Tylen und ich von Cookie-Hunter ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Freistunden. Gleichbedeutend mit Langeweile, wenn es keine richtigen Freunde gibt, mit denen man sie verbringen kann. Oder diese Freunde sitzen zur Zeit in ihren Kursen. Ich hocke in einem der leeren Kursräume und versuche die Zeit totzuschlagen. Irgendwie muss man die Zeit ja rumkriegen. Wären diese Tische hier nicht so unbequem würde ich mich ja glatt schlafen legen. Schlafen könnte ich beinahe den ganzen Tag. Aber es muss ja auch noch eine andere Möglichkeit geben. Unser Kurs ist gerade der einzige der frei hat und meine Mitschüler hocken irgendwo anders und werden so schnell auch nicht hier auftauchen. Nach uns kommt noch ein anderer Kurs hier rein. Vielleicht sollte ich es riskieren. Immerhin gibt es einen Schwamm. In letzter Zeit bin ich ja leider nicht viel zum Zeichnen gekommen und mit Kreide ist das auch schon eine halbe Ewigkeit her. Das Format der Tafel stellt allerdings eine Herausforderung dar. Querformat benutze ich eh schon so selten und jetzt auch noch so ein unförmiges. Dennoch. Es juckt mir gerade einfach zu sehr in den Fingern, als dass ich es noch sein lassen könnte. Zeit habe ich auch noch und alle Beweismittel lassen sich schnell vernichten. Zaghaft setze ich den ersten weißen Kreidestrich, dann den nächsten und übernächsten und immer so weiter. Schon steht das Grundgebilde. Plötzlich höre ich Schritte und Stimmen auf dem Flur und sofort verkrampft sich mein ganzer Körper. Wenn einer sieht, was ich hier mache, werde ich als verrückt abgestempelt. Ich bin schon die Außenseiterin, da will ich nicht auch noch die Verrückte sein. Aber die Schritte und Stimmen gehen an dem Raum vorbei. Glück gehabt. Weiter geht’s. Es wird ein Schlangenmensch. Ein männlicher Schlangenmensch, weil ich die männlichen Proportionen noch üben muss und will. Es wird ein richtig Hübscher. Die einzelnen Striche gehen mir ganz leicht von der Hand. Das feine, geheimnisvolle Gesicht, die schlanke Figur, die in einem wunderschön geschwungenen Schwanz endet. Er wirkt ungemein anmutig, obwohl ich ihm eine liegende Position vorgegeben habe. Vor allem aber mag ich den Blick, den er bekommen hat. Verführerisch und geheimnisvoll, gleichzeitig denkt man, er sieht das Innere seines Gegenübers. Zwischendurch gehe ich immer mal wieder ein, zwei Schritte zurück, um zu sehen, wie er insgesamt aussieht. Nachdem ich mit der Gestaltung fertig bin fange ich an die Schatten einzufügen, indem ich die Kreide ein wenig verwische an den entsprechenden Stellen. Schattensetzung ist für mich ein wichtiger Teil bei einem Bild, damit es lebendiger wirkt. Nach dem Verwischen ziehe ich noch die Striche wieder nach, um eine klare Linie zu erzielen. Damit fertig trete ich endgültig zwei Schritte zurück und betrachte, was ich dort zustande gebracht habe. Ich bin zufrieden. Richtig zufrieden. Das heißt schon was bei mir. Nur schade, dass ich die Tafel nicht mitnehmen kann. Das ist eines der Bilder, die ich gerne aufheben und behalten möchte. Und mein blödes Handy hat keine Kamera. Kann sich das einer vorstellen? Schade, wirklich Schade. Das dämpft wieder die Freude über das gelungene Werk. Leicht niedergeschlagen lege ich den Rest Kreide auf den Lehrertisch. Ein schneller Blick auf die Uhr sagt mir , dass ich doch einiges an Zeit gebraucht habe. Da kann ich schon fast meine Sachen zusammensuchen und mich schleichend zum nächsten Raum bewegen. Kaum habe ich mich jedoch umgedreht, poltert es ziemlich laut hinter mir. Hoffentlich ist die Tafel nicht runtergefallen. Vor ein paar Monaten soll das wirklich hier an der Schule passiert sein. Hätte beinahe einen Lehrer platt gemacht. Allerdings sagt mir das schmerzhafte Aufstöhnen etwas ganz anderes. Was geht hier eigentlich vor? Ich hole tief Luft, höre es hinter mir ächzen. Ganz langsam und mit noch immer weit aufgerissenen Augen drehe ich mich um, damit ich sehen kann, wer oder was diese Geräusche verursacht. Ich kann gerade noch einen gellenden Schrei unterdrücken als ich sehe, was ich lieber nicht gesehen hätte. Die Tafel ist genauso grün wie vorher. Nicht ein weißer Strich ist zu sehen. Dafür liegt etwas am Boden. Ganz weiß und jede Kontur ist eine schwarze Linie. Ich bin nüchtern, nüchterner geht es gar nicht. Und wach bin ich ebenfalls. Sogar darin bin ich mir mehr als nur ziemlich sicher. Trotzdem. Vor mir steht der von mir eben gemalte Schlangemann. Live und in…. Schwarz-weiß. Aber genauso schön, wie ich ihn mir vorgestellt hatte. Dennoch: Wie kommt es, dass mein Bild lebendig geworden ist? „Hallo Schöpferin.“ Jetzt kann es auch noch sprechen! Entgeistert sehe ich ihn an, während er sich an mich heranschlängelt. Träume ich vielleicht, dass ich wach bin und in der Schule sitze? Zutrauen würde ich das meinem verrückten Kopf, wenn ich an all die seltsamen Träume denke, die ich schon hatte. Plötzlich ist es… er… mir ganz nah und sieht mir direkt in die Augen. Irgendwie wird mir die ganze Sache von Sekunde zu Sekunde unheimlicher. Was will der von mir? „Farbe.“ „Wie?“ „Verleiht mir bitte Farbe.“ Der kann auch noch Gedanken lesen. Aber wie soll ich ihm Farbe verleihen. Ich habe nichts dabei, womit ich ihn ‚anmalen’ könnte. Ich weiß ja nicht einmal ob das überhaupt funktionieren würde. Stotternd teile ich ihm…es… wie auch immer mit was mir gerade durch den Kopf gegangen ist. „Schade“, sagte er und züngelt ein wenig. Ein wenig geknickt lässt er den Kopf hängen. Jetzt tut er mir schon fast ein wenig Leid. Er ist wirklich hübsch geworden. Wenn ich ihn mit Farbe versehen könnte, wie würde ich ihn dann aussehen lassen? Meine Augen huschen über dieses Wesen, das eigentlich gar nicht existieren dürfte. In meinem Kopf definieren sich die Farbtöne, die ihn ausmachen. „Eiche. Helle Eiche.“ Verwundert sieht mich mein Wesen an. „Für deine Haut. Ich fände ‚helle Eiche’ schön“, erkläre ich ihm und streiche zögernd über seinen Oberarm. Zu unser beider Überraschung entsteht genau die Farbe, die ich gerade beschrieben habe an den Stellen, an denen ich ihn berührte. Noch immer ein wenig vorsichtig, zugleich jedoch auch ein wenig neugierig, lasse ich die Hand einfach auf seinem Unterarm liegen. Tatsächlich, es ist so wie ich gedacht und auch ein kleines bisschen gehofft habe: Die Farbe breitet sich aus. Erst der ganze rechte Arm, von dort aus zur Brust und auf dem Weg zum linken Arm fließt die Farbe auch ins Gesicht und den Bauch. Auch der Rücken wird nicht vergessen. „Macht weiter. Bitte.“ Gott, ich bin es gar nicht gewohnt mit ‚sie’ angesprochen zu werden. Das wird selbst hier in der Oberstufe nur sporadisch verwendet. Aber nun zurück zu meinem kleinen ‚Problem’. Mit einem faszinierten Lächeln im Gesicht streiche ich durch sein Haar, murmle dabei: „Dunkles Tannengrün mit moosgrünen Strähnen.“ Genießend bewegt er den Kopf meiner Hand entgegen, hat dabei ein glückliches und zufriedenes Lächeln auf den noch blassen Lippen. Das Ergebnis sieht exakt so aus, wie ich es vor Augen hatte. Mein Schlangenmensch, mein Naga, scheint völlig begeistert zu sein, von dem, was ich hier tue. Sogar der Puschel an seiner Schwanzspitze ist in der selben Farbe, wie die Haare. Jetzt fehlt eigentlich nur noch der Hauptteil: Das Schuppenkleid. Die gleiche Grundfarbe, wie das Haar und darüber ziehen sich die zwei Linien, die sich wie eine senkrechte Linie Maschendraht immer wieder überkreuzen, in eichenblattgrün dahin. Passend zu seinem Teint. Hm… vielleicht noch rehbraune Punkte in jedem entstandenen Karo. Fasziniert betrachte ich, wie meine Vorstellungen Wirklichkeit werden. Aber die Punkte können ruhig auch etwas unförmig sein. Schon viel besser. Mit dem Finger setzen ich weitere Punkte. Immer rechts und links von der Stelle, an der sich die beiden Linien schneiden. Doch hat was. Es fehlt nur noch eine Kleinigkeit. Sowas wie: „Gelbe Sprenkel. Blassgelbe, um genau zu sein.“ Ein freudiges Quietschen kommt mir über die Lippen. Das macht Spaß etwas auf diese Weise mit Farbe zu versehen. Plötzlich spüre ich, wie etwas meine Beine streift. Ein schneller Blick nach unten verrät mir dann auch wieso: Mein Kunstwerk ist gerade dabei mich buchstäblich einzuwickeln. „Mehr Farbe. Malt mich fertig. Bitte.“ Dabei sieht er mit strahlenden und zugleich bittenden Augen an. In dem Moment zischt mir ein einziger Gedanke durch den Kopf: „Amethyst.“ Sanft fahre ich mit dem Finger über seine Augenlider, wozu er die Augen schließen muss. Als er sie wieder öffnet strahlt mir ein klares Lila entgegen, das funkelt wie bei den Edelsteinen. Atemberaubend. Jetzt fehlen nur noch die kleinen Details, wie zum Beispiel das bisschen Schmuck aus Federn an Hals und Ohr und der Metallreif am linken Oberarm. Naturfarben für das Eine und Silber für das Andere. Nein, nein, doch lieber Gold, das harmoniert besser mit dem Rest. Was als nächstes? Hm, wenn mich da nicht ständig etwas am Ohr kitzeln würde, würde ich auf eine Antwort kommen. Immer wieder schlage ich dieses Etwas weg, bis ich merk, dass das die Schwanzspitze meines Nagas ist. Ohne es zu merken hat er sich um meinen ganzen Körper geschlungen. Was mach ich denn jetzt? „Schenkt mir das Leben. Ich flehe euch an.“ Das Leben schenken? Wieso? Er steht doch hier genau vor mir. „Wie soll ich das denn machen?“, frage ich ihn. Immerhin ist das ein Detail, das geklärt werden sollte, bevor ich dem absurder weise zustimmen sollte. „Ich wüsste da was.“ Oh mein Gott. Er kommt näher. Ohne meine Erlaubnis. Der will mich doch nicht etwa? Ich hatte ja nicht mal einen Freund! Traurig, nur leider wahr. Ich kann mich nicht einmal dagegen wehren, weil der meine Hände festhält. Und wenn er mich so anschaut…. Ich hätte eine andere Farbe für die Augen nehmen sollen. Nein, ich hätte sie ihm gar nicht so verführerisch malen dürfen. Niemals. Aber wer rechnet auch schon damit, dass eine Zeichnung an der Tafel lebendig wird. Genau: Niemand. Oh… mein…Gott. Oh mein Gott. OhmeinGott. OhmeinGott. OhmeinGott. Er tut es. Er küsst mich. Er küsst mich wirklich. Das fühlt sich so gut an. Richtig gut. Irgendwie fühlt er sich plötzlich ganz anders an. Die Hände werden wärmer, aber der schuppige Schwanz wird zunehmend kälter. Leider hört er auch schon auf mit dem Kuss. Warmer Atem wird gegen meine Lippen gehaucht. Bedeutet das jetzt, dass er lebt? Vorsichtig lege ich meine Hand auf seine Brust. Tatsächlich. Ich kann einen Herzschlag fühlen. Ich bin wirklich im falschen Film, komme ich mir doch gerade vor wie Frankenstein mit seinem Monster. Es lebt! Nein. Nein, nein, nein, nein. Das Ganze ist doch zu absurd um wahr zu sein. Meine Fantasie geht heute strikt und einfach mit mir durch. Als ob eine Zeichnung an der Tafel lebendig werden könnte. Das ist unmöglich. Ich sollte wirklich aufhören mir solch unmögliche Szenarien auszudenken. Wenn das so weitergeht fange ich wirklich noch an ernsthaft zu denken, dass das, was ich mir vorstelle, sich wirklich in der Realität befände. Nachher werde ich zu irgendeinem Psychiater geschleppt. Kein Bedarf. Nicht einmal Ansatzweise. Also zurück zur Normalität und weg von meiner ausufernden Fantasie. Entschlossen mache ich auf dem Absatz kehrt und gehe zu dem Tisch, auf dem ich mein Zeug platziert habe und schnappe mir selbiges. Dann kann ich nämlich schon mal nach unten gehen und auf die Anderen warten. Und das, was hier geschehen ist behalte ich für mich. Ganz allein für mich. Braucht ja niemand wissen, was für abgedrehte Dinge ich mir vorstelle, wenn ich alleine bin. Wenn ich nur daran denke, wie ich mich gerade hier aufgeführt habe… Zum Glück ist keiner reingekommen. Das wäre eine Geschichte fürs Abibuch geworden. Aber es ist ja nichts passiert. Beladen mit Tasche und Mantel gehe ich zur Tür, ignoriere, dass dieser nicht existierende Schlangenmann hinter mir ein nicht reales Gespräch mit mir anfangen will. Dafür, dass es ihn nicht wirklich gibt ist er ganz schön hartnäckig. Er folgt mir sogar auf den Flur. Dabei hatte ich schon ein bisschen gehofft, dass er verschwinden würde, sobald ich den Kursraum verlassen habe. Vor unserem Nachrichtenbrett bleibe ich stehen, werfe einen kurzen Blick über das Zetteldurcheinander. Vielleicht gibt es ja wieder was Neues. Sieht allerdings nicht so aus. Gut, soll mir auch recht sein. Um mich herum höre ich komisches Gemurmel. So viele Leute sind wir hier nicht, also kann es sich doch fast nur auf mich beziehen. Was passt denen den jetzt schon wieder nicht? Manchmal ist das wirklich schlimm. Plötzlich höre ich einen spitzen Schrei. Neugierig drehe ich mich um und sehe wie die Oberzicken schlechthin von meinem Naga umkreist und begutachtet werden. Schnellen Schrittes stapfe ich auf ihn zu und zerre ihn hinter mir her. Jetzt brauche ich nur noch einen Ort, an dem wir für ein paar Momente ungestört sind. Bei den Spinden war doch was, wenn ich mich recht erinnere. Also dahin und zwar schnell, bevor die Pause anfängt oder jemand von dem Schrei angelockt wurde. Völlig außer Atem und mit den Nerven am Ende kommen wir dort an. Auch auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole, aber: Ich bin im falschen Film. „Dich gibt es wirklich?“ „Ich atme, spreche, denke und stehe hier neben euch. Also: Ja, mich gibt es wirklich.“ Ich brech zusammen. Wenn sich herumspricht, dass ich eine Zeichnung zum Leben erweckt habe (auch wenn ich noch keinen blassen Schimmer davon habe wie), dann stehe ich bald in allen Zeitungen und werde als Versuchskaninchen enden. „Was habt ihr?“ „Was ich habe? Blöde Frage. Du bist eigentlich eine Zeichnung an der Tafel. Du dürftest gar nicht hier stehen und mir diese blöde Frage stellen.“ „Tut mir Leid.“ Jetzt guck doch nicht so. Da kriegt man ja richtig Schuldgefühle. „Schon gut“, da sind sie schon, „du kannst nichts dafür.“ Glaube ich zumindest. „Wirklich?“ Ein gemein, traurig fragender Blick. Der ist noch keine 5 Minuten alt und beherrscht schon diese Tricks. Darauf kann ich nur seufzend antworten: „Wirklich.“ Und schon ist er glücklich. Umarmt mich sogar, auch wenn er den Schwanz dafür weglassen könnte. „Danke.“ „Keine Ursache.“ Dass ich auch immer nachgeben muss. Von einem Augenblick auf den Anderen wird er jedoch etwas schüchtern. Steht ihm ja gar nicht. „Was hast du?“ „Würdet ihr mir einen Namen geben? Immerhin habt ihr mich erschaffen, da gebührt euch die Ehre.“ Einen Namen möchte er. Das lässt sich wohl einrichten. Mal überlegen. Irgendwas mit ‚T’ fände ich jetzt schön. Und er sollte ausgefallen sein. T…Ta…Te…Tü… „Tylen. Ab sofort heißt du Tylen.“ Seine Augen beginnen zu leuchten. Macht ihn der Name wirklich so glücklich? „Gefällt er dir?“ „Sehr sogar“, bestätigt er mir Kopf nickend. „Es ist wirklich ein schöner Name, den ihr mir gegeben habt.“ „Freut mich“, sage ich ehrlich, doch dann holt mich der Pausengong zurück in die Wirklichkeit. Verdammt, was mache ich denn jetzt. Ihn einfach so durch die Gegend laufen lassen geht nicht. Er würde innerhalb kürzester Zeit als Versuchskaninchen in irgendeinem Labor sitzen. Ach was, soll’s, dann nehm ich ihn eben mit. Mit großer Wahrscheinlichkeit würde er mir so oder so folgen. „Komm mit“, seufze ich daher nur. Was bleibt mir auch anderes übrig. „Wo geht es denn hin?“ „Nach unten“, antworte ich nur trocken. Ich öffne die Tür und warte bis er vollständig aus dem kleinen Raum geschlängelt ist. Ist bestimmt nicht so einfach mit dem durchschreiten einer Tür, wenn man so lang ist. Nachdem ich die Tür wieder schließe und ihn ansehe, bleibt mir die Luft weg. Er lächelt mich so lieb an, es gibt keine Beschreibung für diesen Anblick. Da bemerke ich aber auch schon die ersten verstörten Blicke. Wird Zeit, dass wir hier weg kommen, bevor die gesamte Oberstufe auf den Gängen ist. Ohne groß zu überlegen greife ich nach seinem Handgelenk und ziehe ihn mit mir die Treppe hinunter. Das klappt sogar ganz gut, weil jeder, der vorhat ebenfalls nach unten zu gehen, bei Tylens Anblick wie versteinert stehen bleibt und Platz macht. „Nicht so schnell“, bettelt mein Anhang. Der soll bloß die Klappe halten. Er ist doch Schuld daran, dass ich mich hier grade so unwohl fühle. Noch unwohler als sonst. Schaut uns nicht an. Schaut uns verdammt noch mal nicht an! Ich fühl mich wie im Zoo. Bei dem Anhängsel auch gar nicht mal so abwegig. Völlig außer Atem komme ich in meinem nächsten Kursraum zu stehen. Kunst steht an. Ironisch passend, wie ich finde. Verärgert pfeffere ich die blöde Tasche an meinen Platz. An irgendwas muss ich meine Aggressionen auslassen. Da habe ich ihn auch schon plötzlich am Rücken kleben, seine Arme um mich geschlungen. „Ihr seid so schön warm.“ Wie? Dämliches Reptil. Der soll froh sein, wenn ich ihm nicht das gleiche an tue, wie meiner Tasche. Blöder Tylen. Blöde Tafel. Blöde Kreide. Alles blöd, alles Mist. Ich kann mich kaum beherrschen. Normalerweise weine ich nicht in der Öffentlichkeit, aber ich kann gerade einfach nicht mehr. Der Tag ist so schlecht, dass kann eigentlich nur ein Albtraum ist. Einer der schlechtesten Albträume, die ich je hatte. „Weint Ihr?“ „Ja, doch!“, fahre ich ihn an und merke wie er deutlich zusammenzuckt. Geschieht ihm ganz recht. „Warum? Tut Euch etwas weh?“ Gott, ist der Naiv. Ich kann kaum glauben, dass ich dem ursprünglich diesen verführerischen Machoblick verpasst habe. „Nein, mir tut nichts weh“, knurre ich, „Und jetzt hör endlich auf mich zu siezen. Ich kann das nicht leiden.“ Er nickt, schmiegt sich aber nur noch mehr an mich. „Aber warum weint Ihr… weinst du dann, wann dir nichts weh tut?“ Harsch reiße ich mich aus seiner Umarmung. „Wegen dir! Du bist schuld daran, dass ich weine“, schreie ich ihn an. Das Gemurmel meiner bereits anwesenden Kommilitonen nehme ich nur am Rande wahr. Auch, dass sich die ganzen Schaulustigen in die Tür quetschen. „Was habe ich denn getan?“, fragt er traurig, sieht mich von unten her an. Besser ich schau weg, sonst werde ich gleich wieder weich. „Es gibt dich! Wegen dir werde ich absolut zur Freak-show. Verschwinde. Wenn du bei mir bleibst wird mein ganzes Leben den Bach runtergehen.“ „Dann soll ich …verschwinden?“ „Und zwar pronto!“ „Aber das hier ist doch gar nicht meine Welt. Ich kenne mich hier doch gar nicht aus. Ihr… Du bist die einzige, die ich kenne. Du hast mich geschaffen. Ich brauche dich.“ Ehe ich mich versehe hängt er schon wieder wie eine Klette an mir, streicht mir durchs Haar. „Schickt mich nicht weg. Bitte schickt mich nicht weg.“ Toll, jetzt fühle ich mich wie der letzte Dreck, der Arsch vom Dienst. „Lasst mich an eurer Seite bleiben“, fleht er und schmiegt seine Wange an meine, haucht einen Kuss darauf. Dreister Kerl. Wenn ich jetzt aber ‚Nein’ sage, dann bin ich bei allen unten durch. Ein ‚Ja’ hätte aber auch so seine Folgen. Wie sollte ich meiner Familie erklären, dass wir ab sofort einer mehr waren? Ich hätte heute Morgen wirklich nicht aufstehen dürfen. Einen Traum schließe ich nämlich aus. So verrückt kann nämlich nicht einmal ein Traum sein. „Aber nur, wenn du mit dem ‚sie’ endlich aufhörst“, murmle ich kleinlaut. „Versprochen“, kommt von ihm zurück und wieder küsst er mich auf den Mund, schlängelt seinen Schlangenteil wieder um mich. Man kann wirklich sagen: Er hängt an mir. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)