Reset von Aziraphale (Suliet) ================================================================================ Kapitel 1: Reset ---------------- Ein Ruck. Ziehen. Schmerz. Verzweifelung. Tränen. Lass nicht los! Liebe. Verlass mich nicht! Tränen. Ein Ruck. Schmerz. Verzweifelung. Zorn. Weiß. Schwarz. Nichts. Juliet riss die Augen auf und sog ruckartig genug Luft ein, um ihre Lunge bis zum Anschlag zu füllen, was diese aber nicht daran hinderte weiter nach Sauerstoff zu verlangen, als sei sie unter Wasser. Nur mit Mühe gelang es ihr, sich so weit unter Kontrolle zu bekommen, dass ihr Mund sich schloss und ihre Atmung sich so weit beruhigte, dass sie sich halbwegs auf ihre Umgebung konzentrieren konnte- oder besser gesagt auf die Decke über ihr. Diese Maserung in dem hellen Holz kam ihr bekannt vor... sie blickte nach links auf den kleinen Nachtschrank, der neben ihrem Bett stand... Moment. Bett? Ihr Bett? …Dort stand das Foto ihrer Schwester, die sie seit Jahren nicht gesehen hatte, weil… die Insel... die Anderen... Dharma... JAMES! Es fühlte sich an wie ein elektrischer Schlag, der ihr durch den ganzen Körper ging, als die Erinnerung wie eine riesige Flutwelle mit voller Wucht in ihr Bewusstsein strömte. Die Bombe! Was war... ? „Willkommen zurück, Juliet.“ Ihr Kopf schnellte so schnell nach rechts, dass es ihr einen Stich im Nacken versetzte, doch sie hatte gar nicht die Zeit darauf zu achten. Ihr Gehirn hatte viel zu viel damit zu tun alle Menschen, die sie getroffen hatte, mit dem Gesicht abzugleichen, welches ihrem jetzt viel zu nahe war. Blaue Augen. Als der Fremde- ihr Gedächtnis hatte das so eben bestätigt- sich in dem Lehnstuhl- ihrem Lehnstuhl- zurücklehnte, in dem er saß und sie mit unverhohlenem Interesse musterte, konnte sie ihn genauer betrachten. Nichts außergewöhnliches, normaler Typ, wie man ihm jederzeit auf der Straße begegnen konnte. Sicher nicht hässlich, aber auch nicht übermäßig attraktiv, dunkelblondes Haar, welches schon ein bisschen ins Graue überging, ein Dreitagebart, Alltagskleidung. Alles in allem nichts, wo man gleich an Gefahr dachte und den Wunsch verspürte auf dem Absatz kehrt zu machen und zu rennen. Wären da nicht seine Augen gewesen, die sie zu durchschauen schienen. Die feinen Lachfalten täuschten nicht darüber hinweg, dass dies ein Mensch war der in seinem Leben viel gesehen und noch mehr getan hatte, was nicht im geringsten Anlass zum Lachen geben würde. Außerdem war er in ihrer Wohnung! Wie war er dort hin gekommen ... und wie war sie dort hingekommen und was war überhaupt passiert? Was war mit ihnen allen passiert? Als der Fremde Anstalten machte seine Hand nach ihr auszustrecken, schnellte die ihre automatisch zu ihrem Hosenbund, wo ihre Waffe gewesen war. Nichts. Natürlich. Sie hatte sie gezogen um die Männer der Dharma Initiative in Schach zu halten und dann war sie wahrscheinlich runtergefallen, als die Kette... diese verdammte Kette! Die Erinnerung an den plötzlichen Ruck, der ihr den Boden unter den Füßen weggerissen hatte, löste ein Gefühl in ihr aus, als ob sich ihre Eingeweide für einen kurzen Moment zusammen ziehen würden, als hätte sich die schwere Eisenkette abermals um ihre Taille geschlungen und würde sich immer weiter zuziehen... sie mit sich reissen... Sie erschauderte. Sie hatte noch nie in ihrem Leben so eine Angst gehabt. Gab es etwas Schlimmeres, als zu wissen, dass man sterben wird? Zu wissen, dass man in einen Schacht geschleudert werden wird, zusammen mit Tonnen von hartem, teilweise zersplittertem Metall? Nicht zu wissen wie lang der Schacht sein wird, nicht zu wissen, ob man den Aufprall spüren wird oder ob man sich vorher schon so den Kopf angeschlagen hat, dass man nichts mehr spürt oder aufgespießt wurde und tot ist bevor man unten ankommt... wenn genau das die einzige Hoffnung ist, die man noch hat, ist das ein schreckliches Gefühl. Und doch hatte sie nicht den Mut gehabt loszulassen. Sie wusste, dass sie sterben würde und doch hatte sie sich krampfhaft fest gehalten, hatte versucht James zu glauben, der ihr verzweifelt versicherte, er würde sich nicht loslassen- von dem sie wusste, dass er sie nicht loslassen würde... Doch dann hatte sie es gesehen. Sie hatte ihren eigenen Tod gesehen: Ein riesiger Komplex aus Metall, der früher als Gerüst für den riesigen Bohrer gedient hatte, drohte mit ihr in den Schacht gezogen zu werden- der mit ihr in den Schacht gezogen werden würde... und er würde auch James mit sich reissen, wenn sie nicht loslassen würde! James hätte es sicher nicht getan. Sie hatte sich zusammen gerissen. Es war so schwer gewesen. Sie hatte sich gefühlt, als würde ihr Körper entzweigerissen würde, sie hatte schreckliche Angst gehabt, ihr Herzschlag hatte in ihrem Kopf gedröhnt und doch hatte sie es geschafft ihre Stimme so ruhig klingen zu lassen, wie es eben ging, hatte James das gesagt, was zählte, hatte James verzweifeltes Gesicht gesehen, als er merkte, was sie vorhatte und hatte losgelassen. Ich liebe dich. Ich liebe dich so sehr. Dann war sie gefallen... und.... „Hier, trink erst mal was.“ Sie war für einen Moment so in ihren eigenen Gedanken versunken gewesen, dass sie nicht bemerkt hatte, dass der Fremde hinter sich gegriffen und eine Tasse von der Fensterbank genommen hatte, die er ihr nun entgegenhielt. Hellblau mit kleinen Sonnen und Wolken darauf. Ihre Lieblingstasse. Ihre Schwester hatte sie ihr geschenkt, als sie 15 Jahre alt gewesen war. Rachel... Was war mit Rachel geschehen? Und Julian? Ohne davon getrunken zu haben, stellte sie das Getränk auf den Nachttisch, nahm den schweren, silbernen Bilderrahmen mit dem Foto ihrer lachenden Schwester und umklammerte ihn wie einen Rettungsanker. Sie nutzte den kurzen Moment, um sich umzusehen damit sich bestätigte, was sie längst vermutete. Dies war ihre Wohnung. Nicht das Häuschen, welches sie die letzten drei Jahre mit James bewohnt hatte... nein, ihre Wohnung in Miami, die sie besessen hatte bevor... bevor sie auf diese verfluchte Insel kam... James... „Du solltest ihn trinken, so lange er noch heiß ist.“ Das Lächeln des Fremden erreichte nicht ganz seine Augen, schien aber ehrlich zu sein. Er deutete auf die Tasse, deren Inhalt sie als Früchtetee identifiziert hatte. Ihr Schädel brummte. Sie hatte es noch nicht geschafft ihre Gedanken so weit zu sortieren, dass sie sich einen Sinn aus dem machen konnte, was geschehen war. Was war überhaupt geschehen? Hatte sie ... geträumt? Diesen Gedanken strich sie gleich wieder. Es blieb ihr wohl nichts anderes übrig, als den Fremden zu fragen, der sie jetzt abermals mit seinen blauen Augen taxierte, einen amüsierten Zug um seinen Mund. „Wer sind sie?“ Jetzt grinste er und streckte ihr seine rechte Hand entgegen. „Hallo Juliet, mein Name ist Jacob.“ Jacob. derJacob? Sie öffnete ihren Mund um etwas zu sagen, konnte sich aber nicht entscheiden was und schloss ihn gleich wieder. Tief durchatmen. Sie hatte schon merkwürdigere Sachen erlebt. Wenn dies wirklich Jacob war, sollte sie sich über nichts wundern... und trotzdem schwirrte es in ihrem Kopf. Jacob zog seine Hand wieder zurück, wirkte aber nicht beleidigt. „Ich muss mich bei dir bedanken, Juliet.“, fuhr er fort, als hätte er eben bloß über das Wetter gesprochen. „Ich muss zugeben, dass ich dich unterschätzt habe.“ Juliet wurde sich in diesem Moment darüber klar, dass sie ihn anstarren musste, wie jemand, zu dem so eben ein brennender Dornenbusch gesprochen hatte und versuchte sich zu sammeln. Sie setzte sich gerade hin und warf ihre Haare zurück. Was auch immer „dies“ hier war, sie würde es überstehen und bis jetzt hatte Jacob- und sie wunderte sich, dass sie ihm glaubte, dass er es wirklich war- ihr noch keine Waffe an den Kopf gehalten oder sie sonst irgendwie bedroht- es sei denn, der Tee war vergiftet gewesen, aber komischerweise zog sie dies nicht einmal in betracht. „Was ist passiert?“, fragte sie. Ruhig. Kontrolliert. Das war Juliet Burke. Auch wenn sie Angst hatte oder völlig ahnungslos war. Jacob lehnte sich nach vorne, stützte die Ellbogen auf seine Knie und schaute ihr direkt in die Augen. Genau so, wie im Augenblick ihres Erwachens. „Du hast mir das Leben gerettet.“ Sie zog eine Augenbraue in die Höhe. „Daran kann ich mich nicht erinnern.“ „Die Bombe.“, meinte er daraufhin nur, als ob sie dann schon wüsste, was er meinte. Sie tat es nicht. Er seufzte. „Es wäre ein bisschen zu kompliziert das alles zu erklären und es würde auch zu lange dauern.“ Er zwinkerte, als ob er eben einen Witz gemacht hätte, den sie hätte verstehen müssen. „Lass dir nur sagen, dass du etwas verändert hast, indem du dafür gesorgt hast, dass die Bombe hochgeht.“ Ihre Augen weiteten sich und sie flüsterte, als wäre es ein Geheimnis: „Ich habe es also geschafft? Die Zukunft wurde verändert?“ „Ja und nein. Du hast uns allen Zeit verschafft, sie zu verändern, aber noch ist auf der Insel alles so, wie es das letzte Mal auch gewesen ist.“ Er sah einen Moment an die Decke, als würde er nachdenken und fügte dann mehr zu sich selbst hinzu: „Vor allem hast du mir Zeit verschafft, von der ich schon dachte, ich hätte sie nicht mehr. Nun weiß ich, was mein alter Freund vor hat, kenne das Schlupfloch, welches er entdecken wird.“ Sie sah ihn nur sprachlos an. Was er sagte ergab keinen Sinn für sie, aber er wusste eindeutig von den Geschehnissen, die sich in der Vergangenheit zugetragen hatten... „Was ist mit...“ sie räusperte sich um den Kloß in ihrer Kehle loszuwerden „...was ist mit James und den anderen?“ „Ah, deine Freunde sind wohlauf und ebenfalls zurück.“ Er faltete die Hände in seinem Schoß, offensichtlich zufrieden mit sich selbst. „Zurück?“ Sie folgte seinem Blick, der auf dem Kalender lag, der neben dem Bett an der Wand hing. September, 2004 Das konnte nicht sein. In dem Jahr war sie auf der Insel gewesen und... Ihre Verwirrung musste sich auf ihrem Gesicht wiedergespiegelt haben, denn Jacob sagte: „Ich glaube Daniel Faraday hat euch darüber aufgeklärt, was passieren würde, wenn ihr die Bombe zünden würdet. Ich hatte nur nicht mit meinem alten Freund gerechnet... und auch nicht mit dir. Ich wusste nicht, dass du es sein würdest, die der Auslöser sein würde. Ich war überrascht und glaub mir, ich werde nicht mehr oft überrascht in diesen Tagen.“ Wieder dieser zufriedene Gesichtsausdruck. „Und deswegen bin ich dir sehr dankbar und habe ein paar Fäden gezogen.“ „Du hast das alles vorrausgesehen?“ Unter normalen Umständen hätte sicherlich Ärger in ihrer Stimme mitgeschwungen, aber in diesem Moment fühlte sich Juliet einfach nur überrollt. „Dies und das... das Meiste. Mit dir habe ich allerdings nicht gerechnet.“ Mit einem Kopfnicken bedeutete sie ihm weiter zu sprechen. „Als Ben Linus beschloss, jemanden von außerhalb zu holen, der sich mit dem Schwangerschaftsproblem beschäftigen sollte und Richard schließlich dich zur Insel brachte, hatte ich keinen konkreten Plan für dich.“ Er zögerte kurz, als ob er überlegen musste, ob er ihr das wirklich erzählen sollte, entschied sich wohl aber, dass es nicht schaden konnte „Ich habe für jeden, der die Insel betritt einen Plan. Ob er sich dann genau so erfüllt, hängt von der Person selbst ab. Ehrlich gesagt, hatte ich nicht gedacht, dass du dich so lange halten würdest, aber du bist zäh. Zum Glück. Zu meinem Glück.“, betonte er mit eindringlicher Stimme. Er sah nicht so aus, als ob es ihm leid tun würde, dass sie ihm egal gewesen war. „Ich bin nicht freiwillig so lange geblieben.“ erwiderte sie zwischen zusammen gebissenen Zähnen. „Ja, ich weiß. Ben Linus ist... ein außergewöhnlich sturer Mensch.“ Ihre Augebrauen zogen sich in die Höhe. „Ach.“ Er lächelte wieder dieses undurchsichtige Lächeln, von dem sie nicht wusste, wie sie es zu interpretieren hatte. „Aber wir sind vom Thema abgekommen...“ Irgendetwas sagte ihr, dass er einfach nur nicht weiter darüber sprechen wollte, was genau für Pläne er hatte oder gehabt hatte. „...wir waren bei deinen Freunden.“ James “Was ist mit ihnen passiert? Sind sie auch... ich meine, wie ich... ist jetzt wirklich 2004?“ Er nickte. „In zwei Wochen geht der Flug 815 und dann fängt alles wieder von vorne an.“ „A- aber ich werde nicht... ich meine, ich bin nicht auf der Insel?“ „Nein. Du bist nicht auf der Insel. Ich habe doch gesagt: Ich hatte keinen Plan für dich. Du musst nicht dort sein. Als Dank dafür, dass du mir da Leben gerettet hast, lasse ich dich dein Leben leben, als wärst du niemals dort gewesen.“ Sie hatte ihm das Leben gerettet? Etwas in seinem Blick sagte ihr, dass sie danach nicht fragen sollte. „Also... also alles wird so passieren, wie es passiert ist... nur ohne mich?“ Er nickte. „Mit kleinen Abweichungen und hoffentlich einen anderen Ergebnis.“ „Aber ich war es die die Anderen verraten hat... ich habe mich den Überlebenden des Flugs angeschlossen... ich habe ihnen geholfen, was-?“ „Das lass mal meine Sorge sein.“ „Aber-!“ Er sah sie scharf an. „Bist du nicht glücklich? Wolltest du nicht immer runter von der Insel? Wolltest du nicht immer deine Schwester wieder sehen?“ „Rachel? Ist sie okay?“ „Ben Linus mag mich nie gesehen haben, aber er hat ausnahmsweise einmal nicht gelogen als er sagte, ich würde mich um sie kümmern. Ich mag keinen Plan für dich gehabt haben, aber für ihn und für ihn warst du zu dieser Zeit unabkömmlich.“ „Also ist sie wirklich wieder gesund?“ Tränen traten ihr in die Augen und sie musste unwillkürlich lächeln, als er nickte. Sie blickte kurz das Bild an, welches jetzt neben ihr auf dem Bett lag. Rachel... ihrer geliebten Schwester ging es gut! Sie lachte sie aus dem Bilderrahmen hinaus an und ihr war es fast so, als könne sie ihr Lachen hören. „Kann ich sie sehen?“ „Natürlich. Wie ich schon sagte: Du warst niemals auf der Insel. Deine Schwester denkt du seiest in Afrika, um dort Frauen bei der Geburt zu helfen. Ihr telefoniert regelmäßig, aber du hattest die letzten drei Jahre einfach keine Zeit sie zu besuchen und außerdem hattest du Angst, du könntest eine für Julian gefährliche Krankheit mitbringen. Deine Schwester ist sehr verständnisvoll. Wie du siehst wurde für alles gesorgt, du musst dir keine Gedanken machen. Du bist frei!“ Frei. Juliet fühlte sich für einen Moment schwerelos. Das war es was sie immer gewollt hatte... weg von der Insel... weg von all den Gefahren und Geheimnissen... zurück zu ihrer Familie... aber... „James. Was ist mit James?“ „Wie ich schon sagte. Auch James Ford ist zurück. Sie alle sind zurück und werden jetzt das tun, was sie tun müssen.“ „Zur Insel zurückkehren.“ Das war keine Frage. Sie wusste es. „...James... ich meine... erinnern sie sich an das, was passiert ist?“ Sein Gesicht tauchte vor ihr auf. Verzweifelt. Panisch. Wie sie ihn das letzte Mal gesehen hatte. Der Schmerz in seinen Augen, war für sie fast spürbar und ihr Herz zog sich bei dieser Erinnerung zusammen. „Hm, das ist eine gute Frage. Möglich. Vielleicht, vielleicht auch nicht... vielleicht Ausschnitte, vielleicht auch alles. Wir werden sehen.“ Die Art wie er es sagte, verriet er, dass er es sehr wohl wusste- oder zumindest mehr als er zugab zu wissen und sie wollte gerade die Hand nach ihm ausstrecken um ihn an den Schultern zu packen, um ihn zu fragen, um ihn irgendwie dazu zu bringen, ihr zu antworten, als sie von einer Welle von Müdigkeit übermannt wurde. Ihre Augen wurden schwer und sie begann merklich zu schwanken. Sie merkte es kaum, als er sich erhob und sie sanft an den Schultern in ihr Bett drückte. „Schlaf Juliet. Das war alles ein bisschen viel für dich.“ Sie wollte ihn fest halten, wollte ihn fragen, doch ihre Arme und Beine waren so unendlich schwer... „Schhhh, alles wird gut. Schlaf. Du musst dich erholen.“ Er deckte sie zu und legte ihr dann sanft die Hände auf den Bauch. „Ihr beide müsst euch erholen.“ Als sie zum zweiten Mal nach sehr langer Zeit in ihrem Bett erwachte, saß niemand neben ihr, aber ihr Kopf war um einiges klarer als beim letzten Mal. Sie verstand immer noch nicht alles, aber das Gefühl der Verwirrung hatte sich gelichtet und an seine Stelle war eine gewisse Zufriedenheit getreten. Sie wusste nicht, ob dies auch Jacobs Werk war, oder ob sich im Schlaf die Gewissheit eingestellt hatte, dass sie endlich zu Hause war. Draußen war es Nacht geworden und nur die Straßenlaternen und die vorbei fahrenden Autos erleuchteten ihr Schlafzimmer. Sie stand auf und blickte hinaus. Nichts hatte sich verändert. Sie kniff sich einmal kurz. Kein Traum. Dann befühlte sie die gläserne Fensterscheibe, die Fensterbank, die Gardine... alles war real. Dann wanderten ihre Hände zu ihrem Bauch. Er war flach wie immer, doch sie wusste es. Sie konnte es in sich fühlen... das kleine Leben, welches dort wuchs. Und sie weinte. Sie weinte vor Glück, weil es noch da war und vor Trauer, weil sein Vater nicht mehr bei ihr war und einfach nur weil sie es konnte. Ihre Beine sackten ihr weg und sie musste sich setzen. Ihr Rücken lehnte an der kalten Heizung unter dem Fenster... Real Ein paar Stunden später rief sie ihre Schwester an und hätte fast wieder weinen müssen, als sie ihre Stimme hörte. „Rachel Carson. Hallo?“ „Rachel, hier ist-„ „Juliet! Wie geht es dir! Ich habe schon ewig nichts mehr von dir gehört, ich hab doch gesagt du sollst öfter anrufen... aber ich versteh schon... Afrika, Telefonkosten und so, aber trotzdem wir sind deine Familie und... Juliet, du solltest Julian sehen, er ist so groß geworden!“ Dieses mal lachte sie. Sie lachte so lange, bis ihr die Lungen weh taten. „Juliet, ist alles in Ordnung?“ „Ja, es ist alles in Ordnung.“ Und sie meinte es. In diesem kurzen Moment, war alles in Ordnung. „Ich bin wieder in Miami.“ „Du bist zurück und sagst nichts? Wir hätten dich och vom Flughafen abgeholt!“ „Ich wollte euch überraschen.“ „Na, das ist dir gelungen! Ich dachte schon ich würde dich nie wieder sehen!“ Juliet musste schlucken. „Hör mal Rachel... kann ich für eine Weile zu euch ziehen? Nicht für lange... ich will nur... weiß du... ich habe dich vermisst und... ich möchte etwas von der Zeit aufholen, die wir verloren haben.“ „Aber natürlich! Du kannst so lange bleiben, wie du willst, ich freue mich!“ Sie konnte das strahlende Lächeln ihrer Schwester fast vor sich sehen. Danach redeten sie noch zwei Stunden lang über alles mögliche- wobei sich Juliet alle Mühe gab möglichst das Thema „Afrika“ zu vermeiden, was nicht sonderlich schwer war, weil sie einfach nur nach Julian fragen musste, um Rachel abzulenken. Sie hatte sich wohl gefühlt... mit James in ihrem kleinen Häuschen... sie wäre ewig mit ihm dort geblieben, wenn sie gekonnt hätte und hätte sich niemals beschwert... sie wäre mit ihm überall hin gegangen... aber zum ersten Mal, seit langer, langer Zeit, war sie wirklich da, wo sie hin gehörte. Zu Hause. 22. September, 2004. Sie hatte nicht versucht James zu finden. Sie hatte darüber nachgedacht. Tagelang. Nächtelang. Schließlich war sie zu dem Entschluss gekommen, es nicht zu tun. Sie liebte ihn. Sie liebte ihn mehr, als ihr eigenes Leben, doch da gab es jetzt jemanden der wichtiger war, jemanden, auf den sie aufpassen musste. Sie konnte es sich nicht leisten, wieder in dieses ganze Chaos, in die ganze Gefahr hinein gezogen zu werden. Sie wusste, würde sie ihn finden, würde sie ihm folgen, wohin auch immer er gehen würde. Als sie damals mit dem U-Boot die Insel verlassen sollten... als Kate zu ihnen gebracht wurde... da hatte sie es vermutet... vielleicht etwas mehr als das. Sie hatte nie die Chance gehabt, mit James darüber zu sprechen und jetzt war sie froh darüber. Sie wusste genau, dass es ihn zerstört hätte, nicht nur die Frau, die er liebte zu verlieren, sondern auch sein Kind. Ja, sie wusste, dass er sie liebte, dass er sie niemals verlassen hätte, genau so, wie er sie nie losgelassen hätte... aber da war immer etwas zwischen ihm und Kate gewesen, von dem sie nicht ganz wusste, wie sie damit umgehen sollte, dann der ganze Stress mit der Bombe, die Vermutung , die sie hatte... alles zusammen hatte sie überreagieren lassen... erst im U-Boot, als sie ihn dazu überredete zu bleiben, dann im Wald... es war einfach alles zu viel gewesen! In dem Moment, als Kate im U-Boot aufgetaucht war, hatte sie es als ein Omen gesehen... sie wusste nicht warum... vielleicht die Hormone, vielleicht der Eid des Hyppokrates... sie wusste es nicht mehr. Sie konnte sich viele Gründe denken, keiner wäre falsche gewesen, aber auch keiner wirklich richtig. Sie wusste allerdings, dass wenn sie alles was sie an diesem Tag getan hatte, nicht getan hätte, sie jetzt nicht hier sitzen würde. Im Garten ihrer Schwester, mit dem kleinen Julian in seinem Wagen neben ihr, seinen Mittagsschlaf haltend. Es war ein milder Septembertag. Die Luft war klar und der Wind wehte sanft durch die Baumkrone des Apfelbaumes, in dessen Schatten sie es sich gemütlich gemacht hatte. Sie hatte ihre Augen geschlossen und lehnte sich an den von der Sonne gewärmten Stamm. Sie hatte sich den ganzen Tag lang bemüht, nicht daran zu denken, das heute der Flug stattfinden würde... sie alle würden auf der Insel „landen“. Sie erinnerte sich an diesen Tag, als ob es gestern gewesen wäre... wobei er genau genommen heute war... Ben hatte ihr das Video von ihrer Schwester und Julian gezeigt und dann hatte sie das Flugzeug gesehen... Sie wollte nicht daran denken. Wenn sie daran dachte, würde sie an James denken müssen und das tat weh. Sie wollte nicht, dass es weh tat, wenn sie an James dachte. Sie liebte James. Eine einzelne Träne rann ihre Wange hinab, wurde aber schnell weg gewischt. Die selbe Hand, die den Beweis ihrer Traurigkeit weggewischt hatte, wanderte zu ihrem Bauch, dem Beweis, dass James sie liebte und das machte sie glücklich. Verdammte Stimmungsschwankungen. Rachel war ganz aus dem Häuschen gewesen, als sie ihr erzählt hatte, dass sie schwanger sei. Sie hatte sie so stürmisch umarmt, dass sie sich am Küchentisch hatte festhalten müssen, um nicht umzufallen. Natürlich hatte das jede Menge Fragen zum Vater nach sich gezogen, aber irgendwie hatte Juliet es immer geschafft, dieses Thema geschickt zu umschiffen... allerdings hatte sie keine Ahnung, wie sie das die nächsten neun Monate durchhalten sollte... „Juliet! Juliet!“ Rachel kam auf sie zu gerannt und schaffte es nur knapp zu bremsen, bevor sie ihre Schwester unter sich begraben konnte. Juliet musste eingeschlafen sein und war dementsprechend überrascht, dass ihre Schwester plötzlich vollkommen außer Atmen vor ihr hockte und sie an den Schultern schüttelte. „Juliet!“ „Was ist den Rachel?“ Sie lächelte. Sie musste immer lächeln, wenn sie ihre Schwester sah. „Da, Da ist ein Mann... ein gutaussehender Mann und... er fragt nach dir!“ „Ein Mann?“ „Ja!... Ein Mann und er sagt, er kommt aus Afrika! Juliet, ist er das, ist er das?“ Aus Afrika?! Tief durchatmen. Hatte Jacob ihn geschickt, um ihre Geschichte zu unterstützen? Oder... Aber das konnte nicht… Ruhig bleiben... nicht nervös werden. Das Kichern ihrer Schwester ignorierend stand sie langsam auf. Ihre Beine zitterten. Jacob sagte doch, ich sei frei. „Er wartet am Gartentor auf dich!“, giggelte Rachel, sichtlich vergnügt. Sie hatte sich im Garten hinter dem Haus befunden, das Tor war auf der rechten Seite des Hauses, ein bisschen von der Straße ab. Nur noch um die Ecke... Sie wusste, dass ihre Schwester ihr folgen würde. Mit Abstand um sie nicht zu stören, aber sie würde sich das sicher nicht entgehen lassen. Sie fühlte sich nicht wohl dabei... was wenn das Chaos der Insel ihr doch bis hierhin gefolgt war? Sie würde ihre Familie nicht schützen können, sie würde... „Hey, Blondie.“ Ihr Atem stockte. Sie blieb wie erstarrt stehen. Sie fühlte, wie ihre Gesichtszüge ihr entglitten. Vor ihr stand James, genau so, wie er ihr in ihren Träumen erschien, wenn sie Trost brauchte. Lässig an den Gartenzaun gelehnt, mit strahlenden Augen und leichtem Lächeln. Nur daran, dass sein rechtes Bein leicht zitterte erkannte sie, dass er nervös war. Er sah sie an. Sie sah ihn an. Die Zeit verging. Sie hatte keine Ahnung wie lange sie nur dort gestanden hatten, als sich ihre Erstarrung löste. Ihre Hand fuhr automatisch hoch zu ihrem Mund, um ihn in einer erschrockenen Geste zu bedecken. Sie war verwundert, Tränen auf ihren Wangen zu spüren und als James auf sie zu kam, tat sie unbewusst einen Schritt zurück. Sie sah die Unsicherheit in seinem Blick und zwang sich zwei Schritte nach vorne zu gehen, mit dem Gefühl, dass ihr Kopf gleichzeitig völlig leergefegt und überfüllt war. Eine Hand hatte sich um ihr Herz gelegt und drückte es zusammen. “James.“ Allein seinen Namen auszusprechen machte die Szene irgendwie realer... James hatte sie gesucht. Als er die Hand nach ihr ausstreckte, mit einem Gesichtsausdruck, als fürchte er, sie würde verschwinden, so bald er sie berührte, streckte sie ihm auch die ihre entgegen. Als ihre Hände sich berührten löste sich die Hand um ihr Herz und Wärme breitete sich in ihrer Brust aus. James hatte sie gefunden. Er fuhr mit dem Daumen über ihre Fingerknöchel, führte dann ihre Hand an seine Lippen und küsste ihre Handinnenfläche. In diesem Moment schien etwas von ihm abzufallen, was vorher zentnerschwer auf seinen Schultern gelastet zu haben schien, auch wenn es ihr nicht gleich aufgefallen war und er murmelte... „Danke... danke... Oh Gott, danke.“ Immer und immer wieder. Schließlich zog er sie in seine Arme und hielt sie fest. Ohne dass es ihr richtig bewusst war, hatte sie im gleichen Moment die Arme um seinen Nacken geschlungen und hielt ihn genau so fest. Sie hatte nicht damit gerechnet je wieder diese Arme um sich zu spüren... sie war weit entfernt davon gewesen mit ihm abzuschließen, aber sie hatte nicht damit gerechnet je wieder seine Stimme hören, seinen Geruch einatmen oder seine Wärme spüren zu dürfen. Sie hatte ihn so schrecklich vermisst... sie hatte bisher gar nicht gemerkt, wie sehr. Sie wollte ihn nie wieder los lassen. Zum Teufel mit ihrem bisherigen Plan! „Wie hast du... Warum...?“, brachte sie heraus. Er löste sich ein wenig von ihr, doch seine Hände strichen durch ihre Haare, hielten ihr Gesicht... „Wie könnte ich nicht?“ Er küsste sie auf die Stirn. „Wie hätte ich nicht nach dir suchen können?“ Er zog sie abermals komplett an sich. „Ich liebe dich.“ Sie vergrub ihr Gesicht in seiner Halsbeuge und atmete tief ein. „Es tut mir so leid.“, murmelte sie schließlich. Hände sanft auf ihren Schultern, sah er ihr tief in die Augen. „Dir muss nichts leid tun. Gar nichts, hörst du.“ Sie sah die Tränen in seinen Augen und wusste genau, welche Erinnerung gerade in ihm hochgekommen war. „Ich bin nur froh, dass ich dich gefunden habe. Seit Jacob bei mir war, habe ich an nichts anderes mehr gedacht, als dich zu finden.“ Seine rechte Hand wanderte zu ihrem Nacken und der Daumen kreiste langsam und liebevoll hinter ihrem Ohr. „Er sagte mir, dass ich tun müsste, was mein Herz mir sagt. Das sei mein Weg. Ich habe sofort meine Koffer gepackt, bin in die USA geflogen und habe angefangen dich zu suchen... ich war bei deiner Wohnung in Miami, von der du mir erzählt hast, aber da warst du nicht... ich bin fast wahnsinnig geworden.“ Er küsste sie nochmals auf die Stirn. „Dann habe ich alles getan, um das Haus deiner Schwester zu finden... wenn du nicht hier gewesen wärst... ich weiß nicht, was ich getan hätte!“ Sie strich ihm durch die Haare. Sanft. So wie sie es drei Jahre lang jeden Morgen getan hatte. „Keine Zweifel?“ Er lächelte. „Ich hatte niemals welche, das weißt du.“ Ja, sie wusste es... und doch... dieses nagende Gefühl... sie hasste es, aber es war da. „Was ist mit den anderen? Was ist mit der Insel?“ Was ist mit Kate? „Ich würde lügen, wenn ich sagte, ich habe gar nicht darüber nachgedacht, aber...“ Er sah ihr tief in die Augen „... Es ist mir egal. Soll doch der Doc rausfinden was es damit alles auf sich hat. Ich war noch nie ein besonders guter Weltretter.“ Dann küsste er sie und es kam ihr vor, als wäre es schon Jahre her gewesen und gleichzeitig doch erst gestern, seit sie das letzte Mal seine Lippen auf den ihren gespürt hatte. Sie würden später darüber reden... Später Sie hatten Zeit. „Ich bin so froh, dass ich dich wieder habe.“ murmelte er abermals, als ihre Lippen sich voneinander lösten. „Uns.“ platzte sie auf einmal heraus. Warum es länger geheim halten? Warum diesen Moment nicht noch perfekter machen? „Uns?“ „Du hast uns wieder.“ Sie nahm seine Hand, die bis eben ihre Wange gestreichelt hatte und führte sie zu ihrem Bauch. Immer noch flach. Man würde noch fast vier Monate warten müssen, bevor überhaupt etwas bemerkbar werden würde. Er zögerte einen kurzen Moment, bevor die Erkenntnis in seinen Augen aufleuchtete. „Heißt das...?“ Juliet nickte nur. Sie strahlte. Er strahlte. Plötzlich schlang er seine Arme abermals um sie und hob sie hoch. Sie lachten, als sie sich drehten und drehten und drehten... der Wind spielte in ihren Haaren und die Vögel zwitscherten eine Melodie, die nur für sie bestimmt war. Alles in allem war die ganze Szenerie wie aus einem typischen Romantik-Kitschfilm entsprungen... aber Rachel war das egal. Sie liebte diese Filme und liebte es noch mehr, wenn ihre Schwester mitten in einem drin war. In dem Moment, in dem dieser Mann vor ihrer Tür gestanden hatte, hatte sie gewusst, dass sich jetzt alles ändern würde. Wie hatte es diese Autorin in dem Buch genannt, dass sie neulich gelesen hatte? Ein Hauch des Schicksals Sie kicherte und kam sich plötzlich vor, wie ein kleines Mädchen. Ihre Welt war nie heil gewesen... die Scheidung ihrer Eltern, ihre Krankheit, die drei Jahre ohne ihre Schwester... und doch war plötzlich alles gut. Sie wollte die beiden Menschen, die in ihrem Vorgarten standen und sich halb lachend, halb weinend fest in den Armen hielten um nichts in der Welt stören und zog sich zurück. „Na mein Schatz.“, murmelte sie Julian zu, der sie mit seinen großen, blauen Augen ansah „Ich glaube, nun gibt es doch noch ein Happy End.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)