Der Karikaturist von -blub- (der Tragödie erster Teil) ================================================================================ Kapitel 2: Schneewittchen's Laufsteg ------------------------------------ Ausgeschlossen vom Seminar, eingeschlossen in den Rest der Welt sitzt er im Gang vor dem Paradedilemma: ein Weg links, ein Weg rechts. Ein Gang eben. Doch es ist nur in meinem Kopf ein Dilemma, ich werde keinen von beiden Wegen nehmen, nicht in den nächsten Minuten. Ich bleibe einfach hier sitzen. Kein Grund sich darüber Gedanken zu machen, welcher Weg nun das Spiegelbild des Originals ist. Earl würde zu gern den Weg hinter ihm einschlagen, doch ein kleines Stück Metall hindert ihn daran. Ich bin sonst nie zu spät. Eine Rechtfertigung. Alle anderen sind es immer - Zeit, die Earl verloren geht. Und diesmal, da er selber zu spät ist, wird ihm wieder Zeit geraubt, was für ein sturer Professor. Natürlich ist es schwer, seine Tugenden zu behalten, wenn sie doch von allen anderen als Sünden gehandhabt werden. Das scheint der Preis für einen Ausrutscher zu sein. Neunzehn Minuten war er zu spät, das erste mal, dass er überhaupt wagt, den Gestzen der Zeit entgegen zutreten. Vielleicht ist es heute nur eine Spielerei, vielleicht die Motivation, den Tag nicht einfach abzuhaken - es ist die Symmetrie. So belanglos wie es ist, aber genau wegen dieser Idee ist Earl auch neunzehn Minuten vor Seminarende Im leeren Gang anwesend - noch eine kleine Rechtfertigung, eine Entschuldigung an die Zeit. Der Gang ist leer, der Weg frei - wie metaphorisch. Earl schaut in beide Richtungen, er scheint tatsächlich fast in der Mitte des Laufstegs zu sitzen, kleine Verbesserungen der perfekten Mitte lassen ihn wenige Stücke nach links rücken. Studenten beginnen, den Gang zu füllen, sie stolzieren über die Laufbahn, werfen kurz musternde Blicke zu ihm herunter, er, der er da sitz vor verschlossener Tür. Egal, wie neutral sie gucken, sie schauen auf ihn herab. Nicht, dass es ihn stört, immerhin ordnet Earl sie auch sehr stereotyp ein - schon nach den Farben die sie tragen. Keine Farben die er noch nicht kennt. Noch erfreut sich Earl am Gedanken der Symmetrie. In welche Richtung laufen mehr von ihnen? Wird die Universität nicht schwerer auf der einen Seite?. Zwangsläufig macht sich in seinem Kopf das Bild der Lehranstalt in Form einer Waage breit - ein runder Grund, wie ein Wok. In einem Wok rutscht doch alles in der Mitte zusammen. Der Gedanke an die assoziierte türkise Mensa ließ ihn erschaudern, er tat einen Schritt zurück zur Waage - sicheres Gelände, trotzdem es nur einen Fußpunkt hat. Auf welcher Seite mögen wohl mehr Studenten sein? Sanft wiegte er den Kopf, hob beide Hände, beiden wogen gleich viel. Oder doch nicht? Schwer zu sagen. Er fühlte sich mehr zur rechten Seite gezogen, vielleicht zieht dort das Gewicht des Gebäudes jenes am meisten nach unten. Oder vielleicht war es auch nur der Hauch eines Windes, den ein vorbeistürmender Student hinter sich herschliff. Er sah den Boden unter den wenigen steinernen Schritten des Eilenden erbeben. Es war nicht die rechte Seite des Überfliegers, der schon am Ende des Ganges eingebogen war. Es ist die Westseite der Universität. Earl wusste nicht, in welche Himmelsrichtung er sah, wenn er den Gang hinunter schaute, aber Westen klang am vernünftigsten. Also ist der westliche Teil des alten Gemäuers der schwerste. Ein gruseliges Bild schlich sich in seinen Kopf: Ist es einfach nur schief gebaut? Bedeutet es mehr Anstrengung, in die eine Richtung des Weges zu laufen? Earl ist zutiefst gekränkt, seine ganze Theorie der Waagschale und des Woks sind durch menschliche Fehlkonstruktionen Wertlos? Wenigstens meine zeitliche Spiegelung kann mir niemand anderes verderben. Schwungvoll reißt die Tür zum Seminarraum auf und kaltes Licht ergießt sich in den angenehm stillen Korridor. Pein greift Earl und zerrt ihn mit einem Ruck auf die Beine, sitzend sollte ihn keiner sehen. Nicht, dass es verboten sei oder verschrieen. Er war zu spät, zu verlieren wäre eh nichts mehr, es ist nur der so allgegenwärtige Schreckmoment, der seine Späße mit ihm treibt. Er lauscht erwartungsvoll auf die Gestalten, die gleich aus dem Loch in der Wand springen werden, als gäbe es kein Morgen, oder zumindest als würden sie wichtigeres verpassen, als den Sturm des Alltags. Hellbraune Schemen tanzen im Rahmen des Lichtes, den der Rahmen der Tür zulaesst. Sie werden dunkler bis kein Fleck des Ganges mehr Licht bekommt und wieder gänzlich zum toten Steg vertrocknet - und schon strömt die kunterbunte Welle Studenten an ihm vorbei. Einzelne bekannte Gesichtzüge erscheinen - er sucht ein paar ganz spezielle: Klaras Gesichtszüge. Gerade als sie luftholend aus der Menschenflut auftaucht, macht sich jemand vollkommen anderes bemerkbar, zieht alle Aufmerksamkeit auf sich. Aus dem Augenwinkel sieht Earl noch kurz Klaras Lächeln und Winken, dann konzentriert sich sein Blickfeld auf das, was vor ihm steht: eine kleine, schwarzhaarige Komiltonin. Mit erwartungsvollem Blick schauen ihre Ebenholzaugen in die seinen, warten auf eine Reaktion, nichts in ihrem Gesicht bewegt sich, nur die zarten Sommersprossen und der noch perfekt sitzende rot leuchtende Lippenstift verraten, dass ihr blasses Gesicht noch nicht kalt wie Schnee ist. Immer trägt sie dieselben Merkmale. Und nie kann ich mir ihren Namen merken, du scheinst das mit Absicht zu machen, du willst doch, dass ich sie Schneewittchen nenne! Bis ich ihren Namen nocheinmal erfahre, bleiben wir bei Schneewittchen. Ob sie sich selbst mit diesem Alter-Ego identifizieren kann? "Hi" klingelte ihre Engelsstimme Earl entgegen," Du hast das wohl wichtigste Seminar des ganyen Jahres verpasst." Sie gluckste ein wenig und ihre Wangen bekamen einen frischen Frühlingston - sie taut auf.Für sie scheint Sommer zu sein, sie behandelt mich, als würden wir uns bestens kennen, da scheiden sich unsere Ansichten wohl. Sie fuhr fort und benutze einen verspielteren, süßeren Ton, als hätte sie andere, verschleiert tiefgründigere aber nicht sonderlich profunde Motivationen, mit Earl zu kommunizieren. Ein lautlosen Seufzen, dann ließ sich Earl auf die Konversation ein. Wie könnte er auch anders? er beginnt mit einem interressierten "Was kann denn so wichtig sein, dass ich es nicht hätte verpassen dürfen?" Schneewittchen macht ein paar unbeholfene Bewegungen, sie fährt sich durch das glatte Haar und beginnt es mit ihrem Finger zu kringeln:" Es ging um die Hausarbeit über das Semester, die Aufgaben wurden verteilt - ziemlich seltsam übrigens - wir sollen dieses Jahr zu zweit arbeiten. Den prof soll einer verstehen..." Die Information lässt Earl schreckliches erahnen, sie fährt fort: " Und weil ich gerade keinen Partner hab, dachte ich, wir würden beide davon profitieren, ich habe auch schon eine tolle Idee für Thema für uns..." So muss ich mir wenigstens keinen Kopf zerbrechen, worüber meine Arbeit berichtet. Und weiter fließt Schneewittchens Tirade über ihre Ideen der Inspiration im Expressionismus. " Und ich dachte, das wäre auch ein Thema für dich, da du ja Malerei so magst. Wir sollen das Ganze übrigens auch praktisch umsetzen,.." Da hat sie Earl also! Er ist nur der Fahrschein des Schneewittchens zu guter Note, vielleicht mag sie ihn, aber Profit ist Hauptgrund ihres Handelns. Nicht, dass ich Malerei abgeneigt bin, aber Karikatieren ist eigentlich etwas anderes, als Malen. Mit ihrer Stimme umtänzelt sie Earl. Earl, der jetzt mittlerweile als alleiniger Zwerg im großen Gang der Universität zur Verfügung steht, kein anderer Lehrbeanspruchender scheint in der Nähe zu sein, es ist einfach zu still in der Hauptschlagader des Gebäudes. Schneewittchen eckt kurz an den Schwerpunkten ihrer Idee an, versucht ihn um den Finger zu wickeln, verabredet sich mit Earl an einem späteren Tag, um die Galerie eines sogenannten Zeitgenössigen Expressionisten zu besuchen, um jenen zu interviewen. Dieser Jemand, der die Zeitgesetze wohl im großen Stile misachtet hat, soll nun Aufschluss und Erfolg für Earls - und Schneewittchens - Jahresarbeit sein. Wenige abstraktblasse Gedanken durchziehen Earls Kopf, ihm scheint das Thema zu gefallen. Fröhlich gönnt er der kalten Verwöhntheit ihren scheinbaren Sieg und freut sich auf die Galerie. Wer weiss schon, was in dem Kopf eines solchen Expressionisten passiert.. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)