White Christmas von cork-tip (Just like the ones I used to know) ================================================================================ Kapitel 1: Let it Snow! ----------------------- „Nein, nein, nein! Das zieh' ich nicht an! Niemals!“ „Hat er wieder Angst um seinen männlichen Stolz?“ „Hat er.“ „Welcher Versager fürchtet nicht um seine Ehre, wenn er solche Fetzen tragen soll?!“ „Komm schon, Miko-chan. Rot steht dir bestimmt.“ „Es geht hier nicht um die verdammte Farbe! Hast mal darauf geachtet wie KURZ dieser Rock ist?! Und nenn' mich nicht Miko-chan! Das klingt nach einer Hexe!“ Angewidert fegte Mikoto das tatsächlich etwas knapp geratene Weihnachtsbunny-Kostüm vom Tisch. Arisada, dieser Teufel in Menschengestalt, hatte darauf bestanden, eine schulinterne Weihnachtsfeier zu organisieren und natürlich durften die Prinzessinnen dabei nicht fehlen. Nach ein paar konspirativen Treffen mit Natasho war er zu dem Schluss gekommen, dass sich die Prinzessinnen an einem Festtag der Liebenden – wie Weihnachten nun einmal einer war – überdurchschnittlich sexy präsentieren mussten. Diesem, zu Mikotos Leidwesen leider unumstößlichen Beschluss, waren wenige Tage später besagte Weihnachtsbunny-Kostüme gefolgt. Kono und Shihodani steckten bereits bis zu den Ohren in rotem und weißem Plüsch – und das meinte er wörtlich. Das rote Jäckchen mit den goldenen Knöpfen und dem auffällig breiten weißen Plüschkragen war ja noch recht annehmbar und auch über die albernen Hasenohren hätte sich zur Not noch reden lassen, aber dieser Rock... Dieser Rock war schlicht und einfach zu kurz. Er würde ihm nicht einmal bis zu den Knien reichen. Wie kam Arisada darauf, sich das Recht herauszunehmen, sie so zu demütigen?! Als er selbst noch Prinzessin gewesen war, hatte er immerhin Kimonos tragen dürfen. Im Vergleich zu diesem unsäglichen modischen Fehlgriff hatte er während dieser Form von Angriff auf seine Männlichkeit wenigstens noch ein kleines bisschen Stolz bewahren und sich hinter langen, schweren Stoffbahnen verstecken können. Immerhin hatte er sich nicht halb nackt in der Öffentlichkeit präsentieren müssen. „Also wirklich!“, tadelte Shihodani ihn mit einem ekelhaft herablassenden Lächeln. „Deine Einstellung ist alles andere als professionell. Es ist alles andere als ehrenvoll, sich bezahlen zu lassen, obwohl man seinen Job nicht ordentlich erledigt.“ Mikoto knurrte leise und beeilte sich sicherheitshalber, einen größtmöglichen Sicherheitsabstand zwischen sich und das indiskutable Kostüm zu bringen. „Ich weiß!“, motzte er und seinem Tonfall war nicht eindeutig zu entnehmen, ob er nun wütend oder hoffnungslos verzweifelt war. „Aber alles hat irgendwo Grenzen!“ Shihodani zuckte unbeeindruckt mit den Schultern und rückte dann mit dem gleichgültigsten aller Gesichtsausdrücke seine flauschigen, roten Öhrchen zurecht. „Arbeit ist Arbeit“, erklärte er kühl. Kono stimmte ihm mit einem etwas zu begeisterten Nicken zu. „Schön und gut, wenn ihr euch damit abgefunden habt – ich werde dieses... dieses DING nicht anziehen! Nur über meine Leiche!“ Dass er das besser nicht gesagt hätte, wurde ihm spätestens in dem Moment klar, als die Gleichgültigkeit auf Shihodanis Gesicht einem gemeinen Grinsen wich. „Das lässt sich einrichten, Miko-chan“, bemerkte er betont süßlich und bewegte sich bedrohlich langsam auf ihn zu. Im Vorbeigehen griff er nach Mikotos Kostüm. „Wie heißt es so schön? - Und bist du nicht willig, so brauch' ich Gewalt...“ Kaum eine halbe Stunde später fand sich Mikoto in voller Prinzessinnen-Montur in der Turnhalle wieder. Wobei... Er war sich nicht sicher, ob Turnhalle tatsächlich noch der zutreffende Begriff für diese Räumlichkeit war. Seit Arisadas 'Gefolgschaft' die Halle der Feierlichkeit entsprechend umgestaltet hatte, war nicht mehr viel von ihrer ursprünglichen Gebrauchsbestimmung zu erkennen. Die Weihnachtswichtel der SMV hatten ein paar Tische im Raum verteilt, mit Sternen, Rauschgoldengelchen und anderem kitschigen Kram geschmückt und die Schülerschaft darauf verteilt. Der nicht ganz so unangenehme Duft von frisch gebackenen Plätzchen, Schokolade und alkoholfreier Bowle lag in der Luft und Lametta-behangene Tannenzweige baumelten von der Decke herab. Seine Kollegen waren bereits eifrig dabei, Getränke auszuschenken und ihre Mitschüler mit professionellem, unnahbarem Lächeln abzuspeisen. Woher nahmen sie bloß diese widernatürliche Begeisterung? Er selbst hatte es vorgezogen, sich still und heimlich in den Geräteraum zu schleichen und hinter einem Kasten zu verstecken. Schön, Shihodani hatte ihn erfolgreich dazu gezwungen, sich umzuziehen. Aber wenn er ihn nicht fand, konnte er ihn wenigstens nicht auch noch dazu nötigen, sich in diesem Outfit irgendjemandem zu zeigen. Nicht auszudenken, was seine Freundin sagen würde, wenn sie davon erfuhr! Gut, aus irgendeinem unerfindlichen Grund war sie auf Anhieb von der ganzen Prinzessinnen-Geschichte begeistert gewesen, aber ob sich das auch auf kurze Röckchen und Hasenohren bezog, das wagte er doch stark zu bezweifeln. Vielleicht würde sie auch wieder dieses schreckliche s-Wort sagen. Welcher Mann wollte schon gerne von seiner Freundin als 'süß' bezeichnet werden? Keiner. Natürlich. Er war fest davon überzeugt, dass das auch die Grenzen des für Shihodani und Kono erträglichen sprengen würde. Dumm nur, dass keiner von beiden dieses Gefühl nachvollziehen konnte. Ihnen fehlte schließlich eine potentielle s-Wort-Sagerin. Mikoto überlegte ernsthaft, ob er nicht versuchen sollte, die beiden mit irgendwelchen x-beliebigen Mädchen zu verkuppeln. Wenn sie erst einmal eine Freundin hatten, würden sie ihn möglicherweise verstehen können und das ewige „Arbeit ist eben Arbeit“ hätte endlich ein Ende. Wunschträume. Fast hätte er über sich selbst gelacht, so absurd kam ihm sein eigener Gedanke vor. Shihodani hätte bestimmt gerne eine Freundin gehabt, doch Konos Erzählungen zufolge scheiterten seine Bemühungen letztendlich immer daran, dass er selbst für ein Mädchen gehalten wurde. Wahrscheinlich hatte ein Kerl wie er einfach keinen männlichen Stolz, so traurig das auch sein mochte. Und Kono? Mikoto befürchtete stark, dass er nach der Geschichte mit seiner Schwester vorerst eher verschreckt reagieren würde, wenn er ihm ein weibliches Wesen gegenüber setzte. Und sollte er tatsächlich so etwas wie Berührungsängste entwickelt haben, konnte er ihm das nicht einmal verübeln. Nein, diese beiden würden seine Probleme niemals verstehen können. Vorsichtig lugte er hinter dem Kasten hervor und warf einen Blick auf die zwei fleißigen Weihnachtshäschen. Natürlich sahen sie niedlich aus, und auch der von Arisada so ausdrücklich geforderte Sex-Appeal fehlte nicht. Sie spielten ihre Rolle mit einer Perfektion, die Mikotos Meinung nach bereits weit jenseits des Professionellen lag. Konnte ihnen dieser Zirkus denn allen Ernstes gefallen? Frauen in Männerkleidern waren ja noch in Ordnung, aber Männer in Frauenkleidern-? Als Hobby taugte das nichts. Und wenn seine Freundin zehn Mal anderer Ansicht war – er blieb dabei! Mikoto zuckte erschrocken zurück, als er direkt dem Blick eines 'Ehrengastes' begegnete. Sakamoto. Er musste ihn entdeckt haben! Ertappt zog er sich wieder in sein Versteck zurück, obwohl er wusste, dass es dafür bereits zu spät war. Er konnte nur noch hoffen, dass wenigstens Sakamoto Mitleid mit ihm hatte und ihn nicht mitten ins Geschehen zerrte. Und vielleicht standen seine Chancen diesbezüglich gar nicht mal so schlecht. Sakamoto gehörte nicht zu derselben dämonischen Gattung Mensch wie Arisada, Kono und ganz besonders Shihodani. Immerhin hatte er ihn noch nie zu irgendetwas gezwungen. Schritte näherten sich. Auf sich beruhen lassen würde er die Sache folglich schon einmal nicht. Mikoto ertappte sich dabei, dass er nervös ein paar lange Strähnen seiner Perücke um die Zeigefinger wickelte. Was für eine weibische Geste! Wenn das so weiterging, wurde er wirklich noch zum Mädchen. „Mikoto?“ Sakamoto kam nicht näher. Allem Anschein nach hatte er es sich auf der anderen Seite des Kastens gemütlich gemacht und beschlossen, auf sichere Distanz zu versuchen, ihn aus seinem nicht mehr ganz so geheimen Versteck zu locken. Sollte er. Diese Methode funktionierte vielleicht bei verschreckten Kätzchen, aber ganz bestimmt nicht bei verstimmten Weihnachtshäschen! „Ich weiß ja, dass du das Kostüm nicht magst, aber findest du es den anderen gegenüber fair, dich hier zu verkriechen?“ Aha. Er versuchte, ihm ein schlechtes Gewissen einzureden. Taktik erkannt. Mikoto schnaubte abfällig. „Immerhin sind sie zu zweit!“, erklärte er bissig. „Und im Gegensatz zu mir scheint ihnen der Job zu gefallen!“ Sakamoto ließ ein leises Seufzen hören. Vermutlich hatte er mit der Antwort gerechnet. „Vielleicht versuchen sie einfach nur, das Beste daraus zu machen“, gab er zu bedenken. „Es hat doch keinen Sinn, sich ewig darüber zu ärgern. Wenn du jetzt einfach da raus gehst und ihnen hilfst, hast du es ganz schnell hinter dir.“ „Nicht in diesem Aufzug!“, erwiderte Mikoto schroff. Wenn Sakamoto ernsthaft beabsichtigte, ihn dazu zu überreden, sich vor den Augen der ganzen Schule zum Affen zu machen, dann musste er schon schwerere Geschütze auffahren. Warum übernahm nicht er den Job, wenn er ihn für so wichtig hielt? Sein Gesicht war ganz bestimmt hübsch und feminin genug. „Wenn es mit deinem Gewissen vereinbar ist, die zwei alleine schuften zu lassen, dann bitte!“ Immer noch dieselbe Schiene. Er hasste diesen verdammten moralischen Zeigefinger, der aus jedem seiner Worte sprach. Er hasste ihn wie die Pest! Und warum? Weil er noch immer nicht immun dagegen war. Natürlich hatte er ein schlechtes Gewissen, das konnte er nicht leugnen. Er war einfach viel zu nett. Allerdings überwog in diesem Fall dann doch die Scham. Lieber wollte er für den Rest seiner Tage mit einem schlechten Gewissen leben, als sich begaffen zu lassen. „Wovor hast du denn Angst?“, versuchte Sakamoto noch einmal sein Glück. Diesmal wohl mit aufgesetztem Interesse an potentiellen seelischen Schieflagen einer monatelang gedemütigten Prinzessin wider Willen. „Du hast das schon so oft gemacht. Deine Freundin hätte ganz bestimmt nichts dagegen und wir wissen alle, dass es nicht dein Hobby ist, dich so zu verkleiden. Ist das nicht genug? Nur weil du Hasenohren trägst, fällt dir noch lange kein Zacken aus der Krone. Sieh' es doch mal so: du bist ein Schauspieler und hast eine Rolle zu spielen. Du wirst dafür bezahlt, und alle, die dich sehen, wissen, dass du deine Rolle nur spielst, weil du dafür bezahlt wirst. Es fällt dir bestimmt leichter, wenn du ein bisschen professioneller an die Sache herangehst.“ „Du hörst dich an wie Shihodani!“ Sakamoto seufzte abermals. „Mikoto, bitte!“ Sein Tonfall verriet, dass er kurz davor war, das Handtuch zu werfen. Vermutlich hatte er selbst zu tun und schlichtweg nicht die Zeit, sich mit bockigen Prinzessinnen herumzuschlagen. Mikoto konnte es nur recht sein. „Ich werde dich nicht an den Ohren zur Arbeit ziehen, wenn du partout nicht willst, aber bitte denk' wenigstens noch einmal darüber nach. Ich halte es wirklich nicht für richtig, sich einfach so vor seiner Aufgabe zu drücken. Das ist feige.“ Mit diesen Worten erhob er sich und kehrte in die völlig entstellte Halle zurück. Ein bisschen misstrauisch kroch Mikoto auf allen Vieren halb hinter dem Kasten hervor und sah ihm nach. Er konnte nicht verhindern, dass sein Gehirn begann, die allzu vertraute Abwägung zwischen Schande und Feigheit vorzunehmen und verfluchte sich selbst dafür. Er wusste, zu welchem Ergebnis er kommen würde, bevor er das Für und Wider überhaupt näher erörtert hatte. Warum nur musste er sich immer breitschlagen lassen? Warum nur konnte er nicht damit leben, seine Freunde allein in den Kampf gegen die Groupies zu schicken, obwohl er bei objektiver Betrachtung der Einzige war, der daraus nicht siegreich hervorgehen konnte? Vielleicht ganz einfach aus dem Grund, dass sie seine Freunde waren? Er seufzte sehr, sehr schwer. Dann erhob er sich mit der Miene eines Verurteilten, der zum Schafott geführt wurde und tat ein paar unsichere Schritte in Richtung der weihnachtlichen Hölle. Wenn Kono und Shihodani dieses Opfer nicht zu schätzen wussten, dann würde er ihnen Feuer unter dem Hintern machen, das hatte er sich geschworen. Sakamoto bemerkte schnell, dass seine Bemühungen Früchte getragen hatten. Er beeilte sich Mikoto abzufangen, bevor er den Geräteraum verlassen hatte und die ersten Schritte auf feindliches Territorium wagen musste. Vermutlich resultierte seine Freundlichkeit aus der nicht ganz unbegründeten Angst, dass Mikoto es mit der Angst zu tun bekommen und im letzten Augenblick doch noch einen Rückzieher machen würde, vielleicht war es aber auch nur die übliche Selbstaufopferungsbereitschaft gepaart mit seiner unerschütterlichen Höflichkeit, die irgendwie genetisch veranlagt zu sein schien. Mikoto war es ziemlich egal. Er war in erster Linie dankbar dafür, sich nicht alleine in die geifernde Schülermeute wagen zu müssen. Ganz im Gegensatz zu Kono und Shihodani hatte er nie gelernt, sich die Leute vom Leib zu halten. Ständig meinte irgendjemand, an ihm herumfummeln oder ihn sonstwie belästigen zu müssen, und das nur, weil er nicht dieselbe Aura der Unantastbarkeit ausstrahlte wie seine Leidensgenossen. Sakamoto war die perfekte Waffe dagegen. Er teilte Menge wie Moses das Meer. Niemand, ja, wirklich absolut niemand wagte es, ihm zu nahe zu treten. Und so bemühte sich Mikoto, möglichst an seiner Seite zu bleiben, während sie auf Kono und Shihodani zusteuerten, die gerade dabei waren ein frisches Blech Plätzchen mit Schokostreuseln zu verunstalten. „Freut mich, dass du deine Meinung geändert hast“, sagte Sakamoto und schenkte ihm das erste ehrliche Lächeln, das er an diesem Tag gesehen hatte. „Das war mutig von dir.“ Doch Mikoto kam nicht dazu, sich über das Lob zu freuen. Kaum, dass Sakamoto den Mund zugemacht hatte, hatte Shihoudani sie auch schon bemerkt. Mikoto sah sein letztes Stündlein gekommen. Wahrscheinlich durfte er sich nun wieder Sticheleien und Belehrungen ohne Ende anhören und von Kono konnte er auch keine Hilfe mehr erwarten, seit sich dieser aus bisher ungeklärten Gründen in Shihodani Nummer Zwei verwandelt hatte. Es war immer so. Immer. „Wie schön, dass du uns doch noch mit deiner Anwesenheit beehrst, Miko-chan“, säuselte Shihodani und besah ihn mit einem dieser künstlichen Lächeln, die an sich für fehlgeleitete Verehrer reserviert waren. Es hätte ihn nicht gewundert, wenn er dazu passend mit den Plüschohren gewackelt hätte. Shihodani war ein waschechter Teufel. Mikoto schnaubte verächtlich. „Ich hasse es, wenn du dich so verkaufst!“, erklärte er kalt. „Warum muss ich das machen?“ Gespielt verwirrt wandte Shihodani sich an seinen Zimmergenossen. „Verkaufen?“ Sein theatralisch unschuldiger Gesichtsausdruck hätte Bambi vor Neid erblassen lassen. „Verkaufe ich mich, Toru-chan?“ „Verkaufen?“ Kono legte einen Finger an die Lippen und tat so, als würde er angestrengt überlegen, bevor er mit einem strahlenden Lächeln erklärte: „Du verkaufst dich doch nicht, Yu-chan. Miko-chan ist nur eifersüchtig auf deinen angeborenen Charme.“ Mit absolut unmännlicher Grazie drehte Shihodani sich wieder zu Mikoto um und streichelte mitfühlend seine Hasenöhrchen. Mikoto musste alle Willenskraft aufbringen, um dem Drang zu widerstehen, ihm in die Hand zu beißen. So etwas konnte schon einmal passieren, wenn man einen Hasen ärgerte – und wenn es ein falscher war! „Du musst doch nicht eifersüchtig sein, Miko-chan“, meinte er, noch immer lächelnd. „Du siehst doch so niedlich aus.“ Genau das hatte Mikoto nicht hören wollen. Und genau dieser Satz war so vorhersehbar gewesen wie das Amen in der Kirche. Was hatte er getan, dass Gott ihn so sehr hasste? Dass die Schüler, die in der näheren Umgebung standen und ihre Unterhaltung mitgehört hatten, angefangen hatten ihm wenig aufmunternde Dinge wie „Ja, genau! Du bist sooo süß, Miko-chan!“ oder „Sei nicht traurig, wir lieben dich alle!“ zuriefen, trug auch nicht gerade zu einer Steigerung seines Wohlbefindens bei. Warum genau hatte er sein Versteck nochmal verlassen? Ach ja, richtig: Freundschaft und Gewissen und so. Undankbares Pack! Irgendwann würde er ihnen das heimzahlen! Mit Zins und Zinseszins! Derart in Gedanken versunken übersah er völlig, dass sich Shihodanis falsches Lächeln inzwischen in ein weit mehr besorgniserregend sadistisches Grinsen verwandelt hatte. „Sag, Toru-chan“, begann er in einem unheilverkündend verschwörerischem Tonfall. „Da war doch noch diese eine Sache...“ Konos Gesichtszüge erhellten sich kaum merklich. „Du hast Recht: Da war noch diese eine Sache...“ Und bevor Mikoto auch nur raten konnte, was es mit 'dieser einen Sache' auf sich hatte, hatte er aus einer Umhängetasche, die irgendwo neben seinen Füßen gelegen haben musste, eine Kamera hervorgezaubert und Weihnachtshäschen Mikoto dokumentiert. Es dauerte eine ganze Weile, bis Mikoto die volle Tragweite des eben Geschehenen erfasst hatte. So lange, dass es den Verschwörern möglich gewesen war, die Kamera in Sicherheit zu bringen, bevor er den Entschluss fasste, sie zu zertreten. „Was soll die Scheiße?!“, beschwerte Mikoto sich ziemlich fassungslos. „Was, wenn jemand das Foto sieht?! Was, wenn meine Freundin das in die Finger bekommt?!“ Shihodani lachte vergnügt. „Keine Sorge, sie wird es lieben“, bestimmte er, und Kono nickte zustimmend. „Sie hat uns extra gebeten, ihr eines zu schicken...“ Die Feier dauerte bis spät in die Nacht, und als sich die Prinzessinnen endlich müde und erschöpft in ihre Gemächer zurückziehen konnten, war es bereits weit nach zwölf. Mikoto hatte sich noch auf dem Weg Hasenohren und Perücke vom Kopf gerissen, dann war er beleidigt im Bad verschwunden. Die Erfahrung lehrte, dass mit ihm vorerst nicht mehr zu reden war. Von seinen Freunden verraten zu werden war eine Sache, aber dass auch noch die eigene Freundin allem Anschein nach Gefallen daran fand ihn zu demütigen, das war einfach zu viel. Mit etwas Glück würde er sich am nächsten Morgen wieder beruhigt haben. Andernfalls war wohl eine Entschuldigung fällig, und das, obwohl weder Toru, noch Yujiro irgendeine Form von Mitleid oder Reue empfanden. Sie waren selbst nicht besonders begeistert von ihren Kostümen gewesen, aber wenn man nicht unnötigerweise versuchte, sich dagegen zu wehren, dann ließen sich sogar Hasenohren in gewissem Sinne würdevoll tragen. Mikoto würde vermutlich nie begreifen, dass er sich mit seinem ständigen Protest nur selbst das Leben schwer machte. Inzwischen hatten sie die roten Ensembles wieder zurück in den Handarbeitsraum gebracht, eine erholsame Dusche genommen und sich in ihr Zimmer zurückgezogen. Die Ferien standen kurz bevor; vielleicht war das sogar ihr momentan letzter Job gewesen. Bald hatten sie frei und konnten selbst ein bisschen feiern. Ausgleichende Gerechtigkeit. „Das war doch ganz schön anstrengend“, stellte Toru müde fest und ließ sich hintenüber auf sein Bett fallen. Er konnte nicht leugnen, dass seine alten Jogginghosen sehr viel bequemer waren, als Strumpfhosen und kurze Röckchen und dementsprechend willkommen war ihm der Feierabend gewesen. Wären die Prinzessinnen-Privilegien nicht gewesen, hätte er sich höchstwahrscheinlich gar nicht erst darauf eingelassen. Yujiro stand mit dem Rücken zum Fenster und schien ihn zu beobachten. Sein Lächeln wirkte nicht mehr so frisch und munter wie auf der Feier, dafür war es aber um einiges ehrlicher geworden. „Stimmt“, pflichtete er seinem Zimmergenossen bei. Auch ihm war die Erschöpfung deutlich anzusehen. Toru mochte diese wenigen Stunden, die sie alleine verbringen konnten und in denen Yujiro ab und an seine unnahbare Fassade bröckeln ließ. Fast wünschte er sich, dass es immer so sein könnte. Schlussendlich bedeutete es, dass zwischen ihnen so etwas wie ein Vertrauensverhältnis entstanden war. „Aber alles in allem war es doch eine schöne Weihnachtsfeier. Sogar Mikoto hat mitgespielt.“ „Dafür ist er jetzt ziemlich sauer auf uns“, gab Toru mit gemischten Gefühlen zu bedenken. „Vielleicht hätten wir uns nicht gegen ihn verschwören sollen... Dass seine Freundin uns um das Foto gebeten hat, rechtfertigt noch lange nicht, dass wir ihm einfach so in den Rücken fallen.“ Wider Erwarten tat Yujiro den Vorwurf nicht leichtfertig ab, sondern schien ernsthaft darüber nachzudenken. „Meinst du?“, versicherte er sich schließlich noch einmal. „Ich weiß nicht. Ich denke... Ich kann einfach nicht anders, ich muss ihn ein bisschen ärgern. Und seine Freundin wird besser wissen, was er vertragen kann und was nicht, als wir. Mach' dir am besten keine Gedanken mehr darüber.“ Toru seufzte. „Ich glaube nicht, dass es auf Dauer damit getan ist, wenn wir nicht wollen, dass Mikoto sich total verarscht vorkommt. Er ist eben ein bisschen anders als wir. Wir haben schon so oft über das Thema gesprochen – wollen wir nicht endlich aufhören, uns über ihn lustig zu machen?“ Yujiro antwortete nicht. Er hatte nun Toru den Rücken zugedreht und den Blick starr auf das Fenster gerichtet. Sein eigenes Spiegelbild starrte ihm erschöpft und unsicher entgegen. Es war wohl wieder einer dieser seltenen Augenblicke, in denen er sich gehen ließ, in denen er nicht perfekt war. Toru betrachtete ihn stumm. In seinem weiten schwarzen Shirt schien er beinahe zu versinken; er wirkte ein bisschen verloren, aber Toru gefiel diese Seite an Yujiro sehr viel besser, als die Rolle, die er für gewöhnlich spielte. Es war einfach schön zu wissen, dass auch er in normal-menschlichem Maße verletzlich und angreifbar war, und noch schöner war, dass Yujiro diese Tatsache nicht vor ihm verbarg. Im Gegensatz zu Mikoto waren sie beide immer alleine gewesen. Es fiel ihnen nicht so leicht wie ihm, Freunde zu finden und zu halten, und auch wenn sich die Situation in den letzten Monaten eindeutig gebessert hatte, war Toru sich sicher, dass gerade Yujiros Anwesenheit für ihn unschätzbar wichtig, wenn nicht sogar unverzichtbar geworden war. Eine Weile starrten beide gedankenverloren ins Leere, dann – mit einem Mal – kam wieder Leben in Yujiro. „Toru, Toru, komm' schnell mal her!“ Er winkte ihn hektisch zu sich und ein begeistertes Grinsen hatte sich auf seinen Lippen breit gemacht. Tooru beeilte sich, der Aufforderung nachzukommen und sich zu ihm zu gesellen. Ein eiskalter Wind fegte durch das Zimmer, als Yujiro völlig unvermittelt das Fenster sperrangelweit aufriss und sich in einer Anwandlung geradezu kindlicher Freude hinauslehnte. Dicke weiße Flocken fielen vom joghurtgrauen Himmel und legten einen zarten Schleier über sein Haar, um schlussendlich unter seiner Körperwärme dahinzuschmelzen. „Der erste Schnee dieses Jahr“, erklärte er glücklich. „Und es sieht aus, als würde einiges liegen bleiben.“ Toru nickte und genoss stumm das warme Gefühl der Vertrautheit, das sich in seinem Magen breit gemacht hatte. Er fühlte sich ein bisschen wie in ein Wintermärchen versetzt. Yujiro hatte Recht, der unberührte Neuschnee war wirklich wunderschön. Allein dafür hatte es sich gelohnt, so lange aufzubleiben, ob es nun freiwillig geschehen war oder nicht. Wieder driftete er ab und verlor sich in Erinnerungen an Zeiten, in denen man seine Kindheit noch als unbeschwert hatte bezeichnen können. „Du, Toru?“ Etwas erstaunt stellte er fest, dass Yujiro ihn betrachtete. „Hm?“ Er streckte die Hand aus, um ein paar Schneeflocken darin zu fangen und schmelzen zu lassen. Zu seiner Überraschung fingen Yujiros Wangen plötzlich an in einem zarten Rotton zu leuchten und er schien unheimliche Probleme damit zu haben, sich zu artikulieren. „Du... ich... also...“ Er spielte nervös an seinen Haaren herum. „Ich meine... Darf ich-?“ „Was denn?“, hakte Toru belustigt nach und griff aus einem Reflex heraus nach seiner Hand, um ihn zur Ruhe zu bringen, bevor seine Nervosität um sich greifen konnte. Yujiro senkte den Blick. „Toru, ich... Ich möchte dich gerne noch einmal küssen. I-ist das okay?“ Das traf Toru nun doch ein wenig unvorbereitet und er bemerkte, dass er ebenfalls errötete. Er musste genickt haben, ohne dass er es mitbekommen, geschweigedenn genauer darüber nachgedacht hatte, denn Yujiro hob etwas zaghaft eine Hand und streichelte sanft seine Wange. Das erste, was ihm in den Sinn kam, war, dass sich die Berührung unglaublich gut anfühlte. Dann kam sein Verstand etwas zu spät zu der Erkenntnis, dass er eigentlich überhaupt nicht von Yujiro angefasst werden wollte. Wollte er doch nicht, oder? Jedenfalls hatte er sich bisher immer mit Händen und Füßen dagegen gewehrt. Wenn er ehrlich war, hatte er noch nicht besonders ausführlich über diese Option nachgedacht und vielleicht war gerade der falsche Zeitpunkt, um damit anzufangen. Ehe er es sich versah, berührten sich auch schon ihre Lippen. Es war nicht das erste Mal, dass Yujiro ihn küsste, aber vergleichbar mit bisherigen Erfahrungen war das definitiv nicht. Er hatte keinen zwingenden Grund ihn zu küssen – nicht, soweit er dachte – und er wirkte sehr viel unsicherer als er es normalerweise war. Die Hitze, die von seinem Körper auf ihn überging, verdrängte die Kälte der Winternacht vollständig. Toru fühlte sich wie berauscht. Seine Knie wurden weich, seine Augen drifteten zu, und wie von selbst schlangen sich seine Arme um Yujiros Hals. Er konnte sich nicht erinnern, sich jemals zuvor so schwach und geborgen gleichzeitig gefühlt zu haben und die Erkenntnis irritierte ihn ein bisschen. Er beeilte sich, diesen außerordentlich schönen Kuss zu vertiefen, um all die Gedanken im Keim zu ersticken, die ihm sein rationales Denkvermögen aufdrängen wollte. Bereuen konnte auch später noch, jetzt wollte er einfach nur genießen. Wie lange sie dort am Fenster standen, sich in den Armen hielten und sich küssten – mal zärtlich, mal voller Leidenschaft – konnten sie nicht sagen, es schien wie eine kleine Ewigkeit. Als sie sich schließlich voneinander lösten und wortlos in ihre Betten legten, waren Lippen und Wangen von einer delikaten Röte überzogen und ihr Atem ging schwer. Es schneite noch immer und sie mussten sich fest in die Bettdecken wickeln, um nicht zu frieren. Keiner traute sich, das Wort zu ergreifen, aus Angst, diese beinahe surreale Situation dadurch zu abrupt in der Realität zu erden und so hatten sie sich demonstrativ den Rücken zugekehrt. Es dauerte einige Minuten, bis Toru den Mut fand, die Worte auszusprechen, die ihm die ganze Zeit über auf der Zunge gelegen hatten. „Wir können das gerne wiederholen... Wenn du möchtest. Ich glaube fast, ich will mich daran gewöhnen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)