Anti.Bios. von DrMohnfuchs (Und dann verharrte die Motte im Licht.) ================================================================================ Kapitel 1: Ad Absurdum ---------------------- Das Metall des Teekessels war geschmückt von weißen Kalkflecken. Sie erinnerten an jene Verzierungen von Fensterscheiben, wenn im Winter die Schneeflocken daran leise klopften und sich während ihrer Reise auf das Erdenfeld an das Glas drückten. Je nach Lichteinfall veränderten sie ihr Erscheinung, wie ein Rohrschachbild , nahmen die irrwitzigsten Formen an; muteten fast wie vorbei rauschende, regenfreie Wolken an, aus deren Zusammenschluss man versuchte, Imaginationen abzuleiten. Der Teekessel schrill auf, als wolle er an seine Existenz erinnern. Die Töne ritten quer auf der eisigen Luft und wirkten dadurch umso aufdringlicher. Der heiße Dampf, den er ausspie, malte Nebelschwaden in den kleinen, dreckigen Raum, der sich Küche schimpfte. Sie bildeten kleine Spiralen, deren Windungen sich wölbten, streckten und schlussendlich entkräftet eins mit ihrer Umgebung wurden und erblassten; beinahe einem Todeshauch gleich kommend. Er wollte sich nicht erheben und das aufdringliche Geräusch abstellen. Er wollte einfach hier, auf dieser elendigen, von Milben eingenommenen und durchgelegenen Matratze auf dem Boden liegen bleiben und den Geruch ihres Haares in sich aufnehmen. Ihr weiche Haut streicheln und ihre zerbrechliche Körperform nachzeichnen. Erschrecken, wenn ihre Hand nach seiner tastete und er die Kälte aus ihren Fingerspitzen saugte, um sie gleichzeitig mit seinen Gedanken aufzutauen. Den Pulsschlag mit ihr teilen, den Atem anhalten, gemeinsam. Immer und immer wieder. „Noch eine Minute“, kam es flüsternd von ihr. Er nickte. 57 Sekunden verstrichen viel zu schnell. 3 2 1 Das Pfeifen hörte abrupt auf. Absolute Stille legte sich für einen Wimpernschlag wie eine schützende Glocke über sie. Dann setzte das Pfeifen wieder ein. Sie standen beide zeitgleich auf, wie gegenseitig an Fäden gezogen. Ihre traurigen Augen wurden verletzlicher, während sie sich an der Hand packten und auf den ersten Schuss warteten, der es einleiten würde. Peng. Und sie rannten. ~ El.!T.e. stürmte zur Tür hinein. Eine schwarz-graue Masse mit Maschinengewehren in den klobigen, von Leder verdeckten Händen, groß und schwer, mit integriertem Laser. Das rote Licht jener zuckte wirr in schnurgeraden Linien durch die kleine Wohnung. Traf herumliegenden Müll, alte Zeitungen mit Schlagzeilen von Übergestern, Zigarettenstummel, Katzenscheiße, halb aufgegessene Brote mit Schimmelbelag, leere, verklebte Flaschen und eingerissene Tapeten. Aber keinen Herzschlag. Die Schilde der Helme waren verspiegelt, sodass man darin sein eigenes, konvex verzerrtes Gesicht erhaschen konnte, kurz bevor die Sicht von Hämoglobin geblendet werden würde. Ihre Rüstungen muteten schwer und stabil an; aus einem Metall gefertigt, dass nahezu absolute Beweglichkeit bei maximalem Schutz bot. Menschliche Kampfmaschinen, programmiert auf ein Ziel. Sie hoben die monströsen Waffen hoch wie einen falschen Libidoersatz; Und dann feuerten sie die ersten Salven ab. Kugeln schossen mit einer Geschwindigkeit aus den Läufen, dass die Luft den Anschein erweckte, als würde sie durch die Reibung in Brand gesetzt werden. Rauchschwaden drehten sich in Form von hauchdünnen Nylonfäden durch die Sphäre. Jede einzelne hinterließ eine Spur an brachialer Kakophonie. Berstend, knallend, krachend ergaben sich die Gegenstände –Gläser, Holz, Beton. Alles wurde entweder zerfetzt, zu mikromolekularen Staubpartikeln zersetzt oder perforiert. Sie hatten alle keine Kraft mehr, sich gegen diese Macht zu wehren. Nach unzähligen Schüssen war die Farce vorbei. Zurück blieb einzig und allein Dreck, der sich aus der Einrichtung zusammen setze. Staub und Asche blieben als klägliche Zeugen zurück, trauernd, das Geschehen subtil erzählend. Ihre verdeckten Blicke suchten ein letztes Mal die Räume ab. Danach verschwanden sie. ~ Sie hasteten durch die Straßen, mitten in der Nacht. Die Katzen in den Gassen warfen ihnen argwöhnische Blicke aus ihren lichtfangenden Augen zu, doch kaum hatten sie sie erfasst, erstarrten sie in ihrem Tun und ihr Ausdruck wurde wissend; ahnend; und so voller Furcht. Keine Katze dieser Welt konnte ihnen jetzt noch beistehen oder helfen, das wussten sie alle. Sie senkten respektvoll ihre Häupter, bis sie aus ihrem Revier verschwunden waren. Mehr konnten sie nicht tun. In einer der vielen Pfützen, in denen sich der Schein der Laternen schier hilflos verlor und sich welliger Struktur brach, lag ein Knäul aus verfilztem Fell - Eine graue Katze, die wahrscheinlich einmal schwarz glänzendes Haar besessen hatte. Die Pfoten von sich gestreckt, das Wirbelgestell im Katzenbuckel beim letzten Krampf gehalten, schrie ihr offenes Mäulchen eine stumme Warnung. Ihre Augen, einst beseelt und voller Bernstein mit Grünschimmer, nun nur noch leer und hohl. Sie hatte das Leid ausgestanden. ~ Absätze trafen Asphalt, welcher unten ihnen klackend ächzte und stöhnte. Die Menschenflüsse, die sich ihnen entgegen stellten waren für sie nichts weiter als taube Hindernisse, denen es auszuweichen galt. Sie hatten sich weiterhin fest an den Händen gepackt und keiner wagte es auch nur für den winzigsten Moment, loszulassen. Ihre Fingerkuppen bekamen langsam den Farbton von preußischem Blau und frischem Sommerflieder. Sie schmerzten nicht, zumindest nicht so sehr wie ihre Lungen, die sich mit der Luft der letzten Jahreszeit füllten; sie stach wie Schwerter in sie hinein, Schlag für Schlag. Jedes Ringen um das lebensantreibende Oxygenium wurde zur Willensprobe. Sie wagten es jedoch nicht, nur für eine Sekunde inne zu halten, denn die Straßen begannen bereits zu Beben. Ein Poltern innerhalb des Betons deutete an, dass sie ihnen schon dicht auf den Fersen waren. Im Gegensatz zu ihnen mussten sie sich jedoch nicht auf ihre Beinkraft verlassen, sondern fuhren in panzerartigen, alles unter sich niedermähenden Fahrgeräten. In der Ferne drang es erst wie das Brummen von Insekten, die einem zu nahe am Ohr vorbei flogen – je mehr die Distanz schwand, desto aufdringlicher wurde es. Das Dröhnen zerstörte alles um sich herum – saugte alle anderen Geräusche auf, die Worte der Passanten, das Flackern von Neonlichtreklamen, zuknallende Türen, das nervtötende Klingeln von Handys. Sie wussten, dass sie nicht ewig per Pedes vor ihnen abhauen konnten. Vor allem ihm war das klar und somit gab es nur eine Option. Er packte ihre Hand fester und zerrte sie in die nächstbeste Gasse, die sich ihnen bot. Klischeebelagert mit überlaufenden Aluminiummülltonnen und Gullis, aus dem die Kanalisation stank. Ratten, die vor dem Licht flohen und krankheitsbehaftet drohend um die Füße von Fremdlingen krochen, während Kakerlaken ihre Tastfühler durch die Lüfte schwenkten. Er kauerte sich mit ihr in seinen Armen gefangen hinter einige der Abfallbehälter und machte die Augen zu. Er drückte beide Hände gegen ihre Ohren und gab ihr damit auch stillschweigend den Befehl, ihre Augen zu verschließen. Sie kam der Geste nach und presste ihren Leib an seinem. Für einen winzigen Moment konnte nur sie seinen Herzschlag spüren. Rasend schnell wurde ihr Blut durch die Adern gepumpt, zirkulierte auf Adrenalinstraßen mit Höchstgeschwindigkeit im Körper. Es wurde lauter. Und lauter. Und lauter. Brachiale Klänge preschten durch die Wogen der Luft, überholten den sanften Wind um Längen, stahlen das Rasseln ihres Atems und schossen über die Straßen wie Raketen. Knall. Knall. Knall. Knall. Krachen, Dröhnen, Fauchen, Ächzen der Getriebe. Wie sie sich schwermütig vorwärts bewegten, sich die breiten, schwarzen Räder behände drehten, fast schon wie in Zeitlupe und trotzdem schienen sie im irren Tempo voran zu kommen. Die Scheiben der Vehikel, drei an der Zahl, waren getönt. Aufgrund der angebrochenen Nacht waren die Fenster so in Tintenschwarz getaucht, dass man dahinter nicht einmal eine einzige Gestalt ausmachen konnte. Selbst wenn es am Tage gewesen wäre, selbst wenn das Licht der Sonne auf das Glas getroffen wäre – man hätte keine einzige Seele erkennen können. Sie harrten aus. Sie harrten aus. Sie harrten aus. ~ Ihre Füße trieben durch das hohe Gras, dass sie nicht aufzuhalten versuchte. Die tannengrünen Halme bogen sich bereitwillig zur Seite, angetrieben durch den voraus tosenden Wind, den ihre Schritte erzeugten. Der Boden bebte sanft bei jedem Tritt und versetze die Erdenbewohner in angespannte Stimmung –all das kleine Getier verkroch sich tiefer in seinen Gängen und selbst die Luftikusse hielten für einen Moment inne und starrten auf die beiden, bis ihr Flug ins Straucheln kam und sie sich gedankenverloren in neue Höhe schwangen. Nur die Motten schienen all ihre Unfarben zu verlieren und trauernd zu ergrauen; sie folgten ihnen. Ihre Flügelschläge, dieses hilflose Flattern und Wanken in der Luft, nach jedem Halt suchend, hatte etwas Tröstendes an sich. Der Mond vollführte seinen Zyklus und schimmerte erhaben durch die dichten Wolken; an manchen Stellen waren sie auseinander gebrochen, offenbarten blitzartige Ritze, die der Himmelskörper als Lücke nutzen konnte. Sie strauchelte plötzlich in ihrem wirren Lauf und stolperte über ihre eigenen Füße. Mit einem gedämpften und halb unterdrückten Aufschrei fiel sie in die weichen Halme und blieb liegen, die Beine und Arme dabei wie ein Embryo an sich gezogen. „Mein Kopf…“, wimmerte sie leise. „Mein Kopf dröhnt so schrecklich. Ich kann meine eigenen Gedanken nicht mehr hören. Sie schreien alle durcheinander.“, flüsterte sie. Er beugte sich herunter und streichelte vorsichtig über ihren Schopf, durch ihr rostrotes Haar, als könne er auf diesem Wege ihre Schmerzen hin fort wehen. „Alles wird gut. Wir haben es bald geschafft. Du musst nur noch etwas durchhalten…“ Sie schwieg für eine Zeit, während sie leise nach Luft rang und die letzten Bündel ihrer Kraft zusammen kratzte. Sie öffnete die Lider, hob den Blick und sah ihn mit schalen maronenfarbenen Augen an; „Wir müssen zu dem Turm. Dort sind wir sicher. Ich…muss uns führen… “, sagte sie zu ihm mit schwacher und doch so seltsam überzeugter Stimme. Er nickte und reichte ihr die Hand. „Ich weiß.“ ~ Sie hörte nur noch, wie ihr Blut in ihren Ohren rauschte und zirkulierte. Ihr Blick war starr geradeaus gerichtet und offenbarte ihr eine auf- und abwippende Landschaft, dessen Umrisse sanfte Unschärfe aufwiesen. Ihre Beine gehorchten irgendeinem unausgesprochenen Gesetz, dass ein Versagen verhinderte und autogenes Handeln ermöglichte. Zwischendurch schwebten einzelne, schwarze Haarsträhnen durch ihr Sichtfeld, das Blutwirbeln wurde von Atemstoßen unterbrochen und darauf beschränkte sich ihre außerinnerliche Erfassung. Sie verlor stetig den Bezug zu ihrem Umfeld; selbst die Hand, die ihre fest hielt, schien in ihrem Druck schwächer zu werden, dabei stachen ihre Knöchel schon elfenbeinweiß hervor. Einzelne Eindrücke waren in ihrer Intensität erheblich erhöht, wohingegen ein globales und umfassendes Wahrnehmen aller Gegebenheiten völlig ausgeschlossen war. Die wenigen Facetten, die zu ihr drangen, waren dafür dermaßen gesteigert, dass es ihr wie von Drogen fremdbeeinflusst vor kam. Der Geruch des Grases, sonst dezent und angenehm, erschien ihr stinkend. Das Ringen nach Luft wie Rasseln tonnenschwerer Ketten, die Farben der Nacht wie auf sie einstürzende Farbfluten, die sie mit sich in einen Sog zogen und in ihrem Strom davon zerrten, stetig, Stück für Stück… …Er blieb abrupt stehen, sodass sie in ihrer Sinnestrance gegen seinen Rücken rannte – der Aufprall hatte jedoch den dankbaren Effekt, dass er sie heraus gerissen hatte und sie in der Lage war, das vor ihnen zu erfassen. Ihr eigener Käfig zersprang – aber sie blieb mitten drin sitzen und starrte aus den gebogenen Stangen auf die Welt hinaus. Da standen sie. Die Flucht hatte sie nicht ferner gebracht, sondern nur näher. Die Laser, kurz zuvor noch unentschlossen suchend durch die Dunkelheit gewandert, richteten sich nun zielorientiert auf sie. Kleine rote Punkte leuchteten überall auf ihren Körpern auf, ganz besonders in der Herzgegend und auf der Stirn, blendeten sie fast und ließen sie zusammen zucken bei dem überschnellen Schwall an purpurimplizierten Lichtwellen. Sie erstarrte – in ihren Gedanken und ihrem Tun. Hinter ihnen konnte sie dezent den Turm erkennen, dessen Schemen sich nur schwer von der nachtverhangenen und dunkelblauverschleierten Atmosphäre abhoben. Wie sich seine Spitze in den Wolken verlor und somit eine Unendlichkeit vortäuschte. So nah – und dennoch unerreichbar. Aber vielleicht… Sie wandte sich zu ihm, sah ihn direkt an. Seltsamerweise war sie nicht von Trauer erfüllt bei dieser Erkenntnis. Ebenso wenig von Wut oder gar Hass; Sie fühlte sich von allem Irdischen vollkommen befreit und abgeschieden. Beinahe fremdartig kam ihr die ganze Welt vor. Jedes Detail in ihrem Umfeld verlor an Wert. Sie sah sich um, blickte in jede einzelne Mündung, die auf sie gerichtet war. Schaute der grauen Masse in ihre Gesichter, bestehend aus geschütztem Einheitsbrei. Sie standen zu weit entfernt, als das sie ihr Spiegelbild in den penibel gesäuberten Visieren erkennen hätte können. Es keimte keine Angst in ihr; keine Panik, keinem Drang, weiter zu fliehen. Selbst das rote Feuer, welches von ihren Schultern aufstieg, sich über ihrem Kopf sammelte und das ganze Nachtblau in Feuerschein flutete, kam ihr nun irrwitzig und unbedrohlich vor. Was sollte es auch ausrichten, was denn nur… Es war schlicht und ergreifend alles bedeutungslos. Die Zeit schenkte ihren einen Moment des subjektiven Stillstandes. Gewährte ihr einen klaren Blick auf die gesamte Situation und somit dem Wissen, was zu tun war. „Das war es wohl.“ Er erstarrte in allen Bewegungen; sogar seinen Atem hielt er an und neigte den Kopf, wie ein kleines Kind, dass die Frage eines Adulten nicht mit Verständnis begegnen konnte. „Was meinst du? Was redest du da?“ Sie schloss ihre Augen, dabei ein Lächeln auf ihren Lippen, das jeglicher Deutung trotzte. Durch ihren Körper fuhr ein subtiles Zittern, als müsste sie mit jeder Sekunde um Fassung ringen. „Verstehst du denn nicht? Du und ich….“ Sie stockte, hob die Lider. Ihre braunen Augen mit den anisokorischen Pupillen sahen ihn an; und doch vorbei. „Es war lediglich ein Traum. Es ist mein Traum. Du warst…und bist ein Teil davon und…“ Sie hob ihre Hand und führte sie in Richtung seiner Wange, doch… Der Schuss zerstach das Schwarz der Nacht und tränkte es in Weiß. Ein fremdes Wesen stieg aus der hellen Unfarbe empor; den Kopf gen Höhe gerichtet, aus ihrem Rücken etwas sprießend, dass sie selbst nicht verstand. Vielleicht waren es Flügelgestelle, vielleicht Gedankensinnbilder. Vielleicht der Beginn eines Märchens. Der Winter hat seine neue Wahrscheinlichkeit durchschritten. Der Flug der Motten strauchelt, spiegelt sich im Laternenlicht erneut - Für Immer und einen Tag. 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