Mein anderes Ich und du von Stiffy ================================================================================ ...und Berührungen ------------------ „Sorry, dass es so lang gedauert hat“, trete ich ins Wohnzimmer, betend, dass der Wäscheständer in Flammen aufgegangen ist oder wenigstens unbeteiligt herumsteht. Wenigstens letzteres tut er zu meiner Erleichterung. Dominik hat es sich auf meinem Sofa gemütlich gemacht und blättert in einer Zeitschrift. Die Alternative zur Kaffeebohne, steht darauf. „Kein Problem.“ Lächelnd schlägt er die Zeitschrift zu und lässt sie wieder in ihrem Ständer verschwinden. Dann sieht er mich erwartungsvoll an. Mein Herz schlägt mir jetzt bis zum Hals. Ich fand diesen Vergleich immer dämlich, doch hier passte er einfach viel zu gut. Grauenhaft. „Möchtest du etwas trinken?“, frage ich, selbst mit ausgetrockneter Kehle. „Später vielleicht.“ „Okay.“ Zögernd gehe ich auf ihn zu, drifte dann zum Sessel ab und sinke hinein. „Also wo-“ „Du hast eine schöne Wohnung.“ Ich spüre, wie ich rot werde. Dabei höre ich das Kompliment nun wirklich nicht zum ersten Mal. „Danke.“ „Wirklich. Sie ist schön hell, groß… Dein Geschmack für Möbel gefällt mir. Ich würde mich hier wohlfühlen.“ Ich klappe den Mund, welchen ich zum Sprechen geöffnet hatte, augenblicklich wieder zu und starre den jungen Mann an, der in meinem dunkelbraunen Sofa sitzt und dessen Blick über meine Wände gleitet. Sein Gesichtsausdruck ist vollkommen normal, ebenso wie auch seine Worte… und dennoch verschlagen sie mir die Sprache. „Wie lange wohnst du schon hier?“, trifft sein Blick mich. Es fällt mir schwer, die Frage überhaupt an mein Gehirn durchdringen zu lassen. „Knappe drei Jahre.“ Meine Kehle ist nun vollkommen ausgedörrt. Seine Augen verschlingen mich. Ich warte darauf, dass er mich fragt, ob ich alleine wohne, doch das tut er nicht. Stattdessen sieht er mich weiter an. Das Lächeln auf seinem Gesicht verblasst, der Ausdruck verändert sich. Die Tanzstunde in meinem Inneren setzt zum Höhepunkt an. Wiener Walzer! Jetzt bin ich mir sicher! „Wo… wohnst du?“, ringe ich mir eine Frage meinerseits ab. Eigentlich weiß ich die Antwort, weshalb ich mir ziemlich doof vorkomme. Ich weiß viele Kleinigkeiten über ihn, auch, dass er nächste Woche Geburtstag hat. Er ist somit fast genau drei Monate älter als ich. Schon länger habe ich mir überlegt, ob ich ihm dann gratulieren soll. Er antwortet schlicht und lehnt sich im Sofa zurück. „Ich bin nach Beginn des Studiums hingezogen, also vor zwei Jahren. Davor hab ich in ner WG gewohnt, aber ich brauchte mal meine Ruhe. Darum hab ich angefangen zu jobben…“ „Als was?“ „Kellner, Eisverkäufer… Was halt grad so anfällt.“ „Arbeitest du im Moment auch?“ „Nur drei Mal in der Woche im Klivens.“ Wieder fühle ich mich überrumpelt. Verdattert sehe ich ihn an. „Das ist meine Lieblingsbar.“ „Ich weiß.“ Ein Lächeln. „Ich hab dich ein paar Mal da gesehen.“ Bei dieser Eröffnung wird mir schlagartig anders. Wenn ich im Klivens bin, mache ich keinen Hehl daraus, dass ich schwul bin. Immer wieder flirte ich mit bildfremden Männern, einige davon saßen bereits hier auf dem Sofa. Wie oft hat er mich mit ihnen gesehen? Wie intim? Sofort verspüre ich das Bedürfnis, ihm zu sagen, dass das ja gar nicht meine Art ist. Aber ich würde lügen. Es ist meine Art, normalerweise. In einem solchen Fall hätte ich heute auch sicher bereits eindeutige Aussagen getroffen und wüsste längst, woran ich bin. Oh, würde es mir mit ihm jetzt doch bloß auch so einfach fallen. Aber nein, stattdessen benehme ich mich wie eine Jungfrau mit Keuschheitsgürtel. Nicht, dass ich das nicht ändern könnte… aber um ehrlich zu sein; ich kann es nicht! „Wieso… habe ich dich nie da gesehen?“, frage ich stattdessen, mich selbst zusammenreißend. Ich versuche den Ausdruck in seinen Augen zu deuten, doch es ist mir unmöglich. „Weil ich in der Küche mithelfe. Daher sieht man mich nicht so oft.“ „Verstehe.“ Mir fällt es schwer, ihn weiter anzusehen, während sich in meinem Kopf Erinnerungen zusammensetzen. Er muss mich schon so viele Male mit anderen Männern gesehen haben. Was denkt er bloß von mir? Eine typische Schwuchtel, die mit jedem rummacht? Kann ich ihm nach einer solchen Erkenntnis eigentlich noch sagen, dass bei ihm alles ganz anders ist? Noch nie ging es mir so wie jetzt mit ihm. „Wie bist du an den Job gekommen?“, reiße ich mich von den Gedanken los. Ich muss aufhören so zu denken, das macht mich nur noch nervöser. „Über eine Freundin. Sie kennt die Chefin des Klivens. Und da ich gerade wieder auf der Suche war, hat sie mich empfohlen…“ „Kochst du auch?“ „Ab und an helfe ich, wenn Not am Mann ist… Warum?“ „Ich mag Männer, die kochen können“, rutscht es mir mehr raus als dass es Absicht ist. In diesem Augenblick erbleicht sein Lächeln ein wenig und würde ich nicht annehmen, mich nur zu täuschen, würde ich sagen, dass ein leichter Rotschimmer seine Wangen überzieht. Auch bei mir ist dies wahrscheinlich der Fall, zumindest fühlt sich mein Gesicht ungewöhnlich warm an. Es ist ein angenehmes Gefühl, irgendwie, doch ich schaffe es nicht, ihn anzulächeln, wie ich es gerne würde. Dominik räuspert sich und wendet den Blick ab. Er kratzt sich am Kopf und irgendwie erleichtert es mich, dass auch er gerade nichts zu sagen weiß. Ohnehin ist er viel offener und redseliger als ich erwartet hatte. Ein Minus für meine Menschenkenntnis, doch eigentlich gefällt mir das sehr an ihm. „Ich hol was zu Trinken…“, stehe ich überstürzt auf. Ohne ein weiteres Wort verlasse ich das Wohnzimmer. In der Küche vorm Kühlschrank hole ich tief Luft, um meine nervösen Lungenflügel zu füllen. Es fällt so unglaublich schwer, einfach nur mit ihm zu reden. Ständig stoßen wir an Punkte, die uns stocken lassen, zögern, aufhalten. Vielleicht sollte ich ihm einfach sagen, dass er mir gefällt, das würde so vieles einfacher machen. Und wenn es ihn stören würde, könnte er einfach gehen. Dann wäre er nicht gezwungen, hier mit mir zu sein und sich mein peinliches, unsicheres Gefasel anzuhören. Es ist so erschreckend, was er mit mir macht… „Bist du eingefroren?“ Alarmiert fahre ich herum. Die Saftflasche entgleitet meinen Händen. Mit einem lauten Knall zerspringt sie auf den Kacheln. Ich kann nur dabei zusehen, wie sich der Inhalt über den gesamten Küchenboden ergießt. „Mist! Ich wollte dich nicht erschrecken!“, ist Dominik sofort bei mir. Schneller als ich ist er in die Knie gegangen, greift sofort nach den ersten Scherben. „Vorsichtig!“, folge ich ihm hinab. „Nicht, dass du dich… schneidest…“ Bei dem letzten Wort, als ich ihm eine Scherbe abnehmen will, treffen sich unsere Finger. Es lässt mich den Blick heben, ihn ebenfalls. Ich halte die Luft an und spüre die Berührung. Plötzlich sind mir seine strahlendblauen Augen ganz nah. In meinen Ohren beginnt es zu rauschen. Wie das Meer, nur noch um ein vieles lauter. Das Blut saust durch meinen Körper hindurch, zum allerersten Mal nehme ich es auf diese Weise wahr. Und meine Fingerspitzen kribbeln, dort, wo sie noch immer seine Hand berühren. Diese starre ich an. Seine Hand; ich hatte mir so gewünscht, sie zu halten. Nur eine Scherbe trennt mich noch… Ich könnte… Mit einem Mal stehe ich wieder auf den Beinen. „Warte, ich hol ein Kehrblech“, erkläre ich und steige an ihm vorbei, hetze durch meinen kurzen Flur, nur um mich im Endeffekt erschrocken zurückzudrehen. Ich hätte nicht gehen müssen, keinen Meter von mir entfernt im Schrank war es doch… Nun zurückblickend, sehe ich Dominik die Scherben einsammeln. Peinlich berührt, noch immer unsere Nähe spürend, und wissend, dass es meine Chance gewesen wäre, die ich vollkommen vermasselt habe, gehe ich zurück. Jeden anderen hätte ich sofort geküsst, doch hier konnte ich es nicht. Zu groß ist die Scheu, die Angst vor der Reaktion. Sehr schwer ist es, mich wieder hinabzulassen. Hier nehme ich das Kehrblech aus dem Schrank und schweigend sammeln wir die Scherben ein, wischen den Boden. Ich würde ihn gerne irgendwas fragen, doch mein Mund ist mit einem Mal wie zugeklebt. Ich bringe keinen Ton heraus. Endlich das Malheur beseitigt, reiche ich Dominik ein Glas Wasser. „Danke.“ Er trinkt einen großen Schluck und sieht an mir vorbei. „Wollen wir jetzt anfangen?“ „Womit?“ „Lernen.“ Er lächelt, doch irgendwie erreicht es nicht seine Augen. Sie strahlen plötzlich nicht mehr so arg. „Oh. Ja, warte, ich hol meine Sachen…“ Die nächsten zwei Stunden vergehen nicht weniger bizarr. Während Dominik versucht, mir ein paar Sachen beizubringen, und ich versuche, so zu tun, als könne ich sie noch nicht, versuchen wir beide zusätzlich noch, ein Gespräch in Gang zu halten. Es ist unglaublich schwer, die Stimmung ist steif und angespannt. Es ist, als würden wir uns im Kreis drehen, und wir beide scheinen davor zurückzuschrecken, den anderen auch nur aus Versehen zu berühren. Ich fühle mich die gesamten zwei Stunden miserabel. Eigentlich habe ich so viele Dinge, die ich ihn gerne fragen würde, doch nichts davon verlässt meine Lippen. Die Sachen kommen mir so banal vor, nicht wichtig genug, um sie einen eigentlich Fremden zu fragen, und doch von der Art, wie man normalerweise das Fremdsein verschwinden lässt. Hier geht dies nicht so gut und während ich mit mir kämpfe, frage ich mich immer wieder, warum es mir bloß so schwer fällt, in seiner Gegenwart locker zu sein. Sonst kann ich es doch auch, habe immer einen blöden Spruch auf den Lippen, immer eine Geschichte, die es zu erzählen gilt. Woher kommt diese unbändige Sorge, etwas Falsches zu sagen, nur wenn ich den Mund aufmache? Warum fällt seine Gegenwart so schwer, obwohl ich sie andererseits doch so genieße? Irgendwann lässt Dominik seufzend den Stift sinken. Er sieht mich einen Moment lang an, wirft anschließend einen Blick auf sein Handy, welches ihm die Uhrzeit präsentiert. Auch ich sehe es an, wie es auf meinem Tisch ruht. Schon die ganze Zeit verlangt es in mir danach, ihn nach seiner Nummer zu fragen. Stattdessen greife ich nun hilfesuchend nach meinem Glas und trinke es leer, während ich ihn aus den Augenwinkeln beobachte. Er hat wirklich ein so wunderbares Profil. Auch das will ich ihm schon die ganze Zeit sagen. Und seine Locken… sie verlocken so sehr, doch nicht eine habe ich davon bisher berührt. „Kann ich mal dein Bad benutzen?“ Seine Stimme in der Stille lässt mich zusammenzucken. „Natürlich!“ Viel zu laut. Mit einem kurzen Nicken steht er auf und verschwindet. Seufzend lehne ich mich im Sessel zurück. Ich schließe die Augen und versuche, mein Innerstes zu beruhigen. Noch immer tobt es wie ein Orkan, wird eher unerträglicher als schwächer. Und der Gedanke, dass Dominik wahrscheinlich gleich gehen wird, trägt nicht gerade dazu bei, es zu beruhigen. Was ist bloß so schwer an der Sache? Warum berühre ich ihn nicht, wenn ich doch das Bedürfnis habe, genau das zu tun? Warum küsse ich ihn nicht einfach? Oder streiche ihm wenigstens durchs Haar? Warum fällt es mir so schwer, ihm zu zeigen, dass er mir gefällt? Verhalte ich mich wirklich wie eine Frau bei ihrem ersten Date? Verhalte ich mich nicht noch viel schlimmer? Wie könnte die Frau ihre Verabredung näher bringen, wenn sie sich so dermaßen zurückhaltend verhält? Aber was soll ich denn sonst tun? Ich will ihn doch nicht verschrecken. Ich will ihn nicht einfach gegen seinen Willen berühren. Ich will nicht, dass er erschrocken aufspringt und mir sagt, dass er das nicht mag. Ich habe das Gefühl, es nicht zu ertragen, wenn er mich abweisen würde. Gehe ich deshalb der Möglichkeit aus dem Weg, es zu versuchen? Habe ich dann nicht schon längst verloren? Ein kratzendes Geräusch lässt mich zusammenfahren. Sofort fällt mein Blick auf das vibrierende Handy auf dem Tisch. Eine Sekunde lang will ich Dominik rufen, doch dann ist das Handy wieder still. Nur eine SMS also. Zögernd wage ich es, mich ein Stück nach vorne zu beugen. Nur einen kurzen Blick. Heißt es nicht immer, dass ein Handy sehr viel über einen Menschen verrät? Dabei weiß ich eigentlich genau, wie verkehrt es ist. Mit einem letzten Seitenblick zur Wohnzimmertür beuge ich mich weiter vor und erhasche die Buchstaben. Dann stockt mir der Atem. „Michael?“ Ehe ich meine neuste Erkenntnis selbst überhaupt begreifen kann, reißt mich die Stimme zurück. Dominik steht nun im Raum und sieht mich direkt an. Eine Sekunde lang will ich mich entschuldigen, für das, was ich getan habe, in der nächsten will ich ihn anfahren, wie das, was ich soeben gesehen habe, überhaupt sein kann… doch letztendlich bringt mich der Blick, der mich trifft, dazu, zu schweigen. Dominik scheint dies nicht Antwort genug zu sein. Er seufzt deutlich und kommt dann langsam auf mich zu. „Ich denke, dass ich jetzt besser gehe“, erklärt er, während er nach seiner Tasche greift. Mein Schreck und meine Verwirrtheit sind fürs Erste verrauscht. Etwas anderes rückt nun an die erste Stelle. Verzweifelung? „Aber…“ Er hält inne und sieht mich einen Moment an. In seinen Augen steht so etwas wie Resignation, zumindest würde ich das sagen, wenn ich ihn besser kennen würde. Ich öffne den Mund, um ihn zu fragen, weshalb er plötzlich gehen will, doch ich spreche die Frage nicht aus. Was geht es mich auch an? Ich habe kein Recht, ihn aufzuhalten. Also tue ich es nicht und sehe ihm weiter dabei zu, wie er einräumt. Das Handy, welches in seiner Hosentasche verschwindet, bekommt von mir mehr Blicke gewidmet als von ihm. Aber auch hiernach frage ich nun nicht mehr. Letztendlich also folge ich ihm schweigend bis zur Tür. Die gesamte Zeit über habe ich das Bedürfnis, nach seiner Hand zu greifen. Diesen Wunsch noch immer nicht verloren, ist er eher stärker geworden, während ich ihn den Stift habe halten sehen. Seine Finger sind schön, sie fühlen sich bestimmt angenehm an. Und ich habe doch wirklich noch so viele Fragen… „Danke, fürs Helfen“, bringe ich aber als einziges über die Lippen. Ein kurzes Nicken, ein „Bitte“, dann greift er nach der Türklinke. Ich sehe schon, wie ich mich in der nächsten Sekunde verfluchen werde, um dann Hannah anzurufen und sie zur Rede zu stellen… Doch letztendlich wird die Tür nur eine Sekunde lang geöffnet, bis sie wieder ins Schloss fällt. Im nächsten Augenblick ist er zu mir herumgefahren. „Warum lügst du mich an?“ „Äh… was?“ „Du kannst Statistik. Jeder kann Statistik! Und trotzdem tust du, als wärest du blöd. Erst fand ich das ja echt süß, dachte du spielst mit, aber jetzt lässt du mich einfach so gehen? Ist das dein Ernst?“ Vollkommen baff stehe ich vor ihm. Seine Tasche hat er zu Boden gelassen, ist einen Schritt auf mich zu, sieht mich direkt und durchdringend an. Es ist, als würde er in meine Seele blicken können, und doch scheint er vollkommen ratlos. „Ich… nein… das…“ Unsicherheit, noch schlimmer als den ganzen Tag lang, ergreift mich. Plötzlich, jetzt, da es so wichtig ist, bin ich noch unfähiger als zuvor, etwas zu sagen. Nur meinen Kopf kann ich schütteln, wie ein Idiot. „Was nein?“ Zorn steht in seinen Augen. Oder Enttäuschung? Ich bin mir nicht sicher. Innerlich lache ich mich selbst aus. Jeder, der mich kennt, würde jetzt lachen, sich fragen, ob ich sie noch alle beisammen habe. Warum stottere ich hier herum? Warum kann ich es nicht einfach sagen? Warum kann ich ihm nicht sagen, dass ich ihn schon so lange beobachte? Noch immer kein Wort formuliert, verliert der Körper vor mir seine Anspannung. Seine Schultern sinken hinab, der Zornesausdruck erlischt. Nun ist es wirklich nur noch Enttäuschung auf seinem Gesicht. „Ich hab mich gefreut“, gibt er zu und sieht mich nun mit anderen Augen an, „als du mich gefragt hast, ob wir hierher wollen. Ich hab doch deine Wohnung sehen wollen, um dich kennenzulernen. Doch seit wir hier sind… Du siehst mich so komisch an, du lächelst nicht, wirkst so steif… So hab ich mir das nicht vorgestellt…“ „Vor… vorgestellt?“ Ich kann nicht anders, als ihn mit großen Augen zu mustern. Was sagt er denn da? „Ja.“ Er seufzt, zuckt die Schultern. „Ich hab dich so oft lachen sehen, im Klivens oder in der Uni… Du wirktest immer so fröhlich, hast mit jedem gelacht. Das mochte ich so an dir… und ich habe mir vorgestellt, dass du auch mich so anlachen würdest. Doch stattdessen… Liegt es an mir? Gefalle ich dir nicht? Warum hast du mich dann hergebracht? Warum ist Hannah überhaupt auf diese bescheuerte Idee gekommen?“ „Hannah?“ Ich starre auf die Tasche hinab, plötzlich wieder meine rasende Frage im Sinn. „Warte mal, warum schreibt sie dir eigentlich?“ Nun ist es sein Blick, der mich fragend trifft. Ich deute auf seine Hosentasche mit dem Handy darin. Sofort greift er danach und während er es tut, spezifiziere ich meine Frage. „Warum schreibt meine beste Freundin dir eine SMS?“ Er tippt auf zwei Tasten herum, dann zeigt er ein resignierendes Lächeln und hält mir das Handy hin. „Sieh selbst.“ Ich packe das kleine Ding, gespannt, was mich nun treffen mag, doch alles, was da steht, ist: Und? Hat es geklappt? Fragend hebe ich den Blick. „Soll ich ihr antworten oder du?“ Er nimmt mir das Handy wieder ab. „Geklappt? Was?“ „Du siehst wirklich den Wald vor lauter Bäumen nicht, oder?“ Ein kurzes, fast sanftes Lächeln. „Mit uns. Sie will wissen, ob es mit uns geklappt hat.“ Seine Augen zeigen Traurigkeit. Ich blinzle. „Aber…“ Verwirrt starre ich wieder das Handy an. „Wieso schreibt sie dir?“ „Weil sie von dir annimmt, dass du sie anrufst, so wie du es im Bad getan hast.“ Ich sinke gegen die Wand hinter mir. „Du hast-“ „Ja, aber keine Panik, ich hab nichts verstanden, nur dass du irgendwie wütend auf sie warst…“ „Nicht auf sie! Auf mich!“ „Weshalb?“ „Wegen dir!“ „Na vielen dank!“ „Nein, nicht so, wie du denkst!“ Plötzlich muss ich lachen. Ich sehe das Handy in seiner Hand zittern, greife danach, lege es auf die Kommode und greife anschließend nach Dominiks Händen. Es ist, als würde diese Berührung mir durch Mark und Bein gehen. Ich erzittere unter ihr und spüre gleichzeitig, wie mein Herz einen heftigen Schlag tut. Dann ist nur Stille in mir, Ruhe… eine plötzliche Geborgenheit, die mich ergreift. Sie geht von diesen Händen aus. Ich drücke sie fester, während er mich nur anschaut, plötzlich deutlich nervös. „Bitte erklär mir das mit Hannah“, spreche ich leise. „Ich...“ Er zögert, sieht verwirrt auf unsere Hände hinab. „Naja… Vor einem Monat hab ich mich das erste Mal im Klivens mit ihr unterhalten… Einfach so, bis wir auf dich zu sprechen kamen. Ich hab ihr gesagt, dass du mir… gefällst… Danach haben wir noch öfter geredet und sie meinte, ich solle den ersten Schritt tun… aber ich konnte es nicht… Wie denn auch? Du hast doch genug Männer! Was willst du schon mit einem wie mir? Und scheinbar hatte ich Recht. Dir scheint meine Gesellschaft unangenehm zu sein und du-“ Der Abstand zu seinen Lippen ist schnell überwunden. Noch mitten im Wort wird er von meinen unterbrochen, die ich ihm fest entgegendrücke. Gleichzeitig ziehe ich ihn an den Händen näher an mich heran, löse eine, greife in die schwarzen Locken und halte seinen Kopf gefangen. Ein fester Kuss wird dieser, unser erster Kuss. Doch haben wir ihn kaum zwei Sekunden gekostet, als der Körper an mir ruhiger wird, entspannter, als die freie Hand seinerseits mich näher zieht und seine Zunge der meinen entgegenkommt. Nun schaffe ich es, die Augen zu schließen. Ich schlinge nun auch meinen anderen Arm um den Körper und dränge ihn näher an mich. Plötzlich ist es, als wäre alle Last von meinen Schultern gefallen. Zurück bleibt nur das Gefühl, dass mich ein Kuss noch niemals so erfüllt hat. Keuchend lösen wir uns nach Sekunden wieder voneinander. Mit feuchten Lippen lächelt Dominik mich an, der mir plötzlich unglaublich nahe ist, dessen Augen plötzlich wieder strahlen. „Wieso küsst du mich?“, fragt er dennoch, als er seine Hand hebt und mich im Gesicht berührt. „Nun siehst du den Wald nicht“, lächle ich sanft, setze einen Kuss auf die Handinnenfläche, sehe ihm direkt in die Augen. „Die ganzen letzten Stunden waren der reinste Horror für mich. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie nervös ich war.“ Ich umfasse sein Gesicht mit meinen Händen, berühre seine Lippen mit meinen. „Ich wusste doch nicht… Ich meine…“ Ich verstumme, küsse ihn erneut fest und innig. „Weißt du, ich beobachte dich seit Wochen und wusste nie, wie ich auf dich zugehen sollte. Das kenn ich nicht von mir… ich habe damit eigentlich keine Probleme… aber du… bei dir ist es anders. Ich bin anders. Du bist…“ Plötzlich muss ich lachen, bei meinem eigenen, absurden Gedanken. Ein fremder Gedanke, noch immer würde ich sagen, dass ich nicht daran glaube. Schicksal, Bestimmung… hätte ich heute meine Unterlagen dabeigehabt, wäre alles anders verlaufen… oder wenn er nie im Klivens gejobbt hätte… und dennoch… irgendwie wird all das nun, da ich in diese Augen blicke, ein klein wenig wahrer. Ich streiche sanft durch die Locken hindurch, in den Nacken, den ich so lange habe berühren wollen. Ich sehe ihn vor mir und weiß plötzlich, dass ich ihn nie wieder nur aus den hinteren Reihen beobachten will. Nun will ich mehr als das, viel, viel mehr. Mit ihm, von ihm, für ihn... „Ich bin?“, haucht Dominik gegen meine Lippen, während ich nicht aufhören kann, ihn zu berühren. Seine Augen strahlen und mein Herz glüht. Nun fühle ich mich, wie die Frauen, die nach ihrem ersten Date das erste Mal geküsst wurden. Ob sie sich auch so glücklich fühlen, mit dem Mann, von dem sie geträumt haben? Zweifellos, denn nicht Schicksal oder Bestimmung ist die Bedeutung, nicht die Vorstellung, wie er sein könnte, sondern das Erlebnis, wenn er ist. Und so sage ich es ihm, indem ich mich an sein Ohr beuge und es leise flüstere, um die Gänsehaut zu spüren, die seinen Körper erreicht. Er ist es, genau hier und jetzt in meinen Armen. Nur für mich. „Ich glaube… du könntest mein Traummann sein.“ Mein anderes Ich und du ~ ENDE 20. Mai 2009 ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ Kommentar: Ich möchte mich an dieser Stelle natürlich bei allen Lesern bedanken! Es freut mich, dass euer Weg euch zu dieser Geschichte geführt hat, und ich hoffe sehr, dass euch beide Part gefallen haben. Wie gesagt war dies nur ein kleines Zwischenprojekt, eigentlich ist es nicht so mein Ding, solch kurze Geschichten zu schreiben. Dennoch, dann und wann ist es vielleicht auch mal ganz erfrischend. Natürlich würde ich mich freuen, wenn euch diese Geschichte dazu bewegt, auch noch einer anderen von mir eure Aufmerksamkeit zu schenken. Wenn dem so sein soll, freut es mich, euch erneut in eine meiner Welten entführen zu dürfen :) All der ganzen Worte nun genug, hiermit verabschiede ich mich herzlich bei euch! Liebe Grüße Stiffy Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)