Seelensplitter von Moonprincess ================================================================================ 2. Kapitel: Vergiftete Seele ---------------------------- Yugis Herz hatte für eine Sekunde vor Schreck ausgesetzt und pochte jetzt wieder schmerzhaft schnell. Ihm wurde schwindelig und seine linke Brust schmerzte als würde sie mit tausend glühenden Nadeln traktiert werden. Die Karte... Er mußte die Karte spielen! Verwirrung, Schrecken und Entsetzen stürzten auf Yugi ein und er sackte auf die Knie. Was war hier los? ‚Aibou?’ Die aufgeregte Stimme in Yugis Kopf ließ ihn wieder klarer werden. Zorn stieg in ihm auf. Es war das Gift, das ihn fantasieren ließ. Tenghe wollte seine Schwächen benutzen, um sich die Karte, diese verdammte Karte, zu holen. „Deine Tricks funktionieren nicht! Verschwinde aus meinem Kopf!“ Yugi schüttelte seinen Kopf heftig, auch wenn es seinen Kopfschmerz und das Brennen in seinem Körper nur noch verstärkte. „Was?“ „Ich spiele Götterwaage“, keuchte Yugi und ignorierte die verwirrte Stimme Tenghes. „Indem ich alle meine verbliebenen Lebenspunkte bis auf einen opfere, darf ich durch sie automatisch die drei Göttermonster in meiner Hand für einen Zug fusionieren. Ich beschwöre Horakthy, Schöpfer des Lichts. Lösch sie aus!“ Yugi konnte seinen Zug gerade noch beenden bevor der Fußboden auf ihn zugerast kam. Noch halb bei Bewußtsein konnte er Tenghes entsetzten Schrei hören als Horakthy mit seinem allumfassendem Lichtangriff ihre Monster und damit ihre Lebenspunkte auslöschte. Danach war alles still. Zitternd hob Yugi seinen Kopf. Die Monster und Karten waren verloschen, aber warum stand dann Horakthy noch immer vor ihm? Die Gestalt beugte sich zu ihm herunter und Yugi konnte in ein besorgtes violettes Augenpaar sehen, das er nur allzu gut kannte. „Atem?“ Für einen Herzschlag war alles, wie es sein sollte. Dann packte Atem plötzlich Yugis Schultern und riß diesen mit sich zur Seite, Sekundenbruchteile bevor ein Ball aus Schwarzem Feuer sie beide getroffen hätte. „Tenghe!“ Atems Stimme zitterte vor unterdrückter Wut. Yugi krallte sich zitternd an Atems weißem Hemd fest und preßte sein Gesicht gegen dessen Brust, während Atem ihre Angreiferin kalt musterte. „Laß ihn zufrieden! Er hat nichts damit zu tun!“ „Das denkst du!“ Tenghe schnaubte. „Ich hatte nicht erwartet, dich je wiederzusehen, kleiner Falke.“ „Gleichfalls. Ich hatte nicht erwartet, daß du noch lebst... nach dreitausend Jahren!“ „Nicht nur du kannst dem Tod ein Schnippchen schlagen.“ Tenghe sah die beiden Männer höhnisch an. „Nun, da du wieder in diese Sphäre zurückgekehrt bist, hindert mich zumindest nichts daran, mich an dir zu rächen.“ „Ach ja? Und wofür? Falls ich dich erinnern darf: Du bist eine Mörderin! Du hast unzählige Menschenleben vernichtet. Du hast sogar deine eigenen Kinder zerstückelt!“ Yugi blickte entsetzt von Atem zu Tenghe und dann zurück. Was ging hier nur vor sich? Er biß die Zähne zusammen als ihn eine weitere Schmerzenswelle durchlief. Er fühlte, wie Atem sich unter ihm anspannte. „Ts! Na und? Ich brauchte die Ratten nicht mehr, nachdem ich ihren Vater vergiftet hatte.“ Tenghe zuckte die Achseln als hätte sie nicht mehr getan als nach einer Fliege zu schlagen. „Aber was du getan hast...“ Sie steckte Daumen und Zeigefinger in ihren Mund. Als sie sie wieder herauszog, hielt sie ein Stück Gold in der Hand. Es sah aus wie eine Art Schiene. Yugi hatte plötzlich das Bedürfnis sich zu übergeben. Er wollte es nicht sehen! Aber es war zu spät. Tenghe öffnete ihren Mund und ließ ihre bis zum Rachen gespaltene Zunge herausgleiten. Der Haß in ihren Augen brannte lichterloh. Atem zuckte nicht einmal mit der Wimper. „Ich hätte dich ins Reich der Schatten verbannen sollen als ich die Gelegenheit dazu hatte.“ Tenghe hatte die Schiene wieder über ihre Zunge geschoben. Die Schiene glühte kurz auf und Yugi erkannte, daß Tenghe ohne dieses magische Hilfsmittel nicht sprechen konnte. Atem hatte das getan? Aber sie war eine Mörderin. Die nächste Schmerzenswelle brandete über ihn und er keuchte erstickt. Ihm war viel zu heiß! Sein Herz galoppierte in seiner Brust und sein Blut war Lava. „Wir werden uns wiedersehen, kleiner Falke!“ drohte Tenghe bevor sie Yugi einen verächtlichen Blick zuwarf. „Bis zu unserem Wiedersehen kannst du ja versuchen, wieder in Ordnung zu bringen, was du deinem kleinen Liebling angetan hast.“ „Was ich ihm angetan habe? Du hast mit ihm ein Spiel der Schatten gespielt!“ „Ich habe nichts weiter getan als den Verfall zu beschleunigen, den dein Fortgang ausgelöst hat. Du hast ihn zuerst vergiftet und ihn dann zurückgelassen, damit die Schatten seine zerrissene Seele auffressen können.“ Damit wurde Tenghe von den Schatten verschluckt. Bevor Yugi über das Gespräch nachdenken konnte, tauchten die angsterfüllten Gesichter von Anzu, Mai und Jonouchi in seinem Blickfeld auf. Dann wurde alles schwarz. *** Eine Stunde später lag Yugi noch immer bewußtlos mit einem nassen Waschlappen auf seiner heißen Stirn im Bett seiner Unterkunft. Atem war nur von seiner Seite gewichen, um ein paar Utensilien zusammenzusuchen, die er noch brauchen würde. Dabei hatte er Jonouchi, Mai und Anzu seine Wiederauferstehung und die nachfolgenden Ereignisse, soweit sie ihm bekannt waren, in knappen Worten geschildert. Sie mußten gemerkt haben, daß er nicht wirklich bei der Sache war, denn ihre Fragen waren schnell versiegt. Zumindest bis zu dem Zeitpunkt, an dem Atem ins Schlafzimmer zurückkehrte und seine Ausbeute auf dem Boden ausbreitete. „Ein Messer, eine Schnur, ein Stück Pappe und ein Pinsel?“ Jonouchi sah seinen Freund verblüfft an. „Was willst du denn damit machen? Basteln?“ Atem warf ihm einen kurzen Blick zu. „Ein Zauber gegen die Krankheit. Dadurch wird Aibou wieder aufwachen. Vorerst zumindest.“ Anzu, die auf der Bettkante saß, blickte ihn fragend an. Ihre Sorge stand ihr deutlich ins Gesicht geschrieben. „Was ist das für eine Krankheit, die Yugi hat, Atem? Vor ein paar Stunden ging es ihm noch gut! Er war nur müde.“ „Wenn Aibou wieder aufwacht, verspreche ich, euch allen alles zu erklären. Wenn er nicht aufwacht, ist meine Theorie sowieso hinfällig.“ Atem blickte einen nach dem anderen an. Alle drei nickten schließlich. Atem widmete sich also dem Zauber. Zuerst mußte er nur aus der Pappe und der Schnur ein Behelfs-Amulett basteln; eine Arbeit, die nur wenig seiner Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. Derweil versuchte er, seine Gedanken wieder in geordnete Bahnen zu bringen. Die Götter hatten ihn zurückgeschickt, zusammen mit einem Bündel zeitgemäßer Kleidung, etwas Geld und all den Papieren, Ausweisen und sonstigen Einträgen, die bewiesen, daß er Atem Taka, zwanzig Jahre alt, war und daß er alles getan hatte, was für die Menschen der heutigen Zeit normal war. Als Atem im Horus-Tempel von Edfu gestanden hatte, den er bis dahin nur aus den Büchern von Großvater Muto gekannt hatte, war ein Spiel der Schatten Yugi gegen Tenghe vor der Opfertischhalle das Letzte gewesen, das er erwartet hatte. Er hatte versucht, mit Yugi über ihre geistige Verbindung Kontakt aufzunehmen, aber sein Aibou hatte nicht reagiert. Jetzt wußte Atem, daß das Gift in Yugis Körper diesem zuviel abverlangt hatte, als daß er sich neben dem Duell auch noch um andere Dinge hatte kümmern können. Atem mußte nun herausfinden, ob Tenghe die Wahrheit gesagt hatte. Eigentlich war es müßig, denn er wußte bereits, daß dem so war. Aber er mußte seinen Aibou aufwecken, um diesem alles zu erklären und sich zu entschuldigen. Er begann zu verstehen, was die Götter damit gemeint hatten, daß nur er in dieser Krise bestehen könne. Vorerst verdrängte Atem seine Schuldgefühle. Sie würden sonst nur den Zauber beeinflussen und das konnte böse ausgehen. „Also gut. Ich fange jetzt an.“ Er vergewisserte sich noch einmal, daß seine Freunde ihn verstanden hatten, bevor er das Messer ergriff und sich in den linken Unterarm schnitt. Während Atem selbst ruhig blieb, hörte er wie seine Zuschauer entsetzt nach Luft schnappten. „Alter, was...“ „Jonouchi! Ich muß mich konzentrieren“, mahnte Atem und sein Gegenüber klappte kopfschüttelnd den Mund zu. Atem ergriff den Pinsel und tauchte ihn in das Blut. Schnell, aber gründlich malte er mehrere Hieroglyphen auf die Pappe. „Der Zauber sei“, murmelte Atem auf altägyptisch, dann leuchteten die Schriftzeichen kurz rot auf. „Das war’s.“ „Ich hole den Verbandskasten.“ Eine blasse Anzu stand auf und lief ins Bad. „Und ich mache Tee.“ Mai schien es ebenso eilig zu haben, das Zimmer zu verlassen. „Du hättest uns wenigstens warnen können“, rügte Jonouchi Atem. „Du hast uns echt erschreckt, Atem!“ „Entschuldigung“, murmelte der und stand auf, um Yugi das Amulett um den Hals zu hängen. Danach ließ er sich brav von Anzu verbinden, aber er konnte es nicht verhindern, Yugi immer wieder einen prüfenden Blick zuzuwerfen. Kurz darauf war der Tee fertig. Mai hatte sogar ein paar Kekse aufgetrieben, diese aber streng als nur für Yugi deklariert, während sie beiläufig Jonouchis Hand von den süßen Köstlichkeiten fortzog. Es war vielleicht eine Viertelstunde vergangen als Yugi endlich stöhnend die Augen aufschlug. „Leute?“ murmelte er rauh als er als erstes Jonouchi und dann Anzu entdeckte. „Ich hatte einen wirklich seltsamen Traum.“ Langsam setzte er sich auf. Der Waschlappen purzelte auf die Bettdecke. „Mal langsam mit den jungen Pferden. Du solltest dich nicht so anstrengen, nachdem du an einem Spiel der Schatten teilgenommen hast.“ Resolut schob Mai Yugi mehrere Kissen in den Rücken, dann drückte sie ihm die warme Teetasse in die Hand. Den Waschlappen tauschte sie mit dem Keksteller. „Hier, trink und iß erstmal was. Du warst ja schon immer blaß, aber heute kannst du selbst der Wand noch Konkurrenz machen.“ „Es war kein Traum?“ Yugi umfaßte die Teetasse so fest, daß seine Knöchel weiß wurden. „Nein, das war es nicht.“ Atem setzte sich auf die Bettkante und blickte Yugi besorgt an. „Du bist wirklich wieder da!“ Yugis Augen leuchteten auf und Atem mußte einfach lächeln. „Ja. Die Götter haben mich zurückgeschickt, um eine wichtige Mission zu erfüllen. Ich hätte nicht gedacht, daß du ein Teil davon bist, Aibou.“ „Geht es dir besser, Yugi?“ mischte Jonouchi sich ein. „Atem hat gesagt, du wärst krank.“ „Es geht mir besser als während des Duells, aber mein Kopf fühlt sich an als würde er platzen und mein Herz... Es ist, als würde es jemand auf kleiner Flamme rösten.“ Yugi sah zurück zu Atem. „Wie lange wirst du bleiben? Was macht mich krank? Was ist das für eine Mission?“ Die Fragen sprudelten nur so aus Yugi heraus. Atem antwortete langsam: „Wenn ich die Mission erfolgreich beende, kann ich bleiben und als normaler Mensch weiterleben. Meine Aufgabe ist es, das Gleichgewicht der Welt wiederherzustellen, das in letzter Zeit empfindlich gestört wurde. Zweifellos hängt es mit Tenghe und dem Apophis-Kult zusammen, aber die Hintergründe sind mir nicht klar.“ Er seufzte. „Und du leidest nicht an einer Krankheit, Aibou, sondern an einer Vergiftung.“ „Tenghe sagte, du wärst daran schuld.“ Yugi senkte den Kopf. „Das glaube ich nicht.“ Atem lächelte bitter. „Ich habe es nicht absichtlich getan, aber ich oder eher mein Fortgehen ist dennoch für dein Leiden verantwortlich.“ „Das verstehe ich nicht.“ Anzu hatte so leise gesprochen, daß Atem sie beinahe nicht gehört hätte. „Mein Aibou wurde durch meine Schattenmagie vergiftet. Seine Seele wehrt sich gegen die Schatten, die für sie unnatürlich sind. Er hatte früher keinerlei magische Fähigkeiten, aber nachdem er das Millenniumspuzzle gelöst hatte, hat sich das geändert. Ich habe ihn verändert.“ Atem verschränkte seine Hände und lehnte seinen Kopf gegen diese. „Normalerweise haben Magiebegabte kein Problem, ihre Magie zu kontrollieren. Viele wissen noch nicht mal, daß sie diese Fähigkeiten überhaupt besitzen und halten ihre Manifestationen für Zufälle, Einbildung oder machen irgendetwas anderes dafür verantwortlich. Geistersehen, gute Heilung, prophetische Träume, besonderes Glück oder Talent... All das sind harmlose Manifestationen von Magie. Menschen, die ohne Magiebegabung geboren werden, haben aber keine unterbewußten Kontrollmechanismen. Werden sie mit Magie vergiftet, wehrt sich die Seele gegen diese und die Magie wiederum... greift die Seele bis zur völligen Zerstörung an.“ Atem sah Yugi direkt in die Augen. „Es ist meine Schuld, daß du jetzt seit Jahren so leiden mußt.“ Yugi schüttelte nur den Kopf. „Nein, ist es nicht. Du konntest es damals nicht wissen.“ „Ich hatte geschworen, dich zu schützen, doch ich habe versagt. Wieder.“ Atem wünschte sich nichts sehnlicher als Yugis Vergebung, aber ein anderer Teil von ihm wollte das nicht. Nicht so einfach jedenfalls. Atem wollte sich die Vergebung und das Vertrauen seines Aibous verdienen und sie nicht nach all dem auf dem Silbertablett serviert bekommen. Immer hatte er sich gesagt, wie wichtig sein Aibou für ihn sei, aber in drei für Yugi sicher furchtbaren Jahren hatte er nicht einmal an Magievergiftung gedacht, sondern sich in den Gefilden der Binsen die Sonne auf die faule Haut scheinen lassen. Stattdessen mußte ausgerechnet Tenghe ihn mit der Nase auf seinen gefährlichen Fehler stoßen. Als er in Yugis Augen sah, wußte er, daß ihm bereits vergeben worden war. Atem riß sich zusammen und fuhr fort: „Da ich magiebegabt war, habe ich unbewußt Aibous Körper verändert, damit er meinen Anforderungen gerecht wurde. Ich habe Yugis Magiekanäle geöffnet. Als ich ging, waren sie noch immer offen, aber jetzt war keiner mehr da, der die Magieströme kontrollieren konnte. Tenghe hat bei dem Duell reinste Schattenmagie in Yugis Körper gepumpt und die Situation damit verschlimmert. Jetzt kämpft die Schattenmagie gegen Aibous Seele und schädigt zusätzlich seinen Körper.“ „Kannst du die Kanäle nicht wieder schließen?“ erkundigte sich Mai. „Es gibt zwar Zauber dafür, aber die Überlebenschancen sind gering. Für alle Beteiligten. Aibou, ich kann dir nur helfen, in dem ich dir beibringe, die Magie zu beherrschen. Vorher muß ich aber die Schatten aus deinem Körper ziehen. Es gibt nämlich verschiedene Arten von Magie. Jede Seele entscheidet unbewußt, welche Art sie annimmt oder bekämpft. Du mußt die Magieart finden, die zu dir paßt.“ Yugi hatte erstaunlich ruhig zugehört, aber Atem war sich nicht sicher, ob es nicht das Gift war, das Yugis Reaktionen lähmte. „Ich verstehe. Ich habe nicht viel Ahnung von solchen Dingen, aber ich vertraue dir. Nur wie willst du die Schatten aus mir rausbekommen?“ „Es gibt Rituale dafür, aber die kann ich nicht hier durchführen.“ „Wieso nicht?“ hakte Anzu nach. „Weil ich weder die dazu benötigten Schriften habe noch hier einen so mächtigen Bannkreis habe oder auch nur ziehen könnte, daß uns nicht die halbe Stadt um die Ohren fliegt, sollte etwas schiefgehen. Magie kann unberechenbar sein.“ Atem verschränkte die Arme vor der Brust. „Wir müssen zu einem besonderen Ort in der Wüste, der sich in eurer Sprache „Hort der Magie“ nennt. Dort gibt es alles, was ich brauche und die Gefahr, daß wir aufgrund eines magischen Rückschlags sterben oder andere gefährden, ist ausgeschlossen.“ „Also irgendwie gefällt mir das nicht, daß wir mitten in die Wüste reisen sollen, um diesen komischen Hort zu finden.“ Jonouchi schüttelte den Kopf. „Was ist das überhaupt für ein Ort?“ „Dort wurden früher alle Magiebegabten ausgebildet und es war ein Rückzugsort für Magier, um gefährliche Zauber durchzuführen. Außerdem gehen nur Aibou und ich.“ „Was? Aber wir lassen euch nicht im Stich!“ rief Anzu und Jonouchi und Mai nickten bekräftigend. „Ich würde euch mitnehmen, aber der Hort ist nur für Magiebegabte betretbar. Ihr würdet ihn noch nicht mal sehen, selbst wenn er direkt vor eurer Nase stünde.“ Atem stand auf. „Es tut mir leid.“ „Schade, aber da kann man wohl nichts machen. Dabei hätte ich so gerne mal eine waschechte Zaubererschule von innen gesehen.“ Mai seufzte und streckte sich. „Ich werde euch später alles erzählen.“ Yugi lächelte. „Ähm, Atem? Meine Tasche ist unten im Schrank.“ „Na ja, wir können derweil nach dieser Tenghe Ausschau halten“, meinte Anzu zögernd. „Wenn wir nur wüßten, was sie von Yugi wollte.“ „Tenghe gehört dem Apophis-Kult an, den ich eigentlich zerschlagen glaubte.“ Atem zog die Tasche hervor und begann, Yugis wie seine eigenen Sachen einzupacken. „Halicon war der Gründer, Anführer und Hohepriester und sollte noch immer im Reich der Schatten schmoren. Zumindest ist das der Ort, an den ich ihn damals geschickt habe. Die Apophis-Kultisten halten Menschenopfer für gottgefällig und ihrer Meinung nach könnte der Welt nichts besseres passieren als das Apophis siegt und die Sonne verschlingt.“ „Üble Typen!“ Jonouchi schauderte sichtlich. „Ist Tenghe wirklich mehr als dreitausend Jahre alt?“ erkundigte sich Yugi. „Du schienst sie ziemlich gut zu kennen.“ „Das habe ich einmal geglaubt. Sie gut zu kennen, meine ich. Dann hat sie ihren Mann und ihre Kinder getötet und ist in Halicons Bett gestiegen.“ Atem verzog angewidert das Gesicht. „Ich weiß nicht genau, auf welche Weise sie ihr Leben und ihre Jugend erhalten hat, aber dafür ist schwärzeste und böseste Magie nötig. Ich tappe im Dunkeln darüber, was sie vorhat, aber wenn sie dafür Yugi braucht, dann wird sie wohl kaum in Aktion treten, solange er außerhalb ihrer Reichweite ist.“ „Wir werden trotzdem die Augen offenhalten.“ Jonouchi sah zuerst Yugi und dann Atem entschlossen an. „Wenn sie wieder auftaucht, werd’ ich mich um sie kümmern.“ „Laß das lieber. Sie ist gefährlich.“ „Ja, ohne Atems Eingreifen hätte sie mich verbrannt“, pflichtete Yugi Atem bei. „Tu bitte nichts Unüberlegtes, Jonouchi.“ Atems Stimme kam gedämpft aus dem Bad: „Hör auf Yugi! Solange es noch einen anderen Ausweg gibt, solltest du eine direkte Konfrontation mit Tenghe vermeiden. Sie ist unberechenbar und noch dazu krank im Kopf.“ „Und sie ist eine gute Spielerin. Ich hab sie ein paar Mal duellieren sehen. Da war sie schon gut und dabei hat sie noch nicht mal mit voller Kraft gespielt.“ Yugi rieb nachdenklich über seinen Hals und stellte dabei nebenher fest, daß der Schlangenbiß verschwunden war. Jonouchi rollte mit den Augen. „Na schön! Aber ich hoffe, ich darf ihr in den Hintern treten, wenn ihr wieder da seid.“ Atem kam mit Yugis gefülltem Kosmetikbeutel zurück und grinste. „Von mir aus gerne, Jonouchi! Fehlt noch was, Aibou?“ Er sah sich um. „Nur noch mein Rucksack. Er liegt im Wohnzimmer auf der Couch.“ Yugi stöhnte und hielt sich den Kopf. „Wie wollen wir eigentlich zum Hort kommen? Ich glaube nicht, daß ich laufen kann.“ Atem schüttelte den Kopf. „Wir können uns durch die Schatten bewegen. Es gibt bequemere Reisemethoden, aber keine ist schneller als diese. Zeit haben wir nämlich nicht mehr viel. Mein Zauber hält dich momentan wach und die Schatten in Schach, aber auf Dauer wird das nicht ausreichen. Wenn du noch mal das Bewußtsein verlierst, Aibou, weiß ich nicht, ob ich dich noch ein zweites Mal aufwecken kann.“ „Ich muß Großvater Bescheid sagen!“ fiel es Yugi siedend heiß ein. „Wie lange werden wir überhaupt dort sein?“ „Ein paar Monate bestimmt.“ „So lange?“ Yugi war entsetzt. „Dabei hatte Honda mir doch versprochen, mir Motorrad fahren beizubringen! Und ich wollte Zeit mit Großvater verbringen.“ „Ich dachte, du wolltest nicht Motorrad fahren?“ Anzu sah Yugi verwirrt an. „Es geht mir mehr um die Geste.“ „Verstehe. Yugi, ich rufe deinen Großvater an und erkläre ihm alles. Ich werde auch deine Termine absagen oder auf unbestimmte Zeit verschieben lassen. Du solltest dich schnellstmöglich von Atem kurieren lassen. Das ist jetzt wichtiger als alles andere.“ Anzu trat zu Yugi und nahm ihn in den Arm und so daß nur Yugi es hören konnte fügte sie hinzu: „Sieh es positiv! Du darfst ein paar Monate alleine mit Atem verbringen.“ Sie zwinkerte verschwörerisch und Yugis Gesicht nahm die Färbung einer reifen Tomate an. „Anzu!“ zischte er empört. Mai hatte derweil Atem geholfen, alles so zu verpacken, daß er es problemlos alleine tragen und im Notfall auch noch Yugi stützen konnte. „Wie sollen wir euch eigentlich sagen, daß Tenghe aufgetaucht ist oder euch andere Merkwürdigkeiten berichten? Ich bin sicher, mitten in der Wüste gibt es keinen Handyempfang, selbst wenn der unwahrscheinliche Fall eintritt, daß die Akkus ein paar Monate halten sollten.“ Mai blies eine blonde Locke aus ihrer geröteten Stirn, nachdem sie sich vom Boden aufgerappelt hatte. „Wir können euch kontaktieren, keine Sorge. Wir werden uns regelmäßig melden.“ Atem schulterte den Rucksack und ergriff dann die Tasche. „Und wie? Mit Rauchzeichen?“ scherzte Anzu. Mai lachte. „Mit Magie.“ Atem grinste. Dann sah er zu Yugi. „Ich verstehe, daß du deinen Großvater und Honda vermißt, aber...“ „Du mußt nichts sagen, Atem. Ich verstehe schon und du hast recht. Wenn ich nicht wieder gesund werde, dann werde ich wohl erst recht keine Zeit mehr mit ihnen oder sonst jemandem verbringen können.“ Yugi lächelte müde bevor er aufstand und in seine Schuhe schlüpfte. Er nahm das Lederband, an dem sein goldenes Ankh hing, vom Nachttisch und hängte es sich um den Hals. Nachdem er noch seine Jacke übergezogen hatte, ließ er es zu, daß Jonouchi ihn auf die Arme nahm und aus dem Haus trug. Inzwischen war es Nacht geworden und die flirrend heiße Luft des Tages war einer angenehmen Kühle gewichen. Atem wußte, daß das vielleicht nur eine Pause zwischen den Extremen war, denn später in der Nacht konnte die Luft eisig sein. Während Jonouchi Yugi irgendeinen Blödsinn erzählte, der beide zum Lachen brachte, trat Mai zu Atem. „Ich weiß, ich muß dir das nicht sagen, aber ich tu’s trotzdem. Kümmere dich gut um ihn. Er braucht dich! Mehr als du dir vielleicht vorstellen kannst.“ Atem nickte nur. Er hatte das gleiche Gefühl gehabt seit er im Horus-Tempel in Yugis große Augen gesehen hatte. Es würde viel zu erklären geben, sobald Yugi erst einmal außer Gefahr war. Anzu kam als letzte aus dem Haus. „Ihr habt nichts vergessen“, verkündete sie, dann lächelte sie Atem verschwörerisch zu. „Paß gut auf Yugi auf.“ „Immer doch“, antwortete Atem. War es nur seine Einbildung oder schienen die Frauen mehr zu wissen als sie auf den ersten Blick durchscheinen ließen? Damit würde er sich wohl so oder so befassen müssen, wenn Yugi und er nach Domino zurückgekehrt waren. „Wie funktioniert das jetzt mit dieser Reise durch die Schatten?“ erkundigte sich Jonouchi. „Vereinfacht gesagt, wir suchen uns einen Schatten aus und stellen uns vor, wo wir am Ende unserer Reise sein sollen“, erklärte Atem und stellte sich in die Mitte des Häuserschattens. „Mußt du dir dazu wieder in den Arm schneiden?“ Jonouchi stellte Yugi neben Atem. „In den Arm schneiden?“ Yugi warf Atem einen verwirrten und besorgten Blick zu. „Das erkläre ich dir später, Aibou. Nein, für diesen Zauber brauche ich kein Blut, Jonouchi. Nur eine Menge Konzentration.“ Atem nahm Yugis Hand und verstärkte gleichzeitig seinen Griff um die schwarze Reisetasche. „Macht es gut, ihr zwei.“ Mai lächelte und begann zu winken als die Gestalten vor ihr sich langsam auflösten. „Meldet euch bald, Jungs!“ schloß sich Anzu an. „Ja! Paßt auf euch auf!“ Jonouchis braune Augen verwischten wie eine Zeichnung im Sand als der Zauber wirkte und Atem und Yugi in die Schatten eintauchten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)