Finera - New Adventures von Kalliope ================================================================================ Kapitel 91: Die Honiginsel -------------------------- Faiths Mutter drückte ihre Tochter fest an sich. „Bitte pass gut auf dich auf. Steck deinen Kopf nicht immer unüberlegt in fremde Angelegenheiten, ja?“ „Ja, Mom. Lässt du mich bitte los?“ Faith grinste schief und befreite sich aus dem Klammergriff ihrer Mutter. Sie hatte ihr natürlich nichts davon gesagt, dass sie es auf Team Dark abgesehen hatte, das würde ihre Mutter nicht verkraften. Stattdessen spielte Faith noch einige weitere Minuten die brave Tochter und spürte währenddessen immer das kaum merkliche Gewicht des Seelentaus in ihrer Hosentasche. Es war eine spontane Entscheidung ihrerseits gewesen, dass sie Latias‘ Geschenk mit auf ihre weitere Reise nehmen würde. Wenig später warteten Evan, Itsuki, Mira und Faith auf die Fähre nach Honey Island. Die Fahrt würde nicht so lange dauern und Faith liebte Schifffahren, ganz im Gegensatz zu Mira, die kreidebleich wie ein Geist durch die Gegend schwankte, dabei waren sie noch gar nicht auf der Fähre. „Ihr müsst euch unbedingt die vielen Beerenplantagen auf der Insel ansehen, damit macht Honey Island einen Großteil des Jahresumsatzes. Außerdem wird dort der beste Honig von ganz Finera hergestellt, in den tiefen Wäldern der Insel gibt es die einzig bekannte Wadribiekolonie, die sich ausschließlich von Waldpflanzen ernährt.“ Evan nannte noch einige weitere Programmpunkte und freute sich schon unheimlich darauf, dass seine neuen Freunde nun auf seiner Heimatinsel angekommen waren. Allerdings würden sie nicht alle bei Evan schlafen können, sein Vater renovierte gerade das Wohnzimmer und sie besaßen auch kein Gästezimmer. Da Evan jedoch die beiden Mädchen nicht trennen wollte – oder eher wollte er nicht, dass eine der beiden alleine mit Itsuki im Pokémoncenter war, denn Evan vertraute Itsuki noch immer nicht zu einhundert Prozent – nächtigte Itsuki auf einer aufblasbaren Matratze in Evans Zimmer, während Faith und Mira wie üblich das Pokémoncenter beziehen würden. Pünktlich zum Mittagessen konnten sie die Fähre in Honey Island verlassen, die Hauptstadt der Insel hieß wie die Insel selbst. Evan begann großzügig einige alte Sehenswürdigkeiten auf ihrem Weg zum Pokémoncenter zu erklären und Faith hielt sich mit Kommentaren zurück. Natürlich kannte sie die Stadt mehr oder weniger gut, immerhin kauften viele Leute aus Litusiaville hier ein. Gerade waren sie am Pokémoncenter angekommen, als ihnen zwei wohlbekannte Gesichter über den Weg liefen. Trixi grüßte die Truppe freundlich und auch Joel nickte ihnen zu. „Na sieh mal einer an, Light, altes Haus, was geht ab?“ Übermütig schlug Evan Joel auf die Schulter und tat so, als würde er den finsteren Blick von Joel gar nicht bemerken. Er blickte schnell zwischen Joel und Faith hin und her, dann verkniff er sich ein breites Grinsen und tat stattdessen so, als müsste er kurz gähnen. „Was machst du denn hier am Pokémoncenter? Ich bin eigentlich davon ausgegangen, dass du dich gleich im Anwesen deiner Familie verkrümeln wirst.“ Joel wischte Evans Hand von seiner Schulter und trat zurück an Trixis Seite. „Heute Vormittag habe ich einen Übungskampf absolviert, meine Pokémon wurden gerade geheilt. Eigentlich habe ich die Ruhe ohne euch genossen, aber wie ich sehe, hat es euch nun auch hierher verschlagen.“ „Ach komm schon, Joel. Wir sind doch alte Freunde“, sprach Evan neckend und piekte Joel in die Seite, woraufhin dieser nur noch beleidigter schaute. „Wir waren zusammen in demselben Kindergarten, aber Joel vergisst das gerne mal“, wollte er den anderen erklären, doch da schaltete sich gerade Trixi ein. „Verständlicherweise, du bist unerträglich nervig, Evan McCloud.“ „Und du bist sauer, weil ich vor dir ein eigenes Pokémon hatte. Na ja und du bist vermutlich noch immer sauer, weil ich dir als Kind einmal Kleber in die Haare geschmiert habe und man dir die langen Haare abschneiden musste. Dabei steht dir kinnlang viel besser.“ Trixi schnaubte verächtlich, verschränkte die Arme vor der Brust und drehte sich demonstrativ weg. „Ich gehe davon aus, du wirst Faith und Co auch noch mit deinem liebsten Hobby belästigen, ja?“ „Von welchem Hobby redet sie?“ Interessiert blickte Mira zu Evan auf. „Sag schon.“ „Karaoke“, gestand Evan mit einem süffisanten Lächeln. „Ich schlage vor, wir gehen heute Abend alle zum Karaoke. Trixi, schau nicht so angewidert, ein bisschen Spaß tut uns allen gut, hm? Na los Leute, seid keine Memmen. So ein bisschen Gesang bringt niemanden um. Oder traust du dich etwa nicht, Joel?“ „Natürlich traue ich mich“, giftete Joel sofort und biss sich auf die Zunge, als Evan mit einem siegessicheren Blick sowohl einen Arm um ihn als auch um Faith legte. „Wunderbar, dann gehen wir heute Abend alle zum Karaoke. Neunzehn Uhr, wir treffen uns da vor Ort. Das wird ein Spaß!“ Faith rollte mit den Augen und löste sich aus Evans Griff. Sie wusste nicht, was Evan im Schilde führte, aber irgendetwas musste er damit bezwecken wollen, da war sie sich sicher. Zur genannten Uhrzeit hatten sich die beiden Grüppchen an der Karaokebar mitten im Stadtzentrum von Honey Island getroffen. Trixi trug ein umwerfend schönes Kleid in einem tiefen Bordeauxrot, Joel geleitete seine Zwillingsschwester wie ein wahrer Gentleman an ihren Platz. Anschließend machten es sich auch die anderen rund um einen Tisch gemütlich und bestellten beim Kellner Getränke und Snacks. Im Hintergrund sangen zwei junge Mädchen gerade ein Duett. „Ich kann es kaum glauben, dass ich mich von dir hierzu habe überreden lassen“, murrte Joel leise, kam mit seinem halbherzigen Protest jedoch nicht sonderlich weit. Schweigend nippte er an seiner Cola. Trixi musterte die anderen mit wachen Augen, sie schien jedoch selbst nicht singen zu wollen und drängte stattdessen Mira dazu, dass diese doch ein Liedchen zum Besten geben sollte. „Du hast bestimmt eine wunderbare Singstimme.“ „Nein, ich kann nicht singen“, erwiderte Mira mit roten Wangen und drückte sich tiefer in ihren Sitz hinein. Evan lächelte zufrieden, lehnte sich zurück und schaute der Reihe nach die anderen an, bis sein Blick bei dem schmollenden Joel hängen blieb. „Ich kann mich daran erinnern, dass wir an einem Geburtstag von dir auch hier singen waren, das war in der Grundschule.“ „Wir haben alle nicht die Töne getroffen“, erinnerte Joel sich und entspannte sich allmählich. „Aber das ist in dem Alter wohl normal, immerhin kannten wir kaum den Text der Lieder.“ „Ich glaube, du willst dich nur rausreden.“ Faith, die neben ihm saß, stupste ihn leicht in die Seite. „Bestimmt kannst du auch heute nicht singen.“ „Tön hier nicht so rum, beweis lieber, dass du besser singen kannst als ich.“ „Dazu brauche ich einen Vergleich.“ Faith wusste nicht, wieso sie Joel unbedingt anstachelte, aber sie stellte es sich lustig vor, wenn er auf der Bühne stand und sich vor dem Publikum zum Affen machte. „Warum singt ihr kein Duett?“, schlug Evan sofort mit leuchtenden Augen vor und nervte die beiden so lange, bis auch Trixi seiner Meinung war und ihren Bruder beinahe auf die Bühne drängte. Während Faith und Joel also mit Unwohlsein auf die Bühne gingen, lehnte Trixi sich ebenso zufrieden gegen einen Pfosten wie Evan. „Du bist immer noch so ein verdammter Kuppler, Evan.“ „Lass mir meinen Spaß.“ Er zwinkerte Trixi zu, dann schwieg er, weil das vorherige Lied zu Ende war und das nächste Lied angespielt wurde. Nervös und mit klopfendem Herzen stand Faith auf der Bühne. Hier oben war das Licht heller, sie konnte nicht bis in die letzten Reihen der Karaokebar sehen, aber sie spürte Joel ganz dicht neben sich. Oh Gott, sie war so verdammt aufgeregt! Joels Hand schloss sich um ihr Handgelenk und um das Armband mit dem bronzefarbenen Herzanhänger, den er ihr vor einiger Zeit geschenkt hatte. Dann begann er zu singen und seine Stimme füllte den Raum mit mehr als nur treffsicheren Tönen. Überrascht blickte Faith zu ihm auf. Sie vergaß zu singen, vergaß zu atmen und fühlte, wie jeder einzelne Ton tief in ihrem Herzen widerhallte. Es gab für diesen Moment nur noch sie beide und dieses Lied war so viel mehr, es war die Melodie in der Sinfonie zwischen ihnen. Wenn sie vorbeigeht Dann scheint es wie ein Feuerwerk Vor einem Himmel ist es sie die ich bemerk’ Ihrer Königlichkeit ist nur ein König wert’ Und ich bin wenig königlich Sie sieht mich einfach nicht Wenn sie tanzt dann tanzt alles Ihre Hüften und Arme Alles erhellt sich im Licht dieser Dame Sie hat die Anmut und die Reinheit Die die anderen nicht haben Sie hat all das was ich Nicht hab’ – Sie sieht mich einfach nicht Je mehr ich mich ihr näher’ desto Ungeschickter bin ich Mein Körper meine Stimme mein Gesicht Es gibt Grenzen die man trotz Millionen von Soldaten wegwischt Aber unsere überwindet man nicht Er hat Stil ist delikat bedient sich Gesten so zart Das leichte Leben dieser Welt ist seine Art Er ist so sehr auch das was er nicht zu Sein vermag Doch die Frauen wissen nicht Von diesen Dingen wenn er spricht Sie sieht mich einfach nicht Man kann so vieles ändern Wenn man zu kämpfen bereit ist – Aber nicht diese Ungerechtigkeit Wenn sie vorbeigeht dann scheint Es wie ein Feuerwerk Vor einem Himmel ist es sie die ich bemerk’ Ihrer Königlichkeit ist nur ein König wert Ein anderer als ich Ich bin wenig königlich Sie sieht mich einfach nicht Sie sieht mich einfach nicht Sie sieht mich einfach nicht Sieht mich einfach nicht Am Ende des Lieds war das begeisterte Klatschen des Publikums nur eine Hintergrundmusik. Faith atmete kaum, schaute Joel tief in die goldbraunen Augen und auch er konnte sich kein weiteres Wort abringen. Als sie „Ich sehe dich“ sagte, legte er ihr stumm den Zeigefinger auf den Mund und schüttelte minimal mit dem Kopf. Sie verstand, schwieg. Als sie gemeinsam die Bühne verließen, hatte er ihr Handgelenk losgelassen, aber sie spürte noch immer die Wärme seiner Hand auf ihrem Armband. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)