Exzentrik von -Moonshine- ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Hastig watschelte sie mit dem Menschenstrom. Wohin es so eilig ging, das wusste sie nicht, aber das machte sie immer so, so fühlte sie sich dazugehörig. Nur dann und wann kam ihr jemand in die Quere, meistens waren es kleine Lausbuben, die dachten, sie würde vor Schreck ausflippen, aber das tat sie nicht. Sie war schon daran gewöhnt und wenn wirklich jemand versuchte, ihr einen Schrecken einzujagen, dann machte sie einfach, ohne großes Aufsehen zu erregen, einen Bogen um denjenigen, nur, um weiter mit der Menge zu watscheln. Dafür, dass sie so klein war, konnte sie ganz schön schnell laufen, und das machte sie stolz. Das war aber auch nötig an einem Ort wie diesem hier. Dem Bahnhof. Der Bahnhof war der Inbegriff von Menschenversammlungen. Und Menschenversammlungen waren schließlich wichtig; sie sorgten für ihr Überleben. Die weggeschmissenen Brötchen, die Krümel auf dem Boden, der Müll - alles Leckerbissen. Das einzige, das sie störte, war der ewige Konkurrenzkampf. Der Konkurrenzkampf zwischen ihr und den Tauben. Diesen schmutzigen, hässlichen, grauen Viechern, die so keinerlei Anmut besaßen. Nicht zu Unrecht wurden sie "fliegende Ratten" genannt. Den Begriff hatte sie einmal aufgeschnappt und benutzte ihn seitdem, wo sie nur konnte. "Da kommt sie wieder", flüsterte ein besonders misslungenes Exemplar einer anderen Taube zu, die sich in keinster Weise von der ersten unterschied. Sie hatten alle die Farbe von nassem Asphalt, was für Audrey die hässlichste Farbe auf der ganzen Welt war. Sie war es gewöhnt, dass man über sie lästerte. Sie war ja auch etwas ganz Außergewöhnliches und eigentlich gehörte sie gar nicht hierher, deshalb war sie immer ganz besonders stolz, wenn dieses dreckige Taubenpack über sie herzog. Das bedeutete nur, dass sie auf ihre edle Herkunft neidisch waren. Audrey watschelte erhobenen Hauptes auf die Taubenversammlung auf dem Bahnhofsvorplatz zu, lenkte aber kurz, bevor sie die anderen erreichte, ein wenig zur Seite und blieb etwas abseits stehen. So musste sie sich nicht mit diesem Pack abgeben, hörte aber alles, was gesagt wurde. "Wofür hält sie sich eigentlich?" "Schau dir nur an, wie hochmütig sie da steht. Lächerlich." Alle gurrten böswillig durcheinander. Tauben kannten nur zwei Gefühle: Boshaftigkeit und Gier. Deshalb fraßen sie auch immer, ganz egal, ob sie satt waren oder nicht. Audrey war da anders. Sie aß nur einmal am Tag und hielt streng Diät, das hatte sie bei einer Menschenfrau aufgeschnappt. Sie musste zugeben, dass Menschen zwar lästige Tiere waren, aber manchmal ganz kluge Sachen sagten. Zum Beispiel eben das mit den fliegenden Ratten. Da war sie vollkommen gleicher Meinung. Und die Diät machte sie, um noch anmutiger zu werden, als ohnehin schon, und irgendwann unter ihresgleichen akzeptiert zu werden. Das war ihr oberstes Ziel. "Hey, du." Ein besonders junger Tauberich, der anscheinend unbedingt angeben wollte, breitete seine Flügel aus, erhob sie ein paar Zentimeter in die Lüfte und kam neben ihr zum stehen. "Mach nicht so einen Wind, Kleiner", rügte sie ihn kühl, ohne ihn eines Blickes zu würdigen. Er hieß sicherlich Fritz. Alle Tauben hießen Fritz. Auch in dieser Hinsicht glänzten diese fetten Vögel nämlich nicht gerade durch ihre Intelligenz und ihren Einfallsreichtum. "Hey, du", sagte derjenige noch einmal, sich ihr langsam nähernd. Soviel zur Intelligenz. Sie hasste diese Aufdringlichkeit. "Was ist?" "Warum siehst du so anders aus?" Sie hätte beinahe laut losgelacht. Hatten ihm seine Eltern denn nicht erzählt, wer sie war? Jeder wusste es doch! Deshalb waren sie auch alle so neidisch. "Ich bin ein Schwan", verkündete sie hochmütig, "deshalb." Der Tauberich glotze sie aus seinen kleinen, hässlichen, dunkelroten Augen an. Er war skeptisch. "Nee." 'Nee'? Audrey wurde wütend. "Oh doch! Siehst du nicht, dass ich ganz anders bin als ihr? Ich bin ein Schwan!", beharrte sie. Sie konnte es nicht leiden, wenn man ihr nicht glaubte. Und das nur, weil diese Armleuchter noch nie einen richtigen Schwan gesehen haben! "Du siehst gar nicht so aus, wie einer." Der junge Hecht ließ nicht locker. "Schwäne sehen anders aus." "Fritz", erklang es aus dem Hintergrund. Irgendeine Stimme, die sich genauso anhörte, wie jede andere Taubenstimme auch. "Lass die Verrückte. Komm wieder her, sonst kriegst du keine Krümel mehr ab." "Ja, Fritz", gurrte Audrey gehässig, "geh und stopf dir deinen sowieso schon fetten Bauch voll!" Der Junge schüttelte seinen viel zu klein geratenen Taubenkopf. "Schwäne sind groß und schön. Du siehst aus wie wir, nur weiß. Warum bist du weiß?" Er ging ihr langsam auf die Nerven und hatte er tatsächlich eben behauptet, sie wäre nicht groß und schön? Mit einem Satz war sie bei ihm, schlug schnell mit den Flügeln, hob ein wenig vom Boden ab und schaffte es, ihm gerade so viel Angst einzujagen, dass er verängstigt und im Eiltempo zu seinen Artgenossen zurückwatschelte. "Ich hab's dir doch gesagt." "Gib dich nicht mit der ab, die hat eine Schraube locker." "Hält sich für 'nen Schwan, die Gute. Pffff." Sie gurrten wieder böswillig und lachten über sie, diese Ignoranten. Die hatten ja gar keine Ahnung. Waren nur neidisch. Dabei war Audrey ein ausgewachsener Schwan. Groß, schlank und anmutig, weiß. Weiß! Wer hatte schon jemals eine weiße Taube gesehen?! Also sie noch nie, und sie war sogar schon mehrere Monate alt! Sie konnte nur ein Schwan sein. Als sie eines Tages eine Postkarte von einem sah, die ein Menschenjungtier verloren hatte, hatte sie es sofort gewusst. Dieses Aussehen, diese Eleganz - das war ihre wahre Herkunft, ihre Bestimmung. Aber die anderen, die es schon von Anfang an gewusst und es ihr verschwiegen haben müssen, waren so neidisch, dass sie sie als Irre darstellten. Dabei waren sie diejenigen, die von ihrer Gehässigkeit ganz zerfressen waren. Sie taten Audrey insgeheim leid. Wenn sie könnte, würde sie sofort nach Hause aufbrechen. Nur wusste sie noch nicht, wo ihr Zuhause war und sie wollte sich auf keinen Fall verfliegen. Deshalb musste sie noch ausharren und von den klugen Menschentieren mehr Informationen sammeln. Die redeten so allerhand und wussten eine ganze Menge. Zum Beispiel eben das mit der Diät und dass man dadurch schöner wurde. Mitten in ihre Gedanken hinein landete ein anderer Tauberich neben ihr. Sie blickte auf und betrachtete ihn. Diesen hier kannte sie noch nicht, und er war älter als sie und nicht ganz so hässlich, wie die anderen, da er nicht diese Straßenfarbe hatte, sondern voll und ganz schwarz war. Sogar seine Augen. Sie hasste dunkelrote Augen. "Mylady", grüßte er sie vornehm und sie legte neugierig den Kopf schief. Was für ein seltsamer Kauz. Und was wollte er von ihr?! "Darf ich mich vorstellen? Ich bin Sir Oscar. Und wer seid Ihr?" "Audrey", verkündete sie selbstgefällig. Sie war sichtlich stolz auf ihren Namen. Er klang so weltgewandt und gleichzeitig so anmutig. Den hatte sie bei einem Menschen aufgeschnappt. Sodann fügte sie hinzu, bloß, damit von Anfang an keine Missverständnisse aufkamen: "Ich bin ein Schwan." Der Tauberich musterte sie prüfend, lief ein paar Mal um sie herum und nickte dann schließlich. "Eine wunderschöne Erscheinung." Irgendwo im Hintergrund lachten gurrend ein paar gehässige Ratten. Dann kam der Neuankömmling etwas näher an sie heran und streckte seinen Hals aus, um ihr zuzuflüstern: "Verratet es keinem, Mylady, aber ich bin... hier auch fehl am Platze. Ich bin ein Rabe." Er richtete sich zu seiner voller Größe auf und plusterte überzeugt sein schwarzes Gefieder auf. Audrey lachte verächtlich und wandte sich von dem Tauberich ab. "Was für ein Spinner", gurrte sie höhnisch, aber so laut, dass er es noch hören konnte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)