben dich bereits vom Training beurlauben lassen“ sagte mein Vater. „Ich verstehe dich nicht Kimiko. Wogegen rebellierst du? Ist deine Familie denn so schlecht zu dir?“ Ich schwieg. Ich erwartete nicht, dass mein Vater mich verstehen würde. Mir lag nur der Gedanke im Kopf: „Was wird Haku denken und mit mir machen, wenn ich wieder zurückkomme?“ Alles brachte nichts. Ich kam nach Hause und musste meine Sachen für die Klinik packen. Sechs Monate sollte ich dableiben, bis ich mein Mindestgewicht wieder erreicht hatte und ich wusste es wird ein Horrortrip, und das obwohl ich keine Ahnung hatte, dass ich nicht nur pures Fett essen sollte, sondern auch damit anfangen musste irgendwelchen Therapeuten zu erzählen, warum ich so rapide abmagerte. Am nächsten Morgen weckte mich mein Vater und nach einem Glas Milch verfrachtete er mich ins Auto. Meine Mutter kam mit, mein Bruder musste in die Schule. Zunächst fuhren wir mit dem Auto bis zum Hafen, eine Fähre sollte uns auf die Oki-nawa Inseln bringen. Mir war klar, dass mein Vater ganz bewusst diese Klinik aus-gewählt hatte, denn Okinawa ist eine weitere Insel von Japan die man nur mit dem Schiff überwinden kann. Er dachte nämlich auch daran, dass ich abhauen könnte. Das war auch mein erster Gedanke, als ich das triste Gebäude nur von außen sah. Ich seufzte. Mein Gewicht war so weit unten, dass ich keine Kraft hatte meine Ta-sche zu tragen. Die Klinik in der ich nun einige Monate verbringen sollte, bis ich mein Mindestgewicht erreicht hatte lag inmitten eines kleinen Wäldchens, hier war wenig vom Großstadtflair in Tokio zu spüren. Große Eichen, umsäumten die Klinik, von irgendwoher hörte ich einen kleinen Bach plätschern. Ich war immer gern am Wasser gewesen, Wasser hatte eine beruhigende Wirkung auf mich. Mein Vater nahm meine Tasche, schloss den Wagen ab und ging voraus. Meine Mutter und ich folgten ihm über einen Hof zu einem Gebäude an dem mit großen Schriftzeichen „Klinikverwaltung“ an eine weiße Tafel gepinselt worden war. Wir betraten die Steinstufen wobei ich mich immer wieder nervös umsah. Ich hasste diese Klinik, die ich nur von außen gesehen hatte jetzt schon. Aber ich hatte nicht mal die Kraft zu rebellieren, geschweige denn mich am Treppengeländer festzuklammern. Das war doch irgendwie kindisch. Also folgte ich meinem Vater in die Klinikverwaltung. Der graue Linoleumboden war frisch gebohnert worden und glänzte fast wie Marmor. Überall hingen Bilder an den Wänden, die diesem tristen Korridor wohl ein bisschen Farbe verleihen sollten. Ich fand sie unpassend und fast bedrohlich, so wie ich diese gesamte Situation empfunden hatte. In diesem Korridor stand nichts weiter als eine Holzbank vor einer Tür auf der „Klinikbüro“ stand. Ich stellte mich an ein Fenster am Anfang des Korridors und sah in den hübschen kleinen Hof über den wir hereingekommen waren. //Ich bin im Knast// dachte ich frustriert und ich wollte nur eins: Schnell wieder raus hier. Mein Vater klopfte an die Tür und eine weibliche Stimme bat ihn herein. Wir betraten wie die Entenfamilie ein großes Büro. Auf der linken Seite erblickte ich ein Regal das von oben bis unten mit Ordnern vollgestopft war auf denen Mädchennamen draufstanden. Eine Frau in den Vierzgern lächelte und erhob sich. „Guten Tag, ich heiße sie herzlich Willkommen, mein Name ist Kariko Tokoyama ich bin die Klinikleitung. Nehmen Sie doch bitte Platz.“ Sie deutete auf drei Stühle und setzte sich dann ihrerseits auf ihren eigenen. Wir setzten uns ebenfalls, mein Vater rechts, meine Mutter links und ich in die Mitte der beiden. Frau Tokoyama lächelte immer noch und plötzlich musste ich an den jungen Blonden vom Vortag denken, der mir ein so hinreißendes Lächeln geschenkt hatte. Die Klinikleitung musterte mich und ihrem Lächeln fügte sich ein Ausdruck von Mitleid hinzu. Ich überlegte ob der junge Mann mich auch mitleidig angesehen hatte aber ich kam nicht dazu meinen Gedanken weiter zu führen, denn Frau Tokoyama begann das Gespräch. „Ich hoffe Sie hatten eine angenehme Reise, das ist also unsere neue Patientin.“ Sie schaute in die Unterlagen. „Kimiko Yumi Kudo.“ Dann sah sie mich an. „Möchtest du auch Kimiko Yumi genannt werden, oder reicht es wenn ich Kimiko zu dir sage?“ „Nur Kimiko“ antwortete ich knapp. Sie schrieb sich was auf einen Zettel. Neben ihr stand lag ein Ordner und mehrere Formulare. „Gut, also. Es sieht folgendermaßen aus. Wir betreuen in unserer Klinik 63 Patienten mit verschiedenen Suchterkrankungen. Ich werde Ihnen nachher die Häuser zeigen. In Haus 1 werden Rauschgiftpatienten behandelt, derzeit haben wir 10 Patienten in diesem Haus, sie leben dort und bekommen dort therapeutische Unterstützung. In Haus 2 werden Patienten behandelt, die dazu neigen sich selbst zu verletzen, das ist das sogenannte „Karantäne-Haus“ dort haben wir 9 Patienten. In Haus 3 werden Schizophreniepatienten behandelt, das derzeit mit 11 Patienten belegt ist und Haus 4 ist das größte Haus für Essstörungen mit 33 Patienten die unter Bulimia Nervosa, also Bulimie und Anorexia Nervosa also Magersucht behandelt werden. Haus 4 ist in drei Stationen unterteilt. Station eins beinhaltet 8 Patienten mit dem Binge Eating Syndrom, der sogenannten Fresssucht, Station 2 ist die Station für Bulimische Patientinnen mit 10 Patienten und Station 3 ist die Anorexische Station mit 15 Patientinnen.“ Ich verstand nur die Hälfte von dem was sie erklärte, ich muss sagen, es interessierte mich auch überhaupt nicht, ich wollte nur eins: Weg hier. „Es wird nun so ablaufen. Ich werde Ihre Tochter untersuchen, Größe und Gewicht sind natürlich das wichtigste, dann bekommst du einen Fragebogen, den du mir ausfüllst und du musst ehrlich sein denn ich muss wissen ob du bulimisch oder anorexisch bist.“ Bulimisch, Anorexisch??? Scheiß doch drauf dachte ich, ich bin nichts dergleichen. Nach einigen weiteren Formalitäten wie Versicherungstechnischen Dingen, Telefonnummern im Notfall usw. schickte sie meine Eltern raus und stellte mir einige Fragen. Wie lange, Was ich täte – oder eben nicht täte, wie es dazu kam usw. Aber ich antwortete nicht. Ich sagte ihr nur dass ich Sportlerin bin. „Sport ist absolut verboten!“ ermahnte sie mich. „Unsere Patientinnen haben allerlei Tricks entwickelt sich vor dem Essen zu drücken und sie sind dabei äußerst erfinderisch.“ //Na ganz große Klasse// dachte ich. Kurz darauf musste ich mich bis auf die Unterwäsche ausziehen und mich auf eine Waage stellen, an der man gleichzeitig meine Größe messen konnte. Sie notierte während sie sagte. „Du bist 1,62 groß und wiegst nur noch 34 Kilogramm. Das ist definitiv zu wenig. Wärst du nur eine Woche später gekommen, wärst du glaube ich tot.“ Sie machte noch ein Polaroid Foto von mir in Unterwäsche, was sie mir kurz darauf in die Hand drückte. Ich muss sagen ich war entsetzt darüber wie ich aussah. Wir Magersüchtigen sehen uns ganz anders. Der Spiegel sagt uns immer „Du bist zu Fett!“ egal wie mager wir wirklich sind. Ich hielt das Foto in der Hand, war entsetzt und gleichzeitig überrascht wie ich mit dieser Figur überhaupt überleben konnte. Von meiner einst Elfenhaften Gestalt um die mich viele beneidet hatten war nichts mehr übrig. Man sah Schlüsselbeine, Becken und die Rippen konnte man zählen. Das war nicht ich. Nun erkannte ich zum ersten Mal was die Krankheit aus mir machte – was Haku mit seinem Missbrauch aus mir gemacht hatte. Ich wollte das so nicht. Ich war nicht mehr hübsch, ich sah aus als käme ich gerade aus irgendeiner Gruft. Meine schönen blauen Augen hatten ihren Glanz verloren, dunkle Schatten umrahmten sie nun. Mein Kopf wirkte viel zu groß für meinen Körper, ebenso meine Hände. Sie passten überhaupt nicht zu mir. Meine Adern traten deutlich unter der gräulich wirkenden Haut hervor. Ich legte das Foto auf den Tisch; mit der trockenen Zunge fuhr ich über meine noch trockeneren Lippen und schluckte. „Du bist entsetzt, richtig? Das sehe ich in deinen Augen. Aber ich sehe noch etwas anderes, das viel beunruhigender ist. Deine Augen strahlen Angst, Schmerzen und Verzweiflung aus. Ich kann nur vermuten was dir so eine Angst macht und was dich in diese Krankheit getrieben hat. Das musst du dir eingestehen. Anorexia Nervosa ist eine schwere psychische Krankheit mit oft noch schwereren physischen Folgen.“ Ich nickte. „Wir werden schon dafür sorgen, dass du wieder auf dein gesundes Gewicht kommst.“ Nachdem ich mich wieder angezogen hatte, wobei mir jeder Knochen schmerzte und mir oft schwindlig wurde, setzte ich mich wieder. Nun merkte ich wie weh das Sitzen auf diesem harten Stuhl tat, denn meine Poknochen waren ebenso hervorgetreten wie alle anderen meines Körpers. Ich nahm den Kugelschreiber und füllte den Zettel wahrheitsgemäß aus. Sie las ihn sich durch und erklärte, dass sie vermutet hatte, dass ich Anorexisch war. Ich konnte dieses Wort nicht mehr hören. Sie rief meine Eltern wieder herein erklärte ihnen die vorläufige Diagnose und was das nun für mich und für die gesamte Familie bedeutete. Dann zeigte sie uns die Klinik und brachte mich dann in Haus 4 auf Station 3. Es roch nach Essen, mir wurde schlecht. Unterwegs drückte sie mir einen Tagesplan in die Hand. 6:00Uhr Aufstehen 7:00 Uhr Frühstück 8:00Uhr bis 10:00Uhr Gruppentherapie Zwischenmahlzeit 10:30Uhr bis 11:30 Uhr Einzelgesprächstherapie 12:00Uhr Mittagessen 12:30Uhr bis 14:00Uhr Therapie 14:00Uhr Zwischenmahlzeit 14:15 Uhr bis 16:00Uhr Schule 16:00Uhr Zwischenmahlzeit 16:30Uhr bis 17:30Uhr Freizeit (verschiedene Aktivitäten werden angeboten) 18:00Uhr Abendessen 19:00Uhr Gruppentherapie 20:00Uhr Zwischenmahlzeit 20:00Uhr bis 22:00 Uhr Freizeit 22:00Uhr Nachtruhe //Du meine Güte// dachte ich. So krass durchstrukturiert das ist ja Wahnsinn. Und dann auch noch – ich zählte – sieben Mahlzeiten!!! Wer zum Kuckuck sollte das denn bitte alles essen???? Mir wurde schlecht. Und dann auch noch Therapien – Gesprächstherapien!!! Ich musste mit den Leuten reden. Das ging gar nicht. Ich war schon jetzt bedient. Aber das war noch gar nichts im Gegensatz zu dem WAS sie mir auf den Tisch stellen sollten und was ich dann auch komplett aufessen musste. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)