Bloody Twins von SlytherinPrincess ================================================================================ Kapitel 1: Kapitel 1 -------------------- Desmond “FLORA! DESMOND! KOMMT SOFORT HER!” Die kraftvolle, strenge und wütende Stimme unseres Vaters schallt durch das ganze Haus. Flora und ich zucken zusammen. Eigentlich sind wir nicht wirklich erpicht darauf, jetzt zu Vater zu gehen, aber uns bleibt nichts anderes übrig, wenn er nicht noch wütender werden soll, als er es bereits ist. “Sollen wir es hinter uns bringen?”, frage ich leise und Flora nickt nur zustimmend. Eigentlich ist unser Vater der beste, den man als Vampir nur haben kann, aber wenn er wütend wird... Noch einmal tief einatmend gehen wir die Treppen hinab in Vaters Arbeitszimmer. Leise klopft Flora an die schwere Eichentür und nur Sekunden später hören wir das “Herein” unseres Vaters. Er steht am Fenster, mit dem Rücken zu uns und beachtet uns nicht. Rasch treten wir vor seinen Schreibtisch und stehen schließlich mit gesenkten Köpfen vor diesem. Äußerlich ist Vater völlig ruhig, doch Flora und ich wissen, dass er nur so kocht vor Wut. Endlose Minuten lässt er uns vor dem Schreibtisch stehen, bevor er sich zu uns umwendet. Wutentbrannt knallt er die Tageszeitung auf den Tisch. “Was bei Chranas Eingeweiden habt ihr euch dabei gedacht?!” Ich werfe einen kurzen Blick auf die Tageszeitung, die vor uns auf dem Tisch liegt. Das Titelbild zeigt einige blutleere, massakrierte Leichen, welche alle eine eingeritzte schwarze Rose auf der Stirn tragen. Darüber der Titel “Hören diese grausamen Morde denn nie auf?!” “Wegen euch beiden dürfen wir nun wieder die Stadt verlassen! Das ist der vierte Umzug in einem halben Jahr! Und alles nur, weil ihr euch nicht zurückhalten könnt! Ich habe euch tausendmal gesagt, wie wichtig es ist, dass die Menschen nichts von uns erfahren und ihr riskiert leichtfertig das meistgehütete Geheimnis unserer Art!” Während Vater uns anschreit, sagen wir kein Wort. Die Köpfe weiterhin gesenkt, lassen wir die ganze Predigt über uns ergehen. “Ich sage euch eins. Sollte so etwas noch ein einziges Mal vorkommen, werde ich euch höchstpersönlich auf der Vampire Academy in Transsylvanien anmelden!" Bei seinen letzten Worten schießen unsere Köpfe nach oben. Die Vampire Academy ist das strengste Vampirinternat überhaupt. “Vater... das... das könnt Ihr doch nicht machen...”, stammel ich. “Und ob ich das kann und das werde ich, wenn so etwas noch einmal vorkommt!” Flora Desmond und ich stehen wie angewurzelt vor unserem Vater. Keiner sagt ein Wort, bis Vater plötzlich schreit: „Was steht ihr dort so blöd rum? Mit so etwas habt ihr wohl nicht gerechnet! Geht mir sofort aus den Augen! Sonst überlege ich mir das mit dem Internat noch einmal und schicke euch sofort dahin!“ Wie Roboter drehen Desmond und ich uns schlagartig um, und verlassen das Zimmer unseres Vaters. Als wir sprachlos über den Flur hinauf zu unserem „kleinen“ Reich laufen, bleibt Desmond plötzlich mit seinem Arm an der Vitrine mit der Lieblingsvase unseres Vaters hängen. Im nächsten Moment, als wir uns geschockt umdrehen, sehen wir nur noch in Zeitlupe, wie die Vitrine sich langsam zu neigen beginnt und die Vase mit ihr in tausend einzelne Stücke zerbricht. Wie gelähmt stehen wir vor den Scherben und obwohl dies ein Stockwerk über dem Arbeitszimmer unseres Vaters passiert, vergeht nicht mal eine gefühlte Sekunde bis er schließlich wutentbrannt hinter uns steht. „Was fällt euch eigentlich ein? Reicht es euch nicht, dass die ganze Stadt hinter euch her ist? Und ihr eurer Familie so viel Schande bereitet? Müsst ihr auch noch unser teuerstes Familienschmuckstück aus Wut zerstören?“ Desmond ganz vorsichtig: „Aber...“ Doch bevor er seinen Satz überhaupt beginnen konnte schellt Vaters Hand auch schon in seinem Gesicht. Wir wissen, dass es nun kein zurück mehr gibt. Und uns die schlimmste Gewalttat unseres Vaters bevor steht. Er holt immer wieder mit seiner blanken Faust zu neuen Schlägen aus und auch vor mir macht er nicht halt. Es interessiert ihn nicht, dass ich die Vase nicht zerschlagen habe und es nur ein Versehen von Desmond war. Aber das sind wir beide gewohnt. Aber heute ist es schlimmer als sonst, zum allerersten mal setzt unser Vater nicht nur seine eigenen Hände ein, sondern greift zu seinem Gehstock. Immer wieder schlägt er mit diesem auf uns ein, bis wir beide wimmernd und zusammen gekauert auf dem Boden liegen. „Aah...Hör auf! Bitte!“ schluchze ich. „Das war doch nicht mit Absicht!", versucht es Desmond. Aber gegen die laute Stimme unseres Vaters kommt er nicht an. „Und genaus so wenig war es ein Versehen, dass ihr die Menschen in unserer Stadt wieder einmal massakriert habt! Stimmt es?“ „Nein Vater, gewiss nicht!“ schluchzen wir beide zur gleichen Zeit. „Ach, geht mir aus den Augen! Wer weiß, was ich sonst noch mit euch anstelle!“, schreit er. Obwohl uns sämtliche Knochen weh tun, stehen wir beide blitzschnell auf und schreiten in unsere beiden Zimmer, die nur durch eine Tür von einander getrennt sind. Völlig erschöpft breche ich hinter der geschlossenen Tür zusammen. So etwas extremes habe ich noch nie erlebt. Desmond stürmt sofort zu mir und kniet sich neben mich, obwohl er deutlich mehr Schläge abbekommen hat. Ich zittere am ganzen Leib und einzelne Tränen laufen mir über das Gesicht. „Hey meine kleine Fledermaus, nicht weinen!“, versucht er mich zu trösten und nimmt mich in den Arm. Ich kann meine Tränen nicht mehr zurück halten, obwohl es eigentlich nicht meine Art ist. Einige Minuten des Schweigens vergehen, bis ich mich endlich dazu aufrappeln kann, etwas zu sagen. „Glaubst du, er meint es ernst mit dem Internat?“, quäle ich aus meinem Mund hervor. „Ich weiß es leider nicht. So habe ich ihn auch noch nie erlebt. Es kann schon sein, dass wir es diesmal zu weit getrieben haben. Schließlich steht für Vater viel auf dem Spiel.“ „Du meinst seinen bescheuerten Beruf? Weshalb er kaum noch Zeit für uns hat?“, sage ich immer noch mit den Tränen am kämpfen. „Ja, genau, leider. Ich weiß nicht, was seine Kollegen mit ihm anstellen würden, wenn diese erfahren, dass seine eigenen Kinder hinter den brutalen Morden stecken. Geschweige denn, was sie mit uns anstellen. Gerade als Leiter der Abteilung für die Sicherheit unserer Art und somit zur Geheimhaltung unserer Spezies muss er ein Vorbild sein, genau wie seine gesamte Familie.“, versucht Desmond in einem ruhigen Ton zu erklären, obwohl ich genau weiß, dass er bei diesem Thema vor Wut kocht. Wie konnten sich die Vampire nur damals vor einigen Jahre so einschüchtern lassen? Wieso wehren sie sich nicht? Wir sind doch viel stärker als die Gewöhnlichen! Und auch gar nicht auf diese angewiesen!! Wieso? „Wie kannst du bei diesem Thema nur so ruhig bleiben, tut es dir etwa leid, was wir getan haben?“, schreie ich ihn an. „Nein! Auf gar keinen Fall! Egal, was nun auf uns zukommen mag, wir werden weiter machen!“, sagt er voller Überzeugung, so wie ich ihn kenne. „Versprochen?“ „Ja, versprochen! Wir werden weiter machen und unsere Art rächen. Man wird bestimmt noch viel von uns hören. Und ein weiterer Umzug oder ein Internat werden uns dabei auf keinen Fall aufhalten!“, sagt er mit dem mir bestens bekannten Schimmer in seinen smaragd-grünen Augen. „Aber das Internat ist das schrecklichste was uns passieren kann...“, doch bevor ich meinen Satz zu Ende bringen kann fällt Desmond mir ins Wort. „Aber das steht doch noch nicht einmal fest. Vater ist zwar momentan stinksauer auf uns, aber wir sind doch immer noch seine beiden Schätze, die er, wie er es doch immer sagt, niemals hergeben würde und immer an seiner Seite haben möchte.“ „Hoffentlich hast du Recht!“, sag ich mit zaghafter Stimme. „Bestimmt, wir kennen ihn doch jetzt schon ziemlich lange. Mach dir keine Sorgen. Das wird schon alles wieder. Morgen sieht die Welt schon wieder ganz anders aus. Leg dich einfach ein wenig hin und versuche zu schlafen, schließlich haben wir es schon zwölf Uhr Mittag!“, bei diesem Satz streichelt er mir liebevoll durchs Haar und hilft mir aufzustehen. „Ok, ich werde versuchen etwas zu schlafen. Bis heute Abend!“, mit diesen Worten verlasse ich Desmonds Zimmer und lasse mich in meinen eigenen Sarg fallen. Aber ich bin noch viel zu aufgewühlt, um zu schlafen. Daher nehme ich das tägliche Vampir-Journal zur Hand und fange an ein wenig zu lesen... Ach man, hier steht doch auch nur Schrott drin. „Lucio S. jetzt für immer eine Fledermaus?...schafft es nicht mehr sich daran zu erinnern, wie er sich zurück verwandeln kann...Vampir-Politiker fordert nun Verwandlungsverbote für über 5000 jährige!!“ „Amalia K. Hat nun ihren 25. Doktortitel in der Hand“ Ich glaub, dass wird nicht mehr besser... Doch plötzlich entdecke ich doch noch etwas interessantes! Ein Artikel über die Vampir-Academy in Transsylvanien. „Ist die Vampir-Academy noch sicher? Schon seit langen nehmen die Angriffe der Werwölfe auf Vampire in Transsylvanien zu. Und nicht nur unsere geheimen Regierungsgebäude stehen in der Schusslinie. Auch die Bildungsgebäude geraten immer mehr in den Hinterhalt... Alleine in den letzten zwei Wochen gab es drei Angriffe auf das Eliteinternat! Vampir-Politiker diskutieren nun, ob die Vampir-Academy geschlossen werden soll. „Man muss unsere Elite schützen“, fordert nicht nur der Vampirvorstand, sondern auch die besorgten Eltern! Steht die Vampir-Academy nun vorerst vor dem aus? Dies ist wohl momentan die häufigste Frage, die in diesen Tagen behandelt wird. Wir sind gespannt, wie es sich entwickeln wird.“ Mit einem strahlenden Lächeln auf den Lippen steige ich aus meinen Sarg und stürme in das Zimmer von Desmond. Er liegt schon tief und fest schlafend in seinem Sarg. Mit heftigen schütteln bringe ich ihn dazu seine Augen zu öffnen. „Was ist los?? Was willst du? Weißt du überhaupt wie spät wir es haben?“, sagt er schläfrig. „Hier! Les“, ich reiche ihm die Zeitung. „Ich will schlafen und nicht lesen, verzieh dich!“, ruft er wütend. „Aber hier steht etwas über Werwolfangriffe an der Vampir-Academy! Sie wollen diese wahrscheinlich schließen!“ Desmond ist jetzt plötzlich hell wach. „Zeig her! Das kann nicht sein!....Wow, das ist unsere Rettung! Vater wird uns bestimmt nicht solchen Gefahren aussetzen. Er hat sich doch letztens selber erst über diese Werwolfangriffe in Transsylvanien aufgeregt.“ „Genau! Unsere Pläne können also weiter gehen!“ sage ich freudestrahlend. „Genau...Und jetzt geh endlich schlafen. Ich sag doch, dass du dir keine Sorgen machen brauchst!“ Mit diesen Worten dreht er sich um und schläft ein. Ich gehe beruhigt zurück in mein Zimmer und schlafe bis zum Abend durch. „Hey! Aufstehen Schwesterherz! Die Nacht hat schon lange begonnen. Und wir müssen das Wohnzimmer noch putzen. Du willst doch nicht, dass Vater uns noch einmal so hart angreift.“, sagt Desmond fröhlich zu mir. „Ach man, lass mich doch noch etwas schlafen“, murre ich zurück. „Bestimmt nicht! Ich putze nicht alleine. Und vielleicht hättest du gestern nicht mehr so lange lesen sollen, dann wärst du auch ausgeschlafen.“ „Schon gut, ich stehe ja auf...“, entgegne ich. „Bin in 10 min unten“ Nach 30 Minuten und für Desmond gefühlte drei Stunden komme ich nach unten ins Wohnzimmer. Desmond guckt gerade Fernsehen, als er mich sieht, begrüßt er mich mit den Worten: „Auch mal da!“ Wie jedes mal eigentlich. Doch bevor ich auf seinen Satz antworten kann, sehe ich auf den kleinen Tisch neben den Sessel eine Broschüre. Mir stockt der Atem, es ist eine Broschüre der Vampir-Academy! Wie von Sinnen nehme ich die Broschüre in die Hand und sehe darunter zwei mit unseren Namen ausgefüllte Anmeldeformulare. Desmond sieht meinen geschockten Blick und tritt zu mir rüber. „Das kann nicht sein. Wetten das ist ein Scherz! Vater will uns nur einen Schrecken einjagen. Außerdem hast du mir heute Nachmittag doch erst noch diesen Zeitungsartikel unter die Nase gehalten, dass die Academy geschlossen wird. Das kann nicht sein!“ sagt Desmond entsetzt. „Ja, genau! Aber guck mal hier...Die Adresse...sie ist durchgestrichen!“,zeige ich ihm geschockt. „Zeig mal. Stimmt! Aber die Academy ist doch in Transsylvanien und nicht hier in der Nähe, oder?“, fragt Desmond verzweifelt. „Liegt hier irgendwo die neue Ausgabe des Vampir-Journals? Vielleicht steht dort etwas.“ Ich gehe schnurstracks zum Küchentisch und schon auf dem Titelblatt kann ich die schockierende Nachricht lesen. „Die Vampir-Regierung hat heute ihre endgültige Entscheidung bezüglich der Vampir-Academy abgegeben. Wir müssen nun endlich handeln, heißt es vom Regierungschef. Uns bleibt nichts anderes übrig, als die Academy zu schließen. Es ist einfach viel zu gefährlich und unserer Elite darf nichts geschehen. Nun ist es amtlich, die Vampir-Academy wird geschlossen. Allerdings ist schon ein Ersatzort für diese gefunden. Dies konnte uns freudig der Pressesprecher mitteilen..... Da dieses Gebäude wesentlich größer ist, als das in Transsylvanien, würde sich die Schulleitung gerne über neue Mitglieder freuen, die sie zur Elite ausbilden können. Für genügend Lehrkräfte ist gesorgt! Aktuelle Anmeldeformulare finden sie im Internet unter...... Wir freuen uns auf Ihre Kinder!“ „Das darf nicht wahr sein! Papa wird uns doch nicht..... Kapitel 2: ----------- Desmond Geschockt starre ich auf die ausgefüllten Anmeldeformulare. “Das... das kann er doch nicht machen!”, keuche ich hervor. Die Vorstellung in das strengste Vampirinternat zu kommen, rückt immer näher. “Aber Vater hat doch selbst gesagt, dass er uns nur da anmeldet, wenn wir auch in der neuen Stadt wieder Menschen massakrieren!”, wirft Flora erschrocken ein. “Ich weiß, ich weiß”, erwidere ich nur. “Vielleicht sollten wir versuchen, mit ihm zu reden und uns zu entschuldigen?”, fragt Flora mit hoffnungsvollem Blick. Doch ich bin skeptisch. “Ich bezweifel, dass das viel bringt. Aber du hast recht. Wir könnten versuchen, ihn zu besänftigen.” “Und wie sollen wir das anstellen?” Flora ist mittlerweile wirklich verzweifelt. Genauso wie ich es bin. Aber ich hüte mich davor, ihr meine Verzweiflung zu zeigen, um sie nicht noch mehr aufzuwühlen. Krampfhaft beginne ich nachzudenken. Wie zum Teufel können wir Vater nur besänftigen? “Mh... wir sollten vielleicht erst mal das Wohnzimmer auf Vordermann bringen. Vielleicht fällt uns dabei ja noch was ein.” Flora nickt nur zustimmend und wir beginnen damit, dass Wohnzimmer sauber zu machen. Während ich grade dabei bin, die Fenster zu putzen, kommt mir die Idee. “Flora, ich glaub ich hab eine Idee, wie wir Vater gnädig stimmen können”, beginne ich. Flora sieht mich nur fragend an und ich teile ihr meine Idee mit. “Vater ist doch im Augenblick noch im Büro und wird erst in vier Stunden wieder zurück sein, richtig?” “Ja, aber wie soll uns das helfen?” “Naja, wie wäre es, wenn wir ihn überraschen und das Haus komplett herrichten? Ich weiß, dass das viel Zeit in Anspruch nimmt”, werfe ich ein, als Flora mich empört zu unterbrechen versucht. “Aber wenn wir dann noch nachher bei dem Geschäftsessen, was ja hier stattfinden wird, die perfekten Vorzeige-Kinder sind, wird er uns gar nicht mehr böse sein können.” Flora sieht mich nur skeptisch an, doch dann nickt sie zustimmend. “Okay, versuchen wirs! Viel schlimmer kann es eh nicht mehr werden!” Schließlich beginnen wir damit, das Haus auf Hochglanz zu bringen. Und Dank unserer vampirischen Schnelligkeit, schaffen wir es auch gerade noch rechtzeitig. Als wir gerade fertig sind, bleib uns nur noch eine knappe halbe Stunde, bis Vater zurück kommt. “So fertig!”, seufze ich und wische mir den Schweiß aus dem Gesicht. “Und jetzt noch schnell duschen und umziehen”, fügt Flora grinsend hinzu. Glücklichweise hat jeder von uns sein eigenes Badezimmer, sonst würde es wohl ewig dauern, bis wir fertig sind, da Flora sich immer so viel Zeit lassen muss. Typisch Mädchen. Rasch betrete ich meine eigenes Badezimmer, ziehe mich aus und stelle mich unter die heiße Dusche. Das warme Wasser umspielt meinen Körper während ich mich einseife. Am liebsten würde ich stundenlang unter der Dusche stehen bleiben, aber ich habe nicht viel Zeit. Deshalb spüle ich mir rasch den Schaum vom Körper, trockne mich ab und betrete mit einem Handtuch um die Hüften mein Zimmer. Ratlos stehe ich vor meinem begehbaren Kleiderschrank, auf der Suche nach passender Kleidung für das Geschäftsessen. Ich werfe einen kurzen Blick auf die Standuhr an meiner Wand. Schon Viertel vor drei. Um drei Uhr kommt Vater zurück. Ich sollte mich beeilen. Noch einige Augenblicke nachdenklich vor dem Kleiderschrank stehend, entscheide ich mich schließlich für eine schwarze Samthose und ein anthrazitfarbenes Hemd mit einer dunkelgrünen Krawatte, welche meine Augen betont. Das lange schwarze Haar binde ich mir mit einem ebenfalls dunkelgrünen Seidenband zurück. Als ich fünf Minuten später fertig bin, gehe ich bereits nach unten, um schon mal den Tisch zu decken. Schon auf der Treppe steigt mir der Duft des köstlichen Lammbratens unserer Köchin Josephine in die Nase. Das wird wahrhaftig ein Festmahl werden. Ich bin gerade mit Tischdecken fertig, als auch Flora das Esszimmer betritt. Sie trägt ein dunkelrotes Kleid und hat ihr Haar zu einem hohen Pferdeschwanz gebunden, aus dem ein paar Strähnen entkommen sind, welche ihr jetzt neckisch ins Gesicht fallen. Mir stockt der Atem. “Flora, du... du siehst zauberhaft aus”, keuche ich hervor. Sie lächelt und ihre Wangen nehmen einen leichten Rotton an. In diesem Moment spüre ich eine starke Spannung zwischen uns. Doch ehe ich mich noch weiter in ihrem Anblick verlieren kann, klingelt es an der Tür. Das kann nur Vater sein. Rasch gehen wir zur Eingangstür und ich öffne diese schwungvoll. “Einen wunderschönen Guten Abend, Vater!”, begrüßen wir ihn im Chor. Vater nickt uns zu und begrüßt uns ebenfalls: “Euch auch einen Guten Abend!” “Wir haben bereits alles für das Geschäftsessen vorbereitet”, sage ich mit einem höflichen Lächeln auf den Lippen. Vater zeigt es zwar nicht, aber Flora und ich spüren, dass er beeindruckt ist. Das Essen verläuft gut und als die Gäste weg sind, bringen auch Flora und ich den Mut auf, endlich mit Vater zu sprechen. Doch ehe wir etwas sagen können, beginnt Vater bereits zu sprechen. “Ich muss gestehen, dass ihr beiden euch heute wirklich tadellos benommen habt”, beginnt er, “und deshalb werde ich VORERST davon absehen, euch auf der Vampire Academy anzumelden. Aber auch wirklich nur vorerst. Wenn ihr auch nur noch einen einzigen Menschen so zurichtet, wird die Anmeldung augenblicklich abgeschickt! Haben wir uns verstanden?” Es hat wirklich funktioniert. Die Erleichterung steht uns buchstäblich ins Gesicht geschrieben. “Danke, Vater! Wir haben dich lieb!”, rufen wir und fallen ihm um den Hals. Vater drückt uns an sich und streicht uns durchs Haar. “Ich hab euch auch lieb!”, sagt Vater lächelnd, aber dann wird sein Blick ernst, “Aber ihr müsst wirklich damit aufhören! Wenn der Vampirrat das herausbekommt, kann ich euch auch nicht mehr beschützen.” Wir nicken nur und gehen dann wieder auf unsere Zimmer. Flora Völlig erleichtert lassen Desmond und ich uns in seinen Sarg fallen, was kein Problem ist, da unsere beiden Särge größer sind als die normalen und somit Platz für uns beide bieten. „Da hatten wir aber noch mal richtig Glück!“ sage ich und kann es immer noch nicht ganz fassen. Die Vampir-Academy soll uns beiden tatsächlich erspart bleiben! „Klar doch, meine Pläne klappen immer“, sagt Desmond in einen hochnäsigen Ton. „Außerdem habe ich doch schon vorher gewusst, dass Vater uns so schnell nicht abschiebt. Schließlich hat ja keinen anderen mehr außer uns. Und da wäre er doch ziemlich blöd von ihm uns in dieses Internat zu stecken!“ „Jetzt tu mal nicht so, als ob du alles wüsstest. Du hattest doch genau so viel Angst wie ich!“, schreie ich ihn vorwurfsvoll an. „Ich und Angst? Das glaubst du ja wohl selber nicht. Ich habe vor nichts Angst und schon gar nicht vor diesem Internat.“ Aber ich weiß, dass dies gelogen ist. Denn unter jeder harten Schale ist auch ein weicher Kern zu finden. Und dieser existiert sogar bei meinem lieben Bruder, auch wenn er es niemals zugeben beziehungsweise zeigen würde. In solchen Fällen ist er noch schlimmer als ich...Und das soll was heißen! „Ja, ja...rede nur so weiter! Du angeblich gefühlskalter Vampir!“, versuche ich ihn etwas zu necken. „Ich ziehe mich auf jeden Fall jetzt erst einmal um.“ Mit diesen Worten verlasse ich schnell sein Zimmer und verschwinde in mein eigenes Reich, ehe er wie sonst immer die Gelegenheit nutzt etwas nach mir zu werfen. Doch heute bin ich ausnahmsweise mal schneller als mein Bruderherz. Desmonds und mein Zimmer unterscheiden sich vor allem in den Farben. Während sein Zimmer in einem unheimlichen, schwarz-grauen Muster, mit leichten grünen Akzenten schimmert, spielen bei mir vor allem die Farbe rot und natürlich auch schwarz eine große Rolle. Meine Wände sehen aus, als ob Blut auf schwarzem Untergrund fließen würde und auf meinem Boden gibt es eine ganz besondere „Schönheit“, auf die ich besonders stolz bin. Es handelt sich hierbei um einen wunderschönen Teppich, der die blutüberströmte Leiche eines männlichen Menschen darstellt. Und auch meine Deko-Gegenstände sind farblich und schauerlich auf mein Zimmer abgestimmt. Schon häufig habe ich von Desmond zu hören bekommen, wie ich es denn nur in einen solchen Zimmer aushalten würde. Ihm würde das alles zu sehr an Blut erinnern und seinen Trieb zum Jagen anregen, das uns Vampiren leider momentan untersagt ist, zumindestens wenn es um das Jagen von Menschen geht. Daher betritt er mein Zimmer ziemlich selten, wobei ich mich momentan frage, ob er es sich überhaupt schon mal in diesem Haus angesehen hat! Plötzlich fällt mir etwas entscheidenes ein: Wie sieht es jetzt eigentlich mit unsren Umzugsplänen aus? Vater hat gar nichts mehr davon gesagt! Müssen wir überhaupt noch umziehen? Oder dürfen wir trotz alle dem, was vorgefallen ist, hier wohnen bleiben? Während ich mir diesbezüglich Gedanken mache, schlüpfe ich aus meinen dunkelroten Kleid und ziehe blitzschnell einen der Miniröcke, die über meine Kommode verteilt liegen, an. Anschließend versuche ich verzweifelt ein passendes Oberteil zu finden. Neben meinem Sarg werde ich schließlich fündig. Eine passende Krawatte für mein beliebtes „unschuldiges“ Schulmädchenoutfit zu finden, geht bei mir immer ganz schnell. Denn diese hängen sorgfältig an blutroten Nägeln an der Wand über mein Bett. Nach dieser Prozedur stürme ich aus meinem Zimmer in das von Desmond. Auch er ist gerade dabei sich umzuziehen. In dem Moment, als ich die Tür öffne, versucht er gerade seine Hose zu zumachen und steht mit freiem Oberkörper vor mir. Meine Augen werde richtig groß. Er sieht so gut aus, wie er da vor mir steht. Die Zeit scheint plötzlich stehen zu bleiben, bis ich auf einmal Desmond seine Stimme vernehme. „Was willst du denn schon wieder hier? Kannst du nicht mal anklopfen?“ „Ähm..“, stottere ich. „Mir ist gerade eingefallen, dass Vater uns noch überhaupt nichts bezüglich unseres Umzuges gesagt hat. Glaubst du wir müssen überhaupt noch umziehen?“ „Das schätze ich auf jeden Fall. Wir können schon froh darüber sein, dass er uns nicht doch aufs Internat schickt! Aber wir können ihn ja mal fragen. Ich zieh mir nur eben mein Hemd an.“, wirft er ein. „Ok! Ich glaube Vater sollten wir um diese Uhrzeit in seinem Arbeitszimmer finden.“ Auf dem Weg nach unten zum Arbeitszimmers unseres Vaters unterhalten Desmond und ich uns über die Gegend in die wir jetzt wohl ziehen müssen. „Auf jeden Fall soll es eine Stadt sein. Stell dir mal vor, wir auf einen Bauernhof!“, sage ich lachend. „ Das wird selbst Vater sich nicht antun, nur um uns zu ärgern!“ „Hoffentlich hast du wie immer Recht!“ Mit diesen Worten stehen wir vor der schweren Eichentür von Vaters Arbeitszimmer. Nachdem ich zaghaft anklopfe und wir ein schlichtes „Herein“ hören, treten wir beide herein. „Was verschafft mir den schon wieder die Ehre euch zu sehen?“, fragt Vater lächelnd. Es ist eine ganz andere Atmosphäre, als noch vor einem Tag. „Ihr habt doch wohl nicht schon wieder etwas angestellt, oder?“, fragt er plötzlich im ernsten Ton. „Nein, nein...auf gar keinen Fall Vater! Wir haben unsere Lektion gelernt, dass musst du uns glauben, bitte!!“, stammeln wir beide verzweifelt. Vertraut er uns etwa immer noch nicht? Aber im selben Moment sehen wir unseren Vater lachen. „ Nun guckt mal nicht so! Bei euch beiden muss man eben vorsichtig zu sein. Aber was führt euch jetzt eigentlich zu mir?“ Uns beiden fällt ein Stein vom Herzen, denn Vater weiß noch nicht alles, was wir in dieser Stadt angestellt haben. „Wir wollten dich mal fragen, ob du schon genauere Informationen bezüglich unseres Umzuges hast. Es tut uns sehr leid, dass wir wegen unsere Unternehmungen umziehen müssen.“ sage ich mit gesengtem Kopf und Desmond tut es mir gleich. „Das sollte es aber auch! Ihr wisst gar nicht wie viel Schande ihr über uns bringt! Ihr...“, doch bevor Vater zu Ende reden kann, unterbricht Desmond ihn. „Ja, Vater! Wir wissen Bescheid. Entschuldigung! Weißt du denn schon genaueres über den Umzug?“Und tatsächlich kann Desmond unseren Vater davon abbringen uns erneut eine Standpauke zu halten. „Ja, wir werden übermorgen diese Gegend verlassen und in eine Kleinstadt 200 km von hier ziehen.“ Wir machen beide große Augen und fragen verzweifelt: „Übermorgen schon?“ „Ja, Übermorgen! Umso schneller wir verschwinden, umso besser ist es. Wer weiß wann der Verdacht auf uns fallen wird oder was ihr sonst noch anstellt. Es ist einfach zu gefährlich hier!“ versucht er zu erklären, auch wenn wir nicht ganz verstehen, was er damit sagen will. „Das hier wird unser neues zu Hause“, er zeigt uns ein Bild von einer großen, weißen Villa. Wir sind beeindruckt von dem Anblick. „Ihr werdet beide euch die obere Etage teilen, genau wie hier. Es wird sich also wohnlich kaum etwas ändern. Allerdings...“, Vater hält inne und wir fragen uns, was jetzt wohl kommt. „...werdet ihr ab nächster Woche dort die örtliche Schule besuchen.“ „Was?!“, schreien wir entsetzt! „So habt ihr wenigstens etwas zu tun und könnt nicht so viel Blödsinn anstellen. Außerdem wird es euch nicht schaden, etwas Zeit mit den Gewöhnlichen und ihrer Kultur zu verbringen! Ich hoffe, ihr werdet dadurch erkennen, dass man gut mit ihnen leben kann und man sie nicht jagen muss. Sondern das es auch mehrere Vorteile für euch haben wird. Also ich erwarte von euch, dass ihr euch dort benehmt und euch Mühe gebt mit den Menschen klar zu kommen. Ansonsten ihr wisst ja, was euch blüht, wenn auch dieser Versuch fehl schlägt!!“ „Aber Vater..!!“, versuchen wir einzuwenden. „Kein aber!! Es ist eure letzte Chance! Und wenn ihr auf meine Bedingungen nicht eingehen wollt, kann ich auch gleich jetzt eure Anmeldungen zur Vampir-Academy schicken!“ „Nein...ist schon ok, wir werden alles so machen, wie du es von uns verlangst!“, sprechen wir fast gleichzeitig. „Gut! Was anderes habe ich auch nicht erwartet. Also ihr zwei geht jetzt schlafen und werdet morgen die Dinge aus euren Zimmern und unserem gemeinsamen Wohnzimmer in Umzugskartons packen. Und vergesst nicht, es ist eure letzte Chance!“ „Ok, Vater“, sagen wir immer noch mit gesenktem Kopf und verlassen sein Arbeitszimmer. Schweigend gehen wir nebeneinander hinauf in Desmonds Zimmer. „Das kann ja noch lustig werden. Wir und die Gewöhnlichen fast einen halben Tag immer zusammen. Wie soll man das nur mit den Spinnern aushalten?“, frage ich wütend. „Ich weiß es auch nicht. Aber momentan bleibt uns nicht anderes übrig. Vater hat uns in der Hand! Und wir müssen uns leider fügen.“, versucht Desmond ruhig zu erklären, auch wenn er überhaupt nicht begeistert ist. „Stimmt, leider“, gebe ich kleinlaut bei. „Am besten lassen wir es erst einmal auf uns zu kommen! Und gehen jetzt am besten schlafen, so wie Vater uns es gesagt hat. Morgen wird ein anstrengender Tag!“ „Mmh...das wird wohl das beste sein und uns wird bestimmt noch was einfallen, wie wir es überleben werden.“ „Gewiss! Mach dir keine Sorgen. Solange wir beide zusammen bleiben, kann gar nichts schief gehen“, sagt Desmond scherzhaft. „Bis heute Abend“, ich verlasse das Zimmer und frage mich, wie er nur so ruhig bleiben kann. Irgendetwas hat er doch vor...nur was? Am nächsten Abend treffe ich Desmond in der Küche. „Ach, gut das du schon wach bist. Vater hat uns draußen die Umzugskartons hingestellt. Wo wollen wir anfangen?“, begrüßt er mich. „Lass mich doch erst einmal wach werden.“, doch bevor ich weiter reden kann, keift Desmond mich an: „Wir müssen bis zum Sonnenaufgang fertig sein. Sonst reißt Vater uns den Kopf ab! Und wir haben es schon elf Uhr! Also sollten wir uns so langsam mal beeilen.“ „Wieso denn so schnell? Es reicht doch wohl, wenn er sieht, dass wir uns Mühe gegeben haben!“, schreie ich ihn jetzt hellwach an. „Weil um sieben Uhr morgen der Möbelwaagen kommt! Vater hat uns extra eine Nachricht hinterlassen, dass wir es unbedingt bis dahin fertig haben müssen. Endlich verstanden? Also wo fangen wir an?“ „Schon gut! Sag das doch gleich.“, sage ich verärgert. „Am besten machen wir zuerst gemeinsam das Wohnzimmer. Bei unseren Sachen müssen wir ja nicht so vorsichtig sein und das geht wesentlich schneller. Einfach alles rein schmeißen!“ , schlage ich vor. „Ok“, willigt Desmond ein. „Machen wir es so.“ Voller Tatendrang gehen Desmond ich nach draußen und holen die Kartons und die dabei liegende Folie. „Am besten packst du die kleinen Sachen schon mal in die Kartons und ich werde mich um die Möbel kümmern und diese in Schutzfolie einwickeln.“, sagt Desmond. Und ich gebe keine Widerrede. Gefühlte Stunden sind wir nun schon dabei unser riesiges Wohnzimmer Umzugs bereit zu machen. Keiner sagt auch nur ein einziges Wort in dieser Zeit. Wir sind wie versessen alles bis zum Morgen zu schaffen. Und dies natürlich mit großer Sorgfalt. Würde dem Inventar auch nur ein einziger Kratzer zustoßen, dann würde Vater an die Decke gehen. Und genau dies ist momentan das letzte was wir gebrauchen können. Während ich gerade unsere ganzen Familienalben in einem Karton verstaue, die sich immerhin auf ca. 10.000 Jahre beziehen und ich möchte gar nicht erst an die anderen im Keller denken, widmet sich Desmond Vaters Lieblingssessel zu. Und plötzlich höre ich hinter mir ein knarren. Ich drehe mich vor Schreck um und rechne schon mit dem schlimmsten. „Was hast du sch...“, doch weiter komme ich nicht. Desmond steht geschockt vor dem Sessel unseres Vaters und dahinter ist auf einmal ein Loch in der Wand! Langsam nähren wir uns diesem Loch, doch schon bald erkennen wir, was es wirklich ist. „Ein geheimes Versteck, eine Art Tresor“, sage ich teilnahmslos. „Hast du was von diesem Versteck gewusst?“ „Nein, aber ich schätze mal, dass wir es auch gar nicht wissen sollten...Hier, guck mal...da liegt etwas.“, Desmond holt einen Ordner aus dem Versteck und klappt ihn auf. Lauter Zeitungsartikel befinden sich in ihm. Alle sind über 100 Jahre alt und chronologisch sortiert! Stadtblatt: In letzter Zeit werden die Angriffe der Vampire immer häufiger und auch brutaler! Kein Mensch ist mehr sicher!! Kaum einer traut sich noch alleine auf die Straße, vor Angst diesen blutrünstigen Monstern zu begegnen.... ...Was wollen sie von uns? Nur unser Blut oder doch die Weltherrschaft und somit unser Sklaventum? Und wie wollen wir dies verhindern? Haben wir überhaupt eine Chance?..... ….Wer weiß heutzutage schon, ob nicht der Nachbar von nebenan ein Vampir ist? Wie viele wohl seelenruhig unter uns leben und sich schon ihr nächstes Opfer suchen!! Und wer weiß, wie viele Vampire gerade diese Zeitung in den Händen halten. Aber lasst euch gesagt sein, lange werdet ihr nicht mehr leben!!! Vampir-Journal: Die Hetzkampagnen der Menschen gegen uns nehmen deutlich zu. Auch wenn die feindlichen Übergriffe der „Vampir-Rose“ schon lange zerschlagen wurde! Die Vampir-Regierung konnte diese kriminelle Bande letzten Montag erfolgreich stellen und sämtliche Mitglieder in das Vampirgefängnis in Transsylvanien bringen. Seit dem sind auch keine weiteren Übergriffe auf die Gewöhnlichen bekannt. Aber dennoch versucht die Menschenregierung den Hass gegen uns weiter aufzubauen..... ….Wo soll dies nur hinführen? Dies fragen sich bestimmt momentan viele von uns! Wird es einen neuen Krieg zwischen sämtlichen Wesen auf dieser Erde geben? Niemand kann dies momentan sagen, aber eins ist gewiss: Die Sache hat noch kein Ende!!! Stadtblatt: Neue Nachrichten vom Treffen der Regierung bezüglich der Vampirangelegenheiten sind vor kurzem eingetroffen! Der Regierungschef Helmut Röcker berichtet, dass man endlich eine Lösung gefunden habe! Allerdings wolle man noch nichts genaueres der Öffentlichkeit mitteilen, da auch die Vampire zum Beispiel diese Zeitung in den Händen halten könnten. Der Regierungschef bittet Sie daher um Verständnis. Sobald neue Erkenntnisse und hoffentlich auch rasche Erfolge daliegen, werden sie auf der Stelle durch eine Sonderausgabe darüber informiert. Bis dahin wird weiter darum gebeten, alle Sicherheitsvorkehrungen zu beachten, schließlich geht es um Ihr Leben!!! Vampir-Journal (Eilmeldung): Schreckliches Drama beim jährlichen Treffen der Regierungsfrauen!! Obwohl der Treffpunkt als äußert sicher galt, wurden die Frauen unserer Regierung bei ihrem Treffen von Slayern überwältigt und entführt. Soeben ist beim Regierungschef Anchoret Alucard ein Erpresserschreiben eingegangen! …. Wenn nicht alle Vampire, die es hier auf der Welt gibt, in einer Woche um zehn Uhr an dem geplanten Treffpunkt in einer Berghöhle in Transsylvanien kommen, werden sämtliche Frauen umgebracht! Die Regierung wollte sich bislang noch nicht zu diesem Thema äußern. Momentan sind sie zu einer Krisensitzung zusammen getroffen. Wir werden sie auf dem laufenden halten!! „Mutter! Das ist doch Vater...“, sage ich erschrocken. „Ja, kein Zweifel! Er ist gemeint...“ Doch keiner von uns redet noch ein Wort. Wir gucken einfach nur geschockt in den Ordner und wenden uns dem nächsten Zeitungsartikel zu. Stadtblatt: Erste Schritte zur Vampirbekämpfung wurden erfolgreich eingeleitet! Gestern Nacht ist unserer Regierung etwas unglaubliches gelungen, was uns einen riesigen Schritt nach vorne bringt! Allerdings worum es sich genau handelt, wollte die Regierung noch nicht mitteilen. Nur so viel, dass unsere Albträume in naher Zukunft ein Ende haben werden. Hoffen wir mal alles Gute! Und wenn sie nun ihren Sitzpartner gegenüber in die Augen schauen und dieser die Augen weit aufgerissen hat und ihm Schweißperlen über das Gesicht laufen, dann nehmen sie sich in acht! Vielleicht sitzt vor ihnen eine blutsaugende Bestie!!! Vampir-Journal: Der Vampirrat äußerte sich soeben zu dem Drohbrief und ihrer weiteren Vorgehensweise! Wie schon zuvor bekannt sollen sich alle Vampire, die es auf dieser Welt gibt, nächste Woche in einer Berghöhle zusammen finden und dabei das Lösegeld von 4.000.000 überbringen. Nur so können wir die Frauen retten! Wie uns der Regierungschef mitgeteilt hat, haben die Slayer ein Examplar unseres Vampir-Stammbaums geklaut und wissen somit, wie viele Vampire tatsächlich existieren! Nur die unter 50 jährigen sind in dieser Fassung noch nicht aufgeführt! Daher fordert der Vampirrat alle auf, sich übermorgen in Transsylvanien zu treffen. Zeitpunkt und Ort werden schriftlich mitgeteilt! Es müsste jedem klar sein, dass man diese reinblütigen Frauen retten muss! Da es sich hier um die letzten Reinblütigen handelt, wenn man von ihren nur wenig vorhandenen Kindern absieht! Alle Vampire, die sich weigern sollten, werden schlimme Strafen erwarten...... ….“Natürlich werden wir uns nicht kampflos ergeben“, sagte Regierungschef Anchoret A.! „Wir wissen, dass dies wahrscheinlich ein Hinterhalt der Slayer auf unsere komplette Rasse sein wird! In der gestrigen Sitzung haben wir einen Plan diesbezüglich ausgearbeitet, der ihnen kurz nach ihrer Ankunft in Transsylvanien mitgeteilt wird! Für ihre und auch unsere gesamte Sicherheit ist gesorgt! Wir vertrauen auf jeden von euch! Gemeinsam werden wir uns rächen können und alles wieder zum Guten wenden!“ Stadtblatt: Gestern Abend ist unserer Regierung eine Sensation gelungen! Alle Menschen können nun wieder beruhigt auf die Straße gehen. ES IST ALLES VORBEI!!! Sämtliche Vampire wurden gestern ausgerottet! ES BESTEHT KEINE GEFAHR MEHR! Durch die Abhakung jedes einzelnen in der Vampirchronik kann ausgeschlossen werden, dass ein Vampir jetzt noch am Leben ist! Unsere Regierung hat alle Vampire, durch die Entführung der Frauen des Vampirrates, dazu zwingen können sich gestern Abend in einer Höhle in den Bergen von Transsylvanien einzufinden! Diese Höhle habe man vorher so präpariert, dass von der ganzen Höhlendecke per Knopfdruck Weihwasser fließen kann. UND ES HAT GEKLAPPT!! Nachdem alle Vampire für die angebliche Lösegeldübergabe in die Höhle eingetreten sind, wurde der Eingang durch die Sprengung der Bergspitze mit Steinen blockiert! Anschließend wurde das Weihwasser aktiviert. Als man heute morgen die Steine entfernte, lagen sämtliche Vampire tot am Boden. EIN DANK AN UNSERE REGIERUNG! ENDLICH KÖNNEN WIR WIEDER EIN NORMALES LEBEN FÜHREN! DANKE!! Auch die Frauen der Regierung wurden durch eine Weihwasser-Injektion getötet! VIELEN DANK FÜR UNSER NEUES ALTES LEBEN!! Vampir-Journal: ES HAT GEKLAPPT! Gestern Abend war die Lösegeldübergabe. Wie schon zuvor erwartet, sollte dies ein Hinterhalt der Slayer gegen unsere komplette Rasse werden! Aber wir waren gut vorbereitet! Durch die geniale weihwasserabweisende Creme, die schon seit längeren von unsrem Forschungsteam unserer Vampir-Academy entwickelt worden ist, konnten wir den Angriff der Slayer überleben!!! Trotz dieser erfreulichen Nachricht, kann sich kaum einer wirklich über diesen Erfolg freuen. Denn für diesen Erfolg mussten wir ein großes Opfer bringen. Um alle anderen zu retten und somit den Erhalt unserer Rasse zu gewährleisten, mussten wir die Frauen der Regierung leider aufgeben. „Es war keine leichte Entscheidung!, aber uns blieb einfach nichts anderes übrig!“, sprach die Regierung. Wie uns heute bekannt ist, war es die richtige Entscheidung. Auch wenn es schwer war! Für uns alle. Aber die Frauen, wurden schon kurz nach ihrer Entführung umgebracht! Man hätte sie nicht mehr retten können. Es ist ein schwerer Verlust, aber wir müssen nach vorne blicken. Zu unser eigenen Sicherheit werden wir nun erst einmal die Menschen in ihren Triumph lassen und uns im Hintergrund halten. Es wird tatsächlich den Eindruck haben, als ob wir nicht mehr existieren. Bis wir uns irgendwann für diesen brutalen Anschlag rächen werden. Aber dies braucht Zeit! ABER DIE ZEIT WIRD KOMMEN!! „Mutter! Sie ist nicht an einer Krankheit gestorben, sie wurde umgebracht....“ Ich merke, wie sich noch mehr Wut in meinen Körper gegenüber den Menschen entwickelt. Und auch Desmond sehe ich dieses Gefühl an.... Desmond Und auch in mir brodelt eine unbändige Wut. Wie konnten es diese erbärmlichen Menschen nur wagen?! “Das werden diese verdammten Sterblichen bereuen!”, knurre ich wutentbrannt. “Aber du weißt doch, dass wir uns erst mal zurückhalten müssen”, wirft Flora ein, “oder willst du sofort auf der Vampire-Academy landen?” “Was meinst du wie egal mir das ist?”, fauche ich, “Ich werde Mutters Tod rächen und wenn es das letzte ist, was ich tue!” Flora weicht vor mir zurück. Es ist schon lange her, seit sie mich das letzte Mal so wutentbrannt erlebt hat. Als ich das letzte Mal so wütend war, hatte es ein dummer Sterblicher gewagt, meine Schwester “Grufti-Schlampe” zu nennen. Dass er das nicht überlebt hat, versteht sich von selbst. Und nun war meine Wut sogar noch viel größer als damals. “Be-beruhig dich”, haucht Flora und wie durch ein Wunder schafft sie es durch ihre bloße Stimme meine Wut verrauchen zu lassen. “Ich bin genauso wütend wie du, aber wir dürfen uns jetzt nicht von unserer Wut leiten lassen. Das bringt uns nur Schwierigkeiten. Lass uns erst einmal den Umzug abwarten. In der neuen Stadt wird sich bestimmt eine Gelegenheit bieten.” Zuversichtlich lächelt Flora mich an, doch ich spüre auch immer noch die Wut, die in ihr brodelt. Flora wirft einen kurzen Blick auf die Uhr. “Wir sollten weiter machen”, sagt sie aufgeregt, “sonst werden wir nicht mehr rechtzeitig fertig!” Ich nicke und wir machen weiter damit, das Wohnzimmer umzugsfertig zu machen. Gut eineinhalb Stunden später haben wir es endlich geschafft und können uns nun unseren Zimmern widmen. Im Gegensatz zum Wohnzimmer gehen unsere Zimmer verhältnismäßig schnell. Und kurz vor Sonnenaufgang sind wir endlich fertig. *~*~ Der Umzug selbst verläuft ereignislos. Und auch in dem neuen Haus sind die Sachen viel schneller ausgepackt und eingeräumt, als wir erwartet hätten. Schließlich haben wir Zeit uns ein wenig in der Stadt umzusehen. Ein Glück, dass es schon Nacht ist. Da läuft nicht so viel menschlicher Abschaum auf den Straßen herum und wir haben in Ruhe Zeit uns die Stadt anzusehen, ohne von irgendwelchen Sterblichen belästigt zu werden. Vater weiß nicht, dass wir uns die Stadt ansehen. Ist auch besser so, denn eigentlich sollen wir jetzt ja nachts schlafen, damit wir tagsüber die Schule besuchen können. Bla, bla, bla... Vater hatte wirklich recht damit, dass wir in eine Kleinstadt ziehen. Hier ist absolut nichts los. Drei Supermärkte, geschätzte zehn Bäckereien und in etwa genauso viele Frisöre und 1€-Shops. Sonst gibts da eigentlich nicht viel. Aber nen eigenen Hauptbahnhof, dass kann sich diese Kleinstadt leisten! Aber vernünftige Läden gibt es natürlich nicht! Wie heißt dieses Kaff noch gleich? Ach ja, Wanne-Eickel! Wie sich das schon anhört! In der so genannten “Fußgängerzone” kommen wir an einer Kirche vorbei und ich habe kurz Zeit einen Blick auf die Kirchturmuhr zu werfen. Gleich Zwei. “Ich glaube wir sollten uns so langsam auf den Weg nach Hause machen!”, sage ich, “Vater kommt bald aus dem Büro zurück. Nicht das er zurückkommt und wir sind noch nicht da!” Flora nickt zustimmend und wir machen uns auf den Weg nach Hause. *~*~ Zu hause angekommen, schließe ich die Tür auf und wir betreten die Villa. Auf dem Weg in unser Zimmer im ersten Stock, müssen wir natürlich auch an Vaters Arbeitszimmer vorbei. Da er ja sowieso noch nicht von der Arbeit zurück ist, bemühen wir uns gar nicht erst, leise zu sein. Wir betreten gerade die Treppe, welche ins oberste Stockwerk führt, als die Tür von Vaters Arbeitszimmer aufgeht. Erschrocken fahren wir herum und blicken in das wutentbrannte Gesicht unseres Vaters. “Vater... wir...”, stammel ich angsterfüllt, doch da landet auch schon die erste Ohrfeige auf meiner Wange. Ich halte mir die schmerzende Wange, als Vater bereits anfängt uns anzuschreien. “Was bei Chranas Eingeweiden fällt euch eigentlich ein?! Habe ich euch nicht ausdrücklich gesagt, dass ihr von nun an nachts schlafen sollt?! Und was macht ihr?! Schleicht euch mitten in der Nacht raus! Aber das wird ein Nachspiel haben!” Kaum hat er das ausgesprochen, beginnt er auch schon, uns mit seinen Fäusten zu traktieren. Schmerzerfüllt kauern wir am Boden, darauf wartend, dass er endlich von uns ablässt. “Vater... Bitte... bitte... hör auf...”, flehe ich, “es... es... tut... uns leid... dass wir... deine Anweisungen... missachtet haben...” Und tatsächlich lässt Vater von uns ab. Unter unbändigen Schmerzen schleppen wir uns ins obere Stockwerk. Blutrote Tränen laufen über Floras Wangen und ich wische sie ihr zärtlich weg. “Es tut mir Leid, Schwesterchen”, hauche ich, “ich hätte diesen blöden Vorschlag nicht machen sollen.” Doch Flora unterbricht mich mit einem Kopfschütteln. “Es war doch nicht deine Schuld. Schließlich habe ich ja zugestimmt.” Ich nicke nur und begleite Flora zu ihrem Sarg. Erst als sie eingeschlafen ist, gehe ich in mein eigenes Zimmer, um mich ebenfalls schlafen zu legen. Bevor ich mich allerdings in meinen Sarg fallen lassen, inspiziere ich noch meine Wunden. Fast mein ganzer Körper ist von blauen Flecken und anderen Wunden übersät. Nur meine Arme und mein Gesicht weisen keinerlei Verletzungen auf. Vater scheint diesmal darauf bedacht gewesen zu sein, nur an Stellen zu schlagen, die niemand sieht. Klar, es soll ja auch niemand etwas davon mitbekommen, da wir ja schon am nächsten Tag in diese verdammte neue Schule für Sterbliche müssen. Und dann auch noch auf so ein blödes Gymnasium! Als ob wir irgendwelchen Oberstreber wären! Ich sollte mich jetzt auch schlafen legen. Nicht dass ich morgen noch weniger aus dem Sarg komm als sonst schon! *~*~ Am Morgen klingelt mein Wecker natürlich viel zu früh. Genervt werfe ich das Ding gegen die Wand und quäle mich schließlich aus dem Sarg. Ich habe immer noch Schmerzen wenn ich mich bewege. Vater hat gestern wirklich ganze Arbeit geleistet. Rasch gehe ich ins Bad und dusche. Dann ziehe ich mich an und betrete schließlich das Zimmer meiner Schwester und tatsächlich ist sie schon wach und grade ebenfalls auf dem Weg in die Küche. “Guten Morgen, Schwesterchen”, begrüße ich sie und wuschel durch ihr Haar. Sie duckt sich unter meiner Hand weg und wir gehen gemeinsam in de Küche. Nach einem raschen Frühstück machen wir uns auf den Weg zu unserer neuen Schule. Vor dem Gebäude angekommen stockt uns erst mal der Atem. Von der einen Seite sieht die Schule aus wie ein fünfstöckiges Schwimmbad, von der anderen wie ein Altersheim und vom Hof aus gesehen wie ein Krankenhaus. Das lässt unsere Stimmung beträchtlich steigen. Wir seufzen und betreten schließlich unsere neue Schule und machen uns dann auf den Weg zum Sekretariat. Dort werden wir von einer freundlichen Dame namens Frau Z. begrüßt, welche uns unsere Stundenpläne und einen Raumplan übergibt und uns viel Erfolg wünscht. Abermals seufzend machen wir uns auf den Weg zum Pavillon, in welchem die Oberstufe unterrichtet wird. Durchs Fenster sehen wir bereits unsere zukünftige Stufe. Es sind bestimmt um die 30 Menschen. Unsere Laune sinkt noch bedeutend weiter, bis wir schließlich klopfen und den Raum betreten. Direkt kommt so ein komischer Typ auf uns zu, welcher sich als Herr R. vorstellt. Das muss wohl der Stufenleiter sein. Wir lächeln höflich, als er uns schließlich der Stufe vorstellt. “Das sind eure anderen neuen Mitschüler Flora und Desmond Alucard. Nehmt sie bitte freundlich auf und helft ihnen sich in die Stufengemeinschaft einzugliedern.” Andere neue Mitschüler? Das heißt wir sind nicht die einzigen neuen. Prüfend und abschätzig lasse ich meinen Blick über die Schüler schweifen und entdecke doch tatsächlich ein bekanntes Gesicht. Nein! Bitte nicht! »Flora, sieh mal wer noch hier ist« Flora folgt meinem Blick und entdeckt schließlich auch die größte Nervensäge des Universums. Hannah. Sie hat in der alten Stadt schon ständig versucht sich mit uns anzufreunden und hier wird sie uns bestimmt auch nicht in Ruhe lassen. Schließlich lassen wir uns auf unsere zugeteilten Plätze fallen, unsere Mitschüler geflissentlich ignorierend. Kapitel 3: ----------- Flora Oh man, dass kann ja wirklich noch lustig werden. Die Schule sieht aus wie ein Irrenhaus und drinnen laufen tatsächlich nur kranke Leute herum. Selbst die Lehrer sehen nicht gerade besser aus. Von einem stolzen, ehrgeizigen und gepflegten Erscheinungsbild halten diese wohl gar nichts. Auch wenn uns heute morgen noch nicht viele über den Weg gelaufen sind. Es macht alles eher den Anschein, dass die Schüler die Lehrer hier richtig im Griff haben. Was eigentlich doch gar nicht mal so schlecht ist, wenn sich meine Vermutungen bestätigen sollten. Man könnte doch... Aber bevor ich mit meinen Gedanken weiter fortfahren kann, erklingt vorne eine für mich völlig unbekannte Stimme. „Guten Tag ihr Lieben! Und vor allem heiße ich unsere drei neuen Mitschüler herzlich willkommen!“, mit diesen Worten kommt das merkwürdige Etwas, was sich bedauerlicher Weise als Frau J. herausstellt, auf uns zu. „Du musst bestimmt Flora sein, und du Desmond, oder?“ fragt sie uns, obwohl das ja wohl ganz offensichtlich sein muss. Schließlich gibt es nur drei neue und zwei davon sind Zwillinge. Und sie wird doch wohl nicht meinen, dass auch nur ein einziger von uns beiden mit Hannah verwandt sein könnte. „Richtig!“, knurrt Desmond mit einem seiner wohl finstersten Blicke. Aber Frau J. beeindruckt dies nicht, wobei ich bezweifle, dass sie es überhaupt richtig deuten kann. Auch wenn dies als Deutschlehrerin eigentlich zu ihrer Lieblingsbeschäftigung gehören müsste, denn schließlich macht man hier ja fast nichts anderes. Sie hält uns freudestrahlend ihre Hand hin. Aber wir denken nicht einmal daran diese Geste zu erwidern. Wir sitzen einfach stumm auf unseren Plätzen und gucken gezielt an ihr vorbei. Diesmal ist sie wirklich sprachlos. Sie steht circa eine halbe Minute noch vor uns, bis sie sich wieder gefangen hat. Ohne auch nur ein Wort noch zu sagen, schreitet sie zu Hannah herüber. Desmond und ich wissen genau, dass sie diesen Schritt jeden Moment bereuen wird. „Hallo! Sie müssen Frau J. sein, oder?“, sprudelt Hannah los, ohne überhaupt eine Antwort abzuwarten. „Ich habe schon viel von Ihnen gehört, Sie müssen eine tolle Lehrerin sein. Ich freue mich so, auch endlich mal bei Ihnen Unterricht haben zu dürfen. Das ist einfach großartig!“ Während dieser Sätze greift Hannah nach Frau J.s Hand und schüttelt diese ziemlich kräftig. „Ich bin im übrigen Hannah Röcker! Wie Sie bestimmt schon wissen, aber ich erzähle es Ihnen lieber selber noch einmal. Deutsch ist im übrigen mein absolutes Lieblingsfach! Wir werden uns bestimmt super gut verstehen“ Frau J. versucht verzweifelt ihre Hand aus Hannahs zu ziehen, aber dies ist zwecklos. „Welche Blumen mögen Sie eigentlich am liebsten? Ich mag Sonnenblumen richtig gerne. Die sind so schön groß und gelb und haben grüne Blätter! Ich kann Ihnen morgen ja einfach mal welche mitbringen. Was halten Sie davon? Ist doch eine super Idee!“ „Hannah!...“, versucht Frau J. sie zu unterbrechen. Aber wenn Hannah erst einmal mit dem Reden anfängt, hält sie so schnell nichts mehr auf. „Und einen Apfel bekommen Sie auch! Das haben Sie sich verdient. Ich weiß, dass ist irgendwie kitschig, aber Lehrer freuen sich doch immer über solche Kleinigkeiten. Soll ich nach dem Unterricht für Sie noch die Tafel putzen? Das mach ich wirklich gerne, ist kein Problem für mich...“ „Apropos Unterricht!“, ruft Frau J. nun. „Wir sollten nun endlich anfangen. War eine, wie soll ich es sagen, nette Unterhaltung mit dir.“ „Ich kann Ihnen auch noch mehr von mir erzählen. Ich kann auch mal an einem Nachmittag mit einem Kuchen bei Ihnen vorbei gucken. Ich kann im übrigen sehr gut backen. Was ist denn Ihr Lieblingskuchen? Also meiner ist...“, doch weiter kommt Hannah nicht. Mit einem Kopf, so rot wie eine Tomate, schreit Frau J.: „Nun halte endlich den Mund! Wir beginnen nun mit dem Unterricht!“ Mit diesen Worten geht sie wieder nach vorne und setzt sich an ihr Pult. „Seht ihr, was ihr angestellt habt? Ihr habt die arme Frau doch ganz verärgert mit eurem ständigen Gequatsche und Gekicher!“, sagt Hannah empört zum ganzen Kurs, woraufhin alle in Lachen ausbrechen. Ich frage mich nur, wen unsere Mitschüler mehr hassen. Mich und Desmond oder Hannah! Auch wir beide können uns das Lachen nicht verkneifen. Manchmal ist es mit Hannah echt zu komisch, wenn sie es nur nicht auf uns beide abgesehen hätte. Und schon wieder werde ich durch die Stimme unserer ach so scharmanten Deutschlehrerin aus meinen Gedanken geweckt. „RUHE!“, ruft sie und geht mit ein Stück Kreide in der Hand zur Tafel. „Die Jugend ist schuld am Zerfall der deutschen Sprache!“, schreibt Frau J. an die Tafel. „Erörtert diesen Satz auf mindestens zwei DinA 4 Seiten. Ihr habt die ganzen zwei Stunden Zeit. In der nächsten Einzelstunde am Mittwoch werden wir uns ein paar Ergebnisse anhören! Und jetzt redet keiner mehr ein Wort! Es wird gearbeitet!“, sagt sie immer noch ziemlich zornig. „Frau J.!“, meldet sich plötzlich Hannah und man kann schlagartig die Stimmungsschwankung von ihr erkennen, nämlich noch wütender, wenn dies überhaupt noch geht. „Soll ich nach der Stunde die Tafel putzen, wie ich es eben schon vorgeschlagen habe? Ich mach das...“ „Ja, mach das. Aber jetzt schreib!“, platzt es förmlich aus Frau J. heraus. Merkwürdigerweise sagt Hannah hierauf kein Wort, sondern macht sich sofort an die Arbeit! Auch die anderen Schüler tun es ihr gleich, auch wenn die meistens noch ziemlich verschlafen aussehen und so wieso nichts hinbekommen werden. „Das nenne ich mal einen gelungenen Start! Hannah stiehlt uns wirklich die Show. Und sie hat sich kein bisschen geändert“, flüstere ich Desmond zu. „Eher verschlimmert, meinst du wohl! Aber so lassen uns wenigstens die anderen in Ruhe und auch die Lehrer stellen keinen blöden Fragen mehr, vor Angst Hannah könnte sich einmischen!“, scherzt Desmond. „Nur was machen wir mit ihr? Soll alles wieder so werden wie vorher in der anderen Stadt? Oder wie...“, doch weiter komme ich nicht. „Das gilt auch für euch beide! Arbeitet!“ Desmond und ich schlagen unsere Collegeblöcke auf, doch keineswegs um die Aufgaben zu erledigen. Desmond dient sein Block nur als Tarnung während er nach draußen durch das Fenster schaut. Ich hingegen benutze meinen Block, um ein paar Zeichnungen anzufertigen. So vergehen die ersten zwei Deutschstunden in dieser ätzenden Schule. Als plötzlich die Schulklingel ertönt, erwecken merkwürdigerweise auch unsere anderen Mitschüler wieder zum Leben und verlassen eilig das Klassenzimmer. Passend zum Klingelzeichen stürmt Hannah nach vorne zum Pult. Doch Frau J. hat, als ob sie es schon geahnt hatte, ihre Tasche schon unter dem Arm und stürmt mit den anderen Schülern aus dem Zimmer. „Oh man, ich dachte diese zwei Stunden enden nie! Schule ist wirklich langweilig, wenn man die schon 5 mal hinter sich hat!“, sagt Desmond etwas schläfrig. „Stimmt, und dann auch noch die ganzen Spinner und vor allen Hann...!“, doch wie so häufig an diesem Tag werde ich auch diesmal unterbrochen. „Hallo ihr zwei! Das ist doch mal ein Zufall, dass wir uns hier wiedersehen! Ich freue mich ja so. Ich dachte schon, dass ich euch nie wiedersehe. Ach was, natürlich wäre ich euch besuchen gekommen. Wir sind ja schließlich beste Freunde. Und Briefe hätte ich euch geschrieben, was ich natürlich jetzt auch noch machen kann. Morgen bekommt ihr beide einen Brief von mir, einverstanden? Welches Briefpapier hättet ihr denn gerne? Mit Blumen oder mit süßen Hunden. Ich habe auch Pferde oder Katzen. Also ich finde die Hunde am süßesten, aber....“, Hannah redet einfach weiter, aber Desmond und ich sind, seit dem wir Hannah kennengelernt haben Weltmeister in Leute ausblenden. „Was haben wir als nächstes?“, frage ich Desmond, während Hannah immer noch ohne Pause auf uns einredet. „Mathe! Das müsste drüben im anderen Gang sein.“, mit diesen Worten setzten wir beide uns in Bewegung und hören Hannah nur noch hinter herrufen: „Wartet! Da können wir doch zusammen hingehen. Wir sind doch im selben Kurs. Ist das nicht super. Wir können wieder jederzeit durch dick und dünn gehen. Ich hatte wirklich schon Angst euch nie wieder zu sehen. Wartet! Ich muss nur noch eben die Tafel putzen. Ist unsere Deutschlehrerin nicht einfach super? Nur die Mitschüler sind richtig fies zu ihr. Findet ihr nicht auch....“ Desmond und ich finden den Raum ohne Probleme und setzen uns hinter zwei ziemlich merkwürdig aussehenden Mädchen. Aber was wundert mich das eigentlich noch, hier sehen doch alle merkwürdig aus, aber diese zwei besonders. Die eine sieht fast so aus, als ob sie gleich auf dem Stuhl einschlafen würde und die andere dreht sich auch noch zu uns beiden um. Was für ein Glück wir beide heute doch haben. Denken die wirklich, dass wir wert auf ihre Freundschaft legen? Die können uns wirklich gestohlen bleiben. Und dies gibt Desmond ihnen auch deutlich zu verstehen, während ich nur herablassend auf sie runter gucke. Wir beiden hoffen, dass dies deutlich für die beiden ist. Und tatsächlich wenden sich die zwei wieder von uns ab. Bei denen merkt man wirklich, dass es sich hier um Gewöhnliche handelt, welcher Vampir würde seinen Kindern schon mit den Namen „Nina“ und „Zülal“ bestrafen. Selbst unser Vater würde niemals so eine Namensänderung an uns vornehmen...In diesem Moment tritt eine Person in die Klasse, die meine ganze Aufmerksamkeit auf sich zieht, während ich auf meinem Block rumkritzel. Er sieht so süß aus, wie er sich zu seinem Platz bewegt. Und sein Lächeln, einfach unbeschreiblich. Wie zum Dahinschmelzen. Seine Augen funkeln mich an und ich frage mich, wer das wohl ist. Handelt es sich hier wirklich um einen Menschen? Gibt es wirklich so gut aussehende Gewöhnliche? Was rede ich hier eigentlich für ein Blödsinn? Gewöhnliche und gut aussehen, dass ich nicht lache. Aber der hier... Ach was, dass bilde ich mir nur ein um mich abzulenken. Als ob ich jemals was mit einem Gewöhnlichen anfangen würde. Höchstens wenn ich ihn beißen würde... Nur das ist uns allen ja leider untersagt...aber würde mich das abhalten? Plötzlich ertönt vorne wieder eine völlig neue Stimme. „Morgen!“, ruft uns unsere Mathelehrerin Frau A.- B. mit ziemlich strengen Unterton. „Herzlich Willkommen an alle neuen in diesem Kurs. Ich hoffe ihr seit sehr diszipliniert und fleißig. Und werdet euch benehmen. Alles andere ist in meinem Kurs untersagt! Und wird mit harten Strafen geahndet.“, verkündigt sie mit einem fiesen Grinsen, dass mir irgendwie gefällt. „Wir und uns benehmen? Wovon träumt diese Ungetüm eigentlich nachts?“, flüstert mir Desmond zu und ich erwidere es mit einem boshaften Lächeln. „Wir wollen heute das Thema Kurvendiskussion endgültig abschließen, damit wir nächsten Mittwoch mit unserem neuen Thema Funktionsscharen fortfahren können. Dazu biete ich auch heute diese zwei Unterrichtsstunden an, um die Klausurvorbereitungsaufgaben auf den Seiten 45 und 46 zu machen. Natürlich sammle ich diese am Anfang der nächsten Stunde ein und korrigiere diese. Die Note fließt in eure mündliche Beurteilung mit ein. Also erledigt diese Aufgaben sorgfältig und denk an das dokumentieren jedes einzelnen Schrittes!“ , während Frau A.-B. spricht, schreibt sie die entsprechenden Seiten an die Tafel. „Ich hoffe, dass auch ihr neuen dieses Thema schon behandelt habt! Ansonsten müsst ihr es selbstständig nachholen! Macht euch an die Arbeit! Ich erwarte absolute Stille!“ „Was halten Sie eigentlich von uns? Denken Sie, wir haben hinter dem Mond gelebt, so dass wir so eine Kleinigkeit nicht könnten. Wir hatten Unterricht bei dem besten Privatlehrer den es hier im Lande gibt! Das Ihnen eigentlich bekannt sein müsste! Sie ...“ , doch bevor Desmond seine Beleidigungen hinterher werfen kann, wird er von Frau A.-B. unterbrochen. „Ich meine damit ja nicht euch!“ „Und wieso sagen Sie es dann so, Sie Abschaum der Gesellschaft?!“, schreie ich sie jetzt förmlich an, doch Frau A.-B. ignoriert diese abfällige Bemerkung und redet wie gewohnt weiter. Dies wundert nicht nur uns beide, sondern der ganze Kurs sieht geschockt aus. „Ich meine ja unsere dritte neue, die ja nur eine normale Schulausbildung genossen hat...“, doch nun meldet sich auch Hannah wieder zu Wort, was eigentlich schon viel zu lange gut gegangen ist. „Aber Mathe war schon immer mein Lieblingsfach! Ich bin richtig gut darin. Und Kurvendiskussionen sind eine Leichtigkeit für mich. Ich habe mir sogar schon zu Aufgabe Nummer fünf Gedanken gemacht. Hier geht es ja um das Verhalten der Kurve im Unendlichen! Vor unserem alten Haus war auch so eine Kurve, die ins unendliche lief. Wenn man auf der Straße stand, konnte man nämlich nicht das Ende erkennen. Es sind auch viele Autofahrer dort verunglückt. Das war immer ein großes Theater. Einige haben diesen Unfall auch nicht überlebt und sind somit gestorben! Und wenn man jetzt wieder auf Mathe zurückkommt, hat dies ja auch was mit unendlich zu tun. Sie sind ja jetzt alle unendlich lange tot. Was sehr schade ist, aber wieso rast....“, doch weiter kommt sie nicht. Frau A.-B. hat ihre Fassung wiedergewonnen und schreit sie nun richtig an. „Hat dich überhaupt irgendjemand nach deiner Meinung gefragt?! Wer hat gesagt, dass du reden solltst?! Euer Auftrag ist zu arbeiten und nciht zu quatschen!“, mit diesen Worten setzt Frau A.-B. sich wieder an ihren Platz. „Die habt ihr also auch schon so verärgert!“, gibt Hannah leise, aber dennoch verständlich von sich und macht sich daran, wie alle anderen auch, die Aufgaben zu lösen. Sie wird es wohl nie verstehen. Aber das wundert Desmond und mich kein bisschen, denn genau so kennen wir Hannah. Während Desmond wieder aus dem Fenster guckt, kritzel ich einfach in meinem Block herum und beobachte diesen gut aussehenden Jungen.... Ich könnte ihn wirklich stundenlang angucken, doch da geht auch schon die Schulglocke und die zwei Stunden sind leider schon vorbei. Er verlässt wie alle anderen den Raum und zu unserem großen Vergnügen tritt Hannah zu uns rüber. „Ist das nicht fies!“, beginnt Hannah zu reden, obwohl ihr keine Beachtung schenken. „Die Schüler machen die Lehrer hier richtig fertig. Und diese sind dann richtig schlecht gelaunt und ich bekomme auch noch ärger. Obwohl ich so freundlich zu ihnen war. Findet ihr das nicht auch fies? Aber mit der Hausaufgabe werde ich das alles wieder hinbekommen. Ich bin schon fast fertig. Wollt ihr vielleicht abschreiben. Es ist kein Problem für mich, meine besten Freunde lasse ich gerne abschreiben. Ich kann es euch auch nach Hause bringen. Da fällt mir ein, wo wohnt ihr eigentlich? Also ich wohne nicht weit von hier. Man muss nur hier erst einmal aus der Schule rausgehen und dann die Straße rechts runter laufen, dann links in die Fußgängerzone und hinten beim Bäcker wieder rechts abbiegen. Obwohl ich zeige es euch am besten heute Nachmittag nach Sport einmal oder ihr führt mich zu eurem Haus. Was natürlich noch besser ist......“ „Bei dem Thema zu Hause...Wollen wir nicht blau machen und abhauen? Ich halte es hier einfach nicht mehr aus und bin müde. Das hier ist doch wirklich ein Irrenhaus. Selbst das Internat wäre wohl noch erträglicher. Also ich gehe jetzt. Du kommst doch mit, oder?“, fragt Desmond, obwohl er die Antwort schon kennt. „Was denkst denn du? Lass uns abhauen!“, werfe ich ihm entgegen, obwohl ich liebend gerne diesen einen Jungen noch mal wieder sehen würde, aber dies darf ich Desmond auf gar keinen Fall erzählen. Wir gehen gemeinsam Richtung Ausgang und lassen Hannah einfach in der Klasse zurück. Sie hat uns die ganze Zeit nicht zugehört und ist immer noch damit beschäftigt uns die Innenausstattung ihres Hauses im kleinsten Detail zu beschreiben. Beim herausgehen überlege ich mir im Gedanken, wie lange Hannah wohl diesmal braucht, um zu bemerken, dass Desmond und ich schon lange nicht mehr da sind. Als wir kurz vorm Ende des Schulgeländes stehen, hören wir eine Stimme hinter uns. Es handelt sich Gott sei Dank nicht um Hannahs. Ein älterer Herr mit einem grau-schwarzen Anzug kommt auf uns zugelaufen. „Ihr dürft das Schulgelände nicht verlassen! Geht sofort wieder zurück in eure Klassen. Was fällt euch eigentlich ein!“, schimpft er uns an. „Was willst du eigentlich Opi. Wir lassen uns von dir doch nhttp://animexx.onlinewelten.com/fanfiction/ffadmin/264886/756215/ichts sagen!“, mit diesen Worten schuppst Desmond den älteren Mann zurück. Dieser stolpert im nächsten Moment über mein genial platziertes Bein und fällt rückwärts in einen Busch. Während wir fortgehen, hören wir nur noch sein wütendes Geschrei. Zu hause angekommen, gehen Desmond und ich hinauf in unsere Zimmer, denn wir sind beide richtig müde. Wobei mir gerade wieder einfällt, dass unsere nächtliche Aktion gestern bestimmt noch ein Nachspiel haben wird. Aber das interessiert uns beide momentan gar nicht. Wir wollen einfach nur diesen schrecklichen ersten Schultag vergessen und endlich schlafen. Mit Vater müssen wir zu Hause zum Glück nicht rechnen, da er heute Nachmittag ein Geschäftstreffen mit ein paar Gewöhnlichen hat. Ich weiß auch nicht, wieso er sich so etwas antut. Oben in meinem Zimmer angekommen, lasse ich mich erschöpft in meinen Sarg fallen und schlafe sofort ein. „DESMOND, FLORA! WO SEID IHR!“ Mit dieser Stimme werden Desmond und ich aus dem Schlaf gerissen. Es ist unser Vater. „KOMMT SOFORT HER!“ Was will der denn schon wieder? Er ist doch nicht etwa dahinter gekommen, dass wir.... Mit diesen Gedanken stürze ich in Desmonds Zimmer und er guckt mich genauso ratlos an. Uns bleibt nichts anderes übrig als nach unten zu gehen. Als wir an der Treppe angekommen sind, sehen wir Vater mit zwei Herren unter in der Eingangshalle stehen. Der eine ist der ältere Herr, der wegen uns in den Busch gefallen ist und der andere unser Stufenleiter Herr R. Kapitel 4: ----------- Desmond “Scheiße!”, fluche ich, als ich unseren Vater zusammen mit Herrn R. und diesem anderen Typen am Fuß der Treppe stehen sehe. Erschrocken sehe ich Flora an. Wir beide wissen, dass das nun wieder ziemlich Ärger geben wird. Nicht, dass wir nicht noch genug Ärger wegen dem Rausschleichen letzte Nacht zu erwarten hätten. Nein. Jetzt kommen auch noch das Schwänzen und der Zwischenfall mit dem anderen Kerl dazu! “Vater wird uns töten”, hauche ich und Flora nickt zustimmend. “Wir können froh sein, wenn wir nicht augenblicklich auf der Vampire-Academy landen!”, fügt sie angsterfüllt hinzu und diesmal ist es an mir zustimmend zu nicken. “ICH HABE GESAGT IHR SOLLT SOFORT HERKOMMEN!!!”, schreit Vater abermals und wir zucken beim Klang seiner wütenden Stimme zusammen. Noch einmal atmen wir tief ein, bevor wir schließlich die lange Treppe hinab schreiten, wobei wir krampfhaft versuchen, unsere Fassade aufrecht zu erhalten und den Anwesenden nicht zu zeigen, wie viel Angst wir wirklich haben. Als wir unten ankommen, deutet Vater auf den Mann, welcher mit dem Busch Bekanntschaft gemacht hat. “Ihr werdet euch jetzt sofort bei Herrn S. dafür entschuldigen, dass ihr ihn in das Gebüsch geschubst habt!”, sagt Vater und seine Stimme duldet keinen Widerspruch. Beschämt senken wir die Köpfe. “Tut uns Leid, dass wir Sie geschubst haben”, murmeln wir leise. Doch das reicht Vater scheinbar noch nicht. “Lauter!”, befiehlt er und wir haben keine Wahl als ihm zu gehorchen, wenn wir nicht noch härter bestraft werden wollen als sowieso schon. Noch einmal durchatmend heben wir die Köpfe wieder und blicken diesen komischen Herrn Schuh direkt an, als wir schließlich abermals unsere Entschuldigung hervorbringen. Nun richtet Herr R. das Wort an uns. “Wie ihr sicher wisst, wird euer Schwänzen und auch der Angriff auf euren Schulleiter nicht ohne Konsequenzen bleiben. Deshalb werdet ihr die nächsten drei Wochen jeweils zwei Stunden nachsitzen und Strafarbeiten erledigen. Des weiteren werdet ihr beide einen Tadel erhalten, welcher natürlich auch in eurer Schulakte vermerkt wird!” Nachdem Herr R. uns unsere Strafe mitgeteilt hat, verabschieden er und Herr Schuh sich von uns und unserem Vater und verlassen unser Haus. Eigentlich sind wir ganz gut weggekommen. Nachsitzen und ein Tadel. Tz. Nichts weltbewegendes. Doch als ich den Zorn und die Wut abermals in Vater brodeln spüre, weiß ich, dass er mit uns noch lange nicht fertig ist. Nach dem er sich ebenfalls verabschiedet hat, dreht er sich wutentbrannt zu uns um. “Was bei Chranas Eingeweiden sollte das?!”, schreit er uns an, “Was um alles in der Welt habt ihr euch dabei gedacht, einfach die Schule zu schwänzen und euren Schulleiter, bei dem Versuch euch aufzuhalten, in ein Gebüsch zu stoßen?!" Wir richten unsere Blicke gen Boden und schweigen. Doch diese Antwort scheint Vater nicht zu reichen, denn nur wenige Sekunden später spüren wir beide Vaters kräftige Hand auf unseren Wangen. Wir zucken zurück, doch wagen wir es immer noch nicht zu antworten. Flora „Jetzt fällt euch wohl nichts mehr ein! Ihr wisst genau, dass dies eure letzte Chance ist, dem Internat zu entkommen! Und was macht ihr? Ihr tretet diese Chance mit Füßen!“, während Vater dies buchstäblich aus sich heraus schreit, zieht er seinen Gürtel aus seinen Hosenschlaufen. Ich sehe schockiert zu Desmond rüber und erkenne, dass auch er weiß, dass diese Tracht Prügel noch schlimmer wird als die mit dem Gehstock. Denn Vaters Gürtel sind keine normalen Gürtel, diese trägt er nämlich nur selten. Die meisten seiner Gürtel haben Nieten, die wie kleine Stacheln abstehen. Und genauso ist auch der Gürtel, den er gerade in der Hand hält. Und wir wissen genau, dass Vater diesmal nicht davor zurück schrecken wird, auch die Nietenseite gegen uns zu benutzen. Denn diesmal ist er richtig sauer. Erst die Sache in der anderen Stadt, dann unserer nächtliche Aktion und nun auch noch der Stress mit der Schule... Plötzlich sehe ich Desmond neben mir zusammensacken und auch im nächsten Moment spüre ich selber einen stechenden Schmerz an meinen rechten Arm. Bevor dieser Schmerz vergehen kann, spüre ich schon weitere. Vater ist richtig in Rage und schlägt immer wieder auf uns beide ein. Ich spüre, wie mein kaltes Blut meinen Rücken und meine Arme hinunterfließt. Und auch Desmond geht es nicht besser. Der ganze Boden ist schon von Spritzern unseres Blutes überzogen. Ich habe noch nie in meinem Leben solche Schmerzen verspürt. Unser ganzes jammern hilft uns in dieser Situation auch nicht. Vater ist so aufgebracht, dass er uns einfach ignoriert. Aber so langsam werden seine Schläge langsamer und schwächer. Und auch der Zeitraum wird größer. Ich hoffe nur, dass es endlich ein Ende hat. Die Schmerzen sind grauenvoll. Ich kann mich kaum noch aufrecht halten und liege nur noch flach auf dem Boden herum. Desmond versucht noch Stärke zu zeigen und kniet vor Vater nieder. Aber für so etwas bin ich schon zu schwach... „Nun geht endlich auf eure Zimmer! Wir sprechen morgen über eure weitere Zukunft! Um halb sechs unten in der Küche!“, mit diesen Worten verlässt Vater uns und geht zurück in sein Arbeitszimmer. Desmond schaut ihm mit entgeisterten Gesicht hinterher. Ich hingegen liege einfach weiter flach auf dem Boden und kann mich kaum bewegen. Jede Bewegung schmerzt. Desmond richtete sich auf und sitzt nun neben mir auf den Boden. Auch sein Gesicht ist schmerzverzerrt. „Hey! Kleine...“, er legt mir nur ganz leicht seine Hand auf meine Schulter. „Auu!“ versuch ich heraus zu schreien, aber es kommt nur ganz leise heraus. „Vater spinnt. Wir haben es nun wohl endgültig zu weit getrieben. Kannst du aufstehen?“, fragt er liebevoll. Ich versuche alle meine Kräfte zusammen zu nehmen und richte mich mit Desmonds Hilfe langsam auf. Ich stehe mit wackeligen Beinen vor ihm und werde von ihm gestützt. „Lass uns nach oben gehen. Dort habe ich noch etwas von der blut- und schmerzstoppenden Creme. Die wird dir helfen.“ Er ist so richtig liebevoll und es tut so gut sich an seiner starken Schulter zu stützen. Langsam gehen wir gemeinsam die zwei Treppen hinauf in unsere Zimmer. Ich merke auf dem Weg, wie meine Beine immer mehr nachgeben. Aber Desmond stützt mich gut, obwohl er wahrscheinlich genauso viele Schmerzen hat, wie ich. Doch kurz vor Desmonds Zimmer lassen meine Kräfte endgültig nach und mir wird schwarz vor den Augen.... Als ich meine Augen wieder öffne, liege ich in meinem Sarg und Desmond kniet neben mir und hält meine Hand. „Was ist passiert?“, frage ich während ich mich versuche aufzurichten und wieder meine Schmerzen spüre. „Bleib liegen und ruhe dich aus. Du bist auf der Treppe zusammengebrochen und ich habe dich hierher getragen. Deine Wunden habe ich auch versorgt. Die Schmerzen sollten bald nachlassen. Und nun versuch etwas zu schlafen. Wir müssen schließlich morgen um halb sechs unten in der Küche uns die nächste Strafpredigt von Vater anhören. Aber egal was kommen mag, es kann kaum schlimmer werden als dies hier. Und so lange wir nicht getrennt werden, durchstehen wir alles. Also mach deine Augen zu und schlafe. Bis morgen Schwesterherz.“, mit diesen Worten geht Desmond rüber in sein Zimmer. Und tatsächlich schlafe ich sofort ein. Plötzlich höre ich angsterfülltes Geschrei. Verwirrt öffne ich meine Augen. Es ist mein Wecker. Desmond muss ihn gestern Abend wohl noch für mich gestellt haben. Genervt drücke ich den Knopf und richte mich auf. Meine Schmerzen sind tatsächlich verschwunden, als ob gestern Abend nichts vorgefallen ist. Aber was wird uns jetzt gleich wohl erwarten? Nur viel Zeit darüber nachzudenken bleibt mir nicht, denn ich habe nur noch eine viertel Stunde, bis ich unten sein muss. Schnell suche ich mir meine Sachen zusammen und ziehe diese blitzschnell an. Dann stürme ich in mein Bad und fange an mich zu schminken. Aber als ich in den Spiegel schaue, werde ich fast wieder ohnmächtig. Ich habe zwar keine Schmerzen mehr, aber die Wunden sind immer noch nicht ganz verheilt. Man sieht immer noch relativ deutlich die Streifen und die Einschlaglöcher der Nieten. Obwohl ich mich eigentlich glücklich schätzen müsste, dass unsere Wunden schnell verheilen. Menschen würden mehrere Monate noch damit herumlaufen und auch deutlich länger diese extremen Schmerzen verspüren. Verzweifelt versuche ich die Striche am Hals und an meinen Unterarmen zu überschminken. Aber damit habe ich keinen Erfolg. Man sieht sie immer noch deutlich. Im Grunde ist es mir egal, wenn Desmond und Vater es sehen würden. So würde Vater zu mindestens noch einmal sehen, was er uns gestern angetan hat. Aber wenn Vater sich tatsächlich noch einmal dazu entschlossen hat uns auf der Schule zu lassen und uns heute dahin zuschicken, wäre es undenkbar für mich, meinen Mitschülern die Streifen zu demonstrieren. Denn das geht diese gar nichts an und Fragen können sie sich somit sparen. Daher stürme ich wieder in mein Zimmer und ziehe mir eine langärmlige, schwarze Strickjacke darüber. Anschließend suche ich nach einem passenden Tuch, das ich schnell gefunden habe. Der nächste Blick in den Spiegel ist dann schon zufriedenstellender als der letzte. Zumindestens sieht man so nichts mehr von Vaters gewalttätiger Aktion. Als ich gerade die Tür zum Flur öffne, um schnell nach unten in die Küche zu gelangen, sehe ich Desmond noch ziemlich verschlafen aus seinem Zimmer kommen. „Morgen Bruderherz!“, begrüße ich ihn. „Und danke für gestern Abend!“ „Ach, dafür doch nicht. Für meine Süße mache ich doch alles.“, gibt er im charmantesten Ton zurück, den ich jemals von ihm gehört habe. „Dann wollen wir uns jetzt mal unsere nächste Standpauke abhole und vielleicht auch unsere Einladung zur Vampir-Academy.“, sagt Desmond ohne eine Spur Angst in seiner Stimme. „Gut! Dann lass uns mal runter gehen, sonst könnte es durchaus noch schlimmer werden.“, füge ich bei und wir gehen runter zur Küche. Schon in der Eingangshalle hören Desmond und ich eine uns unbekannte Stimme. Vater ist nicht alleine. Wer der Mann wohl ist? Der Schulleiter von der Vampir-Academy etwa? Keiner von uns sagt ein Wort, wir gehen einfach schweigend weiter bis zur Küche. Zaghaft klopfe ich an die Tür und wir treten ein. Und tatsächlich steht Vater dort mit einem unbekannten Mann, der ca. in seinem Alter sein müsste. Allerdings kann man dies bei Vampiren nie so genau sagen. „Ach, da seit ihr ja endlich. Und sogar pünktlich!“, begrüßt uns Vater. Seine Wut scheint verflogen zu sein, stattdessen lächelt er sogar. Ob dies etwas mit der Person zu tun hat? Oder mit seinem Vorhaben bezüglich uns? „Guten Morgen!“, sagen Desmond und ich freundlich, mit leicht gesenkten Köpfen, zu beiden. „Dies ist Lucern Argeneau!“, stellt Vater uns den fremden Mann vor. „Sehr erfreut euch beide mal persönlich kennen zu lernen!“, sagt er freundlich und reicht uns die Hand. Eigentlich ist es nicht unsere Art, diese Geste zu erwidern, aber in Anbetracht unserer momentanen Lage bleibt uns nichts anderes übrig. „Wir sind alte Freunde und haben uns gemeinsam in der Vampir-Academy vor ca. 2000 Jahren kennen gelernt. Wir waren damals in der selben Klasse. Genau wie eure Mutter. Unser Kontakt ist nie abgebrochen und noch heute könnte man sagen, dass wir unzertrennlich sind.“, sagt Vater lachend. Ich frage mich, was das hier zu bedeuten hat. Wieso stellt Vater uns seinen alten Schulfreund vor? Soll es nicht um unsere Zukunft gehen? Was soll das also? Auch Desmond guckt verwirrt abwechselnd Vater und seinen Schulfreund an. Vater scheint unsere Blicke zu bemerken und fährt fort. „Was guckt ihr denn so verwirrt? Ihr habt wohl etwas anderes erwartet, oder?“, wie recht er doch hat. Damit hätten wir wirklich nie gerechnet. „Aber dann kommen wir doch gleich mal zum Punkt! Natürlich besucht Lucern mich nicht einfach nur so, nein, ich habe ihn persönlich hierher bestellt. Gestern Abend habe ich noch angerufen und bin sehr erfreut, dass er so schnell Zeit gefunden hat. Lucern ist immer noch an der Vampir-Academy! Er arbeitet dort als Lehrer und Betreuer für besonders extreme Fälle!“, sagt er mit einem schadenfrohen Ton. Ich gucke Desmond geschockt an und er tut es mir gleich. Obwohl wir damit eigentlich schon vorher gerechnet haben, dass wir nun endlich auch auf dieses Eliteinternat kommen, bei den Sachen, die wir uns in den letzten Tagen geleistet haben. Desmond gewinnt zuerst seine Stimme wieder. „Also schickst du uns jetzt wirklich auf das Internat?“ „Nein! Das werde ich nicht!“, sagt er ernst. „Hää, wie??“, was anderes bringe ich nicht heraus. Es spricht doch alles dafür, dass er uns dort hinschicken möchte. Was sollte es denn anderes bedeuten? „Ich werde euch noch nicht aufs Internat schicken. Zu vor sollt ihr erst einmal erleben, wie gut ihr es eigentlich hier habt! Deshalb werdet ihr in der kompletten nächsten Woche von Lucern betreut. Somit werdet ihr am eigenen Leib erleben, was euch im Eliteinternat erwarten würde.“ Uns stockt der Atem! „Lucern wird euch die ganze Woche nicht aus den Augen lassen. Er wird euch zur Schule begleiten und euch 24 Stunden am Tag bewachen. Außerdem wird er darauf achten, dass ihr eure Aufgaben gewissenhaft erledigt. Dies wird alles über die Methoden der Academy gemacht!“ „Aber Vater!“, versuche ich es, aber ich komme nicht zu Wort. „Kein, aber Vater! Ihr könnt auch sofort auf das Internat gehen!“ „Nein, wie soll er uns denn 24 Stunden am Tag bewachen. Er kann doch schlecht mit uns im Klassenzimmer sitzen.“, versuche ich es weiter. „Doch das wird er! Er gibt sich vor euren Lehrern als euer alter Privatlehrer aus, der mal eine Woche lang gucken möchte, ob die Einrichtung gut genug für euch ist! Es ist auch schon mit eurem Direktor abgesprochen. Also darüber müsst ihr euch keine Gedanken machen!“ „Aber das ist doch total peinlich...“, mischt sich Desmond nun auch endlich ein. „Ihr könnt euch gerne überlegen, was ihr lieber wollt. Vielleicht doch sofort aufs Internat?“, fragt Vater scheinheilig. „Nein, schon gut!“, geben Desmond und ich kleinlaut bei. Wir gucken uns beide an und ich sehe in seinem Gesicht, dass er genau das selbe denkt wie ich. So leicht geben wir uns nicht geschlagen. Wieso sollten wir das machen, was dieser Typ von uns will? Wer sind wir denn? Es ist doch auch nur eine Woche! Der wird sich wunde... „AU!“, schreien Desmond und ich gleichzeitig. Plötzlich spüre ich einen unerträglichen Schmerz in meinem kompletten Körper. Und Desmond scheint dies auch widerfahren zu sein. Aber woher kommt dieser plötzliche Schmerz, der nur langsam nachlässt. Keiner hat uns angefasst. Wie kann so etwas? Aber lange brauchen wir beide nicht auf unsere Antwort zu warten. „Dies zählt zu den Methoden im Internat!“ meldet sich Lucern Argeneau zu Wort. „Es handelt sich hierbei um eine Spezialfähigkeit von Vampiren, die man nach intensiven Üben und langer Schulbildung hinzu lernen kann. Nur wenige können diese Fähigkeit einsetzten, da es sich hier eben nicht um eine angeborene Vampir-Fähigkeit handelt, sondern um eine, die man mit viel Mühe und Fleiß erlernen kann. Es handelt sich hierbei um die Fähigkeit Vampiren, aber auch anderen Geschöpfen, plötzlich extreme Schmerzen zuzufügen. Bei Vampiren ist dieser Schmerz zu vergleichen mit der Berührung von Weihwasser! Allerdings stirbt man bei diesem Schmerz nicht!“, lacht Lucern. „Und wieso gebrauchen sie diese Fähigkeit gegen uns?“, frage ich empört. „Meine angeborene Vampir-Fähigkeit ist Gedankenlesen. Diese Fähigkeit habe ich perfektioniert! Ohne viel Kraftaufwand bzw. mit kaum Kraft kann ich eure Gedanken lesen. Und genau dies, habe ich soeben bei euch die ganze Zeit gemacht! Ich brauche euch ja wohl nicht eure Gedanken noch einmal zu erzählen!“ „Nein!“, sagen wir beide beschämend und versuchen angestrengt an nichts zu denken. „So!“, sagt Vater. „Ihr werdet jetzt wohl endlich gemerkt haben, worum es hier geht und was euch blühen würde, wenn ihr tatsächlich auf das Internat kommt! Und eins kann ich euch sagen, ihr seit nicht mehr weit davon entfernt!! Und dies liegt keineswegs daran, dass ich euch als begabt einschätze und eine extrem gute Schulausbildung für euch wünsche! Also, Lucern wird nun für eine Woche euer Betreuer sein und somit 24 Stunden am Tag für euch da sein. Benehmt euch! Und macht euch nun für die Schule fertig. Lucern wird hier auf euch warten. Also holt eure Sachen!“ Desmond und ich machen uns sofort auf den Weg nach oben, um unsere Sachen zu holen. „Das kann ja noch witzig werden mit dem Kauz da unten. Zum Glück ist er nur eine Wochen da!“, beginnt Desmond. „Das kannst du laut sagen! Der hat sie wirklich nicht mehr alle. Das wird sowas von peinlich.“, entgegne ich. „Dem Typen sollten wir wirklich mal eine Lektion erteilen, der....“, doch weiter kommt Desmond nicht. „Aahhh!“, schreien wir beide. Er hat also schon wieder oder immer noch unsere Gedanken überwacht. Das kann ja noch lustig werden..... Desmond “Wir müssen uns echt zurückhalten und aufpassen was wir sagen und denken”, keuche ich, als der Schmerz wieder nachlässt. “Vermutlich werden die Schmerzschübe sonst noch stärker.” Und kaum habe ich das ausgesprochen, höre ich auch schon ein ~Wie recht du hast!~ von Lucern in meinem Kopf. Schnell nehmen wir unsere Schultaschen und gehen wieder nach unten. Vater und Lucern unterhalten sich bei einer Tasse Kaffee, als wir die Küche betreten. “Wir wären dann soweit”, sage ich und Flora bestätigt dies mit einem Nicken, “aber ist es nicht noch etwas früh um zur Schule zu gehen?” “Wieso früh? Es ist bereits viertel nach sechs. Also höchste Zeit, dass wir uns auf den Weg machen!” “Ähm... Herr... Argeneau? An unserer Schule beginnt der Unterricht erst um acht”, wirft Flora ein. Lucern hält in seiner Aufbruchbewegung inne und überlegt. “In Ordnung. Wir werden uns aber dennoch bereits auf den Weg machen. So haben wir noch ein wenig Zeit uns besser kennen zu lernen.” Meine Hoffnung, mich vielleicht noch ein bisschen hinlegen zu können, verfliegt sofort wieder. Wäre ja auch zu schön gewesen! Doch ich habe keine Zeit weiter darüber nachzudenken, denn wir machen uns bereits auf den Weg. Auf dem Weg Richtung Hauptstraße beginnt Lucern damit, uns seine Regeln zu erklären. “Erstens, werdet ihr mich nicht mit Herr Argeneau, sondern mit Sensei ansprechen! Zweitens, erwarte ich, dass all meinen Anweisungen augenblicklich folge geleistet wird! Und drittens, werdet ihr von nun an sowohl darauf achten, was ihr sagt, als auch auf das, was ihr denkt! Was euch sonst blüht, habe ich euch ja bereits vorgeführt. Und seid gewarnt, die Gedankenfolter is noch harmlos im Gegensatz zu den anderen Methoden!” Uns stockt der Atem. Was hat dieser Kerl nur mit uns vor?! Will der uns zu willenlosen Marionetten machen?! Das kann er doch nicht machen! Doch kaum habe ich diesen Gedanken zu ende gefasst, schießt abermals dieser grauenhafte Schmerz durch meinen Körper und lässt mich mitten auf der Straße zusammensacken. Flora will mir aufhelfen, doch ich wehre ihre Bemühungen ab. Ich geb mir doch nicht vor diesem Kerl die Blöße! Einige Minuten später schaffe ich es wieder aufzustehen und kaum, dass ich wieder sicher stehen kann, geht Lucern auch schon weiter und uns bleibt nichts anderes übrig, als ihm zu folgen. Wie sollen wir das nur eine ganze Woche aushalten?! Und was für Methoden hat er noch, wenn er diese grauenhaften Schmerzschübe als “harmlos” betitelt?! Aber wir haben keine andere Wahl, wenn wir nicht aufs Internat wollen, und das wollen wir definitiv nicht! Denn wenn dieser Typ schon so streng ist, wie wird es dann erst auf dem Internat sein?! Mittlerweile sind wir in der Fußgängerzone angelangt und dabei ist es noch nicht mal sieben! “S... Sensei? In Anbetracht dessen, dass es immer noch ziemlich früh ist, dürfte ich vielleicht vorschlagen, den Weg durch den Park zu nehmen? Diese Stadt hat irgendwie etwas deprimierendes an sich...” Es gibt nur wenige Erwachsene, bei denen ich mir die Mühe machen, respektvoll zu sprechen. Eigentlich nur Vater gegenüber. Aber ich glaube es ist besser, Lucern gegenüber respektvoll zu sein, wenn wir die Woche überleben wollen. Lucern ist glücklicherweise mit dem Vorschlag einverstanden und wenig später haben wir den Stadtpark bereits erreicht. Die Vögel zwitschern und ich verspüre das dringende Bedürfnis, dieses Zwitschern zu beenden, aber dann kriege ich vermutlich schon wieder Ärger mit Lucern und ich hatte heute Morgen bei weitem schon genug Schmerzen. Doch auch die langweiligste Zeit geht irgendwann vorüber und wir kommen schließlich gegen halb acht an der Schule an, wo Lucern sich auf direktem Weg zum Sekretariat macht. Uns schleift er glücklicherweise nicht mit und so betreten wir schon mal den Pavillon, in welchem wir nun gleich Unterricht haben, und lassen uns auf unsere Plätze fallen. Entnervt seufze ich auf. “Das wird ne verdammt harte Woche!” Flora nickt zustimmend. “Ich glaube, damit hast du vollkommen recht! ... Was haben wir jetzt eigentlich?” Ich zucke die Schultern und ziehe dann meinen Stundenplan aus der Tasche. Ein schneller Blick und unser erstes Unterrichtsfach war klar. “Englisch bei einem Herrn ... D. ... Wie lange haben wir noch?” Flora warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. Meine eigene, die aussah, als würde Blut übers Ziffernblatt rinnen, habe ich leider auf meinem Nachttisch liegen lassen. “Viertel vor acht”, antwortet Flora und so langsam trudeln auch die anderen Schüler ein. Wenig später ertönt auch der Schulgong, welcher eigentlich den Stundenbeginn verkünden soll, doch daraus wird nichts. Denn dieser Herr Dannert ist noch nicht aufgetaucht. Um Viertel nach acht betritt Herr D. dann den endlich den Klassenraum gefolgt von Lucern, welcher sich in den hinteren Teil des Klassenraums setzt. Flora Alle Schüler drehen sich, während Lucern sich im hinteren Teil des Klassenzimmers setzt, zu ihm um. Es scheint so, dass nicht nur Desmond und ich seine unheimliche Aura vernehmen. Allerdings könnte es auch an seine für Menschen untypische Kleidung liegen. Was ich persönlich für sinnvoller halte, denn Menschen können einfach nicht so schlau sein und so ausgeprägte Sinne haben wie Vampire. Aber bevor ich meine Gedanken weiter führen kann, ertönt vorne Herr D.s Stimme. Was vielleicht auch mein Glück ist! „Good morning, ihr Lieben! Entschuldigt bitte die Verspätung. Ich hatte noch etwas dringendes zu erledigen!“, sagt er irgendwie außer Atem, als ob er sich tatsächlich beeilt hat. „Wie ihr bestimmt schon gemerkt habt, haben wir heute einen ganz besonderen Gast! Herr Argeneau!“, verkündet er, während Desmond und ich immer tiefer in unsere Sitze rutschen. Wieso kann er nicht einfach mit seinem Unterrecht fortfahren ohne ihn zu erwähnen? Ist das etwa zu viel verlangt? „Herr Argeneau ist der damalige Privatlehrer von Desmond und Flora Alucard, die ich heute ebenfalls zum ersten mal in meinem Unterricht begrüßen darf.“ Plötzlich meldet sich eine uns sehr gut bekannte Stimme. Hannah! „Mich auch Herr D.! Ich komme aus der selben Stadt wie Desmond und Flora. Die Stadt war wunderschön. Die müssen sie unbedingt mal besuchen. Das ist wirklich ein Urlaub wert. Sie werden es nicht bereuen. Wenn sie wollen, kann ich ihnen einen Stadtplan geben und in noch einiges dazu erzählen! Oder gleich mit kommen. Ich habe keine Problem damit, mit meinem Englischlehrer einen Urlaub zu verbringen. Ist das nicht eine tolle Idee. Das wird bestimmt lustig. Was wir dort nicht alles machen könnten. Wir könnten zum Beispiel....“, doch weiter kommt Hannah nicht. Herr D. , der sich so eben aus einer Versteinerung befreit hat, meldet sich stotternd zu Wort. „Das klingt wirklich gut....Du musst bestimmt die andere neue Schülerin sein. Wie war doch gleich der Name...“, Herr D. blättert planlos in seinen Unterlagen herum. Obwohl er sich dies wirklich sparen kann, denn Hannah weiß schon wie sie ihm helfen kann. „Hannah Röcker. Ich bin die beste Freundin von Desmond und Flora!“, geschockt gucken wir beide nach vorne und würden am liebsten raus stürmen und Hannah umbringen! Aber leider sind uns momentan sozusagen beide Hände gebunden. „Wir haben schon so viel zusammen erlebt! Wir sind wirklich unzertrennlich. Das kann sich kaum einer vorstellen, wie stark unsere Freundschaft ist. Umso glücklicher bin ich auch, die beiden hier wiederzusehen! Das war eine super Überraschung von den beiden. Natürlich hätte ich den Kontakt zu den beiden niemals abgebrochen. Ich wäre sie ganz oft besuchen gefahren, hätte ihnen Briefe geschrieben und Geschenke geschickt. Damit sie mich auch ja nicht vergessen. Ich kann ihnen im übrigen auch Briefe schreiben. Das mache ich wirklich gerne. Ich kann die auch auf Englisch schreiben. Mein Englisch ist nämlich perfekt müssen sie wissen! Ich hatte....“ Plötzlich ertönt eine tiefe, unheimliche und Angst einflößende Stimme. Die Stimme von Lucern! „Findest du nicht auch....“, er macht eine kurzen Pause, um seine Worte noch mehr Ausdruck zu verleihen. „...das du Herrn D. endlich mal zu Wort kommen lassen solltest? Damit er seinen Unterricht fortführen kann!“ Und tatsächlich hört Hannah prompt auf zu reden. Und antwortet irgendwie monoton: „Ja, Sir! Gewiss!“ Ob Lucern da irgendwie nachgeholfen hat? Könnte ich mir zu mindestens sehr gut vorstellen! Denn so leicht gibt Hannah sonst nie auf. Man merkt Herrn D. an, dass er sich immer noch nicht ganz gesammelt hat. Mit so etwas wie Hannah hatte er wohl noch nie zu tun. Daher dauert es auch fast eine Minute bis er sich wieder zu Wort meldet. „Danke, Herr Argeneau!“, stammelt er. „So, Kinder! Herr Argeneau hat recht. Wir sollten endlich mit dem Unterricht fortfahren. Holt eure Bücher heraus und lest die Geschichte auf Seite 18 bis 25 durch und beantwortet die entsprechenden Fragen. Die Aufgaben werden wir in der nächsten Stunde besprechen, nachdem wir einen kurzen Vokabeltest geschrieben haben. Für alle neuen, die Vokabeln werden aus dem Text stammen, den ihr heute bearbeiten werdet. Und ich rate euch allen diese Aufgabe gewissenhaft zu erledigen, da die Vokabeltests einen großen Teil eurer mündlichen Note ausmachen werden!“, mit diesen Worten setzt Herr D. sich an seinen Pult. „So etwas kann auch nur einem Menschen einfallen! Schriftliche Leistungen zu den mündlichen zu zählen.“, flüstere ich Desmond lachend ins Ohr. „Stimmt! Aber was soll man von Menschen schon erwarten? Die sind doch alle durchgeknallt!“, gibt Desmond zurück. „Und Hannah ist das beste Beispiel dafür!“ „Aber das ist zum Glück nicht unser Problem. Als ob wir was für die Schule machen würden!“, sagt Desmond und rückt seinen Stuhl in die passende Position um seiner Lieblingsbeschäftigung im Unterricht nachzugehen. Nämlich einfach stumpf aus dem Fenster zu schauen. Ich will gerade meinen Mund öffnen, um eine weitere fiese Bemerkung über die Menschen abzulassen, als plötzlich eine fremde Stimme in meinen Gedanken ertönt. Ich kann Desmond ansehen, dass auch er diese Stimme vernimmt. „Und ob ihr das werdet!“, hören wir Lucerns schneidende Stimme. „Ihr wisst gar nicht, was ihr für ein Glück habt eine solche Schulausbildung hier genießen zu dürfen! Euch stehen hierdurch etliche weitere Berufszweige später offen, ohne das ihr eine Doppelbelastung habt! Wenn ihr Volljährig seit, müsstest ihr euch sonst entscheiden was für einen schulischen Zweig ihr einschlagt. Entweder die Vampirschule oder die Menschenschule.“ Wie gelähmt hören wir Lucern zu. Allerdings nicht, weil wir geschockt über seine Äußerungen sind, sondern weil er es so will! „Ihr werdet jetzt bestimmt sagen, dass ihr natürlich nur zur Vampirschule wollt. Aber wisst ihr, wie ihr denken werdet, wenn es so weit ist? Was ist wenn ihr später euch doch dazu entschließt in die Spitzenjobs der Regierung einzusteigen? Dann braucht ihr beide schulischen Zweige! Natürlich könnt ihr dann auch noch beide Zweige machen, aber es wäre eben eine zusätzliche Belastung, wie wir es eben nur der Elite zutrauen. Für Minderjährige gibt es momentan nur eine einzige Schule, die euch ermöglicht beide Schulzweige gleichzeitig zu absolvieren, nämlich das Vampirinternat in Transsylvanien! Also nutzt gefälligst eure Chance den bequemeren Weg zu gehen! Denn ihr beiden gehört ja nicht gerade zur Elite! Wenn ich es mal vorsichtig ausdrücken darf! Deswegen greift nach eurem Glück, wobei ich euch die nächste Woche gerne behilflich bin.“, lacht Lucern. „Ansonsten können wir uns auch gerne auf dem Vampirinternat wieder sehen, denn durch die hohe Position eures Vaters ist es eine Leichtigkeit euch dort unterzubringen! Also an die Arbeit ihr zwei!“, befiehlt er. Wir sitzen beide regungslos auf unseren Plätzen. Keiner von uns beiden denkt auch nur daran, sich mit den Englisch-Aufgaben zu beschäftigen. Denn wir haben nicht vor, die Regierung jemals auf legalem Wege zu übernehmen oder einen anständigen Beruf auszuüben und zu lernen! Aber unsere Haltung nichts zu tun, wird ziemlich schnell durch einen leichten, aber dennoch intensiven Schmerz unterbrochen. „Werdet ihr zwei wohl endlich anfangen!“, dröhnt Lucerns Stimme in unserem Kopf. „Oder muss ich den Schmerz noch etwas intensiver werden lassen?“ Wir merken, dass wir keine Chance haben und kramen unsere sorgfältig auf den Tisch gelegten Englischsachen hervor und fangen an unsere Aufgaben zu machen. Denn diese Schmerzen sind wirklich eine Qual! Aber ich muss zugeben, dass es eine sehr effektive Lernmethode ist! Leider! Endlich schellt die Schulglocke. Erleichtert packen Desmond und ich unsere Sachen zusammen. Merkwürdiger weise geht Hannah ohne ein Wort zu sagen an uns vorbei. Schon die ganzen zwei Stunden hat sie ihren Mund gehalten. Für mich steht fest, dass Lucern dort seine Finger im Spiel haben muss. Ich frage mich nur wie oder besser gesagt wie können wir das lernen! „In dem ihr euch anstrengt und eure Schulausbildung in beiden Zweigen mit mindestens einem A abschließt bzw. einem gut“, ertönt Lucerns Stimme hinter uns. „Ich gehe zum Lehrerzimmer um mit eurem Lateinlehrer ein paar Worte zu wechseln. Wir sehen uns dann nach der Pause im Klassenzimmer. Und versucht gar nicht erst abzuhauen!“, droht er und schreitet aus der Klasse. „So eine Fähigkeit wäre schon cool in Bezug auf Hannah! Wenn man da nur einfacher ran kommen würde. Wieso wurde keinem von uns diese Fähigkeit angeboren?“, frage ich deprimiert. „Das ist wirklich schrecklich. Ich kann zwar die Gedanken anderer manipulieren, aber über so einen Zeitraum...das ist schon eine Glanzleistung! Das grenzt ja schon an Gedankenaustausch bzw. Seelentausch!“, sagt Desmond. „Ihr habt es erfasst, Seelentausch ist eine schöne Sache. Aber keine Sorge in der nächsten Stunde ist sie wieder normal!“, ertönt Lucerns Stimme in unseren Gedanken. Ich verabscheue es seine Stimme immer wieder zu hören und auch Desmond macht kein glückliches Gesicht! „Seelentausch! Geniale Fähigkeit! Wir treffen uns im Klassenzimmer Schwesterherz! Ich muss nämlich mal für kleine Blutsauger.“, sagt Desmond scherzhaft. „Ok! Bis später!“ Ich schlängle mich durch die Schulflure, die vollgestopft von quatschenden Menschen sind. Die haben aber auch wirklich alle keinen Respekt! Ständig rempeln sie einen an und entschuldigen sich nicht einmal. Was sind das hier nur für Manieren? Selbst vor den Lehrern haben die Schüler keinen Respekt. Die müssen sich genauso durch quetschen, wie ich. Wie kann Vater uns nur auf so eine Schule schicken. Da war die letzte ja noch besser. Auch wenn Desmond und ich uns dort auch nicht wirklich besser benommen haben. Erleichtert atme ich auf. Das Gedränge ist endlich vorbei und da vorne ist schon der Klassenraum in dem wir gleich Latein haben. Ein Fach in dem Desmond und ich wirklich spitze sind. Denn Vater hat mit uns als Kleinkinder häufig nur Latein gesprochen. Doch plötzlich werde ich aus meinen Gedanken gerissen. Mein Halstuch hat sich in einer der Türen auf dem Gang verfangen. Verärgert befreie ich es und will mir es gerade wieder um den Hals legen, als plötzlich hinter mir eine Stimme ertönt. „Hallo Flora! Wo hast du denn deinen Bruder gelassen? Wie....“ Zülal steht geschockt vor mir. Merkwürdiger weise ohne ihre Freundin im Schlepptau. „Was ist denn mit dir passiert? Das sieht ja schlimm aus!“, sagt sie wirklich richtig mitfühlend und lieb. Aber konnte ich mir die Blöße geben und freundlich antworten? Gewiss nicht! Das ist unter meiner Würde! Es ist sowieso das letzte, dass man mit einem Menschen redet. Und wieso muss gerade sie in dem Moment kommen, wenn mein Halstuch verrutscht? Das Glück ist heute wohl gar nicht auf meiner Seite. Erst Lucern und jetzt das hier! „Das hat dich gar nicht zu interessieren!“, keife ich Zülal an. „Aber du kannst gerne mit mir reden. Ich habe jederzeit ein offenes Ohr für dich. Ich kann dir vielleicht helfen!“, versucht sie es erneut. „Du kannst mir helfen, indem du die Klappe hältst und mir aus dem Weg gehst!“, entgegne ich wütend und gleichzeitig spüre ich einen leichten Anflug von Schmerzen in meinem Körper. Aber nein, ich werde nicht klein beigeben, egal wie stark die Schmerzen werden. Diesmal nicht Lucern! „Wie konntest du es überhaupt wagen, mich einfach anzusprechen. Wir haben euch deutlich zu verstehen gegeben, dass wir euch verabscheuen. Mit so einem Gesindel wie euch geben wir uns bestimmt nicht ab...“ Die Schmerzen werden immer stärker. „...Schau dich doch mal selber an. Wie du hier herumläufst und mit welchen Leuten du dich abgibst! Aber was erwarte ich auch! Deine Dummheit kann man....“ Ich merke, wie mein Körper mir so langsam außer Kontrolle gerät. Mir wird schwummrig vor den Augen und auch meine Beine machen nicht mehr lange mit. Aber aufgeben kommt für mich nicht in Frage, egal ob die Schmerzen mich gleich umbringen! „... schon vom anderen Ende der Welt erkennen!“, presse ich qualvoll hervor, bis plötzlich alles schwarz um mich wird. Langsam öffne ich meine Augen. Ich liege in einem kleinen, weißen Raum. Desmond sitzt neben mir und hält fürsorglich meine Hand. „Was ist passiert?“, frage ich. „Du hast dich meinem Befehlen widersetzt!“, spricht Lucern streng. Oh man, wie viel Glück kann man eigentlich haben. Wieso muss auch er hier sein. „Deshalb musste ich die Schmerzen intensiver einsetzten! Du hast mir keine andere Wahl gelassen. Ich hoffe es ist eine Lehre für dich! Ich kenne nämlich jetzt die genaue Dosis der Schmerzen, die du bei Bewusstsein vertragen kannst. Deswegen kann ich diese nun gezielter gegen dich einsetzten. Also sei vorsichtig! Aber tröste dich!,“sagt er gehässig. „Auch dein Bruder durfte diese Prozedur so eben durch machen!“ „Wieso?“, frage ich Desmond geschockt. Und tatsächlich antwortet diesmal nicht Lucern, sondern er selber. „Tja Schwesterchen! Da siehst du mal was ich alles für dich mache.“, sagt Desmond in einem ruhigen scherzhaften Ton. Doch bevor er weiter reden kann, ergreift Lucern abermals das Wort! Wäre auch ein Wunder, wenn er sich mal heraus halten würde. „Nachdem du bewusstlos auf dem Gang zusammengebrochen ist, hat dich dieses liebevolle Mädchen, das du zuvor angeschnauzt hast, hier her gebracht. Daraufhin wurden wir beide informiert. Obwohl ich zugeben muss, dass ich es natürlich schon vorher wusste. Aber ich musste meine Tarnung weiterhin aufrecht erhalten. Kurze Zeit nach mir kam auch Desmond auf die Krankenstation. Und ja, er muss dich wirklich ziemlich gerne mögen. Nachdem er auf dich zu gestürmt ist, hat er seine ganze Wut an mir ausgelassen. Obwohl er dazu beim besten Willen keinen Grund hatte. Denn schließlich bist du selber schuld an dieser Sache. Und dies musste ich ihm auf einer gewissen Weise schmerzhaft beibringen. Aber nun ist auch er wieder bei klarem Bewusstsein und weiß, dass sein Verhalten falsch war! Nicht war?“, fragt er stichelnd. Desmond antwortet allerdings nicht. „Aahh...ja!“, sagt er schließlich doch noch. Lucern hat uns beide wirklich völlig im Griff. Wie sollen wir nur diese eine Woche überstehen? „In dem ihr euch wie anständige Vampire benimmt! Und eure Schulausbildung fleißig in Angriff nehmt!“, sagt Lucern streng und ich sehe Desmond an, dass auch er dieses Gedankenlesen verabscheut. „Wo wir gerade beim Thema Schulausbildung sind...Die zwei Lateinstunden sind in fünf Minuten vorbei. Ihr werdet also gleich gemeinsam in die Pause gehen und anschließend den Literaturunterricht besuchen. Ich hoffe, wir haben uns verstanden!“ Desmond und ich nicken und Lucern verlässt den Raum. Keiner von uns sagt ein Wort und keiner von uns will auch nur irgendetwas denken. Es ist einfach nur ein scheiß Gefühl, dass einem die Gedanken nicht alleine gehören! Erneut höre ich die Schulglocke und erhebe mich von der Liege im Krankenzimmer. „Lass uns ein wenig nach draußen gehen, bis der Unterricht beginnt!“, schlage ich vor. „Ok! Dein Wunsch ist mir Befehl!“, sagt er charmant und wir gehen beide zusammen hinaus in den Hof. An einem der Bäume setzten wir uns hin und genießen das trübe Wetter! Doch lange können wir unsere Zweisamkeit nicht genießen, denn da ertönt auch schon wieder Hannahs Stimme. Wie Lucern schon zu uns gesagt hat, ist sie leider wieder völlig normal. „Flora! Ich habe gehört was mit dir los war. Das ist ja schrecklich. Es tut mir ja so leid, dass ich nicht bei dir sein konnte, aber die Lehrer wollten mich einfach nicht aus dem Unterricht gehen lassen. Es ist so schrecklich, vor allem weil du mich doch so sehr gebraucht hättest. Ich hätte dich so gut wieder aufbauen können, denn ich möchte später ja mal Ärztin werden. Das wäre einfach genial gewesen. Ich hätte so gut üben können, auch weil ich ja deine beste Freundin bin und es natürlich auch immer bleiben werde. Wir sind...“ Ich habe Hannah zwar noch nie zugehört, aber diesmal hat es einen ganz anderen Grund! Nur wenige Meter von uns entfernt sitzt dieser gut aussehende Junge, der meine ganze Aufmerksamkeit auf sich zieht! Er ist so süß, wie er da an seinem Brötchen knabbert. Schade, das er ein Mensch ist. Aber wieso sollte ich nichts mit einem Menschen anfangen? Natürlich weil es gegen den Kodex von Desmond und mir ist! Denn es ist generell nicht verboten eine Beziehung mit einem Menschen anzufangen. Man darf sogar mit dem Einverständnis des Partners diesen später verwandeln. Allerdings soll das ein ziemlicher Papierkram sein und man muss glaub ich über 30 Jahre zusammen gewesen sein. Aber soll ich mich wirklich auf diesen Typen einlassen? Während ich momentan hin und her überlege, beobachte ich, wie sich eine Person diesem Jungen nährt. Es ist Zülal! Sie scheint ihn näher zu kennen, zumindestens unterhalten sich die beiden. Ob sie mir vielleicht doch noch mal irgendwann von Vorteil wird? Vielleicht sollte ich mich bei ihr entschuldigen und eine Freundschaft zu ihr aufbauen, um mehr über diesen Jungen herauszufinden. Aber wie soll ich das nur anstellen? Desmond klebt ja förmlich an mir. Wie soll ich ihm das nur erklären? Es ist glaub ich besser, wenn ich schweige. Die Pause vergeht viel zu schnell. Ich hätte ihn noch stundenlang weiter beobachten können. Stattdessen werden Desmond und ich nun gezwungen mit Hannah zusammen zum Literaturunterricht zu gehen. Schade, dass Lucern nicht für einen längeren Zeitraum ihre Seele rauben konnte. In der Klasse angekommen setzten Desmond und ich uns in eine der Mittleren Reihen, denn hinten sitzt schon Lucern, der uns freundlich anlächelt. Weiß er meine Gedanken zu diesem Jungen? Ich merke wie ich rot anlaufe, aber dieses Problem bekomme ich zum Glück schnell wieder in den Griff. Nicht einmal Desmond hat es bemerkt, da er schon wieder aus dem Fenster starrt. Ich kann mein Glück nicht fassen, nur zwei Reihen vor mir sitzt der süße Junge! Er ist auch in meinem Kurs. Ich muss mir das Lächeln wirklich verkneifen, aber da ertönt auch schon die Stimme von Herrn W.! „Guten Morgen! Heute werden wir eine Gruppenarbeit machen, die ihr in den nächsten zwei Stunden vorstellen werdet. Dazu werde ich euch nun in dreier und einer vierer Gruppe einteilen. Die erste Gruppe bilden …..... Die Vierte Gruppe wird sich zusammen setzten aus Zülal, Flora und Ashlee. Und die letzte Gruppe sind dann noch Elliot, Desmond, Nina und Hannah! Jeweils einer von euch kommt gleich einmal kurz nach vorne und holt sich die entsprechende Aufgabe ab. Arbeitet fleißig!“, sagt Herr Weißhaupt. Ich sehe Desmonds Wut verzerrtes Gesicht. Er und Hannah in einer Gruppe! Das kann ja noch lustig werden! Wie das wohl ausgehen wird? Ich selber kann mein Glück kaum fassen. Ich bin mit Zülal in einer Gruppe! Das ist meine Chance! Selbst Desmond steht mir diesmal nicht im Weg! Ich werde mich bei ihr entschuldigen und freundlich sein. Auch wenn mir das sehr schwer fallen wird, aber was macht man nicht alles aus Liebe? Kapitel 5: ----------- Desmond Was zum Teufel... Das... das kann doch nicht wahr sein! Schlimm genug, dass wir in Gruppen arbeiten müssen, aber dass ausgerechnet Hannah in meiner Gruppe ist... das geht ja mal gar nicht! Immerhin Flora hat Glück. Auch wenn diese... Zülal oder wie sie auch heißt irgendwie viel zu optimistisch ist. Wenigstens macht die andere Sterbliche einen halbwegs akzeptablen Eindruck. Hätte ich nicht auch in die Gruppe kommen können? Natürlich nicht! Das wäre ja zu schön gewesen! Stattdessen muss ich mich mit Zülals komischer Freundin, Hannah und einem eigenartigen Jungen abgeben. Besser kann es ja gar nicht mehr werden! Dieser... Elliot macht sich gerade auf den Weg zu Herrn W. , um unsere Aufgaben abzuholen und währenddessen beginnt Hannah mich mit irgendwelchem sinnlosen Zeug zu zu texten. “Das ist ja so toll, dass wir in einer Gruppe sind!”, flötet sie in ihrer unfassbar piepsigen Stimme. “Schade nur, dass Flora nicht auch in unserer Gruppe ist! Dann würde es bestimmt noch lustiger!” Glücklicherweise kommt Elliot gerade mit den Aufgaben zurück und erlöst mich damit wenigstens für ein paar Minuten von Hannahs nervtötendem Gequatsche. Wie immer starre ich konsequent aus dem Fenster als ich plötzlich die Stimme meiner Schwester vernehme. Ihre freundlich klingende Stimme macht mich stutzig und ich drehe mich um. Was ich sehe raubt mir buchstäblich den Atem. Doch als ich dann Floras Worte höre, bin ich vollkommen geschockt. “Du... Zülal... hör mal... also das mit gestern und vorhin... das... das... das tut mir wirklich Leid. Es war nicht richtig, dich und deine Freundin so zu behandeln.” Bitte was?! Habe ich das gerade richtig gehört? Meine Schwester entschuldigt sich bei einer Sterblichen?! Das kann doch wohl nicht wahr sein! Als Elliot uns unsere Aufgabe mitteilt, ist meine Laune bereits auf dem Tiefpunkt und ich bin überzeugt, dass sie nicht noch weiter sinken kann. Aber natürlich täusche ich mich. Denn als ich unsere Aufgabe höre, sinkt meine Stimmung um ein Vielfaches tiefer. “Also”, beginnt Elliot, “wir sollen uns selbst ein kleines 15minütiges Theaterstück zum Thema “Eifersucht” ausdenken und das dann auch vorführen!” Na toll! Und ich dachte es könnte nicht mehr schlimmer werden. Hab ich mich wohl mal wieder getäuscht. Was für ein blödes Thema! Vor allem bei dieser Gruppe! Zusammen mit Flora hätte es vielleicht sogar Spaß machen können, aber so?! Hannah sprudelt direkt vor Begeisterung und total bescheuerten Ideen. “Das ist ein wundervolles Thema! So schön dramatisch! Wir müssen unbedingt etwas mit unerfüllter Liebe spielen!” Genervt stöhne ich auf und lasse meinen Kopf auf die Tischplatte fallen, als ich auch schon Lucerns Stimme in meinem Kopf höre. ~Desmond! Reiß dich zusammen! Du weißt was dir sonst blüht!~ Ruckartig reiße ich meinen Kopf wieder hoch. ~Jaja~, denke ich immer noch entnervt, als abermals Lucerns Stimme in meinen Gedanken ertönt und ein abrupter Schmerz durch meinen Körper schießt, welcher genauso schnell wieder abklingt, wie er gekommen ist. ~Desmond!~ ~Ist ja gut! Ich halt mich zurück!~, denke ich und hoffe, dass Lucern mich nun zufrieden lässt, aber weit gefehlt. ~Nicht in diesem Ton, Desmond!~, ermahnt Lucern mich noch einmal und so langsam geht er mir wirklich auf die Nerven. ~Ja, verdammt!~ Meine Wut beginnt langsam in meinen Gedanken mitzuschwingen, was von Lucern nicht unbemerkt bleibt, denn ein rasender Schmerz schießt durch meinen Kopf, so dass mir beinahe schwarz vor Augen wird. Zuerst kann ich noch gegen die Ohnmacht ankämpfen, aber dann wird der Schmerz so intensiv, dass mir nur wenig später wirklich schwarz vor Augen wird und ich auf meinem Platz zusammensacke. Als ich mein Bewusstsein wiedererlangt habe und die Augen öffne, blicke ich direkt in das besorgte Gesicht meiner Schwester und sofort ist meine Laune wieder im Keller. “Desmond! Ein Glück, dass du wieder wach bist!”, ruft sie und ergreift meine Hand. Doch ich entreiße sie ihr wieder. “Lass mich, elende Sterblichen-Liebhaberin”, fauche ich wutentbrannt, ehe ich mich von ihr abwende. “Wie... wie meinst du das?”, stammelt Flora erschrocken. “Tu doch nicht so scheinheilig!”, knurre ich, “Glaubst du wirklich ich wäre so bescheuert, nicht zu merken, was du mit dieser... Zülal zu schaffen hast?! »Es tut mir ja so Leid! Es war nicht richtig, dich und deine Freundin so zu behandeln!« Bla, bla, bla. Für wie blöd hälst du mich eigentlich?!” Die letzten Worte schreie ich geradezu hervor, so wütend bin ich mittlerweile. In Floras Augen sammeln sich Tränen und sie stammelt: “D-Desmond... ich...” Doch ich würge ihre schwachen Entschuldigungsversuche direkt wieder ab. “Ach komm, geh wieder zu deiner neuen besten Freundin und lass mich einfach in Ruhe!”, fauche ich, bevor ich aufstehe und die Krankenstation verlasse. Ich scheine lange bewusstlos gewesen zu sein, denn gerade als ich die Krankenstation verlasse, erklingt die Schulglocke, welche das Ende der sechsten Stunde verkündet. Somit habe ich nun wohl Schluss. Ich hole nur noch meine Sachen aus dem Klassenraum, bevor ich schließlich nach hause gehe. Zu hause angekommen gehe ich direkt in mein Zimmer und lasse mich in meinen Sarg fallen. Vater scheint im Büro zu sein, sonst hätte er mich schon längst gefragt, wo Flora sei. Wo ich gerade an Flora denke... wo war eigentlich Lucern? Im Krankenzimmer war er ja nicht gewesen... egal der wird schon wieder auftauchen. Oder auch nicht. Ist mir auch egal! Ich liege in meinem Sarg und starre konsequent an die Decke. Immer noch wirbeln wutentbrannte Gedanken durch meinen Kopf. Immer wieder sehe ich Flora vor mir, wie sie mit dieser Sterblichen redet und sich zu allem Überfluss auch noch bei ihr entschuldigt! Wie kann sie mir das nur antun?! Es war immer so gewesen, dass wir uns gemeinsam der Rache an den Sterblichen verschrieben hatten und nun verbündet sie sich einfach mit ihnen! Ich kann sie einfach nicht verstehen. Sie verabscheut die Menschen genauso wie ich es tue. Oder hat es zumindest mal. Aber mittlerweile bin ich mir da nicht mehr so sicher. Verdammt! Ich lasse meinen Kopf auf den Sargboden fallen. Schmerzen spüre ich keine. Was soll ich nur machen? Flora ist doch meine Schwester. Mehr als das, sie ist meine Zwillingsschwester. Wir sind uns so ähnlich und wir stehen einander so nahe wie niemandem sonst. Doch jetzt sind wir soweit voneinander entfernt wie niemals zuvor. Meine Gedanken wirbeln weiterhin im Kreis und meine Wut vermischt sich mit Ratlosigkeit, Verwirrung und maßloser Enttäuschung. Plötzlich klopft es an der Tür. “Wer stört?”, knurre ich, da meine Wut noch immer überwiegt. Anstelle einer Antwort öffnet sich die Tür und Lucern betritt mein Zimmer. Er sieht sich erst einen Moment in meinem Zimmer um und geht dann festen Schrittes auf meinen Sarg zu, um sich auf dessen Rand niederzulassen. “Was willst du?”, fauche ich, denn ich habe nicht gerade das Bedürfnis, mit ihm zu reden oder ihn überhaupt zu sehen. “Mit dir reden”, erwidert er ruhig. “Und worüber?” So langsam geht er mir mit seinen Ratespielchen wirklich auf die Nerven und dementsprechend gereizt ist auch mein Tonfall. “Über deine Schwester.” Darum geht es also. Vermutlich hat Flora sich bei ihm ausgeheult... obwohl... nein... sie würde sich niemals bei ihm ausheulen. Aber ich dachte auch, dass sie sich nie mit den Menschen verbünden würde... Ach was, Lucern hat vermutlich nur wieder meine Gedanken ausspioniert. Ich werfe ihm einen durchdringenden Blick zu. “Dann rede!” Lucern zögert einen Moment. Wahrscheinlich sucht er nach den passenden Worten, doch nur Augenblicke später richtet er das Wort an mich: “Erklär mir jetzt doch mal bitte, weshalb du so wütend auf Flora bist.” Verächtlich schnaubend erwidere ich: “Das weißt du doch eh! Wieso fragst du dann?” “Weil ich es von dir selbst hören will”, entgegnet Lucern ruhig. War ja klar! Aber gut. Ich will ja nicht schon wieder in Ohnmacht fallen. Also fange ich an. “Weshalb bin ich wohl sauer auf Flora?”, der sarkastische Unterton in meiner Stimme ist nicht zu überhören, “Vielleicht weil sie sich mit den Sterblichen verbündet, obwohl wir uns vor Jahren geschworen haben, niemals gemeinsame Sache mit den Sterblichen zu machen! Und jetzt bricht sie diesen Schwur einfach, indem sie sich bei dieser wertlosen Sterblichen entschuldigt!” Lucern wartet meinen Ausbruch seelenruhig ab, ehe er selbst wieder zu sprechen beginnt: “Erstens hat Flora mit ihrer Entschuldigung genau das richtige getan. Und zweitens, hast du überhaupt schon mal versucht herauszufinden, weshalb sie so gehandelt hat?” Und auf mein Kopfschütteln ergänzt er nur noch “Dann würde ich das mal in Erfahrung bringen!”, bevor er mein Zimmer wieder verlässt- Ich liege noch einige Zeit in meinem Sarg. Irgendwie hat Lucern ja recht. Ich sollte Flora wirklich fragen, wieso sie das getan hat. Als ich mich gerade dazu entschlossen habe, sie über ihr Handeln zu befragen, klopft es abermals an meiner Tür. Und abermals klingt demjenigen an der Tür ein freundliches “Wer stört?” entgegen. Leise öffnet sich meine Zimmertür und Flora betritt mein Zimmer. “Was willst du?”,frage ich sie, während ich demonstrativ aus dem Fenster sehe. Aus den Augenwinkeln sehe ich, dass sie geweint hat und auch jetzt stehen wieder Tränen in ihren Augen. Ihre Tränen zu sehen versetzt mir einen schmerzhaften Stich, aber noch überwiegt meine Wut. “Ich... ich wollte... ich wollte mich bei dir entschuldigen...”, stammelt sie. “Aha”, ist alles, was ich erwidere. Eine bedrückende Stille entsteht zwischen uns. Nur ab und an durch Floras Schluchzen unterbrochen. Es tut weh, zu wissen, dass sie weint, aber dass sie unseren Schwur gebrochen hat, tut mindestens genauso weh. “Weshalb hast du das getan?”, frage ich leise. Flora ringt sichtlich mit sich, bevor sie schließlich zu einer Antwort ansetzt. “Weil... weil... weil ich mich verliebt habe...”, flüstert sie so leise, dass ein Mensch es nicht hören könnte, aber durch meine geschärften Vampirsinne vernehme ich jedes einzelne Wort laut und deutlich. “In diesen Elliot, nicht wahr?”, erwidere ich ebenso leise. Flora sieht mich erschrocken an. “Wo... woher weißt du das?!” Ein trauriges Lachen entkommt meiner Kehle. “Meinst du ich hätte deine Blicke nicht bemerkt?! Wie du ihn anschmachtest?!... Ich dachte der Schwur hätte dir wirklich etwas bedeutet...” “Aber Desmond...” “Doch dann verwirfst du ihn für eine menschliche Gefühlsduselei! Das hätte ich wirklich nicht von dir erwartet!” Meine Stimme ist wirklich vorwurfsvoll und vielleicht auch etwas zu harsch, aber darauf kann und will ich keine Rücksicht nehmen. “Desmond... ich... vergib mir!”, fleht Flora mich an und an ihrer Stimme höre ich, dass sie es ernst meint. Aber kann ich ihr verzeihen? Will ich ihr verzeihen? Ich bin wirklich wütend und enttäuscht, daran besteht kein Zweifel. Aber andererseits ist sie trotz allem meine Schwester und somit ein wichtiger Teil meines Lebens. Von einem Moment zum anderen verraucht meine Wut. Lediglich eine einzige kleine Frage brennt auf meinen Lippen. “Wieso?”, frage ich leise, “Wieso hast du mir nichts davon erzählt?” Flora Das fragt er noch? Ist dies nicht offensichtlich? Er hätte bestimmt nicht anders reagiert, wenn ich es ihm sofort erzählt hätte! Ich merke, wie sich Wut in mir ausbreitet. Wie kann Desmond nur so verständnislos sein? Ich bin doch seine Schwester! Uns verbindet so viel! Hat er denn noch nie Liebe erfahren, sodass er meine Gedanken nachvollziehen kann? Stattdessen schreit er mich an, als ob ich der letzte Abschaum wäre. „Wieso?“, wiederhole ich scharf. „Wieso ich dir nichts erzählt habe! Ist das dein Ernst, dass du mich das noch fragst?“, fauche ich ihn regelrecht an. „Ja, ich möchte es einfach nur wissen.“, entgegnet er sanft. Aber diese Sanftheit ist mir jetzt egal. Zu tief sitzt der Schmerz der Verachtung! Wie kann er mir so etwas antun? Er weiß genau, wie sehr ich an ihm hänge und ihm brauche. „Du hättest es damals nicht verstanden, genauso wie du es heute nicht verstehst! Liebe ist ein Fremdwort für dich!“, fahre ich ihn an. „Und wie es mir geht, ist dir auch egal. Immer dreht es sich nur um dich! Es interessiert dich nicht einmal in was für einer Zwickmühle ich bin. Ich hasse die Menschen genau so wie du! An meinem Treueschwur hat sich nichts geändert. Ich werde weiterhin mit dir zusammen gegen die Menschen antreten. Aber dieser Elliot ist anders, er ist so...“, doch weiter komme ich nicht, denn Desmond unterbricht mich wutentbrannt. „Du nennst diesen menschlichen Abschaum schon beim Namen? Wie tief kann man eigentlich sinken? Wie kann ein Mensch anders sein, als all die anderen? Die sind alle minderwertig und daran wird sich auch nichts ändern. Desto eher diese Rasse ausstirbt umso besser!“ „Wie kannst du nur so fies sein?“, frage ich ihn mit Tränen in den Augen. „Du weißt genau, wie viel er mir bedeutet, denn sonst würde ich niemals diesen Streit mit dir eingehen. Es zerbricht mir das Herz, wenn wir zwei so miteinander umgehen. Wir haben doch nur noch uns. Unsere Mutter ist Tod und Vater hat doch nie Zeit für uns.“, sage ich verzweifelt. „Genau! Und deshalb solltest du dir überlegen auf welcher Seite du stehst! Beides geht nicht! Ich frage mich sowieso, wieso du überhaupt Gefühle für so einen Abschaum entwickeln konntest! Das verstößt gegen alle Prinzipien! Du...“ Meine Wut kocht in mir. Wie kann er so eine Entscheidung von mir verlangen. „Du willst wirklich, dass ich mich zwischen dir und meiner großen Liebe entscheide?“, schreie ich aus mir heraus. „Ach, so weit sind wir jetzt also schon! Deine große Liebe, das ich nicht lache. Wegen so einen Abschaum verrätst du deinen eigenen Bruder. Erbärmlich!“ „So habe ich das nie gesagt! Nur weil du so schlechte Erfahrungen mit Xeron machen musstest. Weil du zu schwach warst dich gegen ihn zu währen, brauchst du dies nicht als Grund zu nehmen um meinem Glück im Wege zu stehen. Nicht alle Menschen sind so wie er, besonders nicht Elliot.“ Ich weiß, dass ich es zu weit getrieben habe, aber das ist mir momentan egal! Ich sehe, wie Desmond erstarrt und im nächsten Moment wutentbrannt auf mich zugestürzt kommt. „Was fällt dir ein?“, seine Hand klatscht in mein Gesicht. Ich kann mich kaum noch auf den Beinen halten. „Du bist wirklich nicht mehr zu retten! Geh mir aus den Augen! Und lass dich nie wieder bei mir blicken!“, schreit Desmond, während er mich packt und unsanft aus seinem Zimmer wirft. So etwas habe ich noch nie erlebt. Ich glaube, es ist aus... Erst langsam realisiere ich, was soeben geschehen ist. Mein Kopf schmerzt, die Ohrfeige war wirklich gewaltig. Völlig zerstört hocke ich auf den Flur. Mehrere Minuten vergehen. Meinen Gedanken kreisen wie wild umher, als ich plötzlich Schritte vernehme. Ohne weiter nachzudenken, stehe ich auf und stürze die Treppen herunter. „Flora, bleib stehen!“, höre ich Vaters Stimme hinter mir. „Was ist los?“ Aber ich will nicht reden, ich will einfach nur weg. Ich stürze zur Tür heraus, bevor Vater überhaupt die Eingangshalle erreicht hat. Wie von Sinnen laufe ich die langen Straßen planlos entlang. Wenn mich jemand gesehen hätte, hätte dieser gedacht ein Mörder ist hinter mir her. Ich weiß nicht, wohin ich laufe. Meine Füße tragen mich einfach weiter. Wie kann Desmond mir das nur antun? Wieso musste das alles geschehen? Diese Fragen wiederholen sich ständig in meinem Kopf, während ich Richtung Waldanfang laufe... Mir schießen Tränen in den Augen. Ich kann es einfach nicht fassen. Ich merke, wie so langsam meine Beine nachgeben. Aber ich möchte weiterlaufen, einfach weglaufen, alles vergessen, alles ungeschehen machen. An der großen Eiche geben meine Beine endgültig nach und ich falle auf den schmutzigen Waldfußboden. Ich liege heulend am Boden. Wie kann Desmond nur so fies sein? Das kann er doch nicht ernst gemeint haben. Was kann ich denn gegen meine Gefühle machen? Mir würde es auch besser gehen, wenn ich mich nicht in Elliot verliebt hätte. Aber so ist das eben. Gegen die Gefühle kann man nichts machen. Sie kommen und sie gehen. Das muss Desmond doch verstehen! War er denn noch nie verliebt? Kennt er dieses Gefühl denn nicht? Nur weil Elliot ein Mensch ist... Hätte ich meine Gefühle vielleicht verbergen sollen, wäre es ihm lieber gewesen wenn ich todunglücklich wäre? Ich bin doch seine Zwillingsschwester, da muss man doch zusammen halten. Soll diese Beziehung jetzt für immer als Vergangenheit zählen? Natürlich war es nicht ganz richtig von mir das Thema mit Xeron anzusprechen, aber denkt er wirklich ich lasse mir alles gefallen? Plötzlich wird mir etwas entscheidendes klar. Meinen Tränen quellen nur noch so hervor. Vorbei! Es ist alles vorbei! Die Alucard Zwillinge wird es nie wieder geben! Desmond wird mir das nie verzeihen. Wie soll ich nur alleine klar kommen, wir gehören doch zusammen. Ich kann ohne ihn nicht leben.... und ich will es auch nicht. Es ist so, als mir das Ende eines dunklen Tunnels entgegen kommt. Meine Tränen versiegen. Ich kann ohne Desmond nicht leben und werde es auch nicht. Ich habe lang genug gelebt, um nun einen Schlussstrich zu ziehen. Diese Welt ist einfach so ungerecht. Wieso gibt es keine Welt, in der alle gleich sind? Vielleicht habe ich in meinem nächsten Leben mehr Glück! So sicher bin ich mir noch in keiner Entscheidung gewesen, auch wenn diese Entscheidung meine größte sein wird und auch die letzte. Ein Leben ohne ihn hat keinen Sinn, deswegen ist das Leben für mich nichts mehr wert. Mein Entschluss steht fest. Wie automatisch bewegen sich meine Beine. Und diesmal weiß ich genau, wohin mich meine Reise führen wird. Zurück in unsere alte Stadt! Dank meiner angeboren Fähigkeit schnell zu sein, sollte es nicht lange dauern, bis ich Desmond und mein Lieblingsplatz erreichen werde. Der gleichzeitig mein Grab sein wird! Ich durchquere die Straße, an der unsere alte Villa steht. Ein letztes mal werfe ich einen Blick auf das Haus, wo ich viele schöne Stunden mit Desmond verbracht habe. Ich merke, wie sich wieder Tränen in meinen Augen ansammeln und beschließe schnell weiter zu gehen. Desmond und mein Lieblingsort liegt nicht weit von unserem damaligen Haus entfernt. Nur wenige Meter trennen es vom Friedhof, wo unser geheimes Zwischenlager war. Ich versuche gerade vorsichtig über die Friedhofsmauer zu klettern, denn das Tor ist schon lange geschlossen. Es ist eine stockdüstere Nacht. Als ich plötzlich eine mir bekannte Gestalt am anderen Ende der Straße erkenne. Ich kann es kaum fassen ihn in diesem Moment hier wieder zu sehen. Soll dies etwa ein Zeichen Satans sein? Es ist Xeron! Desmonds … Es ist schon lange her, als dieses schreckliche Ereignis für Desmond stattfand. An dem er in die Fänge dieses Typen namens Xeron geriet. Er ist bis heute nicht darüber hinweg, dass er sich damals nicht wehren konnte. Und nun sehe ich ihn hier wieder. Ca. 7 Jahre nach den damaligen Ereignissen. Es war wie heute eine stockdüstere Nacht, in der Desmond alleine auf Beutezug ging. Ich müsste damals leider zu Hause bleiben, da ich mir eine schlimme Erkältung eingefangen habe und ein jagen somit unmöglich gewesen wäre. Wäre ich damals doch nur mit Desmond raus gegangen. Vielleicht wäre das alles dann nie geschehen. Diese Fragen habe ich mir damals ziemlich häufig gestellt und Desmond hat alles getan, damit diese in meinem Kopf verschwinden. Obwohl ich genau wusste, wie schlecht er sich bei den Gedanken an Xeron fühlt, habe ich damals ihm den Gefallen getan und das Thema totgeschwiegen. Was mir absolut nicht einfach viel. Wer kann schon einfaches nichts tun, wenn er weiß, dass dieser Typ den eigenen Bruder brutal vergewaltigt hat?? Wir haben Xeron nach dieser grauenvollen Nacht für Desmond nie wieder gesehen. Keiner wusste wo er ab geblieben ist. Er war spurlos verschwunden. Bis heute... Wir haben uns damals geschworen Rache an Xeron zu nehmen. Nur leider konnten wir ihn nicht auffinden. Was vielleicht auch besser war. Denn unsere Kräfte waren damals noch nicht so gut ausgebildet wie heute. Wenn Xeron Desmond heute noch einmal dasselbe antun wollte, wäre sein Versuch niemals geglückt. Denn auch gegen solche „starken“ Menschen, können wir beide uns heute wehren! Dieses Ereignis war der Anreiz für uns, unsere Fähigkeiten besser zu trainieren und die Menschen auszurotten. Leider konnten wir diese Fähigkeiten Xeron noch nicht unter Beweis stellen, aber nun ist die Stunde der Rache gekommen! Bevor ich mein eigenes Grab herrichte, werde ich Rache an Xeron nehmen. Das ist das einzigste, was ich noch für Desmond tun kann. Für mich bleibt er immer mein Bruder. Auch wenn ich weiß, dass er mir trotzdem niemals verzeihen wird... Ich hocke oben auf der Friedhofsmauer und mein Plan steht fest. Ich werde Xeron brutal umbringen in Namen meines Bruders. Ich sehe, wie Xeron ca. 20 Meter von mir entfernt ebenfalls die Friedhofsmauer hochklettert und mit einem gewaltigen Geräusch auf der anderen Seite aufprallt. Er scheint noch „stabiler“ geworden zu sein als damals. Obwohl ich ihn nur selten zu Gesicht bekommen habe. Aber es besteht kein Zweifel, es ist Xeron! Kein anderer würde sich so kleiden und so auffälligen Schmuck anlegen. Er kommt auf mich zu! Ich rutsche vorsichtig weiter in die Ecke der langen Mauer, wo ein dichter Ast einer alten Eiche steht. Hinter diesem mache ich mich zum Sprung bereit. Xeron kommt immer näher. Er hat inzwischen eine kleine, blinkende Taschenlampe herausgeholt. Wie gut, dass ich im Dunkeln sehen kann. Oder besser gesagt, was für ein Pech für Xeron, dass ich ihn trotz Finsternis bestens erkennen kann. Er schlendert den Weg immer weiter entlang. Meine Nervosität steigt. Hoffentlich geht alles gut. Aber auch wenn nicht, ich will doch ehe sterben. Im Grunde habe ich nichts zu verlieren. Mit diesem Gedanken versuche ich mich zu beruhigen, denn ich bin noch nie alleine auf Beutezug gewesen, immer nur mit Desmond zusammen. Vorsichtig ziehe ich meinen Gürtel aus meinem Rock heraus. Wie gut, dass ich heute morgen den Gürtel mit den extremsten Stacheln und Nieten ausgewählt habe, den ich besitze. Mit dem Gürtel in der Hand wappne ich mich zum Angriff. Langsam schlendert Xeron an mir vorbei, ohne mich zu bemerken. Blitzschnell lege ich ihm den Gürtel mit der Nietenseite um den Hals und ziehe zu. Dabei achte ich darauf, dass ich ihn nicht sofort umbringe, denn er soll leiden! Erschrocken versucht Xeron aufzuschreien und sich umzudrehen. Doch schnell merkt er, dass dies keine gute Entscheidung war und bricht auf den Boden zusammen. Ich lasse den Gürtel ein bisschen lockerer um seinen Hals werden, denn er soll mich anflehen, so wie Desmond ihn damals angefleht hat! Und tatsächlich findet er seine Sprache wieder. „Was willst du von mir?“, stammelt er. „Das traust du dich zu fragen? Weißt du etwa nicht mehr wer ich bin?“, fauche ich ihn an. „Nneiin..“, stammelt er. „Sag dir der Name Desmond etwas?“, frage ich ihn. Es dauert eine Weile bis eine Antwort von ihm kommt. Zu lange für meinen Geschmack. Langsam ziehe ich den Gürtel wieder enger und zwinge ich somit zum reden. Mit Erfolg! „Halt! Halt!“, schreit Xeron verzweifelt. „Ich rede ja schon. Ich kenne nur einen der Desmond heißt. Aber das ist ewig her. Was hast du mit ihm zu tun?“ „Ich bin seine Schwester!“, sage ich ohne eine Miene zu verziehen. „Wie konntest du ihm das damals antun?“ Daraufhin fängt er schäbig an zu lachen. Mit einem kräftigen Ruck ziehe ich den Gürtel enger. Xeron bekommt kaum noch Luft. Er kniet momentan an einem Baum und mir kommt eine geniale Idee. Wie von Sinne trete ich neben ihm und binde die noch freie Seite meines Gürtels an dem Baum fest. Für meinen nächsten Schritt brauche ich nämlich meine Hände. Xeron guckt mich währenddessen verdutzt an und springt, wie aus heiterem Himmel auf. Er versucht an dem Gürtel zu ziehen und ihn zu lösen. Doch er hat keinen Erfolg. „Denkst du wirklich, ich mache es dir so einfach?“, lache ich ihn aus. „Den Gürtel habe ich zuvor an gewissen Stellen mit einem Spezialkleber bestrichen, du kannst mir nicht entfliehen!“ Ich sehe, wie sich Panik in ihm ausbreitet. Und es tut gut, dieses Gefühl, stärker zu sein, ist etwas schönes. „Was hast du mit mir vor?“, fragt er angsterfüllt. „Ich will Rache! Rache für meinen Bruder“, sage ich geradeheraus. „Du wirst dafür bezahlen, was du ihm angetan hast!“, mit diesen Worten zücke ich aus meiner Rocktasche mein blutrotes Messer. Xeron erstarrt. Langsam nähre ich mich ihm. Er hockt wieder am Boden. Ich strecke meine Hand aus und ergreife seine. Er versucht nicht sich zu wehren. Er steht völlig unter Schock. Ich spiele mit dem Messer auf seiner Hand, allerdings ohne ihn zu verletzten. Es tut so gut, seine Angst zu sehen. Ich halte nun seinen Mittelfinger mit meiner Hand fest und blitzschnell schneide ich ihm diesen mit dem Messer ab. Er schreit auf und zieht seine Hand weg. „Glaub ja nicht, dass war schon alles!“, gebe ich nur von mir. Während ich ihm ein paar Taschentücher in den Mund stopfe. Es sind zwar keine Häuser in der Nähe, aber sicher ist sicher. Schließlich will ich meine Sache hier auch ordentlich zu Ende bringen. Sein angsterfülltes Gesicht ist ein teuflischer Anblick. Besonders in den Momenten, in dem ich ihm die weiteren Finger abtrenne. Sein Jammern ist noch deutlich durch die Taschentücher zu hören. „Na, bereust du es schon Desmond vergewaltigt zu haben?“, sage ich spöttisch. Doch eine Antwort interessiert mich nicht. Ich will ihm einfach nur noch mehr Schmerzen zufügen. Ich setze mit dem Messer oben an seiner Schulter an und ziehe es bis zu den Handgelenken an beiden Seiten herunter. Das Blut quillt nur so heraus. Ein Verlangen dieses Blut zu trinken, verspüre ich nicht. Wer will schon das Blut von so einem Abschaum trinken? Aber Xeron hält sich sehr gut. Er ist immer noch bei Bewusstsein, um auch meinen weiteren Schritt mitzubekommen. Eine Schwarze Rose auf seiner Stirn! Zum Glück habe ich all unsere „Jagd-Werkzeuge“ mit dabei. Nun schneide ich ihm seinen Pullover auf und sehe seinen nackten Oberkörper. Dieser ist gut durch trainiert, aber kann mich nicht beeindrucken. Ich sehe schon in meinem Kopf, die eingeritzten Worte vor mir! „Desmond ich werde dich nie vergessen. Du wirst für immer mein Bruder sein...“ Diese eingeritzten Worte bekommt Xeron leider nicht mehr mit. Seine Kräfte haben nachgelassen und er ist in Ohnmacht gefallen. Aber das ist mir egal. Es ist sowieso nur für eine einzige Person bestimmt. Für meinen geliebten Bruder!!! Ich schlendere über den Friedhof zu der kleinen Kapelle hinüber. Vorne am Eingang befindet sich ein kleines Becken mit Weihwasser. Vorsichtig schöpfe ich etwas davon in eine auf dem Boden rumliegende Trinkflasche. Anschließend mache ich mich auf dem Weg zu Desmond und mein Versteck. Es liegt weit hinten, fast am Ende des Friedhofes. Der Vampirfriedhof, von dem die Menschen nichts wissen. Sie denken immer noch, wieso sich manche Leute nur unbedingt in so einem düsteren Platz des Friedhofes beerdigen lassen wollen. Hinter einem der größten Gräber befindet sich unsere Versteck. Man muss nur den Grabstein etwas zur Seite rollen und kann dann hinunter steigen. Früher waren wir täglich hier, aber seit dem Vater diesen Kontrollwahnsinn eingeführt hat, ist dies weniger geworden. Es tut gut, endlich wieder hier zu sein. Hier fühle ich mich mit Desmond verbunden! Auch wenn es nicht mehr so ist. Ich setze mich an Desmonds Lieblingsplatz und zücke erneut mein blutrotes Messer. Doch bevor ich dieses benutze, reinige ich es von den Blutspritzern des Abschaums. Denn sein Blut mit in den Tod zu nehmen ist wiederwertig. Vorsichtig und langsam ziehe ich mit dem Messer einen tiefen Schlitz in meine zwei Unterarme. Ich verspüre keinen Schmerz. Es ist eher ein Gefühl der Erlösung. Ich sitze ein paar Minuten so da und genieße das schwache, angenehme Kribbeln, bevor ich die Weihwasserflasche heraus nehme. Langsam drehe ich den Deckel ab und gieße es gezielt auf meine Wunden! Ich werde dich nie vergessen... Kapitel 6: ----------- Desmond Wie kann sie es wagen?! Ausgerechnet die Sache mit Xeron wieder aufleben zu lassen! Flora ist die einzige, welche von diesem Vorfall weiß und jetzt setzt sie dieses Wissen gnadenlos gegen mich ein! Ich kann es einfach nicht fassen! Dass sie soweit geht, hätte ich niemals erwartet! Nicht von ihr! Sie weiß genau, wie sehr ich an diesem Vorfall gelitten habe und es immer noch tue und trotzdem bringt sie dieses Thema wieder zur Sprache! Nacht für Nacht träume ich davon. Spüre, wie er brutal in mich eindringt, immer wieder in mich stößt, keine Rücksicht auf meine Schmerzen nimmt, mein Flehen ignoriert. Und Flora glaubt tatsächlich, dass ihre große Liebe anders wäre?! Das ich nicht lache! Die Menschen sind doch alle gleich! Und sie werden für all das bezahlen, was sie den Vampiren jemals angetan haben! Die Tür öffnet sich und mein Vater betritt mein Zimmer. “Desmond, was ist passiert?!”, fragt er streng. “Was soll schon passiert sein?”, antworte ich gelangweilt, “Wir haben uns gestritten, der Streit ist ein wenig ausgeartet und Flora ist heulend raus gerannt. Nichts weltbewegendes also.” Vater atmet tief durch und versucht sich zu beruhigen, ehe er mich schließlich fragt, wo Flora hingelaufen sein könnte. “Weiß ich nicht und ist mir auch egal”, erwidere ich trocken. “Du weißt genau, wie sensibel deine Schwester ist!” Vater scheint so langsam wirklich wütend zu werden, aber das ist mir egal. “Oh ja, die arme sensible Flora...”, erwidere ich spöttisch. “Dann lauf ihr doch nach und such sie!” Die letzten Worte schreie ich schon fast hervor. Doch das hätte ich besser nicht getan, denn nur Sekunden später landet Vaters Hand klatschend auf meiner Wange. In Erwartung einer nun zweifelsohne folgenden Tracht Prügel weiche ich zurück. Doch entgegen meiner Erwartung schlägt Vater nicht zu, sondern verlässt wutentbrannt mein Zimmer. Allerdings nicht, ohne mir noch ein “Darüber reden wir noch!” zuzuwerfen. Aber jetzt ist Flora natürlich viel wichtiger! Ich höre, wie Vater sich mit Lucern auf den Weg macht, um nach der ach so bemitleidenswerten Flora zu suchen. Ich lege mich in meinen Sarg. Hab ja eh nichts besseres zutun. Gedankenverloren starre ich an die Decke. Habe ich vielleicht doch überreagiert? Gut, die Sache mit der Ohrfeige ist nicht okay gewesen, aber sonst? ... vielleicht hätte ich nicht fordern sollen, dass sie sich entscheiden soll. Und auch meine Reaktion Vater gegenüber war wohl nicht ganz angebracht. Das wird noch ziemlich Ärger geben, wenn er zurück ist. Ärger, der mit vielen Schmerzen verbunden sein wird. Die Zeit vergeht schneller als gedacht. Da höre ich auch schon die Haustür aufgehen. Das werden Vater und Lucern sein. Ob sie Flora gefunden haben? Ich höre die Tür zu Floras Zimmer aufgehen. Scheinbar haben sie sie gefunden. Hoffentlich geht es ihr gut. Ich springe aus meinem Sarg und renne in Floras Zimmer und da sehe ich sie auch schon. Blass und blutüberströmt liegt sie in ihrem Sarg. “Flora!”, ich sackt neben ihrem Sarg zusammen, “das wollte ich doch nicht! Bitte... bitte wach auf! Schwesterchen!” Plötzlich ertönt Vaters Stimme. “Lucern, kümmer du dich um Flora und versorge ihre Wunden. Desmond und ich haben noch etwas zu besprechen!”, und dann zu mir gewandt, “Desmond! Mitkommen!” Doch ich will nicht. Ich muss doch bei meiner Schwester bleiben. Aber Vater duldet keinen Widerspruch. Unsanft packt er mich am Ohr und zieht mich hoch. Ich wimmere vor Schmerzen, aber Vater zieht mich aus Floras Zimmer und die Treppe runter bis in seine Arbeitszimmer. Dort lässt er mich endlich los. Mein Ohr tut höllisch weh, doch ich weiß, dass das nicht die einzigen Schmerzen sein werde, die noch auf mich zukommen werden. “WAS FÄLLT DIR EIN, DEINE SCHWESTER SO ZU BEHANDELN?!”, schreit er. Ich weiß, dass es nun besser wäre, Reue zu zeigen, aber meine Wut kocht wieder hoch und so bricht nur ein “Sie hat es nicht anders verdient, wenn sie sich mit den Sterblichen verbündet! Aber das du auf ihrer Seite stehst, war ja klar!” aus mir heraus. Im selben Moment schlage ich mir erschrocken die Hand vor den Mund. Das hatte ich doch gar nicht sagen wollen. Und Vaters Reaktion folgt sogleich. Mit den Worten “Nicht in diesem Ton, Desmond!” landet eine schmerzende Ohrfeige auf meiner Wange. Doch diese Ohrfeige macht mich nur noch wütender und so gern ich meine Worte zurückhalten würde, ich kann es nicht. “Ich rede wie ich will! Und du bist doch kein Stück besser als sie! Anstatt das du Mutters Tod rächst, verbündest du dich mit den wertlosen Sterblichen!”, fauche ich wutentbrannt, doch meine Worte haben nur eine weitere Ohrfeige zu folge, ehe Vater beginnt, sich an seinem Gürtel zu schaffen zu machen. Aber diesmal wird der Gürtel nicht von Nieten und Stacheln verziert. Im Gegenteil, er ist aus einfachem, aber überaus hartem, Leder und bedeutend breiter als Vaters andere Gürtel. Ich schlucke, doch da trifft mich schon der erste Schlag. An der getroffenen Stelle macht sich ein brennender Schmerz breit. Ich schreie auf. Dieser Gürtel schmerzt einfach grauenvoll, sogar noch schlimmer als der mit den Nieten. Der nächste Schlag trifft mich und ich sinke schreiend zu Boden. Immer wieder schlägt Vater mit diesem grauenhaften Ding auf mich ein. Wimmernd liege ich am Boden und hoffe nur noch auf das Ende der Bestrafung. Und tatsächlich lässt Vater nach einigen weiteren qualvollen Minuten von mir ab. Doch ich habe kaum Zeit zu Atem zu kommen, denn kaum, dass Vater aufgehört hat, mich zu schlagen, zieht er mich auch schon am Arm wieder auf die Beine. Er sieht mich streng an und knurrt: “Und jetzt hör mir mal gut zu! Du hast es zu verschulden, dass deine Schwester sich beinahe das Leben genommen hätte und damit hast du es endgültig zu weit getrieben! Ich erwarte, dass du dich bei ihr für dein ungebührliches Verhalten entschuldigst. Und ich werde mich noch heute mit deinem Großvater in Verbindung setzen und ihn bitten, bei uns einzuziehen, damit er dir endlich beibringen kann, wie du dich als ehrenwerter Vampir zu verhalten hast! Außerdem erwarte ich von dir, dass du dich von nun an endlich angemessen benimmst! Haben wir uns verstanden?!” Doch ich bin noch viel zu betäubt von den Schmerzen, um antworten zu können, was eine weitere Ohrfeige von Vater zur folge hat. “Ich habe gefragt, ob wir uns verstanden haben?!” Und endlich bin ich bereit zu antworten. Ich senke den Blick und murmel ein leises “Ja!”, woraufhin Vater mich auf mein Zimmer schickt. Ich würde gern zu Flora gehen, aber Lucern lässt mich nicht zu ihr. Er sagt, dass sie Ruhe bräuchte und dass ich mich erst mal um meine Verletzungen kümmern solle. Verdammt! Was habe ich nur angerichtet?! Vater hat recht. Floras Selbstmordversuch ist ganz allein meine Schuld! Tränen sammeln sich in meinen Augen und ich sinke schluchzend auf den Boden. Immer wieder strömen Tränen aus meinen Augen, als es plötzlich an der Tür klingelt. Rasch stehe ich auf und wische mir die Tränen aus dem Gesicht. Egal, wer es ist, niemand soll sehen, dass ich geweint habe. Langsam gehe ich die Treppe runter und öffne die Tür. Ich kann meinen Augen kaum trauen, als ich sehe wer dort vor mir steht. Es ist dieses Menschenmädchen aus Floras Literaturgruppe. Diese... Ashlee oder wie auch immer. “Was willst du?”, fauche ich sie an und kann es immer noch nicht glauben. Vor allem ihre Antwort auf die Frage lässt mich erstarren. Sie will allen ernstes, dass ich ihr bei den Englischaufgaben helfen, aber damit nicht genug. Ihr sind zu allem Überfluss auch noch meine Wunden aufgefallen, auf die sie mich jetzt auch noch anspricht. Doch das geht sie definitiv nichts an, was ich ihr auch knallhart ins Gesicht sage, bevor ich ihr die Tür vor der Nase zuwerfe. Was fällt dieser dämlichen Sterblichen eigentlich ein? Aber darüber kann ich mir später Gedanken machen. Denn jetzt habe ich ein noch viel größeres Problem. Die Sache mit Großvater. Vater selbst lässt mir ja schon so gut wie nichts durchgehen, aber Großvater ist da noch tausendmal strenger. Vielleicht... ja... vielleicht lässt Vater von dem Plan mit Großvater ab, wenn ich mich bei ihm entschuldige... ja... ich glaub das versuch ich... Vater ist bestimmt in seinem Arbeitszimmer, da Lucern ja im Moment auf Flora aufpasst. Apropos entschuldigen... das sollte ich bei Flora auch noch machen... aber erst mal zu Vater. Ich gehe ich Treppen zu seinem Arbeitszimmer hoch. Zögernd stehe ich vor der Tür. Ich atme noch einmal tief durch, bevor ich schließlich an seine Tür klopfe. Wenig später ertönt das “Herein” von meinem Vater. Ich zögere noch einen kurzen Moment, bevor ich schließlich die Tür öffne und das Arbeitszimmer betrete. “Vater? Kann ich dich sprechen?”, frage ich mit zu Boden gerichtetem Blick. Vater sieht von seinen Akten auf. “Aber natürlich Desmond. Was gibt es denn?” Vorsichtig hebe ich meinen Blick, ehe ich zu sprechen beginne. “Vater, es... es tut mir Leid, dass ich mich dir gegenüber ausgesprochen respektlos verhalten habe. Und ich bin mir darüber im Klaren, dass ich es vollauf verdient habe, aber ich bitte dich inständig. Setzt dich bitte nicht mit Großvater in Verbindung! Bitte! Ich werde alles tun, was du von mir verlangst und ich werde mich wie ein ehrenwerter Vampir verhalten, aber bitte... bitte lass noch einmal Gnade vor Recht ergehen!” Vater hört mir schweigend zu und als ich geendet habe, sehe ich einen Funken von Stolz in seinen Augen aufblitzen, aber darauf darf ich jetzt noch nichts geben. Nur weil er stolz auf meine Worte ist, heißt das noch lange nicht, dass er mich verschonen wird. Vater lehnt sich auf seinen Schreibtisch vor und sieht mich direkt an, ehe er schließlich zu sprechen beginnt. “Wie du ja selbst so schön eingesehen hast, hast du den Unterricht bei Großvater vollkommen verdient”, beginnt er. Ich schlucke. Das hört sich nicht gerade gut an. Doch ehe ich mir weiter Sorgen machen kann, spricht Vater weiter. “Aber da du es scheinbar wirklich ernst meinst, werde ich noch einmal Gnade vor Recht ergehen lassen und mich nicht mit Großvater in Verbindung setzen, aber nur unter einer einzigen Bedingung!” Ich bin so erleichtert, deshalb zögere ich nicht einen Moment ehe ich antworte. “Alles was du willst, Vater!” “Schön, dass du so einsichtig bist, mein Sohn. Wie dir sicher bewusst ist, hast du für dein Verhalten eine Bestrafung verdient. Deshalb wirst du dich von nun an täglich eine Stunde mit den Traditionen und der Geschichte unserer Art beschäftigen. Und ich rate dir, diese Aufgabe gewissenhaft zu erfüllen, da du am Ende jeder Woche einen kleinen Test zu den in der Woche bearbeiteten Lektionen schreiben wirst.” Meine vorherige Freude erhält wieder einen knallharten Dämpfer, aber diese Strafe ist immer noch besser als täglichen stundenlangen Unterricht bei Großvater. Deshalb nicke ich leicht und antworte: “In Ordnung, Vater.” Ich will mich gerade zur Tür wenden, um nun zu Flora zu gehen, aber Vater hält mich zurück. “Ach, Desmond, warte einen Moment. Ich hoffe, du bist dir darüber bewusst, dass Freitag Nacht der 20. Todestag eurer Mutter ist und in Anbetracht dessen wird es eine Trauerfeier in der Familiengruft geben. Ich wäre dir und Flora sehr verbunden, wenn ihr eine kleine Rede oder etwas in der Art vorbereiten könntet.” Verdammt! Mutters Todestag hätte ich ja beinahe völlig vergessen. “In Ordnung, Vater. Ich werde mich darum kümmern! Darf ich nun zu Flora?” Vater nickt und ich verlasse das Arbeitszimmer, um mich nun um Flora zu kümmern. Rasch laufe ich die Treppen wieder hinauf und stehe nur wenig später vor Floras Zimmer. Zaghaft klopfe ich an ihre Tür und höre einige Augenblicke später ein leises und sehr schwaches: “Herein.” Leise öffne ich die Tür und betrete Floras Zimmer. “Hey”, sage ich leise und ein verlegenes Lächeln umspielt meine Lippen. “Wie gehts dir?” Vorsichtig trete ich näher an Floras Sarg und setze mich auf dessen Rand. “Beschissen”, antwortet sie leise. Sie sieht auch wirklich nicht gut aus. So blass. Zärtlich nehme ich ihre Hand und sehe sie entschuldigend an. “Flora, Schwesterchen, es tut mir so Leid wie ich mich aufgeführt habe. Ich hab mich wie der letzte Idiot verhalten. Ich habe wirklich total überreagiert. Aber ich habe einfach Angst um dich. Angst, dass dir das selbe passiert, wie mir mit Xeron... Aber wenn du ihn wirklich liebst, dann hol ihn dir, Kleines! Aber bitte, bitte pass auf dich auf!” Auf Floras Gesicht entsteht ein glückliches Lächeln und auch ich bin froh darüber, dass wir uns wieder vertragen haben. Eine zeitlang lächeln wir uns einfach nur an, doch dann fällt mir noch etwas ein. “Ach ehe ich es vergesse, Vater hat mich gebeten, dir zu sagen, dass Freitag Nacht Mutters 20. Todestag ist und dass deshalb eine Trauerfeier in der Familiengruft stattfindet, für die wir eine Rede vorbereiten sollen.” Flora nickt nur leicht und bittet mich dann, sie allein zu lassen, da sie sich ein wenig ausruhen möchte. “Ok, aber wenn du etwas brauchst, sagst du mir Bescheid, versprochen?” Flora nickt abermals und ich gebe ihr noch einen Kuss auf die Stirn und streiche ihr durchs Haar, ehe ich mich in mein Zimmer begebe. Flora Langsam öffne ich meine Augen einen Spalt. Jemand streichelt mir sanft durch mein langes Haar. Im ersten Moment denke ich, dass es Desmond ist. Wer sonst würde so zärtlich zu mir sein? Diese Geste kenne ich nur von ihm. Meinen geliebten Bruder! Ich bin so froh, dass er mir verziehen hat und nun sogar hinter mir steht. Doch als ich meine Augen weiter öffne, sehe ich die Gestalt unseres Vaters. Kann das wirklich sein? Oder träume ich? Das ist doch unmöglich, so lieb ist er schon lange nicht mehr gewesen. Zu keinem von uns. Und tatsächlich, er sitzt wirklich neben meinem Sarg und streichelt mir sanft durch mein Haar. Es scheint, als ob er ein völlig anderer Vampir ist. Er sieht nicht mehr streng aus, wie Desmond und ich ihn hauptsächlich kennen, sondern richtig nett, wie ein fürsorglicher Vater. Kann das wirklich unser Vater sein? „Was machst du nur für Sachen?“, fragt er mich ganz liebevoll und tätschelt mir den Kopf. „Wir haben uns solche Sorgen gemacht. Zum Glück ist dir nichts ernstes geschehen! Das hätte ich mir niemals verzeihen können, wenn ich meine geliebte Tochter auf diesem Wege verloren hätte“ Ich bin sprachlos. Mit so einer Reaktion hätte ich niemals gerechnet. Eigentlich müsste er mich doch anschreien und schlagen! Mich fragen, was mir denn einfallen würde mir das Leben zu nehmen. Aber nichts! Er ist wie ausgewechselt. „Wieso?“, stammle ich. „Wieso, bist du so verständnisvoll? Du hättest doch allen Grund auf mich sauer zu sein, nach den ganzen Sorgen, die ich euch letzte Nacht gemacht habe.“, frage ich ihn zaghaft. „Wieso ich nicht sauer bin?“, wiederholt Vater lächelnd. „Das liegt doch wohl auf der Hand. Oder denkst du, ich kann deine Reaktion nicht nachvollziehen? Sollte ich wirklich so gefühlskalt gegenüber dir erscheinen?“ „Nein, gewiss nicht Vater, aber es wundert mich doch ziemlich.“, entgegne ich, auch wenn ich etwas völlig anderes denke. Aber wer sagt seinem Vater schon gerne ins Gesicht, dass er ihn für einen Menschen ohne Gefühle hält. Und vielleicht habe ich mich ja auch in ihn getäuscht. Vielleicht ist er nur so zu uns gewesen, weil wir nicht seinen Willen befolgt haben. Vielleicht gibt es doch noch eine nette Seite an ihm, die auch für uns offen ist. „Da siehst du es doch! Dein Vater hat auch ein wenig Vampirverständnis! Der Streit mit Desmond hat dich ziemlich verletzt. Du hast dich so missverstanden von ihm gefühlt. Als er dich dann auch noch so brutal rausgeschmissen hat, war für dich eben klar, dass euer Verhältnis niemals so wieder sein wird, wie bisher. Oder?“, fragt er. Wie recht er hat. Habe ich mich wirklich in ihn getäuscht. Er versteht mich. Er verurteilt nicht einmal, dass ich Xeron in Desmonds Namen gerächt habe. „Ja.“, zwänge ich verblüfft über meine Lippen. „Und nur das hat dich dazu verleitet zu verschwinden und das am besten für immer. Das kann ich vollkommen verstehen. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen, ich bin dir nicht böse. Ich bin froh, dass ich dich wieder in den Arm nehmen kann.“, sagt er, während er mich tatsächlich sanft drückt. „Die Liebe kann einen manchmal schon ziemlich aus der Bahn werfen!“, fährt er weiter fort. „Und sei unbesorgt, Desmond hat seinen Fehler eingesehen. Von ganz alleine. Ich musste noch nicht einmal richtig nachhelfen. Er macht sich wirklich große Vorwürfe und wird deinem Glück mit diesem netten Jungen bestimmt nicht im Wege stehen.“, sagt er fast lachend. Und er schafft es tatsächlich mich auch zum lächeln zu bringen. Ich bin so froh, dass alles wieder in Ordnung ist. Und hoffentlich bleibt es auch so! Ich will Vater gerade mitteilen, wie froh ich darüber bin, dass er mich versteht. Und mich für mein Verhalten dennoch entschuldigen. Denn das er mir die Sache mit Xeron sogar verzeiht, ist wirklich verwunderlich. Schließlich weiß Vater nichts von dem schrecklichen Ereignis zwischen Desmond und ihm. Doch da klopft es plötzlich an der Tür und Lucern gleitet elegant in den Raum. „Ach, Lucern!“, begrüßt Vater ihn freudig. „Du bringst Flora bestimmt die Aufgaben, die die anderen heute in der Schule bearbeiten.“ „Genau! Wie geht es denn unserer kleinen Patientin heute?“, wendet sich Lucern an mich. Doch ich habe kaum Gelegenheit zu antworten, als Vater diese Aufgabe schon für mich übernimmt. „Ihr geht es den Umständen entsprechend gut. Die Wunden sind gut verheilt über Nacht und kaum noch zu erkennen. Dennoch wollen wir lieber kein Risiko eingehen und verordnen strengste Bettruhe bis morgen früh. So eine Vergiftung steckt man nicht so einfach weg. Haben wir uns verstanden?“, fragt er plötzlich in seinem strengen Ton, den ich nur zu genau kenne. „Ja, Vater!“, entgegne ich kleinlaut. Doch da sehe ich auch schon wie er und Lucern mich freundlich anlächeln. Doch dann ändert sich Lucerns Gesichtsausdruck schlagartig. Er reicht mir die Aufgabenzettel und Vater einen blutroten Briefumschlag. Einen Brief vom Vampirrat! „Das sollte dich interessieren! Es wird sich sehr wahrscheinlich um das Ereignis handeln, was heute das Vampir-Journal auf der Titelseite ziert.“ An Vaters Gesichtsausdruck erkenne ich, dass er dies noch nicht gelesen hat. Er fängt sofort an den Brief zu öffnen. „Dir brauche ich ja wohl nicht erzählen, was heute auf der Titelseite steht, oder?“, fragt er mich mit schneidender Stimme. „Und nein, dein Selbstmord ist es gewiss nicht!“, fügt er, immer noch mit eiskalter Stimme, bei. XERON! Hat Vater davon etwas noch gar nichts gewusst? Panik breitet sich in mir aus. Vaters Gesicht sieht wie versteinert aus, während er den Brief liest. Ich bin die ganze Zeit davon ausgegangen, dass er es weiß! Aber es stimmt, er hat Xeron mit keinem einzigen Wort erwähnt! Meine Gedanken überschlagen sich förmlich in meinen Kopf. Lucern starrt mich die ganze Zeit regungslos an. Ich weiß, dass er meine Gedanken liest. Diesmal ist es offensichtlich. Und ich merke ihn an, wie viel Schadenfreude er währenddessen empfindet. Er merkt, wie ich gegen meine Gedanken ankämpfe. Das sehe ich deutlich in seinem Gesicht. Er soll nicht erfahren, was damals mit Desmond geschehen ist! Diese Demütigung kann ich meinem Bruder nicht antun. Verzweifelt versuche ich an nichts zu denken. Aber dies ist fast unmöglich. Ich habe Angst! Was wird Vater mit mir machen. Er sitzt immer noch wie versteinert da und liest den Brief. Er wird ausrasten, dass sehe ich schon kommen. Das kann nicht anders sein. Der fürsorgliche Vater wird wieder verschwinden und sein altes Ich wird zurückkehren, leider... Plötzlich kommt eine andere, viel entscheidendere Frage, in mir auf. Wie soll ich reagieren? Soll ich ihm die Geschichte erzählen? Wird er mich womöglich mit Lucerns Hilfe dazu zwingen? Die Bilder von damals spuken in meinem Kopf herum. Ich sehe wie Desmond weinend vor mir zusammenbricht. Wie er mir mit schmerzverzerrtem Gesicht die Vergewaltigung schildert. Wie Xeron ihn angefallen hat... Panisch versuche ich diese Bilder und Gedanken zu unterdrücken, aber es ist zu spät! Ich sehe wie sich Lucerns schadenfroher Gesichtsausdruck in entsetzen umwandelt! Er weiß alles. Was soll ich nur machen? Das wollte ich nicht.... Aber weitere Gedanken kann ich mir nicht dazu machen, denn in diesem Moment lässt Vater entsetzt den Brief fallen und wendet seinen Blick auf mich. Ich traue mich nicht, auch nur ein einziges Wort zu sagen. Auch wenn ich genau weiß, dass Vater dieses von mir erwartet. Ich habe das Gefühl, das Stunden vergehen, bis Vater endlich zu sprechen beginnt. „Ich brauche dir ja wohl nicht erklären, worum es in diesem Brief geht, oder?“, sagt er wieder eiskalt. Seine Freundlichkeit ist verflogen. Aber was habe ich auch erwartet? Es war von Anfang an klar, dass er so reagieren wird. Ich frage mich nur, wann seine Hand das allererste mal in mein Gesicht klatscht! Und was mich noch für Schmerzen erwarten! Aber egal wie doll diese werde, ich werde meinen Bruder nicht verraten, NIEMALS!! „Es ist ja wohl keine Frage, ob du diesen Menschen getötet hast! Wer sonst würde so einen Schriftzug auf der Leiche hinterlassen? Und natürlich wieder die selbe Vorgehensweise, wie bei euren anderen Beutezügen!“, während Vater spricht, wird seine Stimme immer lauter. „WAS FÄLLT DIR EIGENTLICH EIN? WIESO WOLLTEST DU EINEN UNSCHULDIGEN MENSCHEN MIT IN DEN TOD NEHMEN?“, schreit er mich an. Unschuldig, dass ich nicht lache, aber Vater wartet zum Glück nicht auf eine Antwort. „ETWA NUR, WEIL DU DESMOND BEWEISEN WOLLTEST, DASS DU AUF SEINER SEITE STEHST UND DIE MENSCHEN GENAUSO HASST, WIE ER?? DAS KANN JA WOHL NICHT DEIN ERNST SEIN!!!“, schreit er weiter, während er mit seiner Hand zum Schlag ausholt. Ich habe keine Chance auszuweichen. Seine Hand trifft mich mit voller Wucht! Meine Wange brennt und ich merke wie etwas Blut herunterläuft. Vaters Ringe sind extrem spitz und ein weiter Schlag trifft mich. „ALS OB DAS ETWAS GEBRACHT HÄTTE NACH DEINEM TOD! WEIßT DU ÜBERHAUPT IN WELCHE SCHWIERIGKEITEN DU MICH GEBRACHT HAST? ES WAR SCHON SCHWIERIG GENUG EUCH DIE ANDEREN MALE VOR DEN STRAFEN DES VAMPIRRATES ZU RETTEN!“ Vater ist richtig aufgebracht, so schlimm habe ich es noch nie erlebt. Die Schmerzen an meiner Wange sind unerträglich. Aber ich sitze einfach regungslos weiter in meinem Sarg. Ich werde ihm die Sache nicht erklären! Denn ich könnte es nicht ohne die Geschichte mit Desmond und Xeron zu erzählen und das werde ich meinem geliebten Bruder nicht antun. Nicht nachdem wir uns gerade erst wieder versöhnt haben. Egal, was mich die nächsten Stunden erwarten wird! Ich sehe, wie Vater erneut zum Schlag ausholt. Doch da meldet sich auf einmal Lucern zu Wort. „ANCHORET!“, schreit er ihn an. Verwirrt bricht Vater seinen Schlag ab und wendet seinen Blick auf Lucern. Ich frage mich, was er vorhat, bestimmt nichts gutes! Vielleicht möchte er ja eine neue Bestrafungsmethode an mir testen. „Anchoret, wollen wir ihr nicht die Möglichkeit geben, sich zur Sache zur äußern? Vielleicht gibt es ja einen Rechtfertigungsgrund, der die Sache in einem anderen Licht erscheinen lässt. Nicht wahr?“, wendet er sich hinterhältig an mich. Aber ich schaue ihn nicht an, mein Blick bleibt an Vater kleben. Ich kann deutlich sehen, dass Vater erkennt, dass Lucern mehr zur Sache weiß. Er wird keine Ruhe geben, bis er die ganze Geschichte kennt. Aber ich kann ihm das nicht erzählen. Wird Lucern mich vielleicht dazu zwingen oder die Geschichte einfach selber erzählen. Aber viel Zeit bleibt mir nicht zum Nachdenken. „Ok, Flora!“, sagt Vater kühl. „Erzähl mir die ganze Geschichte!“, fordert er mich auf. Wie soll ich nur aus dieser Situation wieder heraus kommen? „Der Junge, den ich ermordet habe, heißt Xeron.“, fange ich stotternd und verzweifelt an. „Es gab vor ein paar Jahren ein, wie soll ich sagen.... ein Ereignis zwischen ihm und Desmond.“, ich hole tief Luft. „Es war sehr schlimm für ihn damals, Xeron hat...“, ich breche ab. Es geht nicht. Ich kann, darf und will es ihm nicht erzählen. „Was für ein Ereignis?“, fragt Vater energisch nach. „Ich...“, fange ich an. „Ich kann es dir nicht erzählen!“ Ich merke, wie sich meine Augen mit Tränen füllen. „Ich darf es nicht! Ich habe es Desmond versprochen.“ Die Tränen laufen meine Wangen hinunter. Sie brennen, als sie über die frischen Wunden laufen. „Er war so verzweifelt damals. Ich musste es ihm versprechen. Er hat es keinem erzählt, nur mir! Er ist bis heute nicht darüber hinweg. Ich kann es ihm einfach nicht antun und sein Geheimnis verraten. Vater, versteh mich doch bitte. Wir haben uns erst gerade wieder versöhnt.“, sage ich verzweifelt. „Ich habe Angst, dass alles wieder von vorne beginnt. Ich kann ohne ihn doch nicht Leben...“ Ich kann meine Tränen nun gar nicht mehr zurück halten, sie quellen einfach so hervor. Weinend umklammere ich meine Decke. Auf einmal erhebt sich Vater von dem Stuhl, der neben meinem Sarg steht und setzt sich zu mir. Er legt behutsam seinen Arm um mich. „Ganz ruhig!“, versucht er mich zu trösten, während er mir wieder ganz sanft durch Haar streichelt. Damit hätte ich niemals gerechnet. Was ist nur mit ihm geschehen. Er akzeptiert meine Entscheidung zu Schweigen. Ich bin so froh, dass alles vorbei ist. Doch.... „Beruhige dich doch. Es tut mir leid, dich geschlagen zu haben. Aber ich konnte doch nicht wissen, was dich dazu bewegt hat. Wie hätte ich darauf kommen sollen?“, redet er beruhigend weiter und schafft es meine Tränen zu stoppen. „Du brauchst mir die Geschichte nicht zu erzählen! Ich verstehe dich! Ich weiß alles!“ Was? Das darf nicht wahr sein. LUCERN! Er hat es ihm per Gedankenaustausch erzählt. Und als ob Vater mich verstehen würde. Wenn er dies täte, dann würde er meine Entscheidung zu Schweigen akzeptieren. Aber er ist nur so fürsorglich und lässt mich in Ruhe, weil er die ganze Geschichte schon kennt. Ich versuche mich aus Vaters Armen zu befreien. Wut kocht in mir auf. „Als ob du mich verstehen würdest!“, schreie ich ihn förmlich an. „Wenn du dies tätest, dann würdest du mein Schweigen akzeptieren und dir nicht von Lucern die Geschichte erzählen lassen.“ „Aber es ist doch wichtig, dass ich es weiß.“, entgegnet er ruhig. „Ich muss doch wissen, was mit meinen Kindern geschieht. Ich muss doch für euch sorgen und euch beschützen. Ihr seid mir doch nicht egal. Ich würde alles für euch machen, damit es euch gut geht. Nur dafür müsst ihr mir vertrauen. Wenn ihr bzw. Desmond mir von dem Ereignis mit Xeron erzählt hättet, dann hätte ich gegen ihn rechtliche Wege einleiten können. Er wäre bestraft worden. Man hätte ihn gesucht und die Strafe wäre bestimmt nicht gering ausgefallen, da er nicht von den Menschen, sondern von uns Vampiren bestraft geworden wäre!“ „Ich weiß!“, gebe ich kleinlaut bei. „Aber als ich ihn gestern zum ersten Mal wieder gesehen habe, konnte ich nicht anders...“ Weiter komme ich nicht, denn Vater unterbricht mich. „Das kann ich wirklich verstehen. Das musst du mir wirklich glauben. Ich werde mich jetzt gleich mit den Vampirrat in Verbindung setzten und versuchen die Lage zu klären. Ich werde denen alles sagen. Mach dir keine Sorgen, die werden es genauso verstehen wie ich!“, mit diesen Worten steht Vater auf und geht Richtung Tür. „Und danach werde ich über dieses Thema noch mal mit deinem Bruder reden!“ „NEIN!“, schreie ich so laut es geht aus mir heraus. „Das darfst du nicht machen. Er wird doch denken, dass ich dir alles erzählt habe.“, versuche ich ihn verzweifelt umzustimmen. „Ich werde ihm sagen, dass du es mir nicht erzählt hast. Wie du dich dagegen gewährt hast und Lucern dir allerdings dazwischen gekommen ist. Mach dir keine Sorgen, so etwas wie letzte Nacht möchte ich nicht noch einmal erleben. Also du kannst mir vertrauen. Ruhe dich lieber noch etwas aus!“, damit verschwindet er zusammen mit Lucern aus meinem Zimmer. Meine Gedanken kreisen wie wild umher! Wie wird Desmond wohl reagieren, wenn Vater ihn auf die Sache mit Xeron anspricht? Das muss eine schreckliche Situation für ihn werden. Er tut mir so leid. Es wird ihm bestimmt nicht leicht fallen mit Vater darüber zu reden. Hätte ich Xeron doch nur gestern niemals getroffen. Hoffentlich hält Vater sich auch an sein Versprechen. Ich habe solche Angst Desmond noch einmal zu verlieren. Das würde ich nicht verkraften. Dann wäre endgültig Schluss.... Gedankenverloren schaue ich aus dem Fenster. Schlafen ist momentan unmöglich, immer wenn ich meine Augen schließe, kommen alle Gedanken wieder zurück. Deswegen gehe ich lieber Desmonds Lieblingsbeschäftigung nach und starre einfach so ins Leere. So fühle ich mich irgendwie mit ihm verbunden... Es klopft an der Tür. „Herein.“, antworte ich noch etwas verträumt. Desmond tritt in mein Zimmer. Panik steigt in mir auf. Hat Vater etwa schon mit ihm gesprochen? Und ist er sauer auf mich? „Hey meine süße Fledermaus! Chemie und Info sind heute ausgefallen. Irgend so eine Lehrerfortbildung. Aber Hauptsache endlich wieder bei dir. Die Schule ist extrem langweilig, wenn du nicht dabei bist.“, sagt er fröhlich zu mir. Erleichterung macht sich für einen Moment in mir breit. Er ist nicht sauer. Aber Vater scheint noch nicht mit ihm gesprochen zu haben. „Das ist doch super!“, sage ich krampfhaft. „Vater hat also noch nicht mit dir gesprochen?“ Mein Herz pocht. Aber es kann nicht sein. So viel Zeit ist noch nicht vergangen. „Du meinst wegen deinem Selbstmordversuch, oder? Da hat er mir gestern schon einiges erzählt. Du weißt bestimmt was ich damit meine.“, sagt er scherzhaft. „Ja!“, erwidere ich. Soll ich ihm erzählen, dass Vater die Geschichte mit Xeron weiß? Ich habe Angst, wie er darauf reagiert. Aber wenn ich es ihm jetzt nicht sage und Vater nachher mit ihm spricht, ist er vielleicht erst recht sauer, dass ich ihn nicht vorgewarnt habe. „Aber das mein ich nicht.“ Ich werde es ihm erzählen. Egal wie er reagiert, aber ich kann ihn nicht einfach ins offene Feuer laufen lassen. „Du... Ich muss dir etwas erzählen! Es wird nicht erfreulich für dich sein, aber du musst mir glauben, ich habe Vater nichts erzählt. Bitte! Lucern hat es ihm gesagt. Er hat meine Gedanken gelesen. Ich hatte keine Chance, ich konnte mich nicht dagegen wehren...“, sprudle ich los. „Hey, hey...beruhige dich doch erst einmal. Ich kann dir doch gar nicht folgen. Wieso soll ich denn sauer auf dich sein? Was hat Lucern Vater erzählt?“ „Vater hat mich heute morgen besucht und dann kam plötzlich Lucern herein mit einem Brief.“ ich versuche es so ruhig wie möglich zu erzählen, aber es gelingt mir nicht. Ich möchte es einfach nur schnell hinter mich bringen. „Der Brief war vom Vampirrat. Sie haben Xerons Leiche gefunden. Vater weiß die ganze Geschichte von dir und Xeron. Aber ich habe ihm nichts gesagt, glaub mir, bitte! Es war Lucern!“, flehe ich ihn an. „Wie? Xeron?“, fragt er schockiert. „Gestern habe ich ihn wieder getroffen. Und an ihm in deinem Namen Rache geübt....“, doch bevor ich ihm alles weiter erklären kann, klopft es erneut an der Tür und Vater betritt das Zimmer..... Kapitel 7: ----------- Desmond Nein... nein... NEIN! Das kann nicht sein! Das darf nicht sein! Vater hätte niemals davon erfahren dürfen! Nicht davon, wie schwach ich an diesem verhängnisvollen Tag war! Vater wollte nie und will auch nicht, dass wir, und vor allem ich, Schwäche zeigen. Und nun hat ausgerechnet er von diesem Ereignis erfahren! Ich bin mir sicher, dass er mich fertig machen wird, weil ich so schwach war und mich nicht wehren konnte. Panik steigt in mir auf und die Erinnerungen von damals kommen wieder hoch. Die Tür öffnet sich. Panisch fahre ich herum. Vater steht vor mir, doch er sieht mich nicht an. Er sieht an mir vorbei zu Flora. “Flora, der Vampirrat zeigt Verständnis für dein Handeln und wird von einer Strafe absehen. Allerdings seid ihr beide”, diesmal sieht er auch mich an, “tunlichst dazu angehalten, eure Beutezüge in Zukunft zu unterlassen! ... Und nun zu dir, Desmond!” Ich schlucke, als ich meinen Namen vernehme und senke den Blick. Ich habe Angst! Panische Angst vor Vaters Reaktion! “Ja, Vater?”, frage ich leise und meine Stimme zittert vor Angst. “Der Vampirrat braucht noch einige Informationen. Informationen, die nur du ihnen geben kannst, Desmond!” Nein! Das kann ich nicht! Ich kann nicht darüber reden und erst recht nicht mit Vater! Es Flora zu erzählen, war schon schlimm genug! Vorsichtig habe ich den Blick. “Was... was für Informationen braucht der Rat denn?”, frage ich stammelnd. “Der Rat braucht einerseits Informationen über die Familie dieses Xeron und andrerseits brauchen sie den kompletten Tathergang.” Vaters Stimme ist kalt und ohne jegliche Emotion. Was mir damals passiert ist, scheint ihm völlig egal zu sein. Wenn Mutter noch leben würde... ihr wäre es nicht egal gewesen... ihr hätte ich davon erzählen können... Erst nach einigen Augenblicke realisiere ich, was Vater für Informationen von mir haben will. Informationen über die Familie kann ich leicht geben, schließlich war ich mit Xeron befreundet, bevor... aber über die Tat selbst? Nein! Das kann ich nicht. “Ich höre!” Vaters Stimme zeigt noch immer keinerlei Emotion. Dabei müsste er doch sehen, wie schlecht es mir bei diesem Thema geht. Doch ich weiß, dass er keine Ruhe geben wird, bis ich ihm erzählt habe, was er wissen will. Ich schlucke, bevor ich schließlich mit leiser und zaghafter Stimme zu sprechen beginne. “Xeron und ich... wir waren befreundet... ich war öfter bei ihm zuhause... seine Eltern sind getrennt und Geschwister hat er keine... er hat bei seiner Mutter gewohnt, aber sie war nur selten zuhause... von seinem Vater weiß ich nichts...” Das war der einfache Teil. Am liebsten würde ich einfach rausgehen, aber das würde Vater niemals zulassen. Ich spüre Floras Hand an meinem Arm, wie sie mir beisteht. Allein ihre Anwesenheit gibt mir Kraft. Vaters kalter Blick ruht immer noch auf mir. Er wartet darauf, dass ich weiterspreche. Ich sehe seine Lippen zucken und auch seine Hand zuckt verdächtig. Seine Geduld ist bald am Ende und wenn ich nicht bald weiterspreche wird er mich dazu zwingen. Mit seinen üblichen Methoden... “Was ist an dem bewussten Tag passiert?”, fragt er mit harter Stimme und kein bisschen Fürsorge oder Mitgefühl ist zu spüren. Ich spüre überdeutlich, wie egal ich meinem Vater eigentlich bin und wie sehr er mich verabscheuen muss, auch wenn ich mir nicht erklären kann, wieso. Aber ein fürsorglicher Vater war er für mich nie. Auch nicht als Mutter noch am Leben war. Und dennoch will er, dass ich seine Nachfolge übernehme. Ich bin so in Gedanken versunken, dass ich nicht bemerke, wie Vater zum Schlag ausholt, bis ich eben diesen Schlag in meinem Gesicht spüre. Meine Lippe platzt auf und ich spüre wie Blut mein Kinn hinab läuft. “Antworte!”, faucht er mich an. Tränen treten in meine Augen und fließen meine Wangen hinab. Flora fasst mich am Arm und zieht mich zu sich runter, so dass ich neben ihr auf ihrem Sarg sitze. Ich schluchze und sehe aus den Augenwinkeln, wie Vater erneut zum Schlag ausholt. “Vater, lass ihn!”, ruft Flora und stellt sich schützend vor mich, “Du siehst doch, wie schwer es ihm fällt, darüber zu reden!” Doch Vater zeigt keinerlei Verständnis und holt abermals zum Schlag aus, als die Tür aufgeht und Lucern eingreift. “Anchoret, lass den Jungen zufrieden! Wenn er nicht darüber reden will, solltest du das akzeptieren.” Und tatsächlich wendet Vater sich von mir ab und verlässt das Zimmer. Lucern legt mir noch kurz mitfühlend seine Hand auf die Schulter. “Mach dir keine Sorgen, Desmond, dein Vater beruhigt sich schon wieder. Ich rede mit ihm, versprochen!” Aufmunternd lächelt er mir zu, bevor er schließlich Floras Zimmer verlässt. Doch mich kann er damit nicht aufmuntern. Ich weiß, dass ich Vater gleichgültig bin und dass Lucern mit ihm reden will, wird das auch nicht ändern. Immer mehr Tränen verlassen meine Augen und ich sacke schluchzend zusammen. Flora zieht mich in ihre Arme, streicht beruhigend über meinen Rücken und hält mich einfach nur fest. Es tut gut, einfach nur festgehalten zu werden. Flora sagt kein Wort und das ist auch gut so. Jedes Wort würde den Moment nur zerstören. ... NEIN! Ich werde mich nicht weiter von Vater unterkriegen lassen! Ich werde mich gegen ihn zur Wehr setzen und wenn es sein muss auch allein! Abrupt stehe ich auf und wische mir die Tränen aus dem Gesicht. Der Kampfgeist funkelt in meinen Augen, obwohl ich der Meinung war, dass er schon längst verloschen ist. Flora sieht mich erschrocken an. “Des... Desmond, was... was ist los?” Ich sehe sie direkt an. “Die Zeit ist vorbei, wo ich mich von Vater hab unterkriegen lassen!” Floras Blick ist skeptisch. “Bist du sicher, dass das so eine gute Idee ist?” “Und ob! Vater wird uns nicht mehr unterdrücken können! Und den Anstoß dazu, wird uns die Trauerfeier geben. In unserer Rede werden wir ihm zeigen, dass wir seine Launen nicht mehr widerstandslos über uns ergehen lassen und dass wir uns an den Sterblichen für ihre Verbrechen an uns rächen müssen! Bist du dabei?” Auffordernd sehe ich sie an in der Hoffnung, dass sie mich bei meinem Vorhaben unterstützt. Flora zögert einen Moment und meine Hoffnung verfliegt sofort wieder. Sie wird mich nicht unterstützen. Flora atmet tief ein. Wahrscheinlich sucht sie noch nach Worten, um ihre Absage nicht so hart klingen zu lassen. “Okay, ich bin dabei!” Ich kann es kaum glauben. Ich hatte fest erwartet, dass sie bei meinem Plan nicht mitmacht. Doch sie enttäuscht mich nicht. Nicht so, wie es viele andere getan hätten. Ein glückliches Lächeln umspielt meine Lippen, als ich Flora in den Arm nehme und fest an mich drücke. “Gut, wir haben noch zwei Tage, bis die Rede fertig sein muss”, beginne ich, “schaffst du das?” Eigentlich würden wir ja gemeinsam an der Rede arbeiten, aber Flora ist bedeutend wortgewandter als ich es bin. Deshalb ist sie in solchen Fällen immer diejenige, die sich um die Texte kümmert. Flora nickt. “Das schaff ich schon. Mach dir da mal keine Sorgen.” Ich lächel sie an. “Das ist gut. Ich werde mich derweil mal darum kümmern, wie wir Hannah am schnellsten loswerden können. Was meinst du, wie sie mir heute wieder auf die Nerven gegangen ist?! Sie hat mich bestimmt zwanzig mal gefragt, was mit dir los sei und dass es doch hoffentlich nichts schlimmes sei, weil sie sich ja so unglaublich viele Sorgen mache. Und dann wollte sie doch allen ernstes noch, dass ich sie mit zu uns nach hause nehme, damit sie nachsehen kann, wie es dir geht und damit sie sich um dich kümmern kann! Ich schwör dir, wäre Lucern nicht da gewesen, ich hätte ihr die Kehle aufgerissen! So etwas penetrantes hab ich ja noch nie erlebt!” Flora lächelt. “Ach ja, ich erinnere mich. Das gleiche habe ich mit ihr doch auch schon mal erlebt. Damals, als Vater dich so heftig verprügelt hat, dass du am nächsten Tag nicht zur Schule gehen konntest. Da hat sie mich genauso mit ihren Fragen genervt wie dich heute.” Jetzt, wo Flora es anspricht, erinnere ich mich auch. Es muss schon 5 oder 6 Jahre her sein. Damals hatten Flora und ich uns noch um die Schule gekümmert und ich hatte eine Klausur völlig in den Sand gesetzt. Ich wusste, dass Vater deshalb durchdrehen würde, deshalb hatte ich seine Unterschrift unter eben dieser Klausur gefälscht. An sich war das ja kein Problem, wenn das ganze nur nicht am nächsten Elternabend herausgekommen wäre. Noch am selben Abend ist Vater mit seinem Gehstock auf mich losgegangen. Die Tracht Prügel war so heftig, dass man noch Tage später die Wunden sehen konnte und ich mich am nächsten Tag vor Schmerzen kaum bewegen konnte. Wenn ich nur daran denke... nein... das will ich wirklich nicht noch mal erleben. Ich drücke Flora fest an mich, als die Tür aufgeht und Lucern abermals Floras Zimmer betritt. “Desmond, dein Vater lässt sich leider nicht davon abbringen. Du wirst nicht umhin kommen, ihm den Tathergang zu schildern. Deshalb sollst du sobald wie möglich in sein Arbeitszimmer kommen.” Flora sieht mich geschockt an und ich bin auch nicht wirklich begeistert darüber. Aber so wie es aussieht habe ich keine andere Wahl. Ich schlucke und stehe langsam auf. Flora will ebenfalls aufstehen, um mich zu unterstützen, doch Lucern hält sie zurück. “Euer Vater will mit Desmond allein reden!” Jetzt kriege ich so langsam wirklich Panik. Als wäre es nicht schon schlimm genug darüber zu reden, aber wenn Flora nicht einmal dabei sein darf, wird es nur noch viel schlimmer. Schweren Herzens verlasse ich das Zimmer, um zu Vater zu gehen. Langsam gehe ich die Treppe runter. Ich habe Angst. Panische Angst vor diesem unausweichlichem Gespräch. Letztlich stehe ich schließlich doch vor der Tür von Vaters Arbeitszimmer. Am liebsten würde ich sofort wieder umkehren, doch das würde mir später nur noch mehr Ärger bereiten, weil ich dann Vaters Aufforderung nicht augenblicklich folge geleistet hätte. Zögerlich klopfe ich an die Tür und wie immer erklingt nur Sekunden später Vaters Stimme, welche mich auffordert einzutreten. Langsam betrete ich das Zimmer. “Vater”, ist alles was ich sage. Vater sieht mich nur an. Doch sein Blick ist nicht mehr so emotionslos und kalt wie zuvor, im Gegenteil, etwas fürsorgliches und warmes liegt in seinem Blick. Aber sein Verhalten von vorhin schreckt mich davon ab, diesem nun so verständnisvollen Blick trauen zu können. “Lucern sagt, du hättest noch Fragen an mich?” Meine Stimme ist ruhig und gefasst, aber in meinem Inneren brodelt noch immer die Angst. Vor allem die Tatsache, das Flora nicht dabei sein darf, versetzt mich in Panik. Was hat Vater nur vor? “Das stimmt, mein Sohn”, antwortet Vater. Sein Ton ist so anders als vorher. So ruhig und nicht mehr so abweisend. “Setz dich.” Okay... das habe ich ja noch nie erlebt. Wenn Vater sonst mit uns reden will, ist es immer so, dass er hinter seinem Schreibtisch sitzt und wir vor eben diesem stehen dürfen. Und nun fordert Vater mich tatsächlich dazu auf, mich zu setzen. Zögerlich nähere ich mich Vaters Schreibtisch und lasse mich dann auf einem der Stühle nieder. “Desmond, ich habe vorhin wirklich überreagiert. Ich hätte nicht versuchen sollen, dich zu etwas zu zwingen, worüber du nicht reden willst. Das tut mir wirklich von Herzen Leid, aber dennoch habe ich noch einige Fragen an dich. Du musst allerdings nicht antworten, wenn du nicht möchtest.” Das hätte ich nicht erwarte! Vater hat sich bei mir noch nie für irgendetwas entschuldigt. Ich nicke. Immerhin muss ich nicht auf alles antworten, auch wenn ich lieber gar nicht antworten würde. “Also. Desmond, jetzt versuch mir doch bitte zu erzählen, was genau an dem Tag passiert ist.” Also doch. Naja, ich werde ohnehin nicht umhin kommen, Vater davon zu erzählen, auch wenn er jetzt noch sagt, dass ich nicht antworten müsste. Vermutlich ist es eh Lucerns Verdienst, dass Vater nun so verständnisvoll scheint. Tief atme ich ein. Es ist schwer, über dieses Thema zu sprechen, aber ich habe keine andere Wahl. “Ich... ich war bei Xeron zuhause... wir lagen auf seinem Bett und haben in Zeitschriften geblättert... dann meinte er irgendwann ich... ich solle doch mal ein bisschen nett zu ihm sein... ich wusste natürlich nicht was er damit meinte... aber er sagte nur ich solle doch nicht so tun... und dann... hat er angefangen mich und sich auszuziehen... ich habe versucht mich zu wehren und ihm gesagt, dass ich das nicht will und er aufhören soll... aber er hat nur gelacht... und dann... dann ist er...” Während ich spreche, verlassen immer mehr Tränen meine Augen. Die Erinnerungen an dieses schreckliche Ereignis sind immer noch viel zu präsent. Wenn ich nur daran denke, spüre ich seine Hände überall auf meinem Körper... Vater steht auf. Jetzt wird er mich bestimmt anschreien, weil ich mich nicht wehren konnte und das habe mit mir machen lassen. Ich zucke zurück in Erwartung schmerzhafter Schläge... Doch nichts. Im Gegenteil. Vater kommt auf mich zu und zieht mich in seine Arme. Zunächst versteife ich mich unter der, von Vater so unbekannten, Berührung, aber dann gibt es für mich kein Halten mehr. Hemmungslos schluchzend lasse ich mich in Vaters Arme sinken. All die Emotionen, die ich nie zeigen durfte, strömen aus mir heraus. Vater sagt kein Wort. Er hält mich nur fest und streichelt mir beruhigend durchs Haar und über den Rücken, darauf wartend, dass auch meine letzten Tränen versiegen. Erst als wirklich alle Tränen versiegt sind, richtet Vater das Wort wieder an mich. “Desmond, wieso hast du mir nicht eher davon erzählt? Dann hätte sich der Rat um die Verfolgung und Bestrafung dieser widerwärtigen Kreatur kümmern können.” Ich starre ihn geschockt an. Hat er mich gerade allen ernstes gefragt, wieso ich nicht mit ihm darüber gesprochen habe? “Ist das dein Ernst?!”, fauche ich ihn an, “Wann bitteschön hätte ich denn mit dir darüber reden sollen? Du kümmerst dich doch nur noch um deinen beschissenen Job, statt um deine Kinder! Flora und ich bedeuten dir doch nichts! Du tust doch nur so, als würdest du dich um uns sorgen, weil wir später einmal deine Nachfolger werden sollen! Aber das kannst du vergessen! Lieber sterbe ich, als dass ich diesem Rat von Menschenliebhabern so wie du in den Arsch krieche!” Vater starrt mich einen Augenblick lang entsetzt an. Doch dann wandelt sich sein Gesichtsausdruck von Entsetzen in blanke Wut und nur einen Augenblick später landet seine Faust mitten in meinem Gesicht! Ich spüre, wie mein Nase unter der Wucht des Schlages bricht, spüre das Blut, welches über mein Gesicht rinnt. Aber es ist mir egal. Ich habe nichts anderes erwartet. Verächtlich blicke ich ihn an. „Jaah, das ist das einzige, was du noch kannst, wenn es nicht so läuft, wie du es gerne hättest!“ Mit diesen Worten drehe ich mich um und verlasse das Arbeitszimmer. Vater ruft mir nach, das ich stehen bleiben soll, aber auch das ist mir egal. Die Zeit ist vorbei, in der ich Vater gehorcht habe. Raschen Schrittes gehe ich nach oben. Ich will gerade in mein Zimmer gehen, als Lucern mir entgegenkommt. Als er meine gebrochene Nase sieht zieht er mich mit sich in sein Zimmer. „Komm mit. Ich habe unten ein Medikament, welches dafür sorgt, dass deine Nase wieder richtig zusammenwächst!“ Ich folge ihm nach unten. Lucern sieht kurz in ein Kästchen, welches auf dem Tisch steht und reicht mir dann eine Phiole mit einer eigenartigen grünlichen Flüssigkeit. In einem Zug trinke ich die Phiole aus. „Und nun solltest du dir das Blut aus dem Gesicht waschen“, rät er mir noch, als ich sein Zimmer wieder verlasse. Rasch gehe ich nach oben in mein Badezimmer und wasche mir das Blut ab. Ich sollte wieder zu Flora gehen... Nicht dass sie sich noch mehr Sorgen macht. Aber irgendwie bin ich plötzlich so müde. Es scheint eine Nebenwirkung des Trankes zu sein. Ich lege mich in meinen Sarg und schlafe nur wenig später ein... Flora Wieso kommt er nicht wieder? Er ist schon so lange weg..., voller Sorge um meinen geliebten Bruder liege ich regungslos in meinem Sarg. Jeden Moment hoffe ich, dass die Tür auf geht und er unversehrt hereinkommt. Das alles gut gelaufen ist und Vater zu ihm genau so fürsorglich war, wie zu mir eben. Aber mit jeder Sekunde verstreicht meine Hoffnung. Was hat Vater mit ihm angestellt? Das Warten ist unerträglich. Am liebsten würde ich aufstehen und zu Vaters Arbeitszimmer gehen, aber er hat mir strengste Bettruhe verschrieben. Ich habe Angst, was ist wenn er mich erwischt? Dann ist er wieder so grausam wie vorher zu mir. Aber die Ungewissheit macht mich fertig. Vielleicht braucht Desmond meine Hilfe. Ich hätte ihn nie alleine zu Vater gehen lassen sollen. Panik breitet sich in mir aus, ich muss etwas machen. Meine Gedanken fressen mich sonst noch förmlich auf. Vorsichtig versuche ich aufzustehen. Ich merke, dass meine Beine noch ziemlich schwach sind. Aber das ist mir egal. Ich werde es schaffen, ich muss es Desmond zu liebe machen. Langsam schwanke ich zu meiner Tür. Mit jedem Schritt tragen mich meine Beine besser voran. Vorsichtig horche ich zuerst an der Tür bevor ich diese öffne. Ich gleite bzw. stolpere eher hindurch. Es ist kein Geräusch zu hören. Alles scheint still zu sein. Als ob niemand mehr in hier wäre. Meine Gedanken kreisen wie wild umher, als ich die Treppe hinunter zu Vaters Arbeitszimmer gehe. Desmond muss noch bei ihm sein. Sonst wäre er doch sofort zu mir gekommen. Ich hoffe es so sehr, dass ich recht mit meiner Vermutung habe. Denn sonst... Lange kann ich nicht nachdenken, denn da ist schon Vaters Arbeitszimmer. Ich kann immer noch keine Geräusche vernehmen. Es wird doch wohl nichts passiert sein. Voller Panik gehe ich näher an die Tür heran. Vorsichtig lege ich meinen Kopf an die Tür, doch noch immer vernehme ich noch nicht einmal das kleinste Geräusch. Ist Desmond tatsächlich nicht mehr bei Vater? Aber wieso? Hat er Vater wieder provoziert und liegt jetzt zusammengeschlagen in seinem Sarg? Ich will gerade meinen Kopf von Vaters Arbeitszimmertür heben, als drinnen seine Stimme erklingt. Wie versteinert klebe ich an der Tür. „Mach dir keine Sorgen! Die beiden werden dich lieben. Da bin ich mir ganz sicher. Ich mache mich jetzt auf den Weg zu dir....“, höre ich Vaters Stimme. Desmond ist nicht mehr da. Wieso? Hat er wirklich vergessen, welch große Sorgen ich mir immer um ihn machen. Wieso ist er nicht gekommen? Was ist... Ich höre, wie Vater seinen Sessel verschiebt. Seine Schritte werden immer lauter. Sie kommen auf mich zu. Doch noch immer klebe ich an der Tür. Ich merke, wie Vater auf der anderen Seite nach dem Türknopf greift und diesen langsam umdreht. Erst jetzt realisiere ich, was gerade passiert. Was soll ich machen? Blitzschnell und leise bewege ich mich von der Tür weg. Aber wohin? Angst breitet sich aus, ich merke wie mein Körper am liebsten zusammen brechen würde. Aber ich kämpfe dagegen an. Wer weiß, was mir blühen würde, wenn Vater mich erwischt. Allerdings erscheint meine Lage aussichtslos. Mir bleibt zu wenig Zeit, um zu flüchten. Daher quetsche ich mich an die Seite des alten Wandschrankes, direkt neben Vaters Arbeitszimmer. Am liebsten hätte ich mich in ihm versteckt, nur leider sind diese Türen immer verschlossen. Niemand weiß, was Vater darin versteckt. Es hätte keinen Moment länger dauern dürfen, denn da öffnet sich auch schon die Tür. Mein Herz pocht wie verrückt. Vater wird gleich an mir vorbeigehen. Denn das ist der einzige Weg nach unten. Ich versuche mich immer mehr in die kleine Lücke zu quetschen. Und da sehe ich auch schon Vater. Direkt neben mir. Ich höre auf zu atmen, jedes kleinste Geräusch könnte mich verraten. Vater hat schon fast die Treppe erreicht. Ich will gerade aufatmen, als er plötzlich stehenbleibt. Ich bleibe regungslos stehen. Bitte geh weiter. Bitte!! Ich sehe, wie Vater nachdenklich am Treppenabsatz steht. Wieso geht er nicht weiter? Hat er etwas vergessen? Das wäre mein Todesurteil. Meine Beine sind wie Stein. Ich kann mich nicht von der Stelle bewegen. Und dann, plötzlich, dreht Vater sich etwas zur Seite um. Ich kann meinen Augen nicht trauen. Wie kann man nur so viel Pech haben... „Ach, egal...das suche ich später...“, höre ich Vater murmeln. Er dreht sich geschwind wieder zurück und geht die Treppe hinunter, ohne auch nur eine Notiz von mir zu nehmen. Erleichtert sacke in an der Schrankseite zusammen... Es vergehen einige Minuten, bis ich mich endlich zusammenraffen kann und mich auf den Weg zu Desmonds Zimmer mache. Ich kann mein Glück immer noch nicht fassen. Das ist einfach unmöglich. Doch lange hält meine Freude diesbezüglich nicht an. Was ist denn nun mit Desmond? Es muss etwas vorgefallen sein, dass kann gar nicht anders. Eilig stürme ich die Treppe zu seinem Zimmer hinauf. Voller Angst um ihn öffne ich schwunghaft die Tür. Und tatsächlich, er ist in seinem Zimmer. Er liegt regungslos in seinem Sarg. Angsterfüllt gehe ich auf ihn zu. Mir stockt der Atem. Sein ganzes Gesicht ist blutverschmiert. Aus seiner Nase läuft es wie ein langsam erliegender Fluss heraus. Was ist nur passiert? Wie konnte Vater ihm das nur antun? Plötzlich öffnet sich die Tür hinter mir. Ich fahre erschrocken herum. Es ist Lucern, der auf mich zutritt. Doch bevor er auch nur ein einziges Wort sagen kann, schreie ich ihn an: „Was hat Vater mit Desmond gemacht? Du musst etwas wissen! Du weißt alles!“ Ich merke, wie meine Beine nachgeben. Doch es ist mir egal, ich will wissen was mit meinem geliebten Bruder geschehen ist. Ich lasse Lucern nicht einmal die Möglichkeit zu antworten. Es geht mir alles viel zu langsam. „Los!“, schreie ich wütend. „Sag schon was passiert ist! Hat...“, doch da fällt Lucern mir ins Wort. Er kommt auf mich zu gelaufen. Gerade noch rechtzeitig, um mich aufzufangen. Meine Beine haben ihren Geist aufgegeben. Ich kann nicht mehr. „Ganz ruhig, beruhige dich erst einmal!“, sagt Lucern fürsorglich. „Ich will mich aber nicht beruhigen!“, schnauze ich ihn an. „Was ist passiert?“, frage ich ihn jetzt mit Tränen in den Augen. Er sitzt mir auf dem Boden gegenüber. Und tatsächlich fängt er an mir die Geschichte zu erzählen. „Wie du wohl unschwer erkennen kannst, ist das Gespräch zwischen den beiden eskaliert.“, während Lucern so spricht, klammer ich mich an seinen Armen fest. Ich merke, dass er völlig überfordert ist mit dieser Situation. Trösten gehört wohl im Internat nicht zu seinen Hauptaufgaben. „Natürlich ist Desmond nicht ganz unschuldig gewesen, aber das kann er dir besser später ganz in Ruhe erzählen. Es sieht schlimmer aus, als es in Wirklichkeit ist. Seine Nase ist zwar gebrochen, allerdings habe ich eine eine spezielle Medizin gegeben, die ihn schnell wieder auf die Beine bringt. Also beruhige dich doch.“, sagt er fast schon verzweifelnd. „Am besten bringe ich dich in dein Zimmer und wir lassen Desmond in Ruhe schlafen. Er braucht Ruhe, genau wie du! Schließlich sollt ihr beide morgen wieder in die Schule gehen.“, mit diesen Worten erhebt sich Lucern. Aber ich mache keinen einzigen Anstand mich zu bewegen. Mir laufen immer noch vereinzelnd Tränen über die Wangen. Ich will hier nicht weg, ich will bei ihm bleiben. Doch da packt Lucern mich schon. Er hebt mich hoch und trägt mich aus den Zimmer. Ich leiste keinen Widerstand. Meine Kräfte sind am Ende. Vorsichtig legt Lucern mich in meinem Zimmer in den Sarg. „Ruhe dich aus und mach dir keine Sorgen. Morgen wird es ihm schon wieder besser gehen. Und diesmal bleibst du wirklich im Sarg liegen! Nicht das ich dich noch einmal draußen herumschleichen sehe! Haben wir uns verstanden!“, sagt er jetzt wieder streng. „Ja!“, sage ich mit beschämten Blick nach unten. „Schließlich musst du genauso gut wieder zu Kräften kommen.“, er wuschelt mir sanft durchs Haar, bevor er Richtung Tür geht. „Und du bleibst mir ja im Sarg liegen!“, sagt er noch mal als Verschärfung. Als ob man mir nicht vertrauen könnte... Ich bin alleine im Zimmer. Meine Gedanken kreisen immer noch um Desmond. Ich lasse mir ständig Lucerns Worte erneut im Kopf herum gehen. Natürlich wird Desmond nicht ganz unschuldig gewesen sein. Das ist mir klar. Dafür kenne ich meinen Bruder einfach zu gut. Aber musste Vater unbedingt so reagieren? Wieso musste er ihm gleich die Nase brechen? Das geht doch zu weit. Egal was Desmond auch gesagt hat, wieso muss Vater immer sofort gewalttätig werden? Es ist doch immer so. Und heute habe ich auch noch gedacht, dass Vater sich geändert hat. Das er wieder so geworden ist, wie er damals war. Aber von wegen. So kann es doch nicht weitergehen. Natürlich sind wir nicht gerade die unschuldigen Mäuschen, aber so langsam übertreibt Vater es wirklich. Ich habe das Gefühl, dass es jeden Tag schlimmer wird. Da muss man doch was ändern. Man muss ihm eine Lektion erteilen. Aber wie? Minuten vergehen, bis mir endlich der Geistesblitz kommt: DIE REDE!! Das ist es. Wieso bin ich da noch nicht eher drauf gekommen? Wo könnte man Vater denn sonst am besten blamieren? Oder besser gesagt unseren Plan von der Ausrottung der Menschen verbreiten? Auf der Trauerfeier unserer Mutter sind so viele Menschen anwesend. Und nicht nur unsere große Familie, sondern auch etliche hohe Vampire und das beste, es wird auch der Vampirrat vertreten sein. Da wird so peinlich für Vater, seine eigenen Kinder rufen zu einer Hetzjagd auf. Und der Vampirrat wird es höchstpersönlich mitbekommen. Vater wird in ziemlich große Schwierigkeiten kommen, aber das ist mir egal und Desmond wahrscheinlich auch. Wir müssen uns doch schließlich gegen ihn wehren. Es ist sein und mein großer Traum endlich eine Welt ohne Menschen vorzufinden! Es soll einfach alles wieder so werden wie früher. Die Vampire regieren über die Welt! Und Vater wird vielleicht wieder zu dem Vampir, wie wir ihn damals kannten... Ich greife zu den Zettelstapel neben meinem Sarg und fange an die Rede zu entwerfen... Ein greller Schrei reißt mich aus meinen Träumen. Es ist mein Wecker. Für meinen Geschmack klingelt er viel zu früh. Schließlich habe ich die halbe Nacht an der Rede geschrieben. Aber nun bin ich endlich fertig. Ich muss Desmond unbedingt die Rede zeigen. Wie es ihm heute wohl geht? Blitzschnell stehe ich auf und suche meine Sachen zusammen. Ich will unbedingt zu Desmond. Was gestern wohl vorgefallen ist und noch besser, was er wohl zu meiner Rede sagen wird? Eilig stürme ich aus meinem Zimmer und falle im Flur fast über Desmond herüber. „Hey, Schwesterchen! Nicht so stürmisch!“, lächelt er mich an. „Dir geht es wieder besser. Ich muss dir unbedingt etwas zeigen!“, sprudle ich los. Doch dann verstumme ich. Seine Nase. Man sieht immer noch deutlich, was gestern Abend vorgefallen ist. „Was guckst du denn so? Du wolltest doch noch etwas sagen.“, entgegnet er. „Deine Nase...man sieht immer noch...“, stottere ich. „Ach, mach dir keine Sorgen, die tut zum Glück nicht mehr weh. Sieht schlimmer aus als es ist.“, sagt er fröhlich, als ob es ihm gleichgültig ist, was gestern vorgefallen ist. „Wir können deine Nase etwas über schminken, wenn du möchtest. Dann fällt es denen in der Schule nicht so auf. Komm einfach eben mit, ich bekomme das schon hin.“, schlage ich ihn vor. „Als ob ich so etwas nötig hätte! Die sollen ruhig denken, was die wollen. Das ist mir scheiß egal! Lass uns jetzt lieber runtergehen, wir sind sowieso schon etwas spät dran!“, drängt er mich und wir gehen gemeinsam Richtung Küche. „Ach du Scheiße! Was will der denn hier?“, sagt Desmond grimmig, als wir zu Tür herein kommen. „Flora! Meine Liebe! Du wirst doch immer hübscher!“, begrüßt mich Großvater. „Großvater!“, sage ich freudig und stürme auf ihn los. Voller Elan springe ich ihm um den Hals. „Hey, lass den alten Herren noch am leben. Du erdrückst ihn ja förmlich vor Liebe.“, mischt Vater sich scherzhaft ein, der ebenfalls in der Küche ist. Vorsichtig löse ich mich von ihm. „Mit so viel Freude habe ich ja gar nicht gerechnet.“, gibt Großvater von sich. „Das ist doch eine Überraschung. Was machst du denn hier?“, frage ich ihn voller Freude. „Na, was denn schon? Natürlich meine Lieblingsenkelin besuchen!“, sagt er liebevoll. „Und natürlich auf die Trauerfeier deiner Mutter gehen.“ „Bleibst du bei uns für diese Zeit? Wie lange bleibst du denn?“, sprudle ich los. Hinter mir höre ich Desmond murren. Großvater hat ihn die ganze Zeit ignoriert und wird es auch weiterhin machen. Er wird ihm nie die Sache von damals verzeihen. Dazu sitzt der Schmerz einfach zu tief. Leider. „Ja, natürlich wohnt Großvater während dieser Zeit bei uns im Gästezimmer. Ihr habt also genug Zeit was zu unternehmen.“, entgegnet Vater. „Genau, ich bleibe bis Montag Abend, da sollten wir doch ordentlich Zeit haben, fügt Großvater hinzu. „Das ist doch super!“, sage ich freudestrahlend. Es macht immer so viel Spaß mit Großvater. Mit ihm könnten ich stundenlang zusammen sein. Wenn nur nicht diese Spannung zwischen ihm und Desmond wäre. Wäre das damals doch nur nie geschehen. Wieso konnte ich mich nur nicht durchsetzten.... „Guten Morgen alle zusammen! Ach, der Herr Alucard Senior ist auch schon da. Ich freue mich sehr, sie endlich auch einmal persönlich kennen zu lernen.“, begrüßt Lucern Großvater mit einem ziemlich lächerlich aussehenden Knicks. Aber Großvater scheint sich geschmeichelt zu fühlen. „So viel anstand erlebt man nur noch selten.“, sagt er, während er Lucern die Hand reicht. „Leider muss ich ihre Enkel entführen. Die Schule beginnt und die beiden sollen ja etwas lernen.“, entschuldigt sich Lucern. „Das ist doch kein Problem. Ich werde ehe gleich meinem Sohn beim Dekorieren der Familiengruft helfen und kann mich nicht um Flora kümmern. Außerdem möchte ich ja auch, dass aus meiner süßen Fledermaus ein kluges Köpfchen wird.“, dabei streichelt er mir sanft durchs Haar. „Dann holt eure Sachen,damit ihr nicht zu spät kommt“, sagt Vater in einem strengen Ton. Ich verabschiede mich mit einer sanften Umarmung von Großvater und folge Lucern und Desmond aus dem Haus. Desmond sieht gar nicht mehr so freudig aus, wie zuvor.... Ich weiß, wie Desmond sich fühlen muss. Wieso hat Großvater mir verziehen und ihm nicht. Das ist einfach so ungerecht. Ich war doch genauso daran beteiligt, wie er. Ich traue mich nicht ihn anzusprechen. Aber das muss ich auch gar nicht. Das übernimmt schon eine andere Person. Hannah! Wir biegen gerade um die nächste Straßenecke, als sie quasi fast aus dem Gebüsch springt. Wobei ich mir sehr gut vorstellen kann, dass sie sich tatsächlich dort versteckt hat. Sie tut einfach alles um in unserer Nähe zu sein. „Das ist doch ein Zufall euch hier zu treffen. Ich bin ja so erfreut. Ja, ihr braucht gar nichts zu sagen, ich weiß. Natürlich bin ich nicht zufällig hier. Ich wohne ja leider am anderen Ende der Stadt. Ich wollte euch unbedingt wiedersehen. Flora. Wie geht es dir denn? Du warst gestern gar nicht in der Schule. Ich habe mir ja solche Sorgen gemacht. Nicht das dir was schlimmes zugestoßen ist. Aber das scheint nicht der Fall zu sein, Ich freue mich ja so...“ „Wie hast du herausgefunden, wo wir wohnen?“, unterbricht Desmond sie mit zusammengebissenen Zähnen. Leider ist Lucern nämlich dabei und uns sind die Hände gebunden. Was ein Glück für Hannah ist... „Ach, das ist doch kein Kunststück. Das war ganz einfach, Wir sind ja leider immer über dieses Thema hinweggekommen, da habe ich einfach im Sekretariat gefragt. Die hat mir dann die Adresse gegeben. Aber unfreundlich war die, muss ich euch wirklich mal sagen. Es kam mir fast so vor,als ob die mich loswerden wollte. Was natürlich völliger Quatsch ist, aber.....“, wie gut das wir Weltmeister im ignorieren sind. Auch wenn es bei Hannah immer eine Herausforderung ist. Lucern scheint richtig Spaß zu haben uns leiden zu sehen. Da er leider voran schreitet, können wir unser Tempo nicht erhöhen. Hannah am frühen morgen ist wirklich eine Qual. „....Aber zum Glück geht es dir wieder gut, Flora. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr mich das freut. Desmond! Was hast du denn gemacht. Das fällt mir ja gerade erst auf. Das soll nicht heißen, dass ich dich ignoriere. Ich mag dich wirklich gerne, also wirklich ziemlich gerne. Also es fällt wirklich kaum auf, aber was hast du denn gemacht. Irgendwie sieht es doch ziemlich schlimm aus. Soll ich mir das mal angucken....“, labert sie ununterbrochen weiter. Ich sehe, wie auch Desmond aufatmet als wir das Schulgelände erreichen. Nur noch wenige Meter trennen uns vom Klassenzimmer. Bald sind wir Hannahs Gerede los. Ich weiß nicht, wen die alle mehr angucken, Hannah, mich oder Desmond mit seiner kaputten Nase. Aber das ist mir auch egal. Erschöpft lassen Desmond und ich uns an unserem Lieblingsplatz fallen. Zu allen Überfluss setzt Hannah sich direkt vor uns. Doch nur wenige Minuten später betritt endlich Herr Q. das Klassenzimmer und Hannah hat ein neues Opfer gefunden... Latein und Biologie scheinen nie zu Enden. Doch da erklingt zum Glück schon die Schulglocke. Langsam packen Desmond und ich unsere Sachen zusammen und da dreht sich auch schon wieder Hannah zu uns um. Sie öffnet gerade den Mund. Aber es kommt kein einziger Ton heraus. Stattdessen dreht sich sich wieder weg und trampelt zur Tür heraus. In diesem Moment sehen wir wie Lucern an uns vorbeigeht. Er hat auch diesmal etwas mit Hannahs Verhalten zu tun, da bin ich mir ziemlich sicher. Seine Gegenwart bringt zum Glück nicht nur Nachteile mit sich. „Das will ich auch mal hoffen“, höre ich Lucerns Stimme in meinem Kopf. Und auch Desmond vernimmt diese. „Benehmt euch bitte in den zwei Freistunden. Leider kann ich euch keine Gesellschaft leisten, da ich mit eurem Direktor zum Kuchenessen verabredet bin. Aber eins sei euch gewiss, auch wenn ich nicht körperlich bei euch bin, werdet ihr meine Gegenwart verspüren können! Also ich erwarte äußerste Disziplin von euch beiden!“ Als ob man von uns etwas anderes erwarten könnte.... Gemeinsam gehen Desmond und ich raus in den Schulhof. Zwei langweilige Stunden müssen wir überleben und dann auch noch ganze drei Schulstunden. „Hey Kleines!“, stupst Desmond mich an. „Da drüben ist doch Zülal. Sie sitzt ganz alleine auf der Bank. Geh doch mal zu ihr rüber und versuche etwas über deinen Traumprinzen herauszufinden.“, schlägt er vor. „Meinst du wirklich?“, frage ich erstaunt. „Ich weiß doch, wie du auf diese Geschichte reagierst. Vielleicht sollte ich Elliot lieber vergessen. Ich habe doch ehe keine Chance.“, sage ich etwas deprimiert. „Ach was, wenn du nicht seinen Vorstellungen entsprichst, dann schafft das keiner.“, versucht er mich aufzumuntern. Und tatsächlich fange ich etwas an zu lächeln. „Und mach dir keine Sorgen wegen mir. Ich stehe hinter dir. Also sehe zu, dass du zu Zülal kommst und nehme sie mal ordentlich aus.“ „Ok, danke Desmond. Bis gleich.“, ich mache mich auf den Weg zu Zülal. Wie fange ich nur an? Was soll ich sagen? Aber diese Entscheidung nimmt sie mir ab. „Flora! Hi! Wie geht es dir denn?“, fragt sie freundlich. „Wieder ganz gut. Danke, der Nachfrage. Ich glaube ich habe jetzt das gröbste von meiner Erkältung hinter mir.“, fange ich an. „Ach, du Ärmste. Deswegen bist du letztens bestimmt zusammengebrochen und warst gestern nicht da?“, fragt sie mitfühlend. „Ja, genau. Gestern war wirklich der schlimmste Tag. Aber heute geht es mir zum Glück schon wesentlich besser.“, ich mache eine kurze Pause und nehme allen meinen Mut zusammen. „Kennst du Elliot eigentlich genauer?“ Ich merke, wie ich rot im Gesicht werde. Doch Zülal scheint es nicht zu bemerken, obwohl es offensichtlich ist. „Es geht. Eigentlich weiß ich genauso viel wie alle anderen auch, Manchmal unterhalte ich mich mit ihm oder gehe mit ihm zusammen nach Hause. Du musst wissen, dass er in der selben Straße wie ich wohne.“, beginnt Zülal, ohne sich auch nur einmal zu erkundigen wieso ich das wissen möchte. Und ich muss zugeben, ich bin ihr wirklich dankbar dafür. „Ach, also wohnt er dort mit seiner Familie?“, bohre ich etwas nach. „Ja, er wohnt dort mit seiner jüngeren Schwester und seiner Mutter. Seine Eltern sind geschieden. Das war wirklich traurig, ich habe immer gefunden, dass die Eltern wunderbar zusammengepasst haben. Aber leider kann man da nichts machen. Er hat auch kaum noch Kontakt zu seinem Vater. Er schickt zweimal im Jahr eine Karte, zu Weihnachten und zu seinem Geburtstag. Wobei letztere meist einen Monat zu früh oder zu spät kommt.“, erzählt Zülal traurig. Sie scheint wirklich mit jedem mitzufühlen und jeden zu verstehen. „Das klingt wirklich traurig.“, entgegne ich. „ Das stimmt. Und dann ist da auch noch sein strenger Stiefvater. Das ist ein ganz komischer Kauz. Der soll manchmal richtig fies zu Elliot sein.“, sagt sie entrüstet. „Wie froh ich doch bin, dass unser Vater keine neue Frau hat. Wenn die dann auch so schrecklich wäre. Daran mag ich gar nicht erst denken. Elliot kann einem wirklich leid tun.“ „Da hast du recht. Die letzte Zeit war für ihn gar nicht so einfach. Hinzu kam zur selben Zeit auch noch die Geschichte mit seiner großen Liebe Clarissa.“ Jetzt wird es spannend, ich spüre wie mein Herz ganz schnell pocht. Habe ich etwas mit Clarissa gemeinsam? „Was ist denn vorgefallen?“, frage ich neugierig. „Das ist wirklich eine schreckliche Geschichte. Sie hat ihn vor der ganzen Schule bloß gestellt. Seit dem hat er sich keinem Mädchen mehr so hingegeben. Sie war damals seine große Liebe. Aber sie hat ihn nur ausgenutzt. Elliot war so froh, als er mit ihr zusammengekommen ist. Aber sie hatte nur Augen für seine besten Kumpel. Für den sie sich interessiert hat. Sie hat Elliot nur ausgenutzt und das hat ihm das Herz gebrochen. Und sein damals bester Kumpel hat sich dann auch noch auf dieses Miststück eingelassen.“ Solche Ausdrücke kenne ich ja noch gar nicht von Zülal. „ Sie hat ihn damals vor allen Leuten auf den Schulball bloß gestellt. Das hat ihn das Herz gebrochen und dann kam auch noch die Scheidung seiner Eltern hinzu.“ Das wird ein hartes Stück Arbeit sein Vertrauen zu gewinnen. „Der kann einem wirklich leid tun“, betreten schaue ich zu Boden und Zülal tut es mir gleich. Als plötzlich eine genervte, noch schläfrig wirkende Stimme vor uns erklingt. Es ist Nina, Zülals beste Freundin. „Mein beschissener Wecker hat nicht geklingelt, heute läuft wirklich alles schief.“, mit diesen Worten lässt sie sie sich neben Zülal auf die Bank fallen. „Ich glaube, ich kümmere mich mal ein wenig um Desmond. Wir sehen uns später noch.“, verabschiede ich mich freundlich von den beiden und schlendere zu Desmond hinüber. Ich kann es kaum erwarten ihm die ganzen neuen Sachen zu berichten. Und tatsächlich, auch er will wissen wie es gelaufen ist und gibt mir sogar Ratschläge. Es ist alles wieder in Ordnung zwischen uns zwei, ich bin so froh.... „Endlich ist dieser schreckliche Schultag zu ende.“, sagt Desmond völlig erschöpft als wir zu Hause ankommen. „Das kannst du laut sagen. Soll ich dir nun endlich die Rede vorlesen?“, frage ich ihn neugierig. „Na klar!“, sagt er wieder voller Lebensfreude. Gemeinsam gehen wir rauf in mein Zimmer. Ich setze mich auf meinen Sarg und krame nach dem Zettel mit der Rede. Desmond macht es sich währenddessen neben mir bequem. Ich fange an, ihm die Rede vorzutragen: „Ich bin so froh, dass ihr alle so zahlreich erschienen seid, um unserer Mutter heute die letzte Ehre zu erweisen. Ein besonderer Dank gilt dabei dem heute vollzählig erschienenen Vampirrat. Ich weiß, dass dies nicht selbstverständlich ist, aber ich weiß auch, wie sich Mutter über dieses zahlreiche Erscheinen momentan freut. Wie sie sich freut uns alle hier glücklich versammelt zu sehen. Zu erkennen, wie groß ihre zwei Schützlinge doch geworden sind. Und besonders wie Vater mit dieser schwierigen Situation umgegangen ist. Er hat wirklich Stärke bewiesen und hat uns sehr geholfen den schrecklichen Verlust unserer geliebten Mutter zu verkraften. Was hätten wir nur ohne ihn gemacht? Und auch ohne die Unterstützung von euch allen! Deswegen möchte ich euch an dieser Stelle noch einmal den herzlichen Dank unserer Familie aussprechen und auch gewiss von meiner Mutter, von der wir heute leider vorerst zum letzten mal Abschied nehmen werden. Aber unsere Mutter wird immer bei uns sein. Diese warmherzige, bescheidene und fürsorgliche Frau, die wir voller Stolz unsere Mutter nennen dürfen, wird für immer in unseren Herzen weiterleben. Mama, wir werden dich nie vergessen! Aber wieso musste es nur soweit kommen? Wieso musste unsere geliebte Mutter sterben? Wer hierbei denkt, dass die Welt manchmal einfach nur ungerecht sein kann, der irrt sich gewaltig! Man hätte diesen grauenvollen Tod von ihr und all den anderen unschuldigen Vampiren verhindern können! Man hätte nur eine kleine Sache frühzeitig zu Ende bringen müssen! Nur eine winzige Angelegenheit, hätte ihr Leben gerettet! Wieso haben wir die Menschen nicht damals schon ausgerottet? Diesen Abschaum vernichtet? Dies frage ich euch! Sind wir nicht alle Schuld daran? Könnt ihr mit dieser Gewissheit etwa leben? Jeden Tag sieht man diese unwürdigen Kreaturen herumlaufen, wie es ihnen gut geht und wie sie sich in Sicherheit wiegen. Ist es nicht unsere Pflicht dies zu zerstören? Endlich Rache zu nehmen und uns zur Wehr zu setzen? Es wird Zeit etwas zu unternehmen! All den durch Menschen getöteten Vampiren die letzte Ehre zu erweisen! VERNICHTET SIE!!!“ Gerade als ich den letzten Satz lese, öffnet sich meine Zimmertür und Großvater kommt herein... Kapitel 8: ----------- Desmond “Wer soll hier vernichtet werden?”, erklingt eine Stimme aus dem Hintergrund. Ich fahre herum. Großvater! Ausgerechnet er! Was sollen wir nur antworten? “Ähm... das... ist eine Geschichte... für ein... Schulprojekt...”, stammel ich ausweichend. “Ich habe nicht mit dir gesprochen!”, faucht Großvater. Das war ja mal wieder so typisch! Ich stehe auf. ”Flora, viel Spaß noch mit Großvater... ich werde mich dann mal mit Vaters Strafarbeit beschäftigen...“, sage ich leise und mache mich auf den Weg in mein Zimmer. Flora sieht mir mitleidig nach. Sie weiß, wie sehr Großvater mich hasst. “Ja, lauf nur weg, du elender Feigling!”, ruft Großvater mir noch nach, doch es ist mir egal. Ich bin ja keine andere Behandlung von ihm gewohnt. Schon als wir noch Kinder waren konnte er mich nicht leiden, weil er immer wieder einmal das Opfer meiner, zugegeben nicht immer harmlosen, Streiche geworden ist. Aber seit Großmutter getötet wurde, ist sein Hass und seine Verachtung nur noch größer geworden. Wenn er mich wenigstens einfach ignorieren würde... aber nein, er muss es mir immer wieder reinwürgen! Gereizt setze ich mich an meinen Schreibtisch und nehme eins der Bücher zur Hand, welche Vater mir bezüglich meiner Strafe in mein Zimmer gelegt hat. Lustlos schlage ich das Buch auf und versuche mir die sieben wichtigsten Vampirtraditionen einzuprägen, aber ich kann mich kaum konzentrieren. Immer wieder drängt sich dieses schicksalhafte Ereignis von vor 25 Jahren wieder in meine Gedanken. Damals waren wir 12 und wir hätten eigentlich schon längs schlafen sollen, aber es war keiner da, der das hätte überprüfen können. Unsere Eltern waren bei einem Geschäftsessen und unsere Großeltern hatten keine Zeit, um auf uns aufzupassen. Also waren wir allein zu hause. Schließlich haben wir uns raus geschlichen und sind auf einen Spielplatz gegangen, wo wir aber komplett die Zeit vergessen haben und schließlich von Vampirjägern angegriffen wurden. Glücklicherweise hatte man uns schon vermisst und wir konnten gerettet werden. Allerdings wurde Großmutter Callista dabei schwer verwundet und ist einige Tage später ihren Verletzungen erlegen. Großvater Ilandere hat mir das nie verziehen und wird es vermutlich auch nie. Flora war schon immer sein Liebling gewesen und früher hätte sie nie etwas getan, was nicht erlaubt war. Ich musste sie damals regelrecht überreden mitzukommen. Seufzend versuche ich abermals mir die Traditionen einzuprägen, doch es bringt nichts. Dazu bin ich immer noch viel zu aufgewühlt. Resigniert lege ich das Buch weg und lehne mich auf meinem Schreibtischstuhl zurück. Hoffentlich hat Großvater mir die Geschichte mit dem Schulprojekt abgenommen... nicht, dass er damit rausplatzt, bevor wir mit der Rede an die Öffentlichkeit kommen. Und hoffentlich denkt er, dass der Teil der Rede von mir stammt. Ich komme schließlich so schon nicht mit ihm klar und wenn sich unser Verhältnis noch verschlechtern sollte, interessiert es mich nicht. Aber Flora mag ihn und ist sein Liebling und auch wenn ich ihn nicht leiden kann, soll sich das Verhältnis der beiden nicht verschlechtern. Dazu bedeutet mir Flora zu viel. Seit ich sie vor zwei Tagen beinahe für immer verloren hätte, will ich nur noch, dass sie glücklich ist. Egal mit wem und egal, ob ich die Person mag. Oh Mann! Ich wünschte es wäre schon Dienstag! Dann wären Großvater und Lucern endlich weg! Obwohl... Lucern hat sich in den letzten Tagen als doch nicht so schlimm heraus gestellt wie es zuerst schien. Immerhin hat er versucht mich vor Vater zu schützen... auch wenn diese mentalen Schmerzschübe wirklich grauenhaft sind. So langsam fängt meine Nase wieder an leicht zu schmerzen. Sie scheint immer noch nicht verheilt zu sein. Ach, wenn Mutter doch nur noch am leben wäre... dann hätte sich Vater nie so verändert. Früher war er immer so fürsorglich und liebevoll gewesen und hatte niemals die Hand gegen uns erhoben, doch seit Mutters Tod ist er stets so streng und gereizt. Ich sollte aufhören über die Vergangenheit nachzudenken! Das ändert ja doch nichts! Ich sollte mir stattdessen lieber Gedanken darüber machen, wie wir das hier und jetzt zum besseren wenden können! Floras Rede ist wirklich gut. Damit ist der erste Schritt in eine Zukunft getan, in der die Vampire wieder ihre Vormachtstellung inne haben und sich nicht länger unterdrücken lassen! Aber damit ist halt auch nur der erste Schritt getan. Jetzt müssen wir uns daran machen auch die weiteren Schritte zu überdenken. Ich bin ziemlich in Gedanken versunken, als es plötzlich an meiner Tür klopft. Ich schrecke hoch. “J-ja!”, stammel ich. Die Tür öffnet sich und Flora betritt mein Zimmer. “Ist er weg?”, ist meine erste Frage. Flora nickt. “Ja, er ist mit Vater noch einmal zur Familiengruft gefahren, um die letzten Vorbereitungen zu treffen.” “Das ist gut”, gebe ich erleichtert zurück. “Hat er mir die Sache mit dem Projekt abgenommen?” Flora zögert. “Ich weiß nicht genau. Er sah schon ziemlich skeptisch aus, aber er hat mich nicht drauf angesprochen.” “Mh... okay... Jedenfalls ist deine Rede einfach klasse!”, meine Begeisterung schwingt deutlich in meiner Stimme mit. “Wie wollen wir das denn aufteilen? Wir sollen die Rede ja zusammen halten...” Flora sieht mich entschuldigend an. “Ehrlich gesagt... hab ich mir darüber noch gar keine Gedanken gemacht...” “Ist ja nicht schlimm.” Ich wuschel ihr durchs Haar. “Ich würde sagen, dass du den freundlichen und harmlosen Teil übernimmst und ich den Aufruf zur Rache an den Menschen. Ich bin bei dem Großteil der Familie eh unten durch, aber du stehst vor allem bei Großvater ziemlich hoch im Kurs.” Flora sieht mich erschrocken an. “Aber ich will nicht, dass du den ganzen Ärger mit Vater und den anderen bekommst. Schließlich habe ich doch die Rede geschrieben.” Ich seufze. “Kleines, solange du beim Rest der Familie noch angesehen bist, haben wir eher die Chance hier überhaupt noch was zu erreichen. Immerhin warst du früher schon immer das artige kleine Mädchen und der Großteil der Familie hat deine Veränderung doch noch gar nicht mitbekommen. Und genau diesen Umstand sollten wir ausnutzen. Um auf den Ärger zurückzukommen: was soll mir denn schon groß passieren? Vater wird mich entweder verprügeln oder aufs Internat schicken oder beides. Aufs Internat begleitest du mich eh und die Prügel stecke ich für unser Ziel gern ein, wenn du dafür verschont bleibst!” “Aber... Desmond...” Flora zögert noch immer. “Ich will nicht, dass du wieder verprügelt wirst. Deine Nase ist doch noch gar nicht richtig verheilt...” “Das wird schon. Du weißt doch, dass unsere Wunden schnell heilen. Also was ist, bist du einverstanden?” Flora zögert noch einen Moment, doch dann nickt sie. “Okay... machen wir es so. Aber versprich mir, dass du vorsichtig bist!” Ich lächel arrogant. “Bin ich doch immer.” Flora knufft mich spielerisch in die Seite doch dann wird sie wieder ernst. “Aber jetzt erzähl mal. Wieso zum Teufel hat Vater dir die Nase gebrochen?” Ein trauriges Lächeln bildet sich auf meinen Lippen. “Naja... zuerst war er total fürsorglich. Doch dann hat er mich gefragt, wieso ich ihm nicht schon eher davon erzählt habe, woraufhin ich ihn gefragt habe, wann ich das denn hätte machen sollen, weil er doch nur noch an seinen Job denkt. Und dann habe ich ihm noch gesagt, dass ich nicht wie er dem Rat in den Arsch kriechen werde und naja... davon war er nicht so begeistert...” Flora ist sichtlich geschockt. “Wieso machst du sowas? Du weißt doch wie Vater ist! Musstest du ihn auch noch provozieren?” “Ich habe dir gesagt, dass ich mich nicht mehr von ihm fertig machen lasse! Er ist nicht mehr mein Vater!”, den letzten Satz schreie ich fast hervor. Nun ist Flora wirklich schockiert. Ich bin selber schockiert von meinen Worten. “Meinst du das ernst?” Ich zögere. “Ehrlich gesagt... ich weiß es nicht...” “Ach, Brüderchen.” Flora geht auf mich zu uns nimmt mich in den Arm. Es tut gut in ihrer Nähe zu sein. Ich wüsste nicht, was ich ohne sie machen sollte, denn schließlich habe ich nur noch sie. Wenn ihr Selbstmordversuch geglückt wäre, hätte ich mich vermutlich auch direkt getötet. Sie ist mir viel zu wichtig, als dass ich je ohne sie sein könnte. Einige Minuten lang lehne ich mich einfach nur an sie. Es ist schön, in ihrer Nähe ich selbst sein zu können. Denn das kann ich nur bei ihr und bei sonst niemandem. Wenig später klopft es an der Tür und wir sind gezwungen, die Umarmung zu beenden. Wer weiß, wer jetzt davor steht. “Ja?”, antworte ich und nur Sekunden später öffnet sich die Tür und Großvater betritt mein Zimmer. Missbilligend sieht er sich um. “Naja, Geschmack hattest du ja noch nie!”, ist das einzige, was er verächtlich zu mir sagt, bevor er sich Flora zuwendet. “Flora, meine Liebe, hier steckst du also! Was hälst du davon, wenn du mir ein bisschen die Gegend hier zeigst und wir dann in die Stadt gehen und ich dir ein paar schöne neue Sachen kaufe?” Flora freut sich sichtlich über dieses Angebot, doch sehe ich ihr auch an, dass sie mit sich ringt, ob sie wirklich mit ihm gehen soll. “Nun geh schon”, aufmunternd lächel ich sie an, “ich komm schon klar.” “Wirklich?” “Flora, was ist nun? Begleitest du mich?”, wirft Großvater ein als wäre ich gar nicht da. Ich nicke nur und schließlich willigt Flora ein und verlässt mit Großvater das Zimmer. Seufzend sinke ich in meinen Sarg. Auch wenn ich es nicht zeige, tut es doch ziemlich weh von Großvater so verachtet zu werden. Früher, als ich noch klein war, hatte ich bewundernd zu ihm aufgesehen, aber das war seit Großmutters Tod vorbei, da Großvater mir die alleinige Schuld dafür gibt. Gut, ich hatte Flora dazu überredet raus zu schleichen, aber ich konnte doch nicht ahnen, dass wir angegriffen werde. Ich war doch noch so jung und unerfahren. Er wird es mir niemals verzeihen und das tut weh. Aber ich kann es auch nicht ändern. Ich muss versuchen, das Beste aus dieser Situation zu machen. Und solange Flora noch mit ihm zurecht kommt, ist es in Ordnung. Immerhin eine von uns, die noch mit der Familie zurecht kommt. Doch jetzt sollte ich wirklich aufhören darüber nachzudenken! Es gibt wichtigere Dinge, mit denen ich mich befassen muss! Ich sollte mich mit Vaters Strafarbeit beschäftigen, doch darauf kann ich mich eh nicht konzentrieren, wie ich vorhin festgestellt habe. Zu viele Gedanken wirbeln herum, als dass ich mich auf irgendetwas konzentrieren könnte. Ich stehe auf und verlasse das Haus. Um den Kopf freizukriegen, schlendere ich die Straßen dieses blöden Kaffs entlang. Es gibt hier zwar nicht sonderlich viel Sehenswertes, aber im großen und ganzen ist er hier doch ganz in Ordnung. Irgendwann komme ich am Kanal an, wo ich mich auf einen Stein am Ufer fallen lassen und einfach nur in das trübe Wasser starre. Die Sonne geht langsam unter. Wie spät es jetzt wohl bereits ist? Langsam erhebe ich mich wieder und mache mich auf den Weg nach hause. Ich habe keine Lust schon wieder Stress mit Vater zu kriegen, weil ich zu spät nach hause komme. Zu hause angekommen werfe ich einen Blick auf die große Standuhr in der Eingangshalle. Tatsächlich. Es ist schon halb zehn. Flora müsste jetzt auch schon wieder zurück sein. Ich gehe die Treppe hoch zu unseren Zimmer und will gerade an ihre Tür klopfen, als ich lautes Lachen aus ihrem Zimmer höre, was zweifelsohne von ihr und Großvater stammt. Leicht enttäuscht wende ich mich von ihrem Zimmer ab und betrete mein eigenes. Ich hätte gerne noch ein wenig mit ihr unsere weitere Vorgehensweise besprochen, aber daraus wird dann wohl nichts. Naja egal, ich sollte mich nun eh schlafen legen. Morgen Nacht ist schließlich die Trauerfeier und das wird anstrengend genug werden. Der Schmerz in meiner Nase wird wieder schlimmer. Ich verlasse mein Zimmer wieder und gehe zu Lucern. Vielleicht hat er ja noch irgendein Mittel gegen die Schmerzen. Ich klopfe an seine Tür und er ist glücklicherweise in seinem Zimmer. “Desmond, was kann ich für dich tun?” “Naja, meine Nase tut wieder ziemlich weh und da wollte ich dich fragen, ob... ob du vielleicht irgendwas gegen die Schmerzen hast?” Lucern überlegt einen Moment. “Komm rein”, sagt er schließlich und zögernd betrete ich sein Zimmer. Lucern holt wieder sein kleines Medikamentenkästchen aus dem Schrank und kramt einige Augenblicke darin umher, bis er schließlich eine kleine Dose hervorholt und mir reicht. “Hier, die helfen gegen die Schmerzen und unterstützen die Heilung. Aber du darfst pro Tag maximal drei Stück davon nehmen, sonst kann das schwerwiegende Folgen für deine Gesundheit haben.” Lucern klingt wirklich besorgt als er das sagt. Etwas, dass ich schon fast nicht mehr kenne. “In Ordnung. Danke”, antworte ich und Lucern wuschelt mir kurz freundschaftlich durchs Haar, bevor er mir eine gute Nacht wünscht. Ich wünsche ihm ebenfalls eine gute Nacht und gehe dann zurück in mein Zimmer, wo ich eine der Tabletten nehme, mich umziehe und dann in meinen Sarg lege. Die Tablette braucht einige Zeit ehe sie zu wirken beginnt, aber ca eine halbe Stunde später hat der Schmerz soweit nachgelassen, dass ich in Ruhe schlafen kann. Flora Großvater und ich gehen nach unten in die Eingangshalle. Ich freue mich so, dass ich endlich wieder etwas Zeit mit ihm verbringen kann. Wir haben uns schon so lange nicht mehr gesehen. „Dann wollen wir meiner Lieblingsenkelin mal etwas schönes für die Trauerfeier kaufen. Damit du noch hübscher aussiehst! Auch wenn man es jetzt natürlich schon kaum überbieten kann.“, schmeichelt er mir. „Ach, du übertreibst doch.“, sage ich verlegen. „Nein! Gewiss nicht. Jeder Großvater findet seine Enkelin am schönsten. Und ich habe eben die schönste erwischt!“, lacht Großvater. Er weiß genau, wie er mein Herz gewinnen kann. „Aber das wird bestimmt sehr teuer. Das kann ich doch nicht annehmen. Wir können auch einfach so Zeit miteinander verbringen. Du musst mir wirklich nichts kaufen. Das…“, doch da unterbricht mich Großvater schon. „Jetzt sei mal nicht so bescheiden. Für meine Lieblingsenkelin mach ich doch alles! Mach dir da mal keine Sorgen. Ich weiß doch selbst schon lange nicht mehr, wo ich mit meinem ganzen Geld hin soll. Außerdem habe ich meiner Lieblingsenkelin doch schon lange nichts mehr gutes getan.“ „Ok“, willige ich ein. Meine Freude kann ich kaum verbergen. Ich habe mir schon lange Gedanken gemacht, was ich auf der Trauerfeier anziehen soll. Und das Ergebnis war wirklich ernüchternd. Wenn diese blöde Regel nur nicht wäre, dass man Kleider nur einmal pro Trauerfeier tragen darf… Ich frage mich wirklich, wer sich so etwas ausgedacht hat. Klar weiß ich, dass es einen tiefen Sinn hat, soweit habe ich in Vampirreligion auch noch aufgepasst, aber das ist so unfair. Die speziellen Trachten sind ziemlich teuer und jedes Jahr eine neue kauft Vater uns leider nicht. In letzter Zeit ist er wirklich geizig geworden. Stattdessen sollen wir die alten Trachten von ihm und unserer Mutter auftragen. Da sind zwar einige schöne Kleider bei, allerdings habe ich die alle schon einmal getragen. Und mit den ganz alten blamiere ich mich doch zu Tode. Damit kann man sich heutzutage doch nicht mehr blicken lassen. Aber wie gut, dass es Großvater gibt und er mir keinen Wunsch abschlagen kann… „Wo wollen wir denn einkaufen?“, frage ich ihn erstaunt. Solche Vampirtrachten findet man doch bestimmt nicht in einer menschlichen Innenstadt. „Bestimmt nicht hier!“, fängt Großvater wieder an zu lachen. „Wir suchen doch etwas besonderes für mein Mäuschen. Lass dich einfach mal überraschen.“ Hoffentlich fahren wir zu der größten Einkaufspassage, die es hier gibt. Ich glaube, die ist gar nicht so weit weg von hier. Die soll einfach riesig sein! Und das beste, es hat kein einziger Mensch zutritt. Ein Einkaufzentrum nur für Vampire. Wie man da wohl hinkommt? Und wie diese vor den Menschen versteckt ist? Doch bevor ich mir weitere Gedanken machen kann, fordert Großvater mich auf in sein altes, aber dennoch immer noch schick aussehendes Auto einzusteigen… Die Fahrt kommt mir wie eine halbe Ewigkeit vor. Meine Gedanken drehen sich immer noch um dieses Einkaufszentrum. Es wäre einfach zu schön, es endlich mal von innen zu sehen und nicht immer nur auf Bildern, die in Zeitschriften abgedruckt sind. Völlig versunken höre ich auf einmal Großvaters Stimme neben mir. Es fällt mir schwer seinen Worten zu folgen, am liebsten würde ich wieder in meinem Traum abtauchen… „Wieso hast du eben eigentlich gezögert mit mir wegzugehen? Möchtest du etwa keine Zeit mit deinem lieben Großvater verbringen?“, entsetzt gucke ich ihn an, doch er fängt schon an zu lächeln. „Als ob ich keine Zeit mit dir verbringen will! Es macht doch so viel Spaß, wenn wir etwas gemeinsam unternehmen!“, sprudle ich voller Begeisterung los. „Und? Wieso hast du gezögert?“, bohrt er weiter nach. Meine Begeisterung verfliegt. Ist das nicht offensichtlich? Worauf will er hinaus? Wir haben noch nie über Desmond geredet. Oder will er gar nicht darauf hinaus? „Ähm…“, fange ich zögernd an. „Wegen Desmond! Ich fühle mich so mies, wenn ich etwas mit dir alleine unternehme und er zu Hause bleiben muss. Außerdem bist du immer ganz lieb zu mir, aber ihn ignorierst du einfach. Eigentlich muss ich doch zu ihm halten…“ „Eigentlich hat er etwas viel schlimmeres verdient! Er kann froh sein, dass ich ihn nur ignoriere! Aber egal, mach dir wegen dem mal keine Sorgen. Der hat es nicht verdient!“, ich will ihm gerade widersprechen, doch Großvater redet einfach weiter. „Du nimmst doch sowieso schon viel zu viel Rücksicht auf diesen Flegel…“, ich nehme allen Mut zusammen, um Großvater endlich einmal die Meinung zu sagen. „Aber! Das…“ „Kein aber!“, sagt Großvater plötzlich sehr streng. So hat er noch nie mit mir gesprochen. Doch schon kurz danach ändert sich sein Ton wieder. „Du bist einfach zu liebevoll. So etwas hat er doch gar nicht verdient.“ Wie kann er nur so abwertend sein? Wieso kann er ihm nicht einfach verzeihen? Das ist doch so ungerecht! Und natürlich verdient Desmond meine liebevolle Zuneigung. Er ist schließlich mein Bruder! Da hält man doch zusammen. Doch ich kann Großvater nicht widersprechen. Meinen Lippen sind wie Stein. Ich bekomme keinen Ton heraus... Es dauert nicht lange, bis Großvater erneut das Gespräch beginnt. „Aber auch egal Kleines! Das einzige was ich damit sagen möchte, ist doch nur, dass du auch mal an dich denken musst. Du kannst nicht ständig mit ihm alles gemeinsam machen. Irgendwann trennen sich eure Wege und dann musst du auch alleine dich zurecht finden. Da ist es schon gut, wenn man jetzt schon bei Kleinigkeiten anfängt.“, versucht er mich zu besänftigen. Und tatsächlich hat er Erfolg. „Du hast ja recht, aber das ist so schwer!“, sage ich mit gesenktem Kopf. „Ach, das wird schon!“, sagt Großvater während er mir sanft durch mein Haar streichelt. Es tut gut, wenn man verstanden wird, doch dann… „Es ist sowieso besser, wenn du nicht mehr so viel mit Desmond zu tun hast. Er hat doch wirklich nur einen schlechten Einfluss. Nicht, dass dieser sich auch auf meinen Schatz auswirkt. Ich weiß doch wie sensibel du bist und alles für ihn machen würdest. Auch wenn man das nicht wirklich nachvollziehen kann. Er ist doch das Böse in Person! Und das passt so gar nicht zu dir. Du bist doch die brave, fürsorgliche, intelligente, junge Dame!“, mir stockt der Atem. Wie kann er so etwas nur von Desmond sagen. Er ist ja schlimmer als Vater! „Du musst endlich mal an dich selber denken. Du möchtest später doch gewiss mal in die Fußstapfen von deinem Vater treten oder anderweitig in einer hohen Position arbeiten. Dies wird Desmond für immer und ewig verwehrt bleiben. Er steht dir doch nur im Weg diesen Traum zu verwirklich!“ Wie kann er nur davon ausgehen? Er weiß gar nichts von mir! Ich bin nicht mehr das brave Mädchen von früher. Mag er mich nur, weil er es noch denkt? Wäre ich sonst gar nicht mehr sein Liebling? Würde er mich sonst auch so behandeln wie Desmond? Ich wage es nicht ihm zu antworten, aber das brauche ich auch nicht, denn er ist noch lange nicht fertig… „Desmond steckt wahrscheinlich auch hinter den Angriffen in eurer alten Stadt!“, fährt Großvater weiter fort. Allerdings sagt er dieses eher zu sich, als zu mir. Ich höre ihm einfach sprachlos zu. „Denn als ihr umgezogen seid, haben diese merkwürdiger Weise aufgehört! Das spricht ja wohl für sich. Dein Vater hat dir bestimmt davon erzählt, nur deswegen seid ihr auch in die neue Stadt gezogen. Nur zu blöd, dass man Desmond nichts nachweisen kann.“, sagt er verärgert. „Wenn man nur eine Kleinigkeit finden würde, um es zu beweisen… Ach, jetzt fange ich schon wieder an abzuschweifen. Entschuldige Kleines, aber du musst wissen, dass ich mir wirklich Sorgen um dich mache. Ich würde es mir nie verzeihen, wenn Desmond es schafft, dich dort irgendwie mit herein zu ziehen. Es wäre sowieso besser gewesen, wenn ihr zwei spätestens nach dem Tod eurer Mutter getrennt worden währet!“ Was? Wie kommt er da denn drauf? Ich und Desmond getrennt! Und er sagt, er will immer nur das beste für mich… Wie versteinert gucke ich ihn an. Aber ihm interessiert es nicht, er redet einfach weiter. „Zu mindestens hätte Desmond in ein Erziehungsinternat gemusst, so hätte man dem Bengel mal ordentlich Manieren beigebracht! Euer Vater ist doch viel zu überfordert mit diesem Geschöpf. Gerade weil er dich ja nicht vernachlässigen darf. Und dann hat er auch noch so viel mit seiner Arbeit zu tun. Da wäre es deutlich besser gewesen, wenn er dich wenigstens in meine Obhut gegeben hätte, so wie ich es mehrmals verlangt hatte. Ich hätte mich rührend um dich gekümmert. Dir hätte es an nicht gefehlt. Aber dein Vater wollte euch beide ja unbedingt zusammen bei sich behalten. Und jetzt sieht er doch was daraus geworden ist. Du musst unter deinem Bruder leiden…“ Er wollte, dass ich zu ihm gehe? Wie konnte er das damals nur verlangen? Deswegen hat Vater mich damals so häufig darauf angesprochen… Ich dachte ständig, dass er es will, aber in Wirklichkeit steckt Großvater dahinter! „Ich hätte so viel Zeit für dich gehabt! Meine Regierungsgeschäfte habe ich ja schon kurz nach dem Tod eurer Großmutter beendet. Dir wäre es wirklich sehr gut gegangen.“, schwärmt er. „Aber ich schweife doch schon wieder ab! Es ist mir sehr wichtig, was ich dir mitteilen möchte und ich hoffe, dass du dir meine Idee zu Herzen nimmst und das beste daraus machst.“ Ich bin immer noch sprachlos. Die ganze Zeit habe ich nichts gesagt und auch jetzt bekomme ich keinen einzigen Ton heraus. Ich starre ihn einfach nur an, doch er scheint es nicht zu merken. Zu sehr ist er auf das Autofahren und mit seinem Gedanken beschäftigt, die er mir mitteilen möchte. „Also, was ich dir ans Herz legen wollte.“, beginnt er zögernd. „Wie soll ich nur anfangen? Du bist doch ein kluges Mädchen und möchtest etwas in deinem endlosen Leben erreichen. Was würdest du davon halten, auf das Eliteinternat zu gehen? Mit deiner Intelligenz wäre das absolut kein Problem und so stehen dir wirklich alle Wege offen! So könntest du dir endlich deinen größten Traum erfüllen! Was hältst du davon? Ich wohne auch noch gleich um die Ecke. Wir könnten uns jeden Tag sehen“, sagt er mit einem Funkeln in seinen grauen Augen. Mein größter Traum? Er weiß doch gar nichts! Aber was soll ich ihm nur sagen? Ich kann ihn doch nicht so enttäuschen! „Ähmm… was soll ich sagen? Also, darüber habe ich mir noch nicht so wirklich Gedanken gemacht…“, beginne ich zögernd. „Natürlich wäre es super in deiner Nähe zu sein! Ich bin doch so gerne mit dir zusammen. Und wir sehen uns doch so selten.“, während ich spreche, versuche ich mir eine Lächeln aufzuzwingen, doch mein Gesicht ist versteinert. Es muss ziemlich komisch aussehen, aber Großvater scheint es nicht zu stören. „Und auch die Schulausbildung klingt super. Davon träumt doch jeder diese Chance zu haben.“ Was sage ich da nur? Das wird er mir doch niemals abkaufen! Dennoch rede ich unbeirrt weiter. „Aber es gibt so viele Nachteile für mich. Ich würde Vater so selten sehen und ich hänge doch an ihm. Er ist doch nach dem Tod unserer Mutter zu der wichtigsten Bezugsperson für mich geworden. Und jetzt müsste ich mich von ihm trennen…“ Ich mache eine kurze Pause, aber nicht, weil mich das Gespräch so mitnimmt, sondern weil ich es nicht fassen kann, welche Worte mir aus dem Mund herausquellen. Ich und unglücklich, wenn ich Vater nicht mehr sehen kann? Das glaubt doch wohl wirklich keiner! „Außerdem sind wir doch gerade erst umgezogen. Ich musste alle meine Freunde zurücklassen und habe gerade erst wieder neuen Anschluss gefunden. Und den jetzt schon wieder aufzugeben…“ Pah, ich und Freunde? Desmond und ich haben keine Freunde und das ist auch gut so. Wer will schon so einen Abschaum als Freunde habe? „Und dann ist da auch noch Elliot…“, doch bevor ich weiter reden kann, unterbricht Großvater mich. „Ach Kleines, ich will doch gar nicht, dass du dich sofort entscheidest. Du sollst es nur im Hinterkopf behalten. Du hast doch noch ein paar Jahre, bis du das typische Einstiegsalter erreicht hast. Bis dahin kannst du noch so viel Zeit mit deinen Freunden verbringen, wie du möchtest. Und vor allem mit Elliot.“, zwinkert er mir zu. „Vater hat mir das schon erzählt. Ich bin richtig stolz. Meine Kleine wird endlich erwachsen!“ Was? Das hat ja besser geklappt als gedacht. Er versteht mich! Ich hoffe, dass das Thema nun für allemal abgehakt ist! Desmond ich werde dich niemals verlassen!! Endlich halten wir an einem Menschen überfüllten Parkplatz. Die Fragen sind zum Glück vorbei. Arm in Arm schlendern Großvater und ich gemeinsam die Straße zur Innenstadt entlang. Ich freu mich so sehr endlich mal wieder shoppen zu gehen. Und wenn das dann auch noch diese berühmte Passage ist… Kurz bevor wir in die Innenstadt gelangen, biegen wir in eine dunkle Seitenstraße ab. In einer, in der die Menschen niemals freiwillig gehen würden, sondern einen großen Bogen herum machen. Als ob sie etwas von dem ahnen, was diese Straße verbirgt… Wir bleiben vor einem heruntergekommenen Haus stehen. Ein Funkeln breitet sich in meinen Augen aus. Ich kenne dieses Haus. Schon zu oft habe ich es in den Zeitschriften gesehen. Es mag zwar von außen heruntergekommen und klein aussehen, aber von innen ist es einfach traumhaft und riesengroß! „Na komm schon, oder möchtest du noch länger draußen herumstehen?“, weckt Großvater mich aus meinen Träumen… Es ist einfach gigantisch. Ich fühle mich wie damals, als Desmond und ich zum allerersten mal das große Spinnennetz auf dem Spielplatz gesehen haben. So viele Geschäfte habe ich noch nie auf einen Platz gesehen! Und kein einziger Mensch ist in Sicht! Es gibt nur Sachen, die für Vampire interessant sind. Voller Freude stürme ich mit Großvater in das erste Geschäft. Die Auswahl ist einfach riesig… „Das ist nun der letzte Laden!“, stöhnt Großvater. „Leider!“, sage ich deprimierend. Es ist so schön hier. „Leider? Wir sind schon über drei Stunden unterwegs und es gab doch schon etliche schöne Kleider.“, entgegnet er. „Schon, aber die Auswahl ist so riesig, jedes Mal sieht man etwas schöneres. Ich kann mich gar nicht ent…“ Mir stockt der Atem. Da vorne ist es!! Wie von Sinnen schreite ich darauf zu. So etwas schönes hat man noch nie gesehen. „Das will ich“, sage ich mit heiserer Stimme. „Darin siehst du bestimmt umwerfend aus!“, auch Großvater ist von der Schönheit überwältigt. So ein harmonische Zusammenspiel von schwarz und rot habe ich noch nie gesehen. Wie But, dass auf dem schwarzen Stoff herunterläuft… „Da haben wir doch etwas schönes gefunden!“, sagt Großvater erleichtert. „Aber das war doch so teuer…“, entgegne ich mit gesenktem Kopf. „Fang doch nicht schon wieder damit an. Ich habe genug Geld und jetzt lade ich dich auch noch ins Kino ein! Keine Wiederrede! Es läuft da so ein schöner Vampirfilm, den die Menschen gedreht haben. Da soll man sich totlachen! Was die über uns denken…. Kapitel 9: ----------- Desmond Der Unterricht am nächsten Tag ist einfach nur langweilig. Ich höre den Lehrern nur mit halbem Ohr zu. Meine Gedanken sind ganz woanders. Selbst als Frau A.-B. mich anschreit, dass ich aufpassen soll und auch Lucern mich bereits mehrfach ermahnt hat, reagiere ich nicht. Zu sehr belastet mich die Tatsache, dass Großvater hier ist. Ich weiß, dass er das ganze Wochenende keine Gelegenheit auslassen wird, um mich fertigzumachen und mir zu sagen, wie wertlos ich eigentlich bin. Flora versucht mehrfach mich anzusprechen, doch ich registriere es nicht. Erst als sie mir auf dem Nachhauseweg schmerzhaft ihren Ellenbogen in die Seite rammt, schreckte ich aus meinen Tagträumen auf. "W-was... was hast du gesagt?", stammel ich erschrocken. Flora sieht mich besorgt an. "Desmond, was ist los mit dir? Du bist schon den ganzen Tag so abwesend." "Es... es... ist nichts", winke ich ab, aber Flora lässt nicht locker. "Ich seh doch, dass etwas mit dir nicht in Ordnung ist. Erzähl mir doch, was los ist. Vielleicht kann ich dir helfen." Ich seufze und weiche ihrem Blick aus. Doch Floras lässt nicht locker bis ich schließlich doch zu reden anfange. "Ich wünschte, dass Großvater wieder weg wäre und... na ja... ich hab schon irgendwie... Panik vor heute Nacht...", gestehe ich ihr leise. Ich habe mir den ganzen Vormittag über den bevorstehenden Abend Gedanken gemacht. Es ist ja nicht so,, als würde ich die Rede nicht halten wollen, denn das will ich definitiv! Schon allein wegen dem, was Vater in den letzten Tagen abgezogen hat! Aber irgendwie fühle ich mich jetzt nicht mehr ganz so wohl, wenn ich an unser Vorhaben denke, wie noch vor wenigen Tagen. Flora sieht mich mitfühlend an. "Mir geht es nicht anders", sagt sie und legt ihren Arm um meine Schultern. "Ich mag den Gedanken immer noch nicht, dass du die ganze Schuld auf dich nehmen willst..." "Ich muss es aber tun, weil ich dich in Sicherheit wissen will! Und deshalb müssen wir nachher sagen, dass jeder seinen Teil der Rede unabhängig vom anderen geschrieben hat. Außerdem musst du, wenn du meinen Part der Rede hörst, so tun, als wärst du ebenso geschockt wie die anderen!" "Aber das will ich nicht", antwortet Flora empört, "nicht nachdem gestrigen Gespräch mit Großvater!" Irritiert sehe ich sie an. "Was hat er denn gesagt?", frage ich. "Er gibt dir die alleinige Schuld an den Morden und hält dich für das Böse in Person! Außerdem hätte er es am liebsten, wenn ich keinen Umgang mehr mit dir hätte, weil du angeblich nicht gut für mich seist!", regt Flora sich auf. Ich lächel sie milde an. "Und das verwundert dich? Du weißt doch, wie sehr er mich verabscheut. Was hast du denn geantwortet?" "Ich habe versucht zu widersprechen, aber er hat mich nicht zu Wort kommen lassen." Fora sieht deprimiert zu Boden. "Das war gut so!", antworte ich und ernte dafür einen verwirrten Blick meiner Schwester. Nun lege ich meinerseits einen Arm um ihre Schultern. "Schau mal, Schwesterherz, deine Protestversuche waren ein Zeichen für unsere Verbundenheit, aber Großvater denkt vermutlich, dass unser Verhältnis noch so ist wie es vor Mutters Tod war. Er weiß nicht, wie eng unser Verhältnis wirklich ist. Und das ist ein wichtiger Vorteil für uns, weil der Rest der Familie doch genauso denkt. Wenn du geschockt von meinem Part der Rede bist und das auch zeigst, wird Großvater sich bestätigt fühlen und denken, dass er einen Sieg errungen hat, aber in Wirklichkeit ist es doch ein Sieg für uns!" Flora nickt nachdenklich. "Du hast recht", gibt sie zu, "also werde ich so tun, als wäre ich zutiefst geschockt und empört! Auch wenn es mir verdammt schwer fallen wird, dass zutun..." Ich lächel sie an. "Das schaffst du schon, Schwesterchen, bist doch ne gute Schauspielerin!" Flora lächelt nun ebenfalls und Arm in Arm gehen wir nach hause. Zu hause ist komischerweise keiner. Lucern wollte noch etwas mit unseren Lehrern besprechen Und Vater und Opa sind auch nicht zu Hause. Eigentlich ist das ziemlich komisch, dass so gar keiner da ist, aber egal, so haben wir wenigstens unsere Ruhe. ~*~* Der Nachmittag selbst verläuft komplett ereignislos und schließlich bricht der Abend an. Langsam ist es an der Zeit, dass wir uns fertig machen. Glücklicherweise musste ich mir nicht extra eine vampirische Tracht kaufen. Es reicht vollkommen, wenn ich einen Anzug anziehe. Das einzige, was wirklich dabei sein muss, ist ein typischer vampirischer Umhang mit hohem Kragen. Ich stehe vor meinem Schrank und mache mich auf die Suche nach einem passenden Anzug. Nach einiger Zeit entschließe ich mich für einen matt glänzenden schwarzen Anzug mit dunkelgrüner Krawatte. Der passende Umhang wird sich in Vaters Zimmer finden lassen. Ich verlasse mein Zimmer und mache mich auf den Weg zu Vaters Zimmer. Leise klopfe ich an die Tür. Ich warte einen Moment aber ich bekomme keine Antwort. Also öffne ich die Tür und betrete das Zimmer. Zielstrebig auf Vaters Schrank zu gehend. Glücklicherweise weiß ich, wo Vater seine Umhänge hängen hat, sonst würde ich in diesem riesigen Schrank wohl ewig suchen. Nur wenige Augenblicke später habe ich einen passenden Umhang gefunden. Schwarz mit grünem Innenfutter und am Kragen scheinen einige Blutstropfen hinab zu perlen. Einfach perfekt. Zumal ich diesen Umhang auch noch nie getragen habe. Ich hatte es zwar schon öfters vorgehabt, aber nie den passenden Anzug getragen und sich dann extra nochmal umzuziehen, war mir auch bisher immer viel zu blöd gewesen. Als ich fertig bin, verlasse ich das Zimmer wieder und laufe direkt Vater in die Arme. Er sieht mich kurz an und nickt dann anerkennend. "Gut siehst du aus, mein Sohn", sagt er lächelnd. Gezwungen lächel ich zurück. Als ob es mich seine Meinung interessieren würde. Nach unserer Rede wird es ihm sowieso egal sein, ob ich jetzt gut aussehe. Ich will mich gerade von ihm abwenden und wieder in mein Zimmer gehen, als Vater mich noch einmal zurückhält. Er sieht mich streng an. "Und das ihr mir ja keinen Unsinn macht, Desmond!", ermahnt er mich, "Die Familie weiß nichts von euren Eskapaden und das soll auch so bleiben! Also passt ja auf, was ihr heute Abend tut und vor allem was ihr sagt!" Ich nicke leicht. "Ja, Vater!", erwidere ich. Er scheint bereits etwas zu ahnen... na ja auch egal. Bis zur Rede ist es ja schließlich nicht mehr lange hin. Trotzdem macht mich seine Ermahnung nervös. Zwar weiß ich, was nach der Rede auf mich zukommen wird, aber die Tatsache, dass er bereits etwas von unserem Vorhaben zu ahnen scheint, macht mich doch verdammt nervös. Ich muss irgendetwas gegen diese blöde Nervosität machen. Nur was? Und dann habe ich endlich eine Idee. Schnellen Schrittes gehe ich nach unten ins Wohnzimmer zu unserer Hausbar. Normaler Alkohol macht Vampiren absolut nichts aus und hat auch keinerlei berauschende Wirkung. Wenn man den allerdings mit Blut versetzt, dann... Ich habe zwar noch nie sonderlich Alkohol getrunken nur jetzt erscheint es mir der richtige Zeitpunkt zu sein. Wahllos ziehe ich eine Flasche hinter der Bar hervor und schenke mir ein Glas davon ein. Es ist mir so ziemlich egal, was ich da gerade trinke. Hauptsache es vertreibt diese blöde Nervosität. Der Alkohol brennt in meiner Kehle und ich schüttel mich. Es schmeckt ziemlich bitter, aber ein leicht fruchtiger Geschmack ist trotz allem vorhanden. Eine eigenartige Kombination, aber irgendwie lecker. So lecker, dass ich mir direkt noch ein zweites Glas einschenke. Ich stehe noch immer an der Bar und trinke, als plötzlich die Tür zum Wohnzimmer aufgeht und Flora den Raum betritt. Sie sieht mich erschrocken an. "Desmond... was... was machst du da?" Ich grinse sie an. "Was schon? Ich... trinke was leckeres... Willst du auch was?" "Nein, verdammt! Hör auf damit!" Sie reißt mir das Glas aus der Hand und kippt den Inhalt in den Abfluss. Zuerst will ich mich aufregen, aber dann besinne ich mich eines besseren. Sie hat ja recht. Ich sollte nicht so viel trinken. Nicht jetzt vor der Trauerfeier. Aber der Alkohol, welcher sich in meinem Blut befindet, reicht, um mir die Panik und die Nervosität vor der Trauerfeier zu nehmen. Flora sieht mich besorgt an. "Desmond, was machst du nur für Sachen?" "Mir Mut antrinken", erwidere ich trocken. "Aber... sowas hast du doch sonst nicht gemacht..." "Sonst war ich auch nicht so nervös wie ich es jetzt bin. Ich mein, überleg doch mal wer alles da sein und unseren Racheaufruf hören wird..." "Wäre es dir lieber, wenn wir den Aufruf weglassen?" "Nein. Jetzt, wo wir schon so weit sind, gibt es kein Zurück mehr! Jetzt müssen wir es durchziehen, egal wie schwer es uns fallen mag!" Flora In der Eingangshalle warten Großvater und Vater schon auf uns. „Wie deiner Mutter aus dem Gesicht geschnitten…", sagt Vater verblüfft als er mich entdeckt. „Das sieht so bezaubernd aus, so eine Schönheit sieht man nicht alle Tage. Ich bin so stolz auf dich, Flora. Wenn deine Mutter dich nur jetzt sehen könnte." Ich bin wirklich sprachlos. So etwas nettes hat Vater schon lange nicht mehr zu mir gesagt. „Meine Lieblingsenkelin wird heute Nacht wirklich alle Blicke auf sich ziehen! Was natürlich kein Wunder ist, du bist ja schließlich meine Enkelin. Die Schönheit steckt bei uns doch im Blut, besonderes bei dir.", ergreift Großvater das Wort und streichelt mir sanft über die Wange. „Nicht so wie bei manch anderen!", fügt er hinzu und richtet einen verachteten Blick auf Desmond. Dieser reagiert allerdings nicht. Ich merke ihn an, wie er mit sich ringt. Ihn nimmt die Rede doch mehr mit als er zugibt. Und dann will er auch noch alle Schuld auf sich nehmen. Wie konnte ich da nur einwilligen? Soll ich es wirklich machen? Ich kann ihn doch nicht hängen lassen, aber er will es doch so… „Ihr seid wohl schon beide nicht mehr hier, sondern auf der Trauerfeier.", erklingt Vaters Stimme in meinen Ohren. „Der gewiss nicht…", vernehme ich Großvater murmeln. „Was?", fragt Vater. Eine peinliche Stille tritt ein und auch Desmond scheint dem Gespräch wieder zu folgen. „Ach, das ist doch wohl kein Wunder, dass Flora so abwesend ist. Schließlich ist es die 20. Trauerfeier ihrer geliebten Mutter. Jetzt heißt es vorerst zum letzten Mal Abschied nehmen. Das steckt man nicht so einfach weg.", sagt Großvater schnell und legt seinen Arm beschützend um mich. „Ja, das stimmt.", gibt Vater nachdenklich von sich. „Ah, da draußen ist ja schon Lucern. Dann lasst uns mal losfahren. Wir wollen doch nicht zu spät kommen.", sagt er plötzlich. Wir gehen alle gemeinsam nach draußen. Desmond schlendert gelangweilt hinter uns her. Er scheint wieder in seine Gedanken versunken zu sein, als Großvater sich zu ihm absetzt. „Ich werde dich im Auge behalten. Wehe, wenn du auch nur eine einzige Kleinigkeit unternimmst diesen bedeutsamen Abend zu ruinieren! Denk an deine Mutter und deine Schwester, wie sehr ihr der Abend bedeutet und nahe geht! Haben wir uns verstanden?", sagt Großvater mit gedämpfter Stimme, während er Desmond brutal an seinem Ohr zieht, wie damals auf dem Spielplatz. „Schon gut!", faucht Desmond ihn an und Großvater lässt von ihm ab. Aber gewiss nicht wegen Desmonds Antwort, sondern wohl er, weil Vater sich zu uns umdreht und uns auffordert in sein Auto zu steigen. Auch wenn ich es nicht verstehen kann, wieso Großvater gerade vor Vater seine Feindlichkeit gegenüber Desmond zu verbergen versucht. Bei allen anderen ist es ihm doch auch egal! Wieso nicht auch vor Vater? Ist damals etwas doch mehr vorgefallen? Während der Autofahrt spricht kein einziger ein Wort. Alle sind in Gedanken versunken. Selbst Großvater lässt die ganze Zeit Desmond in Ruhe, obwohl er hinten auf der Rückbank direkt zwischen uns beiden sitzt. Alle sind froh, als Vater endlich auf einen verlassenen Parkplatz beim Friedhof parkt und die beklemmende Stimmung sich langsam wendet… Langsam gehen wir über den menschlichen Friedhof, ganz bis zum Ende durch. Es ist schon komisch, sich wieder auf einen menschlichen Friedhof zu befinden. Nicht, dass es mich an die letzten Trauerfeiern erinnern würde, als wir auch hierher gehen mussten, sondern eher an meine Begegnung mit Xeron. Und den damit verbundenen Streit mit Desmond… Ich darf ihn einfach nicht noch einmal enttäuschen. Es darf niemals wieder so werden wie damals. Das war so eine schreckliche Zeit für mich. Ich dachte, ich hätte ihn für immer verloren! Ich muss später so tun, als ob ich nichts von der Rede weiß. Es ist Desmonds Wille und ich kann schon glücklich sein, dass er mir die Sache mit Elliot verziehen hat. Egal wie schwer es mir fallen mag… Am Ende des Friedhofes stehen riesige Bäume. Ein düster erscheinender Wald, in den sich die Menschen nicht trauen. Bisher hat sich noch nie einer hierher verirrt. Und auch wenn, er würde es niemals überleben. Als Hinweis haben die Menschen hier hinten am Friedhof riesige Wahntafeln aufgestellt, was nicht gerade dem Aussehen des Friedhofes entspricht. Wer will auch schon riesige Leuchttafeln mitten auf einem Friedhof haben? Auch wenn ich zugeben muss, dass einige Schilder sehr originell sind. „Ein Schritt weiter und sie liegen auch hier!" „Haben sie ihr Grab schon geschaufelt? Sonst ist es ihnen abzuraten sich dem Wald zu nähren!" „Wollen sie ihren Verstorbenen Gesellschaft leisten? Dann gehen sie weiter! Wir freuen uns über jeden neuen Kunden! Ihre Friedhofsverwaltung!" Nur wenige Schilder weisen auf die tatsächlich drohende Gefahr hin, die demjenigen droht, der es wagt, den Wald zu betreten. „Achtung! Mienen!" Dies hat wirklich eine große abschreckende Wirkung auf die Menschen. Aber uns ist es egal! Uns können die Mienen nichts anhaben! Deshalb haben auch alle Vampire mit angepackt diese hier zu verlegen… Ab einer gewissen Uhrzeit in der Nacht bewegen wir uns schwerelos. Jeder Vampir hat diese Fähigkeit von Geburt oder der Verwandlung an. Es ist kein einziger Vampir bekannt, der diese Fähigkeit nicht hat oder hatte. Nur so können wir unsere Heiligtümer und Gräber vor den Menschen schützen. Wer will auch schon auf einen menschlichen Friedhof begraben werden? Ich und Desmond bestimmt nicht! Und ausnahmsweise tuen dies uns alle Vampire gleich! Unsere Gruft liegt ca. zwei Kilometer in dem Wald hinein. Durch unsere Schnelligkeit ist dies ein Katzensprung. Die Gruft hat ihren Eingang in einem riesigen Felsen. Durch eine geheime Kombination von sage und schreibe 666 Zahlen, lässt sich die schwere Felsentür öffnen. Diese wird von Generation zu Generation weitergegeben. Und ich muss sagen, dass ich froh bin, dass Vater diese noch nicht an uns weiter gegeben hat. Bei ihm sieht es aus wie ein Kinderspiel. In weniger als 30 Sekunden hat er die Tür geöffnet und wir gehen der Reihe nach die steinerne Treppe hinunter. Der Anblick ist wirklich überwältigend. So etwas schönes habe ich noch nie gesehen. Mit strahlenden Augen gucke ich mich in der Gruft um. Und auch Desmond wird durch diesen Anblick aus seinen Gedanken gerissen. Auch er steht mit strahlenden Augen neben mir. Selbst Großmutters letzte Trauerfeier war nicht so schön geschmückt, wie diese. Vater wird mit dieser Dekoration wirklich alle überraschen. Natürlich nur positiv…. für den negativen Teil sind ja wir zuständig… „Wow… das habt ihr ja super hinbekommen.", bewege ich mich etwas zu sagen. „Es muss doch auch etwas besonderes sein, schließlich ist es doch der 20. Todestag eurer Mutter.", sagt Vater verlegen. Bilde ich mir das jetzt nur ein oder ist das wirklich unser Vater? Er und verlegen? Das habe ich ja noch nie erlebet, aber irgendwie ganz süß von ihm. Auch wenn süß für meinen Vater eher das falsche Wort ist. „Also ich finde es wirklich überwältigend! Das habt ihr echt toll gemacht. Mutter wäre so stolz auf euch!", sage ich lächelnd zu ihm. Auch wenn ich es nicht wirklich glauben kann, was ich gerade gesagt habe. Wie kann ich nur nach seiner brutalen Attacke gegenüber Desmond so etwas liebes zu ihm sagen? Aber Desmond scheint es nicht zu bemerken. Er hat das ganze Gespräch ignoriert und bisher kein einziges Wort gesprochen. „Dann lasst uns doch mal mit der Trauerfeier anfangen.", meldet sich Lucern plötzlich zu Wort. „Nicht das die ganzen anderen Gäste hier eintreffen, bevor ihr euer Ritual abgeschlossen habt. Das würde nur Unglück bringen und das wollen wir ja wohl alle nicht!", ermahnt er uns. „Also Anchoret, darf ich dich nun als erstes bitten, runter zu Celistina zu gehen und ganz in Ruhe noch einmal von ihr Abschied zu nehmen?" Vater lässt sich nicht lange bitten, denn er kennt genau die Traditionen und die Folgen, die angeblich eintreten, wenn man diese nicht befolgt… Die engsten Vampire, die mit dem verstorbenen Vampir zusammengelebt haben, haben bei der 20. Trauerfeier die Ehre ganze 30 min alleine von dem Verstorbenen noch einmal Abschied zu nehmen. In unserem Fall sind es eben Vater, Desmond und ich. Vater dient dabei ein besonderes Vorrecht, da er viel mehr Jahre mit unserer Mutter verbracht hat, als wir zwei. Daher darf er zuerst alleine hinunter in die Gruftkammer unserer Mutter gehen, wo ihre Urne aufbewahrt ist. Erst danach sind wir zwei mit unseren 30 min dran. Dieses Ritual muss abgeschlossen sein, bevor die anderen Gäste eintreffen, ansonsten soll etwas sehr schlimmes geschehen… Nach genau 30 min tritt Vater wieder zu uns. Nun gibt es kein Weg mehr zurück. Desmond und ich gehen schweigend zusammen mit Großvater hinunter. Ausnahmsweise darf er uns begleiten, da es Minderjährigen Vampiren nicht erlaubt ist, alleine vor einen Toten Vampir zu treten. An der hinteren Wand von Mutters Gruftkammer ist ein riesiges Portrait von unserer ihr angebracht. Nur wenige Zentimeter von der steinernen Wand sind noch zu erkennen. Sie sieht bildschön aus, wie sie uns anguckt. Auch Desmond ist jetzt voll bei der Sache. Vorsichtig gehen wir zwei parallel zu einander im Gleichschritt auf Mutters Urne zu, die auf einem hohen Podest vor ihrem Portrait steht. Gleichzeitig verbeugen wir uns und knien uns in dem nur vorne beleuchteten Raum hin. Dies ist der einzige Raum, der nicht geschmückt wurde, da man nur zu diesem Anlass hierein darf. Sonst ist es strengstens verboten! Aber dennoch finde ich diese Kammer wunderschön… Mama, ich vermisse dich so sehr! Grade jetzt, wo ich hier vor deiner Urne knie, wird mir bewusst, wie sehr du mir doch in meinem Leben fehlst! Und auch sonst, in allen Lebenslagen, hätte ich dich gebraucht. Wieso musstest du nur sterben? Das ist doch alles so ungerecht! Wie konnten die Menschen mir nur das wichtigste in meinem Leben nehmen? Ich hätte so gerne mein Leben mit dir geteilt und ich weiß, dass du genauso denkst… Aber es ist alles so schwer… Vielleicht wäre mein Leben ganz anders verlaufen, wenn du mich noch ein wenig länger in meinem Leben begleitet hättest. Mir fehlt schon lange deine Fürsorge, die Vater uns nie gegeben hat. Und es auch nicht mehr geben wird. Du weißt gar nicht, wie sich alles nach deinem Tod verändert hat. Die harmonische, liebevolle und immer zueinander zärtliche Familie gibt es nicht mehr… Ich wünschte so, dass du bei mir bist! Nicht nur im Geist, sondern im realen, schrecklichen Leben. Ich vermisse dich! Wieso?? Wieso musstest du nur sterben?? Wieso? Die ganzen 30 min laufen mir Tränen über die Wangen. Alle Gefühle kommen wieder in mir hoch. Es war eine schreckliche Zeit für mich, als unsere Mutter gestorben ist. Ich hang ziemlich an ihr und wollte es am Anfang nicht glauben, dass sie tot ist. Es hat eine lange Zeit gedauert, bis ich es schweren Herzens akzeptiert habe… „Hey Kleines! Ganz ruhig… wir müssen jetzt leider wieder nach oben, die 30 min sind vorbei. Dich nimmt die Sache wohl immer noch ziemlich mit.", sagt Desmond und versucht mich behutsam davon zu überzeugen nach oben zu gehen. Langsam erhebe ich mich. „Das wird schon… Denk immer daran, Mutter wird immer bei uns sein, auch wenn wir sie nicht sehen können." „Ich weiß, aber es ist so schwer…", erwidere ich noch etwas schluchzend. „Das ist doch normal. Na, komm, wir müssen jetzt wirklich hoch." „Ok!", sage ich immer noch niedergeschlagen. „Ach, und sei froh, dass du wasserfeste Schminke hast.", sagt er lachend. „Du siehst immer noch spitze aus!" Damit hat er es wirklich geschafft mir ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern. „Jetzt lass deine Schwester doch in Ruhe! Sie hat momentan etwas besseres verdient als dich!", stürmt Großvater auf uns zu und stößt Desmond brutal zur Seite. Die Wucht ist so extrem, dass er auf den harten Boden knallt. „Was soll das?", stammle ich. „Ach, der hat es doch verdient. Ich sehe wie der Hass in Desmonds Augen lodert. Doch bevor er auf Großvater losgehen kann, zieht dieser mich schon mit sich nach oben. Ich kann mich nicht wehren, es geht alles so schnell. Oben angekommen, sehe ich Vater und Lucern in der großen Halle stehen. Sie erwarten uns schon. Nur wenige Sekunden später erreicht auch Desmond wieder die große Halle. Er ist immer noch wutentbrannt und ich sehe ihm an, dass er sich kaum zusammenreißen kann. Und der Alkohol tut bestimmt auch seine Wirkung dazu. Aber er weiß genau wie ich, dass wenn er jetzt auf Großvater losgeht, die Rede auf keinen Fall mehr halten wird, kann und darf! Es dauert nicht lange, bis die ersten Gäste eintreffen. Unser Zeittiming hätte nicht besser ausfallen können. „Der geehrte Vampirrat! Ich darf sie alle herzlich willkommen heißen!", begrüßt Vater unsere netten ersten Gäste. „Darf ich Ihnen vorstellen, dass hier ist mein geehrter Herr Vater und das sind meine Kinder." „Ach ja, genau, die kennen wir doch noch.", entgegnet ein grauhaariger Typ, der wohl der höchste Vampir im Rat sein muss. Er reicht uns beiden die Hand. Ich versuche freundlich zu lächeln, doch Desmond gibt sich keine Mühe. Dies schlägt sich auf die von vornerein schlechte Stimmung des Herrn gegen uns ein. „Ich hoffe mal für euch beiden, dass ihr euer, wie soll ich sagen, Hobby, verworfen habt. Das würde euch zu mindestens sehr, sehr gut tun.", sagt er schäbig. Ich sehe, wie Großvater ihn verwirrt anguckt. Er weiß von allem dem nichts. „Ah, guckt doch mal, wer dahinten in unsere Gruft tritt. Eure nette, liebevolle Oma! Geht doch mal zu ihr rüber und begrüßt sie. Sie wird sich bestimmt sehr freuen.", schickt Vater uns vor. Er hasst Oma und dies ist der beste Zeitpunkt, auch die brenzlige Situation mit dem Rat zu entschärfen… Kapitel 10: ------------ Desmond Wie ich diesen Kerl hasse! Ich kann damit leben, dass er mich ständig demütigt und bedroht. Ich bin es ja nicht anders von ihm gewohnt, aber muss er das ausgerechnet vor Flora machen?! Sieht er denn nicht, wie sehr sie leidet, wenn er mich so behandelt? Die Wut lodert in mir, auch als wir dem Rat gegenüber stehen. Einzig Floras Anwesenheit hilft mir, mich zusammen zu reißen. Vater scheint die Spannung zu spüren, denn er schickt mich und Flora los, den Rest der Familie zu begrüßen. Flora scheint sich wirklich zu freuen einige Familienmitglieder wieder zu sehen, denn sie spricht mit den meisten recht freundlich. Ich stehe daneben, nicke hin und wieder und lasse die nervigen "Ihr seid ja so groß geworden" schweigend über mich ergehen. Wie gerne hätte ich dieses ganze nervige Begrüßungsprozedere schon hinter mir und am liebsten auch schon die Rede. Der Alkohol hat zwar geholfen, die Nervosität zu vertreiben doch leider hält die Wirkung nicht allzu lange an, denn ich spüre bereits, wie die Panik zurückkehrt. Wie gerne würde ich sie jetzt wieder betäuben, aber erstens gibt es erst wieder Getränke, wenn wir bei uns zu hause sind und zweitens würde mir niemals jemand Alkohol geben, da minderjährige Vampire, wie ich einer bin, keinen Alkohol trinken dürfen. Ein blöde Regelung, wie ich im Moment finde, aber ändern kann ich da ja leider auch nichts dran... Zum Glück ist der Großteil der blöden Begrüßung endlich vorbei, als ich plötzlich eine verdammt hübsche Vampirin mit langen blonden Haaren sehe. Sie sieht richtig toll aus in ihrem weinroten Kleid. Richtig edel und nicht so billig wie meine Cousine Mallory mit der Vater mich schon seit Ewigkeiten zu verkuppeln versucht. Als ob ich jemals was mit der anfangen würde! Nie im Leben! Aber diese blonde Schönheit zieht meinen Blick immer wieder zu sich hin. Wenn ich nur ihren Namen wüsste. Vielleicht ergibt sich ja später eine Möglichkeit, diesen herauszufinden... Irgendwie kommt sie mir bekannt vor, aber ich kann mich beim besten Willen nicht daran erinnern woher. Aber viel Zeit nachzudenken hab ich auch nicht, denn da ist auch schon wieder Mallory. Hilfesuchend suche ich Flora, doch sie unterhält sich gerade mit unserer Cousine Gwyn. Mallory klammert sich an meinen Arm. "Desmond, mein Lieber, es ist einfach wundervoll, dich endlich wiederzusehen. Auch wenn die Umstände alles andere als erfreulich sind." Gezwungen lächel ich sie an. "Es ist auch schön, dich wiederzusehen, liebste Cousine", antworte ich, obwohl ich sie am liebsten schnellstmöglich wieder los werden würde. Doch daraus wird wohl nicht, denn ich spüre Vaters Blick auf mir ruhen. Wenn ich Mallory jetzt abweise, wird Vater nach der Rede nur noch wütender sein, als er es eh schon sein wird. Ich sollte zumindest jetzt versuchen mich angemessen zu verhalten und kein Aufsehen zu erregen. Vielleicht kann ich Vaters bald auftretenden Zorn dadurch ein wenig mildern... obwohl... wirklich glauben tu ich daran auch nicht... Mallory fängt an mich damit zu zu texten, wie sehr sie sich freut mich wiederzusehen und wie gerne sie mich öfter sehen würde und all sowas. Doch ich höre nur mit halbem Ohr zu. Mein Blick ist immer noch von der wunderschönen Vampirin eingefangen. Als unsere Blicke sich treffen, setzt mein Herzschlag für einen Augenblick aus und die Zeit scheint stehen zu bleiben. "Desmond! Hörst du mir überhaupt zu?", ertönt Mallorys Stimme neben mir. Verwirrt schüttel ich den Kopf, den Gedanken an die wunderschöne Vampirin abschüttelnd. "Entschuldige bitte, liebste Cousine, ich war in Gedanken. Was hast du gesagt?" "Ich habe dich gefragt, ob wir nachher auf der Feier gemeinsam tanzen wollen", lächelt sie. Ich lächel, wenn auch gezwungen, zurück, was Mallory allerdings nicht bemerkt. "Gerne", antworte ich. Ich weiß, dass es soweit gar nicht erst kommen wird, da ich bezweifel, dass Vater mich nach der Rede noch an der Feier teilnehmen lässt. Mallory redet weiter davon, wie sehr sie sich schon darauf freut mit mir zu tanzen, als glücklicherweise Flora zu uns stößt. "Wir sollen uns so langsam für das Trauerritual bereitmachen", sagt sie und ich nicke, erleichtert darüber, nun endlich von Mallory erlöst zu sein. Flora und ich verabschieden uns noch kurz von Mallory, ehe wir nach vorne zum Altar gehen, wo das Ritual stattfinden wird. Vater tritt vor und spricht mit lauter, klarer Stimme: "Geehrter Rat, liebe Familie, liebe Freunde, wir haben uns heute hier zusammengefunden, um den 20. Todestag von Celestina Arcania Alucard angemessen zu feiern. Wir wollen nun mit dem Trauerritual beginnen, ehe wir zu den weiteren Feierlichkeiten übergehen." Ein Ratsmitglied trat ebenfalls nach vorne. Scheinbar um die Zeremonie zu leiten. Die Urne mit Mutters Asche wird aus dem Kellergewölbe geholt, damit das Ritual endlich beginnen kann. Vater ist zuerst an der Reihe und nur wenig später folgen Flora und ich. Gemeinsam treten wir nach vorne vor den Zeremonienmeister, welcher einen schwarzen Dolch in der Hand hält und uns beiden einen tiefen Schnitt über die rechte Handfläche zieht. Dann nimmt er ein wenig von Mutters Asche und streut sie in die offene Wunde. Ein brennender Schmerz zieht von meiner Hand aus durch meinen gesamten Körper. Am liebsten würde ich schreien so stark ist der Schmerz, aber das darf ich nicht. Ich muss die Prozedur regungslos über mich ergehen lassen. Das ist Teil des Rituals. Wer in diesem Moment Schwäche und Schmerz zeigt, hat die Unterstützung der Ahnen nicht verdient und Flora und ich brauchen Mutters Unterstützung nun mehr denn je. Nachdem die Wunde mit einer seltsam bläulichen Flüssigkeit verschlossen wurde, treten Flora und ich neben Vater, welcher uns stolz anlächelt. Nun sind die ganzen anderen Familienmitglieder an der Reihe. Es dauert ziemlich lange, bis das Ritual endlich bei allen vollzogen wurde, was bei unserer großen Familie ja auch kein Wunder ist. Nach ner guten dreiviertel Stunde ist es endlich vorbei und der Zeremonienmeister tritt wieder nach vorne. "Nachdem dieser Teil der Feierlichkeiten beendet ist, wollen wir den Angehörigen die Möglichkeit geben, uns etwas von der Verstorbenen zu berichten und ihre Gefühle und Erinnerungen mit uns zu teilen!" Jetzt wird es langsam Zeit. Vater geht nach vorne, um selbst noch ein paar Worte zu sagen, bevor Flora und ich dran sind. Während Vaters Rede höre ich nicht wirklich zu. Ich bin zu nervös vor dem was gleich kommen wird. Schließlich endet Vater und winkt Flora und mich auf die Bühne. Angsterfüllt sehe ich Flora an. Am liebsten würde ich das alles abblasen, aber das kann ich nicht. Nicht mehr jetzt! Ich schlucke und atme noch einmal tief ein, bevor Flora und ich schließlich erhobenen Hauptes nach vorne schreiten. Meine Hände zittern vor Nervosität als wir schließlich vor der ganzen Verwandtschaft und dem Rat stehen. Nebeneinander stehen wir vorne, als schließlich Flora zu sprechen beginnt. "Also zuerst einmal möchten wir klarstellen, dass unsere Reden unabhängig voneinander entstanden sind und keiner von uns darüber Bescheid weiß, was der andere sagen wird. Deshalb kann es durchaus vorkommen, dass sich unsere Reden auszugsweise ähneln werden. Wir bitten dies zu entschuldigen.", sagt sie und ich nicke zustimmend. Flora tritt einen Schritt vor und beginnt mit ihrem Teil der Rede: "Ich bin so froh, dass ihr alle so zahlreich erschienen seid, um unserer Mutter heute die letzte Ehre zu erweisen. Ein besonderer Dank gilt dabei dem heute vollzählig erschienenen Vampirrat. Ich weiß, dass dies nicht selbstverständlich ist, aber ich weiß auch, wie sich Mutter über dieses zahlreiche Erscheinen momentan freut. Wie sie sich freut uns alle hier glücklich versammelt zu sehen. Zu erkennen, wie groß ihre zwei Schützlinge doch geworden sind. Und besonders wie Vater mit dieser schwierigen Situation umgegangen ist. Er hat wirklich Stärke bewiesen und hat uns sehr geholfen den schrecklichen Verlust unserer geliebten Mutter zu verkraften. Was hätten wir nur ohne ihn gemacht? Und auch ohne die Unterstützung von euch allen! Deswegen möchte ich euch an dieser Stelle noch einmal den herzlichen Dank unserer Familie aussprechen und auch gewiss von meiner Mutter, von der wir heute leider vorerst zum letzten mal Abschied nehmen werden. Aber unsere Mutter wird immer bei uns sein. Diese warmherzige, bescheidene und fürsorgliche Frau, die wir voller Stolz unsere Mutter nennen dürfen, wird für immer in unseren Herzen weiterleben. Mama, wir werden dich nie vergessen!" Die Menge applaudiert und auch Vater sieht stolz zu uns herauf. Dann tritt Flora zurück und nun ist es an mir einen Schritt vorzutreten. Hilfesuchend sehe ich zu Flora. Angst schimmert in meinen Augen. Flora nickt mir aufmunternd zu, schließlich muss es ja so aussehen, als wäre ich nur nervös vor so vielen zu sprechen, aber ich weiß, dass auch sie Angst hat. Langsam trete ich vor. Ich schlucke und atme tief ein ehe ich schließlich zu sprechen beginne. Meine Stimme zittert ein wenig doch mit jedem Wort wird sie klarer und fester. Die Wichtigkeit dieser Rede ist bedeutsamer als meine Angst und meine Nervosität. "Aber wieso musste es nur soweit kommen? Wieso musste unsere geliebte Mutter sterben? Wer hierbei denkt, dass die Welt manchmal einfach nur ungerecht sein kann, der irrt sich gewaltig! Man hätte diesen grauenvollen Tod von ihr und all den anderen unschuldigen Vampiren verhindern können! Man hätte nur eine kleine Sache frühzeitig zu Ende bringen müssen! Nur eine winzige Angelegenheit, hätte ihr Leben gerettet! Wieso haben wir die Menschen nicht damals schon ausgerottet? Diesen Abschaum vernichtet?" Aus den Augenwinkeln sehe ich die Empörung in den Gesichtern der Menge, Vaters wutverzerrtes und geschocktes Gesicht, das wissende und dennoch auch verachtenden und geschockte Gesicht Großvaters. Ich sehe, wie sich der Ratsvorsitzende seinen Weg durch die Menge bahnt um mich an der Weiterführung der Rede zu hindern. Doch jetzt kann mich nichts mehr aufhalten. Mit fester Stimme spreche ich weiter. "Dies frage ich euch! Sind wir nicht alle Schuld daran? Könnt ihr mit dieser Gewissheit etwa leben? Jeden Tag sieht man diese unwürdigen Kreaturen herumlaufen..." Der Vorsitzende hat mich mittlerweile erreicht und stürzt mich zu Boden. Doch das kann mich nicht stoppen. "...wie es ihnen gut geht und wie sie sich in Sicherheit wiegen. Ist es nicht unsere Pflicht dies zu zerstören? Endlich Rache zu nehmen und uns zur Wehr zu setzen? Es wird Zeit etwas zu unternehmen! All den durch Menschen getöteten Vampiren die letzte Ehre zu erweisen!" Während ich spreche, spüre ich wie ein brennender Schmerz durch meinen Körper zieht. Der Vorsitzende muss wohl die selbe Fähigkeit wie Lucern haben. Eine wohltuende Dunkelheit kommt auf mich zu, doch ich spreche weiter. Jetzt, wo ich soweit bin, will ich es auch zu Ende bringen. Vater kommt ebenfalls auf die Bühne und versucht mich am weitersprechen zu hindern. "VERNICHTET SIE!" Die letzten Worte kann ich gerade noch herausschreien, bevor der brennende Schmerz, welcher noch immer in meinem Körper tobt, einen erlösenden Schwärze weicht und ich kraftlos auf dem Boden zusammensacke. *~*~ Langsam kehren meine Sinne zurück. Vorsichtig blinzelnd sehe ich mich um. Ich sitze auf dem Beifahrersitz von Vaters Auto. Lucern sitzt am Steuer. Scheinbar fährt er mich nach hause. Ich werfe einen Blick auf den Rücksitz. Dort ist niemand. Demnach hat Lucern wohl wirklich den Auftrag bekommen, mich nach hause zu bringen. Lucern spricht kein Wort und auch ich sehe schweigend aus dem Fenster. Ob er wohl schon mitbekommen hat, dass ich wieder wach bin? Da richtet er plötzlich das Wort an mich. "Und jetzt erklär mir mal, was das eben sollte!" Seine Stimme ist ruhig. Ganz anders als ich es von Vaters Verhören gewohnt bin. "Das war meine Rache für die gebrochene Nase", erwidere ich kühl. Lucern nickt. "Das dachte ich mir bereits. Und natürlich ist es auch deine Rache für den Vorfall mit Xeron." Diesmal ist es an mir zu nicken. "Ich hoffe, du bist dir darüber im Klaren, was für Konsequenzen du für diese Rede zu erwarten hast?" Ich antworte nicht. "Sowohl deine gesamte Familie als auch die hochrangigen Vampire und vor allem der Rat sind nicht gerade angetan von deinen Worten!" Jetzt ist seine Stimme scharf und ich senke schuldbewusst den Kopf. Lucern sagt nichts mehr und auch ich sehe wieder aus dem Fenster. Nach einer kurzen Zeit sind wir wieder zu hause. Lucern fährt den Wagen in die Einfahrt und weist mich an, auszusteigen, was ich auch tue. Kaum, dass ich das Auto verlassen habe, packt Lucern mich am Arm und schleift mich ins Haus und rauf in mein Zimmer. Ich wehre mich nicht. Auch nicht als er mich von sich stößt. Dazu bin ich noch zu benommen. Plötzlich höre ich, wie sich ein Schlüssel in Schloss umdreht. Lucern hat mich eingeschlossen! Ich stürme zu der Verbindungstür von Floras und meinem Zimmer, doch auch diese ist verriegelt! Das kann er doch nicht machen! Der kann mich hier doch nicht einfach einschließen! Resigniert sinke ich auf den Boden. Was hab ich mir da nur eingebrockt? Es war ein Fehler! Ich hätte die Rede nicht halten dürfen! Jetzt sehe ich ja, wohin es mich gebracht hat! Ich bin in meinem Zimmer eingeschlossen, darf nicht mehr an den Feierlichkeiten teilnehmen und mit Sicherheit wird Vater später auch noch auf mich losgehen! Immerhin ist meine Nase wieder weitestgehend verheilt. Sie puckert zwar noch ein wenig, aber sonst ist alles wieder in Ordnung. Was die anderen wohl gerade machen? Und wann Vater wohl zu mir kommen wird? Ich hoffe es ist alles gut gegangen und niemand hat mitbekommen, inwieweit Flora in meinen Plan involviert ist. Ich will nicht, das ihr jemand wehtut. Dazu ist sie mir viel zu wichtig. Meine Gedanken kreisen umher. Was diese blonde Vampirin jetzt wohl von mir denkt? Ach was, denke ich da? Sie wird mich verabscheuen, wie alle anderen auch! Was mache ich mir überhaupt Hoffnungen? Das bringt doch eh nichts! Wie viel Zeit wohl schon seit der Rede vergangen sein mag? Und wie lange die Feier wohl noch dauern wird? Langsam stehe ich wieder auf, setze mich an meinen Schreibtisch und nehme, wie schon gestern, das Buch über die Traditionen zur Hand. Doch auch heute kann ich mich nicht konzentrieren. Ich bin viel zu nervös, vor dem, was noch kommen wird. Abermals stehe ich auf und laufe hektisch in meinem Zimmer auf und ab. Wo bleiben die nur so lange? Am liebsten hätte ich die Strafpredigt und die darauffolgenden Prügel schon hinter mir! Schlimmer kann es doch nicht mehr werden. Aber dieses verdammte Warten macht mich einfach fertig! Diese Ungewissheit! Ich lasse mich in meinen Sarg fallen und versuche ein wenig zu schlafen, doch nur Sekunden später stehe ich wieder auf. An Schlaf ist nicht zu denken. Wie denn auch, wenn das Schwert des Damokles über mir schwebt, bereit, jeden Moment auf mich nieder zu stürzen! Panik macht sich in meinem Inneren breit. Abermals lasse ich mich auf den Boden sinken und lege das Gesicht das meine Arme. Einzelne Tränen laufen mir über die Wangen. Tränen der Angst und Tränen der Trauer. Trauer, um meine geliebte Mutter, die mich viel zu früh verlassen hat. Immer mehr Tränen verlassen meine Augen und schließlich weine ich hemmungslos. All die Tränen, die ich während des Trauerrituals Flora zuliebe zurückgehalten habe, strömen aus mir heraus. Wie schön wäre es jetzt, sich an jemanden lehnen zu können. Doch das ist mir nicht vergönnt. Ich höre wie die Eingangstür unten aufgeht und die Gäste hereinströmen. Jetzt wird der Rest der Feierlichkeiten also hier fortgesetzt. Wie gerne wäre ich jetzt unten bei Flora. Doch ich komme hier ja leider nicht raus. Außerdem wäre Vater wohl auch nicht so begeistert davon, wenn ich jetzt runter käme. So langsam wird der harte Boden ziemlich unbequem. Kraftlos stehe ich wieder auf und lege mich in meinen Sarg, während weiterhin Tränen meine Augen verlassen und über meine bleichen Wangen fließen, eine rote Spur hinterlassend. Schließlich fallen mir vor Erschöpfung doch die Augen zu und ich falle in einen unruhigen Schlaf. Flora Ich merke, wie sich meine Nervosität jede Sekunde verschlimmert. Ich male mir im Kopf aus, wie schlimm dieser Abend wohl für Desmond werden wird. Und jedes Mal frage ich mich, ob ich nicht doch die Schuld mit auf mich nehmen soll. Aber dann sehe ich zu Desmond rüber und sehe seinen zielstrebigen Blick, seine wilde Entschlossenheit und seine Angst. Die Angst was mit ihm geschehen wird und vor allem die Angst um mich, wenn ich mich nicht an dem Plan halte… Ich werde dich nicht enttäuschen!! Ich hoffe bei jedem Senken von Vaters Stimme, dass diese erneut erklingt und er weiterredet. Ich habe solche Angst vor dem, was jetzt gleich kommen mag. Wieso kann nicht irgendetwas geschehen, was unsere Rede verhindert? Aber bevor ich mir weitere Gedanken machen kann endet Vaters Stimme und ein Satz erklingt, vor dem ich erschaudere. „Nun möchte ich meine geliebten Kinder nach vorne bitten, um ihren liebevollen Beitrag zu dieser bedeutenden Nacht beizutragen." Nun ist es so weit. Es gibt keinen Weg zurück. Am liebsten würde ich stehen bleiben, aber meine Beine tragen mich wie von selbst nach vorne und auch Desmond folgt mir. Ich merke seine Anspannung. Wie kann ich ihm nur helfen? Mit betrübter Miene stelle ich fest, dass es nichts gibt, was ich machen kann… außer meinen Teil der Rede vorzutragen und ihm seinen Wunsch des Schweigens zu erfüllen. Alle gucken uns gespannt an. Auch wenn Vaters und Großvaters Blick eher reine Verachtung für Desmond darstellen. Langsam trete ich einen kleinen Schritt nach vorne und das, was ich nun sage, fällt mir wirklich nicht leicht… Alle lauschen meinem Teil der Rede. Ich sehe, wie dieser alle berührt, wie einige Tränen vergießen. Und auch ich bin den Tränen nahe. Zum allerersten Mal nehme ich die Worte, die ich zu Papier gebracht habe, richtig wahr. Für einen Augenblick vergesse ich alles um mich herum, ich bin einfach nur mit den Gedanken bei meiner geliebten Mutter. Dennoch versuche ich meine Tränen zu unterdrücken und meinen Teil der Rede zu Ende zu bringen. Und es gelingt mir sogar ziemlich gut. Mit so viel Beifall hätte ich niemals gerechnet. Es ist so schön Vaters und Großvaters strahlende Gesichter zu sehen. Doch dann tritt plötzlich Desmond an mir vorbei nach vorne. Und ich werde aus meinen fröhlichen und angenehmen Gedanken gerissen. Wieso kann es nicht so bleiben, wie es jetzt momentan ist? Aber es muss sein! Vater hat doch nichts anderes verdient! Und einen besseren Moment gibt es nicht! Die werden jetzt gleich ihr blaues Wunder erleben! Ich sehe Desmonds Anspannung, aber er versucht sie und seine Angst zu unterdrücken. Ich hoffe, dass es nicht zu schlimm für ihn werden wird. Ich könnte es mir nie verzeihen, wenn ihm deswegen etwas schrecklich zustößt… Zaghaft fängt Desmond an zu sprechen. Alle haben noch freudige, mitfühlende Gesichtsausdrücke. Und auch bei Vater scheint es so, als ob er jetzt schon richtig stolz auf uns beide ist und mit nichts schlimmes mehr rechnet. Doch mit jedem Wort von Desmond ändern sich die Gesichtsausdrücke. Die freudigen Mienen senken sich immer weiter. Keiner kann fassen, was er in diesem Moment hört. Alle sehen geschockt zu Desmond rauf, aber keiner traut sich auch nur irgendetwas zu sagen oder geschweige denn zu machen. Und genau dies scheint ihm Kraft zu geben. Seine Stimme wird immer sicherer. Unser Plan scheint Erfolg zu haben... Ich bin begeistert, wie gut es klappt. Doch da sehe ich aus dem Augenwinkel, wie sich dieser eine Ratsherr von eben aus seiner Versteinerung löst und auf Desmond zu läuft. Und auch Desmond bemerkt es. Fast schon verzweifelt versucht er den Text so schnell wie möglich runterzureden. Aber der Herr kommt immer näher. Alle anderen schauen immer noch entsetzt zu uns herauf. Alles spielt sich vor meinen Augen in Zeitlupe ab. Ich kann es nicht fassen. Ich sehe Desmonds schmerzverzehrtes Gesicht, so wie wenn Lucern uns bestraft. Es ist so schrecklich daneben zu stehen und nichts machen zu können. Die letzten Worte schreit Desmond förmlich aus sich heraus. Ich merke, wie sich die schrecklichen Schmerzen immer weiter in seinem Körper ausbreiten. Und als ob das nicht reichen würde, kommen auch noch Vater und Großvater zu ihm gelaufen. Ich habe solche Angst um ihn. So wutentbrannt habe ich die schon lange nicht mehr gesehen. Sind wir vielleicht doch zu weit gegangen? Wie kann ich ihm nur helfen? Plötzlich sehe ich, wie Desmond zu Boden geht. Mit letzter Kraft presst er den letzten entscheidenden Satz heraus bis er nur noch bewusstlos am Boden liegt. Wie versteinert stehe ich da. Es kommt mir wie eine halbe Ewigkeit vor, bis sich meine Beine langsam in Desmonds Richtung bewegen, auch wenn ich genau weiß, dass die mich nicht zu ihm durchlassen werden. Aber ich muss es versuchen! Ich will ihm helfen! Schließlich bin ich doch auch daran schuld. Doch bevor ich auch nur einen einzigen Schritt machen kann, packen mich zwei kräftige Hände von hinten und reißen mich mit sich. Vor Schreck schreie ich laut auf. Verzweifelt versuche ich mich zu wehren. Doch der ältere Herr hält mich immer fester und zerrt mich Richtung der Treppe, die nach unten in die Grabkammern führt. Die Gäste wissen nicht, welches Szenario sie verfolgen sollen. Immer abwechselnd treffen die Blicke auf mich und auf Desmond, den Vater und der Ratsherr gerade nach draußen tragen. Großvater hingegen kommt hinter mir hergerannt. Er kann es nicht fassen, was mit mir gerade geschieht. Und ehrlich gesagt kann ich es auch nicht verstehen. Mit so etwas hatten wir beide nicht gerechnet. Die glauben tatsächlich, dass ich etwas mit der Sache zu tun habe, obwohl ich es am Anfang der Rede beteuert habe. Aber wieso sollten die mir auch glauben?? Bei den Sachen, die die alles über mich wissen… Wir steigen immer weiter in die Gruft hinunter, bis der Herr, der Unterstützung von drei weiteren Herrschaften bekommen hat, eine alte, schwere Holztür öffnet und mich unsanft hineinschubst. „Was fällt ihnen eigentlich ein, so mit meiner Enkelin umzugehen?", versucht Großvater wieder empört den Rat zur Rede zu stellen. Aber sie ignorieren ihn immer noch. Die ganze Zeit hat Großvater versucht mich aus den griffen der Herren zu befreien, allerdings ohne Erfolg… Diesen Raum habe ich noch nie gesehen. Es ist keine Grabkammer, aber welchen Sinn dieser Raum hat, ist mir nicht bekannt. Aber momentan habe ich auch andere Probleme. Ich weiß, worauf der Rat hinaus möchte. Ich weiß, was mich jetzt erwarten wird. Wenn nur Großvater nicht hier wäre… Eigentlich bin ich ja froh, dass ich jemanden als Unterstützung habe, denn manchmal wendet der Rat keine legalen Verhörmetoden an. Aber wenn Großvater nun erfährt, was wir und vor allem ich alles angestellt habe… Wie wird er wohl reagieren? Aber vielleicht erfährt er es auch gar nicht. Aber nein, er wird es erfahren. Es ist offensichtlich, dass der Rat das ansprechen wird. Wieso muss es nur diese Wendung geben? Wieso haben wir das nicht bedacht? Wieso konnten die nicht auch an mir die Schmerzmethode anwenden? Wie gerne würde ich jetzt bewusstlos zusammen brechen… „Hinsetzen!", fordert mich der grauhaarige Herr auf. Ich wage es nicht ihm zu wiedersprechen und nehme auf den Stuhl platz, der vor einem großen Tisch steht. Wie von Geisterhand bewegen sich meine Hände nach hinten, als ob mich jemand fesselt. Aber keiner steht hinter mir, der dazu in der Lage wäre. Alle haben vor mir auf den anderen Stühlen platz genommen. Verzweifelt versuche ich dagegen anzukämpfen, aber es gelingt mir nicht. „Das geht jetzt aber wirklich zu weit!", schreit Großvater und schlägt mit seiner Hand wutentbrannt auf den Tisch. „Sie behandeln Flora ja wie eine Schwerverbrecherin! Nehmen sie sofort die unsichtbaren Fesseln ab und wagen sie es ja nicht ihre Funktion freizusetzen!" Ich verstehe kein Wort. Von solchen Fesseln habe ich noch nie etwas gehört… was für eine Funktion? Mir wird mulmig zu mute. Soll es etwa eine der illegalen Verhörmethoden des Rates sein? „Nun mischen sie sich hier mal nicht ein! Sie können froh sein, dass wir sie nicht daran gehindert haben überhaupt hier mit herunter zu kommen! Lassen sie uns unsere Arbeit machen! Und halten sie sich raus! Das ist eine Sache des Rates und sie wissen, was für Folgen es haben kann, wenn man sich in diese einmischt.", sagt der Herr hinterhältig. Aber er hat Erfolg. Großvater verstummt abrupt. Ich frage mich nur, was das für Folgen sind. Wir wissen einfach viel zu wenig über die Methoden des Rates, obwohl manche vielleicht ganz nützlich für uns sein könnten… Schnell werde ich wieder aus meinen Gedanken gerissen, denn nun wendet der Rat sein Wort an mich! Es gab bisher nur ein einziges Mal, wo Desmond und ich Stellung vor dem Rat nehmen mussten, was nicht gerade angenehm war… Sonst hat Vater uns immer davor beschützt, doch dieses eine Mal, könnte er uns nicht davor bewahren. Ich habe Angst was jetzt auf mich zukommt. Wird es wohl genauso schlimm werden, wie damals? „So, nun zu dir!", sagt der wohl höchste, der anwesenden Ratsmitglieder mit einem schäbigen Lächeln zu mir. „Du weißt doch bestimmt, weshalb wir dich hierher geschleppt haben, nicht wahr?", fährt er fort. Zum Glück redet er einfach weiter ohne auf eine Antwort zu warten. Wie versteinert sitze ich da und höre mir die Beschuldigungen einfach nur an, wie Großvater auch. Zu groß ist die Angst von damals, auch nur ein einziges falsches Wort zu sagen… „Du willst uns doch nicht weiß machen, dass du wirklich nichts mit dem Teil der Rede deines Bruders zu tun hast, oder? Als ob dein Bruder in der Lage wäre, so etwas zu Papier zu bringen! Jetzt nicht, dass es nicht seinen Gedanken entsprechen würden, daran besteht wirklich kein Zweifel! Aber so etwas zu Papier zu bringen, ist diesem Burschen doch wohl unmöglich. Bist nicht vielmehr du das Genie, wenn es um solche Sachen geht? Außerdem willst du doch wohl nicht abstreiten, dass es auch deine Gedanken sind, die Desmond gewagt hat auszusprechen… Denn wir wissen doch alle, dass du nicht das liebe Mädchen bist, das du uns weiß machen wolltest in deinem Teil der Rede! Willst du wirklich, dass dein Bruder die ganze Schuld bekommt? Hängt ihr nicht so aneinander, dass du es doch eigentlich nicht mit deinem Gewissen vereinbaren kannst?", ich sehe, wie Großvater ihn einen verachteten Blick zuwirft. Am liebsten würde er ihm an die Gurgel springen. Es kostet ihm, glaube ich, sehr viel Überwindung sich zu beherrschen. Mit jedem Satz hoffe ich, dass der Herr aufhört zu reden. Bisher hat er noch nichts von unseren anderen Taten erwähnt. Sollte ich wirklich einmal Glück haben? Aber da redet er schon weiter und meine Hoffnung verfliegt immer mehr… „Das würde doch super zu dir passen. Nur verstehe ich nicht ganz, wieso nur er den Aufruf gestartet hat. Diesmal wirklich so zurückhaltend gewesen?", fragt er mich hinterhältig, während er sich immer weiter zu mir rüber beugt. „Oder gehörte es etwa zu eurem Plan? Als erstes jeden von uns in Sicherheit wiegen und dann zuschlagen! Da bist du wirklich sprachlos, oder? Wir durchschauen jeden.", wie gerne würde ich ihn jetzt fertig machen, mich endlich zu Wort melden. Aber genau das will er. Nur wenn ich jetzt etwas sage, darf er seine Foltermethoden anwenden! Und ob ich dann noch meine Version vertreten kann ist wirklich fraglich. Denn so etwas hat man noch nie erlebt, so etwas heftiges macht nicht einmal Vater mit uns… Wenn ich eins gelernt habe aus unserer letzten Begegnung mit dem Rat ist es erst zu antworten, wenn er dich dazu auffordert!! Egal wie schwer es einem fällt… „Und gerade bei euch… Ihr lernt auch nichts aus euren Taten dazu. Wie oft musste euer Vater euch schon aus unseren Fängen retten? Und dennoch macht ihr weiter, obwohl ihr genau wisst wie tief ihr schon in der Scheiße steckt! Wie viele unschuldige Menschen mussten schon wegen euch sterben? Wie kaltherzig habt ihr sie umgebracht und massakriert? Wie oft haben die Leute schon über eure Taten in der Zeitung lesen müssen? Über die schwarze Rose, die Angst und Schrecken in der Menschenwelt verursacht? Und jetzt auch noch euer Hetzaufruf…", ich merke, wie Großvater mich anguckt. Er kann es nicht fassen. Wie alle anderen auch hat er in der Zeitung über die Schwarzen-Rosen-Morde gelesen, aber er hätte niemals damit gerechnet, dass Desmond und ich dahinterstecken. Vor allem nicht seine kleine Lieblingsenkelin! Am liebsten würde ich tot umfallen! Was soll ich nur machen? Wie komme ich hier nur wieder heraus? „Aber eins muss man dir lassen, du hast wirklich dazu gelernt! Wenn man sich mal den Ausgang vom letzten Mal vor den Augen führt. Also, nimm Stellung! Du hast das Wort!", fordert er mich schäbig zum Sprechen auf. Vor diesem Moment habe ich mich die ganze Zeit gefürchtet. Und nun ist er da… „Ähhm…", beginne ich zögernd. „Sie müssen wir wirklich glauben. Ich habe wirklich nichts davon gewusst.", sage ich verzweifelt. „Es war von Anfang an abgemacht, dass wir beide getrennt voneinander eine Rede schreiben. Ich hätte auch niemals gedacht, dass Desmond so etwas macht. Nicht auf der Trauerfeier unserer Mutter. Es wäre mir wirklich nicht im Traum eingefallen, so etwas an so einem Tag abzuziehen. Die Trauerfeier ist für mich etwas besonderes. So etwas würde ich niemals zerstören wollen. Sie wissen gar nicht wie wichtig mir die heutige Nacht ist…", beim Sprechen denke ich an unsere geliebte Mutter, denn ich muss meinen Sätzen mehr Ausdruck verleihen. Nur so kann ich in dieser Situation gezielt Tränen über meine Wangen laufen lassen, denn der Schmerz an dem Tod unserer Mutter sitzt immer noch tief. „Ich wusste es wirklich nicht, sonst hätte ich es verhindert. Wie können sie mir das nur unterstellen? Denken sie wirklich, dass mir Mama nichts bedeutet? Das ich…", schluchze ich. Es klappt besser als geplant, die Tränen ersticken wirklich meine Worte. Ich bekomme keinen einzigen Ton mehr heraus, aber das muss ich auch nicht. Denn jetzt übernimmt Großvater empört das Wort. Und mit diesen Worten hätte ich niemals gerechnet… „Sehen Sie nicht wie sehr sie das mitnimmt? Wie können sie nur so mit ihr umgehen? Sie hat damit bestimmt nichts zu tun, dafür kenne ich sie viel zu gut. Und wie können sie so etwas nur behaupten, ohne auch nur irgendwelche Beweise zu haben! Das ist einfach nur unverschämt von ihnen!", schreit Großvater den Rat an. Aber dieser rührt sich nicht. Alle Gesichter sind auf Großvater gerichtet, aber keiner entgegnet auch nur ein einziges Wort. Ich sehe Großvater an, dass auch er mit diesem Verhalten nicht gerechnet hat. Etwas verwirrt versucht er neue Worte zu finden, um den Rat zur Stellungnahme zu bewegen. „Und was soll die Andeutung mit den Schwarzen-Rosen-Morde? Denken sie wirklich, dass mein kleiner Engel so etwas übers Herz bringen würde? Das geht jetzt wirklich zu weit! Solche lächerlichen Unterstellungen brauchen wir uns von ihnen nicht bieten zu lassen! Sie…", doch da meldet sich schäbig der alte Herr zu Wort. Er scheint Gefallen daran zu finden, Großvater nun gleich die Wahrheit zu berichten und mich leiden zu sehen. Dieses elende Lachen werde ich nie in meinen Leben mehr vergessen… Ich sehe es kommen. Es ist aus. Das wird Großvater mir nie verzeihen und ich darf genau wie Desmond für die Rede einbüßen. Wobei letzteres gar nicht so schlimm ist, aber ich hänge doch so an Großvater. Er war immer für mich da und jetzt so etwas. Wieso? Wieso musste das diese Wendung nehmen? „Ach!", sagt der Herr überrascht und schadenfroh. „Sie wissen davon gar nichts. Hat ihre Enkelin ihnen wohl noch nichts drüber erzählt. Aber wie gut, dass es uns doch gibt. Nicht wahr, Flora? Wir übernehmen es liebend gerne deinem Großvater die Augen zu öffnen. Du brauchst dich wirklich nicht zu bedanken, das machen wir gerne.", schleimt er gehässig herum. Am liebsten würde ich ihn anfallen, aber mir sind immer noch die Hände gebunden und auch sonst weiß ich, dass das nicht gut ausgehen würde. Mir bleibt nichts anderes übrig als einfach nur zuzuhören und Großvaters Beschimpfungen schweren Herzens zu ertragen. „Es mag jetzt schockierend für sie klingen, aber ihre liebenswerte Enkelin ist nicht das brave Mädchen für das sie sie halten. Es besteht kein Zweifel, dass sie und ihr Bruder hinter den brutalen Morden stecken. Sie wurden zweimal auf frischer Tat erwischt und auch die anderen sind durch entsprechend gesicherte Beweise an den Tatorten den beiden zuzuschreiben." Ich sehe Großvaters geschocktes Gesicht. „Davon hat mein Sohn mir gar nichts erzählt, auch wenn ich es immer geahnt hatte.", sagt Großvater mit gesenkten Kopf mehr zu sich als zu uns anderen. Langsam hebt er seinen Kopf und richtet seinen Blick auf mich. Er guckt mir tief in die Augen. Ich kann seine Trauer erkennen. Es ist so schrecklich, wie konnte ich ihn nur so enttäuschen. Er wird mir nie verzeihen. Beschämend gucke ich zur Seite. Ich kann ihn nicht ins Gesicht blicken. Vorsichtig mit ruhiger Stimme fragt er mich: „Stimmt das?" Seine Stimme klingt verzweifelt. Mir stockt der Atem. „Ja!", entgegne ich. Immer noch gucke ich ihn nicht an. Tränen laufen mir wieder über die Wangen. Ich hätte nicht gedacht, dass das mich so mitnimmt. Ein Moment der Stille tritt ein. Keiner sagt auch nur ein Wort. Nur der Rat scheint sich an dieser Situation zu erfreuen… „Das hätte ich niemals gedacht. Wieso?", fragt er mich mit großen Augen. Ich kann nicht mehr, ich habe solche Angst was er jetzt mit mir macht. Wird er mich nun so behandeln wie Desmond? Gewiss, was leider auch verständlich ist…. „Was fällt diesem Schwein ein!", sagt er jetzt wutentbrannt. Erstaunt gucke ich ihn an. Was? Was hat er gesagt? Ich bin sprachlos, das darf nicht wahr sein… „Das wird er noch bereuen, dich in seine kriminellen Geschäfte mithineinzuziehen!" Ich sehe dem Rat an, dass diese genauso erstaunt und verblüfft sind wie ich. „Ich habe damals schon gesagt, dass man euch trennen sollte. Er hat einfach keinen guten Einfluss auf dich. Er weiß genau wie labil du bist, dass du nicht wehren kannst und wie sehr du an ihm hängst! Und das nutzt er eiskalt aus. Diesem Burschen muss man das Handwerk legen! Einsperren oder gleich töten! Was anderes hat der doch nicht verdient!" Alle gucken Großvater sprachlos an, während er eine kurze Atempause macht. „Ich fasse es nicht, dass Anchoret mir das verschwiegen hat! Ich hätte mich damals durchsetzten sollen. Flora! Es tut mir so leid! Ich hätte mich mehr um dich kümmern müssen.", sagt er und legt seinen Arm beschützend um mich. Ich sehe, wie die Gesichter der Herren entgleisen. Dies ist nicht das, was sie sehen wollten. Es ist so rührend, wie Großvater mir vertraut. Das er mir nicht böse sein kann. „Ich hätte dich beschützen müssen. Es muss schrecklich für dich gewesen sein den gemeinen Attacken deines Bruders ausgesetzt gewesen zu sein. Und auch noch für seine kriminellen Machenschaften… Es muss so schlimm gewesen sein, die Morde mitangucken zu müssen. Ich hätte die Warnzeichen mehr beachten sollen. Aber mach dir keine Sorgen Kleines. Ich werde immer für dich da sein und alles dafür tun, dass es dir wieder besser geht. Gleich morgen mache ich einen Termin mit meinen besten Freund ab. Sein Sohn ist der beste Psychiater, den es gibt. Damit du über diese traumatischen Ereignisse wegkommst. Das bin ich dir einfach schuldig." Was? Das kann nicht sein ernst sein! Schön und gut, dass er mir die Morde nicht vorwirft, aber ein Psychiater? Das geht doch wirklich zu weit! Als ob ich so etwas nötig habe! Der spinnt doch, aber das kann ich ihm jetzt nicht sagen. Stattdessen klammer ich mich an ihm fest und tue so, als ob ich vor Rührung weine und zwinge mir ein einziges kleines Wort heraus. „Danke!" Ich kann es immer noch nicht fassen, aber die Gesichter der Ratsherren sind wirklich Gold wert. Dafür lohnt sich dieses Theater auf jeden Fall! Und das mit dem Psychiater kann ich auch noch irgendwie abwenden, hoffe ich. „Und nun zu ihnen!", wendet sich Großvater dem Rat zu. „Es ist eine Unverschämtheit! Sie sollten ihre Methoden wirklich mal überdenken! Man kann nicht mit jedem Vampir so umgehen! Gerade Flora ist doch so zart besaitet, damit verstören sie sie doch nur. Ich hoffe mal, dass sie erkannt haben, dass nur der missratene Bengel an diesem Hetzaufruf beteiligt sein kann. Meine liebe Flora wäre zu so etwas niemals in der Lage.", mit dem letzten Satz wendet er sich wieder fürsorglich mir zu. Es dauert eine Zeit bis der Rat seine Stimme wiedergefunden hat. So etwas haben die wohl noch nie erlebt. „Ok. Wir haben leider keinerlei Beweise, dass du da auch nur irgendwie mit drin steckst. Aber lass dir gesagt sein, wir werden dich im Auge behalten und wenn uns auch nur der kleinste Anhaltspunkt gegen dich spricht, werden wir dir erneut einen Besuch abstatten und dann wird dir dein Großvater auch nicht helfen. Uns kannst du nicht so täuschen! Wir wissen und sehen alles…", mit diesen Worten schreiten alle vier Ratsmitglieder in einer Reihe aus dem Raum… Nur Großvater und ich bleiben alleine in dem Raum zurück. Ich merke, wie Großvaters Wut auf Desmond sich immer mehr steigert. Ich habe Angst, was passieren wird, wenn die beiden das nächste Mal aufeinander treffen. Ich muss etwas machen! Aber was? Es bleibt mir nichts anderes übrig, als ihm die Wahrheit zu sagen. Ihm zu sagen, dass Desmond mich nicht gezwungen hat! Das ich selber es wollte, denn sonst gibt es eine große Katastrophe! Und das kann ich Desmond beim Besten willen nicht zumuten, auch wenn er es von mir verlangen würde. Schließlich bekommt er noch genug Ärger mit dem Rat. Aber wie fange ich nur an? „Großvater? Ich muss dir etwas sagen.", fange ich verzweifelt an. Es gibt kein Weg zurück. Es muss es ihm sagen. Ich muss meinen Bruder vor ihm schützen. Zu oft schon musste ich die gewalttätigen Attacken mitangucken. „Du brauchst dich nicht zu bedanken, Kleines!", entgegnet er. Er weiß nicht, wie schwer er mir es macht. „Nein, das wollte ich nicht.", versuche ich drum herum zureden. „Desmond hat mich nicht gezwungen. Ich habe es freiwillig mitgemacht. Ich wollte, dass die Menschen sterben." Jeden Moment rechne ich mit Schlägen, so wie Desmond sie immer abbekommt, aber es kommt nichts. Vorsichtig blicke ich auf und schaue ihn an. „Genau wie früher!", sagt Großvater mit einem Lächeln. „Es ist wirklich schön, wie du dich für deinen Bruder einsetzt. Aber du musst für ihn nicht lügen. Er muss für das Büßen, was er dir angetan hat. Denke doch auch mal an dich!", redet er auf mich ein. Ich bin verzweifelt. Er hat recht, genau wie früher. Er traut mir nichts zu, auch wenn ich es zugebe! Wie soll ich Desmond denn noch schützen? Was soll ich machen. „Aber, dass stimmt! Ich wollte es so.", versuche ich es verzweifelt noch einmal. „Kein aber!", sagt Großvater nun etwas streng. „Ich glaube, der Psychiater wird dir gut tun. Du musst endlich mal lernen, dass du deinen Bruder nicht schützen musst. Guck einfach nach vorne und lebe dein Leben. Vergesse ihn!" Es ist sinnlos. Ich hatte noch nie Erfolg. Es ist so ungerecht! „Aber wirklich…" „Ich will davon nichts mehr hören! Lass uns jetzt nach oben gehen, schließlich geht die Trauerfeier weiter und wir wollen doch deiner Mutter die letzte Ehre erweisen.", mit diesen Worten gehen wir nach oben. Ich fühle mich so niedergeschlagen. Wieso glaubt er mir nicht? Das ist alles so fies… Oben versucht Vater gerade die anderen zu beruhigen und sich in Desmonds Namen zu entschuldigen. Es herrscht ein ziemliches Durcheinander, kaum einer kann glauben, was so eben geschehen ist. Und alle sind froh, als Vater die Menge auffordert zu uns nach Hause zu fahren, um die Trauerfeier so gut wie es eben noch geht, weiter zuführen. Während der Autofahrt spricht keiner ein Wort. Es kostet mich wirklich viel Überwindung dieses Schweigen für einen kurzen Moment zu unterbrechen. Aber ich will unbedingt wissen, was mit Desmond los ist. Wie es ihm geht und wo er ist. Ich bin erleichtert zu hören, dass es ihm gut geht und er nur in seinem Zimmer ist. Allerdings konnte Vater mir nicht verraten, was noch mit ihm geschehen wird… Es herrscht eine beklemmende und sehr bedrückende Stimmung unter den Gästen. Der Schock sitzt noch tief, niemand will wahrhaben was so eben geschehen ist. Es fällt allen schwer die Trauerfeier dennoch weiterzuführen. Grüppchenweise stehen sie in unserer Eingangshalle und unterhalten sich. Es ist unschwer zu überhören, über was sie angestrengt reden… „Nun misch dich wieder etwas unter die Gäste, auch wenn es dir schwer fällt! Denk an deine Mutter, tue es ihr zu liebe. Wir haben jetzt nämlich noch etwas anderes zu regeln.", fordert mich Vater auf und schreitet mit Großvater in Richtung des Rates. Alle zusammen gehen die Treppe hinauf, wahrscheinlich in Vaters Arbeitszimmer. Ich habe keine Lust mich jetzt mit den Gästen zu beschäftigen. Ich weiß genau, worüber die reden. Und das werde ich mir bestimmt nicht antun! Vielmehr möchte ich einfach nur zu Desmond. Ich muss ihn warnen, was so eben alles geschehen ist. Und so sehr würde mich interessieren, was Vater und Großvater gerade mit dem Rat besprechen. Ich habe Angst, was jetzt gleich mit Desmond passieren wird. Was wird ihm erwarten? Was werden sie beschließen? Ich muss etwas unternehmen, doch ich merke, wie die Blicke auf mich ruhen. Aber erwarten die jetzt wirklich, dass ich hier bleibe und mich lächerlich mache? Mir deren Spott anhöre und deren Verachtung antue? Gewiss nicht, auch wenn ich mir bei manchen nicht ganz sicher bin, ob diese nicht eher Mitleid mit mir haben, dass ich so einen Bruder habe. Aber ich will es auch nicht testen. Langsam bewege ich mich Richtung Treppe. Ich will einfach nur nach oben zu meinem geliebten Bruder. Es ist mir egal, dass Vater mich aufgefordert hat bei den Gästen zu bleiben, so etwas kann er doch nicht ernst meinen.er weiß doch, wie sehr ich an Desmond hänge. Doch bevor ich auch nur einen einzigen Fuß auf die Treppe setzten kann, ertönt hinter mir eine Stimme… „Flora! Willst du uns etwa schon verlassen?" Ich fasse es nicht, wie viel Pech kann ich eigentlich noch haben? Die hat mir gerade noch gefehlt… „Ach, Oma! Ist ja schön dich wiederzusehen.", versuche ich in einem freundlichen Ton von mir zu geben. „Nein, ich will euch natürlich noch nicht verlassen. Ich wollte nur eben…ähmm..ein paar Getränke nachholen." Ich weiß, dass sie mir das nicht abkauft, aber es scheint sie auch nicht zu interessieren, sie will auf etwas ganz anderes raus. „Ist ja eine schreckliche Sache, was so eben geschehen ist. Ich hätte ja niemals geahnt, dass dein Bruder so etwas macht!", fährt sie fort. „Das war wirklich ein ziemlicher Schock für uns… Was wollte eigentlich der Rat von dir? Du steckst doch wohl hoffentlich nicht auch dahinter, oder?", fragt sie mich scheinheilig. Dieses Miststück! Wie sehr würde ihr es gefallen, wenn ich es bejahen würde. Dann hätte sie noch einen Grund mehr uns schlecht darstehen zu lassen. Sie sucht doch wirklich jede Möglichkeit, um uns eins auszumischen! Genauso, wie wir es schon lange von ihr wissen. Dieser Hass hat sich glaub ich nach dem Tod von Mutter entwickelt... „Nein… Das würde mir niemals im Traum einfallen. Gerade auf der Trauerfeier… ich kann es auch nicht fassen, dass Desmond so etwas machen konnte.", spiele ich ihr gekonnt vor. Denn ihr noch eine Grund Schande über unsere Familie zu verbreiten, möchte ich ihr nicht geben. Auch wenn es mir immer wieder einen tiefen Schmerz in meinem Herz gibt, wenn ich Desmond so darstellen muss. Aber es war sein Wunsch, dass ich meine Ahnungslosigkeit aufrechterhalte, egal was kommen mag. „Das liegt doch ehe nur an deinem Vater! Er ist einfach nur unfähig euch richtig zu erziehen. Es ist wirklich unvorstellbar, dass eure Mutter sich damals mit diesem Schwachkopf eingelassen hat. Es wäre ihr deutlich besser gegangen, wenn sie ihn niemals kennengelernt hätte! Dann hätte es euch Gott sei Dank auch nicht gegeben!" Verblüfft schaue ich sie an. Ich weiß zwar, dass Oma uns nicht sonderlich mag, aber mit diesen Äußerungen hätte ich niemals gerechnet. Das kann doch nicht nur an dem Tod von Mutter liegen, für den sie Vater verantwortlich macht. Was ist damals nur vorgefallen? Und wieso hat sie so einen Hass auf mich und Desmond? „Das geht jetzt wirklich zu weit! Ich weiß zwar nicht, was damals zwischen euch vorgefallen ist, aber diese Beschuldigen muss ich mir nicht gefallen lassen!", schlagartig drehe ich mich um und gehe Richtung Treppe. Ohne mich auch nur noch ein einziges Mal umzudrehen, gehe ich nach oben. Dennoch merke ich, wie Omas vernichteter Blick auf mich lastet. Und auch die anderen Gäste dürften von dieser Streitigkeit Wind bekommen haben. Aber es ist mir egal. Mich interessiert jetzt nur noch Desmond! Langsam, in Gedanken versunken, gehe ich den Flur entlang. Deutliche Stimmen dringen aus Vaters Arbeitszimmer. Sie verhandeln immer noch mit dem Rat. Doch dann, plötzlich, öffnet sich die Tür. Vor Schreck springe ich zur Seite. Gerade noch rechtzeitig, bevor sie das Arbeitszimmer verlassen. Genau wie das letzte Mal gibt mir der Schrank Schutz. Es ist nur eins anders als damals, sie gehen nicht an mir vorbei. Sie gehen nicht hinunter zu den anderen Gästen, sondern steigen die andere Treppe hinauf. Hinauf zu unserem Reich, zu Desmonds und meinem Zimmer. Erneute Angst breitet sich in mir aus, was haben sie vor? Ich höre, wie oben eine Tür aufgeschlossen wird. Sie müssen Desmond eingesperrt haben. Vorsichtig begebe ich mich aus meinem Versteck und versuche geräuschlos die Treppe zu überwinden. Ich bin so froh, als ich in meinem Zimmer stehe, niemand hat etwas bemerkt. Zum Glück gibt es eine Verbindungstür zwischen Desmonds und meinem Zimmer. Langsam nähre ich mich dieser. Ich kann die Stimmen deutlich verstehen. Der Rat verabschiedet sich gerade gehässig von Desmond. Aber was haben die nur gesagt? Was haben die ihm verkündet? Wieso bin ich nicht schneller nach oben gegangen? Doch was jetzt kommt, erschaudert mich zu tiefst. Ich habe das Gefühl, als ob mein Herz in tausend Stücke zerspringt. Diese schmerzverzerrten Schreie… Kapitel 11: ------------ Elliot Endlich Wochenende! Alle Schüler strömen aus den Klassen voller Vorfreude auf das Wochenende. Nur ich gehe langsam, denn ich habe keinen Grund, mich zu freuen, weil ich weiß, was mich zuhause erwartet... Seit meine Mutter neu geheiratet hat, ist nichts mehr so wie es sein sollte... Egal, wie viel Zeit ich mir auf dem Nachhauseweg auch lasse, es führt ja doch kein Weg daran vorbei und so komme ich schon ein paar Minuten später zuhause an. Vielleicht habe ich ja heute ausnahmsweise mal Glück und Charlottes Ballettunterricht fällt aus... Zuhause angekommen werde ich auch direkt von meiner kleinen Schwester überrascht, welche mir freudig in den Arm springt. "Endlich bist du wieder daaa!", ruft sie glücklich, während ich sie in der Luft umher wirbel. Mutter kommt ebenfalls aus der Küche. "Nicht so wild ihr beiden", ermahnt sie uns lächelnd und ich setzte Charlotte wieder auf dem Boden ab. "Was gibts zu essen?", frage ich, denn so langsam kriege ich wirklich Hunger. "Gulasch mit Reis", antwortet Mutter und zaubert mir damit ein Lächeln aufs Gesicht. Mein Lieblingsessen! "Geht euch schon mal die Hände waschen. Das Essen ist so gut wie fertig!" Rasch gehen Charlotte und ich ins Bad und nur wenig später sitzen wir am Esstisch. Während wir essen erzählt Charlotte mir, was sie heute in der Schule gemacht hat und wie sehr sie sich schon auf den Ballettunterricht heute Abend freut und mit jedem Wort sinkt meine Stimmung. Meine Mutter wird sie, wie jedesmal, begleiten, weil sie ja noch klein ist. Und für mich heißt das, dass ich heute Abend wieder mit Jürgen, dem neuen Mann meiner Mutter, allein sein werde. "Dann machen wir zwei uns heute mal wieder einen richtig schönen Männerabend", sagt Jürgen zu mir. Mutter ist richtig begeistert von seiner Idee. "Das ist eine tolle Idee! Was meinst du dazu, Liebling?" "Ich habe heute leider überhaupt keine Zeit", entgegne ich entschuldigend und schiebe mir eine Gabel voll Reis in den Mund, "Wir schreiben Montag eine wichtige Matheklausur, für die ich dieses Wochenende unbedingt lernen muss." Jürgen sieht mich bedeutungsvoll an. "Och, das ist aber schade. Dann werde ich demnächst wohl etwas mit Charlotte unternehmen müssen, wenn du keine Zeit für mich hast..." Mir stockt der Atem. Das kann er doch nicht machen! Nicht mit meiner kleinen Charlie! "W-wenn es dir so wichtig ist, werde ich mir ein paar Stunden Zeit nehmen...", stammel ich und Jürgen grinst mich hinterhältig an, was Mutter aber leider nicht bemerkt. Nach dem Essen gehe ich in mein Zimmer und fange an meine Hausaufgaben zu machen, wobei diese nicht allzu gut werden. Ich kann mich nicht sonderlich gut konzentrieren. Immer wieder schweift mein Blick zur Uhr und mit jeder Minute, die verstreicht, werde ich nervöser. Nur noch eine Stunde und dann gehen Mutter und Charlotte zum Ballett... Am liebsten würde ich mitgehen nur dann erzählt Jürgen meiner Mutter, dass ich auf Männer stehe und das wäre der Untergang. Meine Mutter ist extrem konservativ und für sie ist Homosexualität eine Krankheit und ich bin mir sicher, dass sie mich nicht mehr als ihren Sohn anerkennt, sollte sie je herausfinden, dass ich schwul bin. Leider Gottes hat Jürgen mich mal mit einem anderen Jungen beim Knutschen erwischt und seit dem erpresst er mich damit, dass er meiner Mutter alles erzählt, wenn ich nicht das tue, was er verlangt. Und leider verlangt er sehr oft Dinge von mir... Eigentlich jedes Mal wenn ich mit ihm alleine bin... Die Zeit ist mal wieder viel zu schnell vergangen, denn da höre ich schon Mutter rufen. "Wir sind dann jetzt weg. Bis in drei Stunden. Viel Spaß euch beiden!" Die Haustür fällt ins Schloss und nur wenig später höre ich Jürgens Schritte auf der Treppe. Ich schlucke. Kann er nicht einfach wieder gehen? Aber natürlich ist mir das nicht vergönnt! Die Schritte kommen näher und schließlich öffnet sich die Tür meines Zimmers. "Dann wollen wir mal anfangen zu spielen! Die Regeln kennst du ja...", sagt er und kommt bedrohlich näher. Ich weiche angsterfüllt zurück. "B-bitte... nicht...", wimmere ich. "Jetzt zier dich nicht so! Du kennst unsere Vereinbarung!" Seine Stimme ist scharf und lässt keinen Widerspruch zu. Doch ich versuche dennoch ihn von seinem Vorhaben abzubringen. "Bitte... bitte... tu mir das nicht an... nicht schon wieder...", flehe ich und erste Tränen treten mir in die Augen. "Komm her!", befiehlt er barsch, doch ich kann seinem Befehl nicht folgen. Statt zu ihm zu gehen, weiche ich nur noch weiter zurück. Nun kommt Jürgen schnellen Schrittes auf mich zu und verpasst mir eine schallende Ohrfeige. "Wenn ich sage, dass du herkommen sollst, dann tust du es gefälligst! Verstanden?" Angsterfüllt blicke ich ihn an. Meine Wange brennt von der Ohrfeige, aber ich weiß, dass ich gleich noch viel schlimmere Schmerzen zu erdulden haben werde. "Zieh dich aus!" "Aber... bitte..." "Wird's bald oder muss ich nachhelfen?!", schreit er nun schon beinahe. Mit zitternden Fingen fange ich an meinen Gürtel zu lösen. Alles in mir sträubt sich dagegen, seinem Befehl Folge zu leisten, doch ich habe keine andere Wahl. Langsam ziehe ich meinen Reißverschluss runter und streife meine Jeans von meinen Beinen. Mein Shirt sowie meine Socken folgen. Nur noch mit Boxershorts bekleidet stehe ich vor ihm. "Runter damit!", fordert er scharf. Ich schlucke und beiße mir auf die Unterlippe, noch immer hoffend, dass er das vielleicht doch nicht von mir verlangt. Doch dieser winzige Hoffnungsschimmer ist chancenlos, denn auf mein kurzes Zögern folgt nur Sekunden später der energische Befehl: "Wird's bald?!" Aber meine Hände wollen mir nicht gehorchen und ich zögere weiterhin. Obwohl er das schon so oft von mir verlangt hat, ist es jedesmal eine Tortur. Jürgen ist mit meinem Zögern so gar nicht einverstanden. Mit zwei schnellen Schritte ist er bei mir, verpasst mir eine weitere harte Ohrfeige und reißt mir die Boxershorts eigenhändig vom Körper. Ich zittere und eine Gänsehaut bildet sich auf meinem Körper, doch nicht vor Kälte, sondern vor purer Angst. Manchmal, wenn ich seine Befehle Widerstandslos befolgt habe, ist er fast sanft zu mir und tut mir kaum weh. Aber meistens ist es so wie heute und ich versuche mich seinen Befehlen zu widersetzen, was nur unweigerlich zu einer grausamen und brutalen Behandlung seinerseits führt. Brutal stößt er mich bäuchlings auf mein Bett, während er seine eigenen Hose öffnet. Ich versuche zu entkommen, doch er hält mich unerbittlich fest und presst mich auf mein Bett. Unbarmherzig dringt er in mich ein. Ich schreie vor Schmerz, doch das entlockt ihm nur ein hämisches Lachen. "Das gefällt dir doch!", grinst er spöttisch. Immer wieder stößt er in mich. Tränen fließen über meine Wangen, doch das interessiert ihn nicht. Im Gegenteil. Als er bemerkt, dass ich weine, stößt er nur noch rücksichtsloser zu. Nach einiger Zeit stöhnt er befreit auf und ich spüre wie sich sein Samen in mir verteilt. Er zieht sich aus mir zurück und verlässt mein Zimmer. Zitternd und weinend liege ich auf dem Bett. Minuten. Stunden. Ich weiß es nicht. Irgendwann stehe ich auf und gehe ins Bad. Mein einziger Wunsch ist, mich unter die brühend heiße Dusche zu stellen und diesen auf mir klebenden Schmutz loszuwerden. Wie besessen schrubbe ich meine Haut, auch wenn ich weiß, dass ich ihn dadurch nicht los werde, denn die Erinnerungen werden mich immer wieder heimsuchen und sich wiederholen. Nach der Dusche ziehe ich mich in mein Zimmer zurück und vergrabe mich in der hintersten Ecke meines Bettes. Es ist egal, dass er vor kurzem noch hier war und mir solch grausame Schmerzen zugefügt hat. Immer weitere Tränen strömen aus meinen Augen und ich klammere mich an mein Kissen. Ich höre wie die Haustür aufgeht. Mutter und Charlotte werden zurück sein. Rasch schalte ich das Licht aus und stelle mich schlafend. Wenn sie sehen würden, dass ich geweint haben, würden nur missgünstige Fragen aufkommen, die ich zu beantworten nicht bereit bin. Niemals bereit sein werde. Mutter kommt in mein Zimmer. Sie setzt sich einen Moment zu mir aufs Bett, gibt mir einen Kuss auf die Stirn und streicht mir sanft durchs Haar, ehe sie das Zimmer verlässt, um meine Schwester zu Bett zu bringen. Ich bin erschöpft und möchte nur noch schlafen, aber ich kann nicht. Zu groß ist die Angst, dass er heute Nacht noch einmal wiederkommt. Außerdem habe ich viel zu große Schmerzen um Einschlafen zu können. Vorsichtig betaste ich meine Rosette und spüre noch immer einen leichten Blutfluss. Wie jedesmal. Eigentlich könnte man meinen, dass ich mich nach all der Zeit daran gewöhnt haben müsste, aber das habe ich nicht und das werde ich auch nie! Wie gerne würde ich mich gegen Jürgen zur Wehr setzen, aber er hat mich in der Hand und auch körperlich bin ich ihm weit unterlegen. Irgendwann überfällt mich aber doch die Müdigkeit und ich schlafe ein. ~*~* Am nächsten Morgen fühle ich mich noch immer wie durch einen Fleischwolf gedreht. Jede Bewegung schmerzt und ich schleppe mich nur mit Mühe zum Frühstückstisch, wo Charlotte, Mutter und Jürgen schon auf mich warten. Verschlafen begrüße ich sie und setze mich an meinen Platz, um sofort vor Schmerzen wieder zusammenzuzucken. "Was ist denn los, Liebling?", fragt mich Mutter. Doch ehe ich antworten kann, reißt Jürgen schon das Wort an sich. "Er wird wohl Muskelkater haben. Schließlich waren wir gestern beim Sport." Dabei sieht er mich wieder bedeutungsvoll an und mir bleibt nichts anderes übrig, als zu nicken. Nach dem Frühstück kündigt Mutter an, dass sie Charlotte gleich zu einer Freundin bringen werde und macht sich auch nur eine Viertelstunde später auf den Weg. Zwar bin ich jetzt wieder mit ihm alleine, doch Mutter wird in spätestens zwanzig Minuten wieder hier sein, also ist die Zeit für ihn zu knapp, um mir etwas antun zu können. Als Mutter und Charlotte weg sind, machen Jürgen und ich uns daran, den Tisch abzuräumen und abzuwaschen. Dabei berührt er mich ständig wie zufällig am Hintern. "Tut es noch doll weh?", haucht er in mein Ohr, "Sei das nächste Mal einfach mal ein bisschen netter zu mir, dann wird es für dich vielleicht auch schön..." Wutentbrannt schlage ich seine Hand weg. "Lass deine dreckigen Pfoten von mir, du perverses Arschloch!", fauche ich, doch das hätte ich vielleicht besser nicht tun sollen, denn nur Sekunden später landet Jürgens Hand klatschend auf meiner Wange. "Wag es nicht, so mit mir zu sprechen!" Aber das stachelt meinen Zorn nur noch mehr an. "Ich rede mit dir, wie ich es will! Macht es dich an, dich an jüngeren zu vergreifen?! Such dir für deine perversen Spielchen gefälligst jemand anderen!", schreie ich. "Das hast du nicht umsonst gesagt!", schreit Jürgen nun ebenfalls. Er packt mich am Kragen und schleudert mich gegen den Kühlschrank, ehe seine Faust beginnt, schmerzhaft auf mich niederzukommen! Zülal Als ich heute morgen aufwache, bin ich noch immer müde. Am liebsten wäre ich noch ein wenig länger im Bett geblieben, aber meine Mutter ruft nach mir, weil es Frühstück gibt. Langsam stand ich auf und zog mich an. Nachdem ich mich fertig gemacht habe, sitze ich nun unten in der Küche und esse. Noch bin ich zu verschlafen, um mich an dem Familiengespräch zu beteiligen, als meine Mutter mich fragt : " Na, hast du heute etwas vor?" Ich schrecke auf, als sie mich plötzlich so direkt anspricht. " Ähm, ich weiß nicht ", antworte ich. " Ich könnte ja mal zur Abwechslung Elliot besuchen gehen, den habe ich lange nicht mehr gesehen ". Während ich weiteresse denke ich darüber nach. Ob er wohl Zeit hat? Ich will ja nicht einfach so mit der Tür ins Haus fallen. Und werde ich ihn auch nicht stören, wenn ich ihn spontan besuche? Ich könnte ihn ja anrufen... Als ich mit dem Essen fertig geworden bin, helfe ich meiner Mutter beim abräumen. Danach schlenderte ich hoch in mein Zimmer, als ich mein Mathebuch bemerke. Nein...es ist nicht meins. Das kann nicht sein, weil mein Exemplar im Bücherregal liegt...Ich schlage das Buch auf und mir fällt ein, dass das Buch Elliot gehört. Ja...das steht sein Name drin. Ich hatte völlig vergessen, dass ich mir seins ausgeliehen habe, weil mein Buch an dem Tag zu Hause war. Also hatte ich doch einen Grund, bei ihm vorbeizuschauen. Ohne Buch kann er schließlich keine Hausaufgaben machen. Somit packe ich mir schnell meine Jacke und das Mathebuch, sage meiner Mutter Bescheid und gehe raus. Es ist ganz schön kühl geworden. Der Sommer war längst vorbei und der Herbst machte sich bemerkbar. Ich hätte auch einen Schal mitnehmen sollen...aber bis ich bei Elliot zu Hause bin, sind eh keine zehn Minuten vorbei. Komisch eigentlich, dass ihm das mit dem Mathebuch nicht selbst eingefallen ist. Schließlich haben wir morgen eine Doppelstunde bei der A....und die nimmt es gar nicht gut auf, wenn jemand seine Hausaufgaben nicht hat. Naja, vielleicht hatte Elliot ja anderes um die Ohren. Während ich so darüber nachdenke, bemerke ich, dass ich zwei Nummern zu weit gegangen bin. Typisch! Ich glaube, die anderen haben Recht. Ich bin tatsächlich ein wenig verpeilt. Als ich vor seiner Tür stehe und klingen möchte, höre ich seltsame Geräusche aus dem Haus. “Ich rede mit dir, wie ich es will! Macht es dich an, dich an jüngeren zu vergreifen?! Such dir für deine perversen Spielchen gefälligst jemand anderen!” Das hört sich sehr nach Elliot an. Aber warum schreit er so? Und mit wem streitet er sich denn? Das muss ja ganz schön ernst sein... Ich habe ein schlechtes Gewissen, weil ich hier stehe und mir das anhöre, obwohl ich weiß, dass sich das nicht gehört. Aber bevor ich irgendetwas tun kann, höre ich jemanden - seinen Stiefvater Jürgen - brüllen: “Das hast du nicht umsonst gesagt!” . Mein Blick huscht zu dem Küchenfenster, von wo die Schreie herkommen. Und bevor ich es realisiert habe, schlägt Jürgen Elliot mitten ins Gesicht! Ich keuche erschrocken auf. Wie konnte er nur? Was fiel ihm ein? Das konnte er doch nicht machen! Das läuft ja alles aus dem Ruder! Wie gelähmt stehe ich da, mit weit aufgerissenen Augen. Ich kann jetzt nicht einfach gehen. Ich kann nicht so tun, als wäre nichts gewesen. Ich muss ihm helfen! Bevor ich darüber nachdenken kann, wie um alles in der Welt ich das anstellen soll, trommel ich panisch gegen die Tür. Hoffentlich lässt er von ihm ab! Er darf Elliot nicht wehtun! " Jetzt mach doch mal einer auf!", flüstere ich wimmernd. Aber ich sollte nicht lange warten. Gerade in dem Augenblick wird mir langsam die Tür geöffnet und ich schaue Jürgen in die Augen. " Was willst du denn hier?", lautet seine Begrüßung. Sofort bin ich eingeschüchtert. " Ähm, hallo, ich...wollte zu Elliot. Ist er da?" " Nein. Er ist weg. ", entgegnet er grob. " Ähm, es ist nur...ich wollte ihm sein Mathebuch wiedergeben...ich habe es aus Versehen eingesteckt...", noch bevor ich ausreden kann, schnappt er sich mein Buch aus der Hand und sagt knapp: " Ich werde es ihm geben. Sonst noch was?" Er ist ja richtig unfreundlich heute. So habe ich ihn noch nie erlebt. Aber ich schüttel bloß den Kopf, da ich kein Wort herausbringe. Ohne irgendetwas zu sagen, schlägt er die Tür zur und lässt mich einfach stehen. Kapitel 12: ------------ Ashlee So ein großes Durcheinander habe ich noch nie erlebt. Und das auch noch auf einer Trauerfeier. Aber dennoch kann ich Desmond irgendwie nicht böse sein. Irgendetwas schlimmes muss ihn dazu verleitet haben. Er kann doch sonst nicht so böse sein! Ich kann mich doch nicht so in ihn täuschen… Alle schauen geschockt zu, wie mein süßer Desmond brutal weggetragen wird und auch seine Schwester scheint es nicht besser zu ergehen. Am liebsten würde ich ihm helfen, aber leider weiß ich, dass das nichts bringen wird. Was soll ich auch schon ausrichten können? Armer Desmond, ich hoffe es geht dir gut! Was haben die nur mit dir vor? Man kann es sich kaum vorstellen, dass das hier eine Trauerfeier ist. Alle Gäste reden durcheinander und führen angestrengt Diskussionen darüber was so eben geschehen ist. Jeder will seine Meinung kundgeben, aber niemand interessiert wie es Desmond nun geht. Keiner hat ein gutes Wort für ihn übrig. Alle sind sich einig. Er muss eine strenge Strafe bekommen! Ich habe Angst um ihn, denn von den Bestrafungsmethoden des Rates habe ich noch nie etwas gutes gehört oder gelesen. Bei dem Gedanken des letzten Zeitungsartikels den ich gelesen habe, lässt es mich erschauern. Hoffentlich erwartet meinem Schatz nicht dasselbe… „Das ist doch wirklich kaum vorstellbar!“, nehme ich Vaters Stimme neben mir war. Dieser unterhält sich gerade mit meiner Mutter und zwei älteren Herren. Ich kenne diese Herren, aber wer kennt die auch nicht? Zwei der Ratsfürsten, zu denen Vater liebend gerne auch gehören würde. Aber der Weg dahin ist schwierig, denn vorerst muss man 150 Jahre als Ratsmitglied gedient haben und diese Plätze sind rar. Nur zehn Vampire haben diese Ehre und nur die wenigstens haben die Chance anschließend in die Fußstapfen der vier Ratsfürsten zu treten, wenn diese sich zur Ruhe setzen oder noch eine Stufe aufsteigen. Die mächtigste Position, die es gibt. Der Vampirlord! „Da muss ich dir wirklich Recht geben. Wir haben schon lange geahnt, dass dieser Tag nicht ohne Zwischenfälle abläuft. Obwohl wir es uns natürlich sehr gewünscht hätten. Aber dafür kennen wir die Alucard Zwillinge leider zu gut.“, entgegnet einer der Herren. Was meint er nur damit? Wieso macht er so eine abfällige Bemerkung zu den Zwillingen? Am liebsten würde ich Nachfragen, aber das gehört sich nicht. Ich möchte mir gar nicht ausmalen, was das für einen Ärger geben würde, wenn ich jetzt auch nur ein einziges Wort sagen würde. Ich muss mich gedulden, vielleicht verlieren sie ja noch ein paar Worte darüber im Gespräch. Gespannt lausche ich weiter den Stimmen… „Aber das musste Anchoret doch gewusst haben! Wieso hat er das nicht verhindert? Das ist doch unverantwortlich!“, empört sich Vater und Mutter steht nickend neben ihn. „Genau das ist es ja! Keiner kennt seine Kinder besser, als der eigene Vater! Wie oft haben wir ihn in den letzten Wochen ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er diese vor allem in Bezug auf die Trauerfeier in den Griff bekommen soll. Gerade unter dem Gesichtspunkt, was von dem heutigen Tag alles für Anchoret abhing!“, sagt der Herr mit enttäuschter Miene. „Sie werden ihm doch wohl nicht die Stelle geben?“, fragt Vater erschrocken nach. „Das können wir dir leider nicht sagen. Das wird der Vampirlord entscheiden müssen. Aber wenn es nach uns gehen würde, hätte er von Anfang an keine Chance haben dürfen überhaupt für diese Stelle zu kandidieren.“, mischt sich der zweite Herr ein. „Es ist doch unverantwortlich einem Vampir eine Stelle im Rat anzubieten, wenn er nicht einmal in der Lage ist seine eigenen Kinder richtig zu erziehen! So viel, wie sich die beiden schon geleistet haben und dann auch noch das hier!“, fährt der andere fort. „Man hätte ihm schon vor Jahren sämtliche Befugnisse entziehen sollen. So einen überhaupt noch in dem öffentlichen Dienst arbeiten zu lassen. Das ist doch eine Schande!“, regt Vater sich auf. „Jetzt denk doch nicht immer nur an das berufliche.“, ermahnt Mutter ihn. „Es ist doch viel schlimmer, was durch sein Fehlverhalten aus den Kindern geworden ist. Die können doch nichts dafür, dass sie so geworden sind. Ihnen hat es nur an der Erziehung gefehlt. Wenn sich damals doch nur einer um die beiden gekümmert hätte und Anchoret die Erziehung entzogen hätte, dann wären es gewiss zwei liebevolle Wesen geworden…“, sagt Mutter bedrückend. „Da hast du schon Recht, Liebes. Nur leider haben wir erst viel zu spät erkannt, was für Missstände im Hause der Alucards herrschen.“, sagt Vater fürsorglich. „Aber zum Glück können wir uns nichts in unserer Erziehung vorwerfen. Wir haben zwei liebevolle, fleißige Töchter groß gezogen. Und mit etwas Anstrengung wird unsere kleine Ashlee später auch so berühmt und erfolgreich wie ihre reizende Schwester Violetta.“, prahlt Vater und wirft mir einen strengen Blick zu. Violetta! Wenn ich den Namen schon höre! Wieso wollen die nur, dass ich unbedingt so werde wie sie? Wieso kann ich nicht meinen eigenen Weg gehen? Muss den das ganze Leben aus Disziplin, Ordnung und Fleiß bestehen? Das ganze Leben von Macht- und Rangkämpfen durchzogen sein? Plötzlich verstummen alle. Anchoret betritt zusammen mit einigen Ratsherren, unter ihnen auch der Vampirlord, den Raum. Alle schauen zu ihnen und Anchoret tritt in die Mitte. Man merkt ihn an, wie wutgeladen er ist. Wie er sich zusammen reißen muss. Und wie enttäuscht er doch von Desmond ist. Aber er ist allen Anwesenden Rechenschaft schuldig und muss die Situation bestmöglich lösen. Es dauert eine ganze Weile bis er endlich zu sprechen beginnt. Er hat die volle Aufmerksamkeit… „Es tut mir schrecklich leid, was sie soeben miterleben mussten. Ich bin untröstlich und hätte niemals mit so etwas gerechnet. Ich bin immer noch geschockt, wie das geschehen konnte. Ich bitte sie alle, vielmals um Entschuldigung! Auch in Namen meiner Kinder und vor allem im Namen meines Sohnes. Ihm tut es schrecklich Leid, was er von sich gegeben hat. Erst jetzt ist ihm klar geworden, was er gesagt hat. Natürlich kann man dieses Verhalten nicht entschuldigen, aber man muss wissen, dass meine Kinder und vor allem Desmond sehr an ihre Mutter gehängt haben. Der Schmerz sitzt immer noch tief und gerade erst mussten sie die tragische Wahrheit von dem Tod ihrer Mutter erfahren. Ich versichere ihnen, dass wir uns intensiv um ihn kümmern werden und notfalls auch ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen werden.“ Sieht Desmond wirklich sein falsches Verhalten ein? Oder versucht der Vater nur alle zu beruhigen? Ich würde es mir so sehr wünschen, dass sein Vater Recht hat. Das es wirklich der Grund für sein Verhalten ist. Was ist damals nur genau vorgefallen? Ich habe zwar schon mal was davon gehört, aber so ganz genau weiß ich es nicht mehr. Vielleicht sollte ich Vater mal… „Trotz dieses bedauernswerten Zwischenfalles sollten wir dennoch nicht vergessen, wieso wir uns hier versammelt haben. Wir befinden uns immer noch auf der Trauerfeier meiner geliebten Frau. Und in diese Situation und Stimmung sollten wir uns zurückversetzen. Auch wenn es schwer fällt. Den Toten zu Liebe muss eine Trauerfeier zu Ende geführt werden und daher bitte ich sie nun alle zu uns in unsere Villa zu fahren. Damit wir so gut es geht mit den Feierlichkeiten weitermachen können.“, mit diesen Worten verneigt sich Anchoret und schreitet Richtung Ausgang. Langsam beginnen ein paar zu klatschen und immer mehr stimmen mit ein. Auch wenn sich die Meinung aller in zwei Hälften spalten dürfte, Verachtung und Bewunderung wie er mit dieser Situation umgeht… „Ein guter Redner ist er ja, das muss man ihm lassen.“, gibt Vater von sich. „Aber jetzt eine Trauerfeier weiterzuführen wird schwierig werden. Jeder fragt sich doch gerade, ob man dieser Familie noch trauen kann!“ „Aber Emerald! Der Frau zu Liebe muss man…“, doch da wird Mutter schon von ihm unterbrochen. „Ja, ich weiß Liebling. Aber das ist nun die Aufgabe von den engeren Familienmitgliedern. Wir haben hier nichts mehr verloren und sollten uns raushalten. Mögen die anderen das beste aus der Sache machen.“, versucht er sie zu beschwichtigen. „Da hast du wohl Recht. Ashlee, komm! Wir gehen jetzt zum Auto und fahren nach Hause.“, fordert mich Mutter auf. Dieser Vorschlag gefällt mir gar nicht. Ich möchte mehr erfahren. Ich möchte wissen, was mit Desmond los ist. Wie es ihm jetzt geht und nicht nach Hause fahren und warten müssen bis ich morgen Vater vorsichtig ausfragen kann. Aber mir bleibt keine andere Wahl. Gehorsam folge ich den beiden… Desmond Mit einem lauten Knall fliegt die Tür meines Zimmers auf und ich schrecke auf. Wutentbrannt kommen sowohl Großvater und Vater als auch der Vampirrat in mein Zimmer. Geschockt starre ich sie an. Dass Vater und Großvater zu mir kommen würden, um mich zu bestrafen, hatte ich gar nicht anders erwartet, aber dass nun auch der Rat in mein Zimmer kommt, verwirrt mich. Und nicht nur das. Dass der Rat hinzugekommen ist, macht mir noch mehr Angst, als die Tatsache, dass Vater mich gleich auf eine schmerzhafte Art und Weise bestrafen wird. Wieso Großvater dabei ist, weiß ich zwar auch nicht, aber ich vermute, dass er meiner Bestrafung beiwohnen will, um sich an meinem Schmerz zu ergötzen. Doch viel Zeit habe ich nicht zum Nachdenken, denn da richtet bereits einer der Ratsherren das Wort an mich. “Aufgrund deiner Eskapaden am heutigen Abend, welche die Krönung deiner bisherigen Taten darstellen, haben wir einvernehmlich beschlossen, dass du ab morgen Abend die nächsten zwei Wochen in der Jugendarrestanstalt “Dolor Crudelitas” verbringen wirst.” Geschockt sehe ich den Rat an. Ich habe die Worte zwar gehört, aber ich kann sie nicht realisieren und einordnen. Zu schockiert bin ich von der Tatsache, dass sie überhaupt hier oben waren. Ich grüble weiterhin über den Sinn der Worte nach, als der Rat mein Zimmer mit einem höhnischen Grinsen auf den Lippen wieder verlässt. Während Großvater im Hintergrund bleibt, kommt Vater schnellen Schrittes direkt auf mich zu. Er packt mich am Kragen, reißt mich aus meinem Sarg und verpasst mir ein gutes Dutzend Ohrfeigen! Die Schläge sind hart, meine Wangen brennen wie Feuer und ich schmecke Blut. Kaum, dass ich stehe, versuche ich zurückzuweichen. Doch Vater hält mich unerbittlich fest und schlägt mir abermals ins Gesicht. “WAS FÄLLT DIR EIGENTLICH EIN?!”, schreit er wütend, “MACHT ES DIR SPAß MICH ÜBER ALLE MAßEN BLOßZUSTELLEN?!” Ich antworte nicht und senke den Blick, was eine weitere schallende Ohrfeige zur Folge hat. “ANTWORTE GEFÄLLIGST!!!”, herrscht er mich an. “Es... es... es tut mir Leid...”, hauche ich leise. “WEIßT DU EIGENTLICH, WAS VON DIESEM ABEND ALLES ABHING? ICH WÄRE FAST EIN MITGLIED DES VAMPIRRATS GEWORDEN UND DANN KAM DEINE REDE UND HAT ALLES RUINIERT!!! UND NICHT GENUG, DASS DU DIESE BESCHÄMENDE REDE HÄLST! NEIN! DU BIST AUCH NOCH STURZBETRUNKEN! ABER DAS WIRD EIN NACHSPIEL HABEN! DAS VERSPRECHE ICH DIR!” Mit jedem von Vaters Worten zucke ich mehr zusammen. Die Angst vor der Rede selbst war nicht so groß wie die, die ich jetzt verspüre. Kaum, dass Vater zu Ende gesprochen hat, zieht er auch schon seinen Gürtel aus seiner Hose. Angsterfüllt sehe ich zu ihm auf, als mich auch schon der erste Hieb trifft. Ich schreie gepeinigt auf und sinke zu Boden. Und jetzt gibt es für Vater kein Halten mehr! Wie besessen prügelt er auf mich ein! Ich spüre, wie meine Haut unter der Wucht der Schläge aufplatzt, spüre das Blut, welches aus meinen Wunden strömt. Grausame Schmerzen durchströmen meinen Körper und ich wünsche mir nur noch, dass Vater endlich von mr ablässt. Irgendwann hört er auf zuzuschlagen und richtet sich erschöpft auf. Ich liege gepeinigt und wimmernd am Boden und will nur noch allein sein, als ich plötzlich Großvaters Stimme vernehme. Ich habe ganz vergessen, dass er ja auch noch da ist. “Soll das etwa schon alles gewesen sein, Anchoret?”, herrscht er Vater an. Vater wirft einen prüfenden Blick auf mich, der ich mich noch immer vor Schmerzen am Boden krümme. Vater nickt. “Er hat genug. Die Tracht hat gereicht.” “Das glaubst du doch wohl selber nicht!”, schimpft Großvater. “Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass diese schwächlichen Hiebe diesem missratenen Bengel Manieren beigebracht haben!” Großvater greift sich seinen Gehstock und kommt nun seinerseits auf mich zu. Erschrocken und angsterfüllt versuche ich zurückzuweichen, doch da trifft mich schon der erste Schlag mit dem Stock. Gequält stöhne ich auf. Zum Schreien fehlt mir jegliche Kraft. Großvater schlägt wie in Rage auf mich ein. Immer wieder trifft mich sein Gehstock. Weitere Wunden platzen auf und auch mein Gesicht bleibt von den Hieben nicht verschont. Ich spüre wie mein Blut aus einer Platzwunde an der Stirn strömt und auch meine Nase hat wieder zu bluten angefangen. Regungslos liege ich am Boden. Nicht fähig, mich zu bewegen. Endlich lässt Großvater von mir ab und er und Vater verlassen mein Zimmer, mich rücksichtslos am Boden liegen lassend. Doch ehe sie das Zimmer verlassen haben, dreht Vater sich noch einmal zu mir um. “Und du kannst deine Sachen packen!”, herrscht er mich an. Verwirrt hebe ich den Kopf. “Wie... wieso?”, quäle ich hervor. “Sag mal hörst du schwer? Der Rat hat beschlossen und dir vorhin höchstpersönlich mitgeteilt, dass du für deinen Alkoholmissbrauch ab heute Abend die nächsten zwei Wochen in der Jugendarrestanstalt “Dolor Crudelitas” verbringen wirst!” Mit diesen Worten verlässt Vater das Zimmer. Wie erstarrt liege ich auf dem Boden. Ich kann nicht fassen, was ich da gerade gehört habe! Der Rat hat tatsächlich beschlossen, mich nach “Dolor Crudelitas” zu schicken! “Dolor Crudelitas” ist die strengste Jugendarrestanstalt, die es für Vampire nur geben kann. Laut dem, was man so hört, hat sie Ähnlichkeit mit der Vampire Academy nur noch viel schlimmer... Langsam versuche ich mich auf die Beine zu kämpfen, um zu meinem Sarg zu kommen, aber ich habe keine Kraft mehr. Nach zwei erfolglosen Versuchen sacke ich erschöpft auf dem Boden zusammen. Ich kann nicht mehr. Höllische Schmerzen durchziehen meinen Körper bei jeder noch so kleinen Bewegung. Selbst das Atmen tut weh. Wie soll ich die nächsten zwei Wochen nur in “Dolor Crudelitas” überstehen, wenn ich mich so schon kaum rühren kann? Ich muss unbedingt in meinen Sarg zurück, denn nur dort hat mein Körper die Chance, sich wieder vollständig zu heilen. Doch wie soll ich das nur schaffen? Gedanklich versuche ich eine Verbindung zu Flora herzustellen. >... Flora...<, rufe ich sie leise, >... hilf... mir...< Dieser letzte verzweifelte telepathische Hilfeschrei hat nun auch meine restlichen Kräfte aufgebraucht und ich kann mich nur gerade noch so bei Bewusstsein halten, als die Verbindungstür aufgeht und Flora in mein Zimmer stürzt. “Oh Gott, Desmond, was haben sie dir nur angetan?” Geschockt sieht sie mich an und Tränen schimmern in ihren Augen, als sie mich vorsichtig hochhebt und zu meinem Sarg schleppt. Ich versuche ihr so gut es geht zu helfen, aber ich habe kaum noch Kraft. Nach schier endlosen Minuten liege ich endlich wieder in meinem Sarg. Unsägliche Schmerzen durchziehen meinen gesamten Körper. “... Heiltrank... im... Nachttisch...”, quäle ich mühsam hervor. Nur Sekunden später hat Flora den Trank gefunden und ich schlucke ihn unbeholfen hinunter. Meine Augen fallen langsam zu und ich habe keine Kraft mehr, um weiterhin wach zu bleiben. Schlafen... * ~*~ Als ich wieder aufwache, spüre ich einen warmen Körper neben meinem. Langsam wende ich den Kopf und erblicke Flora, welche friedlich neben mir schläft. Ein sanftes Lächeln huscht über meine Lippen. Vorsichtig versuche ich mich aufzurichten, aber noch immer habe ich höllische Schmerzen. Die meisten Wunden sind zwar, vermutlich von Flora, verarztet und verbunden worden, aber es tut immer noch weh. Besonders mein Brustkorb schmerzt teuflisch. Ich glaube, ich habe mir ein paar Rippen gebrochen. So weit es im Liegen geht, inspiziere ich meinen Körper. Mein gesamter Brustkorb ist verbunden und auch meine Arme weisen zahlreiche Verbände auf. Vorsichtig streiche ich mit meiner Hand über meine Stirn. Auch dort klebt ein großes Pflaster. Ach ja, Großvater hatte mich mit seinem Stock ja auch mehrfach im Gesicht getroffen. Ich werfe einen kurzen Blick auf meinen Wecker. Erst neun Uhr morgens. Der Rat wird mich vermutlich so gegen acht Uhr abends abholen lassen. Also kann ich mich auch noch ein bisschen ausruhen, bevor ich in die Hölle gehe. Ich lasse mich wieder in meinen Sarg zurücksinken und schließe die Augen, um noch ein paar Stunden Schlaf zu bekommen und meinem Körper noch ein wenig Erholung zu gönnen. *~*~ Als ich wieder erwache, liege ich alleine in meinem Sarg. Langsam und noch immer unter Schmerzen richte ich mich auf und werfe einen Blick auf die Uhr. Fünf Uhr nachmittags. So langsam sollte ich aufstehen und meine Sachen packen, doch da klopft es an meiner Tür. “Ja?”, spreche ich mit schwacher Stimme, als sich auch schon die Tür öffnet und Vater mein Zimmer betritt. “Wie geht es dir?”, fragt er und seine Stimme klingt fast fürsorglich, “Ich hoffe du weißt, was nachher auf dich zukommen wird.” Fragend sehe ich ihn an. Seit wann sorgt er sich denn um mich? Das hat er doch sonst nie getan. Vor allem nach der gestrigen Rede hätte ich niemals solche Worte von ihm erwartet. Er kommt näher, setzt sich auf den Rand meines Sarges, so wie er es früher immer getan hat, und streicht mir fast zärtlich durchs Haar. Ich weiche ein Stück zurück. “W-was willst du?”, frage ich skeptisch. Vater seufzt. “Desmond, es tut mir Leid, dass es soweit kommen musste.” Was soll das denn jetzt? Vater hat sich noch nie bei mir entschuldigt. “Ich weiß ja, dass du die Menschen, für das, was passiert ist, hasst, aber musstest du unbedingt auf der Trauerfeier deiner Mutter diese Hetzrede halten?” Ich antworte nicht und ich glaube, Vater erwartet auch gar keine Antwort. “Die Menschen mögen unserer Familie und vor allem dir sehr viel Schmerz bereitet haben, aber nicht alle Menschen sind so, Desmond!” Was will er von mir? Was soll dieses komische Gerede? “Ich weiß, dass sich das für dich sehr eigenartig anhören muss, aber versuche mich bitte zu verstehen. Dein Hass sollte sich nicht gegen alle Menschen richten, denn auch wir können in Frieden mit ihnen leben und auch nicht alle von ihnen hassen uns. Nur die Vampirjäger wollen unseren Tod. Die anderen Menschen, welche von unserer Existenz wissen, wollen ebenfalls den Frieden.”, spricht er. “Was willst du von mir?”, fauche ich, “Lass mich bitte allein! Ich muss noch packen!” Vater nickt nur und sieht mich traurig an, doch ich will von dieser Gefühlsduselei nichts hören, und so verlässt er mein Zimmer. Was sollte das denn jetzt? Wieso versucht er plötzlich meinen Hass auf die Menschen zu mindern indem er so tut, als würde er mich verstehen? Entnervt schüttel ich den Kopf. Ich habe jetzt keine Zeit, um darüber nachzudenken. So schnell es mir möglich ist stehe ich auf und ziehe meinen Koffer vom Schrank. Willkürlich werfe ich einige Klamotten hinein. Nur mit meinen Heiltränken bin ich vorsichtig, denn diese werde ich bestimmt noch brauchen. Als ich mit packen fertig bin, gehe ich ins Bad, um mich so gut es geht zu duschen. Vorsichtig löse ich das Pflaster an meiner Stirn. Es hat aufgehört zu bluten und die Wunde hat sich fast geschlossen, doch es wird eine Narbe zurück bleiben. Auch mein restlicher Körper sieht nicht besser aus. Nach und nach nehme ich die einzelnen Verbände ab. Es tut zwar noch weh, wenn ich mich bewegen, aber die meisten Wunden sind verheilt, auch wenn ich nun wieder einige weitere Narben mein eigen nennen darf. Langsam trete ich unter die Dusche und seife mich vorsichtig ein. Das warme Wasser tut gut und lindert meine verspannten Muskeln, so dass ich einige Zeit später nahezu entspannt aus der Dusche trete. Rasch gehe ich in mein Zimmer zurück und ziehe mir eine einfache dunkel Jeans und ein schwarzes Sweatshirt an. Meine Haare binde ich nur locker zusammen. Dann greife ich mir meinen Koffer und schleife ihn die Treppen hinunter. Unten in der Küche sitzen Lucern, Vater und Flora und reden über irgendetwas. Großvater ist nicht bei ihnen. Wo er nur sein mag? Aber egal, Hauptsache er ist nicht in meiner Nähe. Meinen Koffer im Flur stehen lassend trete ich ebenfalls in die Küche. Als Flora mich sieht, stürmt sie auf mich zu und fällt mir um den Hals. “Desmond! Zum Glück geht es dir besser.” “Es geht”, erwidere ich langsam, Vater und Lucern grüßend. Lucern erhebt sich langsam. “Desmond, es wird Zeit!” Ich nicke leicht und umarme Flora ein letztes Mal ehe ich Lucern aus der Küche folge. “Bleib stark, Kleines”, flüstere ich ihr noch zu. Dann verlassen Lucern und ich das Haus, um auf den Bus nach “Dolor Crudelitas” zu warten, welches sich in der Nähe der Vampirstadt Crepuscolo befindet. Nur wenige Minuten später ist der Bus auch schon da. Lucern hilft mir noch meinen Koffer einzuladen und drückt aufmunternd meine Schulter, bevor ich schließlich den Bus betrete. Langsam steige ich die Treppen zum Bus hoch. Ich bin nicht der Einzige. Es sitzen noch ca 10 weitere Vampire in meinem Alter im Bus. Mich aufmerksam umblickend lasse ich mich auf einen Platz im vorderen Bereich fallen, als der Bus auch schon losfährt. Traurig sehe ich aus dem Fenster. Flora steht in der Eingangstür und sieht dem Bus nach, wie dieser sich langsam vom Grundstück entfernt. Verdammt! Wie konnte es nur soweit kommen, dass ich jetzt schon in den Jugendknast komme? Und was sollten Vaters seltsame Worte vorhin? Da stimmt doch irgendwas ganz und gar nicht! Die Häuser und Bäume ziehen an mir vorbei und ich sehe noch immer konsequent aus dem Fenster. Die anderen im Bus interessieren mich nicht. Ich will diese verfluchten zwei Wochen nur so schnell wie möglich hinter mich bringen. Nach einige Stunden fährt der Bus endlich auf das Gelände von “Dolor Crudelitas”. Das Gebäude ist tiefgrau und sieht schon von weitem wie ein Hochsicherheitsgefängnis aus. Eine gut fünf Meter hohe Mauer umgibt das Gelände und ich spüre die Magie, welche auf ihr liegt. Wir steigen aus dem Bus. Langsam blicke ich mich um. So was wie Freude scheint an diesem Ort nicht zu existieren... Ich will hier weg! Das wird wohl noch ne ziemlich harte Zeit werden. In was bin ich da nur hineingeraten? Als wir alle auf dem Hof stehen, tritt ein ziemlich streng aussehender Mann mit hartem und kaltem Blick aus der schweren Eingangstür und direkt auf uns zu. Mit festen Schritten kommt er auf uns zu und bleibt genau vor uns stehen. “Ihr seid hierher gekommen, weil ihr zu viele Scheiße gebaut habt, um weiterhin in der Vampirgesellschaft akzeptiert zu werden! Und hier sollt ihr auf den Pfad der Tugend zurückgeführt werden! Es wird eine harte Zeit für jeden von euch, in der ihr wieder lernen sollt, euch wie anständige Vampir zu verhalten!”, schreit er und seine Stimme jagt mir eine Gänsehaut über den Rücken. Während er die Regeln und Bestrafungen aufzählt, höre ich nicht wirklich hin. Ich lasse meinen Blick über die anderen wandern. Sie sehen genauso angsterfüllt aus, wie ich mich fühle. Hier geht es ja zu wie in einer Kaserne. Endlich kommt er zur Aufteilung. Jetzt muss ich aufpassen. Zelle 413. Ok, das kann ich mir merken. “Wegtreten!”, ist sein letztes Wort und ich schnappte mir meinen Koffer, um mich möglichst rasch zu meiner Zelle zu begeben. Ich habe zwar nicht genau zugehört, aber es scheint, als würde man hier überhaupt kein Blut bekommen! Wie soll ich das nur aushalten?! Obwohl... Zwei Wochen gehen ja noch. Wie schlimm muss es erst denen gehen, die längere Zeit hier sind? 411... 412... 413. Hier muss es sein. Langsam stoße ich die Tür auf und sehe mich in der Zelle um. Naja... komfortable ist was anderes... ein Schreibtisch mit Stuhl, ein kleiner Schrank und ein Bett füllen den kleinen Raum aus. Nicht mal einen Sarg habe ich hier! Wie soll ich bloß in einem BETT schlafen?! Das ist einfach nur grauenhaft. Kein Blut, kein Sarg... wie soll ich das nur überstehen. Ach, Flora, wenn du jetzt nur bei mir wärst... Flora Zusammengekauert hocke ich hinter der Verbindungstür von Desmonds und meinem Zimmer. Mit jedem Schrei fahre ich mehr zusammen. Wie können die nur so brutal zu Desmond sein? Merken die nicht, wie schlecht es ihm geht? Was für Schmerzen er hat? So etwas hätte ich Vater niemals zugetraut, auch wenn seine Bestrafungen schon ziemlich brutal sind… Liegt es vielleicht an Großvater? Aber ich will es nicht wahr haben. Dennoch, es ist offensichtlich… Großvater spielt eine wichtige Person in meinem Leben. Damals haben wir viel Zeit miteinander verbracht. Er hat mich wieder oder zu mindestens für einen kurzen Moment Freude am Leben finden lassen. Er war da, als es mir so schlecht ging. Wo sich meine Probleme überschlagen haben. Er hat mir sehr geholfen. Bei ihm habe ich mich geborgen gefühlt. Er war immer nett und fürsorglich für mich. Schon damals hat er Desmond gehasst. Aber ist er wirklich so ein Monster geworden? Ein Monster, das meinem Bruder umbringen will? Schon lange musste ich mit ansehen, wie sich die Lage immer verschlimmerte, aber ich habe es ignoriert. Ich wollte, dass meine Traumwelt aufrechterhalten wird. Ich wollte sie nicht platzen lassen. Sie hat mir so viel halt gegeben. Aber nun… Soll ich das wirklich weiter ignorieren können? Oder fasse ich den Mut Großvater zu wiedersprechen? Fragen über Fragen, die mich zur Verzweiflung bringen. Ich kann nicht mehr…ich will nicht mehr…es darf einfach nicht sein… Doch mit jedem Schrei von Desmond weiß ich, es ist so! Das Monster existiert! Auch wenn ich es lieber anders haben möchte. So wird es nie wieder sein, so war es nie… Die Worte von Großvater dröhnen in meinem Kopf. Wie kann er nur so etwas sagen? Und wie kann Vater das zulassen? Bedeutet ihm Desmond denn gar nichts? Ich fühle mich so schäbig. Einfach nur hinter der Tür zu sitzen und nichts machen zu können. Meinem Bruder Leiden zu hören und ihm nicht helfen zu können… Ich bin so froh, als Desmonds Schreie verstummen und nur noch ein leises Wimmern zu hören ist. Auch wenn dieses mir noch mehr Angst macht. Wie haben sie ihn nur zugerichtet? Dennoch, es ist ein Lichtblick. Denn Großvater und Vater verlassen endlich sein Zimmer. Keine erneuten Schläge. Jetzt kann es nur noch besser werden, hoffe ich… Doch Vaters letzten Worte lassen meine Hoffnung sterben. Das darf nicht wahr sein! Das können die doch nicht machen! Desmond in einer Jugendarrestanstalt? Und auch noch in der schlimmsten die es gibt… Und ich? Mir geht es gut. Mich hat man nicht geschlagen. Mich steckt man nicht in die Anstalt. Das ist so ungerecht! Wie konnte ich es nur zulassen mich auf diese Idee einzulassen. Wir hätten die Rede vor allen deutlich zusammenhalten sollen. Zu zweit ließe sich die Zeit wesentlich besser durchstehen. Dann hätte Desmond vielleicht nicht so viele Schläge abgekommen und wir würden nicht für zwei Wochen getrennt werden. Wie sollen wir das nur durchstehen? Wir haben doch in der letzten Zeit keinen Schritt ohne den anderen gemacht. Ich will nicht, dass er weggeht… Aber ich kann es nicht verhindern. Im Moment zählt nur eins für mich. Desmond helfen! Alles andere kann man nun ehe nicht mehr verhindern, aber zu mindestens müssen seine Wunden verarztet werden. Denn sonst wird er die zwei Wochen niemals überstehen… Immer noch vernehme ich deutlich das Wimmern. Verzweifelt versuche ich noch einmal den Türknopf zu drehen. Auch wenn ich genau weiß, dass diese immer noch verschlossen ist. Es kommt mir wie eine halbe Ewigkeit vor, bis mir der entscheidende Gedanke kommt. Der Zweitschlüssel! Als wir hier eingezogen sind, hingen an dem Schlüsselbund zwei Schlüssel. Wir wussten genau, dass der zweite Schlüssel für uns einmal von großem Nutzen sein wird. Daher haben wir ihn, ohne das Vater es gemerkt hat, vom Schlüsselbund entfernt und in meinem Schmuckkästchen versteckt. Wie gut, dass wir ihn bei mir im Zimmer versteckt haben. Denn bisher sind wir noch nicht dazugekommen ein zweites Exemplar nachzumachen… Blitzschnell stehe ich auf und suche mein Schmuckkästchen. Es hat seinen festen Standort auf meiner Kommode. Wenn ich nur den Schlüssel darin…ah, hier! Endlich halte ich ihn in den Händen. Mir geht das alles viel zu langsam. Vor Aufregung benötige ich sage und schreibe drei Versuche, dieses blöde Schlüsselloch zu treffen. Aber jetzt steckt er drin. Ruckartig drehe ich ihn herum und reiße die Tür auf. Doch was ich nun sehe, lässt mich wieder für einen Moment erstarren. So viel Blut…Desmond… Mit diesem Ausmaß hätte ich niemals gerechnet. Desmond, was für Schmerzen musstest du nur eben erleiden… Und welche Schmerzen müssen sich jetzt noch in deinem Körper ausbreiten? Ich bin geschockt. Bei dem Gedanken was so eben geschehen ist und wie ich Desmond da so liegen siehe, steigen Tränen in mir auf. Es tut mir im Herzen weh in Leiden sehen zu müssen. Vorsichtig knie ich mich zu ihm hinunter. Ich habe Angst davor ihn zu berühren…ihm noch mehr Schmerzen zuzufügen… Aber er kann hier nicht auf den harten Boden liegen bleiben. Vorsichtig packe ich ihn unter den Armen und versuche ihn aufzurichten. Ich merke, wie Desmond versucht mir dabei zu helfen. Aber er ist so schwach. Mit letzter Kraft schaffe ich es ihn in seinen Sarg zu befördern. Es ist so schrecklich mitanzusehen, wie er da vor Schmerzen wimmernd rumliegt… Ganz leise und kaum vernehmlich haucht er mir zu, dass ich ihm einen Heiltrank geben soll. Es dauert ein paar Sekunden, bis ich ihn endlich in den Händen halte. Wieso bin ich da nicht sofort drauf gekommen? Aber dieser Anblick, er lässt mich nicht mehr klar denken. Es dauert nicht lange, bis Desmond vor Erschöpfung einschläft… Ich kann meine Tränen nicht mehr zurückhalten. Wie konnte es nur so weit kommen? Wieso musste Großvater noch mehr draufschlagen? Wieso? Wie kann man nur so brutal sein? Wie kann ich nur so einen Vampir gern haben? Ich knie eine lange Zeit vor Desmond und schaue ihn einfach nur an. Wie er seelenruhig schläft, aber immer noch spiegeln sich Schmerzen in seinem Gesicht wieder… Verzweifelt suche ich das Verbandzeug. Irgendwo hier muss es doch sein… Wenn ich nur ein wenig mehr Ordnung halten würde und nicht alles einfach nur in meinem Schrank und meinen Schubladen schmeißen würde. Es dauert eine halbe Ewigkeit, bis ich den Kasten unter meinen ganzen neuen Schulbüchern finde, in die ich noch keinen einzigen Blick geworfen habe. Schnell schnappe ich mir ihn und gehe wieder hinüber zu Desmond, der immer noch schläft. Vorsichtig setze ich mich neben ihn auf seinem Sarg und kippe den Kasten vor mir aus. Da war auch schon mal mehr drin, aber für heute muss es einfach noch reichen… So viele Wunden habe ich noch nie an seinem Körper gezählt. Über eine Stunde bin ich mit dem Auftragen der schmerzlindernden Creme und dem verbinden der Wunden beschäftigt. Es ist kaum noch eine Stelle zu finden, die nicht durch den Verband oder den zahlreichen Pflastern bedeckt ist. Er sieht fast aus wie eine Mumie. Was mein armer Bruder nur für Schmerzen haben muss… Schweigend liege ich neben ihn und schaue ihn an. Meine Gedanken spielen verrückt. Kann ich Großvater diese Attacke jemals verzeihen? Oder ist unser gutes Verhältnis nun für immer vorbei? Wird meine Traumwelt zerbrechen? In tausend Stücke zerspringen? Oder lebe ich schon in diesem Scherbenhaufen und merke es einfach nur nicht… ich will es nicht wahr haben…aber so kann es nicht weitergehen… Langsam öffne ich meine Augen. Es dauert eine Weile bis ich realisiere, wo ich gerade bin. Ich liege neben Desmond in seinem Sarg. Ich muss gestern Nacht wohl einfach eingeschlafen sein. Vorsichtig drehe ich mich um und schaue Desmond an. Sein Gesicht ist immer noch etwas geschwollen. Aber zu mindestens scheint er durchgeschlafen zu haben. Denn im Schlaf heilen die Wunden am besten. Und das hat Desmond auch bitter nötig. Langsam schlage ich die Decke zur Seite und richte mich auf. Hoffentlich wecke ich ihn jetzt nicht. Er soll sich ruhig noch ein wenig ausruhen, bis der heutige Abend kommt. Bei diesem Gedanken ändert sich meine Stimmung schlagartig. Bis eben habe ich diesen verdrängt. Zwei ganze Wochen von ihm getrennt zu sein, aber noch schlimmer wird es für ihn werden. Man hört kaum etwas Gutes von dieser Jugendarrestanstalt. Und mein Bruder soll da jetzt auch noch hin… Kurz bevor ich in mein Zimmer gehe, drehe ich mich noch einmal zu Desmond um. Er tut mir so leid… was soll ich nur machen? Wie kann ich ihm nur helfen? Verzweifelt setze ich mich auf meinen Sarg und lass meine Gedanken kreisen. Aber es hilft nichts. Mir fällt nichts ein. Vielleicht kann mir auch gar nichts einfallen. Soll ich ihn wirklich nicht helfen können? Wer kann schon etwas gegen den Rat machen? Nicht einmal Vater hat jetzt noch Einfluss auf das Geschehen. Denn auch er steht dank unserer Aktion ziemlich schlecht dar. Dennoch will ich es nicht wahrhaben, es darf nicht sein. Desmond, ich werde immer im Gedanken bei dir sein. Hoffentlich überstehst du die Zeit, ich will dich nicht verlieren… Wie sich die Situation wohl im Laufe der Nacht entwickelt hat? Ob Vater noch sauer ist und wird er auch mir die Schuld geben? Damit könnte ich gut leben, denn das würde mein Gewissen erleichtern. Desmond würde dann nicht alleine leiden. Ich habe Angst nach unten zu gehen. Aber nur so kann ich mir einen Überblick über die momentane Situation verschaffen. Hoffentlich ist gestern Nacht nicht noch mehr vorgefallen. Schnell ziehe ich mein Kleid aus, das nun ziemlich zerknittert aussieht. Obwohl ich es hasse, wenn Falten in meinen Sachen sind und vor allem in meinen schönsten Kleidern ist es mir egal. Momentan ist etwas anderes viel, viel wichtiger… Langsam gehe ich die Treppe hinunter. Mit jedem weiterem Schritt Zweifel ich an der Entscheidung nun nach unten zu gehen. Was ist, wenn ich auf Großvater treffe? Wie soll ich nur reagieren? Ich kann ihn nicht verzeihen, aber will ich ihn wirklich verlieren? Trotz dieser Zweifel tragen mich meine Füße behutsam weiter. Doch als ich vor der Küchentür stehe, verlässt mich fast mein Mut. Drinnen höre ich Vaters Stimme. Mit wem mag er sich wohl unterhalten? Großvater? Mit zitternder Hand öffne ich vorsichtig die Tür. Mein Herz bleibt vor Aufregung fast stehen. Aber meine Angst ist zum Glück in einem Fall unbegründet. In der Küche sitzt Vater nur mit Lucern. Von Großvater keine Spur. Wo mag er nur sein… „Ach, Flora! Auch endlich mal wach?“, fragt Vater mich mit einer Stimme, die ich noch nie zuvor von ihm gehört habe. Ich kann sie nicht deuten. Ist er verärgert oder nicht? „Ja, war eine lange Nacht.“, sage ich leise und wie von selbst senke ich meinen Kopf beim Sprechen zum Boden. „Schuldgefühle?“, fragt er mit stechender Stimme. Erst jetzt bemerke ich, dass ich meinen Kopf beim Sprechen zum Boden gesenkt habe. Aber es ist mir egal, auch wenn es Desmond Wunsch war, dass ich schweige… Jetzt ist es auch egal, mit so einen Ausgang hatten wir beide nicht gerechnet. Und die ganze Schuld muss Desmond nicht alleine tragen. Wir haben das gemeinsam geplant und er hat schon genug leiden müssen. So fies kann ich nicht sein und alles abstreiten. Das war früher mal so, aber unser Verhältnis hat so sehr verbessert… das kann ich nicht mehr… „Also hatte ich Recht mit meiner Vermutung. Du steckst gemeinsam mit deinem Bruder dahinter!“, seine Enttäuschung ist kaum zu überhören, aber irgendetwas ist anders. Irgendetwas Komisches liegt in der Stimme, die in meinen Ohren dröhnt. „Ich brauch dir ja wohl nicht zu sagen, wie sehr ich enttäuscht bin. Wie konntet ihr so etwas nur machen? Aber das ist jetzt auch egal. Man kann ehe nichts mehr daran ändern.“ Es scheint ihn ziemlich mitzunehmen. Aber wieso wird er nicht gewalttätig? Wieso schreit er mich nicht einmal an? „Es tut uns auch so leid, Vater. Wir hätten niemals gedacht, was das für Ausmaße annehmen wird. Wir wussten nicht, was für dich auf dem Spiel steht. Wir haben nicht nachgedacht…“, versuche ich mich zu rechtfertigen. Was wird mich nur erwarten? Diese Ungewissheit. Sie macht mich noch verrückt. „Das hat man gemerkt! Aber das ist auch egal. Ich will kein Wort mehr über diese Sache hören!“, sagt er nun streng, so wie ich es kenne. „Und was passiert jetzt mit mir!“, gebe ich zitternd von mir. Ich kann Vater momentan beim besten Willen nicht einschätzen. Was wird mich erwarten? „Nichts!“, sagt er kühl. Ich kann es nicht fassen. Ich muss mich verhört haben. Das kann nicht sein. Er hat noch nie etwas durchgehen lassen. Und diese Aktion war nicht nur eine Kleinigkeit… Was ist nur los? Ich verstehe gar nichts mehr! „Was?“ Mit großen Augen schaue ich ihn an. „Du hast richtig gehört. Dich erwartet speziell darauf keine Bestrafung!“ Speziell? Also doch irgendwas? Wieso macht er es nur so geheimnisvoll? „Ich weiß, dass dich das überraschen sollte. Aber ich glaube, dass es Bestrafung genug war mit anzuhören, wie dein geliebter Bruder leiden muss.“ Geschockt schaue ich ihn an. Woher weiß er das nur? Hat er mich gesehen oder gehört? „Und das mit der Jugendarrestanstalt hat er sich ganz alleine eingefangen. Es hat ihn keiner gezwungen den Alkohol zu trinken. Er wusste genau, dass es Minderjährigen Vampiren verboten ist. Und nun muss er eben mit den Konsequenzen leben.“ Stimmt, das habe ich gar nicht bedacht. Die Jugendarrestanstalt ist ja gar keine Bestrafung für die Rede, sondern für den Alkoholmissbrauch. „Aber musstet ihr ihn so hart verprügeln?“ Ich kann nicht glauben, was ich soeben gefragt habe. Wieso kann ich nicht den Mund halten? Ohne wirkliche Bestrafung davon zu kommen…wie kann ich das nur aufs Spiel setzen? „Großvater hat übertrieben, dass brauchst du mir nicht zu erzählen. Ich weiß, dass das zu viel war. Aber Großvater hat eben seinen eigenen Kopf!“, versucht er mir behutsam zu erklären. Damit hätte ich nie gerechnet. Ich hatte gedacht, ich hätte soeben mein Todesurteil unterschrieben… „Aber wieso ist er so brutal zu ihm?“, frage ich bedrückt. „Das kann ich dir auch nicht genau sagen, Kleines. Wahrscheinlich liegt es immer noch daran, dass er Desmond die Schuld an Omas Tod gibt. Davon ist er auch nicht abzubringen. Und dann musst du auch bedenken, dass er in einer ganz anderen Zeit groß geworden ist. Solche brutalen Prügelattacken zählten damals zum täglichen Leben. Und das ist eben nicht so einfach aus den älteren Vampiren rauszubekommen.“ „Und wieso hast du ihn nicht abgehalten?!“, werfe ich ihm vor. „Weil ich keine Chance gegen ihn habe, leider. Gegen ihn bin ich wehrlos. Er ist trotz seines hohen Alters immer noch ziemlich mächtig… Und leider hat er auch einen großen Einflussbereich, wenn du verstehst was ich meine. Da kann man sich nicht einfach gegenstellen.“ Irgendwie hat Vater ja Recht. Aber dennoch, wie kann man seinen eigenen Sohn nur so der Gewalt eines anderen aussetzen? Wieso nur? „War Großvater damals auch so zu dir?“, frage ich vorsichtig mit stockender Stimme. „Hat er dich auch so brutal geschlagen?“ „Jetzt reicht es aber!“, sagt er nun deutlich lauter. Habe ich etwa einen wunden Punkt getroffen? „Ich bin stolz so einen Vater zu haben, auch wenn er manchmal über die Stränge schlägt. Ihr müsst sein Verhalten akzeptieren! Und wenn ihr damit nicht klarkommt musst ihr euch eben von ihm fern halten!“, schnauzt er mich jetzt richtig an. So wie ich ihn kenne, so wie er immer zu uns ist… Geschockt schaue ich ihn an. Eben war er noch so führsorglich und lieb. Er hat ganz ruhig gesprochen. Und nun? Nun ist alles wieder vorbei… Was ist damals nur alles vorgefallen, dass er jetzt in einem Moment auf den anderen ein ganz anderer Mensch ist? Was hat Großvater damals nur schon alles angestellt? War er damals schon so ein Monster wie heute… Auch Vater scheint seine extreme Reaktion bemerkt zu haben. „Entschuldigung, Flora. Ich wollte nicht so überreagieren.“, versucht er sich zu entschuldigen. Entschuldigung? Was ist nur mit ihm los? Er verharrt doch sonst auch immer auf seiner Meinung. Es ist doch total untypisch für ihn sich zu entschuldigen. Ich bin sprachlos. Steckt da vielleicht mehr hinter? Hat er was besonderes vor, wofür er sich einschleimen muss. Aber was sollte das nur sein? Ach, das ist doch total abwegig. Er und sich einschleimen…pah… „Das musst du mir wirklich glauben. Aber lass uns morgen noch einmal über dieses Thema reden. Ich muss nämlich noch einiges mit dir klären.“ Er meint bestimmt die Bestrafung für die Rede, oder? Was sollte er denn sonst meinen. Sein „speziell“ war doch wohl eindeutig! Zu gerne würde ich jetzt schon wissen, was auf mich zukommt. Und ob er Desmond auch noch mehr bestrafen möchte. Oder ob es überhaupt damit zu tun hat… Aber jetzt nachzufragen ist ein schlechter Moment. Ich weiß auch nicht, was mit Vater los ist. Irgendwie ist er komisch… „Wo bleibt denn nur Desmond wieder. Sein Bus kommt doch sofort!“, sagt Vater mit einem prüfenden Blick auf die Uhr. „Der kommt bestimmt gleich.“, sagt Lucern zwinkernd zu ihn. Den hatte ich ja ganz ausgeblendet, weshalb ich mich bei dem ertönen seiner Stimme etwas erschrecke. Schon wenige Sekunden später geht schwungvoll die Küchentür auf. Desmond! Hastig stürme ich auf ihn los. Ich bin so froh ihn zu sehen. Voller Freude falle ich ihn in die Arme, ohne weiter über seine Wunden nachzudenken. Aber er zuckt nicht zusammen oder schreit vor Schmerzen auf. Es scheint ihm wirklich schon etwas besser zu gehen, was er mir zum Glück auch bestätigt. Dennoch, lange kann ich mich nicht darüber freuen, da plötzlich hinter mir Lucerns Stimme ertönt. Er fordert Desmond auf mit ihm nach draußen zukommen, da jeden Moment der Bus vorfahren kann. Der Abschied ist da. Ich will Desmond nicht loslassen. Ich will das er hier bleib! Aber es hilft nichts. Langsam lasse ich es zu, dass Desmond sich aus meinen Armen lösen kann. Nach ein paar aufmunternden Worten zu mir schnappt er sich seine Koffer und geht hinter Lucern Richtung Tür. Wie angewurzelt bleibe ich auf der Stelle stehen. Ich kann es nicht fassen, er wird mich tatsächlich für zwei Wochen verlassen. Behutsam legt Vater seinen Arm um mich. „Das wird er schon gut meistern. Er ist stark und lässt sich nicht so leicht unterkriegen. Und wer weiß, vielleicht hilft ihm der Aufenthalt ja etwas.“, sagt Vater, während auch er Desmond aus der Tür gehen sieht. Die Tür knallt ins Schloss. Und genau dies lässt mich aufschrecken. Stürmisch renne ich zur Tür. Ich will ihn noch mal sehen. Noch einmal in den Armen nehmen. Aber als ich die Tür öffne sehe ich nur noch wie sich die Tür vom Bus schließt. Mit Tränen in den Augen stehe ich an der Haustür und schaue zu, wie der Bus meinen geliebten Bruder mit sich nimmt. Desmond! Komm zurück! Ich brauch dich doch so sehr… Kapitel 13: ------------ Elliot Immer wieder kommt Jürgens Faust ungnädig auf mich nieder. Ich wimmere vor Schmerz und sacke auf dem Boden zusammen. Jürgen holt zu einem weiteren Schlag aus, als es plötzlich an der Tür klopft. Er hält inne und wartet einen Moment, als es abermals klopft. Jürgen packt mich am Kragen und reißt mich wieder auf die Beine. “Ab auf dein Zimmer, aber sofort!”, faucht er und ich beeile mich, seiner Aufforderung nachzukommen, um nicht noch mehr Ärger zu bekommen. Während ich nach oben gehe, sehe ich wie Jürgen die Haustür öffnet. Allerdings kann ich nicht sehen, wer vor der Tür steht. Aber ich danke dieser Person, wer auch immer es ist, dass sie mich vor weiteren Schlägen bewahrt hat. Rasche gehe ich in mein Zimmer. Mein linkes Auge pocht und tut weh. Hoffentlich bekomme ich dort kein Veilchen. Wie soll ich das dann den anderen in der Schule erklären? Ich schließe mich in meinem Zimmer ein. Ich will den anderen heute nicht mehr unter die Augen treten. Nicht nach dem was grade passiert ist. So sehr ist er noch nie ausgerastet! Mal eine Ohrfeige, ja, aber sonst hat er mich eigentlich nie geschlagen. Vergewaltigt, ja, aber nicht geschlagen. Wenn Mutter das wüsste... Würde sie sich von ihm trennen? Oder würde sie es einfach zulassen? Ich glaub ich will es gar nicht wissen... Erschöpft lege ich mich aufs Bett und lasse meine Gedanken schweifen. Wenn mein Vater doch nur hier wäre! Dann wäre das alles nie passiert! Vater hätte mir nie so etwas angetan. Wieso nur ist er mit dieser neuen Frau zurück nach England gegangen und hat mich und Charlie hier zurückgelassen? Am liebsten würde ich zu ihm fahren und ihn bitten, bei ihm bleiben zu dürfen. Nur dann müsste ich Charlie hier lassen, weil sie so sehr an Mutter hängt. Aber dann wäre sie auch Jürgen ausgeliefert und ich habe Angst, dass er von ihr das gleiche verlangt wie von mir. ... Mir bleibt nichts anderes übrig, als hier zu bleiben und es weiterhin zu ertragen. Egal wie schwer es mir fällt, aber ich will nicht, dass Charlie etwas passiert! Sie hat doch schließlich nur mich. In der Schule hat sie kaum Freunde und ich weiß, dass sie häufig fertig gemacht wird. So gut es geht versuche ich sie zu beschützen und ihr zu helfen, aber das kann ich nicht immer und wenn ich weg bin, hat sie keinen mehr, der auf sie aufpasst, weil Mutter und Jürgen ja auch arbeiten müssen... Das ist doch alles scheiße! Jürgen hämmert an meine Tür. “Elliot, mach sofort die Tür auf!” Ich seufze, stehe langsam auf und öffne die Tür. “Was ist?”, frage ich leise. Jürgen drückt mir ein Buch in die Hand. “Hier, das hat deine kleine Freundin für dich abgegeben!” Ich nicke nur leicht und nehme das Buch entgegen. “Sonst noch was?” Jürgen sieht mich drohend an. “Sei froh, dass deine Freundin gegen die Tür gehämmert hat...” Dann wendet er sich ab und geht wieder nach unten. Ich stehe wie versteinert in der Tür. Wer war das nur, der mich da grade vor schlimmerem bewahrt hat? Ich werfe einen kurzen Blick auf das Buch in meiner Hand. Es ist mein Mathebuch. Damit kann es nur Zülal gewesen sein. Ich schmunzle. Erst gestern hat sie ihr Buch wieder verlegt gehabt und sich deshalb meines ausgeborgt. Scheinbar hat sie es wirklich mit eingepackt, denn ich habe bisher noch gar nicht bemerkt, dass es fehlte. Wie denn auch? Schließlich hatte ich im Moment wichtigere Dinge im Kopf. Auch wenn Frau A.-B. wirklich verdammt streng ist. Ich schließe die Tür und lasse mich wieder auf mein Bett fallen, als mein Handy klingelt. “Ja?”, hebe ich ab. “Hey Elliot, ich bin es, Zülal, hat dein Stiefvater dir dein Mathebuch gegeben?” Ach ja, das ist Zülal... “Ja, hat er”, antworte ich. “Danke, dass du es mir vorbeigebracht hast.” “Hab ich doch gerne gemacht”, antwortet Zülal und ich kann ihr Lächeln beinahe durchs Telefon hören. “Sag mal, hast du morgen nachmittag vielleicht Lust, mal wieder ein bisschen rauszugehen?” Ich überlege. Morgen müssten Charlie und Mum eigentlich zu hause sein. Also hat Jürgen auch keinen Grund mich da zu behalten. Ich nicke. “Ja, müsste klappen. Ich muss nachher zwar nochmal fragen, aber eigentlich dürfte ich Zeit haben”, antworte ich. Wir plaudern noch ein wenig über Belangloses, ehe ich schließlich auflege. Hoffentlich darf ich morgen überhaupt raus. Seit Jürgen hier wohnt, darf ich ja so gut wie gar nichts mehr... Den Rest des Tages verbringe ich in meinem Zimmer, mache Hausaufgaben und bereite mich schon mal ein bisschen auf die bald anstehenden Klausuren vor. Gegen Abend gehe ich nach unten, denn ich weiß, dass Mutter jetzt im Wohnzimmer sitzt und liest. Das ist immer der beste Zeitpunkt, um sie um etwas zu bitten. Und tatsächlich. Sie lässt mich morgen was mit Zülal unternehmen und nicht mal Jürgen greift ein. Das ist doch schon mal was. Rasch rufe ich nochmal schnell bei Zülal an und verabrede mich für den nächsten Tag um 15 Uhr im Park mit ihr. Endlich mal ein paar Stunden von zu hause weg. Ich habe schon lange nichts mehr mit Zülal unternommen und dabei kennen wir uns schon aus dem Sandkasten und haben früher immer viel gemeinsam unternommen. Doch seit meine Eltern sich haben scheiden lassen, ist der Kontakt ein wenig eingeschlafen. Eine ganze zeitlang konnte und wollte ich einfach mit niemandem reden. Dazu saß der Schmerz einfach zu tief. Einmal wegen einer ersten und letzten Freundin Clarissa und dann noch wegen meinen Eltern. Und als Mutter dann neu geheiratet hat, wurde alles nur noch schlimmer... Wenn mein Vater sich nur nicht einfach aus dem Staub gemacht hätte... dann wäre alles anders... Kraftlos lasse ich mich auf meine Bett fallen. Irgendwie bin ich auf einmal so unglaublich müde. Dabei ist es nicht mal neun Uhr. Das wird wohl der ganze Stress sein. In letzter Zeit kann ich ja kaum noch schlafen... Aber heute bin ich so müde, dass ich einschlafe, kaum dass ich im Bett liege. Als ich wieder erwache ist es schon mittag. Und zur Abwechslung habe ich sogar mal richtig gut geschlafen. Ich gehe nach unten in die Küche, aber dort ist keiner. Es liegt nur ein Zettel auf dem Tisch, dass sie unterwegs sein. Na gut, denke ich mir und mache mir erst mal was zu essen. Als ich fertig bin ist es schon halb drei. Zeit, sich auf den Weg in den Park zu machen. Kaum bin ich da, stößt auch schon Zülal hinzu und wie durch ein Wunder ist sie tatsächlich mal pünktlich. Wir laufen ein wenig umher und reden über Belanglosigkeiten, bis Zülal mich plötzlich fragt, ob bei mir alles in Ordnung sei. “Ja klar”, erwidere ich nur. Hat sie etwa etwas mitbekommen? “Wieso fragst du?” Zülal stammelt herum und so langsam bekomme ich wirklich Panik. “Ok, Elliot, das tut mir jetzt wirklich wirklich Leid und bitte werd jetzt nicht böse, wenn ich das sage, aber... ich hab dich gesehen... dich und deinen Stiefvater... deinen Stiefvater wie er dich geschlagen hat... in der Küche... gestern Vormittag...”, stammelt sie leise. Einen Moment starre ich sie geschockt an, doch schnell habe ich meine Fassung wieder, und antworte ihr, dass ich gestern gar nicht zu hause war. Zülal scheint mir nicht zu glauben, denn sie stellt sich direkt vor mich, fasst mich an den Schultern und sieht mir mit besorgtem Blick direkt in die Augen, ehe sie zu sprechen beginnt: “Bitte mach mir nichts vor, Elliot! Ich weiß genau, was ich gesehen habe und es sah nicht danach aus, als wärest du weg oder als wäre dein Stiefvater nett zu dir!” Ertappt weiche ich ihrem Blick aus und blicke stattdessen starr in den See. Nach einigen Augenblicken sehe ich Zülal wieder an. “Du irrst dich!”, sage ich mit fester Stimme, oder versuche es zumindest, denn ich kann nicht verhindern, dass meine Stimme zittert. Zülal streicht mir die Haare aus dem Gesicht, welche ich mir entgegen meiner Gewohnheit ins Gesicht gekämmt habe, um den Bluterguss unter meinem Auge zu verdecken. “Und was ist damit?” Ich streiche mein Haar schnell wieder über den Bluterguss und versuche eine glaubwürdige Ausrede zusammen zu reimen. “Ich... bin gegen unseren Wohnzimmerschrank gelaufen und du weißt doch was für spitze Ecken der hat...”, antworte ich ausweichend Doch Zülal glaubt mir kein Wort. “Tut mir ja leid, wenn ich so aufdringlich bin und ich weiß ja, dass ich eine lange Leitung habe, aber ich erkenne sehr gut, wenn jemand geschlagen wird!” Ich sehe sie geschockt an, doch Zülal ist noch nicht fertig. “Also du weißt schon wir sind nun schon so lange miteinander befreundet, dass wir uns doch alles anvertrauen können, oder? Und falls es irgendetwas gibt, worüber du mit mir reden möchtest, dann solltest du wissen, dass ich immer für dich da bin! Ich bin kein Wundermensch und ich kann vielleicht nicht dafür sorgen, dass alle deine Probleme durch Zauberhand verschwinden, aber als deine Freundin, lass es mich versuchen dir zu helfen, weil ich es nicht ertrage kann, dich leiden zu sehen! Und ich finde, dass man sich in einer Freundschaft auch gegenseitig beschützen muss!” Ich wende mich von ihr ab und richte meinen Blick auf dem See. Erst Tränen sammeln sich in meinen Augen. “Auch wenn deine Worte noch so ehrenvoll sind und so verlockend klingen... Du kannst mir nicht helfen! Niemand kann das! Ich muss das irgendwie alleine durchstehen! Ich will dich da nicht mit hineinziehen!”, antworte ich. Wie viel lieber wäre es mir, wenn Zülal gar nichts davon wüsste. “Du musst mich nirgendwo mit hineinziehen, ob ich dir beistehe oder nicht ist allein meine Entscheidung und so schlimm es auch sein mag und wenn ich noch so wenig für dich tun kann, dann lass mich wenigstens für dich da sein und an deiner Seite bleiben. Ich will nicht, dass du da alleine durch musst. Du weißt doch, geteilter Schmerz ist halber Schmerz! Also bitte lass mich an deiner Seite bleiben!” Zülal lächelt mich traurig an und auch mir entkommt ein trauriges Lachen. “Diesen Schmerz willst du nicht verspüren! Und niemand sollte ihn mit mir teilen müssen! Du weißt nicht, wozu er fähig ist! Du wärst schockiert, wenn du es wüsstest! Meinetwegen bleib an meiner Seite, nur bitte... behalte das, was du gesehen hast für dich und sprich nie wieder davon!”, erwidere ich, denn ich weiß, dass ich Zülal nicht mehr von ihren Plänen abbringen kann. Hauptsache sie verrät nichts davon... “Ich werde niemals irgend jemandem auch nur ein Sterbenswörtchen davon erzählen! Darauf kannst du dich verlassen! Aber bitte entscheide nicht für mich, was ich bereit bin, für dich durchzustehen! Denn ich würde alles in meiner Macht stehende tun, damit es dir besser geht. Um mich brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Ich kümmere mich um mich selbst. Das schlimmste, was du in deiner Situation tun kannst, ist, dass du dir einredest allein zu sein und das alles alleine durchstehen zu können. Denn das kannst du nicht! Und bitte verlange nicht von mir, darüber zu schweigen und so zu tun, als wäre nichts gewesen, denn das kann ich noch viel weniger!”, verspricht sie mir und hat ebenfalls Tränen in den Augen. Sie scheint mir wirklich helfen zu wollen, aber das kann sie nicht. Eigentlich gibt es nur einen, der mir helfen kann. Ich setze mich auf die Brüstung und lege meinen Kopf auf die Arme. “Wenn du wirklich willst, dass es mir besser geht, dann mach, dass dieses Arschloch wieder verschwindet und dass mein Vater zurück kommt!”, schluchze ich, denn ich kann meine Tränen nicht mehr zurückhalten. Zülal setzt sich neben mich und legt mir einen Arm um die Schultern. “Ich kann zwar keine Wunder bewirken, aber falls mir irgendetwas einfallen sollte, dann wollen wir doch mal sehen, was sich so alles machen lässt. Denn eines solltest du wissen, auch wenn ich nicht immer sofort eine Lösung parat habe, auch ich kann stur und beharrlich sein.” Es tut gut, zu wissen, dass sie für mich da ist. Ich lehne mich an sie. “Danke! Ich weiß das wirklich zu schätzen, auch wenn ich bezweifel, dass du eine Lösung finden wirst.” Zülal lächelt nur und sagt leise: “Vertrau mir!” Kapitel 14: ------------ Desmond Erschöpft lasse ich mich auf das Bett fallen. Zwar nichts das, was ein Sarg bieten könnte, aber immerhin besser als gar nichts. Ich starre an die Decke. Verdammt! Wie bin ich nur in diese beschissene Situation hineingeraten? Hätte ich doch nur nichts getrunken... Hoffentlich geht es Flora gut. Ich könnte mir niemals verzeihen, wenn sie auch noch wegen der Rede bestraft werden sollte. Plötzlich geht die Tür zu meiner Zelle auf und drei große Gestalten kommen rein, die irgendwie gefährlich aussehen. Ich schlucke. Was wollen die von mir? "Mitkommen!", fordert mich einer von ihnen auf. Ich bin so eingeschüchtert, dass ich ihnen sofort folge. Oh Mann, das geht hier ja super los. Was wird mich hier wohl sonst noch erwarten? Zögerlich sehe ich mich um. Sie führen mich durch mehrere dunkle Gänge und an zahlreichen Zellen vorbei und schließlich einige Treppen hinab, bis wir vor einer schweren Tür halt machen. Ich schlucke, als ich auch schon durch die geöffnete Tür gestoßen werde. Schmerzhaft pralle ich auf dem harten Steinboden auf, als mich auch schon zwei der drei Typen wieder auf die Beine zerren. Der dritte stellt sich vor mich und sieht mich mit hartem Blick an. "Du wirst nun das Aufnahmeritual durchstehen müssen. Wie alle Neuen." Verächtlich grinst er mich an, während er seinen beiden Schergen zunickt, die sich daraufhin an meinen Hosen zu schaffen machen. Sie werden doch nicht... Einzelne Tränen rinnen über meine Wange, als sowohl meine Jeans als auch meine Boxershorts zu Boden fallen. "Bitte... bitte nicht...", schluchze ich, denn ich weiß, was mich nun erwartet. Doch mein Bitten wird nicht erhört. Hart pressen mich die beiden Schergen bäuchlings auf einen dunklen Holztisch. Weitere Tränen rinnen über meine Wangen. Wieso passiert mir das nun schon zum zweiten Mal? Was habe ich getan, dass ich so gestraft werde? Der dritte Kerl tritt hinter mich und ich höre, wie er den Reißverschluss seiner Hose aufzieht. Ich schließe die Augen. Das kann doch alles nicht sein! Das darf nicht sein! Bitte, lass es nur einen bösen Traum sein! Doch es ist kein böser Traum, denn schon spüre ich sein Glied an mir, wie er sich langsam in mich schiebt... Ich habe das Gefühl, innerlich zerrissen zu werden... Tränen laufen über meine Wangen und ich schreie vor Schmerz, doch damit entlocke ich den anderen nur ein hämisches Lachen. Bei jedem Stoß schreie ich gequält auf. Dieser Schmerz ist grausam und kaum zu ertragen. Seine Stöße werden heftiger und schneller. Weitere Tränen verlassen meine Augen und hinterlassen rote Schlieren auf meinen Wangen. Noch einige weitere Stöße. Dann stöhnt er auf und ich spüre seinen Samen in mir. Die anderen beiden lassen mich los und ich sinke schluchzend zu Boden. Wieso haben sie mir das nur angetan? Der Schmerz zieht sich noch immer durch meinen Körper, als ich plötzlich auf die Beine gezogen und in meine Zelle zurückgeschleift werde. Hart stoßen sie mich in die Zelle und ich pralle schmerzhaft auf den Boden. Doch dieser Schmerz ist nichts gegen den, der sich von meinem Hintern aus durch meinen Körper zieht. Jede Bewegung schmerzt und ich schaffe es nur mit Mühe, mich auf das Bett zu schleppen. Der Strom meiner Tränen will nicht versiegen und noch immer wird mein Körper von tiefen Schluchzern erschüttert. Ach Flora... ich wünschte du wärst hier... Ashlee Wieso müssen wir am Wochenende eigentlich immer um dieselbe Zeit Frühstücken, denke ich genervt als mein Wecker viel zu früh klingelt. Völlig verschlafen versuche ich ihn abzuschalten, was mir erst beim dritten Versuch gelingt. Dieses blöde Ding. Am liebsten würde ich ihn jeden Abend abschalten, aber seit dem ich so häufig in der Schule zu spät gekommen bin, hat Vater den Knopf versiegelt. Egal was ich auch versuche, es ist unmöglich dieses Siegel zu entfernen und die Weckzeiten umzustellen. Und wegwerfen brauch ich ihn gar nicht erst versuchen, das gibt nur wieder riesen Ärger… Genervt vom frühen aufstehen, ziehe ich meine Sachen an, die ich verstreut auf den Boden finde. Das sollte ich schnell aufräumen, bevor Mutter mir wieder einen unerwarteten Kontrollbesuch abstattet. Aber dazu habe ich überhaupt keine Lust. Wieso muss ich auch nur in dieser Familie leben? Immer dreht sich alles um Disziplin und Ordnung! Das passt doch gar nicht zu mir… Langsam schlendere ich nach unten. Auch wenn ich genau weiß, dass ich mich beeilen sollte. Unpünktlichkeit gibt es nämlich nicht in unserer ach so reizenden Familie! Wieso können wir nicht so sein, wie jede andere Familie auch. Wer frühstückt heute noch mit den Eltern zusammen? Jeder, den ich kenne, darf am Wochenende so lange schlafen wie er möchte. Wieso ich nicht? Das ist doch so fies. Wieso werde ich nur so bestraft? Gerade heute hätten meine Eltern doch mal eine Ausnahme machen können, die Trauerfeier war doch wohl lang genug. Aber nein, wir frühstücken natürlich wieder zur selben Zeit. Bloß keine Ausnahmen einführen, dass könnte ja Schwäche in ihrer Erziehung zeigen! Schon als ich auch nur die Tür einen kleinen Spalt öffne, dröhnt mir Vaters strenge Stimme entgegen. „Du bist eine Minute zu spät, Ashlee!“ Eine Minute. Der soll sich mal nicht so anstellen, als ob die mich schon vermisst hätten. Ihm wäre es doch ehe lieber, wenn es mich nicht gäbe oder ich genauso wie Violetta wäre! „Tut mir leid, aber die Nacht war gestern so lang.“, versuche ich ihn mit leiser Stimme ihn zu besänftigen. „Schweig!“, fährt Vater mich an. „Oder habe ich dir etwa erlaubt zu sprechen.“ Nicht schon wieder. Wieso muss ich mir das nur jeden Morgen antun? Ich weiß, dass ich beim Essen nicht reden darf, da Mutter und Vater sich ungestört unterhalten wollen. Aber wieso muss ich dann mit ihnen essen? Das hat doch gar keinen Sinn! Stillschweigend setze ich mich an meinen Platz und beginne langsam das Frühstück in mich hinein zu quälen. So früh am Morgen bekomme ich eigentlich keinen Bissen herunter. Aber ich muss, dank meiner lieben, fürsorglichen Eltern… Die gestrige Nacht scheint die beiden nicht mehr zu beschäftigen, leider. Ich hatte so sehr gehofft, dass sie sich am Frühstückstisch noch einmal darüber unterhalten. Ich habe so viele Fragen. Wie soll ich es nur anstellen Vater auszufragen? Er weiß alles über Desmond und seine Familie, da bin ich mir sicher. Nur freiwillig wird er es mir wohl kaum erzählen… Während ich in meinen Gedanken bei meinen Liebling Desmond bin, erblicke ich plötzlich die neue Ausgabe des Vampir-Journals. Mir bleibt mein Brötchen fast im Halse stecken. Das darf einfach nicht wahr sein! Wie können die ihm das nur antun? Desmond…. „Die Alucards bringen Schande über die ganze Welt! Verliert der oberste Sicherheits-Seneschall Anchoret Alucard womöglich seine Chance ein Ratsmitglied zu werden und auch noch seinen hart erkämpften Job? Wird er dies seinem Sohn jemals verzeihen können, der gestern Nacht die ganze Welt erschütterte. Wie eine Lawine ging die Meldung durchs Land. Niemand hätte damit gerechnet. Ausgerechnet der Sohn des obersten Sicherheits-Seneschalls fordert zu einer Hetzjagd gegen die Menschen auf! Und das auch noch auf der Trauerfeier zum 20. Todestag seiner eigenen Mutter! Man konnte Anchoret Alucard förmlich anmerken, wie er nach Luft schnappte als die schrecklichen Worte die Gruft durchdrangen. Dementsprechend war auch seine dürftige Entschuldigung, um die Situation noch zu retten, die schon lange verloren war… Nun fragen sich alle, sollte so einer wirklich ein Ratsmitglied werden? Sollte man ihm wirklich so viel Verantwortung zutrauen? Ist er nicht etwa schon mit seiner jetzigen Position als Sicherheits-Seneschall überfordert? Wenn er nicht einmal seinen eigenen Sohn unter Kontrolle bringen kann, wie soll er dann so eine hohe Position ausführen? Darüber wird momentan heikel diskutiert. Im Laufe der Woche sollen die Entscheidungen durch den Pressesprecher des Rates der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden! Wir freuen uns schon heute über die vernichteten Kommentare! Mit hoher Wahrscheinlichkeit hat der gute Herr Anchoret Alucard für immer ausgedient… Aber was wird jetzt mit seinem Sohn Desmond Alucard werden? Was für Strafen er von seinem momentan so freundlichen gesinnten Vater zu erwarten hat, ist bisher noch unbekannt. Genauso, wie es seiner Schwester ergehen wird. Hat sie womöglich auch noch etwas mit dieser schrecklichen Tat zu tun? Der Vampirrat hat etwas in dieser Richtung angedeutet, ob sich dies letztendlich bewahrheiten wird, wird sich zeigen… Das einzige was wir heute schon mit Gewissheit sagen können ist, dass Desmond Alucard bei seinem Hetzaufruf unter Alkoholeinfluss stand. Und das obwohl er noch Minderjährig ist! Wie viel Schande kommt wohl noch zum Vorschein? Bezüglich des Alkoholmissbrauchs hat der Rat schnell gehandelt, noch heute Abend wird Desmond Alucard für zwei Wochen in die Jugendarrestanstalt Dolor Crudelitas eingewiesen! Auch wenn man von vielen hört, dass zwei Wochen viel zu kurz sind….“ Wie soll er das nur überleben. Ich weiß, dass Desmond stark ist, aber wird er auch dies durchstehen? Oder täusche ich mich in ihm? Spielt er seine Stärke womöglich nur? Er tut mir so leid. Dolor Crudelitas ist das Schlimmste, was einem jugendlichen Vampir geschehen kann. Ich bin völlig verzweifelt. Am liebsten würde ich einfach losheulen. Aber ich sitze immer noch am Frühstückstisch. Und das könnte ich meinen Eltern niemals erklären… Desmond, wieso kann ich dir nicht helfen? Wieso nur? Das ist alles so fies… Während ich im Gedanken nur bei meinem Liebling bin, ertönt neben mir Mutters Stimme. „Trödel nicht schon wieder so herum Ashlee! Das gehört sich nicht! Violette macht so etwas auch nicht!“ Ich sehe Mutter und Vater erschrocken an, so sehr hat mich die Stimme aus meinen Gedanken gerissen. Die beiden sind schon fertig mit frühstücken, ihre Teller sind leer. Und ich… ich habe gerade mal einen einzigen bissen von meinem Brötchen gegessen. Kein Wunder, dass die sich jetzt wieder für mich interessieren. Schließlich wollen die beiden abräumen und ich sitze denen im Weg herum. Wieso sollte es auch anders sein? „Du hattest jetzt genug Zeit. Aber wie es aussieht hast du wohl etwas gegen unser hart verdientes Essen.“, sagt Vater hinterhältig. „Steh gefälligst auf und geh nach oben deine Hausaufgaben machen. Frühstücken fällt heute für dich aus! Selbst schuld, wenn du so herumtrödelst. Zeit ist kostbar, das haben wir dir doch wohl beigebracht. GEH!“, schreit er mich an. Wieso erschreckt mich dieses Verhalten immer wieder? Eigentlich muss ich doch daran gewöhnt sein. Es ist doch immer so… Genervt stehe ich auf und verlasse ohne auch nur ein einziges Wort zu sagen die Küche. „Und trödle bei den Hausaufgaben nicht herum. In zwei Stunden sind die fertig auf meinem Schreibtisch!“, sagt Vater etwas lauter als sonst hinter mir her. Als ob ich die nicht schnell und sorgfältig machen würde. Denkt der etwa ich will noch mehr bestraft werden? Mein Leben noch weiter einschränken? Auch wenn das wohl kaum noch möglich ist… Wann habe ich denn schon mal etwas Freizeit… Langsam lasse ich mich auf meinem Schreibtischstuhl sinken. Wie soll ich mich nur konzentrieren? Meine Gedanken sind doch nur bei Desmond. Aber wenn ich meine Hausaufgaben nicht in zwei Stunden fertig habe… Der Gedanke lässt mich erschaudern, ich will nicht mehr… Wieso lebe ich überhaupt noch? Jeder kleine Lichtblick erlischt, ohne, dass ich jemals das große, helle Strahlen sehen kann. Wieso ist mein Leben nur so beschissen? Verzweifelt senkt sich mein Kopf auf die Schreibtischplatte. Ich kann die Tränen nicht mehr zurückhalten… So sehr wünsche ich mir, dass Desmond mich umarmt, liebevoll ist und einfach nur für mich da ist, aber er hat momentan ganz andere Probleme… nicht nur mein Leben scheint eine Katastrophe zu sein… Was ist nur in seinem Leben alles vorgefallen? Was hat seinen Hass nur gegen die Menschen geweckt? Da kommt mir plötzlich ein genialer Gedanke, wie ich Vater zum Reden bewegen könnte. Eifrig krame ich meine Schulsachen hervor. Wenn ich meine Hausaufgaben sensationell erledige, wird sich doch wohl eine Möglichkeit ergeben Vater zu fragen. Ein Versuch ist es zumindest wert. Voller Hoffnung gehe ich fleißig an die Aufgaben… Flora Ich kann es immer noch nicht fassen. Desmond ist tatsächlich weg. Es fällt mir schwer diese Gedanken zu vergessen. Aber es geht nicht. Zu sehr hänge ich an meinem geliebten Bruder. Lange liege ich, einfach nur an die Decke starrend, in meinem Sarg. Meine Gedanken drehen sich nur um dieses eine Thema. Aber ich weiß, dass ich ihm nicht helfen kann, leider. Aber dennoch lässt es mich nicht in Ruhe. Es muss doch einfach etwas geben, irgendetwas… Alles spielt sich wie ein Film noch einmal vor meinen Augen ab. Und erst jetzt werde ich mir über meine eigenen Probleme bewusst. Sie mögen zwar nicht so schlimm sein, wie Desmonds. Aber dennoch, ich ahne, dass noch etwas auf mich zukommen wird. Vater war gestern so komisch. Und was sollte dieses „Speziell", was er gestern Abend noch mehrmals erwähnt hat? Und über was will er mit mir noch reden? Ist nicht schon alles gesagt worden? Und dann auch noch Großvater. Er wird zwar heute Abend nach Hause fahren, aber wie soll ich mich nur ihm gegenüber verhalten? Wie nur? Ich kann einfach nicht vergessen, wie brutal er zu Desmond war. Ich werde nie wieder in meinen Leben den Großvater in ihm sehen können, den ich glaubte zu kennen… Was soll ich nur machen, wenn ich ihm begegne? Ich will ihn nicht sehen! Nie wieder! Aber spätestens heute Abend bei seiner Abreise will er mich noch einmal sehen, das ist gewiss. Soll ich so tun als ob nichts gewesen wäre? Vielleicht lässt er mich dann in Ruhe. Ich möchte mich auch nicht mit ihm streiten, aber kann ich wirklich so weitermachen wie bisher? Während ich immer noch über die bevorstehende Begegnung mit Großvater nachdenke, ziehe ich mich an und mache mich auf dem Weg nach unten. Langsam schleicht sich Hunger in mir ein, schließlich habe ich schon seit Tagen nicht mehr wirklich etwas gegessen. Zu groß war die Anspannung vor der Trauerfeier. Des Weiteren durften wir auch nicht so viel essen. Wir sollten schön blass für diesen besonderen Abend aussehen. Und das kann man eben nur erreichen, wenn man keine Nahrung und vor allem nur wenig Blut zu sich nimmt. Besonders letzteres wird schon für Vampire in unserem Alter auf Dauer schmerzhaft und ist kaum aufzuhalten. Ob sie unten wohl noch die Reste von gestern Nacht aufbewahrt haben? Voller Hoffnung mache ich mich auf den Weg Richtung Küche. Aber meine Vorfreude auf die leckeren Häppchen wird schlagartig vernichtet. Nein! Nein, das darf nicht wahr sein! Wieso? Wieso ausgerechnet jetzt? Großvater geht gerade unten durch die Eingangshalle Richtung Haustür. Wie erstarrt bleibe ich stehen. Bitte, sehe mich nicht! Bitte! Geh einfach nur zur Tür und verschwinde, denke ich bei mir. Und tatsächlich hält er schon die Klinke in der Hand ohne mich auch nur bemerkt zu haben. Doch dann, plötzlich, ich kann es immer noch nicht fassen, dreht er sich um. Wieso nur? Was hat ihn nur dazu verleitet? Gehört haben kann er mich doch gar nicht, ich habe mich doch kein bisschen bewegt! „Flora! Mein Engel! Das trifft sich gut, dass du kommst. Ich muss dir unbedingt jemanden vorstellen.", sagt er freundlich und voller Begeisterung zu mir. Jemanden vorstellen? Ich bin völlig verwirrt. Wer kann das nur sein? Meine Wut auf Großvater ist kaum noch zu spüren, zu groß ist die Anspannung und vielleicht auch die Vorfreude auf die Person, die er mir vorstellen will. Vielleicht kenne ich sie ja. Aber über wen sollte ich mich da dann schon freuen? „Er müsste jeden Moment…", beginnt Großvater während er durch die Haustür nach draußen zur Hofeinfahrt späht. „Ach, da ist er ja schon. Wusste ich doch, dass ein Motorgeräusch gehört habe." Meine Neugier steigt mehr und mehr. Langsam gehe ich die letzten Treppenstufen hinunter und gucke gebannt zur Tür. Wer mich jetzt wohl erwarten wird? „Ernesto!", begrüßt Großvater einen Mann, der deutlich jünger ist, als er. Ja, sogar noch jünger als Vater, wenn ich mich nicht täusche, müsste er auf die 30 zu gehen. Gesehen habe ich ihn noch nie und auch der Name kommt mir beim besten Willen nicht bekannt vor. Mag er wohl ein Verwandter sein? Unsere Familie ist groß, da kennt man nicht jeden. Irgendwie ganz schnuckelig sieht er schon aus, träume ich vor mich hin. „Ich habe dich schon hören kommen. Wie geht es deinen Vater. Ist er immer noch so viel am Arbeiten?", sagt Großvater freundlich und schüttelt ihn schwungvoll die Hand. „Ach, hallo! Ja, er hat es immer noch nicht übers Herz gebracht sich endlich zur Ruhe zu setzten. Aber sie kennen ihn doch.", gibt er mit scharmanter Stimme wieder. Seine Art, seine Eleganz, sie bezaubert mich. Meine Augen sind gebannt auf ihn gerichtet. „Ja, etwas anderes hätte ich auch nicht erwartet", sagt Großvater scherzend. „Aber sein sie nicht so vornehm zu mir. Sie müssen mich nicht siezen. Ich habe dir doch schon lange das Du angeboten." „Das mag wohl in meiner Erziehung liegen. Ich bin es eigentlich nicht gewohnt, ältere Herrschaften zu duzen. Sie verdienen doch Respekt. Und auch den möchte ich ihnen entgegenbringen.", sagt er mit einem Augenzwinkern. „Sie Schmeichler. So sehr ich deine Umgangsformen auch zu schätzen weiß, bestehe ich auf ein DU! Unsere Familien kennen sich jetzt schon so lange, da ist es doch nur vernünftig endlich dazu überzugehen." Also doch kein Verwandter. Obwohl ich mir das doch hätte denken können. So ein gutaussehender Herr wäre mir bestimmt auf einer der zahlreichen Familienfeiern aufgefallen. Wenn er doch nur nicht so alt wäre… Er sieht zwar aus, als ob er auf die 30 in Menschenjahren zugehen würde, aber in Vampirjahren ist das eine halbe Ewigkeit, leider… „Und wer ist die reizende Dame hinter ih…dir, meine ich natürlich.", fragt er Großvater auf einmal. Erschrocken zucke ich ein wenig zusammen. Dieser Satz lässt meine Gedanken verschwinden. „Das ist meine Enkelin Flora.", gibt Großvater wieder indem er bei Seite tritt, um den Herrn Platz zu machen. Mein Herz fängt an zu rasen. Ich sehe, wie er sich langsam auf mich zubewegt, in seiner Eleganz. So eine Bewegung habe ich noch nie gesehen, da kann nicht einmal Elliots mysteriöse Gangart mithalten. „Ich bin sehr erfreut dich kennenzulernen.", sagt er, während er sanft meine Hand nimmt und sich leicht verbeugt. Ich bin hin und weg. „Ich bin im übrigen Ernesto Lester. Ich weiß nicht, ob dein Großvater dir schon etwas über mich erzählt hat. Aber wir werden ab jetzt etwas Zeit miteinander verbringen.", sagt er mit einer zum dahin schmelzenden Stimme. Ich kann mich kaum noch konzentrieren. Was hat er nur mit dem letzten Satz gemeint? Und was soll ich jetzt sagen? Hilfe! „Ähm..." fange ich stotternd an. Was für ein Glück, dass zumindest meine Stimme gerade jetzt nicht versagt. „Nein, er hat nichts gesagt.", gebe ich von mir. Was Besseres konnte mir wohl nicht einfallen. Wie dämlich das wohl für ihn klingen mag…wie das wohl rüber gekommen ist…Als ob ich total schüchtern wäre… Ich merke, wie mein Gesicht heiß wird. Hilfe, jetzt bloß nicht rot anlaufen! Wie peinlich soll es denn noch werden? Verzweifelt versuche ich an etwas anders zu denken. „Ja, das stimmt.", höre ich Großvaters Stimme erklingen. Ich bin ihm so dankbar, dass er endlich was sagt. Ernesto wendet sich nun Großvater wieder zu und meine Panik geht etwas zurück. „Flora weiß noch nicht viel beziehungsweise fast gar nichts davon. Ich habe ihr lediglich gesagt, dass ich meinen alten Freund fragen wolle, ob nicht sein Sohn Zeit hätte." Ich verstehe nur Bahnhof. Wovon spricht er nur? „Lass uns am besten ins Wohnzimmer gehen, damit wir alles weitere besprechen können.", schlägt Großvater vor und weißt uns an ihm zu folgen. Wie versteinert bleibe ich stehen und sehe, wie Ernesto an mir vorbeigleitet. Großvater ist schon fast an der Tür und ich kann meine Beine immer noch nicht zum Gehen bewegen. Und als ob das noch nicht schlimm genug wäre, dreht sich Ernesto auch noch zu mir um. Und ich stehe da, wie ein einsames Mauerblümchen. „Flora, komm schon. Ich beiße schon nicht!", sagt er lachend zu mir. Oh man, wie peinlich! Am liebsten würde ich im Erdboden versinken! Aber merkwürdigerweise setzten sich jetzt auf einmal meine Füße in Bewegung. Mit jedem Schritt, den ich Ernesto näher komme, fängt mein Herz mehr und mehr an zu klopfen. Alles in mir wünscht sich gerade, dass er endlich weitergeht, aber irgendwie auch nicht. Was ist nur los mit mir? So ein Gefühl habe ich sonst doch nur immer, wenn ich Elliot ganz nahe komme, was leider viel zu selten geschieht… Im Wohnzimmer ist auch Vater, der Ernesto herzlich begrüßt, als er diesen erblickt. Auch er scheint ihn sehr gut zu kenne. Wieso ist er mir dann nur so unbekannt? Irgendwie ein merkwürdiges Gefühl mit den drein hier zu sitzen. Alle wissen, wieso wir das machen. Nur ich nicht. Mir fällt nicht einmal ein einziger lächerlicher Grund ein. Und jetzt muss Vater auch noch mit Ernesto über seine Eltern reden. Kann denn nicht endlich mal jemand mich aufklären? Wieso werde ich ab jetzt Zeit mit ihm verbringen? Ein Nachhilfelehrer? Aber Vater kann doch noch gar nichts wissen, wie wir in der Schule sind. Schließlich sind wir erst seit fast zwei Wochen dar! Vielleicht ein Ersatz für Lucern! Der wird doch morgen Abend wieder abreisen. Das könnte es sein! Der Gedanke lässt mein Herz höher schlagen. Das wäre einfach wunderbar, aber dann müsste ich mich ja benehmen… ach was, jetzt übertreibe ich… „Ich möchte jetzt nicht unhöflich erscheinen, aber vielleicht sollten wir uns jetzt dem eigentlichen Grund zuwenden, weshalb ich hier bin. Sie, ach ich meine du musst wissen, dass ich gleich noch einen Termin habe.", sagt Ernesto nun zu Vater. „Natürlich, gewiss. Ich muss in einer Stunde auch wieder los zu einer Konferenz. Und mein Vater macht sich heute Abend noch mit Lucern, einem Freund von mir, wieder auf nach Hause.", entgegnet Vater. Lucern fährt heute schon wieder? Sollte er nicht erst morgen fahren? Bestimmt fährt er heute schon damit er Großvater mitnehmen kann. Das hat Vater bestimmt veranlasst. Der Gedanke erheitert mich, Lucern mochte ich ehe nie wirklich. Auch wenn er sich manchmal sehr loyal verhalten hat. Ernesto wäre da schon wesentlich besser als Aufpasser, schwärme ich vor mir hin. „Flora!", wendet sich Großvater an mich. „Ich habe dir doch versprochen, dass ich meine Fehler wieder gut machen will. Daher wollte ich auch mit meinem besten Freund reden, ob nicht sein Sohn Ernesto dir helfen kann. Und er hat tatsächlich Zeit. Ist das nicht wunderbar.", sagt er freudestrahlend und guckt mich so an, als ob er eine Zustimmung erwarten würde. „Ja, das ist es.", sage ich krampfhaft und hasse mich im gleichen Moment, als meine Worte erklingen. Etwas Einfallsreicheres hätte es diesmal echt sein können. Aber ich weiß immer noch nicht worum es hier geht. Habe ich etwas verpasst? An so ein Gespräch mit Großvater erinnre ich mich beim besten Willen nicht mehr. „Und dein Vater hält es auch für eine gute Idee. Auch wenn ich zugeben muss, dass ich nicht ganz seiner Idee folge, es vielleicht auch einmal mit deinem Bruder zu versuchen. Bei dem ist doch schon alles verloren. Aber dir wird es bestimmt gut tun. Und ich will einfach nur das Beste für dich! Und Ernesto ist einfach der Beste. Das wirst du sehen.", verkündet er irgendwie feierlich, was mir allerdings auch nicht wirklich hilft. Ob ich einfach nachfragen sollte? Aber wie? Da stell ich mich doch bestimmt wieder so blöd an. „Jetzt übertreib mal nicht. So gut bin ich nun auch schon wieder nicht.", sagt Ernesto charmant. „Mal nicht so bescheiden! Wir wissen doch wohl alle, dass sie der Beste auf ihrem Gebiet sind!", mischt Vater sich ein. „Da muss ich meinem Sohn wirklich Recht geben. Du wirst Flora bestimmt sehr gut helfen. Und das hat die Kleine auch bitter nötig. Vor allem weil sich mein Sohn nicht davon abbringen lässt sie mit ihrem verzogenen Bruder in das Camp Sanguinea Lacrima zu schicken!", schaut er Vater vorwurfsvoll an. „Ich habe dir schon mehrfach gesagt, dass mir keine andere Wahl bleibt. Ich muss die beiden dort hinschicken. Du weißt genau, dass die Anweisung vom Rat kommt. Sie sind von Floras Unschuld nicht mehr überzeugt und wollen sie trotz Beweismangel dort hinschicken. Und gegen den Befehl des Rates kann man sich nicht wehren.", gibt Vater streng zurück. „Ich weiß.", sagt Großvater enttäuscht. Ich habe heute noch mal mit dem Rat gesprochen, da lässt sich einfach nichts machen. Deshalb habe ich auch sofort Ernesto angerufen, damit er sich endlich um die Kleine kümmert. Sonst geht sie uns in dem Camp noch zu Grunde.", erzählt er niedergeschlagen. Was? Sanguinea Lacrime? Das darf nicht wahr sein! Ich habe schon viel von diesem Camp gehört. Es ist ein Teil vom berühmt berüchtigten Vampir Internat. Nur noch viel, viel schlimmer. Der Rat kann uns nicht dahinschicken. Die haben doch gar keine Beweise, dass ich in der Sache mit drin hänge. Aber Desmond. Ich könnte ihn auch nicht alleine dort hingehen lassen. Er ist doch jetzt schon alleine. Hilfe! Wieso nur? Das hat Vater bestimmt mit dem „Speziell" gemeint. „Nein…", gebe ich stöhnend von mir. Erst Bruchteile später merke ich, dass ich dieses „nein" soeben laut gesagt habe. Alle gucken mich an, erst jetzt wird ihnen klar, dass ich auch noch da bin. Zu mindestens Vater und Großvater. Ernesto scheint mich schon die ganze Zeit zu beobachten… „Ach, Liebling!", wendet sich Vater mir behutsam zu. „Das wollte ich dir gestern schon erzählen, aber da stand es noch nicht sicher fest. Ich wollte dich nicht beunruhigen, erst recht nicht, wenn das alles sich nicht bewahrheiten sollte. Aber heute ganz früh am Morgen kam dann eben doch die Nachricht vom Rat, dass du und Desmond für vier Wochen in das Camp geschickt werdet. Wir konnten es wirklich nicht mehr verhindern.", sagt er behutsam. Er ist wieder so wie gestern Abend. Aber das interessiert mich gerade nicht mehr. Mich beschäftigt nur eine einzige Frage… „Wann?", frage ich mit erstickter Stimme. Es ist so grausam. Das können die uns doch nicht antun! „In den Herbstferien und dann eben noch zwei Wochen, in denen ihr eigentlich das Schulpraktikum machen solltet. Dafür habe wir auch schon die Bescheinigungen, also alle werden denken, dass ihr wirklich beim Praktikum seid." Mein Hals fühlt sich an, als ob sich dort ein riesiger Kloß befindet. „Das ist in vier Wochen!", sage ich geschockt. „Ja, leider. Und es führt kein Weg dran vorbei." „Aber Ernesto wird dich dort ein paar Mal besuchen kommen. Das wird dir helfen. Du kannst über alles mit ihm reden. Das mag jetzt wahrscheinlich nur ein schwacher Trost für dich sein, aber Ernesto ist wirklich der beste Psychiater den man sich vorstellen kann. Mit ihm wirst du die Zeit bestimmt besser überstehen. Da bin ich mir sicher. Er wird dir auch helfen über die anderen Qualen hinwegzukommen, weshalb ich ihn eigentlich bestellt habe.", versucht Großvater mich zu beruhigen. Psychiater! Scheiße! Plötzlich fällt mir alles wieder ein. Das Gespräch in der Gruft. Das hatte ich schon längst wieder aus meinem Gedächtnis verbannt! Ich hätte nie gedacht, dass er das wirklich macht… Ich will mit niemanden über meine Probleme reden! Und wie soll der mich schon im Camp unterstützen? Als ob mir das was hilft, ihm all das zu erzählen, womit die uns da quälen werden… Ich bin so in meinen Gedanken versunken, dass ich gar nicht bemerkt habe, dass Ernesto sich von seinem Platz erhoben hat und zu mir rüber gekommen ist. Er kniet neben der Sofagarnitur, auf der ich am Rand Platz genommen hatte. Als er vorsichtig meine Hand in seine nimmt, zucke ich erschrocken zusammen. „Flora! Ich weiß, wie du dich jetzt fühlen musst. Aber ich kann dir wirklich helfen. Du weißt überhaupt nicht, wie gut es einem tut über seine Probleme zu reden. Für alles gibt es eine Lösung." Natürlich, der spinnt doch! Aber er ist so süß! Es ist so ein schönes Gefühl, wenn er meine Hand nimmt… „Dein Großvater hat mir schon viel von dir erzählt. Du hattest es wirklich nicht einfach in deinem Leben und es ist viel schief gegangen. Vieles belastet dich noch heute. Gemeinsam können wir das aufarbeiten. Du wirst sehen, dass es dir dann wesentlich besser gehen wird." Na, klar… als ob ich ihm alles über meine Vergangenheit erzählen würde…für wen hält der sich… „Also, wollen wir es gemeinsam versuchen?", fragt er mich mit einer dahinschmelzenden Stimme. Pah, niemals! Niemals werde ich ihm alles erzählen! Aber wieso nicke ich dann??? Kapitel 15: ------------ Desmond Immer noch liege ich wie versteinert auf meinem Bett. An Schlaf ist nicht zu denken. Zu groß ist der Schmerz in meinem Inneren. Wieso nur haben sie mir das angetan? Ich begreife es einfach nicht. Weitere Tränen verlassen meine Augen, bis ich schließlich vollkommen erschöpft in einen, glücklicherweise traumlosen, Schlaf falle. Am nächsten Morgen werde ich schon früh von einem der Wächter geweckt. "Aufstehen!", herrscht er mich an, "Du wirst nun in eine andere Zelle verlegt!" Andere Zelle? Wieso denn das? Vielleicht war das hier ja nur eine Übergangszelle... hoffentlich komme ich nicht zu meinen Peinigern von letzter Nacht... Rasch schnappe ich meine Sachen und folge dem Wärter, welche mich zu einer Zelle einige Flure weiter führt. Ich habe die Tür zur neuen Zelle gerade erst passiert, als diese auch schon wieder geschlossen wird. "Hey", erklingt es von einem der Betten und ich fahre herum. Dort liegt ein Vampir. Vielleicht ein paar Jahre älter als ich. "Hey...", antworte ich schließlich und mustere ihn skeptisch. Sollte es wirklich sein, dass es hier Leute gibt, die mir nichts antun wollen? Abwarten. Langsam lasse ich mich auf meinem Bett nieder und ein brennender Schmerz schießt durch meinen Körper. Schmerzerfüllt zucke ich zusammen, bemühe mich aber, meine Schmerzen nicht zu deutlich zu zeigen. Immerhin weiß ich nicht, ob ich ihm vertrauen kann. "Scheint als hätten dich Derleth und seine Freunde schon ‘begrüßt'...", spricht er und sieht mich mitleidig an. Meine Miene ist ausdruckslos, als ich schließlich antworte. "Scheint, als hättest du ebenfalls Erfahrung damit..." Ein schwaches Lachen entkommt seiner Kehle. "Da müssen alle Neuen durch..." Ich nicke leicht. "Wer bist du eigentlich?", frage ich schließlich, denn so langsam interessiert es mich doch, mit wem ich mir die nächsten beiden Wochen die Zelle teilen darf. "Malthur", erwidert er lächelnd, "Und du?" "Desmond", antworte ich und Malthur nickt leicht. "Weshalb bist du hier?", fragte er dann. Ich zögere. Soll ich ihm erzählen, was mich hierher gebracht hat? Er scheint zwar ganz nett zu sein, doch kann ich ihm so weit vertrauen? Naja... von der Rede sollte ich ihm noch nicht unbedingt erzählen... "Alkoholmissbrauch...", antworte ich ausdruckslos, "und du?" "Verschiedenes...", erwiderte er, "Schlägereien, Diebstähle, Drogen... und dann natürlich Wiederholungstäter... ist auch nicht das erste Mal, dass ich hier bin" Ich nicke leicht. Das alles kommt mir doch sehr bekannt vor. Es ist schon Jahre her, seit ich selbst Erfahrungen in dem Bereich gemacht hatte... und zwar die ganze Palette... man hatte ich damals viel Ärger mit meinen Eltern gehabt, zumal Mutter damals ja auch noch lebte... Ashlee Endlich, endlich fertig! Gerade noch rechtzeitig, wie mir meine Armbanduhr zeigt. Wie gut, dass ich mich sofort an die Hausaufgaben gemacht habe. Sonst hätte das wirklich schief gehen können. Ich möchte mir gar nicht ausmalen, was mir geblüht hätte, wenn ich nicht fertig geworden wäre. Bestimmt hätte ich eine Nachtschicht heute einlegen müssen, das ist gewiss. Und wahrscheinlich hätten sie mir wieder meine eine Stunde Freizeit am Tag gestrichen. Genauso wie sie es letztens für einen ganzen Monat gemacht haben. Und das nur, weil ich zwei Mal vergessen hatte, die Post aus dem Briefkasten mit rein zu nehmen, als ich nach Hause gekommen bin… Wie schön es doch in einer anderen Familie sein müsste. Keinen den ich kenne, hat so einen beschissenen Tagesablauf wie ich. Wieso muss ich auch 7 Fremdsprachen lernen? Wo die vier Fremdsprachen, die ich in der Schule mehr oder weniger freiwillig lerne noch nicht einmal hinzu gehören. Und wer hat dann noch daneben, jeden Tag zwei Stunden extra Sportunterricht, einen Tanzkurs, Klavierstunden, Geigenunterricht, muss eine Kunstakademie besuchen, sich zig Vorträge anhören von irgendwelchen ach so berühmten Leuten anhören und daneben noch zur Schule gehen und natürlich nur Einsen mit nach Hause bringen? Keiner, niemand hat so blöde Eltern wie ich. Merken die denn überhaupt nicht, was sie mir damit antun? Merken die nicht, dass ich so langsam nicht mehr kann? Der Tag hat zwar 24 Stunden, aber auch ein Vampir braucht mal mindestens 5 Stunden Schlaf! Ich habe schon lange nicht mehr so lange geschlafen. Jede Nacht lerne ich, zu groß ist die Angst auch nur in einer einzigen Klausur zu versagen… Schnell raffe ich meine Hausaufgaben zusammen und stürme nach unten ins Wohnzimmer. Natürlich darauf bedacht, unten nicht so viel Krach zu machen und noch schnell die Blätter sorgfältig zu sortieren. Was meine Eltern nämlich neben vielen anderen Angewohnheiten, die ich habe, nicht mögen ist Unordentlichkeit! Vater sitzt auf seinen Sessel und liest die neue Ausgabe des Vampir-Journals. Als ich nach einem vorbildlichen Anklopfen eintrete, senkt er die Zeitung. „Gerade noch rechtzeitig!", ermahnt er mich streng. Schuldbewusst senke ich den Kopf und lege ihm meine Hausaufgaben sorgfältig auf den Wohnzimmertisch. Sofort faltet Vater die Zeitung behutsam zusammen und nimmt das erste Blatt zur Hand. Mein Herz rast wie jedes Mal. So groß ist die Anspannung. Wenn er auch nur einen kleinen Fehler findet, bin ich regelrecht geliefert. Dann wird mir noch mehr von meiner so kleinen Freizeit genommen. Und gerade heute möchte ich Vater auch noch wegen Desmond ausfragen. Wie soll ich das nur schaffen? Völlig verzweifelt stehe ich vor dem Wohnzimmertisch und schaue Vater an. Wieso muss er sich auch immer alles so sorgfältig durchlesen? Endlich nimmt er das letzte Blatt. An seiner Miene kann man nicht erkennen, wie es bisher aussieht. So sehr hoffe ich, dass er keinen Fehler gefunden hat. Bitte! Langsam legt er die Blätter zusammen und schaut mich an. Der Moment ist dar, vor dem ich mich fast jeden Tag fürchte. „Gut gemacht." Erleichterung macht sich in mir breit. „Aber…" Nein! Bloß kein Aber! Bitte nicht!! „Aber das nächste Mal kannst du ruhig etwas schneller arbeiten. Schließlich musst du auch noch für die anderen, vor allem die Vampir-Fächer, lernen.", sagt er ziemlich streng, sodass mir ein eiskalter Schauer über den Rücken läuft. „Ja, Vater!", sage ich schuldbewusst. „Du weißt doch wohl noch, dass du noch die Liste abarbeiten musst, die ich dir oben auf deinem Schreibtisch gelegt habe?" „Ja, Vater! Ich werde es bestimmt zu deiner Zufriedenheit fertigstellen.", entgegne ich. „Das will ich aber auch hoffen!" Die Liste, scheiße. Damit bin ich noch überhaupt nicht angefangen. Vielleicht sollte ich heute Nacht auch wieder weniger schlafen, sonst schaff ich das nie bis Freitag. Wieso musste auch die Trauerfeier nur dieses Wochenende sein? Nur deshalb ist der Vampir-Privatunterricht am Wochenende ausgefallen. Und das darf ich jetzt natürlich alles wieder alleine nachholen… Mmmh, die Trauerfeier… Soll ich es jetzt vielleicht mal versuchen Vater auszufragen? Ob wohl jetzt der richtige Moment ist? Wie fange ich nur am besten an? Wie angewurzelt stehe ich dar. „Ist noch etwas?", fragt Vater erstaunt, als er bemerkt, dass ich nicht wie gewohnt meine Sachen vom Wohnzimmertisch nehme und gehe. Jetzt muss ich etwas sagen. Komm schon Ashlee trau dich! Jetzt oder nie! „Ähmm…", nehme ich allen Mut zusammen. „Ich … ich wollte dich fragen, ob du mir nicht etwas erzählen kannst, wie Floras und Desmonds Mutter damals ums Leben gekommen ist. Also was genau geschehen ist", mein Herz pocht wie verrückt. Gebannt schaue ich zu Vater. Ich sehe sein erstauntes Gesicht, doch sogleich verhärtet es sich. Das ist kein gutes Zeichen. Bitte, lass mich das einfach nur falsch gedeutet haben! „Du fragst mich, ob ich dir etwas davon erzählen kann.", erklingt Vaters verärgerte Stimme. Der Zorn ist deutlich raus zu hören. Ich habe mich nicht getäuscht, leider… aber ein Versuch war es wert… „Ich habe mit dir gesprochen!", schellt mir Vaters Stimme erneut entgegen. „Ja. Ich habe dich gefragt!", gebe ich mit zitternder Stimme von mir. Was jetzt wohl geschehen mag? Ich habe solche Angst… „Also habe ich tatsächlich richtig gehört! Ich bin so enttäuscht von dir, Ashlee! Glaubst du wirklich, dass ich dir etwas darüber erzählen würde? Nein, ganz gewiss nicht! So habe ich dich nicht erzogen! Violetta hätte mich so etwas nie gefragt!", seine Stimme wird immer lauter. Ich muss ihn wohl ziemlich verärgert haben. Mir zittern die Knie, wie gebannt warte ich auf die nächsten Beschimpfungen. Was war nur so falsch an meiner Frage? „Du hast unten im Keller eine riesige Bibliothek. Und anstatt dich bei mir zu erkundigen könntest du ruhig ein paar Bücher durchlesen. Das würde dir bestimmt nicht schaden! Vor allem, wenn du noch nicht einmal etwas von dem wichtigsten Ereignis in unserer Geschichte gehört hast. Violetta wäre sofort darauf gekommen! Was haben wir nur in unserer Erziehung mit dir falsch gemacht?" Immer Violetta! Den ist es doch ehe am liebsten, wenn es mich nicht geben würde… Aber Recht hat er schon ein wenig. Darauf hätte ich selber kommen können…die Bibliothek….nur wie soll ich da das richtige Buch finden…. „Scher dich sofort auf dein Zimmer, Ashlee!", donnert Vaters Stimme erneut in meinen Ohren. „Das mir so etwas ja nicht wieder vorkommt! Du blamierst noch mal unsere ganze Familie! Die nächste Woche ist deine Stunde Freizeit pro Tag gestrichen! Das wird dir hoffentlich eine Lehre sein. Stattdessen werde ich dich höchstpersönlich beaufsichtigen, wie du deine Arbeiten erledigst. Und nun geh mir aus den Augen! Ich habe noch ein wichtiges Telefonat mit deiner wunderbaren Schwester zu führen. Wenn du nur etwas mehr von ihr hättest…" Flora Langsam schlendere ich die Straßen entlang. Es ist ein ziemlich komisches Gefühl hier alleine langzugehen. Bisher haben wir diesen Weg immer zusammen hinter uns gebracht und nun bin ich alleine. Nicht einmal Lucern ist noch da, was eigentlich nicht wirklich schlimm ist. Nur Desmond fehlt mir eben so sehr… Am liebsten würde ich zu Hause bleiben, aber leider geht das nicht. Wenn Vater davon erfahren würde…ich möchte mir gar nicht ausmalen was dann mit mir geschieht. Ist sowieso ein Wunder, dass ich bisher so glimpflich davon gekommen bin. Nicht einmal eine einzige Ohrfeige, kein einziger Schlag! Was ist nur mit Vater los? Lange zum Überlegen, ob ich nun wirklich zur Schule gehe oder nicht bleibet mir nicht, denn da stehe ich auch schon vor dem eisernen Schultor, wo sich noch die letzten Schüler schnell durchquetschen um ja nicht zu ihrer ersten Stunde zu spät zu kommen. Mich interessiert das überhaupt nicht, soll Frau J. mich doch anschnauzen, solange sie Vater nicht benachrichtigt ist doch alles gut! Und bei so einer Kleinigkeit traue ich ihr das nicht mal zu. Nur wenn ich überhaupt nicht kommen würde, könnte es vielleicht auffallen… Niedergeschlagen gehe ich durch das Tor, nachdem ich eine halbe Ewigkeit davor verbracht habe und die anderen dabei beobachtet habe, wie sie in die Schule hetzen. Gerade als ich die Hälfte der Strecke zur Eingangstür hinter mir habe, klingelt es zum zweiten und somit auch zum letzten Mal. Aber das beunruhigt mich nicht, ich habe ehe keine Lust auf Deutsch. Und die Schule kann mir eigentlich auch gestohlen bleiben! Schon interessant, wenn man nach dem zweiten Klingeln ganz langsam und gemütlich durch die Schulflure spaziert und immer wieder vereinzelt Schüler an einem vorbei rennen, um nicht noch später zu kommen. Vor allem wenn diese bei ihrem schnellen Tempo nicht mehr die nächste Kurve erwischen, wie der kleine Junge gerade. Ich kann mein Lachen nicht verkneifen, dass sieht einfach so lustig aus, wie er jetzt alle viere von sich gestreckt auf den Fußboden liegt und anfängt zu heulen. Ein wirklich erbärmliches Bild! Aber auch ziemlich amüsant. Langsam gehe ich mit erhobenen Hauptes an ihm vorbei und lache ihn arrogant an bzw. aus. Wie er mich doch anguckt, so verheult und schmerzverzerrt, da fühlt man sich doch gleich wieder besser!! Ich sehe noch aus dem Augenwinkel, wie der Kleine sich langsam aufrafft und nun auf allen vieren vor sich hin kriecht. Einfach nur herrlich! Wonach der Kleine wohl suchen mag? Oder krabbelt er nur Hilfe suchend in der Gegend umher? Nein, er muss was suchen. Ob ich ihm wohl behilflich sein kann, denke ich gehässig und mache eine elegante Kehrtwendung! Mal sehen wonach er sucht… Ich stehe nur ein oder zwei Meter von ihm entfernt und begutachte das herrliche Trauerspiel. Es dauert nicht lange bis ich etwas auf dem Fußboden funkeln sehe. Schlagartig wird mir klar, was dort liegt. Der Kleine hat bei seinem Crash mit der Wand seine Brille vernichtet, obwohl die Gläser bisher noch heile sind. Sie liegen nur außerhalb des Gestells auf dem Fußboden, direkt vor meinen Füßen. Auch der Kleine scheint die Gläser bemerkt zu haben. Wie ein Wilder krabbelt er auf mich zu und will gerade nach den Gläsern greifen, doch zu spät… Blitzschnell trete ich mit meinen Fuß die Brillengläser klein. Ein tolles Gefühl, vor allem weil der Kleine jetzt noch mehr anfängt zu weinen. Irgendwie gefällt mir der Tag! Eiskalt drehe ich mich um und lächle ihn noch einmal gehässig zu. Dann schreite ich weiter ohne mich auch nur noch ein einziges Mal umzudrehen. Ich höre nur noch das leise wimmern… Nur noch ein kleiner Flur trennt mich von dem Klassenzimmer, in dem ich Deutsch habe. Am liebsten würde ich wieder umdrehen, aber die Wahrscheinlichkeit, dass Vater etwas mitbekommen würde, wenn ich blau mache ist leider zu groß. Schweren Herzens gehe ich weiter. Doch plötzlich wirft mich etwas unsanft zu Boden. Ich bin im ersten Moment benommen. Ob der Kleine… ach quatsch, als ob der mich umschmeißen könnte. Der flennt doch bestimmt immer noch rum und schreit nach seiner Mama. Aber was hat mich zu Boden gerissen und wieso? Verdattert drehe ich meinen Kopf und sehe wie etwas auf mir liegt. Eine Gestalt, die etwa 1,80m groß ist und sich langsam von mir herunter bewegt. Ich fasse es nicht, wer mich gerade über den Haufen gerannt hat, es ist Elliot. Mein Herz fängt sogleich an zu rasen, als ich ihn erkenne, genau wie gestern bei Ernesto. Oder sogar noch mehr? Verlegen murmelt er ein „Entschuldigung". Zumindest glaube ich so etwas in der Art verstanden zu haben. Ich sitze immer noch auf dem Boden, als Elliot mir die Hand reicht. Mein Herz macht einen großen Hüpfer und scheint sich fast zu überschlagen. Wie von Sinne greife ich nach seiner Hand. Sie ist warm und weich, und verkörpert dennoch Stärke. Mit einem Rück bin ich wieder auf den Beinen und stehe nun ganz nah vor ihm. Ich weiß nicht was ich sagen soll. Wieso fällt mir nur immer in solchen Situation nicht gescheites ein? Aber ihm scheint es ähnlich zu gehen. Eine Weile schauen wir uns einfach nur an. Ich bin wie hypnotisiert von seinen Augen. „Du bist Flora, oder?", fragt er mich schließlich. Ich nicke, komm schon Flora jetzt musst dir doch noch was Gescheites einfallen. Was soll er denn sonst von dir denken? „Und du musst Elliot sein! Zülal hat mir schon ein wenig was von dir erzählt.", gebe ich etwas verlegen von mir und hoffe, dass er es nicht bemerkt hat. „Ich hoffe mal, dass sie nur gutes erzählt hat.", gibt er nach einer Weile zurück. Aber irgendwie wirkt er komisch dabei, als ob er etwas vor mir verheimlichen möchte… oder als ob er Angst hat, dass ich etwas Bestimmtes über ihn wissen könnte… Und dabei weiß ich doch so gut wie gar nicht über ihn, leider… Aber vielleicht bilde ich mir das auch einfach nur ein… „Klar! Oder hast du irgendwelche düsteren Geheimnisse, die keiner wissen darf?", frage ich scherzend und bin froh, dass dieser Spruch relativ locker über meine Lippen geht. Doch irgendwie ist Elliot komisch, irgendetwas stimmt nicht mit ihm, das merke ich doch. Aber was nur? Hat es womöglich mit dem Thema zu tun? Aber das ist doch ein stink normales, ich bin völlig verzweifelt und erst jetzt bemerke ich, dass er ein großes, dunkles, blaues Veilchen an einem seiner Augen hat. Ob ich ihn darauf ansprechen soll? Nur wie? Einfach danach fragen? „Man weiß ja nie.", sagt er lachend, auch wenn es gequält rüber kommt. „Wir sollten nun wirklich in die Klasse gehen. Nicht das wir noch mehr Ärger bekommen. Schließlich sind wir schon fast eine halbe Stunde zu spät.", sagt er schließlich mit einem prüfenden Blick auf seine Armbanduhr. „Ja, das wird wohl das Beste sein.", gebe ich etwas enttäuscht wieder. Am liebsten würde ich mich noch etwas mit ihm unterhalten, obwohl das vielleicht doch keine gute Idee ist. Wieso kann ich nur nicht normal mit Menschen reden, die mir… „Na, dann komm!", sagt er jetzt ganz liebevoll oder bilde ich mir das nur ein. Er lächelt mich doch an, oder? Langsam gehe ich neben Elliot her, während ich ihm zu lächle… „Wo kommt ihr beiden denn jetzt auf einmal her? Wisst ihr nicht wie spät wir es schon haben?", donnert uns die Stimme von Frau J. entgegen. Elegant gleitet Elliot zu seinem Platz, aber er bewegt sich noch lange nicht so schön fort wie Ernesto. „Ich habe euch etwas gefragt!", erklingt nochmals die verärgerte Stimme von Frau J. Auch ich sitze nun an meinem Platz. Der Platz neben mir ist frei. Ach Desmond, wenn du nur hier wärst. „Ich hab eben verschlafen. Ist das etwa so schlimm?", höre ich Elliot patzig sprechen. Zugleich verfärbt sich Frau J. Gesicht leicht rot. „Das ist doch wohl nicht dein ernst!", schnaubt sie empört. „Das ist jetzt schon das 8-mal, dass du in diesem Monat zu spät kommst! Ich muss dir ja wohl nicht sagen, dass ich deine Eltern benachrichtigen muss!" „Tun sie sich keinen Zwang an!", sagt Elliot lässig. Auch wenn ich glaube, dass ihm der Gedanke so gar nicht gefällt. Ich würde an seiner Stelle sterben, wenn sie meinen Vater benachrichtigen würde. Man hört nur ein verächtiges murmeln von Frau J. bis sie sich schließlich mir zuwendet. „So. Nun zu dir! Vielleicht ist bei dir ja noch nicht alles verloren.", sagt sie gereizt. Wenn sie nur wüsste, was ich und mein Bruder uns schon alles geleistet haben… „Also, was hast du zu deiner Verteidigung zu sagen?", fordert sie mich zum Sprechen auf. „Ich…ich…" Scheiße, was soll ich nur sagen? Soll ich auch so gehässig antworten, wie Elliot? Vielleicht kann ich ihn ja damit beeindrucken? Doch bevor ich meinen fiesen Spruch, der mir gerade in den Sinn gekommen ist aussprechen kann, ertönt wieder Frau J. Stimme. „Ach, entschuldige Flora!" Was? Habe ich etwas verpasst? „Das kommt alles nur wegen…", sie hält inne. „Ich habe total vergessen, dass man mich heute Morgen schon in Kenntnis gesetzt hat, dass Desmond ins Krankenhaus gekommen ist. Wirklich eine schreckliche Geschichte…", beginnt sie nachdenklich. Alle schauen sie und dann mich an. Sie scheint es wohl noch nicht in der Klasse erzählt zu haben. Jetzt verstehe ich auch, was sie meint. Vater hat heute ganz früh morgens doch noch beim Schulleiter angerufen und hat die Sache mit Desmonds fehlen in den nächsten zwei Wochen geregelt. „Ja, ihr Lieben. Ich glaube jetzt ist der richtige Moment euch über die Ereignisse in Kenntnis zu setzten. Desmond wird uns voraussichtlich in den nächsten zwei Wochen nicht im Unterricht besuchen können. Er hat sich gestern Abend das Handgelenk gebrochen und wurde daraufhin ins Krankenhaus eingeliefert. Heute Morgen hat sich herausgestellt, dass er sich über Nacht dort eine schlimme Infektion eingefangen hat. Aber es geht ihm schon wieder besser. Es ist nicht lebensgefährlich, nur eben extrem ansteckend." Ich sehe die enttäuschten Gesichter der anderen. Sie haben wohl mit etwas Aufregenderes gerechnet. „Aber Desmond ist nicht der einzige der für einen längeren Zeitraum nicht hier sein kann. Hannah hat sich ebenfalls verletzt!" Das ist mir noch gar nicht aufgefallen, dass sie nicht da ist. Aber ich bin genauso erleichtert, wie all die anderen. Hannah ist wirklich eine Qual! Wieso mussten wir sie nur kennenlernen? „Sie wollte wohl am Wochenende eine Sonnenblume pflücken und hat sich dabei mit dem Messer etwas unglücklich in die Hand geschnitten.", erklärt Frau J. schadenfroh. „Auf jeden Fall wird sie uns wohl die nächste Woche nicht besuchen könne, der Arzt hat ihr Gott sei Dank Bettruhe verschrieben. Flora, du wirst ihr jetzt jeden Tag die Hausaufgaben vorbei bringen. Ihr scheint auch ja gut genug zu kennen.", NEIN! Das werde ich bestimmt nicht machen. Doch bevor ich protestieren kann, redet sie auch schon weiter. „Und nun machen wir mit unseren Unterricht weiter! Wir haben schon viel zu viel Zeit verloren!" Als ob ich der die Hausaufgaben bringen würde, wenn ich gnädig bin schicke ich die ihr per Post…aber auch nur mit sehr, sehr viel Glück… Endlich Mittagspause. Ich dachte schon die Stunden gehen gar nicht mehr rum. Gelangweilt gehe ich raus in den Innenhof. Zum Glück gleich nur noch Sport. Etwas worin ich und Desmond spitze sind. Nur was soll ich in der Zeit dazwischen machen? Während ich sinnlos umherwandere und das trübe Wetter draußen genieße, sehe ich Zülal, die wie gewohnt auf der Bank unter dem dicken Baum in der Mitte des Schulhofes sitzt. Ich überlege nicht lange, sondern gehe auf sie zu. Eigentlich macht sie ja auch einen sehr netten Eindruck und außerdem ist sie meine einzige Chance an Elliot ranzukommen. Ob sie wohl weiß, woher er das Veilchen hat? „Hallo! Darf ich mich zu dir setzten?", begrüße ich sie so freundlich wie ich kann. „Ja, klar gerne.", lächelt sie mir zu. „Was sitzt du denn hier so alleine rum? Nina gar nicht da?", versuche ich ein Gespräch zu beginnen. Und zum Glück ist Zülal redselig, so dass es kein Problem darstellt. „Nein, sie ist schon nach Hause gefahren. Sie hat mal wieder Probleme mit ihrer Hand. Aber nichts Schlimmes. Ich schätze mal, dass sie sowieso keine Lust auf Sport hatte. Dafür kenne ich sie zu gut! Aber sag mal, wie geht es deinem Bruder denn? Hört sich ziemlich schlimm an mit er Infektion.", fragt sie besorgt. „Ja, das stimmt. Aber die Infektion ist nicht lebensgefährlich. Du kannst dir das so vorstellen, wie eine schlimmere Grippe. Also er wird es überleben.", versuche ich etwas zu scherzen. Obwohl mir bei dem Thema mit Desmond gar nicht danach zumute ist. „Das blöde ist nur, dass die Infektion ansteckend ist. Deshalb kann ich ihn leider nicht besuchen." „Das ist aber auch ärgerlich. Wer rechnet schon damit, dass man sich im Krankenhaus noch etwas anderes einfängt?", ich merke wie sie sich innerlich über Krankenhäuser aufregt. „Grundsätzlich niemand. Ich war ziemlich geschockt, als Vater mir davon erzählt hat. Wir waren noch nie wirklich voneinander getrennt, höchstens mal ein oder zwei Tage als wir klein waren. Er fehlt mir jetzt schon.", sage ich mit trauriger Stimme. „Das kann ich mir sehr gut vorstellen. Vor allem als Zwillinge, muss man doch noch eine engere Verbindung zueinander haben.", sagt sie mitfühlend und versucht mich in den Arm zu nehmen. Eigentlich lehne ich so etwas strikt ab, besonders wenn es darum geht mit einem Menschen körperlichen Kontakt zu haben, sei es schon ein einfaches Händeschütteln. Aber jetzt lasse ich es über mir ergehen. Ich muss ihr Vertrauen gewinnen, mit ihr Freundschaft schließen. Und bei den Menschen ist es leider üblich sich jederzeit zu umarmen… „Mmmmhh…", höre ich Zülal dicht neben meinem Ohr grübeln. „Was hältst du davon, wen wir zwei mal etwas zusammen unternehmen. Also uns außerhalb der Schule mal treffen?" Man ist das einfach. Ich glaube, sie zählt mich jetzt schon zu ihren Freundinnen. Wie naiv die doch ist. „Ja klar, gerne.", entgegne ich und versuche dabei eine Stimme zu benutzen die traurig, aber zugleich etwas erfreut klingt. „Und ich bin immer für dich da, wenn es dir schlecht geht. Nur damit du es weißt. Du kannst mit allen zu mir kommen. Auch wenn du Heimweh nach Desmond hast. Ist kann ganz gut zuhören.", sagt sie einfühlsam. „Danke!", heuchle ich ihr froh vor. Ob ich jemals auch nur ein Hauch Freundschaft zwischen uns spüren werde? Sie nimmt mich noch fester in den Arm. Wahrscheinlich denkt sie, dass mich ihre Worte so sehr rühren, dass es ein guter Moment dafür wäre. Es dauert eine Weile, bis sie wieder etwas sagt und ich bin ihr dankbar darum. Noch länger hätte ich es kaum noch ausgehalten. „Was hältst du von einem DVD-Abend? Vielleicht diesen Freitag." „Das klingt klasse.", gebe ich strahlend von mir. „Mmmh, hättest du was dagegen, wenn ich Elliot frage, ob er auch kommen möchte? Er hat momentan ziemlich viele Probleme zu Hause und könnte auch etwas Abwechslung gebrauchen.", bittet sie mich. Als ob ich dazu nein sagen würde… Elliot Seufzend mache ich mich nach der Schule auf den Weg nach hause. Das kann ja heiter werden... Im Unterricht hatte ich zwar so getan, als würde es mir nichts ausmachen, wenn Frau J. meine Eltern benachrichtigte, doch dem ist nicht so. Eigentlich hab ich sogar ziemlich Panik davor. Wobei diese Panik sich weniger auf meine Mutter, als vielmehr auf Jürgen bezieht... Was er mir wohl antun wird, wenn er davon erfährt? Ich hoffe nicht noch schlimmeres, als er eh schon macht. Aber noch habe ich nichts zu befürchten. Ein Brief würde eh erst in zwei Tagen eintreffen. Als ich zuhause ankomme, ist niemand da. Doch das macht mir nichts aus. Ich mache mir rasch etwas zu essen und gehe dann nach oben in mein Zimmer, um meine Hausaufgaben zu machen. Ich habe gerade die erste Aufgabe erledigt, als mein Handy klingelt. Es ist Zülal. Was mag sie wohl wollen? "Hey, was gibts?", begrüße ich sie. "Hey, ich wollte fragen, ob du vielleicht Freitag Abend Lust hättest, mit mir und Flora ein paar DVDs zu gucken?", fragt sie fröhlich. Ich zögere. DVD gucken hört sich ja eigentlich ganz gut an, aber was wird mit Charlie wenn ich nicht da bin? Wenn Jürgen sich nicht an mir vergreifen kann? "Ich weiß nicht recht...", antworte ich zögernd, "du weißt doch, wie Jürgen drauf ist..." Wenn er so etwas wie ein netter Mensch wäre, müsste ich ja auch keine Angst um Charlie haben, wenn ich nicht da bin. "Ach nun komm schon", bettelt sie, "du könntest dringend mal etwas Ablenkung gebrauchen." Eigentlich hat sie da ja recht, aber was wird geschehen, wenn ich abends nicht da bin? "Ich glaube nicht, dass das so eine gute Idee ist...", erwidere ich skeptisch, "ich will nicht, dass Charlie leiden muss, weil ich nicht da bin.." Doch Zülal gibt einfach nicht nach. "Dann nimm sie doch einfach mit. Sie kann doch mit meinem kleinen Bruder spielen. Die beiden verstehen sich doch so gut", antwortet sie nach kurzen Nachdenken. Mh... An sich eigentlich gar keine so schlechte Idee, nur ob Jürgen das zulassen wird, ist fraglich. Aber vielleicht wird es was, wenn ich mit meiner Mutter spreche. "In Ordnung", gebe ich schließlich nach, "Ich werde meine Mutter gleich fragen..." Zülal freut sich sichtlich und legt auf, nachdem ich ihr versprochen habe, ihr nachher auch wirklich noch Bescheid zu sagen. Jetzt muss ich also nur noch mit Mutter und Charlie sprechen, aber ich ahne bereits, dass sie begeistert sein werden. Allerdings will ich nicht wissen, was nach meiner Rückkehr hier auf mich wartet... Kapitel 16: ------------ Flora Wieso vergehen diese Tage nur so extrem langsam. Können die zwei Wochen nicht endlich vorbei sein? Aber… mit läuft ein eiskalter Schauer über den Rücken. Der Gedanke an die Zeit nach diesen zwei Wochen gefällt mir gar nicht. Dennoch vermisse ich meinen geliebten Bruder so sehr, dass ich mir nichts sehnlicher wünsche, also ihn endlich wieder zu sehen. Langsam gehe ich durch die Straßen. Schon wieder ist ein Schultag ohne Desmond vorbei. Nichts treibt mich an. Meine Schritte werden immer langsamer. Ich habe keine Lust nach Hause zugehen, aber wo sollte ich sonst hingehen? Ich habe doch niemanden außer Desmond, und der ist meilenweit weg. Trotz diesem merkwürdigen Gefühl nicht nach Hause zu wollen, stehe ich schließlich vor unserer Hofeinfahrt. Vaters Wagen steht vor der großen Garage, in der er noch weitere 7 Autos stehen hat. Es verwundert mich, dass er schon wieder da ist oder noch nicht einmal wieder weg ist. Sonst treffen wir ihn nie, wenn wir aus der Schule kommen. Jede Nacht muss er arbeiten und seit mehreren Jahren lässt er sich auch schon nachmittags nicht mehr blicken. Ich erinnere mich noch an damals, als unsere Mutter noch lebte. Sie war immer so komisch, als Vater sich am frühen Nachmittag verabschiedete. Irgendwie traurig, aber ich kann mich auch täuschen. Dennoch glaube ich nicht, dass es ihr gefallen hat, dass Vater so viel arbeitet. Genauso wenig wie es Desmond und mir gefallen hat. Alles hat sich zu dieser Zeit verändert und auf keinen Fall zum Positiven… Gelangweilt laufe ich nach oben in mein Zimmer. Was soll ich nur jetzt machen? Ich habe einfach auf gar nichts Lust. Vorsichtig trete ich meine Tür auf, die einen Spalt offen steht. Genervt von diesem Tag werfe ich meine Schulsachen in die Ecke. Ich möchte mich einfach nur noch hinlegen und etwas Musik hören. Nicht meine Musik, sondern Desmonds Musik. Erst gestern Abend habe ich mir seine Lieblings-CDs geholt. So fühle ich mich zumindest etwas in seiner Nähe. Ich will mich gerade in meinen Sarg legen, als sich plötzlich alles in mir verkrampft. Wie versteinert bleibe ich stehen. Das darf doch nicht wahr sein! Ich traue meinen Augen nicht, dass muss ich mir alles einbilden, das kann nicht anders sein. Blitzschnell presse ich meine Augen zusammen und erst ein wenig später traue ich mich sie wieder zu öffnen. Aber es ist immer noch da. Ich habe es mir nicht eingebildet, aber wieso ist es hier? Was hat das nur zu bedeuten? Und vor allem, wo ist mein Sarg? Plötzlich höre ich Schritte. Eine Hand legt sich auf meine Schulter. Ich weiß genau wer das ist. Was soll das hier nur? Mit einem verärgerten Gesicht drehe ich mich um und schaue Vater mit einem eiskalten Blick in die Augen. „Ach, wie ich sehe, hast du schon das Bett entdeckt.", sagt er etwas verklemmt, als ob er noch nicht weiß, wie er mir das gleich erklären soll. Erwartungsvoll schaut er mich an. Glaubt der wirklich, dass ich jetzt etwas sage? Aber mein Gefühl sagt mir, dass es genauso ist. Aber da kann er lange warten, was er wohl auch bemerkt. „Du fragst dich sicher, wieso das Bett hier drin steht und nicht mehr dein Sarg.", versucht er erneut irgendwie die Situation zu erklären, was ihm merklich schwer fällt. „Also, wie soll ich sagen… das ist eine Sicherheitsvorkehrung. Ach, setz dich erstmals.", fordert er mich mit einer Handbewegung auf. Mürrisch lasse ich mich auf dieses weiche Etwas fallen. Zwar sind unsere Särge auch weich ausgepolstert und mit Decken versehen, aber noch lange nicht so wie dieses komische Ding. „Ich weiß, dass das jetzt alles etwas plötzlich für dich kommen mag, aber du musst mich auch verstehen." Was soll ich verstehen? Wovon redet er? Wieso muss aus Sicherheit der Sarg entfernt werden? Alle Vampire schlafen in Särgen, also was soll der Quatsch? Fragend schaue ich Vater an. Er scheint nachzudenken. Es ist alles so komisch, so schwer ist ihm doch noch nie ein Gespräch mit uns gefallen. „Es fällt mir wirklich schwer. Ich habe keine Ahnung wie ich dir das schonend beibringen soll, obwohl ich mir schon Tage lang über dieses Gespräch Gedanken gemacht habe. Aber ich habe keine andere Wahl mehr, ich muss es dir nun erzählen, bevor morgen…", er hält inne. Was ist morgen? Gespannt schaue ich ihn an, aber er redet nicht weiter. Stattdessen schaut er hinaus aus meinem Fenster. „Morgen?", gebe ich fragend von mir. „Ja, morgen. Also… wir bekommen morgen Besuch." „Das ist doch toll. Wer kommt denn vorbei?", frage ich begeistert. Jede Ablenkung kann ich momentan gebrauchen. „Eine Bekannte und ihr Sohn, der in deinem, sagen wir mal so, alter ist.", gibt Vater mit gesenktem Kopf zurück. So ein Verhalten kenne ich gar nicht von ihm. So benehmen wir uns doch nur in einem Gespräch mit Vater oder besser gesagt wir müssen uns so benehmen, wenn wir nicht noch mehr Ärger wollen. Was ist nur los? „Kenn ich die Bekannte? Wie heißt die denn?", frage ich neugierig. „Endrissa Vough" Der Name sagt mir gar nichts. Wer das wohl sein mag? „Und woher kennst du die? Ist das eine Arbeitskollegin? Nun lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen.", trieze ich ihn. „Nein, sie ist keine Arbeitskollegin. Ich kenne sie schon etwas länger musst du wissen. Sie ist wirklich nett und scharmant…", sagt er nun mit einem Lächeln auf den Lippen. Schlagartig wird mir klar, was er sagen will. Ich kann es nicht fassen. Hat Vater tatsächlich eine Freundin? Das wäre doch super. Vielleicht wird er dann wieder der fröhliche, liebe Vater wie Desmond und ich ihn kennen. „Du findest sie nur nett? Nicht vielleicht etwas mehr?", hake ich mit einem breitem Lächeln auf dem Lippen nach. Vater scheint sichtlich erleichtert zu sein, als er erkennt, dass ich mich darüber freuen würde. „Doch.", gibt er verlegen zu. „Das ist doch super. Ich freue mich riesig für dich.", sage ich und falle ihm dabei in die Arme. „Es freut mich so, dass du die Nachricht so froh endgegennimmst.", sagt Vater nun etwas bedrückt. „Aber du weiß noch nicht alles." Was soll ich denn noch nicht wissen? Reicht es etwa nicht, dass ich weiß, dass Vaters Freundin uns morgen mit ihrem Sohn besuchen kommt? „Endrissa und ihr Sohn werden uns nicht nur für einen Tag besuchen.", erklärt Vater. „Wohnen die weiter weg? Wie lange bleiben die denn?", hoffentlich ist sie wirklich so nett wie Vater behauptet. „Ähm, wie soll ich es sagen, die beiden bleiben für einen längeren Zeitraum. Also, um ehrlich zu sein...", eine lange Pause tritt ein. „…für immer." Was? Für immer? Das ist doch jetzt wohl ein Scherz. Verblüfft schaue ich ihn an. „Ja, ich weiß, es kommt sehr plötzlich für dich." „Also ist das kein Scherz?", unterbreche ich ihn. „Nein, Endrissa und ihr Sohn werden morgen hier einziehen." Ich weiß nicht was ich Denken und vor allem sagen soll. Das trifft mich wie ein Schlag. Wie kann Vater das nur ohne uns zu frage entscheiden? Er hätte es doch wenigstens einmal erwähnen können. Was ist denn, wenn Desmond und ich uns nicht mit denen verstehen? „Das kann doch nicht dein ernst sein? Ist ja schön und gut, dass du eine Freundin hast. Aber wieso muss die hier gleich einziehen? Wir kennen die doch gar nicht!", sage ich mit lauter Stimme. „Aber dafür kenne ich sie sehr gut. Ihr werdet sie lieben.", versucht er mich zu behutsam zu bremsen. „Wie lange kennst du die denn schon?", frage ich eingeschnappt. „Schon weit über zwanzig Jahre." „Und dann hältst du es noch nicht einmal für nötig uns deine Freundin vorzustellen? Nein, stattdessen sollen wir sie erst bei ihrem Einzug kennenlernen. Denkst du wirklich, dass wir da begeistert sind? Und was hat das mit meinem Sarg zu tun?", schnauze ich ihn förmlich an. „Nein, aber ich wusste nicht, wie ich euch das erklären soll. Komm schon Flora, gibt ihr eine Chance. Sie kann doch auch nichts dafür, dass dein Vater es verpasst hat seinen Kindern etwas über sie zu erzählen. Und auch Menschen solltest du unter diesen Aspekten eine Chance geben. Und eure Säge wird es nicht zurückgeben!" „Was?", schreie ich fast. „Die ist auch noch ein Mensch?" „Nun aber mal nicht so abwertend, Kleines Fräulein! Du weißt genau, wie ich über diese Einstellung denke.", versucht er mich einzuschüchtern, wie sonst auch immer. „Ja, das weiß ich. Und es ist mir egal! Diese Frau wird hier nicht einziehen.", sage ich mit fester Überzeugung. Das hätte Vater sich früher überlegen können. Es ist einfach so hinterhältig uns einfach vor vollendeten Tatsachen zu stellen. Schließlich haben wir doch auch noch ein Wörtchen mitzureden. „Das wird sie sehr wohl!", sagt Vater nun in einem Ton, den ich nur zu gut von ihm kenne. „Und ich erwarte, dass du freundlich zu ihr und meinem Sohn bist.", herrscht er mich an. „Das werde ich bestimmt nicht! Wieso sollte ich zu so einer nett sein, wenn sie sich so in unser Leben drängt! Und zu…", plötzlich halte ich inne. Hat er gerade wirklich… Nein, das kann nicht sein. Ich muss mich verhört haben. Das ist doch bloß ein schrecklicher Traum. „Meinem Sohn?", wiederhole ich wie von Sinnen. Ich sehe Vaters geschocktes Gesicht. Ihm scheint es nicht aufgefallen zu sein, was er soeben gesagt hat. Das darf alles nicht wahr sein. Wie in Trance stehe ich auf und stürme zur Tür heraus. Nur sehr leise vernehme ich Vaters rufen hinter mir, denn zu laut sind seine Worte in meinen Gedanken. „Meinem Sohn…in deinem Alter…meinem Sohn…" Immer noch laufe ich, obwohl Vater schon lange nicht mehr hinter mir herrennt. Er ist tatsächlich bis zur Hofeinfahrt gelaufen, aber dann ist er stehen geblieben. Tränen laufen mir über die Wangen. Das darf alles nicht wahr sein. Wie kann er uns nur so hintergehen. Hatte er womöglich damals schon was mit der Frau, als Mutter noch lebte? War sie daher immer so traurig? Wusste sie etwas davon? Die Gedanken machen mich fertig. Ist Vater wirklich so skrupellos? Traurig lasse ich mich auf eine Bank nieder, die am Wegesrand steht und schaue traurig in den See, der sich vor mir befindet. Meine Gedanken spielen verrückt, als mich plötzlich eine Stimme zusammenzucken lässt… Elliot Natürlich haben Mutter und Charlie begeistert zugestimmt und selbst Jürgen hatte nichts dagegen, da Mutter ihn tatsächlich überreden konnte. Erleichtert und doch auch angespannt liege ich nun auf meinem Bett. Zwar dürfen Charlie und ich zu Zülal und ihrem Bruder, doch habe ich das dumpfe Gefühl, dass der Abend böse enden wird. Ich höre, wie unten das Telefon klingelt, doch kümmere ich mich nicht darum. Es wird sich schon jemand finden, der dran geht. Einige Minuten vergehen, in welchen ich einfach nur da liege, als ich plötzlich Jürgens wütende Stimme vernehme. "Elliot! Herkommen! Sofort!", schreit er wutentbrannt. Ich schlucke hart. Was will er nur von mir? Ich kann mir keinen Reim darauf machen. Langsam erhebe ich mich und schleiche die Treppe hinab und in die Küche. Kaum habe ich diese betreten, spüre ich auch schon eine heftige Ohrfeige in meinem Gesicht landen, welche den Bluterguss unter meinem Auge streift und mich kurz Sterne sehen lässt. "Was... was habe ich denn gemacht...?", stammel ich nur verständnislos, als Jürgen auch schon beginnt mich anzuschreien. Nur dumpf kann ich verstehen, dass Frau J. wohl gerade bei uns angerufen und sich über mein Zuspätkommen beschwert hat. Diese dämliche Ziege! Ich will mich gerade rechtfertigen, als mich auch schon der nächste Hieb trifft. Doch das ist mir nun echt zuviel! "Lass mich in Ruhe, Arschloch!" , fauche ich, reiße mich los und schnappe mir nur noch meine Jacke, während ich das Haus verlasse und die Tür ins Schloss knallen lasse. Ich kann es nicht fassen! Jetzt lässt er mir noch nicht einmal die Chance, mich zu rechtfertigen! Wütend und voller Hass laufe ich einige Runden durch den Park, um mich erstmal abzureagieren, als ich Flora auf einer Bank sitzen sehe. Sie sieht ziemlich fertig aus. Was wohl passiert sein mag? Eigentlich bin ich ja nicht der Typ dafür, der sich so einfach in anderer Leute Angelegenheiten einmischt, aber ihr scheint es wirklich nicht gut zu gehen. Langsam gehe ich auf sie zu. "Ist alles okay?", erkundige ich mich, während ich mich neben ihr niederlasse. Kapitel 17: Kapitel 17 ---------------------- Flora Die Gedanken scheinen sich in meinem Kopf zu überschlagen. Was soll ich ihm nur sagen? Wie gerne würde ich ihm doch von meinen Problemen erzählen, aber irgendetwas hält mich davon ab. Ist es die Angst, wie er darauf reagieren wird oder die Angst, dass das alles nicht für seine Ohren bestimmt sein könnte? Ich weiß es nicht, ich weiß gar nichts. Außer, dass er eine Antwort von mir erwartet. Ich bin hin und hergerissen, ob ich einfach auf seine Frage nach Desmond eingehen oder ihm doch ein Teil meines Lebens offenbaren sollte. Ich habe noch nie jemanden an meinem Leben teilhaben lassen, der nicht zu meiner Familie gehört. Oder besser gesagt, außer Desmond weiß keiner etwas Genaueres über mich und mein ganzes Leben. Wir wissen einfach alles voneinander. Wie sehr ich mir doch in diesem Moment wünsche, das er hier ist und nicht Elliot. Aber ich muss wohl oder übel mit ihm vorlieb nehmen. Wer weiß, vielleicht kann ich ihn dadurch ja etwas näher kommen, schließlich brauch ich ihm ja nicht alles zu erzählen. „Nein, Desmond geht es eigentlich wieder ganz gut. Er muss aber noch ein paar Tage im Krankenhaus bleiben. Die Ärzte sagen, dass er voraussichtlich Anfang nächster Woche entlassen wird.“, sage ich mit bedrückter Stimme. Die Gedanken an Desmond schmerzen. Wie es ihm wohl gehen mag? Ich hätte es niemals zulassen dürfen, dass sie ihn einsperren, aber was hätte ich schon machen können? „Das ist doch schön. Aber irgendetwas scheint dich doch zu bedrücken.“, versucht Elliot es weiter. „Na ja, es läuft gerade nicht alles so glatt bei mir zu Hause.“, gebe ich mit gedämpfter Stimme von mir. „Da haben wir ja was gemeinsam!“, gibt er lachend von sich. „Willst du mir nicht erzählen, was los ist? Mit jemanden darüber zu reden kann helfen.“, ermutigt er mich weiter zu erzählen. Wieder steigen Zweifel in mir auf, aber ich versuche diese zu verdrängen. „Mein Vater hat schon seit längerem eine neue Freundin, von der er mir aber erst jetzt erzählt hat. Desmond weiß noch gar nichts davon. Ich komm mir so verarscht vor. Wieso hat er es so lange geheim gehalten? Wieso spricht er erst mit uns, sobald er will, dass sie bei uns einzieht? Wieso…“, ich halte inne. Mehrfach ermahne ich mich im Gedanken nicht zu viel zu sagen und vor allem bloß nicht anzufangen zu heulen. Aber ich merke wie sich langsam Tränen in meinen Augen ansammeln. Verzweifelt versuche ich sie zu unterdrücken und warte gespannt auf Elliots Reaktion…. Ashlee Eine Woche keine Freizeit? Es hätte wirklich durchaus schlimmer kommen können. So „freundlich“ war Vater schon lange nicht mehr zu mir. Eigentlich hätte er mir mindestens einen Monat aufbrummen müssen. Aber eine Woche trifft mich in diesem Moment dennoch ziemlich hart. Gerade jetzt, wo ich weiß, dass ich wahrscheinlich alle Antworten auf meine Fragen in der Bibliothek finden werde. Aber dort darf ich nur in meiner Freizeit hin, weshalb ich diesen Ort meistens gemieden habe. Wer will schließlich in seiner Freizeit Bücher lesen, wo man doch schon den ganzen anderen Tag damit verbracht hat, dutzende davon zu verschlingen? Außerdem stehen dort unten ehe nur Geschichts- und Sachbücher… Ich werde wohl keine Chance haben schon in dieser Woche die Antworten auf meine Fragen zu finden. Ich kann es mir nämlich nicht erlauben erwischt zu werden. Die Folgen mag ich mir gar nicht vorstellen… Stattdessen sollte ich wohl lieber die Liste abarbeiten. Niedergeschlagen und in der Gewissheit eine lange Nacht vor mir zu haben, mache ich mich an die Arbeit… „Guten Tag ihr Lieben!“, begrüßt Herr Querner uns. Ich hoffe mal, dass seine Stunde nicht wieder so langweilig wird. Ich kann es mir nämlich nicht erlauben noch einmal in seinem Unterricht einzuschlafen, das würde er nämlich sofort Vater mitteilen. Und gerade heute bin ich so müde, da ich mal wieder die ganze Nacht durchmachen musste. „Heute gibt es eure Lateinklausuren zurück!“, verkündigt er mit einem geheuchelten Lächeln. Ein stöhnen geht durch die Reihe und ich bin auf einmal hell wach. Oh nein! Nicht jetzt schon! Wieder steigt dieses merkwürdige Gefühl in mir hoch, dass ich bei jeder Klausur habe. Die Angst versagt zu haben. Die Angst vor den Konsequenzen. Es ist jedes Mal unerträglich, genau wie jetzt… Obwohl ich weiß, dass ich die Beste in der Klasse bin und mir Latein sehr liegt habe ich Angst. Was ist, wenn es einmal nicht so ist? Der Test war verdammt anspruchsvoll. Jedes Mal wenn Herr Querner an mir vorbeigeht um jemanden seine Klausur zu geben, läuft mir ein Schauer über den Rücken. Mir kommt es vor wie eine halbe Ewigkeit, bis er letztlich nur noch eine einzige Klausur in den Händen hält. Meine! „Und wie auch nicht anders zu erwarten, hat Ashlee wieder einmal die beste Klausur von euch allen geschrieben. Was bei eurer Leistung momentan ja auch nicht sonderlich schwer ist.“, sagt er abfällig zu den Jungs in der letzten Reihe. Erleichterung macht sich bei seinen Worten in mir breit. Ich habe wieder einmal die beste Klausur. Ich habe also nicht versagt! Freudig nehme ich meine Klausur entgegen, doch dann trifft mich der Schlag. Das darf doch nicht wahr sein….es ist nur eine DREI!!! Ich habe noch nie in meinem Leben eine drei geschrieben. Vater wird mich umbringen. Ihm wird es nicht interessieren, dass meine Klausur immerhin noch die Beste ist. In meinen Kopf spielt sich das Szenario ab, was geschehen ist als ich damals nur mit einer glatten zwei nach Hause kam. Und jetzt nur eine glatte drei!!! Wie soll ich Vater das nur erklären… Elliot Schweigend höre ich ihr zu und seufze leise, als sie geendet hat. Irgendwie kommt mir das alles nur zu bekannt vor... "Dann hoffe ich, dass du dich besser mit ihr verstehen wirst, als mein Stiefvater und ich es tun", antworte ich und schüttel mich leicht, als ich das Wort "Stiefvater" ausspreche. Jürgen wird für mich nie das sein, was mein Vater ist. Mein Vater würde mich auch nicht damit erpressen, dass ich auf Männer stehe, so wie Jürgen es tut. Er würde hinter mir stehen und vielleicht hätte ich dann auch schon längst den Mut aufgebracht, es Mutter zu erzählen. Aber so werde ich dies niemals tun. "Glaub mir... ich weiß nur zu gut, was in dir vorgeht", murmel ich resigniert. "Meine Mutter hat mir auch erst ziemlich spät von ihrem neuen Freund erzählt. Und auch ich war alles andere als begeistert, habe aber ihr zuliebe versucht, ihm eine Chance zu geben..." Doch das war wohl die schlimmste Entscheidung, die ich hätte treffen können. Ich hätte wohl doch lieber mit Charlie zu unserem Vater ziehen sollen. Dann hätte ich all diese Probleme nicht und wäre Jürgen nicht immer hilflos ausgeliefert... Flora Vielleicht sollte ich Vaters neuer Freundin auch eine Chance geben. Vielleicht hat Elliot ja Recht. Aber es so extrem schwer. Ich will keine fremde Person in unserem Haus. Und dann auch noch ihren Sohn? Oder besser gesagt Vaters Sohn! Wie kann er uns so etwas nur antun. Immer wieder frag ich mich, ob Mutter etwas davon wusste, als sie noch lebte. War sie vielleicht deswegen so traurig zuletzt? Hatte es womöglich damit zu tun? Das könnte ich Vater nie im Leben verzeihen! Wie gerne wüsste ich jetzt die Wahrheit, aber dennoch fürchte ich mich davor. Ich will das alles nicht wahr haben, das ist doch bestimmt alles nur ein böser Traum. Genau, jeden Moment muss ich aufwachen. Fest schließe ich meine Augen und kneife mir in den Arm. Voller Hoffnung öffne ich sie ganz langsam wieder. Wie sehr wünsch ich mir jetzt in meinem Sarg zu liegen, doch dieses verdammte ewige scheiß Leben scheint mich mal wieder zu hassen… Ich kann einfach nicht mehr. Was soll ich nur machen? Ich bin völlig verzweifelt. Alles dreht sich in meinem Kopf, ich kann keinen klaren Gedanken mehr fassen. Was ist die richtige Entscheidung? Wieso kann mir keiner helfen? Wieso ist Desmond nicht hier bei mir? Ich merke, dass ich meine Tränen kaum noch zurückhalten kann. Wie vom Blitz getroffen stehe ich auf und renne weinend davon, ohne Elliot auch nur eines Blickes zu würdigen… Ich will einfach nur weg… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)