Boy's night out von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 1: Wednesday ends any minute now ---------------------------------------- Ich saß da, im Taxi. Meine Gedanken überschlugen sich. Eine leichte Übelkeit in meinem Magen hatte sich an diese gottverdammte Grippe geklebt , die ich vor ein paar Stunden noch überschwänglich für einen Tumor gehalten hatte. Tatsächlich war es nur mein Immunsystem, das vermutlich etwa die Kraft eines Kolibri hatte. Eines Kolibri, der im Krieg beide Flügel und den Schnabel verloren hatte. Durch irgendetwas in diesem Moment verlor ich schlagartig mein vorheriges, neuerdings so permanentes Selbstbewusstsein- Ich sah mich, fühlte mich nackt. Der Taxifahrer nehmen mir hatte den Anstand, den Taxometer erst nach der Kurve anzustellen. Vermutlich spielte ein wenig Mitleid rein, vielleicht dachte er, ich würde nur bei Freunden unterkommen und müsste mit meinem letzten Geld schnell von A nach B um überhaupt noch einen Schlafplatz zu ergattern. Vielleicht hielt er mich auch für betrunken, verkatert, einen Junkie. Ich konnte das nicht genau sagen. Ich hatte mir fest vorgenommen, dass das mein letztes Taxi dieses Jahr sein würde. Und auch nächstes, nach Möglichkeit. Das wenige Geld, das ich besaß, hatte ich in der Periode, in der mir mein zweites Fahrrad gestohlen wurde, ziemlich Grund meiner akuten Faulheit aus dem Fenster geschmissen. Taxi hin, Taxi her, und zwischendurch Taxi zur Bank- Mein Konto war selten im Plus. Das verdammte Arbeitslosengeld kam nicht immer pünktlich, das Kindergeld erst am 18. Dies war ein Dilemma, denn ich neigte dazu, furchtbar schlecht hauszuhalten und viel zu viel zu teilen- Vorallem meine Kippen, von denen ich neuerdings eine Schachtel am Tag rauchte. Mit dem Stress stieg mein Konsum, und der Stress stieg mit dem Alter, jeden Tag ein bisschen. Ich kann nicht behaupten, ihn letztendlich nicht genossen zu haben, denn dieser Stress kam nebst meinen Bemühungen um einen Studienplatz, einen letzten Anhaltspunkt meiner langsam verrottenden Ambitionen, auch von den Pflichten, die ich mir selber auferlegte- Raus gehen, Leute treffen, Leuten helfen, Mist machen. Letzteres hatte einen besonders hohen Stellenwert eingenommen. Ich konnte das Wochenende nicht abwarten, dabei war es gerade mal Mittwoch und ich hatte die wiederholten Anrufe meiner Eltern schlicht ignoriert und sie mit Ausreden abgespeist. Meine Mutter dachte, wusste eher, dass ich inzwischen Erfahrungen hinter mir hatte, die sie mir als kleiner Junge nie zugetraut hätte, ergo, bis ich mit 17 ausziehen sollte. Aber seit ich alleine war und einen Crashkurs in Eigenständigkeit und dem ganzen Ausmaß des Lebens bekam hatte sich ohnehin viel geändert. Die Straße vor dem Fenster änderte sich nicht. Es ging geradeaus abwärts. Die Strecke war weit, aber nicht zu weit. Nichts, was man nicht in vielleicht 20 Minuten mit dem Rad hinter sich bringen könnte. Wäre ich mit dem Rad losgefahren. Ich bereute meine Tagesplanung und den Besuch bei Hotshot, so kurz er auch gewesen sein mag. In der Zeit, in der ich versuchte, Ausreden für eine Zigarettenpause zu finden, betete er einige Straightedge-Wahlsprüche wie ein Manifest herunter. Die Diskussionen mit ihm waren spröde geworden, seine Punkte waren in einem Karussell aus Halbinformationen verteilt und drehten sich immerzu im Kreis. Ich hasste den Jungen. Mit Sicherheit waren wir noch enge Freunde, und mit Sicherheit genoss ich die oldschool-Odyssey auf seinem Gamecube. Die ganze Leier erinnerte mich an die Schulzeit, in der wir quasi unzertrennlich waren. Aber Hots hatte lange keine Ahnung von meinem Leben mehr. In diesem Moment war ich mir nichtmal sicher, ob ich sie hatte. Ich zog meinen Schal über den Mund. Kratzig, auf den Geschmack von Pappe treffend, meine Lippen abscheuernd. Aber das war okay. Ich wollte nicht, dass man meinen furchtbar neutralen, vermutlich unterschwellig bemitleidenswerten Ausdruck wirklich erkennen konnte. Ich wollte keine Fragen, bloß nach Hause. Die Fahrt schien mir ewig, meine Jacke zu eng, mich fast erstickend. Ihre Signalfarben schienen jeden Fehler an meinem Körper zu betonen- Mein ganzes Äußeres schien nur da, um eine Neonreklame für meine Fehlschläge zu sein. Langsam versank ich im Beifahrersitz. Donnerstag, morgen würde Donnerstag sein. Das war ein Tag vor Freitag. Ein Tag, bevor mein Leben wieder losgehen würde. Mein Leben, das weder Hotshot noch meine Eltern mehr kannten, das ganz privat für mich und alle Beteiligten sein sollte. Kapitel 2: Cocotte ------------------ Jonas, Furby und Melvin stritten sich um die Lautstärke der Anlage. Während Jonas fest davon überzeugt war, dass der Subwoofer hochgedreht werden müsse, hatte Furby einen halben Panikanfall der Nachbarn wegen. Er saß auf dem Bett, Angstschweiß als stände er der russischen Armee gegenüber, und gestikulierte wild in Richtung von Jonas, der ihn mit einem brennenden Hass in den Augen aus seiner ungemütlichen Lage unter dem Schreibtisch anstarrte. Der Joint in Furbys Hand war fast runtergebrannt, was Melvin ziemlich außer Fassung brachte. Er versuchte sicherlich zum vierten Mal, das Teil aus Furbs Hand zu nehmen, scheiterte aber an den permanenten Bewegungen des nervösen Bolzen auf der Bettkante. „Alter, wenn du das Teil zu laut drehst werden die klingeln. Die kommen rüber, ich sag’s dir, und dann sitzen wir in der Scheiße.“ Mel und ich waren zum Vortrinken in die WG gefahren. Das Wetter war ein echtes Arschloch. Der Wind schnitt einem entweder die Luft ab oder nahm seine ganze Kraft zusammen, um einen vor den nächstbesten PKW zu schmeißen. Es war ein halbstündiger Kampf durch den kleinstädtigen Pseudoreihenhauscharme, den man sich hätte sparen können. Diese Stadt kotze mich an, aber ich steckte hier fest. Meine größte Hoffnung war, nicht in meiner eigenen Kotze zu ertrinken, bevor ich die ganzen Mappen und den Dreck für die Uni irgendwann mal fertig hätte. Theoretisch hätte ich abhauen können, aber fuck, nein, ich hatte echt keine Lust auf den Stress mit dem Amt und eine Jobsuche, nur um noch weniger gebacken zu bekommen. Es hieß erstmal absitzen und entspannen. Kaum waren wir drinnen, bemerkten wir, dass nicht mal alle unserer Mitstreiter für den Abend da waren. Es war inzwischen halb zehn und weder Natasha, Zorg oder Freddi ließen auch nur ein Lebenszeichen erkennen. Mel starrte alle paar Minuten auf sein Handy während er sich zusammennahm um Furby keine reinzuhauen. Ich bewunderte seine Zurückhaltung. „Ja, schön, als würden die hier extra ankommen. Es ist nicht mal irgendwie spät und gottverdammtes Wochenende. Schieb hier mal keine Panik.“ Der Ton in Jonas Stimme hatte eine Wut in sich, die für ihn selten war. Er war eigentlich eher der gechillte Typ, ruhig in jeder Situation, in jeder Lebenslage, bei jedem Wetter. Langsam begannen allerdings Wodka und Speed aus ihm zu sprechen und verdüsterten seinen Ton in einem bedrohlichen Zittern. „Ich mein, ganz ernst, wer von uns beiden wohnt hier? Du oder ich?“ Furb hielt seinen Mund. Das war die Gelegenheit für Mel, endlich den Joint an sich zu reißen- Nur um zu sehen, dass er vor etwa einer Minute gestorben war. Das Leben ist Schmerz, nicht? Man kann nicht immer haben, was man will. Mein Grinsen in Mels Richtung war genau so gemeint, wie er es nahm, und seinen wunderschönen Mittelfinger erwiderte ich mit einem Luftkuss. Die angespannte Laune passte mir gerade ziemlich gut. Der ganze Tag hatte mich schon angenervt, und wenn das so weitergehen würde, könnte ich einfach irgendwen anmaulen, ohne dass irgendwer irgendwelche bescheuerten Fragen stellen würde. Bevor Melvin irgendwann spät nachmittags unangemeldet mit einer Flasche Rum vor meiner Tür stand und mit einem breiten Grinsen verkündete, dass ich meinen Messias begrüßen solle, da er meine Woche rette, musste ich mich mit permanenten Anrufen meiner Mutter rumschlagen. Ich hatte sie am Tag vorher ignoriert, das Handy irgendwann auf lautlos gestellt, und lag einfach auf dem Bett, die Neuentdeckung meines alten Gameboys feiernd. „Oracle of Ages“ hatte definitiv ‚nen höheren Stellenwert als sie. Dafür hatte sie mich an diesem Freitag respektive so sehr mit Anrufen genervt, dass ich dachte, das Dreckstelephon würde explodieren (und ich wär‘s endlich los). Letztlich hieß es abnehmen, damit Ruhe ist- Und damit sie nicht denken würde, ich würde halbtot irgendwo in der Ecke liegen und sie müsse mich retten. Sie würde definitiv die Fahrt auf sich nehmen, um zu sehen, ob ich noch lebe. Würde ich nicht aufmachen, würde sie die Polizei rufen. Und das wäre schlecht. Würde ich sie rein lassen, hätte ich sie einige Stunden am Hals. Stunden, die sie damit verbringen würde, mir die Ohren darüber vollzuheulen, wie’s bei mir aussah. Meine Mutter hatte irgendeinen nervigen Wahn mit Ordnung. Meine Wohnung war nicht gerade die Ordentlichste im Land, okay, der Abwasch lag seit zwei Wochen unangerührt in der Spüle, aber wenn man auf sie hörte, war ich der König aller Messis. Und irgendwann, irgendwann ist der Stolz eben verletzt. Das kommt nicht von ungefähr, ja? Man hat seine Prioritäten. Und vor der ganzen Familie abends unter Garantie als Schimmelprinz von Abfuckhausen dargestellt zu werden war doch massiv uncool. Am Telephon selber hatte sie nichts Besseres zu tun, als mir lustige Anekdoten über ihren Hund und die Weihnachtsdekoration detailverliebt zu erzählen. Jeder normale Mensch würde den Hörer aus der Hand legen, vielleicht irgendwann mal auf Lautsprecher drücken, um ein unglaublich interessiertes „Hmm“ von sich hören zu lassen, aber irgendwie hatte ich die wahnsinnige Idee, zu versuchen, sie abzuwürgen. Aber niemand konnte den Juggernaut stoppen, ohne Opfer zu machen. Mein Opfer- Fragen über mein Leben. Der schlimmste Part am ganzen Mist. Was soll man seiner Mutter schon sagen? Ja, ich bin heute Abend mit den Jungs unterwegs, wir wollten ein paar Trips einwerfen und sehen, ob wir’s mit dem Zug noch zur nächsten größeren Party schaffen? Nein Mum, ich hab‘ mir keinen Job gesucht und war nicht auf der Homepage der Uni, das hat noch Zeit? Fuck nein. Hier hieß es kreativ werden und mit irgendwelchem Mist abspeisen, den man gerade in Petto hatte. Mein Problem – Mein Bunker an Ausreden war reichlich erschöpft. Und „Ich mach‘ grad‘ nichts Besonderes“ hieß entweder, dass sie kaum ‚ne Stunde später vor der Tür stehen oder mich mit passiven Aggressionen überschwemmen würde. Und darauf hatte ich echt keine Lust. Melvins Klingeln war echt gottgegeben. Der ganze Abend war echt gottgegeben, eine Erleuchtung. Ich hatte mich schon darauf eingestellt, zu irgendwem rüber zu fahren, mich mittelmäßig zu bekiffen, vielleicht eine Line zu ziehen, wenn jemand etwas da hatte, und dabei stundenlang über die Bedeutung von Kampfrobotern im modernen Kino zu reden. Mein Wochenende war gerettet worden, von einem Spacken mit langen Haaren, der bei minus zwei Grad noch ohne Jacke durch die Gegend tollte. In diesem Moment liebte ich Melvin mehr als jeden anderen. Und wie endete das? Wir waren nicht mal am Bahnhof. Wir warteten im Kollektiv darauf, dass die drei Musketiere ihren Arsch in die WG bewegen würden. Natasha hatte das Geld für Jonas und Furby, Zorg wollte Zeug besorgen, und ohne Freddi gingen die beiden nirgends hin. Wir saßen in Jonas Zimmer und warteten, bis wir uns selber auffressen würden. Bis der erste schon auf’s Klo rennen und kotzen würde. Wir hatten einfach keine Ahnung. Furb zog sein Handy aus dem Bündel, das er auf dem Fußboden hinterlassen hatte, und hantierte damit herum, als würde das irgendeinen Unterschied machen. Er schrieb vermutlich die zehnte SMS an Zorg, vermutlich die vierte, die überhaupt geöffnet werden würde. Seine Hoffnung war wohl, dass graduelle Zeitabstände die Wahrscheinlichkeit einer Antwort exponentiell erhöhen würden. Jonas bekam seinen Willen und drehte den Subwoofer auf. Der Didgeridoo-Bass machte das Sprechen kaum möglich. Kein Arsch verstand den anderen. Die Laune entspannte sich merklich. Die meiste Kommunikation basierte nun auf Nicken, Handzeichen und in sich gebrabbelten Sätzen, von denen man selber nicht erwartete, dass irgendwer eine Ahnung hätte, was ihr Inhalt war. Man sprach einfach in die Musik hinein, damit es nicht so gottverdammt still wäre. Jonas war zufrieden, und man konnte ihm das unschwer an seinem breiten, schmierigen Grinsen ansehen. Er hatte seine Position auf dem Schreibtischstuhl gerade wieder eingenommen und damit die absolute Macht im Raum- Die über winamp. Niemand würde sich jetzt mit ihm anlegen, aus der reinen Angst heraus, dass er als gekonnten Burn die Cardigans einschalten würde. Und darauf hatte niemand Lust, dafür war es einfach nicht der Abend. Es war eher ein Abend für treibenden Bass, der einen beim nächsten Klingeln aus der Wohnung heraus auf die Straße beben würde. Alle wussten das, alle dachten an das Selbe, alle waren gottverdammt angespannt. Ich hab‘ die Theorie, dass Situationen wie diese für irgendeinen Besucher immer total entspannt aussehen mussten. Ein paar Leute saßen aufeinander, schenkten sich gegenseitig Drinks ein (oder warfen die Flaschen quer durch den Raum, je nachdem, wie teuer der Dreck war) und unterhielten sich kaum hörbar bei lauter Musik. Ein paar Lacher hier und da, hin und wieder ging mal einer auf’s Klo oder begann irgendwas zu machen, ein Blatt Papier und einen Stift nehmen und irgendeinen Schund zeichnen, der am nächsten Tag irgendwo unterm Bett liegt. Wir simulierten eine totale, freundschaftliche Entspannung, während wir am liebsten den anderen an den Hals gegangen wären. In Wirklichkeit warteten wir darauf, dass die verschiedenen Wirkungen von was auch immer gerade da war einsetzen würden, warteten auf die paar Leute, die immer zu spät waren. Es war die Ruhe vor dem Sturm, nichts weiter. Der Part vom Abend, den man am schnellsten vergessen würde. Sein einziges Ziel war es, fertig genug zu werden, um den Rest der Nacht zu überstehen. Man wollte nicht nüchtern irgendwo auflaufen; In dieser Stadt aus Idioten und gescheiterten Wunderkindern wäre das fatal. Wenn es eine Sache gab, die man einer toten Stadt nachsagen konnte, dann war die wohl, dass ihre Leute ein kompaktes Gruselkabinett der Depressionen darstellten, und man selber nicht mehr konnte, als sich zum Star der Show zu machen, bis man irgendwann abhaute. Fickt die Depression, fickt die Verzweiflung. Wir alle waren verzweifelt. Wir hatten nur keine Lust, es groß raushängen zu lassen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)