Was du zu sehen glaubtest von SarahJW ================================================================================ Kapitel 4: 4 Colt: Zurück in den Sattel --------------------------------------- Colt verspürte fast so etwas, wie Beschwingtheit, als er das Gebäude verließ, in welchem sich Dr. O’Donnels Büro befand. Möglicherweise würden sich diese Gespräche mit ihr doch als ganz nützlich erweisen. Nicht auf die Art und Weise, wie alle es erwarteten, allerdings , wenn er ein wenig mitspielen würde, könnte das eine realistische Chance darstellen, seinen Job wieder ausüben zu dürfen - so langweilig er ihm auch erschien, es war immerhin eine Abwechslung. Und er konnte feststellen, seit er vom Dienst suspendiert war, zogen die Tage sich nur so dahin. Er warf einen kurzen Blick in den Himmel und stellte fest, dass es dem Stand der Wintersonne nach noch keine elf Uhr war. Was sollte er nur wieder mit sich anfangen? Sich einen weiteren Tag lang in der Bude einsperren und virtuell Outrider abknallen? Sich bei Fireballs Einheit einschleichen und den Kleinen den ganzen Tag von der Arbeit abhalten? Sein Blick fiel auf ein Geschwader von Fluggleitern, das bei diesem klaren Wetter Formationsflug übte. Nicht einmal fliegen ließen die ihn. Er stand nicht unter Arrest, hatte aber die Auflage, sich nicht vom Stützpunkt zu entfernen und vor allem nicht seinen eigenen Gleiter, den Bronco Buster, in Betrieb zu nehmen. Andererseits… wer kontrollierte das eigentlich? Vermutlich waren die Jungs am Hangar nicht im Detail informiert, wenn er also nur selbstbewusst genug auftreten würde, würde ihn schon keiner aufhalten. Einen Moment lang rang er mit sich selbst. Vielleicht war es keine besonders kluge Idee, ausgerechnet jetzt gegen die Auflagen zu verstoßen, andererseits würde das vermutlich ohnehin niemand erfahren und er war seit Ewigkeiten nicht mehr in der Stadt gewesen. Zu guter Letzt würde er ja schon bald wieder zurückkommen. Colt lächelte still, als er bemerkte, dass seine Füße ihn schon ganz automatisch in die richtige Richtung trugen. Also war es entschlossene Sache. Er erwischte den Bus zu den Quartieren, machte einen kurzen Stopp im Apartment, um in seinen Schutzanzug zu schlüpfen- Auftreten war bekanntlich alles- und begab sich dann zu Fuß zum Hangar. Seinen eigenen Gleiter konnte er zu seinem Bedauern jedoch selbstverständlich nicht nehmen, da dieser lediglich von ihm geflogen werden konnte und es zu auffällig gewesen wäre, wenn dieser plötzlich verschwunden war. Ein wenig wehmütig betrachtete er den Bronco Buster aus der Ferne im Hangar stehen - Himmel, hatte ihm dieses Baby schon oft den Arsch gerettet. Und jetzt stand es da, verwaist und halb von einer Schutzplane verdeckt. Eine verdammte Schande war das. So ein Gerät gehörte in den Himmel und nicht unter eine schmutzige Plastikabdeckung. Er grüßte die Wachen an der großen Flughalle zackig militärisch und wollte ihnen gerade irgendeine Geschichte über einen kurzfristig eingeplanten Überwachungsflug auftischen, da wichen sie auch schon zur Seite und gaben den Eingang zur Halle frei. Es lohnte sich doch immer wieder, einer der berühmten Star Sheriffs zu sein. Leute stellten einem keine Fragen. Mit einem Nicken bedankte er sich wortlos und schritt so, als wüsste er genau, wohin, in die Halle. Aus dem Augenwinkel untersuchte er die aufgereihten Ein-Mann-Gleiter. Er wollte ein schnelles, aber nicht brandneues Modell, unauffällig und nicht sofort als Gleiter des Kavallerieoberkommandos zu erkennen. Seine Wahl fiel auf eine schlichte Maschine für Mittelstrecken-Aufklärungsflüge. Er warf noch einen kurzen Blick über die Schultern zur Wache, dann gab er einen Nummerncode in eine Tastatur an der Außenwand der Maschine ein- alle Gleiter hatten einen individuellen Freigabecode, aber es gab einen Sondercode der Star Sheriffs, mit der man jede Maschine aktivieren konnte - und gab den Sprachbefehl: „Öffnen.“ Mit einem hydraulischen Ächzen hob sich die Plexiglasabdeckung des Gleiters und er stieg zufrieden schmunzelnd ein, überprüfte kurz den Energiestand und die Steuerung und schloss dann das Verdeck über sich. Der Hangar stand offen - vermutlich noch von dem Geschwader, das er eben am Himmel beobachtet hatte- und somit steuerte er sein Fluchtflugzeug nach draußen, wo er dann Geschwindigkeit aufnahm und kurz darauf in der Luft war. Er erwischte sich selber, wie er ein wohliges Seufzen von sich gab. Das hatte ihm verdammt noch mal gefehlt. Von oben war die Welt doch einfach ein bisschen besser. Die Steuerung beherrschte Colt im Schlaf, die Navigation funktionierte nach dem altbewährten Prinzip. Er sollte in weniger als 10 Minuten die Stadt erreichen können, wenn er es drauf anlegte. Aber das tat er nicht und so kreiste er noch einige Extrarunden über das Gebiet, bevor er seine Zieldestination ansteuerte und etwa eine halbe Stunde später etwas außerhalb der Stadt landete. Ein wenig unlustig entstieg er dem Gleiter. Es war in der Tat herrliches Flugwetter, aber leider konnte er nicht riskieren, zu lange in der Luft zu sein. Am Ende würde man ihn für einen unbefugten Aufklärer halten und ihn per Eskorte zur Landung zwingen. Eine viertel Stunde später hatte er das Zentrum der Stadt bereits erreicht. Da er nicht so ohne Weiteres aus seinem Schutzanzug herauskam, musste er wohl oder übel in Dienstkleidung seinen Stadtbummel antreten, andererseits wusste hier in Yuma-City nun wirklich niemand von seiner Ausgangssperre. Er musste nur eben versuchen, so wenig Aufsehen, wie möglich zu erregen. Mittlerweile trug er die Haare etwas länger, als noch zu aktiven Star-Sheriff-Zeiten und er hatte sich eine Sonnenbrille aufgesetzt. Zwar entgingen ihm nicht einige Mädchen, die tuschelnd die Köpfe zusammen steckten, als sie ihn erblickten, aber zufrieden stellte er fest, dass sie sich offenbar auch nicht ganz sicher waren: „Ist er’s oder ist er’s nicht?“ Er steuerte eines der größten Einkaufzentren an. In der Menge konnte man doch ziemlich verloren gehen, wenn man wollte und genau das war sein Plan. Vielleicht würde er in eine VR-Filmvorstellung gehen oder sich neue Stiefel kaufen. Irgendwas, nur nicht wieder die Zeit totschlagen in diesem öden Mikrokosmos von Hauptquartier. Er blieb bei einem Zeitschriftenladen stehen, wo die neueste Ausgabe seines bevorzugten Waffenkatalogs kurzzeitig seine Aufmerksamkeit erregte. Während er blätterte, nahm er in der Blickperipherie eine junge Rothaarige wahr, die schon etwas zu lange bei den Groschenromanen stand und zu ihm rüber stierte. Er warf ihr über den Rand seiner Sonnenbrille hinweg seinen charmantesten: „Ich hab dich genau gesehen, Baby“-Blick zu und lächelte milde amüsiert in sich hinein, als sie rote Wangen bekam. Dann wandte er sich lässig ab, stellte den Katalog zurück in die Auslage und ging, ohne sie noch mal näher ins Visier zu nehmen. Mit Frauen war es, wie mit einem Kühlschrank voll mit seinem Lieblingsbier - wenn man es immer haben konnte, wurde es irgendwann gewöhnlich. Er stieg in einen der gläsernen Aufzüge, die in langen Röhren einmal von unten nach oben durch das Gebäude reichten und die Leute zu einer der sieben Etagen transportierten und ließ den Blick über die wuselnden Massen schweifen. Fireball hätte ihn für diesen lapidaren Gedanken hinsichtlich des Mädchens gerade vermutlich mal wieder als herablassend gerügt. Er konnte es seinem Kumpel nicht einmal verdenken. Der kleine Idealist jagte immer noch dieser Illusion der großen Liebe hinterher, welche er unglücklicherweise nach wie vor bei der falschen Frau zu finden hoffte. Colt schüttelte fast unmerklich mitleidig den Kopf. Er für seinen Teil hatte den Schwindel schon vor einiger Zeit durchschaut: Was war denn Liebe mehr als zwei Menschen, die ihre Idealvorstellungen aufeinander projizierten, bis die große Enttäuschung namens Realität sie unsanft aus ihren Träumereien zerrte und am Ende nichts als Bedeutungslosigkeit hinterließ… Er spürte bei dem Gedanken einen galligen Geschmack auf der Zunge und kurz darauf wieder diesen altbekannten Schmerz über dem Zwerchfell. Unmerklich wanderte seine Hand wieder zu seinem Brustkorb, um zu kontrollieren, ob dieser sich normal hob und senkte. Durch die Panzerung seines Schutzanzuges jedoch konnte er nichts dergleichen spüren und dieser Kontrollverlust beschleunigte seinen Herzschlag. Nur ruhig, Colt. Seine Lungen schienen sich nicht mehr mit Luft füllen zu wollen. Lass dir jetzt nichts anmerken. An normales Weiteratmen war nicht zu denken. Jeder Atemzug war die Hölle. Du stehst in einem gläsernen Aufzug, mitten in einem riesigen Einkaufszentrum voller Menschen. Er musste hier raus. Er musste ganz schnell hier raus! Wenn du jetzt kollabierst, dann werden es alle sehen. UND NIEMAND WIRD DIR HELFEN! Unter Qualen bemüht, Luft in seine Lungen zu bekommen, schweißgebadet in seinem Schutzanzug, fanden seine Finger schließlich den Notfallknopf des Aufzugs, der bewirkte, dass mit einem knarrenden Geräusch seine Aufzugkabine zwischen der vierten und fünften Etage zum Stillstand kam. Er ignorierte die zig Augenpaare, die nun auf ihm hafteten, als er die Türen der Kabine unter unerträglicher Anstrengung aufstemmte und wahllos ein Paar der ihm zur Hilfe dargebotenen Hände ergriff, um auf den rettenden Boden der fünften Etage zu klettern. Er hörte Stimmen durcheinanderplappern. Ob der Aufzug stecken geblieben sei. Ob alles in Ordnung sei. Ob er einen Arzt brauche. „Treten Sie zurück. Der arme Mann muss erst einmal wieder zu Atem kommen“, hörte er plötzlich eine seltsam spöttisch klingende Stimme. Er lehnte sitzend gegen die Wand und war gerade dabei, seine Atmung wieder zu normalisieren. Als er jedoch diese Stimme hörte, schoss Colts Blick nach oben. Vor ihm schloss sich gerade wieder ein Kreis von besorgt dreinblickenden Passanten, hinter deren Rücken nun der Besitzer der Stimme in die andere Richtung davon ging. Der Cowboy erhob sich hastig, verlor dabei fast das Gleichgewicht und fand sich sogleich von mehreren vermeidlichen Helfern gestützt. „Seien Sie vorsichtig“, rief ihm jemand von der Seite zu. Er riss sich unsanft los und drängelte sich hinter dem Mann her, der ihm offenbar aus dem Aufzug geholfen hatte und dessen Stimme er unter Tausenden wieder erkannt hätte. Hektisch wanderten seine Augen die Menschenmenge ab, doch er konnte ihn nicht mehr ausmachen. Aber er war da gewesen. Zweifel ausgeschlossen. Mit steigender Unruhe stieß Colt die Leute bei Seite, bahnte sich rücksichtslos den Weg durch die nun störenden Massen von Einkaufslustigen und spulte dabei in seinem Kopf immer wieder den Satz ab, den dieser Kerl gesagt hatte. Dieser Tonfall. Diese Arroganz. „Treten Sie zurück. Der arme Mann muss erst einmal wieder zu Atem kommen“, hallte es hämisch in seinem Kopf. Und plötzlich spürte er den Blick von zwei eisblauen Augen auf sich, die ihn durch die Menge anstarrten. Der Mann, den er verfolgte, hatte sich ihm nur kurz zugewandt, aber es reichte Colt, um ihn trotz der nunmehr schwarzen Haare und zivilen Kleidung zu erkennen. Wie ein Blitz durchfuhr es den Cowboy nun, seine Hand schnellte zur Hüfte, an der sein Blaster baumelte und noch ehe sein Verstand ihm hätte signalisieren können, dass das eine ganz, ganz dämliche Idee war, hatte er gezogen und zielte nun über die geduckten Köpfe der kreischenden Passanten hinweg auf den Mann, der ihm noch vor einer Minute seine helfende Hand gereicht hatte. „Bleib auf der Stelle stehen!“, brüllte Colt drohend und zugleich rasend wütend „Du denkst, du kannst mich täuschen, aber da hast du dich wie immer überschätzt… Jesse!“ Zu seinem Entsetzen warf dieser ihm lediglich ein nachsichtiges Schmunzeln zu, drehte sich dann um und verschwand in einem Laden. Erst als sich drei Sicherheitsmänner - dem Aussehen nach zu Urteilen allesamt gelungene Kreuzungen aus Grizzlybären und Kleiderschränken- Colt näherten und dabei nicht den Eindruck vermittelten, als ob sie ihm auf der Jagd nach diesem verräterischen und längst todgeglaubten Erzschurken Jesse Blue zur Hand gehen wollten, setzte auch sein Verstand wieder ein und signalisierte ihm schlicht und ergreifend: „Lauf!“ Er steckte sein Schießeisen in das Hüftholster und schob sich, jetzt mit noch größerer Vehemenz durch das Einkaufszentrum. Menschen wichen ihm angstvoll aus oder wurden schlicht über den Haufen gerannt. Mit einiger Erleichterung stellte er fest, dass seine Lungen wieder ihre Funktion aufgenommen hatten und seinen erhöhten Sauerstoffbedarf bei dieser etwas lästigen Verfolgungsjagd mühelos decken konnten. Hakenschlagend und den Vorteil seiner Wendigkeit gegen diese Drei-Mann-Stampede ausspielend, gelangte er unbescholten zum Ausgang des Einkaufszentrums, wo er sich erst einmal verfluchte, Jesse aus den Augen verloren zu haben. In einer Stadt wie Yuma-City konnte dieses doppelzüngige Monster ohne weiteres untertauchen. Als Colt - sicherheitshalber einige Umwege nehmend - zu seinem Transportmittel zurückging, ging ihm Jesses Blick nicht mehr aus dem Kopf. Wie konnte es nur sein, dass dieser räudige Verräter überlebt hatte und jetzt wieder hier war? Wieso ging er das Risiko ein, ihm, Colt, direkt zu begegnen? War ihr Zusammentreffen ein Zufall? Eine günstige Gelegenheit für Jesse, ihn lächerlich zu machen? Was hatte diese eiskalte Bestie vor? Colt war gerade bei dem Gedanken angelangt, dem Kavallerieoberkommando sofort Meldung zu machen und dann die Großjagd auf diesen Überläufer auszurufen, als ihm einfiel, dass er sich damit selber in allergrößte Schwierigkeiten begeben würde. Nicht nur hatte er unerlaubt den Stützpunkt verlassen, er hatte auch – wiederholt - ein Fluggerät entwendet, ohne Genehmigung eine geladene Waffe bei sich getragen- was ihm während der Suspendierung nicht erlaubt war- und diese in einem Einkaufszentrum voller Zivillisten gezogen und entsichert, womit er streng genommen fahrlässig Menschenleben gefährdet hatte. Das alleine würde ausreichen, um ihn für eine ziemlich lange Zeit hinter Gitter zu bringen- zusammen mit den noch zur Debatte stehenden Anklagepunkten würde es vermutlich gar dazu führen, dass sie ihn sofort gegen die Wand aufstellten. Eine knappe viertel Stunde später - er war ohne Umschweife zurück zum Hauptquartier geflogen - brachte er den Gleiter im Hangar in Parkposition. Sein kleiner Ausflug war offensichtlich zumindest vorläufig unbemerkt geblieben. Er begab sich zurück zu den Quartieren, wechselte wieder in Zivilkleidung und machte sich, diesmal zu Fuß, auf den Weg Zum Gebäudekomplex R, dem Sitz der Abteilung für Frieden und innere Sicherheit im neuen Grenzland. Eines war sicher. Er musste mit jemandem reden, allerdings brauchte er auch einen verdammt guten Plan, was er sagen sollte und da kamen ihm die zwanzig Minuten Fußweg gerade recht. Als er mit einem unschuldigen Lächeln strahlend an der Empfangsdame vorbei auf das ovale Gebäudezentrum zu schritt, von welchem aus die verschiedenen Flure der hier untergebrachten Abteilungen abgingen, erntete er lediglich einen gespielt tadelnden Blick. Er war schon zahllose Male hier ein- und ausgegangen, stets unbefugt, jedoch wussten die meisten Angestellten, dass er zu Fireball wollte und machten nicht mehr den Fehler, Fragen zu stellen, welchen er ohnehin selbstbewusst und nonchalant auszuweichen vermochte, bis man ihn schließlich und endlich doch immer wieder entnervt durchließ. Sein heutiger Besuch gestaltete sich entsprechend reibungsfrei und es war ihm auch ganz recht, denn er hatte schon genug damit zu tun, sich eine halbwegs plausible Erklärung der Ereignisse jüngster Vergangenheit zurecht zu legen und brauchte nicht auch noch ein enervierendes Zwiegespräch mit irgendeinem übermotivierten jungen Kadetten, der ihn daran hindern wollte, zu Fireballs Arbeitszimmer zu gelangen. Colt musste kurz mitleidig schmunzeln. Arbeitszimmer. Wenn er nur daran dachte, dass Saber und Fireball ihre Tage derzeit in Büros fristeten, in Drehsesseln an Schreibtischen saßen und Videokonferenzen hielten, hätte er sich vor Absurdität am liebsten am ganzen Leib gekratzt. Dass seine Jungs mal Bürohengste werden würden… Er hatte das Geschäftszimmer am Ende des zweiten Gangs von rechts erreicht, die Tür war jedoch verschlossen, weshalb er für einen Moment ersann, höflich anzuklopfen, auf Grund der Vehemenz der Lage sich jedoch dazu durchrang, sofort einzutreten. Fireball stand mit zwei anderen jungen Männern über eine holografische Stadtkarte gebeugt und gab offenbar gerade Erklärungen dazu ab, wo die Sicherheitspatrouillen in Zukunft verstärkt eingesetzt werden sollten, als er zur sich plötzlich öffnenden Tür aufsah, den ungebetenen Gast bemerkte und etwas überrumpelt seine Rede unterbrach. „Colt!“, stellte der Japaner ein wenig überrascht fest, fing sich dann aber und befahl den beiden jungen Männern, die ebenfalls etwas betreten den vermeidlichen Eindringling anstarrten, scharf: „Haltung, Kadetten. Das ist der Befehlshaber der „Marshall Platinum“.“ Die beiden Jungen beeilten sich, förmlich zu salutieren, woraufhin Colt den Gruß mit dem gewohnten, lässigen Antippen seiner Hutkrempe erwiderte. „Was gibt es?“, fragte Fireball und ein leichtes Grinsen huschte über sein Gesicht, als er bemerkte, dass die beiden Kadetten seiner Einheit mit deutlicher Verlegenheit auf den Cowboy und dessen unkonventionelles Verhalten reagierten und sich offenbar nicht so recht zu lassen wussten. „Tag, Matchbox“, begrüßte Colt den Japaner ungeniert vor dessen Kadetten, was diese in nur noch größere Peinlichkeit stürzte, weshalb sie der folgenden Aufforderung Fireballs, sie kurz alleine zu lassen nur allzu gerne nachkamen und in ihrer Erleichterung formlos aus dem Büro stürmten. „Also, was gibt es?“, wiederholte Fireball und hob erwartungsvoll die Augenbrauen. Colt wusste, dass der Kleine in der Regel nichts dagegen hatte, während der Arbeit Besuch von ihm zu bekommen, jedoch sollte dies schon einen triftigen Grund haben, zumal er sich offensichtlich gerade in einer Besprechung befunden hatte. „Ich muss mit dir über etwas reden“, rückte Colt nun mit der Sprache heraus, „Heute ist etwas wirklich Alarmierendes passiert.“ „Alarmierend sagst du?“ Fireball runzelte die Stirn, jedoch konnte Colt nicht sagen, ob er es aus Sorge oder Skepsis heraus tat. Der Cowboy hatte auf dem ganzen Weg hierher immer wieder überlegt, wie er am besten erklären könnte, was er erklären musste, ohne sich damit in Schwierigkeiten zu bringen, aber eine Patentlösung war ihm nicht eingefallen und so suchte er auch nun, ausnahmsweise mal ausgesprochen ratlos, nach den richtigen Worten: „Ja… höchst alarmierend. Ich habe… eher zufällig… also es fing an, heute Morgen, als… wir hatten ja gestern Abend noch… Erinnerst du dich an… Jesse Blue?“ „Natürlich erinnere ich mich an Jesse“, antwortete Fireball finster. „Wie sollte ich diesen schmierigen Verräter vergessen? Was ist mit ihm?“ „Nun, er…“ In Ermangelung einer schlüssigen Antwort, nahm Colt den Hut vom Kopf und kratze sich im Nacken. „Wie du ja weißt, ist Jesse uns in der Schlacht um Alamo mit einer Renegade Einheit auf den Pelz gerückt…“ „…die wir mitsamt diesem doppelgesichtigen Stück Dreck in die Luft gejagt haben“, vollendete Fireball den Satz mit - wie Colt feststellen konnte - einer ungewohnt verächtlichen Genugtuung in der Stimme. Er fragte sich, ob das eher mit der Erinnerung an diese zähe, grausame Schlacht oder mit Jesses offener Leidenschaft für April zusammenhing. „Und das ist der springende Punkt“, beschloss er dann aber, an den Worten des Japaners anzuknüpfen und wollte gerade überleiten zu der maßlos enttäuschenden und zugleich zermürbenden Enthüllung, dass Jesse offenbar ganz und gar nicht so tot war, wie angenommen, als sich eine weibliche Stimme über das Kommunikationssystem meldete: „Commander Hikari? Der Leiter der Polizeihauptstelle von Yuma-City möchte zu Ihnen durchgestellt werden.“ Fireball sah für einen Moment unschlüssig zwischen Colt und der Com hin und her: „Polizeihauptstelle? Was will der denn von mir? Die scheren sich doch sonst einen Dreck um unsere Arbeit.“ Dann bestätigte er mit einem entschuldigenden Blick und einer „Warte kurz“-Handbewegung in Richtung Colt mit lauter Stimme: „Stellen Sie ihn bitte durch!“ Der Cowboy stellte sich betont etwas abseits, um zu signalisieren, dass er Fireball nicht bei der Arbeit zu stören gedachte und tat so, als ob er aus dem großen Panoramafenster schaute, aus welchem man einen wundervollen Blick in einen hübsch angelegten kleinen Innenhof hatte, in welchem sich jedoch zufällig auch der gegenüberliegende Monitor von Fireballs Kommunikationssystem spiegelte, auf dem wiederum gerade der Kopf eines beleibten, schnurrbärtigen Mannes mittleren Alters erschien, der etwas missmutig dreinschaute. „Guten Tag, Mr Hikari. Bitte entschuldigen Sie die Störung. Ich würde mich nicht melden, wenn es nicht wichtig wäre“, begrüßte der Kopf auf dem Monitor Fireball. „Sie stören nicht. Aber bitte, welcher wichtige Anlass führt zu Ihrer unerwarteten Meldung?“, fragte Fireball, der Laufbahn halber gewohnt, bündige Com Gespräche zu führen. „Nun, man sagte mir, Sie seien der Leiter der Abteilung für Fragen der Sicherheit in den Großstädten“, begann der Mann auf dem Bildschirm und wurde kurz von Fireball unterbrochen: „Groß- und Kleinstädte. Wir sorgen praktisch überall für Sicherheit und Stabilität.“ Colt kam nicht umhin, eine gewisse Herablassung in Fireballs sonst sehr höflichem Tonfall zu bemerken. Offenbar war der Kleine durchaus stolz auf das, was er erreicht hatte und trug dies an dieser Stelle recht deutlich nach Außen. „Wie dem auch sei. Wir hatten heute einen kleinen Zwischenfall in der Innenstadt und erhoffen uns Ihre Mitarbeit in den Ermittlungstätigkeiten“, setzte der Leiter der Polizeihauptstelle seine Ausführungen fort, nun seinerseits etwas reserviert. „Um was für einen Zwischenfall handelt es sich?“, hakte Fireball nach, und ohne hinzuschauen wusste Colt genau, dass der Japaner nun seinen Standardgesichtsausdruck für solche Situationen aufgesetzt hatte: Geschäftsmäßig besorgte Aufmerksamkeit. „Ein offenbar geisteskranker Mann hat heute am frühen Mittag im Sunset-Shore Einkaufszentrum eine Waffe gezogen und auf Zivillisten gezielt. Anschließend hat er sich eine wilde Verfolgungsjagd zu Fuß mit dem Sicherheitspersonal des Einkaufzentrums geliefert, ist allerdings entkommen. Verletzt wurde zum Glück niemand, aber einige traumatisierte Passanten mussten kurzzeitig in ärztliche Behandlung.“ Als Colt diese Erläuterungen vernahm, erstarrte er augenblicklich und spürte, wie ihm plötzlich ganz unnatürlich warm wurde. „Das ist natürlich schrecklich“, hörte er Fireball durch den plötzlich immens lauten Pulsschlag in seinem Kopf hindurch sagen. „Aber ich verstehe nicht, wieso Sie das Kavallerieoberkommando damit betrauen. Das ist doch wirklich eher Sache der örtlichen Behörden.“ „Ja, in der Regel sicherlich“, antwortete der Mann von der Polizei gedehnt und Colt fing innerlich an, den Countdown runterzuzählen, bis die Bombe hochging, „Allerdings trug der Mann laut Augenzeugenberichten einen Schutzanzug, wie es sie nur beim Kavallerieoberkommando gibt.“ Der Cowboy wagte einen Blick über die Schulter und bekam so gerade noch mit, wie Fireball kurzzeitig aber heftig die Gesichtszüge entgleisten, bevor er sich wieder in den Griff bekam und äußerst knapp antwortete: „In diesem Fall werden wir uns natürlich an den Ermittlungen beteiligen. Bitte halten Sie mich auf dem Laufenden. Ich werde meinerseits sogleich unsere Abteilung für innere Angelegenheiten kontaktieren.“ „Ich danke Ihnen für die Zusammenarbeit, Mr Hikari. Auf Wiedersehen“, erklang die Stimme des Polizisten noch in Leitung, wobei das Bild auf dem Monitor schon abgeschaltet war. „Wiedersehen“, murmelte Fireball nachdenklich. Colt stand weiterhin stoisch mit dem Gesicht zum Fenster und stierte hinaus auf ein kleines japanisches Zierahornbäumchen, an dessen spärlich belaubten Ästen der kalte Wind zerrte. Was sollte er bloß tun? Ausgeschlossen, Fireball jetzt noch in die Mitwisserschaft zu ziehen. Viel zu hoch lastete die Verantwortung auf ihm, als Leiter der Abteilung, nach diesem Anruf. „Unglaublich ist das! Diese unzivilisierten Ferkel!“, hörte er den Japaner nun fluchen und drehte sich langsam um. „Bitte was?“, fragte er und gab sich Mühe, unschuldig zu klingen. Sofern der Kleine den Braten noch nicht gerochen hatte, musste er ihm keinen Anlass geben, die Nase in die Luft zu halten. „Hast du das mitbekommen? Offensichtlich hat sich ein Kadett einen Spaß daraus gemacht, in Yuma-City in einem riesigen Einkaufzentrum mit einem Blaster herumzuwedeln! Kannst du das glauben?“ Kopfschüttelnd warf sich Fireball in seinen Drehsessel, der daraufhin mit ihm ein ganzes Stück nach hinten rollte. „Das ist ja wohl ein Skandal…“, bestätigte Colt halbherzig und fügte etwas zögerlich an, „…ist das ja wohl.“ „Diesen vorherrschenden Frieden haben wir uns verdammt hart erarbeitetet. Die Zivilbevölkerung von Yuma hat lange, entbehrungsreiche Jahre hinter sich. Und jetzt kommt irgend so eine Rotznase daher und findet es offenbar saukomisch, den Leuten einen derartigen Schrecken einzujagen“, echauffierte der Rennfahrer sich weiter. „Beruhig dich, Matchbox. Vielleicht…“ Colt überlegte, ob es so eine gute Idee war, die Sache zu kommentieren, entschied sich aber dafür, um seine scheinbar unbeteiligte Position ein wenig zu untermauern. „Vielleicht hatte der Bursche ja auch einen triftigen Grund, die Waffe zu ziehen, weil er irgendwo Ärger ausgemacht hat.“ Den Blick, den Fireball ihm nun zuwarf, kannte Colt schon sehr lange und sehr gut. Seit er sich an seinen Kameraden erinnern konnte, hatte er diesen speziellen Blick nur für ihn, Colt, reserviert, wenn er der Meinung gewesen war, dass der Cowboy mal wieder etwas unsagbar Dummes oder Unverantwortliches gesagt oder getan hatte. In der Regel war Colt noch jedes Mal darauf eingestiegen und hatte dem Kleinen daraufhin Contra gegeben, woraus dann zumeist eine hitzige Debatte, scharf am Rande einer tätlichen Rangelei, resultiert war, die auch nur durch ein mahnendes Wort seitens Saber Rider beendet werden konnte. Diesmal jedoch zuckte Colt nur ratlos mit den Schultern. „Es gibt keinen triftigen Grund, in Zeiten des Friedens, in einem Kaufhaus voller Zivilisten eine Waffe zu ziehen“, stellte Fireball klar. „Und was wirst du jetzt tun?“, fragte Colt und versuchte mühevoll, es beiläufig klingen zu lassen. „Ich werde ein eigenes Ermittlerteam abstellen und die Abteilung für innere Angelegenheiten informieren. Sofern es einer von unseren Jungs war, kriegen wir ihn dran.“ Fireball rollte sich wieder zu seinem Schreibtisch zurück und wollte gerade schon wieder eine Verbindung über das Kommunikationssystem herstellen, als ihm offenbar einfiel, dass der Cowboy ihn aus einem ganz anderen Grund aufgesucht hatte. Er rieb sich kurz seufzend die Augen mit Daumen und Mittelfinger der linken Hand und sah dann Colt an: „Entschuldige. Wir sind durch diesen unerfreulichen Zwischenfall unterbrochen worden. Was wolltest du mir gleich erzählen?“ Colt musste schlucken und hoffte inständig, dass er sich ein weiteres Mal auf seine Laienschauspielkunst verlassen konnte: „Ach, eigentlich hat es Zeit. Du hast jetzt Wichtigeres zu tun.“ „Du sprachst von höchst alarmierend, Colt“, erinnerte Fireball ihn stirnrunzelnd. „Ach so. Ach das. Das war nur so dahin gesagt. Du kennst mich. Ich neige zu Dramatisierungen.“ Er versuchte sich an einem scherzhaften Lachen und versagte kläglich. „Colt. Raus damit.“ „Ich, also…“ Er merkte, dass er auf den Fußballen wippte und befahl seinem mittlerweile etwas hibbeligen Füßen, still zu halten, „Ich… es war wirklich nicht so… um ehrlich zu sein, habe ich eigentlich eher nur… ich meine… Ich habe… mit April telefoniert.“ Colt kam nicht umhin, das kurze Zusammenzucken seines Gegenübers zu bemerken, als er den Namen „April“ aussprach. „Aha. So. Und was hat sie so gesagt?“, fragte Fireball und versuchte nun seinerseits vergeblich, möglichst beiläufig zu klingen. „Eigentlich nichts. Aber ich halte dich auch auf.“ Colt hatte beschlossen, ein schnellstmöglicher Abgang war die einzige noch denkbare Rettung aus dieser Situation. „Eigentlich?“ Fireball stand von seinem Sessel auf, als er sah, dass Colt sich zum Gehen wenden wollte. „Wieso eigentlich? Wieso kommst du her, um mir von deinem Telefonat mit April zu erzählen?“ Colt sah das Gesicht des Japaners um ganze Farbpaletten blasser werden, als ihm plötzlich einzufallen schien: „Und was hat Jesse Blue damit zu tun?“ „Jesse Blue?“, fragte Colt, um Zeit zu schinden. „Du hast eben von Jesse Blue geredet!“, erinnerte Fireball ihn und zwar mit einer Tonlage, die sich der Grenze zur Hysterie in ausladenden Schritten näherte. „Ich hab was? Nein. Ich meine, ja, aber das hat damit nichts zu tun. Ich muss jetzt auch los. Wir sehen uns ja dann…“ Colt brach der kalte Schweiß aus, als er daran dachte, dass er sich ja dummerweise mit Fireball eine Wohnung teilte. „…heute Abend.“ „Moment!“, rief Fireball ihm hinterher, als der Cowboy nun eilig zur Tür des Büros schritt, „Was hat April über Jesse Blue gesagt? Und wo musst du denn so dringend hin? Du bist doch temporär…“ Das „…suspendiert!“ hörte Colt schon nicht mehr, da er die Tür hastig hinter sich zugeworfen hatte und nun auf dem schnellsten Weg nach draußen war. Jetzt steckte er erst recht in der Klemme. Warum konnte er auch nicht ein bisschen schneller denken, als er redete? Verflucht. Nun nahm Fireball natürlich an, April hätte irgendetwas über Jesse Blue gesagt und drehte entsprechend völlig am Rad. Den ganzen Abend und vermutlich die ganze Nacht würde der Kleine jetzt, von Eifersuchtsattacken geritten, durch die Wohnung tigern und sich mit klassischer Musik von „Death Cab for Cutie“ und Dergleichen zudröhnen. Schlimmstenfalls würde er sich in seine Rennkiste schmeißen und nach Yuma-City düsen, um dort wieder, wie ein Gestörter, vor Aprils Apartmentblock zu patrouillieren. Jetzt brauchte der Cowboy eine gute Erklärung. Außerdem hatte er das Gefühl, er sollte April in der Tat einmal anrufen. Und das, obwohl er doch gerade nun wirklich genug Ärger am Hals hatte. 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