Die Priesterin von Momotaro ================================================================================ Kapitel 1: out of control ------------------------- Es war lang nach Einbruch der Dunkelheit. Azra umfasste den Gardedolch fester, den sie der ersten erschlagenen Wache der Nacht abgeknöpft hatte. Im Haremshaus war es nie vollständig dunkel, kleine Fackeln beleuchteten notdürftig die Gänge und Gärten. Azra hielt sich fern von diesen Lichtquellen, als sie zielstrebig auf die letzte Mauer zulief. Wenn sie die überwunden hatte, war sie in Freiheit. Es lag nicht daran, dass es Azra anwiderte, Haremsdame zu sein, dass ihr die Süßigkeiten zuviel wurden oder die wenigen Nächte mit dem Fürsten ihr unangenehm waren. Er mochte ein schlechter Herrscher sein, für seine Frauen war er ein humorvoller, romantischer Ehemann. Man merkte ihm an, dass ihm die Rolle als ihr Geliebter gefiel. Leider hatte Azra eigene Pflichten zu erfüllen. Sie war durch einen dummen Zufall in den Harem geraten, eigentlich war sie zu einem anderen Zweck geboren worden. Es war Azras fünfter Ausbruchsversuch in der Woche. Vermutlich sah der Fürst es inzwischen als Amüsement an, als Spiel. Ein Wettstreit zwischen seinen Wachen und seiner Frau. Vielleicht war er noch wach und wartete bereits auf die Rufe, das Trappeln der Soldatenstiefel,... Andererseits hatte Azra diesmal einige Wächter umgebracht. Sie wusste nicht, ob sie im Falle des Scheiterns ein weiteres Mal schadlos bleiben würde. Vermutlich würde man sie köpfen. Azra konnte die letzte Mauer bereits am Ende der schmalen Straße sehen, als der Wächter um die Ecke bog. Sie hatte ihn nicht kommen gehört. Trotz seiner schweren Stiefel. Perplex blickte sie ihn an. Entschlossen blickte er zurück. Nach vier solcher Nächte war die fünfte nicht mehr verwunderlich. Es war ein junger Mann, schmal wie ein Kind. Eigentlich hatte Azra niemanden umbringen wollen, sie handelte schließlich nicht aus Hass. Einen Burschen töten... Azra versuchte es anders: „Hör mal, ich will dich nicht verletzen, Schatz, also dreh dich um und tu so, als ob du mich nie gesehn hättest.“ Entweder der junge Mann hatte zu freundliche oder gar keine Schwestern, und verheiratet war er wohl auch noch nicht... Auf alle Fälle sah man ihm deutlich an, dass ihm allein der Gedanke, eine Frau könnte ihm körperlich schaden, lächerlich vorkam. Er antwortete natürlich nicht. Es war der Wache streng untersagt, mit den Haremsfrauen zu reden. Er zog nur seinen Säbel. Azra war ein Mensch mit Bestimmung, man hatte ihr daher beigebracht, zu kämpfen. Sie fühlte sich wohl mit einer Klinge in der Hand. Schnell und ohne dass Stahl auf Stahl gekracht wär – der Kampf musste leise gehalten werden – brachte sich Azra hinter den Jungen und stach zu. Er hatte so viel Vertrauen in seine Fähigkeiten gehabt, dass er nichtmal nach seinen Kameraden gerufen hatte. Er starb gänzlich unvorbereitet und mit einer Miene, die eher verblüfft als vor Schmerz verzerrt wirkte. Mit einem Ruck zog Azra die Klinge aus seinem Leib. Im Stillen entschuldigte sie sich bei der betroffenen Mutter. Die Leiche legte Azra nah an die Wand, wo das Licht schlecht war. Diesmal lauschte sie besonders aufmerksam, bevor sie loslief. Die letzten Meter waren am herausforderndsten, sie waren völlig deckungslos gehalten. Trockener Sand ohne Büsche oder Steine. Doch Azra hatte vorgeplant. Ihren Schal band sie sich wie einen Mundschutz um, die Öffnungen ihrer Kleidung, die Ärmel, Beinlöcher, verschloss sie mit jenen bunten Bändern, die sich viele Frauen als Schmuck ins Haar flochten. Auf diese Weise zurechtgemacht legte sie sich flach auf den Bauch und kroch wie eine Eidechse über den Wüstensand. Bald tränten ihre Augen so stark, dass Azra blind ihren Weg finden musste. Bald kamen trotz des Schals genug Sandkörner in Mund und Nase, um einen unangenehmen Hustenreiz auszulösen. Stur unterdrückte Azra den Druck, schnaufte und würgte, jedoch so leise wie möglich. Nun durfte nichts mehr passieren. Der patroullierende Wächter des Streifens Nichts tauchte im letzten Lichtkegel des Blickfelds auf. Langsam schritt er über den flüchtigen Sand. Azra blinzelte, bis sie seine verschwommene Gestalt ausmachen konnte. Wie er sich bewegte... Sie kroch schneller, selbst wenn die Lautstärke dadurch zunahm. Aber wenn es wirklich jener Wächter war, für den Azra ihn hielt, wollte sie ihm auf keinen Fall begegnen. Ihn hätte Azra auf keinen Fall töten können. Das Knirschen seiner Schritte kam mit jedem Mal bedrohlich näher, obwohl er nur schlenderte. Er war schneller als geplant. Azra wusste, nun kam er in den Radius, in dem er ihr schabendes Kriechen hören würde. Sie hatte keine Wahl. Sie verharrte. Stellte sich tot, flach in den Sand gedrückt, wieder wie eine Eidechse. Der Wächter schritt voran. Nur eine Armlänge von Azra entfernt, praktisch vor ihrer Nase, kreuzte er ihren Weg. Und meinte, als würde er zu sich selbst sprechen: „Nun hau schon ab, hier kannst du nur noch schaden.“ Azra wagte es nicht aufzusehen. Sie mochte ihn. So sehr, dass sie darüber hinaus vielleicht sogar ihre Bestimmung vergessen hätte. Das konnte sie sich nicht leisten. Der Wächter ging weiter. Er hatte sein Tempo nicht bei einem einzigen seiner Schritte reduziert. Azra sah das verschwommene Schemen, das er sein musste, langsam davonfließen. Und obwohl sie ihre Augen kaum von ihm wenden konnte, kroch sie stur weiter. Die Mauer. Obwohl sie als letztes Hindernis noch vor ihr lag, schien sie Azra bereits Rettung genug zu sein. Erleichtert drückte sich die Frau gegen den kalten Stein. Sie tastete nach dem Seil um ihre Mitte mit den kleinen Widerhaken am Ende. Marke Eigenbau. Auf die Konstruktion war Azra mächtig stolz. Sie hätte Ninja werden sollen. Beinah wär sie von der Mauer in die Tiefe gestürzt, denn beim letzten Stück löste die Konstruktion sich auf. Schnell griff Azra nach dem Rand der Mauer und blieb dort an einem Arm hängen, während das Seil unwiderbringlich in den Wüstensand hinabfiel. Sie murmelte: „Hoppla.“ Griff mit der anderen Hand zu und schwang sich hoch. Auf der anderen Seite herunterkommen würde somit um einiges schmerzhafter werden als geplant. Entschlossen sprang Azra. Noch eine Stunde Lauf vom Anwesen des Fürsten entfernt konnte Azra kaum glauben, dass sie es tatsächlich geschafft hatte. Kapitel 2: fly away ------------------- Sascha lungerte am Steuerpult herum. „Zollkontrollen.“, murrte sie sich selbst an: „So lahm...“ Der kleine Wischmob neben ihr blaffte zustimmend. Sascha hatte nie einen Hund haben wollen, die kleine Gestalt neben ihr war gegen ihren Willen zu ihr gestoßen. Doch in solchen Momenten ermüdender Langeweile war Sascha beinah froh über die Gesellschaft. Sie wandte sich der weißbraunen Haarkugel zu. „Dabei schmuggel ich diesmal gar nichts.“, erzählte sie der Hündin: „Gestern hätten die mich rauspicken müssen, da hätten die Augen gemacht.“ Ein Beamter in Uniform sah flüchtig ins Cockpit. „Also, wir wären jetzt mit dem Laderaum fertig. Haben Sie noch andere Bereiche im Schiff, die zur Lagerung geeignet sind?“ Wieviele Schmuggler sich bei dieser gefinkelten Frage wohl schon verhaspelt haben... Sascha sagte: „Nein, mein Herr.“, mit fester Stimme, zwirbelte sich dabei beflissen den falschen Schnurrbart, als ob sie sich bereits für eine baldige Weiterfahrt fein machen würde. Tatsächlich meinte der Beamte: „Dann sind wir fertig hier. Wir wünschen noch eine schöne Reise.“ „Oh, großartig.“, kommentierte Sascha und lachte sympathisch: „Das war ja eine schnelle und professionelle Überprüfung. Alle Achtung, Ihr Kontrollposten gefällt mir.“ Die mit Langeweile vollgeschmierten Servietten verräumte sie mit einem Wischer vom Pult auf den Boden. Der Beamte nickte ihr freundlich zu. „Danke, ich werds den Kollegen sagen. Na dann...“ Er ging. Als der Computer meldete, dass nun alle schifffremden Personen den Frachter verlassen hatten, aktivierte Sascha den Antrieb und flog über die Grenze mitten im Nichts des Weltalls. Soviel zu den Vereinigten Emiraten. Sie hatte viele exotische Planeten gesehen, viele lukrative Geschäfte abgeschlossen, sie hatte sich sogar einen eigenen Turban gekauft wie jeder Tourist, aber nun verlangten andere Räume nach ihrer Aufmerksamkeit. Die Republik Nizza, war bereits als Sprungendpunkt berechnet. Sascha überprüfte ihre Entfernung zum Kontrollposten hinter ihr, bevor sie den Sprung startete. Sie hatte sich Kaffee gemacht, sie hatte ihn getrunken, sie hatte ein Kreuzworträtsel auf dem Schoß und am Bordschirm lief eine niveaulose Schmierenkomödie, da bemerkte Sascha verwundert die Klinge an ihrem Hals. Sie lachte überrascht auf. „Nanu?“ „Bring mich nach d'Alsace-Lorraine.“, flüsterte jemand hinter ihr. „Gern, aber das kostet was.“, stellte Sascha fest. „Ich hab kein Geld.“, flüsterte es weiter: „Darum der Dolch.“ „Ah.“ Sascha verstand. Nur zum Spaß wandte sie sich an den Staubfänger neben ihr und meinte: „Fass.“ Die Hündin sah sie gelangweilt an. Sie sprach keine von Saschas Sprachen und Sascha hatte noch nicht herausgefunden, welche sie stattdessen gelernt hatte. Sie meinte: „Du bist so eine nutzlose Verschwendung an Lebensraum und Atemluft.“ Vielleicht verstand das Tier doch einzelne Vokabel, auf alle Fälle wusste es meist, wann es beleidigt sein durfte. Ohne ein weiteres Wort wandte es sich ab und begann, sich zu putzen. „Ich hab kein Problem damit, dich oder den Hund zu töten.“, klärte das Flüstern Sascha auf: „Setz den neuen Kurs. Jetzt.“ „Das würde Aufmerksamkeit erregen.“, meinte Sascha: „Glaub mir, ich bin schon seit einiger Zeit im Raum unterwegs, du könntest auch sagen, ich wär ein alter Raumbär, haha.“ Manchmal wunderte Sascha sich selbst darüber, wie sehr einige Verkleidungen ihre Ausdrucksweise veränderten. „Aber ich hab einen Vorschlag. Wir beenden diesen Sprung nun regulär, ich erledige meine Geschäfte und danach flieg ich dich, wohin du willst. Na?“ Die Klinge schabte kalt über die Haut an Saschas Kehle. Sascha schluckte hart und kippte gänzlich aus ihrer Rolle, als sie schwor: „Wirklich, das ist die beste Lösung.“ Die Klinge entfernte sich wieder. Sascha atmete auf. Die Stimme hinter ihr flüsterte: „...Du bist ein Mädchen.“ Sie wirkte etwas verwirrt. „Eine Frau.“, verbesserte Sascha stolz: „Ich bin schon 17.“ Das Flüstern wurde zu einem normalen Reden. „Das macht natürlich einiges leichter, aber manches auch schwerer.“ Sascha lachte wieder auf, diesmal mit ihrer eigenen Stimme. „Ja, aber von welcher Sache kann das nicht behauptet werden. Sie sind auch eine Frau.“ Und sie spekulierte weiter: „Sie sind aus den Emiraten, Sie sind ein Flüchtling. Was heißt, dass Sie Verfolger haben. Das erhöht den Preis für einen Personentransport erheblich.“ Sofort war die Klinge wieder an der Kehle. Hastig versicherte Sascha: „Wollt ich nur erwähnen, aber ich schätze, Ihr Dolch wiegt alle Umkosten restlos auf.“ „Vernünftiges Mädchen.“, urteilte die Person hinter ihr. „Frau.“, besserte Sascha genervt aus. „Ja, klar.“ Mit einem unsanften Schubsen beförderte eine zarte Hand den Wischmob vom Co-Pilotensessel auf den Boden und eine schmale, bleichhäutige Gestalt nahm neben Sascha Platz. Der Dolch blieb dabei mit erstaunlicher Exaktheit genau da, wo er war. Wer auch immer diese Frau war, sie wusste mit ihrer Waffe umzugehen. Sascha wagte eine nähere Musterung. Eine schöne Frau, stellte sie nervös fest, und ungewöhnlich hell für ihre Herkunft. Sie hatte glattes, flachsblondes Haar und meerblaue Augen. Die meisten Frauen, denen Sascha begegnet war, hatten dunkles, gewelltes Haar und braune Augen. Und eine edel gebogene Nase, die besaß Saschas schwarzer Passagier auch nicht. Stattdessen war ihre Nase lang, schmal und spitz... „Du magst eine Frau sein, aber du schaust mich an wie ein Mann.“, stellte die Fremde fest. Sie lächelte zufrieden. Vermutlich glaubte sie nun, Sascha auch um den Finger wickeln zu können wie einen Mann. Trotzig schob Sascha das Kinn vor. „Ich bin bloß erstaunt, dass Sie gar nicht nach Emiraten aussehn. Wie kommts?“ Die Frau blieb stur bei ihrem eigentlichen Ansinnen. „Ich will innerhalb der nächsten 24 Stunden nach d'Alsace-Lorraine. Wie ist mir egal. Wenn ich mich nach Ablauf der Frist noch nicht dort befinde, stirbst du.“ „Meine Güte.“, murmelte Sascha gelangweilt: „Sie haben echt nur ein Thema, was?“ Kapitel 3: incomplete --------------------- Der Sprung allein fraß bereits 3 Stunden des gesetzten Ultimatums. Und damit befand sich der Frachter erst im Sektor Port Riquier. Innerhalb der Republik durfte nicht gesprungen werden, außer man war einer der republikseigenen Transporter, was hieß, Sascha war gezwungen, in Realzeit zu fliegen. Es bedeutete weitere 9 Stunden nach d'Alsace-Lorraine. Für ihre eigenen Besorgungen blieben Sascha also genau 12 Stunden. Ihren ersten Termin hatte sie in rund 2 Stunden. Sascha wurde ganz schwindelig bei Betrachtung ihrer riesigen Küchenuhr. Sie beruhigte sich selbst mit eindringlicher Stimme. „Okay, ich mach das schon...“ „Das Licht ist neu.“, bemerkte die Frau mit dem Dolch neben ihr. Sascha runzelte die Stirn. „Annäherungsalarm. Komisch, jemand ist auf Abfangkurs.“ Sie schenkte der Frau ein gequälte Lächeln. „Ich hab das Gefühl, diesmal würde ich das Geld für den Transfer echt verdienen.“ „Ich werde sehn, was ich tun kann.“, versicherte die Frau, zückte dabei jedoch drohend ihren Dolch. „Schon gut.“, grollte Sascha und ließ sich in den Pilotensitz zurückfallen. Sie aktivierte das Com-System. „Halli-hallo. Hier spricht der Tiefraumfrachter Anabelle. Sie befinden sich auf Kollisionskurs, zeigen meine Instrumente. Ist das Absicht?“ Die Frau musterte sie zweifelnd, denn Sascha hatte wieder mit ihrer Schnurrbartstimme gesprochen. Sascha nickte ihr herausfordernd zu und fragte tonlos: Is was? Sekunden verstrichen, in denen nur das gleichmäßige Brummen des Schiffsantriebs hörbar war. Schließlich seufzte Sascha: „Die wollen wohl nicht antworten. Na dann...“ Und sie aktivierte trotz Verbots den Sprungrechner. „Wir werden ihnen doch entkommen können, oder?“, fragte die Frau mit gezücktem Dolch besorgt nach: „Was machst du jetzt? Hast du Waffensysteme?“ „Das ist ein Frachter.“, erinnerte Sascha sie: „Und da hinter uns ist ein...“ Sie schaute auf den Außensensorenschirm. „...ein unbekannter grauer Fleck mit vielen Ecken, ohne Größe und Masse... Moment.“ Sie trat gegen die Wandverkleidung unter dem Schirm. Sie schaute wieder. Sie schüttelte den Kopf. „Egal, aber es ist sicher besser bewaffnet als Anabelle. Außerdem sollte Gewalt nur als letztes Mittel eingesetzt werden, am besten gar nicht damit anfangen.“ Dabei warf sie einen bedeutungsvollen Blick auf die blitzende Klinge. Die Frau räusperte sich bemüht würdevoll. „Ähem, bei mir ists schon Zeit für das letzte Mittel.“ Sascha hatte die Koordinaten von d'Alsace-Lorraine eingegeben. Kaum war die Berechnung erfolgt, startete sie den Sprung. Nur Augenblicke später erzitterte das ganze Schiff, als ob es auf Felsen gefahren wäre. Etwas schleuderte sie aus dem Sprungkanal. Es krachte und ächzte verdächtig im hinteren Teil des Rumpfes. Sascha klammerte sich mit zusammengebissenen Zähnen an das Ruder, bis die schlimmsten Erschütterungen verebbten. Die Frau neben ihr hatte nicht so schnell Halt gefunden. Ihr Körper wurde vom Co-Pilotensitz gegen Saschas Armlehne und auf den Boden zwischen ihnen geschüttelt. Doch gleich war sie wieder auf den Beinen. „Was ist passiert?“, verlangte sie zu wissen. „Ach, es war einen Versuch wert.“, bemerkte Sascha nur und ging die Daten der Außensensoren durch. „W-a-s ...“, wollte die Frau neuerlich fragen, nur heftiger, doch Sascha unterbrach sie hastig: „Festhalten, das ist kein leerer Kanal!“ Mit beiden Füßen stemmte sie das Steuer von sich weg. Der Frachter bockte, doch schließlich hüpfte er ruckhaft einige Male nach vorn. Die Frau fiel nach hinten und als sie Sascha wiedersah, hatten sich Strähnen ihres hellen Haares blutrot gefärbt. „Au!“, rief Sascha erschrocken aus: „Du ...blutest da.“ Die Frau stand stocksteif auf ihren durchgestreckten Beinen und ihre Augen wirkten sonderbar glasig. Sie sagte in zackigem Militärston: „Ja, bitte!“ Flüchtig besah sich Sascha nochmal die Sensordaten, bevor sie sich schnell hochstemmte und ihrem Passagier helfend zur Seite sprang. „Kopferschütterung, vermutlich.“, erklärte sie ihr und bugsierte sie auf den zweiten Sitz: „Das vergeht wieder. Kopf vorn halten, wehe, ich hab dann dein Blut am Polster. Da, pressen.“ Sie griff sich eine der vollgeschmierten Servietten vom Boden, lenkte sie mit einer Hand der Frau auf den blutenden Hinterkopf und drückte sie dort gegen die Wunde. „So bleiben, ja?“ „Danke, nein!“, bellte die Frau. „Ist das Humor oder Verwirrung?“, erkundigte Sascha sich. Sie kehrte auf ihren Pilotensessel zurück und rief den Schadensbericht des Schiffs ab. „Ach du je... Es gibt nämlich nen Grund, warum man innerhalb der Republik nicht springen sollte. Überall verkehren öffentliche Transporter, da nicht mit einem anderen Sprungkanal zu kollidieren ist nahezu unmöglich. Aber ich habs ja unbedingt versuchen müssen. Scheinbar sterb ich lieber in einem Zusammenstoß, der tausende weitere Menschen gefährden kann, als an nem Schnitt im Hals.“ Die Frau neben ihr verfolgte mit einem Finger langsam unsichtbare, schwebende Gegenstände vor ihr. Sascha fuhr sie an: „Das wär auf deine Kappe gegangen, karmatechnisch, das ist dir hoffentlich klar!“ Die Frau fragte ins Nichts: „Was?“ „Schon gut.“, räumte Sascha ein: „Ich bin schuld. Ich hab den Knopf gedrückt.“ Als Sascha sicher gegangen war, dass sich kein weiteres Schiff in ihrer Nähe befand, machte sie sich auf den Weg, kleine Risse mit Aluplatten und Nieten zu stopfen. Davor nahm sie der abwesenden Frau jedoch vorsorglich ihren Dolch ab und band ihn sich selber um die Taille. Kapitel 4: believe ------------------ Azra erwachte und war verwirrt. Sie wusste nicht, ob sie ihre Augen bereits aufgeschlagen hatte, alles um sie war tiefschwarz. Als ob sie im leeren Raum schweben würde. Ihr war kalt und als sie versuchte, sich zu bewegen, pochten Kopf und rechte Schulter schmerzhaft um die Wette. Von viel zu nah schlug ihr ein einziges, lautes Bellen um die Ohren. Erschrocken presste Azra ihre Hände gegen den Kopf, der kurzzeitig zerplatzen zu wollen schien. Sie stöhnte. „Wah!“ Das Zischen einer Luke folgte. Dann wurde alles Licht. Gleißend grell grub es sich in Azras Augen. „Aus!“, keuchte sie. „Oh, Tschuldige.“, bedauerte die kindliche Stimme eines Mädchens sofort und das Licht erlosch. Das Mädchen fragte leise: „Bist du wach?“ Was für eine absurde Frage... Azra antwortete trotzdem. „Offensichtlich.“ „Du hast dir den Kopf gestoßen.“, flüsterte das Mädchen: „Erinnerst du dich?“ „Ich hab deinen Transporter gekidnappt.“, murmelte Azra, das wusste sie noch. Weiter fiel ihr nichts mehr ein. „Ein Schiff steuerte auf uns zu.“, erzählte das Mädchen hilfsbereit: „Ich wagte einen Sprung, dabei traf mein Kanal einen anderen und beim Sturz aus dem Kanal hast du dir den Kopf angeschlagen. Dann kam die Polizei und nun sind wir in irgendeinem Krankenhaus, aber draußen warten Beamte und sobald du fertig behandelt wurdest, kommen wir in U-Haft.“ Alle Schmerzen ignorierend stemmte sich Azra bis auf die Unterarme hoch. „Ich muss aber nach d'Alsace-Lorraine.“ „Du bist ja sowas von stur.“, grollte das Mädchen vom dumpf beleuchteten Eingang her. „Du verstehst das nicht.“, presste Azra hervor, während sie das Gefühl hatte, ihren viel zu schweren Kopf nur mühsam in aufrechter Position balancieren zu können: „Das ist so eine religiöse Sache.“ „Na, klingt ja furchtbar wichtig.“, äzte das Mädchen spöttisch: „Was ists denn? Soll der Erretter irgendwo geboren werden? Ists Buddha? Mal wieder?“ „Die Ära des Erddrachens geht zu Ende.“, sprach Azra tausendmal gehörte Worte lautgetreu nach. „Wahnsinn.“, meinte das Mädchen gleichgültig: „Man muss loslassen können.“ „Der Drache kann als Einziger die Erde zurückbringen.“, fuhr Azra fort, obwohl sie wusste, wie wenig Sinn es hatte. Aber es war wie bei einem auswendig gelernten Gedicht, einmal begonnen spulte es sich bis zum Ende ab, ob nur im Kopf oder laut. „Nach d'Alsace-Lorraine?“, vermutete das Mädchen. „Nein, die Erde.“, erklärte Azra: „Der Planet, der einzige, der für den Menschen geschaffen war und der den Menschen geschaffen hat. Das, was uns alle verbindet.“ „Kenn ich nicht.“, meinte das Mädchen und bohrte anstandslos in der Nase: „Interessiert mich auch nicht. Mich kümmert eher, woher wir das Geld für die Strafgebühr nehmen wollen. Nizza ist nicht eben bescheiden, wenns um Geldstrafen geht.“ Azras Kopf hatte sich wieder beruhigt. Vorsichtig setzte sie sich an den Rand des Bettes, in dem sie aufgewacht war. „Wir müssen los.“, meinte sie entschlossen. Erstes Problem: die örtliche Polizei. An ihr mussten sie so unauffällig wie möglich vorbeikommen. Zweites Problem: Sie brauchten ein Schiff. Azra bemerkte, dass sie bei allen ihren Vorhaben automatisch das Mädchen mit einplante. Aber vermutlich war das berechtigt. Das Mädchen schien sich gut in der Raumfahrt auszukennen und es war leicht zu lenken. Es konnte Azra nützlich sein. Azra testete ihre Beine aus. Beide hielten, obwohl sie merklich zitterten. „Vielleicht brauch ich vorher was zu essen.“, überlegte sie laut. „Wir können nicht los!“, widersprach das Mädchen heftig: „Das hab ich dir doch gesagt! Die Polizei wartet auf uns!“ „Wir schleichen uns raus.“, klärte Azra sie über ihren Entschluss auf. „Tolle Idee!“, schnauzte das Kind sie an: „Dann werden wir zur Fahndung ausgeschrieben!“ „Es geht hier um Wichtigeres als unsere Reputation.“, erklärte Azra ungeduldig. „Oh ja, um Drachen.“, stimmte das Mädchen lebhaft zu, nicht eben bescheiden in der Dosierung ihres Zynismus'. „Willst du lieber brav deine Strafe zahlen?“, erkundigte Azra sich: „Bitte, dann bleib hier. Ich geh.“ Sie machte einen schwankenden Schritt. Das Mädchen zuckte nach vorn, wie um ihr zu Hilfe zu eilen, erst im letzten Moment unterdrückte es den Impuls und blieb bewegungslos, wo es war. Es war rührend anzusehen, in seinem inneren Widerstreit verstrickt. Es biss die Zähne zusammen. „...Die nehmen mir mein Schiff weg, um es zu pfänden. Und sonst hab ich nichts. Ich wüsste nicht, wohin...“ „Komm mit mir.“, warb Azra: „Ich schau auf dich.“ Sie war von sich selbst überrascht. Woher kam die plötzliche Mütterlichkeit? Das war doch sonst nicht ihre Art. Vermutlich lag es an der Jugendlichkeit der Gestalt vor ihr, vielleicht dachte sie auch, dadurch den Mord an dem jungen Wächter wieder gutmachen zu können. Auf alle Fälle wollte Azra das Mädchen wirklich gern mit sich nehmen. „Wie wollen wir denn schleichen?“, erkundigte das Mädchen sich. Azra grinste triumphierend. „Ah, willkommen im Team! Leise, aber entschlossen wollen wir.“ Sie versuchte weitere Schritte, drohte das Gleichgewicht zu verlieren, doch diesmal sprang ihr das Mädchen zu Hilfe und stützte sie. Kapitel 5: one in a million --------------------------- „Wir brauchen eine Waffe.“, raunte die Frau ihr zu. Warm und kuschlig lag sie an Saschas Seite und Sascha musste sich beherrschen, um ihr nicht das Gesicht zuzuwenden... „Waffe?“, wiederholte Sascha stattdessen und sah sich suchend um. Zufällig lagen gerade keine herum. „...Polster vielleicht.“, schlug Sascha vor. Der Beamte trat in den Türrahmen und füllte ihn beinah vollständig aus. „Nana, was glaubt ihr, wo ihr so dringend hinmüsst?“, erkundigte er sich süffisant. „Ah.“, hörte Sascha die Frau leise neben sich murmeln: „Da ist ne Waffe.“ Sie hatte sich abgestoßen, noch bevor Sascha sie hindern konnte. Ihre Benommenheit schien verschwunden zu sein. Auch der Polizist war trotz seines Trainings merklich überfordert von dem unerwarteten Angriff. Seine Hand berührte die Pistole eben erst, als ihn der Fuß der Frau traf und zu Boden schleuderte. Ein weiterer Tritt ließ seinen Kopf zur Seite schnellen und raubte ihm das Bewusstsein. An seiner Stelle zog die Frau die Dienstwaffe, entsicherte sie, spähte vorsichtig auf den Gang hinaus. Sie winkte. „Los!“ Von links näherten sich bereits weitere polternde Stiefelschritte, also rannten sie nach rechts. Sie kamen zu einem Stiegenhaus und huschten durch die Tür. Kein Beamter weit und breit. Die örtlichen Behörden hatten eindeutig nicht damit gerechnet, einen Fluchtversuch vereiteln zu müssen. Kein Wunder, schließlich handelte es sich hier nur um einen Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung. Dem Delikt kam in jenem Moment tätlicher Angriff auf einen Beamten hinzu. Vom Gang hörten sie den Ruf. „Alarm! Polizist verletzt! Die Flüchtigen sind bewaffnet!“ Sascha wollte nach unten rennen, doch zu ihrem grenzenlosen Erstaunen zog die Frau sie hinter sich zu den Stufen hinauf. „Aber wir müssen doch aus dem Gebäude!“, zischte Sascha aufgeregt. „Unten erwarten sie uns.“, meinte die Frau: „Ich hab keine Lust darauf, mit ihnen Schwarzer Mann zu spielen.“ „Oben sitzen wir in der Falle.“, hielt Sascha dagegen. „Oben gibt es sicher Fluggeräte.“, widersprach die Frau. Durch eine selbstöffnende Schiebetür gelangten sie auf das Dach, das tatsächlich ein Landeplatz war. 2 Gleiter standen am Rand, einer besetzt mit einem Piloten, der eben eine Liste durchging. Auf ihn hielt die Frau zu. „Moment!“, rief Sascha: „Der andere wäre frei!“ „Vermutlich verschlossen.“, gab die Frau sachlich zurück. „Das krieg ich hin!“, beeilte sich Sascha zu versichern und bog zum anderen Gefährt ab, während die Frau ihr Ziel beibehielt. Hastig machte sich Sascha an die Schlüsselkonsole. Sie musste die Frau daran hindern, noch weitere Menschen zu verletzten, vielleicht sogar zu töten. Das Bild der Frau, wie sie gegen den Kopf des Polizisten trat, stand ihr noch immer vor Augen. Eigentlich war Sascha keine solche Verbrecherin. Sie war Trickbetrügerin, keine Einbrecherin. Und obwohl ihr Kollegen schon öfters erklärt hatten, wie das mit dem Schlossknacken ging, blieb das Schott dicht. Hinter ihr rief die Frau: „Kommst du?“ Sie stieß eben den leblosen Körper des Piloten aus dem Einstieg. Sascha verdrehte genervt die Augen. Der Staubwedel war bereits in den gekaperten Gleiter gehüpft und sah Sascha ebenso erwartungsvoll an wie die Frau. Keiner der beiden schien Bedenken wegen dem Grad an Brutalität zu haben, den ihre Flucht erforderte. Die Schiebetür zum Dach fuhr erneut auf und ein ganzes Batallion an Polizisten strömte auf die Plattform. Sascha rannte los. „Halt oder wir schießen!“, informierte die Behörde sie höflicherweise, bevor ihr die ersten Kugeln um die Ohren flogen. Die Frau sprang in den Gleiter, erschien einen Augenblick später im Cockpit und begann, scheinbar nach Gutdünken, Knöpfe zu drücken und Hebel zu schieben. Der Gleiter ruckte verwirrt hin und her. Sascha sprang. Eine Kugel fand ihr Ziel. Sie riss ein Loch in Saschas Unterschenkel und zog sie ein Stück mit sich. Trotzdem oder gerade deswegen gelangte Sascha durch die offene Luke und landete hart am metallenen Boden. Die Frau fuhr zu ihr herum. „Oh, ein Glück! Ich brauch dich... Ih.“ Sie hatte die Schussverletzung entdeckt. Mit einem Satz war sie neben Sascha, während, durch das offene Schott sichtbar, die Polizisten sich schnell dem Gleiter näherten. Mit einer Kraft, die absolut nicht zu dem schmächtigen Körper passte, hob die Frau Sascha hoch und trug sie zum Pilotensitz. Dort wies sie auf die Konsole. „Mach mal was, ich übernehm die Polizei.“ Und sie zückte ihre Pistole. Nun schien sie wirklich töten zu wollen. Schnell stellte Sascha die richtigen Einstellungen wieder her und startete. Sie schaffte es, den Gleiter vom Dach zu lenken, bevor sie einen der Beamten fallen sah. Das Bein tat höllisch weh, ein eiskalter Luftzug schien permanent in die Wunde hineinzufahren. Saschas Blickfeld verschwamm zunehmend. Kapitel 6: bad mood ------------------- „Lass mich sehn.“, übertönte die Stimme der Frau kurz das laute Rauschen in Saschas Ohren. Der Wischmob legte sich langgestreckt über Saschas Schoß. Komisch, sonst war er nicht so zutraulich. Die Frau rief von irgendwo weit hinter ihr: „Kscht! Nora, weg da!“ Sascha konnte nicht sicher sagen, dass sie geschlafen hatte, sie wusste nicht, ob sie eben aufgewacht war. Auf alle Fälle fühlte sie sich nicht ausgeruht. Doch sie lag in einer Koje. Mühsam richtete Sascha sich auf. „He, Kleines, bist du das?“, rief ihr jemand zu. „Ich bin nicht deine Kleine!“, gab Sascha zürück. Sie erschrak über die Heiserkeit ihrer eigenen Stimme. Sie räusperte sich. „Ach wo, klein bist du schon!“, kam es fröhlich zurück. Sascha wollte aufstehen, doch kaum war sie auf den Beinen, raste ein solcher Schmerz in ihrem linken Bein los, dass sie es einfach unter sich wegknicken lassen musste. Unelegant krachte sie zu Boden. „Aua!“ „Nicht aufstehen!“, kam es aus dem angrenzenden Cockpit. Sascha sah durch die offene Luke und meinte trocken: „Zu spät.“ „Du wurdest augeschossen.“, erklärte die Frau ihr: „Aber keine Sorge, ich bin gut im Wundenverbinden.“ „Wer sie zufügt, muss sie wohl auch heilen können.“, vermutete Sascha bissig. Die Frau, die im Pilotensessel saß und las – das Handbuch zum Gleiter, wie Sascha erkennen konnte – lachte beifällig. „Ja, das ist eine schöne Sichtweise. Aus, Nora! Sitz!“ Sascha rollte weiter über den Boden, um sich einen groben Überblick über das Cockpit zu verschaffen. „Wer ist Nora?“ „Der Hund.“, meinte die Frau. „Der braucht keinen Namen.“, erklärte Sascha: „Bei nächster Gelegenheit fliegt er raus.“ „Die Gelegenheiten waren schon zahlreich, seit ich an Bord bin.“, stellte die Frau fest: „Und er ist noch immer da.“ „Permanent rennt er mir nach.“ Sascha schnaubte verächtlich. Nora grollte verhalten in sich hinein. Die Frau sah vom Buch auf. „Brauch ich dann auch keinen Namen?“ „Sie haben sicher schon nen Namen.“, meinte Sascha, verlegen geworden. „Willst du ihn wissen?“, fragte die Frau provozierend und ließ wie zufällig ihre rechte Schulter aus dem weiten Kragen ihres Hemdes rutschen. Sie war ein schöner Anblick, zweifellos, doch so einfach wollte sich Sascha nicht ködern lassen. Daher wandte sie mit gelangweilter Miene den Blick ab. „Hm, nein, brauch ich nicht. Sobald ich meinen Frachter zurückhab, trennen sich unsere Wege.“ „Na dann...“, meinte die Frau und bedeckte ihre Schulter wieder. Sascha wurde klar, dass ihre Antwort etwas harsch war. „...Tschuldige. Ja, ich will Ihren Namen wissen.“ „Zu spät.“, erwiderte die Frau, übertrieben beleidigt, man merkte sofort, dass sie es nicht ernst meinte. So wie sie bereits die nackte Schulter nicht ernst gemeint hatte. Sie sah Sascha nicht als vollwertig an, für sie war Sascha nur ein Kind. Die Frau lachte. „Ach, jetzt guck doch nicht so enttäuscht. Komm, ich helf dir auf.“ Und sie wollte Sascha zu Hilfe kommen. Hastig wehrte diese ab. „Schon gut, ich kann das allein.“ Sie kroch zur Koje zurück, stemmte sich auf einem Bein in die Höhe und setzte sich dort. „Bist du jetzt bös?“, fragte die Frau schmunzelnd nach: „Ich sags dir ja. Ich heiß Azra. Und obwohl ich nicht so ausseh, komm ich aus den Emiraten.“ Sie war ihr in den hinteren Raum, der für den Patiententransport vorgesehen war, gefolgt und lehnte nun lässig an der Wand neben der Luke. „Ich bin nicht bös.“, widersprach Sascha genervt: „Wo sind wir eigentlich gerade? Sollten Sie nicht schauen, wo wir hinfliegen?“ „Wir fliegen nicht.“, meinte die Frau: „Wie ist dein Name?“ „Und wo stehn wir dann?“ „In so einem Wald... Ich weiß auch nicht, ich bin noch nie geflogen.“ Frau Azra zuckte entschuldigend mit den Schultern und fragte noch einmal: „Name?“ „Sascha, herrje. Lassen Sie mich sehn.“, verlangte Sascha und streckte Frau Azra fordernd eine Hand entgegen. Diese reagierte tatsächlich und stützte die verwundete Pilotin bis zu ihrem eigentlichen Platz im Gleiter. Schwerfällig ließ sich Sascha vor der Steuerung nieder und ging alle Statusmeldungen durch. „...Okay, wir sind noch auf Ribotti, nah der Stadt, aus der wir geflüchtet sind.“ Erstaunt sah sie zu Frau Azra auf. „Wie lang stehn wir hier denn schon?“ „Du wunderst dich, warum sie uns noch nicht gefunden haben, was?“, erkundigte die Frau sich und grinste verschlagen. Einer düsteren Vorahnung folgend warf Sascha resigniert beide Arme in die Luft. „Aaach, Sie haben sie alle erschossen!“ „Unsinn.“, gab Frau Azra ruhig zurück: „Wofür hältst du mich denn?“ „Für einen Menschen, der alles tut, um an sein Ziel zu gelangen.“, meinte Sascha. „...Gute Einschätzung.“, gab Frau Azra zu: „Darum hab ich unsere Signatur gegen die eines Transporters getauscht, der so aussah, als würd er noch weiterfliegen, und danach hab ich die Antenne in Alufolie gepackt, um unser Signal zu verschleiern. Schlau, nicht?“ Sie nahm am Beifahrersitz platz und sah Sascha erwartungsvoll an. Diese musste einräumen: „Nicht schlecht. Woher können Sie das alles?“ Frau Azra zwinkerte ihr lustig zu. „Ich bin sowas wie ne Auserwählte, ich kann alles.“ Sascha dachte über ihre weiteren Schritte nach. „Wir müssen zurück und meinen Frachter holen. Oder ein anderes Schiff, das für den leeren Raum geeignet ist. Aber mein Frachter wär am Besten. Dann flieg ich Sie nach d'Aldingsda und setz Sie dort ab. Und den Hund können Sie auch behalten. Danach trennen sich unsere Wege auf immer. Einverstanden?“ „Wenns nicht anders geht...“, stimmte Frau Azra nur wenig begeistert zu: „Also ...zurück zur Stadt?“ „Ja, aber zu Fuß.“, meinte Sascha: „Der Gleiter wär zu auffällig.“ „Und dein Bein?“ „Kommt mit.“ „Nein, ich mein, die Belastung...“ „...Stimmt.“ Kapitel 7: Leerzeichen ---------------------- Azra schob den Rollstuhl in einem Tempo vor sich her, den das Vehikel bisher sicher erst selten auszuhalten hatte. Sascha musste sich fest an die Armlehnen klammern, um bei dem unwegsamen Gelände nicht aus dem Sitz geschüttelt zu werden. Beide waren heilfroh, als endlich der Stadtrand erreicht war. Azra fragte einfach den erstbesten Menschen, der wie ein Einheimischer wirkte, wo sich Gefährte befinden könnten, die von der Polizei beschlagnahmt wurden. Dafür erntete sie neben einem wirklich schrägen Blick auch eine Adresse. Sie lächelte charmant und dankte höflich. Sascha blickte ihr genervt entgegen. „Wär das nicht auch dezenter gegangen?“ „Ja, aber nicht so schnell.“, gab Azra fröhlich zurück. Und bevor das Mädchen zurückzucken konnte, versetzte sie ihr einen leichten Nasenstüber. „Mach dir nicht so viele Sorgen. Ich weiß, was ich tu.“ Sie musste sich selbst eingestehen, dass sie es genoss, dieses halbe Kind bei sich zu haben. Nie zuvor hatte sie sich ähnlich verlässlich und notwendig gefühlt. Azra gab zu, sie hätte sich gern an dieses Leben gewöhnen wollen. Doch Sascha schien es überhaupt nicht zu gefallen. Beleidigt rieb sie sich die Nasenspitze. „Er hat gemeint, wir sollen der Straße bis zu einer Kreuzung folgen, bei der eine Tankstelle steht.“, erzählte Azra: „Also los.“ Sie klemmte sich hinter den Rollstuhl und setzte ihn zügig in Fahrt. „Dann links.“, meinte sie, als die Tankstelle erreicht war: „Bis zum Schrottplatz.“ „Hinter dem Platz...“, sagte sie, als beide vor dem großen Einfahrtstor standen: „...sollen die beschlagnahmten Gefährte stehen, in einem großen Parkhaus.“ Sie schaute über das weite Feld voll Schrott. Dahinter zeichnete sich die obere Kante eines flachen Gebäudetrakts ab. Hinter ihnen fuhr ein Streifenwagen vorbei. Die Wächter hatten ihn als Vermittler ausgewählt, weil bekannt war, dass Jakeem gern Bücher über andere Kulturen las und fremde Sprachen lernte. Daher nahm man an, dass er sich am besten zurechtfinden würde, in dem unbekannten Raum, in den sie ihre Jagd verschlagen hatte. Daher betrat nur er das Polizeirevier und stellte sich, etwas verlegen, an den Schalter. Der Beamte sah flüchtig auf. „Ja, bitte?“ Jakeem kramte alles an Nizzisch zusammen, was er je gehört hatte, und meinte stockend: „Entschuldigend. Ich bin eine Frau finden wollend.“ Der Beamte betrachtete ihn Momente lang schweigend, bevor er brüllte: „Iljas!“ „Ja, was denn!“, kam es verärgert zurück. „Einer von deinen Leuten!“, rief der Mann am Schalter. „Ists wieder mein Bruder?“, fragte es aus dem Nebenzimmer: „Sag ihm, er kann mich mal!“ „Sags ihm doch selbst!“ Das alles hatte Jakeem nicht verstanden. Den nächsten Satz aus dem Nebenzimmer verstand er, wenn auch nur mühsam, der Dialekt war schrecklich. „Du kannst mich mal!“ Jakeem freute sich zu sehr darüber, seine Sprache zu hören, um sich über den Inhalt zu wundern. Er rief: „Sie sprechen meine Sprache?“ Aus dem Nebenzimmer streckte sich ein Kopf. Ein schmales Gesicht, bleiche Haut, schmale Katzenaugen, unter einem tiefschwarzen Schopf. Diesem folgte ein knabenhafter Körper, an dem die Uniform flatterte wie ein Clownskostüm. Der Blick war offen neugierig. „Oh nein.“, meinte die Gestalt in Jakeems Sprache: „Nein, Sie sind nicht mein Bruder. Guten Tag.“ Sie kam hastig an den Schalter und streckte dem Wächter zum Gruß die rechte Hand entgegen. Jakeem ergriff sie derart enthusiastisch, dass ihm sein Benehmen kurz darauf selbst albern vorkam. Doch er konnte sich nicht daran hindern. „Guten Tag, ich bin Jakeem, Mann der fürstlichen Garde von Khariman und, verzeihen Sie mir meine Überschwenglichkeit, aber überglücklich, Sie kennenzulernen!“ Sein Gegenüber lachte laut auf. „Ach, macht nichts, ich versteh Ihre Erleichterung. Wie kann ich Ihnen helfen?“ Sein Kollege deutete ihm, dass er für die Dauer des Gesprächs nach hinten verschwinden würde. Iljas nickte, ohne den Blick von Jakeem zu wenden. Jakeem erklärte: „Eine Frau des Fürsten ist flüchtig. Sie steht unter Verdacht, zwei unserer Männer ermordet zu haben. Wir haben die Flüchtige bis hierher verfolgen können. Nun hoffen wir auf die Mithilfe Ihrer Leute für die weitere Suche. Hier sind die Daten, die wir haben.“ Er reichte dem Polizisten das mitgebrachte Datenpad. „Ein Frachter der B-Klasse.“, murmelte der junge Mann, während er weiterscrollte: „So einer hat doch erst vor kurzem Probleme gemacht.“ Sichtlich erfreut sah er auf. „Ja, ich glaub, wir können helfen.“ Mindestens ein Streifenbeamter bewachte die Einfahrt des Parkhauses, das größtenteils unterirdisch liegen musste. Azra überprüfte das Magazin ihrer Pistole. Sechs Kugeln hatte sie noch. Doch schon ein Schuss dürfte reichen, alle Polizisten in Hörweite auf sie zu hetzen. Nein, der einfachste Weg war ausgeschlossen. Azra musste so leise wie möglich an der Wache vorbei. Sie wandte sich zu Sascha um. „Ne Idee dazu?“, sie wies auf das Wachhäuschen. Sascha spähte an ihrer Begleitung vorbei und meinte: „Ja.“ „Und welche?“, fragte Azra, als sie lang genug vergeblich auf Fortsetzung gewartet hatte. „Ich roll vorbei...“, erklärte Sascha: „..., stürz aus dem Rollstuhl, er kommt mir helfen, du schlägst ihn nieder.“ „Es wird nach uns gefahndet.“, widersprach Azra: „Er kennt unsere Gesichter.“ „Ich fall so, dass er mich nicht erkennt.“, versicherte Sascha: „Glaub mir, das funktioniert.“ „Wenn da keine weiteren Wachen sind...“ Azra versuchte angestrengt in der Dunkelheit hinter dem Einfahrtsbalken mehr zu erkennen als nur Dunkelheit. Keine Chance. Sie atmete tief durch. „Wir müssens wohl versuchen.“ „Du wirst begeistert sein.“, versprach Sascha ihr trocken und rollte davon. Im ersten Moment wollte Azra sie erschrocken hinter die Häuserecke zurückziehen. Eins musste man dem Mädchen kennen. Es kannte keine Unsicherheit, wenn es einen Plan hatte. Azra sah Sascha vom Wachhaus wegrollen, der Polizist konnte unmöglich ihr Gesicht erkennen. Saschas Stuhl schien sich am Bordstein zu verfangen. Sascha stürzte. Tatsächlich bewegte der Wachmann sich. Er ging zügig auf die verunglückte Sascha zu und rief vom Weg: „Geht's Ihnen gut?“ Sascha lachte beschämt. „Hehe, hoppla. Verzeihung!“ Der Polizist war an Azra vorbei. Azra schlich hinter ihm her, die Pistole verkehrt herum in der Hand. Sie wollte eben zuschlagen. Die Sirene ließ alle erschrocken herumfahren. Kapitel 8: Womanizer -------------------- Die Sirene ließ alle erschrocken herumfahren. Ein Polizeiauto. Es hatte nur kurz das Horn aktiviert, um den Kollegen auf die drohende Gefahr aufmerksam zu machen. Nun sprang ein weiterer Uniformierter aus der Fahrerseite und richtete seine Dienstwaffe auf Azra. Diese versteinerte. Von der Beifahrerseite entstieg eine Gestalt, die Azra gehofft hatte, nie wieder zu sehen. Sie sank ein wenig in sich zusammen und seufzte: „Ausgerechnet der...“ Von allen Wächtern des Fürsten. Das Schicksal meinte es schlecht mit ihr. „Azra, hi!“, rief der Gefolgsmann ihr mit ernstem Gesicht zu. Natürlich war es auch ihm verboten, mit ihr zu sprechen, doch Jakeem hatte sich noch nie an diese Regel gehalten. Wann immer er sich unbeobachtet glaubte, quatschte er mit den Frauen, als ob er zu ihnen gehören würde. Viele der Haremsdamen schwärmten für den Mann. Azra war da keine Ausnahme. „Du hier!“, rief Azra zurück: „Schlaue Wahl!“ „Ergib dich und komm zurück mit mir!“, schlug Jakeem vor. „Ach, Schatz...“, murmelte Azra, erschrocken darüber, wie gern sie ihm gefolgt wäre. Ihre Bestimmung stand zwischen ihnen. „Wer ist der Gorilla?“, grollte Sascha vom Boden aus. „Ah, jetzt interessierst du dich plötzlich für mich?“, fragte Azra verschmilzt nach. „Nein.“, murrte Sascha: „Ist mir doch egal, wer der ist.“ „Deine Antwort?“, fragte Jakeem. „Ich würde gern mit dir gehen!“, schwor Azra, bevor sie den Polizisten neben ihr mit einem Drehkick gegen den Kopf zu Boden schleuderte. Ein Schuss. Azra hechtete und rollte sich ab, damit war sie exakt zwischen dem Streifenwagen und Sascha. Dort erst zog sie ihre Waffe und richtete sie auf den besinnungslosen Wachmann. „Keine Bewegung mehr oder ich erledig ihn!“ Tatsächlich stellte der Beamte bei Jakeem sofort das Feuer ein. „Sie kommen hier nicht mehr weg!“, rief er stattdessen, in Azras Muttersprache, wenn auch in einem komischen Dialekt: „Ich hab bereits Verstärkung angefordert!“ „Mal sehn!“, gab Azra laut zurück, leise zu Sascha meinte sie: „Wir machen das schon. Komm, ich helf dir hoch.“ Sie fasste das Mädchen um die Taille, Sascha schlang ihren Arm um Azras Hals, derart verkettet richteten sich beide zusammen auf. So schnell sie konnten bewegten sie sich auf die nahe Einfahrt zu. Die rettende Dunkelheit der Garage verschlang sie genau im richtigen Augenblick. Eben rollten weitere Streifenwägen in die schmale Straße neben dem Müllplatz. Azra steckte die Waffe weg, nahm Sascha stattdessen Huckepack und rannte los. „Wir hätten im Hauptcomputer schauen können, ob da steht, wo sie Anabelle hingebracht haben.“, maulte Sascha vom Rücken aus. „Die Zeit hatten wir leider nicht.“, erklärte Azra geduldig: „Aber es gibt da sicher ein System. Anhand der Dicke von Staubschichten sehn wir vermutlich, welche Fahrzeuge neu dazugekommen sind, und da, wo alle Neuzugänge stehen, da wird auch deine Anabelle sein.“ „Sie sind die Einzige, die an Ihre fadenscheinigen Pläne glaubt, ich denk nicht, dass das so geordnet ist.“, meinte Sascha: „Nur gut, dass in Anabelles Schlüsselkarte ein Orter eingebaut ist, der mir sagt, wo sie ist.“ Azra biss verärgert die Zähne zusammen. „Gretze, du!“ Sie hatte schon begonnen, sich ernsthaft Sorgen zu machen. Denn Sascha hatte falsch gelegen, nicht einmal Azra hatte wirklich an die Staubschicht-Theorie geglaubt. „Bin ich wenigstens am richtigen Weg?“ „Klar.“, gab Sascha zurück, deutlich zufrieden mit sich selbst: „Wenn wir abbiegen müssen, geb ich dir Bescheid.“ „Schritte!“, zischte Azra und sprang zwischen 2 parkende Gefährte. Dort ließ sie Sascha vom Rücken gleiten und spähte vorsichtig aus ihrer Deckung hervor. Sie zeigte Sascha 4 Finger. 4 Beamte waren ihnen in die Dunkelheit gefolgt. Azra dachte an ihre Pistole. Sie hätte genug Munition, doch es war eine Halbautomatik, was hieß, nachdem der erste Schuss gefallen war, hatten die restlichen Zielscheiben genug Zeit, sich zu verkriechen. Die Polizisten unbehelligt in der Garage herumspazieren zu lassen war jedoch keine angenehme Alternative. Besser man löste seine Probleme, solange sie noch frisch waren. Azra griff zur Waffe. Jemand schnappte sie am Kragen und zog sie grob zurück. Verwundert fand sich Azra Aug in Aug mit einer scheinbar verärgerten Sascha. Sie fragte tonlos: Was? Niemand, formulierten Saschas Lippen übertrieben deutlich: ...wird hier sterben. Es war offensichtlich, dass das Mädchen den Ernst der Lage nicht erfasste. Dies war kein Probedurchlauf, die Zeit drängte, sie durften nicht mehr versagen. Sekundenlang starrten sich die beiden Kontrahenten sich an, versunken in einem stummen Kräftemessen. Inzwischen kamen die Polizisten unaufhaltsam näher. Azra spürte ihre Präsenz beinah körperlich... Also gab sie nach und winkte Sascha resigniert, nach ihrem eigenen Gutdünken fortzufahren. Sascha legte sich flach auf den Bauch und robbte nah der Wand hinter den Gefährten vorbei weiter vorwärts. Azra hoffte, dass das verursachte, schabende Geräusch von dem Dröhnen der Stiefel aufgefressen wurde, bevor es die Ohren der Beamten erreichte. Sonst hatten sie den Kampf bereits verloren. Doch Azra dachte, alles für die Jugend, und folgte brav. Scheinbar konnte keine Situation ernst genug sein, um darüber hinaus die Förderung des Nachwuchses zu vernachlässigen. Bei einem Gefährt, das für Azra wie alle anderen aussah, verharrte Sascha und sah so erfreut zu dem nahen Rumpf auf, als ob ihr eben der größe Wunsch erfüllt worden wäre. Azra ging davon aus, es musste sich um Anabelle handeln. Sie lauschte. Die Polizisten durchsuchten jede Ritze auf ihrem Weg, darum hatte sich ihr Vorsprung angenehm erweitert. Zwischen Anabelle und dem unbekannten Nachbarn schlich Azra nach vorn, um die Zufahrt abzusichern, während Sascha ihren Frachter auf seine Flugtauglichkeit hin überprüfte. „Können wir ein Loch in die Wand schießen und direkt hinausfliegen?“, erkundigte Azra sich leise, als Sascha ihr signalisiert hatte, dass sie startbereit waren. „Vermutlich sind die Wände zu massiv.“, flüsterte Sascha zurück: „Aber keine Sorge, die Architekten haben vorgesorgt, es gibt eine Ausfahrt.“ Azra musterte sie kopfschüttelnd. „Du bist schon den ganzen Weg über so schlecht drauf, wie kommts? Ich würde die Ausfahrt lieber meiden, wer weiß, was dort inzwischen auf uns wartet.“ Sascha sah trotzig zur Seite. Plötzlich leuchtete ihr Gesicht auf. „Ah, Idee!“, stellte sie erfreut fest. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)