Project Robin von Sydney (1. Platz beim Fanfiction-Wettbewerb der AniNite 09) ================================================================================ Kapitel 1: Project Robin ------------------------ Project Robin Peter Wallstein blickte auf den jungen Mann vor ihm. In seiner Karriere als Verleger waren ihm schon eine Menge seltsamer Gestalten untergekommen, aber dieser hier übertraf alles, was er bis dahin gesehen hatte. Anscheinend gerade erst der Schule entwachsen, und mit Namen und Aussehen gesegnet, die so gar nicht hier nach Japan zu passen schienen, saß ihm dieser gegenüber. Das Manuskript, dass aus der Feder dieses Mannes stammte, war noch merkwürdiger als sein Autor. Eigentlich traf sich Peter nicht mit Personen, deren Geschichten nicht in das Schema des Verlages passten. Sie waren nicht einmal eine Antwort wert. Doch dieses Treffen war eine Ausnahme. Normalerweise hätte er ein Manuskript wie dieses nicht einmal wirklich gelesen, sondern es nach kurzem Durchblättern der ersten Seiten gleich auf den Stapel der ungeeigneten Kandidaten gelegt. Doch irgendetwas an dieser Geschichte hatte ihn gefesselt. Er hatte es einfach nicht weglegen können, egal wie seltsam der Handlungsverlauf war, wie unrealistisch die Charaktere sich untereinander verhielten und handelten. Nun war sich Peter allerdings nicht sicher, ob es seinem Publikum beim Lesen nicht auch so gehen würde. Zwar war er durch seinen Beruf noch mehr auf die ewige Ähnlichkeit von Fantasy- und Science Fiction-Romanen der Gegenwart sensibilisiert als die Leser, doch es brauchte nicht einmal die jährlichen Umfragen und Statistiken um festzustellen, dass eine gewisser Hang zu neuen, unverbrauchten Ideen und Romanen, die sich einfach von der Menge abhoben, bestand. Etwas neuer Wind konnte dem Genre nicht schaden. Vielleicht konnte ihn dieser Michael Lee ja davon überzeugen, das Manuskript mit dem wenig aufregenden Titel “Project Robin” zu veröffentlichen. Schließlich war Peters Geschäftsreise sowieso schon eine einzige große Ausnahme. Neue Autoren aus Asien wurden gesucht, um den europäischen und amerikanischen Markt mit Ausgefallenem zu versorgen. Es war ein Glücksfall, dass Peters Mutter, eine Halbjapanerin, ihm die Landessprache beigebracht hatte. So konnte er hier ohne Mittelsmann seiner Arbeit nachgehen und so vielleicht einen Vorteil gegenüber anderen Verlagen ausspielen. Warum also diese Chance nicht nutzen? Der Anfang des Romans vom Michael Lee warf einen direkt in die Geschichte der Hauptperson, aus deren Sicht die Geschehnisse erzählt wurden. Ein junger Hacker, der gezwungen war für eine geheime Organisation zu arbeiten, die Hexen der Gegenwart jagte. Die ersten Sätze konnte er bereits auswendig, so oft hatte er die Seite aufgeschlagen. Manche denken, dass Leben als einer der besten Hacker der Welt wäre erstrebenswert. Ich dachte das auch eine ganze Zeit lang. Das tun, was einem gefällt, sicher über die Regeln und Gesetze einer viel zu spießigen Welt hinwegsetzen, frei sein. In Wahrheit ist es das nicht. Man schnüffelt in den Geheimnissen anderer, bis sie zum eigenen Verhängnis werden. “Mister Lee, ich muss Ihnen ehrlich sagen, dass mir so etwas, wie ihre Geschichte in meiner langen Karriere noch nicht in die Hände gefallen ist”, er wandte sich jetzt an den jungen Mann, der schon seit einigen Minuten in dem provisorischen Büro geduldig aber doch sichtlich etwas nervös wartete, während der Verleger noch in seinen Unterlagen gekramt hatte, um die richtigen Notizen vollständig vor sich zu haben. “Die Idee ist… außergewöhnlich.” Der junge Mann lächelte. “Also hat Ihnen das Manuskript zugesagt?”, fragte er. Peter überlegte einen Moment, wie er seine Antwort am besten formulieren sollte, beschloss dann aber einfach die ungeschönte Wahrheit zu benutzen. “Wissen Sie, der Plot hat mich gefesselt. Obwohl ich es einfach hätte weglegen sollen, konnte ich nicht aufhören zu lesen. Ich will ehrlich zu Ihnen sein.” Er machte eine kurze Pause, in der er seine Lesebrille zurecht rückte. “Der Verlag sucht Ideen die anders sind. Bei “Project Robin” bin ich mir nicht sicher. Entweder es wird ein Bestseller, oder eine totale Niete.” Peter beobachtete die Reaktion des jungen Mannes. Dieser schien nicht verwundert zu sein, dass es sich nicht um ein unumstrittenes Meisterwerk handelte, das er fabriziert hatte. “Haben Sie eine Fortsetzung geplant? Das Ende würde sich dafür sehr gut eignen und der Leser wäre wahrscheinlich mit dem Stand der Informationen nicht befriedigt.” “Nein, eine Fortsetzung ist nicht geplant. Ich möchte das Ende offen lassen”, antwortete. Peter überlegte einen Moment. “Warum denken Sie, dass gerade ihr Buch Erfolg haben wird?” Der Verleger lehnte sich zurück, jetzt würde sich die Zukunft des Manuskriptes entscheiden. Offensichtlich hatte Michael mit dieser Frage gerechnet. Es war ihm deutlich anzusehen, dass er mit dieser Aufgabe nicht aus dem Konzept gebracht worden war. “Das ist ganz einfach. In Zeiten wie diesen denken die Leute über Vorfälle wie den Einsturz des großen Verwaltungsgebäudes, dieser internationalen Firma vor eineinhalb Jahren nach. Auch wenn die Ermittler längst eine offizielle Stellungnahme mit der Offenlegung der Untersuchungsergebnisse und dem Bericht des Statikers abgegeben haben, gibt es dennoch eine große Gemeinschaft von Leuten, die sich fragen ob das wirklich so abgelaufen ist, wie man es ihnen erzählt hat. Nicht nur Verschwörungstheoretiker, auch eigentlich sehr “normal” eingestellte Leute, sind mit den Fakten nicht zufrieden. Im Internet muss man nicht einmal sehr gezielt suchen, um auf Foren und Communities zu stoßen, in denen dieses Thema immer noch diskutiert wird.” Er machte eine kurze Pause. Dass sich Romane, die solche Vorfälle mit einer geheimnisvollen, übernatürlichen Geschichte erklären, sieht man immer wieder. Ich selbst mag diese Art von Büchern ebenfalls.” Das war eine Überraschung für den Verleger. Zwar hatte er nach der Lektüre etwas recherchiert und herausgefunden, dass es dieses Ereignis wirklich gegeben hatte, aber dass es hierzulande solche Wellen geschlagen hatte, war ihm nicht aufgefallen. Als es passiert war, hatte er sogar eine kleine Meldung in einer englischen Tageszeitung gelesen, den Vorfall dann aber wieder als uninteressant abgetan und einfach vergessen. Was interessierte einen europäischen Verleger schon der Einsturz eines japanischen Firmengebäudes? Auch die kritischen Stimmen hatte er bei seiner Informationssuche am Rande wahrgenommen, ihnen aber keine Beachtung geschenkt. “Und wie sind Sie auf diese interessante Mischung aus Fantasy und Science Fiction gekommen, wenn man fragen darf?” Jetzt schien Michael zu überlegen, doch vielleicht bildete sich Peter dies nur ein, schließlich hatte er sich auch gerade in diesem Moment seiner Tasse Kaffee zugewandt. Er brauchte das Koffein, denn dieses Meeting fand sehr spät statt. Die Sonne war schon lange untergegangen. Normalerweise wäre er schon seit ein paar Stunden wieder in seinem Hotelzimmer. “Meiner Meinung nach passt eine reine Fantasygeschichte nicht in die Szenerie des heutigen Japans. Es wäre doch lächerlich würde man die Hexen mit Kruzifixen jagen und verbrennen. Und der Rest… der ist mir… in der Badewanne eingefallen.” Michael lächelte entschuldigend. Das war nicht die Antwort die der Verleger erwartet hatte, aber er gab sich damit zufrieden. So wie er die Lage beurteilte würde der junge Mann auch für andere Dinge keine gute Erklärung parat haben. Das außergewöhnlich Insiderwissen über das Hacken zum Beispiel. Sollte er diese Informationen wider erwarten nicht haben, dann konnte er den Leser außergewöhnlich gut davon überzeugen etwas zu besitzen, was er gar nicht besaß. Peter würde da auch nicht nachbohren. Der Text war interessant der Autor war trotz seines jungen Alters und seltsamen Kleidungsgeschmacks überzeugend, das war von Bedeutung, mehr nicht. Irgendwie mochte er den jungen Mann. Ohne weiter zu überlegen beschloss er die Sache abzuwickeln. “Gut Mr. Lee, Sie haben mich überzeugt, ich werde ihre Story drucken.” Mit Handschlag wurde das Geschäft bestätigt. Die Verträge mussten erst aufgesetzt werden. Bei der Verabschiedung versuchte Peter noch einmal eine Fortsetzung herauszuschlagen. Sollte sich das Buch wirklich gut verkaufen, würde man den Verkäufern auch den zweiten Teil aus den Händen reißen. “Auf Wiedersehen, und denken Sie über eine Fortsetzung nach, dass müssen Sie mir versprechen!” Michael verließ Wallensteins Büro mit einem guten Gefühl. Als er das Gebäude verlassen hatte, zog er sein Handy aus der Hosentasche. Immer noch genoss er das Gefühl einfach hingehen zu können, wohin er wollte, anrufen zu können, wen er wollte, wann er wollte. Doch dies war nicht sein Privatvergnügen, sondern ein dienstlicher Anruf. Manch einer hätte ihn für verrückt halten können, dass er weiterhin für die Organisation arbeitete, die ihn jahrelang eingesperrt und versklavt hatte, doch er mochte die Aufgaben, die ihm gestellt wurden. Unter den Bedingungen, die jetzt herrschten, konnte er gut mit dem Job leben. Er konnte weiterhin Systeme knacken, ohne große Konsequenzen zu befürchten und war mit den Leuten zusammen, die wohl richtigen Freunden am nächsten kamen - und dafür wurde er auch nicht gerade geizig bezahlt. Nachdem er Chief Kosakas Nummer gewählt hatte, musste er nicht lange warten, bis abgehoben wurde. “Auftrag erledigt, Boss. Nächste Woche wird der Vertrag unterschrieben”, teilte er seinem Vorgesetzen mit. “Gute Arbeit.” Dann wurde aufgelegt. Es hätte Michael nicht gestört, wenn er mehr Lob für seinen Erfolg geerntet hätte, doch er war es gewohnt, dass nur die unerwünschten Aktionen ausführliches Feedback bekamen. So war der Boss eben. Das hatte sich auch nicht geändert, als er vor eineinhalb Jahren befördert worden war. Er nahm es ihm nicht übel, der Chief hatte Charakter bewiesen, als es notwendig gewesen war. Michael war zufrieden mit seiner Arbeit, dass war das Wichtigste. Es war nicht seine Idee gewesen, auf diese Art und Weise die Vorkommnisse zu verschleiern. Dojima hatte den Einfall gehabt. Während der Mittagspause, mit einem Modemagazin in der einen Hand und einem Sandwich in der anderen, hatte sie den Vorschlag unterbreitet. Zuerst hatte das gesamte Team, oder das, was davon nach dem Factory-Vorfall übrig geblieben war, die junge Frau für verrückt erklärt, doch schließlich hatte sie es geschafft alle zu überzeugen. Was wäre eine bessere Tarnung, als die wahre Geschichte, als Fantasy-Roman zu verkaufen? Sicherlich würden sich Leute finden, die in dieser Erklärung mehr sahen, als einen Roman. Diese Sorte von Menschen gab es bei Büchern dieser Art immer. Egal ob es sich um Verschwörungstheorien zu Morden an einflussreichen Politikern handelte, oder um Komplotte der römisch-katholischen Kirche. Doch die Wenigen, die das Geschriebene für Realität hielten, wurden nicht ernst genommen und als Spinner abgetan. Unerwartet hatte sich Michaels Talent gezeigt, dass Erlebte in Worte zu fassen, so dass es den Leser in seinen Bann ziehen konnte. Er hatte nicht gewusst, dass er so gut schreiben konnte. Man hatte ihn für diese Aufgabe vorgeschlagen, weil er viel Zeit hatte. Der junge Hacker würde nie in den Außendienst gehen, das war nicht seine Welt. Und zwischen seinen “Recherchen” in fremden Datenbanken und den gelegentlichen Meetings fand er genug Zeit dafür. Und nun hatte er es sogar geschafft, das Ergebnis seiner Arbeit einem Verleger schmackhaft zu machen. Am meisten trug jedoch Wallensteins Wunsch nach einer Fortsetzung zu Michaels guter Laune bei. Es erheiterte ihn. Selbst wenn er eine schreiben wollte, er hatte keinen Plot. “Project Robin” endete direkt mit dem Zusammenbruch des Factory-Gebäudes. Viel mehr hätte es auch nicht zu erzählen gegeben. Ein großes Chaos hatte in den ersten Wochen nach dem Vorfall alle Beteiligten in Atem gehalten. Es war sprichwörtlich drunter und drüber gegangen. Ermittler hatten die Zentrale durchsucht und auf den Kopf gestellt. Die Mitarbeiter wurden genauestens durchleuchtet. Es hatte Sanktionen gegen einige Wissenschaftler gegeben. Nach einigen Wochen wurde Zaizens Nachfolge geklärt, die Arbeit wurde wieder aufgenommen. Was mit Robin und Amon passiert war, war immer noch ein Rätsel. Niemand hatte sie gesehen, sollten ihre Leichen in den Trümmern liegen, würden sie niemals gefunden werden. Doch keiner war bereit dazu sie endgültig für tot zu befinden. Immer wieder gab es kleine Zeichen, seltsame Begebenheiten, die ausreichten, um die Hoffnung am Leben zu halten, aber nicht überzeugend genug waren, um aufzuatmen. Ansichtskarten oder Briefe aus Europa, ungenau adressiert an Raven’s Flat, die von der Post immer erst nach einer großen Odyssee geliefert werden konnten, abgesendet von gewissen Mr. Smiths oder Mr. Meyers, die keiner kannte, die von einer guten Reise berichteten, waren jedoch für Michael Beweis genug. Und selbst wenn diese Schreiben nicht gewesen wären, Michael wusste einfach, dass es der kleinen Hexe und ihrem Beschützer gut ging. Wer könnte diese beiden schon aufhalten? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)