Winterschnee - Fluch oder Segen? von Jael-chan (Wichtelgeschichte für die Schreiberlingsecke) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Kleine weiße Flocken schwebten lautlos vom Himmel, wo ein frischer Wind sie in der Luft tanzen ließ. Es war anstrengend, auf den schlecht geräumten Straßen zu laufen. Doch Sebastian beachtete dies gar nicht, er war nur froh, dass heute ein halber Arbeitstag war und somit die Läden noch geöffnet hatten. Denn sonst hätte er die nächsten drei Tage hungern müssen. Heute war nämlich der 24. Dezember, Weihnachten. Eigentlich hatte Sebastian vor gehabt die Feiertage bei seinen Eltern zu verbringen, doch nachdem er am Vortag vier Stunden am Bahnhof gestanden hatte, nur um festzustellen, dass ein paar Tage Schneefall genügen, um das halbe Bahnnetz lahm zu legen, hatte er sich dazu entschieden diese Weihnachten alleine zu verbringen. Er wusste nicht genau, ob er nun enttäuscht oder erleichtert war. Das Verhältnis zu seinen Eltern war gut und er hatte im Grunde nichts gegen Familienfeiern aber dieses Jahr hatte er einfach keine Lust auf Weihnachten. Jedes Jahr der gleiche Stress davor, dann musste man jedem ein Geschenk besorgen, ob man wollte oder nicht und im neunen Jahr folgen direkt die ganzen Semesterklausuren. Mit Besinnlichkeit hatte das nichts zu tun. Vielleicht würde dieses Jahr ja besser werden. Nun da er nicht wegfahren konnte und niemanden weiter besuchen musste, hatte er die ganzen Feiertage wirklich frei. So schleppte er seine Einkäufe, in Gedanken schon die nächsten Tage planend, als ein Schluchzen ihn aufhorchen ließ. Ein Stück vor ihm saß ein Junge auf einer Bank und neben der Bank lag ein Fahrrad im Schnee. Nachdem Sebastian ein wenig näher gekommen war bestätiget sich seine Vermutung, der Junge war es, der weinte. Wenn das Fahrrad ihm gehörte, was anzunehmen war, dann hatte er sich höchst wahrscheinlich damit auf die Nase gelegt. Wer ist auch so bescheuert und fährt bei solch einem Wetter mit dem Fahrrad?! Was Sebastian mehr wunderte, war allerdings, dass der Junge, nachdem er gestürzt war anscheinend sein Fahrrad zu der Bank geschoben hatte, um hier zu weinen. Jeder normale Mensch wäre einfach aufgestanden und nach Hause gegangen, um sich trockene Sachen anzuziehen. Sebastian schätzte, dass der Junge mindesten fünfzehn oder sechzehn Jahre alt sein müsste, eigentlich kein Alter in dem man sich noch heulend in die Ecke setzt. Er musste, dem Schnee zu urteilen, der in seinen kurzen blonden Haaren hing, aber schon eine ganze Weile hier sitzen. „Hey, was ist dir den passiert?“, sprach Sebastian ihn an, als er die Bank erreicht hatte. Der Junge blickte auf und sah ihn aus leicht verheulten blauen Augen an. „Du bist mit dem Fahrrad gestürzt?“, sprach er seine Gedanken aus und wies mit einer Kopfbewegung auf das Rad. Mit einem Nicken bestätigte der Blonde Sebastians Vermutungen. Skeptisch sah dieser den Jungen an. Na wenigstens war der blonde Junge niedlich genug, sodass man es ihm nicht böse nehmen konnte eine Heulsuse zu sein. „Wie heißt du denn?“, fragte Sebastian weiter, in der Hoffnung den Jungen zum Reden zu bewegen. Der jedoch schluchzte wieder. „Ich ... ich weiß nicht“, schniefte er schließlich. Sebastian stutzte: „Wie, du weißt deinen Namen nicht?“ Der Junge sah verzweifelt zu ihm auf: „Ich erinnere ... mich nicht“ Tränen kullerten über seine Wange. Sebastian stellt seine Einkäufe neben die Bank. „Weißt du denn wo du wohnst?“, fragte er weiter. Doch wie erwartet schüttelte der Junge nur den Kopf, sodass die weißen Flocken aus seinen Haaren fielen. Schluchzend vergrub er das Gesicht in seinen Händen. Langsam wurde Sebastian bewusst, was das bedeutete und er nahm augenblicklich alles zurück. Der Kleine weinte nicht wegen dem Sturz, sondern weil er dabei anscheinend sein Gedächtnis verloren hatte. Nun verstand er auch, wieso der Junge so hilflos auf dieser Bank saß, er wusste nicht, wo er hin konnte. Hier konnte er aber auf keinen Fall bleiben. „Was ist den überhaupt passiert?“, fragte Sebastian freundlich um seine Aufmerksamkeit zu bekommen. „Ich...“, der Junge rang mit den Tränen, „ich bin mit dem Fahrrad weggerutscht“, er zeigte Sebastian ein unschönes Loch in seiner Hose allerdings trug er darunter eine weiter, die nur leicht beschädigt war, „und als ich weiterschieben wollte ...da wusste ich nicht mehr wohin.“ „Sitzen bleiben kannst du hier aber nicht. Komm, ich bring dich zur Polizeiwache.“ Wieder sahen ihn zwei blaue Augen an. „Dort werden deine Eltern sich als erstes melden, wenn du nicht wieder kommst.“ Langsam stand der Blonde auf. Sebastian nahm das Fahrrad und hing seine Einkäufe an den Lenker, bevor er es durch den Schnee schob. Der Junge folgte ihm, doch er war nicht besonders schnell. Zum Glück war es nicht weit und er beruhigte sich langsam. Auf dem Weg versuchte Sebastian noch etwas mehr aus dem Kleinen herauszubekommen aber dieser schien sich wirklich an nichts mehr zu erinnern. Nach einigen Minuten kamen sie endlich bei der Wache an. Sebastian stellte das Fahrrad einfach neben die Tür, nahm die Taschen und ging hinein. Er war überrascht, wie viele Leute hier waren. Die paar Stühle, die im Eingangsbereich standen waren fast vollständig besetzt. Einige Leute sahen sie grimmig an und einer sah sogar aus, als ob er gerade eine Schlägerei hinter sich hatte. Sebastian ging zu einem leeren Stuhl direkt bei der Tür. „Warte hier“, wies er den Jungen an, der sich sofort auf dem Stuhl nieder ließ. Nachdem er auch die Taschen dort abgestellt hatte, ging Sebastian zum Tresen, hinter dem ein genervter Polizeibeamter stand und einen Bogen ausfüllte. „Entschuldigung“ „Haben sie dir auch das Portemonnaie geklaut?“, unterbrach ihn der Beamte wenig freundlich. Für einen Moment war Sebastian verwirrt. „Nein, mir wurde nichts geklaut.“ Der Polizist sah von seinem Zettel auf und blickte ihn mit einem genervten Blick erwartungsvoll an. Doch gerade als Sebastian ansetzte ihm von dem Jungen zu erzählen, ging die Tür auf und eine hysterische Frau betrat die Wache. „Offizier, Offizier meine Handtasche ist Weg!“, eilte sie zum Tresen. „Sie wurde bestimmt gestohlen! Mein ganzes Geld und die Schlüssel. Was mach ich jetzt nur?!“ „Wo wurde sie Ihnen denn entwendet?“, fragte sie der genervte Polizist und nahm wieder einen Stift in die Hand. „Moment mal!“, mischte Sebastian sich ein, „ich war vor Ihnen da.“ Die Frau sah in abwertend an. „Bei mir handelt es sich aber um einen Notfall. Ich muss meine Handtasche unbedingt zurück haben.“ Damit schob sie ihn regelrecht beiseite und begann dem Beamten haarklein zu erzählen, was ihr auf dem Weihnachtsmarkt wiederfahren ist. Dem Polizisten war es augenscheinlich egal, wer ihm wann seine Sorgen vortrug. Sebastian konnte es nicht fassen. Wie dreist kann man eigentlich sein! Aufgebracht überlegte er, ob er sich mit ihr anlegen sollte, doch ein Blick zur Tür genügte und er vergaß seine Wut. Der Junge hatte sich kein Stück bewegt und saß noch immer dort. Irgendetwas an der gegenüberliegenden Wand schien seine Aufmerksamkeit geweckt zu haben. Sebastian wand sich um, um zu gucken was es war, doch dort hing nur eine Uhr, ein Kalender und einige Informationsblätter. Nach einem kurzen Blick zu der Frau und dem Polizeibeamten, ging er wieder zu dem Jungen zurück. „Was ist da?“, fragte er neugierig den Blick wieder über die Wand streifend. „Der vierundzwanzigste, heute ist Weihnachten“, lautete die Antwort. „Ausgerechnet Weihnachten muss ich alleine hier verbringen.“ Sebastian meinte wieder diese verzweifelte Hoffnungslosigkeit in der Stimme des Jungen zu hören und ihm war klar, dass er ihn nicht alleine lassen konnte. Er sah ihn an, anscheinend hatte der Blonde wieder angefangen zu weinen. Sebastian wollte ihn trösten, wusste aber nicht recht wie. Plötzlich viel ihm sein Irrtum auf: Es waren keine Schluchzer, die den Jungen schüttelten, er zitterte. Er hatte sich die Arme um den Körper geschlungen und zitterte am ganzen Leib. Nun, wo der Schnee geschmolzen war, waren seine Klamotten und sein blondes Haar ganz nass und seine Lippen hatten eine ungesunde blaue Farbe angenommen. Niemand konnte sagen, wie lange der Junge schon draußen herumgeirrt war, doch Sebastian war sich sicher, dass er sich hier noch den Tod hohlen würde, wenn er sich nicht bald aufwärmen könnte. Sie konnten nicht länger warten, daher wand Sebastian sich wieder dem Tresen zu. Doch in dem Moment, wo er den unfreundlichen Polizisten und diese eingebildete Frau dort stehen sah, stand sein Entschluss fest. Hier konnte der Kleine Weihnachten wirklich nicht verbringen! Er griff nach den Taschen und nahm die eiskalte Hand des Jungen. Sanft zog er ihn hinter sich her und verließ die Wache. „Die kriegen hier doch eh nichts auf die Reihe“, murmelte er auf den überraschten Blick des Jungen. Eilig ging er in die Richtung zurück, aus der sie gekommen waren. Sie sollten so wenig Zeit wie möglich draußen bleiben, dafür war es einfach zu kalt. Immerhin hatte es aufgehört zu schneien, doch die dicken grauen Wolken verkündeten, dass dies nicht lange so bleiben würde. Der Junge lies sich kommentarlos und ohne zu wissen wohin sie eigentlich gingen von Sebastian ziehen, sodass sie schon nach wenigen Minuten dessen Wohnung erreicht hatten. Sebastian stellte den letzten Liter Milch in den Kühlschrank, bevor er zurück ins Wohnzimmer ging. Auf dem Sofa saß der blonde Junge. Er trug ihn viel zu großen Sachen, die Sebastian ihm gegeben hatte und war in drei Decken eingewickelt. „Wieso hast du eigentlich gar keinen Weihnachtsbaum?“, fragte er den Studenten, als dieser den Raum betrat. „Weil ich ursprünglich wegfahren wollte aber bei dem Schnee ist das unmöglich“, beantwortete er wahrheitsgetreu und setzte sich zu dem Jungen. „Wenn der Schnee mal nicht gewesen wäre...“ begann der Blonde nachdenklich und blickte zum Fenster. Sebastian folgte seinem Blick und sah, dass es wieder angefangen hatte zu schneien. Dicke weiße Flocken segelten am Fenster vorbei. Ja, wenn es mal nicht geschneit hätte, dann wäre er jetzt wahrscheinlich bei seinen Eltern und würde seiner Mutter mit dem Essen helfen, da sie sich wahrscheinlich wieder etwas viel zu aufwendiges ausgesucht hatte. Aber was wäre aus dem Jungen geworden? Obwohl, wenn man es so betrachtet wäre dieser dann wohl nie mit dem Fahrrad gestürzt. „Da hatten wir ja Glück.“ Der Blonde sah ihn überrascht an. Grinsend erklärte Sebastian: „Na, wenn der Schnee nicht gewesen wäre, hätten wir uns wohl nie kennen gelernt.“ Auch der Junge fing, zum Ersten mal an diesem Tag, an zu lächeln und Sebastian wusste, dies war das beste Weihnachtsgeschenk, das er sich vorstellen konnte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)