Aus einem ewigen Leben von Alix ================================================================================ Prolog: Prolog -------------- Hallo, mein Name ist Chiyo. Ich bin 164 Jahre alt und ein Vampir. Ich habe lange überlegt ob ich das was gleich kommt aufschreiben sollte, schließlich wird das hier eh nie jemand lesen. Aber dann wurde mir klar, dass ich es aufschreiben muss. Um nicht zu vergessen. Um nicht später in ein paar hundert Jahren feststellen zu müssen, dass ich eine wichtige Person vergessen habe. Wichtig für mich. Nun gut. Zu allererst müsst ihr wissen, dass es drei Menschen gab, die mich sehr beeinflusst haben. Der erste war meine Mutter. Ja, meine Mutter war ein Mensch. Mein Vater war der Dämon. Er verschwand noch vor meiner Geburt. Ich hab ihn also nie kennen gelernt. Er ist allerdings völlig unwichtig. Meine Mutter sagte mal zu mir: „Nichts ist so schlecht auf der Welt, wie der Mensch!“. Damals habe ich das nicht verstanden. Wollte es nicht verstehen. Dann wurde sie getötet. Von den Menschen, denen sie am aller meisten vertraut hat. Damals war ich gerade sechs Jahre alt geworden und kam in ein Waisenhaus, wo ich nicht so behandelt wurde, wie vor dem Tod meiner Mutter. Sie hatte mich geliebt. Hat immer auf mich aufgepasst. Dort wurde ich wie ein Außenseiter behandelt. Ich war die Böse, egal was passierte, ich war Schuld. In der Zeit habe ich mich ganz oft an die Worte meiner Mutter erinnert. Ich begann die Menschen zu hassen. Gab ihnen die Schuld für alles was mir angetan wurde. So lebte ich ganze zwanzig Jahre lang. Dann, kurz nach meinem 27. Geburtstag traf ich Dee. Dee war anders als andere Menschen. Sie war der wichtige Mensch Nummer Zwei. Sie hatte keine Angst vor mir. Ihr war es egal, dass meine Haare weiß und meine Augen rot waren. Sie störte es nicht, dass ich, obwohl ich 27 Jahre alt war, aussah wie 16. Sie nahm mich so wie ich war. Dee war 33 Jahre alt und Besitzerin einer Bar. Ich hab mich da um die Buchhaltung gekümmert und hin und wieder musste ich als Kellnerin einspringen. Ich habe die Zeit mit Dee geliebt. Allerdings vergaß ich die Worte meiner Mutter. Vergaß, dass nicht alle Menschen so waren wie Dee. Ich wurde unvorsichtig. Nachlässig. Dee starb mit 37 Jahren. Nicht bei einem Unfall oder einer Krankheit. Sie starb im Grunde wegen mir. Weil sie sich mit mir abgegeben hatte, wurde sie getötet. Ermordet von Stammgästen ihrer Bar. Ich kam gerade vom Einkaufen, als ich sah, wie sie Dee die Kehle durchschnitten. Vorher hatten sie sie noch gefoltert, dass konnte man ganz deutlich sehen. Nicht nur an den vielen Verletzungen, sondern auch an dem ganzen Blut, dass überall in ihrem Büro verspritz war. Ich sah es und verlor die Beherrschung. Ich wurde zu dem Monster, das die Menschen der Stadt immer in mir gesehen hatten. Ich tötete sie. Ich habe es damals nicht bereut und wenn ich jetzt so darüber nachdenke, tue ich es auch heute nicht. Danach verschwand ich aus der Stadt. Ließ diese dummen Menschen zurück. Ich wanderte durch die Welt. Kam hierhin und dorthin. Ich habe einen Menge gesehen und dann doch wieder nicht. Ich vernachlässigte mich völlig. Ich aß nicht mehr genug, trank nicht genug Blut. Man könnte sagen, meine Seele war gebrochen. Tief verletzt. Ich begann die Menschen wieder zu hassen. Ich tötete viele von ihnen. Es war mir egal. Sie hatten doch auch Dee getötet! Als ich 122 Jahre alt wurde, kriegte mich wieder ein. Ich suchte mir immer mal wieder Jobs um an Geld zukommen. Aß wieder, trank wieder. Ich wurde wieder sozialfähig, bis auf die Tatsache, dass ich noch immer Menschen hasste. Das tue ich auch heute noch. Vor zehn Jahren traf ich dann Hilaria. Sie war der Dritte Mensch der mich geprägt hat. Vielleicht auch die jenige, die mich am Meisten beeindruckt hatte. Sie war noch mit ein paar anderen unterwegs. Mit Ebony, eine körperlose Seele, was das ist erkläre ich später. Dann noch mit Kelly. Sie war ein Geist. Es war noch ein vierter in der Gruppe, er hieß Etu. Er war ein Orakel. Auch etwas worauf ich später noch eingehen werde. Hilaria gab mir den Namen Chiyo, denn den Namen den meine Mutter mir gegeben hatte, hatte ich schon lange vergessen. Ich muss sagen, dass Hilaria ein wundervoller Mensch war. Hab ich eigentlich schon Daria erwähnt? Sie war Hilarias Innerer Dämon. Etwas was jeder Mensch besitzt. Er ist praktisch die dunkle Seite in jedem Menschen. Hilaria hat sich mit ihr angefreundet. Obwohl ich sagen muss, dass ich sie nicht besonders nett fand. Na ja, das hier ist erst der Anfang, ich werde jedoch alles, von dem Tag an dem ich Hilaria getroffen habe bis zu ihrem Tod, alles aufschreiben. Das ist wichtig. Für mich Kapitel 1: Schrift Eins: Begegnung ---------------------------------- Müde streckte ich meine Beine von mir und sah mich auf der Lichtung um. Es wurde langsam dunkel und ich hatte das Gefühl, dass etwas passieren würde. Ein sehr ungutes Gefühl. Ich versuchte nicht daran zu denken, was passieren würde wenn sie mich fanden. Sie waren die Menschen der Stadt, in der ich bis vor ein paar Tagen gearbeitet hatte. Ich mochte den Job nicht, aber er wurde gut bezahlt. Das einzigeste worauf es ankam. Wenn das Geld stimmte tat ich fast alles. Nachdem ich noch ein wenig gelauscht hatte, holte ich mir ein Stück Brot aus meiner Tasche. Das hatte ich mir hart erarbeitet. Immer noch müde biss ich hinein. Gott schmeckte das gut! Ich hatte schon seit Tagen nichts Richtiges mehr gegessen. Recht schnell war das Brot aufgegessen und auch schon vergessen. Mit menschlicher Nahrung hatte ich es nicht so, aber Dee hat immer gesagt, dass ich auf meine Ernährung achten solle. Ich lehnte mich gegen einen der Bäume und schloss die Augen. Diese Ruhe war einfach himmlisch und so entspannend. Ich merkte, wie ich immer müder wurde, wie ich langsam in meiner Traumwelt versank und, wenn ich Pech hatte, nie wieder heraus kam. Ich war schon weit weg, längst nicht mehr auf der kleinen ruhigen Lichtung, als ich das leise Gelächter eines Mädchens wahrnahm. Nur widerwillig kam mein Geist zurück in meinen Körper. Langsam öffnete ich meine Augen, immer bereit aufzuspringen und wegzulaufen. Was ich sah, verstand ich nicht. Zwei Mädchen, eine Frau und ein kleiner Junge saßen auf der gegenüberliegenden Seite der Lichtung und aßen und tranken. Sie hatten mich wohl noch nicht gesehen, und das war gut. Gut für mich. Ich hatte keine Lust auf Ärger oder ähnliches. Vorsichtig rutschte ich rückwärts und verschwand kurz darauf im Wald. Ein Glück für mich, das Menschen so Ich-bezogen waren. Aber trotzdem hatte ich jetzt ein Problem. Ich konnte nicht wieder in die Stadt, von dort wurde ich ja erst am Morgen verjagt und in die nächste Stadt gehen ging auch nicht. Dafür hätte ich die ganze Nacht laufen müssen. Keine sehr schöne Vorstellung. Also hieß es wohl im dunklen Wald schlafen. Nicht das ich damit ein Problem hätte, aber es war nicht schön die ganze Zeit nur von Bäumen umgeben zu sein, gut das wäre ich auf der Lichtung auch, aber da hatte ich Luft zwischen den Bäumen. „He, du da!“. Verwirrt drehte ich mich um. Das eine Mädchen von der Lichtung stand nur wenige Schritte hinter mir und strahlte mich an. Ob mit der etwas nicht in Ordnung war? Vorsichtshalber blieb ich erst einmal auf Abstand. „Ja?“. Meine Mutter und Dee hatten mich gut erzogen, und diese Erziehung gab ich auch niemals auf. „Willst du mit uns zusammen essen?“. Sie legte den Kopf schief und sah mich weiterhin freundlich an. Irgendwie traute ich ihr nicht. Sie hatte etwas Komisches an sich. Ganz vorsichtig schüttelte ich den Kopf. Man konnte Menschen grundsätzlich nicht trauen und wer es tat, der war dumm. Sie machte einen Satz nach vorne und stand plötzlich vor mir ehe ich reagieren konnte. „Komm schon. Du siehst hungrig aus!“. „Lari! Wo zum Teufel steckst du?“. Ich vermutete, dass Lari das Mädchen vor mir war und dass die Stimme von dem zweiten Mädchen kam. „Kelly, ich hab jemanden gefunden der mit uns essen will!“, brüllte Lari zurück. Dann packte sie mich am Arm und zerrte mich hinter ihr her. Wenig später stand ich dann auch schon vor den anderen Leuten auf der Lichtung. „Setz dich doch!“. Die Frau lächelte mich freundlich an. Ich fand die ganze Situation völlig suspekt. Niemand, kein Mensch auf der Welt, war nett zu einem Vampiren und das ich einer war, konnte man nicht übersehen. Meine Haare funkelten in der Abendsonne silbern und meine Augen müssten rot gewesen sein, oder hatten sie ihre Farbe etwa verändert? Himmel nein!Hoffentlich nicht! Das zweite Mädchen in der Gruppe zog mich auf den Platz neben sich. „Bleib wenigstens bis du was gegessen hast. Danach kannst du ja wieder gehen.“. Aha, das musste also Kelly sein. „Ich…“. Gerade als ich etwas erwidern wollte, funkte mir Lira dazwischen. „Vielleicht sollte ich uns mal vorstellen. Also ich bin Hilaria, aber du kannst mich Lira nennen. Das da ist Kelly“ sie zeigte auf das Mädchen neben mir, von dem ich auch schon vermutet hatte, dass es Kelly hieß „das da ist Ebony und der kleine Kerl hier ist Etu!“. War das ein Name? Etu? Klang komisch. „Wie heißt du?“. Alle vier Augenpaare sahen mich erwartungsvoll an. Sie hatten mir ihre Namen genannt und so gerne ich diese freundliche Geste auch erwidern wollte, ich konnte es nicht! „Weiß ich nicht.“. Ehrlichkeit wärt am Längsten. Irgendein schlauer Mensch, einer von der seltenen Sorte, hatte das mal gesagt. Mal sehen ob das stimmte. Ich sah wieder in die Runde. Alle bis auf Ebony sahen mich schockiert an. „Wie alt bist du?“. Sie hatte eine ruhige, sanfte Stimme. Ich mochte sie. Sie konnte bestimmt herrlich singen. „Weiß nicht. Vielleicht 110 Jahre.“. Ebony nickte verständnisvoll. „Hin und wieder vergisst man Dinge, wenn man sie lange nicht mehr gebraucht. Du hast eine ganze Weile, niemandem gesagt, wie du heißt nehme ich an?“. Ich nickte. Es gab nie jemanden, den es hätte interessieren können, wie ich hieß. Lira schaute Ebony eine Weile nachdenklich an. „Dann solltest du einen neuen Namen kriegen. Immerhin können wir dich nicht ständig mit „Vampir“ oder „du da“ anreden!“. Ebony und Etu nickten zustimmend währen Kelly eher sauer wirkte. „Lira, du kannst ihr nicht einfach einen neuen Namen geben! Vielleicht will sie ja nicht mal bei uns bleiben!“: Sie wandte sich mir zu. „Nicht wahr? Du hast bestimmt keine Lust die ganze Zeit mit uns herum zu lungern!“. Ich hatte das dumpfe Gefühl, dass sie mich nicht mochte. Eine Reaktion auf mich mit der ich umgehen konnte. Vorsichtig beantwortete ich ihre Frage mit einem Nicken. Sobald die fertig waren mit essen, würde ich von da abhauen. Dachte ich. „Ach komm schon Kelly, sei nicht so! Sie ist doch ganz alleine!“. Lira sah mich auf einmal mit einem, für mich völlig irritierenden, Blick an, der nichts Gutes zu bedeuten schien. „Ich habs, wir nennen dich Chiyo. Chiyo bedeutet ewig. Passt also zu dir!“. Kelly seufzte einmal tief. Sie war das also schon gewohnt. Das waren sehr, sehr merkwürdige Leute, wenn nicht zu sagen unheimliche Leute. So bekam ich meinen Namen, Chiyo. Den Namen den ich heute noch trage. Der restliche Abend verging relativ ruhig. Nur Kelly und Etu stritten sich wegen einer Sache die ich nicht ganz verstand. Aber das war egal. Ich fühlte mich wohl. Richtig wohl und auch zufrieden. Sie nahmen mich genau wie Dee in ihren Reihen auf. Stellten keine Fragen und verlangten nicht von mir, dass ich irgendetwas tat, was ich nicht wollte. Sie akzeptierten mich. Auch Kelly. Von Etu erfuhr ich, dass sie zu allen so misstrauisch war. Es hatte nichts mit mir zu tun. Irgendwie war ich darüber froh. Ich hatte eine Familie gefunden, einen Ort wo ich bleiben konnte. Ich hoffte, dass ich so lange wie möglich bleiben konnte. Kapitel 2: Schrift Zwei: Keine Menschen --------------------------------------- Ein paar Tage später, Lira war der Meinung, dass wir meine alte „Heimatstadt“ meiden sollten, wofür ich ihr dankbar war, lernte ich andere Seiten an meinen neuen Freunden kennen. Wir machten mal wieder eine kleine Rast. Vor uns lagen viele Felder und hinter uns der riesige Wald, in dem wir die letzten paar Tage verbracht hatten. Ich fragte mich ernsthaft, warum wir ständig irgendwelche Pausen machten. Keiner sagte irgendetwas und alle sahen immer wieder besorgt zu Lira. Also nahm ich an, dass es an ihr lag. Vielleicht war sie krank oder sie mochte es nicht lange Strecken in eins durchzulaufen. Als ich mir jedoch ihr Gesicht genauer an sah, tippte ich auf meinen ersten Gedanken. Sie war blass. Ihre langen roten Haare waren seit ich sie kennen gelernt hatte, erschreckend dumpf geworden. Der vorher strahlende Rotton war verschwunden. Ob es ihr wirklich so schlecht ging? Vielleicht hätten wir mal mit ihr zum Arzt gesollt, aber sie sagte dann immer, es gehe ihr gut. Nun saßen wir auf dem staubigen Weg zwischen den Feldern und sahen den vorbei ziehenden Wolken zu. Es war ruhig und wieder so himmlisch still. Ich schloss meine Augen und genoss die Ruhe, bis sich jemand neben mich setzte. „Hey, Chiyo. Kann ich kurz mit dir reden?“. Es war Kelly. Was sie wohl wollte? Ich richtete mich wieder auf und sah sie an. „Klar, was ist denn?“. Kelly schien eine Weile zu überlegen. Dann sah sie in den Himmel. „Du magst keine Menschen, oder?“. Ich schüttelte den Kopf. „Meine Begeisterung für diese Lebensform hält sich in bescheidenen Grenzen.“. Kelly nickte verstehend. „Das kann ich nachvollziehen. Weißt du, was ich dir sagen will ist, Lira ist ein Mensch!“. Über diesen Kommentar musste ich schmunzeln. „Das weiß ich! Am Anfang war ich etwas misstrauisch ihr gegenüber, auch euch, aber mit der Zeit hat sich das gelegt. Ihr seid nicht so wie alle anderen!“. „Oh da hast du Recht. Zu Allererst einmal, nur Lira ist ein Mensch. Ebony, Etu und ich sind keine.“. Ein verwirrt Blick meinerseits traf ihren. „Ebony ist eine Seele. Praktisch ein Geist, aber es gibt Unterschiede. Etu ist ein Orakel. Ich bin ein Geist.“. „Was ist ein Orakel?“. „Ein Orakel ist ein dämonenähnliches Wesen, das unglaublich alt werden kann. Es ist aber kein Dämon! Ich hab keinen blassen Schimmer, wo da der Unterschied ist, aber Etu regt sich immer darüber auf.“. Sie kicherte kurz. Ich hatte schon mitgekriegt, dass sie und Etu sich nicht sonderlich gut leiden konnten. „Und was ist eine Seele?“. „Wie schon gesagt, sind Seelen etwas Ähnliches wie Geister. Wir Geister sind noch im Diesseits, weil uns unsere eigenen starken Gefühle hier halten. Bei Seelen ist es so, dass ihre Angehörigen oder Freunde sie dazu zwingen hier zu verweilen. Natürlich unbeabsichtigt. Aber dadurch, dass sie nicht loslassen können, werden Seelen dazu getrieben hier zu bleiben. Wenn die Angehörigen dann selber sterben, sind Seelen schon so fest im Diesseits verankert, dass sie nicht mehr weg können. Sie sind also hier gefangen. Normalerweise haben sie auch keine feste Materie, so wie du und Lira. Ebony ist nur deshalb sichtbar, weil Lira ihr etwas von ihrer Lebensenergie abgibt.“. Das war interessant. Hier war also nur Lira ein Mensch. Es war ein komisches Gefühl, das zu wissen. Wieder warf ich einen Blick in den Himmel. Ob sie mir deswegen so komisch vorgekommen war? Ob es daran lag, dass ich bei ihr das Gefühl hatte, ich selbst sein zu können? Ihr schien es nichts aus zumachen was jemand war. Das zeugte von Größe. Größe die man nur selten bei Menschen fand, bei Menschen in ihrem Alter. „Hilaria hat in ihrer Kindheit viel durchmachen müssen. Ohne Ebony wäre sie nicht die, die sie heute ist.“. Ich hörte ihr aufmerksam zu. „Was ist mit dir? Wie hast du Hilaria kennen gelernt?“. Sie überlegte kurz. Man konnte ihr ansehen, dass sie es sich überlegte mir das zu erzählen. Sie traute mir wohl immer noch nicht. „Vielleicht später. Jetzt weiß ich nicht, ob ich dir trauen kann!“. Ich schätzte ihre Ehrlichkeit. Es gab nicht mehr viele Leute die es waren. Zu groß war die Angst etwas falsch zu machen. „Ich kann dir von Etu erzählen!“. Ich musste grinsen. Aha, über ihn war reden wohl in Ordnung! Was solls, ich was neugierig. „Schieß los!“. „Nun ja, Er war einfach irgendwann da. Den einen Abend waren wir noch zu Dritt und am nächsten Morgen grinste er uns mit seinem Haifisch-Grinsen an und rennt uns nach. Ich mochte ihn von Anfang an nicht, und daran wird auch Lira nichts ändern können.“. Kelly sah recht überzeugt aus. Sie glaubte wohl fest daran, dass sie Etu für immer und ewig misstrauen würde. Irgendwie lustig. „Warum ist er denn überhaupt zu euch gekommen?“. Verwirrt sah sie mich an. „Wieso? Keine Ahnung. Er hat mal gesagt, dass er sich uns angeschlossen hat, weil er Lira interessant findet. Das sie nicht so ist wie andere Menschen, die er kennt.“ Nachdenklich sah ich wieder in den Himmel. Ein paar Wolken zogen vorbei und warfen einen Schatten auf die Welt. Dann ließ ich meinen Blick zu Lira und den Anderen schweifen. Sie saßen ein bisschen weiter weg und lachten über etwas. Als ich sie so da sitzen sah, fragte ich mich, warum sie das alles tat. Warum machte ihr es nichts aus, sich mit Lebewesen abzugeben, die nicht so waren wie sie. Warum konnte sie lachen, wenn sie doch höchstwahrscheinlich von irgendwelchen Menschen gejagt und gehasst wurde. Wie konnte sie das? Was veranlasste sie, es zu tun? Mein Blick glitt zu Ebony hinüber. Auch sie war ein Rätsel. Ständig lächelte sie und fuhr immer wieder mit ihrer Hand durch Liras Haare. Warum machte sie das? Immer wieder lobte sie Lira, sagte ihr, dass sie ein gutes Mädchen war. Ob das was mit der Vergangenheit der Beiden zu tun hatte? Den Worten von Kelly hatte entnommen, dass die Beiden sich schon länger kannten, vermutlich seit Liras früher Kindheit. Diese ganze Gruppe war ein einziges Rätsel, aber trotzdem fühlte ich mich nicht ausgeschlossen. Sie waren wirklich nicht so wie andere Menschen, im Grunde waren Ebony und Kelly ja nichts anderes. Sie waren eben nur schon längst tot. Ob ich auch sterben konnte? Ich hatte es nie versucht, viel zu groß war meine Angst davor es zu tun. „Kelly?“. Sie sah mich an. Sah mich mit einem fragenden Blick an. „Was denn, Chiyo?“. „Bin ich feige?“. Sie musterte mich kurz. „Warum solltest du feige sein?“. „Ständig bin ich davon gelaufen, habe hunderte von Menschen getötet, nur weil sie Personen, die mir nahe standen, getötet haben.“. „Du bist nicht feige! Diese Menschen waren dumm. Sie haben sich von ihrer Angst leiten lassen etwas zu tun, was falsch ist. Du hast es, nehme ich mal an, einfach nur nach gemacht. Du hast gesehen, wie sie Menschen getötet und als Monster beschimpft haben, also tust du es ihnen gleich, da sie in deinen Augen die Monster sind!“. Ohne das ich es gemerkt hab, hatte sich Ebony neben mich gesetzt und Lira saß vor mir. „Viele Menschen verlieren im Laufe ihres Lebens viele ihrer ursprünglichen Grundsätze. Sie fangen an sich selbst zu betrügen, weil sie mehr Macht, mehr Geld, mehr Einfluss wollen. Das ist an sich nichts Falsches. Es gehört halt zum Wesen von bewussten Lebewesen dazu.“. Sanft lächelte sie mich an und strich mir übers Haar. Die Berührung tat gut. Schon lange, hatte mich niemand mehr so sanft angefasst. „Chiyo ist auch ein liebes Mädchen!“, murmelte Lira und grinste mich frech an, als ich sie ansah. „Wir müssen weiter, kommt ihr!“. Ebony zog ihre Hand zurück und erhob sich. Kelly und ich taten es ihr gleich. Wir waren schon wieder eine Weile unterwegs und langsam merkte ich, wie Lira immer langsamer wurde. Sie ging ein Stückchen hinter Etu, Kelly und mir. Ebony war wie immer in ihrer unmittelbaren Nähe. Allmählich fragte ich mich, ob die Beiden vielleicht durch ein unsichtbares Band an einander gebunden waren. Kelly hatte gesagt, dass Lira Ebony von ihrer Lebensenergie abgab. Es könnte ja daran liegen. Als ich bemerkte, wie Lira kurz vorm zusammenklappen war, blieb ich stehen und wartete auf sie. Sie war immer so nett zu mir und da wollte ich ihr auch mal einen Gefallen tun. „Lira, ich kann dich Huckepack nehmen, wenn du willst.“. Überrascht sah sie mich an. „Das geht doch nicht Chiyo. Ich bin viel zu schwer.“. Das Mädchen war viel zu rücksichtsvoll. Sie klappte also lieber zusammen anstatt sich tragen zu lassen, nur weil sie glaubte, sie sei zu schwer? Ein komisches Menschenkind. Meine Vermutung traf also zu. „Ich bin ein Vampir und verfüge damit über Übermenschliche Kräfte oder so was. Auf jeden Fall kann ich dich tragen.“. Lira sah mich nachdenklich an. Ich konnte es in ihrem Gehirn richtig arbeiten sehen. „Na gut. Danke Chiyo.“. Ich hockte mich hin und wartete bis sie auf meinen Rücken geklettert war und sich festhielt. Dann stand ich vorsichtig auf und ging weiter. Lira war erschreckend leicht. Ich wusste nicht viel über das Gewicht von Menschen, aber sie hatte definitiv Untergewicht. „Geht’s Chiyo?“. „Ja, du bist leicht wie eine Feder.“. Sie lachte leise und vergrub ihr Gesicht in meinen Haaren. „Danke…“. Ich hörte noch das leise Murmeln und bemerkte kurz danach, dass sie eingeschlafen war. Sie musste wirklich krank sein. Ich hoffte, dass ich sie eine Weilen kennen würde, bevor sie an ihrer Krankheit zu Grunde ging. Das hoffte ich wirklich. Mein Wunsch etwas über sie und die Anderen zu erfahren hatte sich vergrößert. Sie waren eine kleine Familie und ich wollte auch dazu gehören. Kelly und Etu waren stehen geblieben und warteten auf uns. Es schien sie nicht sonderlich zu wundern, dass ich Lira trug. Jetzt weiß ich, dass sie geahnt hatten. Geahnt das es mit Lira langsam zu ende ging. Kapitel 3: Schrift Drei: Jäger ------------------------------ Inzwischen war eine Woche vergangen seit ich Lira getroffen hatte. Ich musste feststellen, dass es gar nicht so einfach war, mit ihnen mit zu halten. Obwohl sie wegen Lira doch recht langsam waren, kamen sie gut voran. Ich, die vorher immer alleine unterwegs gewesen war, hatte Schwierigkeiten mich ihnen anzupassen. Außerdem trug ich von Zeit zu Zeit Lira. Ihr Zustand hatte sich nicht verbessert, allerdings war er auch nicht schlechter geworden. Etwas worüber ich sehr erleichtert war. Mit Kelly kam ich immer besser klar. Ich hätte mich sogar getraut zu sagen, dass wir Freunde waren. In diesen Tagen musste ich immer mehr feststellen, wie einsam ich bisher war. Außer Dee und meine Mutter hatte ich nie jemanden an mich heran gelassen und es wollte auch keiner etwas mit mir zu tun haben. Ich musste auch feststellen, dass ich sozial nicht so fähig war, wie Lira oder die Anderen. Ständig machte ich etwas falsch und stieß sie mit einigen Kommentaren vor den Kopf. Sie nahmen es mit Gelassenheit und dafür war ich ihnen Dankbar. Sie gaben mir die Chance wieder ins „normale“ Leben zurück zukommen. Was schwerer war als es sich anhörte. „Du Chiyo, wer war eigentlich Dee?“. „Mhm?“. Verwirrt sah ich auf. Ich hatte gar nicht mitbekommen, dass wir wieder Rast machten und sich Kelly neben mich nieder gelassen hatte. „Wer war Dee?“. Ich blinzelte ein paar Mal ehe ich die Frage analysieren konnte. Ich war wirklich oft in meiner Gedankenwelt. „Dee? Dee, war meine beste Freundin.“. „Wie lange ist sie schon tot?“. Ich überlegte. Wie lange war sie schon tot? Diese Frage hatte ich immer wieder verdrängt. Ich wollte einfach nicht wahr haben, dass sie tot war. „Knapp 120 Jahre.“. Meine Antwort war nur ein seichtes Murmeln. Das war eine lange Zeit. 120 Jahre. Das bedeutete, dass ich 120 ihrer Todestage vergessen hatte. Früher hab ich mich nie darum gekümmert, aber wenn ich sie meine beste Freundin nannte, dann hätte ich doch zu Mindest an ihrem Todestag zurück in diese Stadt gehen und ihr einen Besuch abstatten sollen, oder nicht? Stattdessen war sie mir egal geworden. Ich hab ihren Todestag ja sogar vergessen und sie beinahe auch! Verzweifelt sah ich Kelly an. „Ich hätte sie beinahe vergessen! Ich bin furchtbar!“. Kelly lächelte schwach. „Das ist nicht wahr. Du bist so wie du bist perfekt. Das macht uns aus. Du hättest sie nicht vergessen und du bist auch nicht furchtbar.“. Ihre Worte hatten etwas Beruhigendes und Sanftes. „Ich will sie nicht vergessen.“. „Das wirst du nicht. Niemand vergisst jemanden der ihm wichtig ist oder war. Das ist praktisch ein Gesetz.“. Kelly strich mir tröstend über den Rücken. „Du wirst Dee nicht vergessen. Du warst ihre beste Freundin.“. Sie wiederholte sich, aber es tat gut das zu hören. Ich fragte mich unwillkürlich, wie sie gestorben war. Sie musste doch einen Grund haben, noch hier auf der Erde zu wandeln. Ich wollte es unbedingt wissen, aber fragen wollte ich sie auch nicht. Zu groß war meine Angst das aufgebaute Vertrauen wieder zu verlieren. Die Aussicht meine neue Freundin wieder zu verlieren was furchtbar. „Geht’s wieder?“. Ich nickte und sah weg. Ich war in diesem Moment froh nicht alleine zu sein. Alleine so wie in den letzten Jahren. Wenig später gingen wir weiter. Lira trug ich wieder auf dem Rücken. Ihr schien es zu gefallen, denn sie schlief immer wieder ein und war auch sonst sehr entspannt. Sie schien wirklich keine Angst vor mir zu haben. Eine völlig neue Erfahrung für mich. Ebony ging wie immer, wenn ich Lira trug, neben mir und lächelte. Auch wie immer. Kelly und Etu waren weiter vorne in ein Streitgespräch vertieft. Ob ihnen das Spaß machte? Vielleicht war es ein Hobby von ihnen. So ganz blickte ich da nämlich noch nicht durch. Ich hoffte es bald zu tun. „Chiyo?“. Ich sah zu Ebony, die mich freundlich anlächelte. Eigentlich lächelte sie ja jeden freundlich an. „Was denn?“. „Danke, das du Hilaria trägst. Sie sagt ständig, dass es ihr nichts aus mache zu laufen und es ihr gut ginge, aber ich glaube ihr das nicht. Allerdings kann ich ihr auch nicht widersprechen. Manchmal frage ich mich ob sie ohne mich besser dran wäre.“. Während sie sprach wurde sie immer leiser. Ihr schien das Verhalten Sorgen zu bereiten. „Ich glaube, dass sie ohne dich, überhaupt nicht auf sich achten würde. Dann würde sie vielleicht die ganze Zeit durchlaufen, ohne eine Rast zu machen. Sie scheint mir ein Mensch zu sein, der es vermeiden will, anderen Sorgen zu bereiten.“. Ebony lächelte und nickte. In diesem einen Moment wusste ich, dass ich bleiben würde. Bleiben bis zum Schluss und noch länger. Ich war nicht länger das Anhängsel. Ich war ein vollwertiges „Familienmitglied“. „Da hast du recht. Vermutlich ist es so. Sie war schon immer recht stur in diesen Sachen. Je mehr Sorgen man sich gemacht hat, desto mehr hat sie so getan als wäre nichts. Das war stellenweise sogar ganz lustig. Aber meistens war es einfach nur traurig.“. Ebony hatte sich lange Zeit gelassen mit ihrer Antwort. „Danke, dass du da bist.“. Ich lächelte kurz. Es ging mir besser als in den vergangenen 120 Jahren. Es war einfach schön das Gefühl zu haben, zu Hause zu sein und nicht mehr weg zu müssen, weil die Bewohner des Hauses dich nicht mögen. „Ich muss euch danken.“. Meine fast tonlosen, gemurmelten Worte brachten Ebony zum lachen. „Du bist ein merkwürdiges Wesen, weißt du das?“. Ich nickte und lächelte. Ich war merkwürdig, aber das war nicht schlimm, weil hier alle merkwürdig waren. Von Lira, die immer voller Energie ist und dann doch wieder nicht, bis zu Etu mit seiner komischen Gesichtsbemalung. „Ich bin stolz darauf, was ich bin.“. „Das hat dir Dee gesagt, oder?“. „Ja, Dee hat immer gemeint, solange ein Mensch sich selbst noch nicht aufgegeben hat und sich selbst noch respektiert und auf das stolz ist, was er ist und macht, dann hat er das Recht auf ein anständiges Leben.“. „Sie war eine weise Frau.“. „Die viel zu früh gestorben ist.“. „Ja, da hast du recht, aber wäre sie es nicht, dann wärst du heute nicht hier und auch nicht die Person die du jetzt bist.“. Ebony warf mir einen freundlichen Blick zu, bevor sie wieder zu Lira sah. „Hilaria musste in ihrer Kindheit viel durchmachen, aber sie hat immer gemeint, dass das alles nicht so schlimm ist. Irgendwann, wollte ich dann wissen, warum ihr das alles nichts ausmachte und da sagte sie nur, dass es nicht so schlimm sei, weil sie nicht alleine sei. Für sie gibt es nichts Schlimmeres als die Einsamkeit.“. „Einsamkeit ist etwas das man fürchten oder schätzen kann. Manche Menschen machen sogar beides.“. „Sie fürchtet sie.“. Wieder sah Ebony mich freundlich an. „Aber sie wird es nie wieder sein. Ich bleibe bei ihr und der Rest von uns auch. Was ist mit dir? Willst du auch bleiben?“. „Ja.“. Sie sah wieder nach vorne. „Es ist nicht ungefährlich bei uns zu bleiben. Hilaria hat viele Feinde in dieser Welt. Nicht jeder schätzt ihre Toleranz dem Fremden gegenüber.“. Das hatte ich mir schon gedacht. Es hätte mich gewundert, wenn es keinen Menschen gegeben hätte, der gegen Lira agierte. Dazu war ihre Lebenseinstellung zu anders. „Wird sie denn ganz offen ausgegrenzt?“. „Nicht von allen. Viele lernen sie erst kennen und wenn sie dann erfahren, wie sie wirklich ist, was sie macht, dann wenden sich die meisten wieder von ihr ab.“. Stur sah ich weg. Das war so typisch für Menschen! „Das ist falsch!“. „Eine Grenze zwischen richtig und falsch existiert nicht. Für sie ist es falsch was Hilaria macht. Für Hilaria ist es falsch was sie machen. Du siehst, alles hat verschiedene Betrachtungsweisen.“. Da hatte sie auch wieder Recht. Manchmal war es ganz schön schwierig mit ihr mitzukommen. Allerdings wollte ich wieder zurück zum Thema kommen. „Ihr werdet aber nicht verfolgt, oder?“. Ein leises Lachen von weiter vorne war zu hören. Überrascht sah ich zu Kelly und Etu, die stehen geblieben waren und auf uns warteten. „Doch werden wir.“. Kelly grinst mich an. „Aber wir lassen uns nicht unterkriegen.“. „Von wem werdet ihr denn verfolgt?“. „Nicht verfolgt, gejagt!“. Etu sah aufgeregt in die Runde. „So genannte Jäger sind seit Jahren hinter uns her.“. Ich war verwirrt. Was waren denn Jäger? Etu musste meinen verwirrten Blick bemerkt haben, denn er erklärte mir alles schnell. Währenddessen gingen wir weiter. Am Abend war ich voll informiert. Jäger waren Menschen, die ihre halbe Seele an eine Art Schatten verkauft haben, um länger zu leben. Sie töten Menschen wie Lira und andere Dinge die anders waren standen auch auf ihrer Abschussliste. Ich mochte sie nicht, fragte mich aber, was sie dazu bewogen hatte, so zu werden wie sie waren. Hatten sie möglicherweise etwas Ähnliches durchmachen müssen wie ich und die anderen hier? Sie konnten doch nicht einfach so böse sein. Das war keiner. Oder doch? Das alles verwirrte mich schon wieder und so kam ich in der Nacht nicht zu meinem wohl verdienten Schlaf. Während die anderen mehr oder weniger friedlich schliefen, sah ich in den Sternenhimmel und dachte nach. Am Rande nahm ich Liras schweres atmen wahr. Ob sie wieder gesund wurde, ehe der Winter kam? Denn den würde sie nicht überleben, wenn es ihr weiterhin so dreckig ging. Meine Gedanken wanderten wieder zurück zu den Jägern. Sie schienen mir recht brutal zu sein, aber irgendwie konnte ich nicht recht glauben, dass sie einfach nur böse waren. Später, es musste kurz vor Mitternacht sein, da nahm ich ein fast lautloses Rascheln wahr. Sofort richtete ich mich auf und durchleuchtete die Richtung aus der das Geräusch kam fast. Das Rascheln kam näher und ich stand auf. Was war das? Es hörte sich nicht nach einem Tier an. Dafür war es viel zu groß. Außerdem konnte ich Schritte von Menschen hören. Schwere Schritte von mindestens drei Männern. Ich schlich zu Etu hinüber und rüttelte ihn leicht an der Schulter. „Hey, wach auf.“. Leise zischte ich es in sein Ohr und wenig später, waren alle hellwach und sahen mich fragend an. „Was ist denn los, Chiyo?“. Lira sah so aus, als würde sie gleich wieder einschlafen. „Da kommt irgendwer.“. Alle lauschten und ich konnte sehen, dass sie es sehr aufmerksam taten. Dann war es wieder zu hören. Das Rascheln. Diesmal erschreckend nah. „Verdammt! Das ist Satos!“. Liras Stimme war ein einziger gequälter Laut. Ich nahm an, dass es nicht gut war, diesen Satos in der Nähe zu haben. „Das hast du gut erkannt, Lira!“. Eine tiefe Stimme drang an mein Ohr. Wir wirbelten herum und ich sah die Männer, die ich schon ausgemacht hatte. Drei große, kräftige Männer, die anscheinend bis unter die Zähne bewaffnet waren. „Satos!“. Ich warf einen Blick zu Lira. Dann wieder zu dem Mann. Es sah nicht gut für uns aus. Definitiv nicht gut. Kapitel 4: Schrift Vier: Daria ------------------------------ Lira und die Anderen funkelten die Männer aufgebracht an. „Du hast schon mal fairer gekämpft Satos. Jemanden im Schlaf zu töten, hätte ich dir nie zugetraut!“. Lira spuckte diese Wörter förmlich in die Gesichter der Männer. Einer von ihnen war dieser Satos, aber ich hatte keine Ahnung welcher von den dreien. „Ich kämpfe nur fair, wenn ich einen Gegner habe, den ich respektieren kann.“. Ganz schön harte Worte. Mir fiel auf, dass nur der Mann, der in der Mitte stand, sprach. Das war Satos, da war ich mit sicher. Die anderen Beiden standen nur da und grinsten ein ziemlich hässliches Grinsen. Ob sie wussten, wie dumm sie aussahen? „Wie ich sehe, habt ihr ein neues Mitglied in der Gruppe.“. Er machte ein paar Schritte auf mich zu und streckte seine Hand nach mir aus. Sofort sprang ein eingeborener Vampir-Überlebensinstinkt an und ich fletschte meine Zähne. Zeigte meine Eckzähne, die ich im Normalfall eingezogen hatte und hob meine Arme. Sofort stockte Satos in seiner Bewegung und lächelte bitter. „Ein kleiner Vampir. Wie Schade.“. Er trat wieder zurück und funkelte jeden einzelnen an. „Eigentlich hatte ich vor, dass hier schnell und ohne viel Aufsehen zu erledigen, aber anscheinend geht das nicht.“. „Was denn? Uns alle töten?“. Lira zog eine Augenbraue hoch und sah Satos skeptisch an. „Wer sind überhaupt deine Freunde da?“. „Das sind Ivan und Milo.“. Satos deutete auf den jeweiligen Mann. Milo stand links von ihm und war groß. Sehr groß. Ivan stand auf der anderen Seite und sah mehr aus wie ein irrer Russe. Langer grauer Bart in allen Richtungen abstehender Bart und dann dieses Glitzern in den Augen. Mir lief ein Schauer über den Rücken. Er machte mir mehr Angst als die anderen Beiden. „Was wolltest du denn jetzt schnell erledigen?“. Kelly hatte das Wort ergriffen und starrte die einzelnen Männer wütend an. „Wir wollen euch um Hilfe bitten!“. Verwirrt sah ich Satos an. Was? Ich dachte, die hassten Lira und jetzt wollten sie Hilfe von ihr. „Es gibt Probleme und bei denen brauchen wir deine Hilfe.“. „Ah ja und deswegen kommst du mitten in der Nacht hier her, bis unter die Zähne bewaffnet und wahrscheinlich mit den schlimmsten Mordgedanken der Welt in deinem übergroßen hässlichen Kopf!“, zischte Kelly. Verdutzt sah ich sie an. Sie schien diesen Kerl noch weniger zu mögen als Lira. „Verschwinde von hier! Wir helfen dir jetzt nicht und später auch nicht.“. Lira war vorgetreten und funkelte Satos sauer an. „Gut du willst uns nicht helfen, das verstehe ich, aber was ist mit anderen Menschen? Menschen, die nichts getan haben und auch nicht tun werden?“. Lira, die sich wieder abgewandt hatte, drehte sich zu Satos um. „Was ist los?“. Satos und seine Freunde sahen sie ernst an. „Es ist für uns nicht leicht dich um Hilfe zu bitten, aber alleine schaffen wir es nicht.“. „Ja, was denn? Ihr solltet mal richtet antworten und nicht immer um den heißen Brei herum reden.“. Satos nickte zustimmend. „Gut. Hilaria, du weißt wie wir Jäger organisiert sind.“. Lira nickte zur Antwort. „Die Obersten, die die uns unsere Befehle, Aufträge, Rangordnungen, Zuständigkeitsbereiche übertragen, haben beschlossen, einen Großangriff auf ein kleines Dorf nicht weit von hier zu starten. In diesem Dorf leben mehrere hundert Menschen, viele davon Kinder.“ „Du willst also, dass wir die Kinder beschützen?“. Bevor er aussprechen konnte, hatte Etu ihn unterbrochen. Satos nickte ernst. „Wir können Erwachsene töten ohne viel zu fühlen, aber es ist grausam Kinder töten zu müssen. Wir können das nicht. Deswegen müsst ihr sie beschützen! Die Obersten wissen eigentlich, dass es uns Jägern unmöglich ist kleine Kinder zu töten.“. „Wir überlegen es uns.“. Lira wandte sich wieder ab. „Wenn die Obersten hiervon erfahren, seid ihr geliefert, was?“. Alle drei nickten. Ich hörte allerdings schon eine Weile nicht mehr zu. Sie wollten, dass wir Kinder beschützten? Kleine Menschenkinder? Sofort tauchten Bilder auf von Kindern, die mich immer geärgert, mit Steinen beworfen und ausgelacht hatten. Egal was Lira und die Anderen machten, mir war es unmöglich es zu tun. Ich mochte und schätzte Lira, aber sie war auch der einzige Mensch dem ich solche Gefühle entgegen brachte. Ob sie von mir verlangen würde, auch mit zu machen? „Der Angriff soll Übermorgen kurz nach Sonnenuntergang starten.“. Ehe ich mich versah, waren sie auch schon weg. Nachdenklich sah ich ihnen nach. Menschen. Ich hasste sie und wollte ihnen nicht helfen. Andererseits wollte ich Lira nicht im Stich lassen. Kurz sah ich zu ihr hinüber. Sie beriet sich mit Kelly und Ebony. Etu hatte wohl nicht viel mitzureden. Mein Blick wanderte wieder in die Richtung in die Jäger verschwunden waren. Woher wussten sie eigentlich, dass Lira hier in der Gegend war? Seltsam. Langsam wurde auch ich müde und ich schlich mich unauffällig zu meinem Platz. Menschen. Für mich nicht mehr als eine unwürdige Lebensform. Meine Augen fielen zu und langsam driftete ich in meine Traumwelt ab. „Chiyo, kann ich kurz mit dir reden?“. Erschrocken sah ich auf. Lira stand vor mir und lächelte mich freundlich an. Was sie wohl wollte? Ob sie mich jetzt dazu zwingen wollte, bei der Rettungsaktion der Kinder mitzumachen? Ich setzte ein kleines Lächeln auf und nickte. „Klar. Worum geht’s?“. „Ich bin mir sicher das weißt du. Lass uns ein bisschen von den Anderen weggehen.“. Widerstrebend nickte ich ein weiteres Mal und folgte ihr. Alle gingen weiter, bis auf Ebony, die uns folgte. Sie ließ Lira wieder einmal nicht aus den Augen und gab ebenfalls wie immer gut acht auf sie. Ich richtete meine Aufmerksamkeit wieder Lira zu, die plötzlich stehen geblieben war und sich umdrehte. „Du hast Satos gestern gehört. Er will, dass wir Kinder beschützen. Menschenkinder.“. Ich nickte. Reden konnte ich einfach nicht. Inständig betete ich darum, dass sie mich nicht dazu zwingen wollte, bei der Aktion mitzumachen. Dann hätte sie alle Sympathien verloren, die ich ihr entgegen brachte. „Du magst keine Menschen und das weiß ich. Ich würde eventuell sogar sagen, dass du sie hasst. Chiyo, ich respektiere dich und deine Vergangenheit und würde dich nie dazu zwingen mitzumachen.“. Ich schluckte. Das kleine Mädchen war ganz schön weise. „Wenn du mithelfen würdest, obwohl du es nicht willst, kommt die Gefahr auf, dass du nicht ganz bei der Sache bist und wir dich ebenfalls decken müssten. Da wir das nicht auch noch können, kannst du in der Nähe des Dorfes warten bis alles vorbei ist. So bist du sicher und nicht in der Nähe von Menschen und wir können uns hundertprozentig auf den Kampf konzentrieren.“. Ich nickte wieder einmal. Lira besaß eine Größe und Weisheit, die für Alter schon fast wieder traurig war. Sie musste Schreckliches durchgemacht haben, wenn sie so was sagen konnte. „Wir alle, auch Kelly und Etu, finden, dass du nichts überstürzen solltest. Vielleicht kannst du den Menschen in ein paar hundert Jahren ihren Art und ihre Taten verzeihen, aber jetzt ist es dafür noch zu früh und das weiß jeder von uns.“. Dankend sah ich sie an. Ebony schenkte mir ein Lächeln und drehte sich um. Auch Lira begann wieder zu den Anderen aufzuholen. Ich blieb noch stehen. Es war rührend, Freunde zu haben, die sich um dich sorgten. Erst jetzt fiel mir auf, dass ich mich damals bei Dee genauso gefühlt hatte. Sie war auch immer da und hatte Rücksicht auf mich genommen. Nicht immer, aber immer dann wenn ich es brauchte. In mir keimte die Hoffnung auf, dass es noch mehr von solchen Menschen zu finden. Sie waren in der kalten brutalen Welt, ein kleiner Lichtblick. Ein vorbeiziehender Gedanke, dass nicht alle Menschen schlecht waren. Zögernd setzte ich mich wieder in Bewegung. Ob es denn wirklich in Ordnung war, wenn ich da blieb und nicht half? Was wenn es nur eine Falle war und Lira und Kelly verletzt wurden? Okay verletzt werden konnte nur Lira, aber trotzdem. Das würde mich ein Leben lang belasten. Dann hätte ich meine neue Freundin umgebracht. Was ich allerdings nicht verstand war, warum Jäger keine Kinder töten konnten. Tief in meinen Gedanken versunken merkte ich nicht, dass Kelly schon eine Weile neben mir ging und mich eingehend musterte. „Weißt du Chiyo, du bist oft sehr unaufmerksam.“. Überrascht warf ich einen Seitenblick zu ihr und lächelte leicht. „Da hast du recht.“. Kelly erwiderte das Lächeln. „Soll ich dir verraten, warum Jäger keine Kinder töten?“. „Das wäre nett.“. Kelly schwieg eine Weile und sah mich dann ernst an. „Sie tun es nicht, weil sie selbst keine Kinder bekommen können. Für sie ist ein Kind sehr viel mehr Wert als ein Erwachsener. Allerdings auch nur wenn das Kind auch wirklich noch ein Kind ist.“. „Wie meinst du das?“. Verwirrt sah ich sie an. Warum war in dieser Gruppe eigentlich alles so kompliziert? „Für sie ist man kein Kind mehr, wenn man seine Unschuld verliert. Verdorben wird und anfängt Sachen zu tun, die dem eigenen Nutzen dienen.“. Das klang irgendwie krank. Mir fiel das Verhalten von ihr wieder ein, als sie Satos gestern gegenüberstand. „Warum hasst du Jäger so?“. Nachdenklich blickte sie sich in der Gegend um. „Sie waren es, die mich getötet haben. Sie haben mich aufgezogen. Sie waren meine Familie und dann fingen sie an mich zu foltern ohne Gnade zu zeigen und das nur, weil ich nicht Jägerin werden wollte. Ich wollte immer nur frei sein und am Ende war der Tod meine Freiheit. Meine Erlösung von dem Schmerz, den ich jeden Tag aufs Neue durchleben musste.“. „Gibt es viele von ihnen?“. „Mhm. Ja, ich denke schon. Immerhin hat jedes Land seinen eigene Jägerratsstab.“. Nie hätte ich mir das in solchen Ausmaßen vorgestellt. Nie hätte ich geglaubt, dass sie so etwas wie eine Ordnung hätten. Kurz warf ich einen Blick zu Kelly. Sie sah nicht sehr gesund aus. Ob Geister auch krank werden können? War das möglich, oder bildete ich mir das nur ein? „Kelly, geht es dir gut?“. Sie schüttelte sofort leicht mit dem Kopf. „Ich erinnere mich nicht gerne an damals.“. Das konnte ich gut nachvollziehen. Ich hätte es an ihrer Stelle auch nicht getan. Wer erinnerte sich schon gerne an eine unangenehme Vergangenheit? „Es fällt mir auch schwer zu akzeptieren, dass ich überhaupt tot bin. Es geht einfach nicht in meinen Kopf hinein. Ständig sagt etwas in mir „du darfst nicht hier sein…du bist tot…“ das nagt an mir und macht mich fertig. Andererseits sagt die gleiche Stimme immer wieder, dass ich zu unrecht tot bin, dass ich mich gefälligst rächen soll und dass ich noch am Leben bin.“. Sie tat mir Leid. So ein innerer Zwiespalt musste schrecklich sein. Immer wieder machte ihr irgendetwas klar, dass sie nicht sein dürfte und dann meint es wieder, sie dürfe es doch. So etwas machte einen früher oder später zu einem Frack. Man wird ständig hin und her gerissen und irgendwann macht der eigentliche Geist nicht mehr mit. Man zerbricht. „Das tut mir Leid.“. Für mich war das nur eines von vielen unbedeutenden Phrasen, die man eben sagt, wenn man so etwas erfährt. Kelly jedoch lächelte mich schwach an. „Das muss es nicht. Durch Lira geht es mir etwas besser und ich ignoriere die Stimme so gut es eben geht.“. Schweigend gingen wir weiter neben einander her. „Daria hast du noch nicht kennen gelernt, oder?“. Sie brach das Schweigen mit dieser einen Frage. Sie klang tonlos. Wer war Daria? Ich schüttelte den Kopf. „Dann wirst du sie sicherlich bald kennenlernen.“. Das Schweigen kehrte zurück. Bis wir in die Nähe des Dorfes gekommen waren, sprach keiner von uns beiden mehr. Am Abend saßen wir alle wie gewöhnlich um ein kleines Feuer und aßen. Ich hatte mich wieder ein bisschen abseits gesetzt, da ich meinen Gedanken nachhängen wollte. Ich schätzte und mochte Lira wirklich gerne, aber sie hatte die Angewohnheit immer zu reden. Ich hatte das Gefühl, sie mochte keine Stille. So saß ich nun da und blickte in den Sternenhimmel. Nach einer Weile drang das Gelächter der Anderen zu mir und ich stand auf und entfernte mich von der Gruppe. Ein bisschen Abstand war im Moment sehr wichtig. Ich freute mich riesig darüber, dass Kelly mir von ihrer Vergangenheit erzählt hatte. Das zeigte, dass sie mir vertraute. Lächelnd blieb ich nach einer kleinen Weile stehen. Die Anderen, vor allem Etu und Kellys Streiterei, waren bis hier her zu hören. Nur Liras Stimme fehlte, was mich wunderte, da sie immer sprach. Wenn man sie so sah, konnte man gar nicht glauben, dass sie tot krank war. Plötzlich spürte ich etwas kühles, scharfes an meiner Kehle. „Geh weiter!“. Ein Mädchen, aber ich hatte keine Ahnung wer das sein sollte. Da ich keine Lust hatte zu sterben, ging ich gehorsam weiter. Erst als ich keinen meiner Freunde mehr hörte, blieben wir stehen. Das Messer verschwand und ich drehte mich um und blinzelte verwirrt. Da stand Lira, aber irgendwie auch nicht. Sie sah ganz anders aus. Die Haare waren nicht rot sondern weiß und auch die strahlend blauen Augen von Lira hatte das Mädchen nicht. Gelbe Augen mit Katzenpupillen funkelten mich aggressiv an. „Hör mir gut zu, Vampy!“. Ich nickte, bemerkte die Beleidigung nur am Rande. „Nur weil Lira gesagt hat, dass es nicht schlimm ist, wenn du uns nicht hilfst, heißt das nicht, dass wir alle ihrer Meinung sind. Ich zum Beispiel, akzeptiere das nicht. Solltest du dich weigern zu kämpfen, dann brauchst du dich hier gar nicht mehr blicken zu lassen.“. Ihre Stimme klang hohl und voller Hass. Wer war das bitte schön? Ich kannte diese Person nicht. Angestrengt durchforstete ich mein Gehirn nach eventuell vorhandenen Hinwesen. Da kam mir mein Gespräch mit Kelly wieder in den Sinn. Sie hatte eine Daria erwähnt und das ich sie bald kennenlernen würde. Ob das hier Daria war? Ich sah sie wieder an. Sie funkelte mich immer noch aggressiv an und gab seltsame Zischlaute von sich. Komisches Mädchen. Dann spürte ich wie sich um mich herum eine Mauer aus purer Energie aufbaute. Erschocken sah ich die Fremde, die eventuell Daria war, an. Was hatte sie denn vor? „Ich bin stark genug um Lira alleine zu schützen! Euch brauch ich dazu nicht!“. Sie klang sehr aufgeregt. Ob die anderen mit „Euch“ gemeint war? Ich nahm es einfach mal an. „Also, kämpfst du mit, oder lässt du es blei..“. Ich blinzelte kurz und als ich wieder richtig sehen konnte, stand Lira vor mir und lächelte mich entschuldigend an. „Hat sie etwas gesagt, was dich verletzt hat?“. „Ne..nein.“. Sie lächelte trotzdem weiter entschuldigend. „Daria ist manchmal etwas ausfallend und verletzend. Nimm das was sie gesagt hat nicht allzu ernst.“. „Wer war das denn jetzt? Und vor allem was war sie?“. Ich war noch nie so verwirrt. „Daria ist mein Innerer Dämon. Jeder Mensch hat so einen. Hin und wieder übernimmt sie die Kontrolle über meinen Körper.“, erklärte Lira schnell, als sie mein verwirrtes Gesicht sah. Ich nickte ernst. „Kommst du wieder mit? Es gibt bestimmt noch ein paar Sachen, die wir erledigen und klären müssen.“. Müde schüttelte ich den Kopf. „Ich bleibe noch ein bisschen.“. Lira nickte und verschwand mit einem Winken. Ich sah wieder zu den Sternen. „Solltest du dich weigern zu kämpfen, dann brauchst du dich hier gar nicht mehr blicken zu lassen, sagte sie. Vielleicht ist da was dran“. Kapitel 5: Schrift Fünf: Entscheidung ------------------------------------- Der darauf folgende Tag verlief ruhig. Wir wanderten nicht mehr weiter, da Lira der Meinung war, dass es wir nah genug an dem Dorf lagerten. Niemand hatte dagegen Einwände. Das einzige was uns allen zu schaffen machte, besonders Kelly und mir, war das es Lira immer schlechter ging. Sie musste sich viel öfter hinlegen und spuckte beim Husten Blut. Sie klagte und jammerte nicht. Nahm es hin so wie es war. Auch Ebony war erstaunlich ruhig. Ich bezweifelte, dass Lira überhaupt die notwendige Kraft aufbringen konnte um zu kämpfen. Gegen Mittag, Lira hatte sich wieder hinlegen müssen, kam Kelly zu mir und setzte sich neben mich. Wir schwiegen uns lange an und erst als Lira plötzlich wieder einen kurzen Hustenanfall bekam, sich aber schnell wieder beruhigte, sprach sie. „Weißt du Chiyo, am Anfang mochte ich dich nicht. Ich wusste nicht, ob ich dir vertrauen konnte. Das war sehr nervenaufreibend. Aber jetzt schätze ich dich sehr, so wie Lira und Ebony.“. Das freute mich. Ich hatte zwar keine Ahnung, was man an mir schätzen konnte, aber es freute mich, dass sie es tat. „Lira wird morgen sterben. Das weiß sie. Das weiß Ebony. Wir alle wissen es. Auch wenn du uns doch wider erwarten helfen solltest. Sie ist einfach nicht mehr stark genug um zu kämpfen.“. Tief in mir hatte ich es gewusst. Ich hatte gewusst, dass Lira sterben würde. Aber niemanden schien das hier traurig zu machen. Warum? War ihnen Lira doch egal? Und warum machte es Lira nichts aus, dass alle sich einen Dreck darum kümmerten, dass sie starb? Ich wollte länger in ihrer Gegenwart bleiben. Ich wollte weiterhin in diese Gruppe gehören und auch weiterhin mit ihnen reisen, essen und Spaß haben. Kelly sah kurz zu Lira und Ebony hinüber. „Lira war immer wie eine kleine Schwester für mich. Es hat wahnsinnigen Spaß gemacht mit ihr herumzureisen. Sie hatte immer gute Laune, egal wo wir gerade waren, egal was uns gerade passiert war, Sie hat uns alle immer wieder hochgezogen wenn wir gefallen waren.“. Vielleicht war Lira ihnen doch nicht so egal. Ich hörte weiter zu und spielte dabei ein bisschen mit einem Grashalm. „Vor ein paar Jahren, haben wir ein kleines Mädchen gefunden. Jäger hatten ihre Eltern und Geschwister getötet und sie wanderte alleine in der Weltgeschichte herum. Von den Stadtbewohnern wurde sie gemieden und auch die anderen Kinder wollten nichts mit ihr zu tun haben. Sie war ganz auf sich gestellt. War verbittert und viel zu zynisch für ihr Alter. Lira hat sie mitgenommen.“. „Wo ist sie denn jetzt?“. Neugierig sah ich Kelly an. Die lächelte leicht. „Wir haben sie bei einem Ehepaar gelassen, das sich schon immer ein Kind gewünscht hatte, aber keins bekommen konnte. Sie haben sich sehr gefreut.“. Sie verstummte wieder. Eine Weile blieb alles still. „Sie hat mir mal gesagt, dass Lira Steine auffängt die einen treffen könnten.“. Gedankenvoll sah ich sie an. Das waren große Worte für ein kleines Mädchen. „Sie war bestimmt ein liebes Kind.“. Kelly nickte zustimmend. „Ich verurteile dich nicht dafür, dass du uns nicht helfen willst. Das würde ich an deiner Stelle auch nicht tun. Menschen haben dir viel angetan, aber ich will auch nicht, dass du verbitterst. Menschen sind nicht alle gleich. Es gibt wenige die so sind wie Lira, aber es gibt immer wieder welche, die versuchen so zu sein. Die sich anstrengen nett zu sein und es auch irgendwann mal werden. Sie versuchen nicht voreingenommen zu urteilen. Nach solchen Menschen solltest du suchen. Sieh nicht nur die Schlechten. Suche die, die versuchen zu verstehen.“. Ich nickte. So hatte sich das noch nie gesehen. Klar, es gab schlechte Menschen, wahrscheinlich eine ganze Menge, aber es gab auch nette. Es gab Menschen wie Lira und Dee. Man musste nur die Augen offen halten. Ich sah zu Lira. Sie wälzte sich unruhig hin und her. Ihr Fieber musste wieder gestiegen sein. „Was hat sie denn?“. „Das wissen wir nicht. Wahrscheinlich eine Grippe. Sicher sind wir uns nicht.“. Kelly stand wieder auf. „Wenn Lira stirbt, dann verschwindet auch Ebony. Sie ist ja an Liras Energie gebunden. Etu wird wahrscheinlich wieder abhauen, genau wie ich. Ich war nur hier, wegen Lira. Wenn sie geht, gibt es für mich keinen Grund mehr hier zu bleiben.“. Ich nickte. Die Gruppe, diese kleine Familie, würde mit Lira sterben. Es gab sie nicht ohne sie. Das konnte ich nachvollziehen und verstehen. Lira war ein beeindruckender Mensch mit einer beeindruckenden Ausstrahlung. „Was wirst du machen?“. Kelly sah zu mir hinunter. „Ich weiß es nicht.“. Das wurde mir bewusst. Ich hatte keine Ahnung was ich machen sollte. Sollte ich vielleicht doch helfen? Dann hätte Lira vielleicht, aber auch nur vielleicht eine Chance zu überleben. Aber Menschen wollte ich nicht helfen. Fast verzweifelt rieb ich mir die Schläfen. Mein Kopf tat weh und alles drehte sich. Ich musste wieder ruhiger werden. Musste alles in Ruhe überdenken. Ich stand ruckartig auf und entfernte mich ein wenig von den Anderen. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Kelly mich lächelnd nachwinkte. Sie verabschiedete sich von mir. Wusste, dass ich nicht wieder kommen würde. In Gedanken versunken, rannte ich durch die Gegend ohne auf mein Umfeld zu achten. Rannte über Felder und Wiesen, überquerte sogar einige kleine Bäche. Erst als es langsam dämmerte blieb ich stehen. Vampire waren übermenschliche Wesen. Sie waren stärker als diese, lebten länger und waren fast resistent gegen Viren und Bakterien. Der einzige Nachteil: um so zu werden, musste sie regelmäßig Blut zu sich nehmen. Das war eine Grund Vorraussetzung. Ich hatte Jahre lang kein Blut zu mir genommen und später dann nur sehr unregelmäßig. Dementsprechend war ich jetzt ausgepowert und am Ende. Ich sah mich um. Nahm den Geruch von Menschenblut war und folgte der Spur. Mein Gehirn war kurz davor von „Leben“ auf „Überleben“ umzuschalten und bevor das passierte, musste ich Blut kriegen. Schnell hatte sich ein kleines Dorf erreicht und beobachtete eine junge Frau, die sich gerade um ihre Wäsche kümmerte. Ich bleckte meine Zähne und schlich mich an sie heran. Alles um mich herum wurde ausgeblendet und meine gesamten Sinne konzentrierten sich ausschließlich auf die Frau vor mir. Bevor sie zurück ins Haus ging, packte ich sie an den Schultern und vergrub meine Zähne in ihrem Hals. Ich sah mich in der kleinen Küche um und musste zugeben, dass sie sehr schön war. Vorsichtig ging ich ins Wohnzimmer und legte die Frau auf das Sofa. Auch wenn ich keine Menschen mochte, für einen Mord wollte ich nicht verantwortlich gemacht werden. Dann löschte ich noch schnell ihr Gedächtnis und verließ im Anschluss sofort das Haus. Ich verzog mich wieder in die Felder und wanderte langsam wieder in Richtung aus der ich gekommen war. Mir ging es jetzt wieder besser und ich spürte, wie meine Kräfte wieder zunahmen. Ich blieb stehen, als mir bewusst wurde, wohin ich überhaupt ging. Ich machte mich wieder auf den Weg zu Lira. Aber ich konnte nicht helfen. Ich konnte nur zusehen und dann müsste ich mit ansehen, wie Lira stirbt und das konnte ich auch nicht. Ich war nutzlos. Nutzlos und hilflos. Denn wehren gegen meine Innere Stimme konnte ich mich auch nicht. Ich war einfach nur nutzlos. Ich konnte meine Mutter nicht beschützen, ich konnte Dee nicht beschützen und jetzt würde ich Lira nicht beschützen können und daran waren nicht die Menschen schuld. Daran war nur ich selbst schuld. Ich, weil ich nicht in der Lage war, zu kämpfen, obwohl ich es doch könnte. Ich, weil ich zu dumm und zu schwach war mich selbst zu besiegen. Verzweifelt ließ ich mich auf den Boden fallen und rollte mich zu einer Kugel zusammen. Ich wollte wieder zu Lira. Ich wollte wieder zu Dee und ich wollte wieder zu meiner Mutter. Alle sind gestorben und würden sterben, weil ich nicht in der Lage war sie zu beschützen. Leise schluchzte ich. Niemand würde sich dafür interessieren, wenn ich sterben würde. Vielleicht hätte Dee mich vermisst und meine Mutter sicher auch. Aber was war mit Kelly? Sie konnte nicht sterben und würde es auch nie können. Leise weinte ich mich in den Schlaf. Weinte, weil ich schon wieder einen wichtigen Menschen verloren hatte. Am nächsten Morgen schleppte ich mich wieder in das Dorf und nahm noch einmal Blut zu mir. Ich fragte mich, was Lira und die Anderen gerade machten. Bestimmt hatten sie schon um das Dorf ihre Positionen eingenommen und warteten. Kelly hatte mir mal erzählt, dass das schlimmste an einem Kampf nicht der Kampf selber war. Es war das Warten auf den Kampf. Im Dorf selbst wurden wir misstrauische Blicke zugeworfen und die meisten gingen mir aus dem Weg. Ich bemerkte das alles gar nicht. Wenn man sich selbst noch respektiert hat man das Recht auf ein anständiges Leben! Mir kam dieser Gedanke ganz plötzlich. Das hatte Dee mal zu mir gesagt, als ich sie fragte, warum sie sich denn die Mühe mit mir mache. Damals hatte ich es nicht wirklich verstanden und auch in diesem Moment verstand ich es nicht. Wieder musste ich an Lira denken. Sie kämpfte nicht alleine. Ebony und Kelly waren bei ihr und auch Etu war bestimmt ein guter Kämpfer. Von Daria wollte ich gar nicht erst anfangen. Mir lief immer noch ein kalter Schauer über den Rücken, als ich an die Stärke dachte, die ich selbst zu spüren bekommen hatte. Aber siegen? Konnten sie das? Sie waren alle stark, aber diese Jäger waren es doch auch. Nachdenklich ging ich bog ich um eine Ecke und blieb stehen. Es war eine kleine Nebengasse die am Ende zugemauert war. Eine Sackgasse. Gerade als ich gehen wollte, hörte ich ein Wimmern. Das Wimmern von einem kleinen Mädchen. Vorsichtig kam ich näher. Sie hockte ganz hinten in der Ecke, hinter einer Mülltonne. Sie hatte ihre viel zu dünnen Arme um ihre ebenfalls viel zu dünne Beinchen geschlungen. Ihre Haare waren verfilzt und steif vor Dreck und Fett. Sie war total verschmutzt und als sie mich hörte, sah sie mich mit geweiteten, verweinten Augen an. In ihnen spiegelte sich Angst und doch auch Trotz. Außerdem war in ihnen etwas, was ich nicht verstand. Etwas was ich nicht deuten konnte. Vorsichtig legte ich ihr eine Hand auf den Kopf. Bei der Berührung zuckte sie zusammen. Der Trotz in ihren Augen verschwand. Die Angst wandelte sich in Panik. „Bitte…bitte tun Sie mich nichts!“. Leise drang ihre Stimme an mein Ohr. Ihre Stimme war heiser und auch in ihr hörte ich Angst. Aber es war nicht die Angst die andere Menschen mir gegenüber empfanden. Sie hatte keine Angst vor mir weil ich ein Vampir war, sie hatte Angst vor mir weil ich größer war als sie. Weil ich ihr wehtun konnte und sie sich nicht wehren konnte. Sie war schwach. Sie hatte nichts. Nicht einmal richtige Klamotten hatte sie an. Nur alte Lumpen. Ich nahm die Hand von ihrem Kopf und legte meinen schief. Menschenkinder waren nicht alle schlecht. Vor allem die ganz kleinen. Sie waren noch nicht verdorben. Einige von ihnen mussten genau wie ich unter anderen Menschen leiden. Lira musste es ganz sicher auch. Doch ihr war es egal. Sie kämpfte trotzdem weiter. Da begriff ich etwas entscheidendes: ich musste nicht für die Menschen in dem Dorf kämpfen. Lira tat es auch nicht. Lira kämpfte nicht für ganz normale Menschen. Sie kämpfte für Menschen, die immer weiter machten, egal wie aussichtslos ihre Situation war. Ich konnte ja auch für die ganz kleinen Kinder kämpfen und für Lira. Die Menschen waren nebensächlich. Ich zog meine Jacke aus und legte sie dem Kind über die Schultern. „Warte hier eine kleine Weile, ja? Ich komme bald wieder und nehme dich mit.“. Die Angst blieb, wurde aber schwächer, und ich sah so etwas wie Hoffnung. Hoffnung auf Besserung. „Wirklich?“. Ich nickte. Ja ich würde wieder kommen. Mit Lira oder ohne sie, aber ich würde wieder kommen. Ich wandte mich ab und ging. Hörte noch, wie sich das Mädchen in meine Jacke kuschelte. So schnell ich konnte rannte ich den ganzen Weg des Vortages zurück. Ich brauchte nicht lange um den Lagerplatz zu erreichen. Viel länger brauchte ich um in das Dorf zu kommen. Schon von weitem konnte ich die schweren , nachtschwarzen Rauchwolken ausmachen. Das was fehlte waren die Kampfgeräusche. Es war still. Bis auf ein paar weinende Kinder war nichts zu hören. War ich etwa zu spät? Konnte das sein? Ich rannte noch schneller und hatte dann fast augenblicklich das Dorf erreicht. Hektisch sah ich mich um. Beinahe das gesamte Dorf war zerstört worden und die Menschen sahen alle verzweifelt aus. Mann hatte ihnen alles genommen. Schnell ging ich durch das Dorf, durchquerte es um wieder in einem Wald zu landen. Ich konnte Liras Blut riechen und folgte der Spur wie bei einer normalen Jagd. Auf einer Lichtung blieb ich stehen. Etu und Kelly standen vor einem kleinen Erdhügel. Er war frisch und mir fiel auf, dass sich der Geruch von Liras Blut mit dem der Erde vermischt hatte. Sie war tot. Kelly wandte sich um, als sie mich hörte. Ich konnte Tränen in ihren Augen ausmachen. spürte wie welche meine Wange hinunter rannen. Ich hatte versagt. Etu wandte sich auch mir zu und musterte mich mitfühlend. „Es ist nicht eure Schuld.“. Dann schlich er zum Rand der Lichtung. „Niemand hat schuld.“. Dann war er weg. Ich hockte mich vor Liras Grab. Nach einer Weile stand ich auf und markierte den Baum der hinter dem Grab stand. Kelly beobachtete mich dabei. Ohne meine Position zu verändern sprach ich: „Ich habe ein kleines Mädchen gefunden. Ein Straßenkind ganz alleine. Ich werde mich um sie kümmern. Hilfst du mir?“. „Ja.“. Wir verließen die Lichtung und kehrten zu dem kleinen Mädchen zurück. Lira war tot, aber sie würde immer in uns weiter leben und dadurch wurde sie unsterblich. Epilog: Epilog -------------- Ich kannte Lira nur knapp zwei Wochen. Ich hatte also nicht viel Zeit mit ihr verbracht. Doch eines kann ich von mir behaupten: ich habe von ihr gelernt. Viel mehr als von meiner Mutter, die mir nur den Hass auf Menschen beigebracht hat, viel mehr als von Dee, die mir gezeigt hatte, was das Leben so bereit hält. Von Lira habe ich gelernt, dass es gut ist man selbst zu sein. Ich werde noch viele Menschen wie Dee und Lira treffen. Ich werde mich mit ihnen anfreunden, von ihnen lernen, und doch werde ich sie alle überleben. Ich werde auch Josy überleben. Das kleine Straßenmädchen. Sie ist jetzt 18 Jahre alt und ein sehr liebes Mädchen. Ich mag sie wirklich gerne. Sie will Tierärztin werden und ich denke, dass sie das schafft. Ich habe meinen Abschluss nachgemacht und Medizin studiert. Ich will versuchen zu helfen und Menschen kennen zu lernen, die einfach immer weiter kämpfen, egal wie hoffnungslos es ist. Ich bin nicht mehr alleine, das ist alles was zählt. Josy und alle anderen Menschen werden sterben, aber Kelly wird bei mir bleiben. Wir werden auch ohne Lira eine Familie sein. Dort wo Lira begraben liegt, steht jetzt auch ein Grabstein. Ich haben ihn da vor vier Jahren hinsetzten lassen. Josy hat zu mir gesagt, dass sie Lira gerne kennen gelernt hätte. Ich habe nur gelächelt. Auch wenn Lira ein wundervoller Mensch war, sie hatte doch auch ihre Fehler und erst durch diese Fehler ist sie zu dem geworden der sie am Ende war. Kelly und ich besuchen jedes Jahr zweimal ihr Grab. Einmal an ihrem Todestag und dann noch an dem Tag an dem sie uns Beide das erste Mal getroffen hat. Komischerweise ist es derselbe Tag. Ich bin fertig. Ich habe nicht die gesamte eineinhalb Wochen aufgeschrieben, nur das, was meiner Meinung nach wichtig ist. Kelly und Josy haben mich dabei größtenteils in Ruhe gelassen, wofür ich sehr dankbar bin. Irgendwann werde ich auch Dee noch einmal aufschreiben. Ihren Spruch verstehe ich jetzt auch, glaube ich zumindest. Es ist ein gutes Gefühl, sich an solche Menschen zu erinnern. Ihr Grab besuche ich jetzt auch regelmäßiger. In der Stadt ist es ruhiger geworden. Es interessiert die Bewohner nicht mehr was ihr Nachbar macht, der Grund warum wir hierhin gezogen sind. Ich bin also praktisch wieder zu Hause angekommen. Genau wie Josy und Kelly. Wir sind eine Familie, wir sind Freunde und wir haben dasselbe Zuhause. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)