Fensterschreiben von Technomage (Every day is writing day) ================================================================================ Zum Prophezeien in den Keller gehn (18.01.2010) ----------------------------------------------- In Nora Winters' Keller lebte eine Schamanin. Sie war dort nicht eingesperrt oder wurde gegen ihren Willen festgehalten, sondern war einst auf ihren Reise dort gestrandet und sehr entschieden zu bleiben. Ihre Welt befand sich nun dort, wäre wohl treffender gesagt. Ihre Domäne. Außerdem ihr extravagantes 4ZKB – Apartment. Ihre Tore zu den Reichen der Elemente. Ihr Lehrling. Details, seufzte Nora. Die Schamanin war dort und machte keine Anstalten so bald wieder zu verschwinden. Kein Sinn, etwas ändern zu wollen, was feststeht und sich dazu auch noch an den Mietnebenkosten beteiligt. Davon abgesehen, musste Nora sich eingestehen, gab es recht wenig an der Schamanin auszusetzen: Kein Krach und keine Beschwerden wegen Lärmbelästigung, da ihre Domäne von außen nicht wahrzunehmen war. Nora hörte die Beschwörungsgesänge und Mitternachtsrituale erst, wenn sie den Keller betrat. Manchmal kam sie hierher, wenn sie nicht schlafen konnte und lauschte dem Rasseln der Trommeln und Brodeln des alten Kessels, bis sie müde wurde. Gelegentlich schickte die Schamanin ihren Lehrling Emerson, ein zittriges Reh, hinauf, um ihr Flaschen mit kränklich rosaner Flüssigkeit zu schenken. Nora hatte versucht dankend und angewidert abzulehnen, doch an Regentagenwochenenden fand sie sich mit einer leeren Flasche auf der Couch wieder; an der Decke Goldfische und Herzstolpern beobachtend. Wenn sie morgens zur Arbeit ging, dann begegnete ihr oft die Schamanin an den Mülltonnen. Sie schaufelte Fischköpfe und andere ausgedeutete Meerestiere, neben den abgenutzten Flicken alter Talismane, in den tristen Einheitsmüll der restlichen Hausbewohner. Sie stand aufrichtig und gerade und stützte sich doch auf einen knorrigen überwundenen Gehstock. Die Schamanin reichte Nora bis zum Kinn, doch warf einen längeren Schatten. Lächelnd sagte sie ihr das Wetter des Tages vorher, bevor sich ihre Wege trennten. Nora musste die Straßenbahn kriegen – die Schamanin zurück in ihre Domäne. Manchmal, wenn sie nachts aus einem rastlosen Traum aufschreckte, dann glaubte Nora sehr leise die Trommeln hören zu können. Weniger aus dem Keller, sondern viel mehr in ihrem Kopf. Vielleicht brauchte sie Mitbewohner. „Schamanin?“, fragte Nora. Sie war auf Tee zu Besuch bei der alterslosen Dame und beide saßen am Ufer eines klaren Bachs, der sich in eine grüne Talsohle hinab ergoss. Emerson hing am anderen Ufer Decken und Ponchos in vibrierenden Farben zum Trocknen auf. „Kannst du mir weissagen, wie ich den Mann meiner Träume finde?“ „Du solltest mehr vor die Tür gehen und Gelegenheiten, die sich eröffnen, nicht immer auf die Goldwaage legen, bevor du dich entscheidest. Du solltest außerdem nicht zuviel erwarten und davon ausgehen, dass der Mensch, den du triffst, die gleichen Ängste hegt. Außerdem schadet es nicht mehr Querstreifen zu tragen.“ „Das klingt nach dem Ratschlag einer Lebensberaterin und nicht nach einer Weissagung.“ Nora rümpfte die Nase. „Das war es auch. Ich bin mit dem zweiten Gesicht gesegnet.“ „Und wie erkenne ich einen wahren Freund, dem ich alle meine Ängste und peinlichen Verrücktheiten anvertrauen kann?“ „Erwarte nicht, dass ein Mensch auf alles eine Antwort weiß, ohne dass du dich ihm gegenüber öffnest und mitteilst. Die Einsicht kann immer nur so tief sein wie deine Blöße.“ Nora schüttelte nur nichtssagend den Kopf. Während die Schamanin den Bodensatz der beiden irdenen Tonbecher in den Fluss ausleerte, war Nora bereits aufgestanden und hatte ihren Rock glatt gestrichen. „Muss mich langsam umziehen. Meine neuen Mitbewohner sollten demnächst ankommen.“ „Hol' dir eine Pizza Funghi bei Antalia's, wenn du später noch Hunger bekommst. Sie ist heute nicht versalzen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)