Vertrauen und Verrat von Seira-sempai ================================================================================ Kapitel 27: Aussprache ---------------------- Als Kian und ich meine Wohnung nach etwas über einer Stunde endlich erreichten, war ich halb durchgefroren. Meine Hände waren so kalt, dass es schmerzte, sie zu bewegen. Aber das ignorierte ich, als ich den Schlüssel aus meiner Hosentasche zog um die Tür aufzuschließen. Doch dann hielt ich inne. An meiner Wohnungstür lehnte seine sitzende Gestalt. So sah es jedenfalls aus, denn ich hatte das Licht nicht eingeschaltet, durch die Fenster fiel nur wenig von den Straßenlaternen ein, und konnte nur die groben Umrisse erkennen. Kian war ebenfalls stehen geblieben. Ein schwaches Seufzen entwich seiner kehle, bevor er mich ansah. „Du hast Besucht.“, meinte er und ging auf die Gestalt zu, die er dann vorsichtig rüttelte. „Livi, wach auf.“ Die Gestalt, wie es sich herausstellte, handelte es sich bei ihr um Kians Cousine, murmelte etwas unverständliches, bevor sie plötzlich aufsprang. „Kian!“, rief sie und fiel ihm um den Hals. „Wo bist du gewesen? Ich habe die überall gesucht.“ Mich schien sie nicht zu bemerken, weshalb ich das Licht einschaltete, um auf mich aufmerksam zu machen. Das Mädchen gab einen überraschten Laut von sich, bevor sie sich von ihrem Cousin löste und langsam auf mich zukam. Unsicher und mit einem leichten Rotschimmer im Gesicht blickte sie auf den Boden. „Ich habe auf dich gewartet, Alec.“ Als ich meinen besten Freund, der genau hinter ihr stand, ansah, bemerkte ich ein breites Grinsen auf seinem Gesicht. Er packte Livi an den Schultern, bevor er sie in meine Richtung schob. „Na los!“, meinte er lachend, „Jetzt macht schon. Ich denke ihr seid zusammen!“ Etwas verwundert fing ich die total geschockte Olivia auf. Ich wusste, Kian verstellte sich, um uns nicht zu verletzen. Dankbar sah ich ihn an, bevor ich ihm den Wohnungsschlüssel zuwarf. „Geh schon mal rein und zieh deine Schlafsachen an. Wir kommen gleich nach.“ Nur langsam schien Livi zu begreifen, was ihr Cousin gerade indirekt gesagt hatte. Sie wich einen Schritt zurück und starrte mit einer von Sekunde zu Sekunde ungläubigeren Gesicht und mit weit aufgerissenen Augen an. „Alec, wie hast du...?“ Schwach lächelte ich sie an, ich hatte immer noch Schuldgefühle meinem besten Freund gegenüber, so etwas von ihm verlangt zu haben. „Ich habe Kian darum gebeten...“ „Verstehe.“, murmelte sie, dann lächelte sie mich glücklich an. „H- heißt das, wir dürfen jetzt zusammen sein? Ich meine... Hat Kian nichts mehr dagegen?“ Ich seufzte. „Er duldet es, nicht mehr und nicht weniger.“ Olivia senkte ihren Blick. „Er ist also immer noch dagegen...“ Ohne weiter über eventuelle Folgen nachzudenken beugte ich mich nach vorn und küsste meine Freundin auf den Mund. „Komm, gehen wir rein. Kian wartet sicher schon.“ Ich packte sie am Handgelenk und zog sie in die Wohnung. Erst als ich die Tür geschlossen hatte, löste ich meinen Griff wieder. Meine Winterjacke hing über einem der Küchenstühle. Kian hatte sie ausgezogen. Langsam ging ich in Richtung des Schlafzimmers, wo ich ihn vermutete. Ich behielt Recht. Mein bester Freund saß auf seinem Bett und starrte an die Wand, die Hände hatte er zu Fäusten geballt. Er hatte sich nicht einmal die mühe gemacht, seine zerrissenen Klamotten auszuziehen. Ein leises Seufzen entwich meiner Kehle, bevor ich auf Kian zuging und mich neben ihn auf das Bett setzte. „Was ist los?“, fragte ich vorsichtig. Mein bester Freund hob seinen Blick und sah mich aus seinen verheulten Augen heraus an. „Warum bist du noch hier? Warum schreist du mich nicht an? Du müsstest mich hassen, für das was ich getan habe. Ich habe dich verraten und dein Vertrauen ausgenutzt. Warum bist du nicht wenigstens wütend?“ „Hast du das wirklich?“, fragte ich mit leiser Stimme. „Ich wollte- Ich wollte dich umbringen!“, rief mein bester Freund verzweifelt. Schwach schüttelte ich meinen Kopf. „Wie oft hast du es versucht?“ Kians Augen weiteten sich und er starrte mich ungläubig an. „Bis ich Scar traf jede Nacht mindestens ein Mal.“, flüsterte er. Ich legte ihm meine Hand auf die Schulter. „Es war zwar nicht besonders nett von dir, was du jede Nacht versuchen wolltest... Aber ich glaube nicht, dass das als Verrat zählt.“ „A- aber!“, stotterte Kian, doch ich unterbrach ihn. „Du hast es nicht gekonnt. Irgendetwas hat dich zurückgehalten. Egal wie oft du es noch versucht hättest, es wäre immer das gleiche Ergebnis gewesen, richtig? Was willst du noch? Genügt dir das nicht als Beweis? Du hast mir nichts getan, weil du mich nie verraten hast.“ Kian riss sich los und starrte mich wütend an. „Ach und wie erklärst du es dir dann, dass ich dir jede Nacht die Luft abdrücken wollte?!“ „Hast du auch nur einmal ernsthaft versucht, mich umzubringen?“, fragte ich mit ruhiger Stimme, „Nach den ersten Fehlversuchen muss es dich doch aufgefallen sein, dass es auf diese Art nicht funktionieren würde. Wieso hast du kein Messer zur Hilfe genommen?“ Kian sprang auf. Sein Blick wurde noch zorniger. „Woher willst du wissen, dass-“ „Hör auf!“, schrie ich, „Ich kenne dich inzwischen gut genug um dir ansehen zu können, wann du lügst und wann nicht. Ich weiß, dass du es nie mit einem Messer versucht hast.“ Die Knie meines besten Freundes zitterten, als er sich neben mich wieder auf sein Bett setzte. „Es stimmt.“, Er sah auf den Boden, „Du hast Recht. Ich konnte es nicht. Ich habe es einfach nicht fertig gebracht, dich zu verletzen. Schon beim ersten Mal wusste ich, dass ich dir nie etwas antun könnte. Ich wollte es mir nicht eingestehen und habe es immer wieder versucht, nur um erneut festzustellen, was ich schon wusste. Aber- Nicht einmal Livi hat das bemerkt. Wie hast du es herausgefunden?“ „Wenn dir etwas Leid tut und du es bereust, dann ist dein Gesicht wie ein offenes Buch.“, antwortete ich, „Und jetzt denk nicht weiter darüber nach. Die Sache ist vergeben und vergessen. Du bist und bleibst mein bester Freund.“ „Danke.“, murmelte Kian und als ich in sein Gesicht schaute, sah ich ein Lächeln, von dem ich wusste, dass es echt war. Ich fuhr ihm mit meiner Hand über den Kopf. „Dass du dir auch immer so viele Gedanken machen musst.“ „Aber-, nuschelte Kian, „Warum warst du dann so wütend und hast...?“ Einen Augenblick erstarrten meine Gesichtszüge. Es dauerte eine Weile bis ich verstand, worauf er hinauswollte, weswegen er die ganze Zeit so eine Angst gehabt hatte, ich könnte ihn hassen. Eine riesige Last fiel von meinen Schultern. Ungehalten lachte ich los. „Du Dummerchen. Ich hab dich nur angeschrien, weil du dich Livi gegenüber so unfair verhalten hast. Du hast sie grundlos geschlagen und das hat mich wütend gemacht.“ Den Blick, mit dem Kian mich in diesem Augenblick ansah, werde ich nie vergessen. Ihm klappte der Mund auf und er starrte mich sprachlos an. Tränen standen in seinen immer noch leicht geröteten Augen und ich befürchtete schon, er würde losheulen, doch dem war nicht so. „Dann- dann warst du die ganze Zeit über wegen etwas ganz anderem wütend?“ „Bingo!“, Olivia betrat mit einem breiten Grinsen im Gesicht das Schlafzimmer, sie hatte das gesamte Gespräch gehört, „Gratuliere, du hast es endlich begriffen, du Genie!“ Kian schnappte nach Luft. Ich sah ihm an, dass er überlegte, ob er seine Cousine wegen der Beleidigung wütend anschreien oder einfach lachen sollte. „Ihr wisst gar nicht, wie erleichtert ich bin. Ich- Ich habe ernsthaft gedacht, du würdest mich für immer hassen, Alec.“ Er entschied sich für die zweite Variante und lachte ungehalten los. Und so saßen wir drei in meinem Schlafzimmer, welches ich seit ungefähr drei Monaten mit Kian teilte, und lachten. Alle Sorgen und Schmerzen waren vergessen. Wir freuten uns einfach nur, dass die Sache ausgestanden war. „Ich schätze, ich habe noch eine Menge über Freundschaft zu lernen.“, meinte Kian nach einer Weile und gähnte herzhaft. „Sieh zu, dass du ins Bett kommst.“, meinte ich und warf ihm seinen Schlafanzug an den Kopf, „Du hast eine Menge Schlaf nachzuholen.“ Ohne zu protestieren zog Kian sich vor mir und seiner Cousine bis auf seine Unterhose aus. Livi wendete ihr Gesicht mit einem leichten Rotton darin ab. „Hast de keine Manieren?“, zischte sie, „Man zieht sich doch nicht einfach vor seinem Besuch aus! Hättest du dich nicht im Bad umziehen können?“ Ihr schienen die Schrammen und Schürfwunden an seinem Hals nicht aufzufallen. Oder sie tat so, um ihn zu keiner Erklärung zu zwingen. Nicht wissend, was von beiden mir lieber wäre, griff nach Kians völlig zerrissenen Klamotten und warf sie in den Müll, während er sich den Schlafanzug anzog, in sein Bett kroch und sich zudeckte. Wenige Augenblicke später konnte ich ihn gleichmäßig atmen hören. Er war eingeschlafen. „Mann, der Kerl hat echt kein Benehmen!“, meinte Livi nach einer Weile. „Lass ihn doch.“, meinte ich gelassen, „So schlimm war es nun auch wieder nicht.“ „Scar hat mir gesagt, was mit Kian passiert ist. Wie geht es ihm?“, fragte sie mich vorsichtig. „Kian ist fertig.“, antwortete ich leise, „Er steht nervlich und körperlich kurz vor dem Zusammenbruch. Er hat die letzten Tage wahrscheinlich weder ausreichend geschlafen noch gegessen oder getrunken. Ich schätze, er braucht eine Weile um sich zu erholen.“ Olivia nickte. „Das dachte ich mir.“ Ich griff nach meinen Schlafsachen, ging wegen Kians Cousine extra ins Bad, und zog mich um, bevor ich mich gähnend auf mein Bett setzte. „Nimm es mir nicht übel, aber ich bin auch ziemlich müde.“ Ohne meine Freundin weiter zu beachten, machte ich es mir in meinem Bett bequem und schloss die Augen, als ich plötzlich ein Gewicht auf der Matratze spürte. Verschlafen öffnete ich meine Augen und sah nach oben, direkt in Olivias Gesicht, sie hatte sich ein ihr viel zu großes T-Shirt aus meinem Schrank gefischt und es gegen ihre Klamotten eingetauscht. Ich sah sie beleidigt an. „Das ist mein T-Shirt.“ „Ja und?“, entgegnete sie, „Kian trägt auch ständig deine Klamotten.“ Ich seufzte. Wenn sie meinte... Mir war im Moment eh alles egal, so lange ich bald meinen wohlverdienten Schlaf bekommen würde. Ohne groß über die Folgen - die ich ganz sicher spätestens morgen früh, wenn uns Kian so sah, zu tragen hatte - nachzudenken, zog ich Olivia in mein Bett, unter meine Decke, ihr leises Protestieren ignorierte ich dabei gekonnt. Ich rutschte ein Stück zur Seite, damit sie genug Platz hatte, bevor ich meine Arme um sie legte und meine Augen schloss. „Alec!“, zischte sie leise, „Lass mich los.“ „Keine Lust.“, murmelte ich verschlafen und zog sie noch ein Stück näher an mich heran. Ich spürte, wie sich ihr Körper leicht verspannte. Leise seufzte ich, bevor ich ihr mit der Hand mehrfach über den Oberarm fuhr. „Entspann dich. Ich falle schon nicht über dich her.“ Livi murrte noch einmal beleidigt, bevor sie sich tatsächlich entspannte und zu meiner Überraschung auch noch an mich kuschelte. Mit dem Gedanken, dass sie wirklich sein seltsames Mädchen war, schlief ich an diesem Abend ein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)