Der Karikaturist von -blub- (der Tragödie erster Teil) ================================================================================ Kapitel 4: Unter Stoff ---------------------- Die Stadt zeigt ihre Frühvorstellung, Regen, Nebel und Kälte zugleich saugen aus Straßen das Leben, verwandeln Bäume in graue Klagelieder. Depressiv lehnen sie an Wegerändern, flehen immer noch die archaischen Laternen an, ein gelbes Irrlicht ins Geäst gezaubert. Das Jahr trägt nun einen Mantel, einen langen, schwarzen Umhang, der jeden Tag länger fällt. Erst wenn künstliches Licht schon längst Promenaden beleuchtet, dann enthüllt sich ein jämmerliches Täglein aus dem schweren Filzmantel. Earls Mantel umschlingt ihn schon längst nicht mehr. Nass fläzt er über dem Stuhl zu seiner linken, vermag es, in jener Stellung zu ruhen, Schlaf nachzuholen, den Earl ihm zu früher Stunde genommen hat. Es ist Frühvorstellung. Vor ihm liegt ein kleiner, zusammengefalteter, ja beinahe liederlich geknitterter Zettel. Er stammte von Klara. Wie das kam ist leicht zurückverfolgt - es ist die früheste Vorlesung, die die Universität zu bieten hat, Earl kann kaum erkennen, ob die Augen seiner Kameraden noch vom kurzen oder gar vom ausgebliebenen Schlaf verklebt waren. Er war schon wieder zu spät gekommen, es störte die Dozentin nicht, auch sie sparte und geizte mit munterer Frische. Für die kindliche Lebenspanne des bisherigen Tages war für Earl schon genügend passiert, er hatte sich schnell sein Frühstück trocken und steif in den Hals geschoben, war zu Bussen und Bahnen geirrt, um endlich die klammen Treppen empor zu klimmen und nun endlich hier zu sitzen. Doch zwischen Tür und Stuhl ereignete sich der erweckende Erlebnis des Premorgens: Klara. Er wusste, dass sie heute hier sein würde, wusste, dass er sie sehen würde, mit ihr sprechen könnte, sie betrachten könne und es genießen würde: Keinerlei großes Erlebnis also, und doch war er glücklich sie hier zu sehen, sie war der Frühling im Herbst, das Symbol des Lebens, der Auferstehung, des Aufstehens. Doch ich konnte mich nicht neben sie setzen, musste vorbei an den anderen Figuren, musste feststellen, dass neben ihr kein Platz mehr frei war. Und so sitze ich nun hier. Vier Plätze links von Klara, doch ihre Gedanken liegen mit naiver Freiheit auf jener Notiz da vor mir. Noch traut Earl sich nicht, den Zettel anzurühren, zu wild noch türmen sich seine Flausen, was sie ihm wohl sagen wollte. Sein erfreutes Lächeln zum Gruße und ein Hauch Sonne ihrerseits waren die einzige bisherige Unterhaltung der beiden gewesen, und nun dieser Zettel. Er starrt ihn an, er starrt zurück. Keiner von beiden rührt den anderen an – Earl und der Zettel – im Geiste bekam das Briefchen einen Charakter, ein Aussehen, eine geheimnisvolle Weise, die Earl zu durchschauen suchte, aber sich nicht traute, die prickelnde Ungewissheit fallen zu lassen. Gerade als beide wieder anfangen, sich wölfisch zu umschleichen, stupst Earls Nachbarin ihn an. Er erschrickt, dieser Stups erinnert ihn an Schneewittchens uneinsichtige Art. Sie wird denken, ich habe die Notiz nicht entdeckt. Ein Blick zur Seite in die seichten Augen des neugierigen Huhnes bestätigen seine Ahnung, auch die anderen beiden Damen, die Klara noch von ihm trennten, linsen munter herüber. Sie glucksen alle drei in sich hinein. Natürlich, schließlich wird jeder Briefwechsel von ihnen beäugt und aufs Genauste analysiert, sie werden jeden Kuli strich und –Schwung gierig beobachten, jegliche Mimik beschauen, um auch nur einen Hauch dessen zu erhaschen, was sich im inneren der weißen Post befindet. Verschlafen spielt er die Notiz durch seine Finger, öffnet sie etwas weiter mit jeder Umdrehung, die sie macht. Einige Buchstaben sind schon zu erkennen, Earls Züge erhellen, als er die schönen, geschwungenen Buchstaben sieht, die langsam zum Vorschein kommen. Sie schlingen und schlängeln sich wie Ranken um seine Augen, verzaubern Earl mit ihrem Filigran. Ein kurzer Blick nach vorn, als würde er sich vergewissern wollen, dass er auch ja nichts verpasst von der Vorlesung, die noch immer totenstarr dahin zieht, dann wirft er sich voller Eifer in die lebendigen Zeilen des kleinen Briefchens: Der Brief beginnt sehr formal: Hi, guten Morgen, und verläuft weiter mit sehr steifem Smalltalk: Du schaffst es wohl nie, pünktlich zu kommen, was? Es gibt so vieles, was Earl ihr erzählen möchte – sein Kopf schreibt Romane und Trilogien, Gedichte und Balladen, um auf diese wenigen Worte antworten. Was soll er schreiben? Gedankenversunken entdeckte er die restlichen Zeilen, trinkt sie gierig mit seinen Augen, dass die Tinte zu Staub zerfällt: Die letzten Sätze erkundigen sich nach seinem Wohlsein, nach seiner Erholung der letzten gemeinsamen Vorlesung und erwähnen in verschmitztem Sarkasmus die Intensität Klaras langer Weile… Earl antwortet ihr – wenige Zeilen, dieselbe Form die Klara wählte, er schmiegt sich warm an ihre Form des Briefchen-Schreibens an, ja kopierte sie fast schon. So Oberflächlich müssen wir diesen Briefwechsel halten, so viel lieber würde ich profunde Gespräche mit ihr führen, eine Unendlichkeit im Universum der Gedanken verbringen. Aber nein! Wir müssen hier sein und die grottige Dozentin kommentieren. Sie war heute wirklich keineswegs in der Lage, in irgendwem Feuer für Lernstoff zu entfachen. Brav hatte er unter ihren paar Sätzen die seinen geschrieben. Earl wusste, wie gern man seine Zeichnungen machte, leichthändig karikiert er die Lehrende, faltet den Zettel und gibt ihn nach rechts auf den Weg zur anderen Seite der Bankreihe. Wie an einem seidenen Faden gleitet er über den Tisch, durch lange Finger, kurze Finger, krumme Finger. Die drei Moiren zwischen ihm und Klara halten seine Lebenspost in der Hand. Alle drei lachen, lachen erhaben, erhaben über ihre Macht, Macht, die sie über Earl haben. Earl bereut für einen Moment das Risiko, das er eingegangen ist, den dreien so offen zu vertrauen. Ihre grauen Gesichter werden immer munterer, als saugten sie das Leben aus dem Stück Papier. Jeder ihrer Finger, der ihn berührt, zuckt erregt und elektrisiert. Jedes Gesicht, das den Zettel vor sich sieht, blitzt zu Earl herüber, offenbart ihm mit einmal ihre ganze, gierige Hässlichkeit - verrückte Weiber! Jede Pore ihrer des Wetters wegen so verhüllter Erscheinung weitet sich zu grau-schwarzen Abyssen und Mäulern, und endlich - Endlich zieht Klara den Hexen das Spielzeug mit sachter Hand aus den Klauen – Earl ist erleichtert. An Klaras Schmunzeln erkennt er, dass sie die Karikatur entdeckt haben muss. Sie wirft einen Blick herüber, freut sich und beginnt zu schreiben. Gierig stachelt ihre Banknachbarin sie an, doch Klara schwingt den Arm leichtfertig über ihre Zeilen, sodass keinem anderen als Earl ihr geist zu Teil werden kann. Und gegen diese überfreundliche Geste, das spaßhafte verdecken können sie sich nicht wehren. Die Hexen müssen den Frieden wahren. Trotzdem wollen sie alle gierigst wissen, was Klara Etwas so geheimes mit einem Mann zu bereden hat, dass sie sich das Briefgeheimnis zu Nutzen macht. Plötzlich liegt der diesmal unsauber gefaltete Brief wieder vor ihm. Das grausige Gespenst der Nacht muss ihm kurz die Augen zugehalten und ein süßes Gift eingeflößt haben. Oder wolltest du mir diesen Kampf der Moiren um mein Leben nur ersparen? Doch warum deutest du dann erst auf die riesigen Eiterbeulen und Warzen, Klauen und Giftblicke? Blinzelnd sieht Earl nach seinem Mantel – trocken, aber dennoch unbewegt, bald sollte die Vorlesung vorbei sein. Dieses Mal nüchterner tastet Earl nach dem Papier, zieht es zu sich, hebt es an, öffnet es langsam. Plötzlich fangen die ersten Reihen an, auf die Bänke zu klopfen, die Stunde ist vorbei. Vereinzelte springen auf, als hätte sie die muntere Eile gepackt, gerissen und getreten, es werden immer mehr. Verzweifelt schießt sein Blick zu Klara hinüber – auch sie steht schon. Earl könnte sich in den Schwung ihres Winkens verlieben und in ihm verlieren. „Lies ihn nachher, du musst mir nicht sofort antwortet.“, sagt sie, Earl antwortet: “In Ordnung, Ich freu‘ mich schon drauf.“, jedoch mehr zu sich selber. Sie wird es gehört haben. Und wieder hatte sie ihn sitzen lassen. Der Brief war die Einladung zu einer Party. 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