Lumiél Noir von Voidwalker ================================================================================ Kapitel 1: Stein um Stein ------------------------- Die Alten Götter, so heißt es, sind tot. Verdammt und verstoßen aus dem Königreich Lumiél, in die Knie gezwungen vom neuen Gott des Landes, von der einzigen Größe, zu der die Bauern noch beten dürfen, ohne im Morgengrauen am Galgen zu baumeln: Seine göttliche Majestät König Phillipe der Dritte. Die Anmaßung eines Menschen. Im Rest der Welt dreht sich das Rad des Schicksals weiter. Gesandte werden geboren, Leben verwelken, Schlachten werden geschlagen – manche offen und mit dem Gebrüll Tausender Krieger, manche im Stillen hinter den Vorhängen der Weltbühne. Einer aber mischt immer mit, ist immer allgegenwärtig, immer am intrigieren: Ceteus. Erwählt Mermerus einen Champion, so schafft er mit der Übertragung großer Macht auf nur ein einziges sterbliches Wesen einen Avatar. Eine Größe, die Königreiche stürzen kann. Doch stirbt der Avatar, so ist auch seine Mission mit ihm verloren gegangen. Immer schon hielt der Schatten es damit anders als sein Bruder und dessen Kinder und Enkel. Frei von der Notwendigkeit, sich erklären oder rechtfertigen zu müssen und befähigt, seine eigenen Kräfte aus einer ganzen Welt zu ziehen, die er nur für sich selbst besaß, vermag Ceteus seine Kräfte auf mehr als einen Streiter zu verteilen. Gerade deshalb waren die Priester der Spinne schon immer verhasst und gefürchtet: Stand man mit ihnen im Kampf, konnte man nie wissen, ob man einen Gläubiger bekämpfte, oder einen Avatar. Gerade diese Inkarnationen seiner Macht waren oft von der gleichen Gerissenheit und Hinterlist getrieben und beseelt, die auch ihren Meister voran brachte. Parallel zu ihrem Schaffen in der Welt suchten sie sich aus den Tausenden verdorbener Seelen oftmals einen Nachfolger, lehrten ihn die Folgsamkeit, stärkten seine Kräfte und sein Wissen und nutzten ihn als verlängerten Arm seines finsteren Willens – bis der Avatar auf welchem Wege auch immer seinen Untergang fand. Denn dann wäre sein Nachfolger bereit, in die Dienste der Spinne zu treten. Nicht umsonst lautet eine Redensart des Volkes: Das Böse schläft nie. „Herrgott nochmal, sei nicht so verdammt stur!“ „Du weißt nicht im Geringsten, worauf du dich einlässt!“ „Ich bin kein Kind, ich habe Jahre ohne dich zugebracht, stell dir vor!“ Orykenes Ohr wich abrupt von der Tür zurück, als erneut ein lautes Klirren erklang – diesmal direkt auf der anderen Seite des Holzes. Sie seufzte, schüttelte resignierend den Kopf und trat zurück. Ihre Fußklauen klackten leise auf den Steinen des Untergrundes, bevor sie sich neben Delilah auf eine provisorische Bank sinken ließ. Hier, nur einen Meter von der schweren Eichentür entfernt, drangen die Stimmen aus jenem Raum nur noch sehr gedämpft an ihre Ohren – und selbst das Klirren und Scheppern wurde leiser. „Wo Kat?“ erkundigte sich die Dryade bei ihrer Gefährtin. Orykene legte den Kopf in den Nacken, betrachtete einen Moment, wie der Tunnelbogen sich zur Decke hin wölbte. Sie war eine Harpyie, sie war ein Kind der Lüfte – sie gehörte nicht unter Tage. Gut, zugegeben, ihr Hort in Quentloas lag in einer gewaltigen Felsspalte. Aber auch dort konnten sie fliegen. Alles war breit, groß und geräumig genug. Aber Samaras Kanalisation war einfach zu beengt. Sie hatte versucht, sich daran zu gewöhnen, war es doch schließlich eine Notwendigkeit, aber es gelang ihr einfach nicht. Schließlich wandte sie ihren Blick der Dryade zu. Sie wartete auf eine Antwort, das wusste sie auch ohne in ihre Augen zu sehen, denn die Hüterin blickte auf ihre Hand herab, auf den kleinen, grünen Spross, der sich ihrem Finger entgegen reckte. Sie tippte ihn an, 'tätschelte' ihn, wie man einen braven Hund lobte. Es war für die Jägerin ein Wunder, dass sich ihre Gefährtin hier unten nicht ebenso unwohl fühlte. Es fehlte an Sonnenlicht, sie verließen oft nur bei Nacht die Gänge des Kanalsystems. Vermutlich nicht verwunderlich – obwohl Orykene inzwischen leichte Kleidung trug, rein um sich warm zu halten, hatten sie und Delilah beide ihre Gepflogenheit abgelegt, sich beständig verstecken zu wollen. Dies war Samara. Die Stadt gehörte Ashes – und gerade hier unten gab es für sie beide einfach keine Notwendigkeit, zu verstecken, wer oder was sie waren. Viele der Rebellen beäugten sie skeptisch, wieder und wieder. Eine Hüterin, das war eine Gesandte Phylias, eine Vertreterin eines göttlichen Willens auf dieser Welt – aber wie sollte sie über Macht verfügen können, wenn die Alten Gottheiten doch tot und verstoßen waren? Manche hatten Delilahs Wert bezweifelt, hatten sie ausstoßen wollen. Orykene hatte sich nicht eingemischt, hatte ihnen nicht die Kehlen aufgerissen. Das war einfach nicht nötig – Delilah wusste selbst, wie sie solche Großmäuler auf ihren Platz verwies. Inzwischen, dank Kats fortwährender, geduldiger Bemühungen und auch ihrer eigenen Anstrengungen, vermochte die Hüterin zumindest deutlich besser die rasche und ungelenke Sprache der Menschen zu verstehen. Sie selbst zu sprechen, hatte sie noch Probleme – aber sie begriff, wenn jemand ihren Nutzen in Frage stellte. Es war ein durchaus amüsanter Anblick gewesen, als die giftigen Ranken, deren Samen seit Jahrhunderten unter Samara begraben lagen, sich aus dem Boden gruben, seine Arme und Beine packten, sich daran in einer Spirale empor wanden, während die Dornen über Kleider und Haut schabten und das erste Gift in seinen Körper einbrachten. Dieser Narr hatte tagelang zitternd wie Espenlaub unter Fieber, Übelkeit und Schwindel auf dem Bett gelegen und um sein Leben gekeucht. Überlebt hatte er letztlich nur, weil die Dryade es so wünschte – denn auch, wenn solche Holzköpfe nicht unbedingt ihr Gewicht in Gold wert waren, war doch jeder weitere Schwertarm in den Diensten des Untergrundes wichtig und nützlich. Irgendwann, irgendwie. „Kat ist in Sundergrad. Sie versucht dort eine zweite Zelle aufzubauen.“ antwortete die Harpyie nach einer Weile. Sie konnte verstehen, warum Delilah nach ihr fragte. Die Piratin war... angenehme Gesellschaft. Willensstark und eifrig, wenn auch für Orykenes Geschmack etwas zu idealistisch. Sie hatte mit der Hüterin viel Zeit verbracht, um ihr ihre Sprache zu lehren und sie mit dem System des Untergrundes vertraut zu machen – eine Bezugsperson, nach ihrer Rückkehr in die Gefilde der Menschen. Orykene hatte nur am Rande gehört, was geschehen war. Von einem alten, toten Wald war die Rede gewesen, von tollwütigen Tieren und einem großen Streifen... Tod. Mitten in Lumiéls Osten. Kein Feuer, kein Magier und kein Katapult waren diesem Gestrüpp beigekommen. Warum die Dryade wieder hier war, vermochte Orykene nicht zu sagen. Ihr Wiedersehen war zunächst fürchterlich kühl ausgefallen, ehe sie sich langsam wieder einander angenähert hatten. Zweifellos war es der Gesandten schwer gefallen, ihr ihren damaligen 'Verrat' zu verzeihen. Aber hatte Delilah nicht ebenso längst einsehen müssen, dass es kaum einen Weg gab? Der Widerstand war inzwischen die einzige Größe in Lumiél, die vielleicht noch etwas bewegen konnte. Auch der Plan der Jägerin war gescheitert. Als Brutmutter des Hortes die dunkle Zeit aussitzen – vielleicht war es von Anfang an eine schlechte Idee gewesen, aber sie hatte einige Jahre lang funktioniert, ohne dem Hort noch weiter zu schaden. Ihr beider Aufmerksamkeit schwenkte um, als sie das Echo von Schritten hörten. Jemand kam den langen Gang herab, sie hörten das gelegentliche Platschen, wenn die eiligen Schritte auf eine der Pfützen trafen. Die Fackeln waren viel zu unregelmäßig und in zu großen Abständen angebracht, um immer alles sehen zu können. Doch wie sollte man für Eindringlinge sonst einen guten Hinterhalt legen können? Vor ihnen schälte sich ein Bote aus dem Dunkel. Einfache, einstmals weiße Leinen, eine derbe braune Lederweste und erdbraune Hose samt Schuhen – ihm war anzusehen, dass alles darauf ausgelegt war, schnell, zügig und unauffällig voran zu kommen. Orykene nickte ihm zu, war sein jugendliches Gesicht ihm inzwischen doch bekannt. Er besaß, wie die anderen Männer es sagten, eine Silberzunge. Ähnlich wie Kat, hatte er Ashes bisher immer schlechte Nachrichten überbringen können, ohne ihre Kammer mit gebrochenen Knochen zu verlassen. „Wie weit sind sie?“ erkundigte sich der Bote, als er stoppte und einen Moment auf das in seiner Lautstärke erneut anschwellende Stimmengewirr im Inneren lauschte. Als etwas knapp neben der Tür zerschepperte, zuckte er kurz zusammen, ehe er aufseufzte. „Wenn ich richtig mitgezählt habe, müssten das inzwischen die Teller sein.“ erwiderte Orykene und verzog die Lippen zu einem Lächeln. Es war schwierig, die Harpyie einzuschätzen. War sie freundlich? War sie amüsiert? Spottete sie über ihn? Wie wenig Orykene von Menschen im Allgemeinen und von Männern im Speziellen hielt, war inzwischen weitläufig bekannt. Spätestens, seit einer der Rebellen auf die dumme Idee gekommen war, zu glauben, eine im Schlaf überraschte und gefesselte Harpyie könne ihm keinen Widerstand mehr entgegen bringen. Man hatte Teile von ihm gefunden. Nicht alles, aber immerhin Teile. Kleine Andenken, die sie zur Warnung in den Schlafstätten seiner Freunde gelagert hatte. Der Bote hingegen wusste, dass sie durchaus auch anders konnte. Die frühere Brutmutter vermochte freundlich zu sein, wenn sie es denn wollte und ob sie das wollte, das hing – so schätzte der junge Bursche sie ein – sehr davon ab, wie man ihr gegenüber trat. Er zeigte bisher stets Respekt, eine Spur Demut vielleicht sogar. Sicherlich würde er in ihren Augen nie die gleiche Hochachtung erreichen, die sie Ashes entgegen brachte. Eine starke Frau, die mit einem Plan mal mehr, mal weniger gut gegen einen schier übermächtig wirkenden Feind vorging und dabei Männer völlig mühelos und ohne Widerworte zu dulden herum kommandierte. Natürlich musste das der Harpyie imponieren. „Was gibt es denn?“ erkundigte sich die Jägerin. Das stille Angebot, die Nachricht entgegen zu nehmen und selbst zu überbringen, war damit ausgesprochen. Der Bote jedoch schüttelte den schwarzlockigen Kopf und lehnte höflich ab – die Nachrichten waren zu wichtig. Mit eben dieser Bemerkung erweckte er auch Orykenes Aufmerksamkeit, weshalb sie Delilah mit einem einzigen Blick auf ihre Seite zog. Als der Junge schwer an die Tür klopfte, verstummte das Stimmengewirr einen Moment, um wenig später im Chor ein gereiztes „Was?“ erschallen zu lassen. Er trat ein – von der Hüterin und Orykene dicht gefolgt. Wie ein Stier schnaufend stand Ashes an der Kopfseite einer langen Tafel, das Messer, das zum neuen Wurf hatte herhalten sollen, noch fest umklammert und die Haarpracht völlig wirr und konfus. Weit näher beim Eingang wartete Alistair, einen Teller in der Hand, und begutachtete die Eindringlinge ebenso aufgewühlt. „Was ist?“ fuhr die Elbe den Boten an, der daraufhin zusammen zuckte und versuchte, das fürchterliche Chaos aus Scherben, Besteck und den Wachssplittern zerbrochener Kerzen zu ignorieren. „Es ist wichtig.“ „Dann steh da nicht rum, erzähl!“ blaffte die Elbe barsch. „Vor zwei Tagen versuchte jemand, das Stadttor zu passieren. Ein Einreisender. Er kam den Wächtern merkwürdig vor, also wollten sie ihn durchsuchen.“ begann der Bote seinen kleinen Vortrag, doch es war offensichtlich, das Ashes gerade jetzt keine Ausgeburt von Geduld war. Mit einem schlichten „Na und?“ brachte sie den Schwarzhaarigen einen Moment aus dem Konzept, ehe er wieder einsetzte. „Man fand die Leichen der Wächter bei Ereshkigals Rast. Wir haben sie in einer der Kammern gebracht, falls ihr sie euch ansehen wollt. Die Heiler sagen, ihr Blut sei verdorben. Als hätte man es wochenlang in der Sommersonne stehen lassen – ein unnatürlicher Zustand.“ Ab diesem Punkt wurde es sogar für die Anführerin der Rebellen interessant. Nicht nur, dass jemand die Stadtwache offen angriff – was dieser Tage schon selten genug war -, da hatte es jemand auch noch geschafft, ihrem Informationsnetzwerk zu entwischen. Offenkundig auch noch ein Magier oder Hexer, denn dem Wort der Heiler konnte man durchaus glauben. Mit einer sichtlich genervten Handgeste forderte sie den Boten auf, weiter zu reden. „Es gab nur drei Augenzeugen. Einen Händler, Meister Talsin und einen Bauern. Als ich hierher kam, wollte ich euch von drei blauen Laternen berichten, aber... nun... als wir von einem Feuer in der Stadt hörten und sich heraus stellte, dass besagter Händler darin umkam, habe ich mir erlaubt, einen Späher in die äußeren Höfe zu senden. Er kehrte gehetzt und kreidebleich zurück und erzählte, dass alles tot sei. Das Vieh, die gesamte Familie, sogar das Korn sei verwelkt.“ Selbst wenn Ashes zuvor noch der Sinn danach gestanden hatte, ihren Streit mit Alistair fortzusetzen, sobald die Tür erst einmal geschlossen war, ließ sie nunmehr davon ab. Sie legte das Messer auf den Tisch und zog die Stirn in Falten. Die Lage hatte sich damit geändert. Klang es eingangs noch nach einem möglichen neuen Verbündeten, einer weiteren Verstärkung für ihre Truppen, schien es sich plötzlich um einen möglichen Feind zu handeln. Da griff jemand ihre Informanten an. Die Wächter am Tor zu töten und zu verstecken, war sicherlich nicht der Aspekt, der Ashes störte. Auch die Augenzeugen zu beseitigen, erschien durchaus logisch – wenn jemand ungesehen in die Stadt wollte. Doch die Art, in der man das getan hatte, erweckte ihr Misstrauen. Mit einem Feuer ließen sich alle möglichen Dinge bestens vertuschen und noch bedenklicher waren da die Berichte des Spähers vom Zustand des Hofes. Drei blaue Laternen. Das Signal für Ashes und den Widerstand, dass der Besitzer der Laterne etwas Wichtiges oder zumindest Interessantes zu vermelden hatte... und da der Bote so explizit darauf hingewiesen hatte, stammten zwei dieser Laternen zweifellos vom Händler und dem Bauern. Die Dritte gehörte dann wohl Meister Talsin. Ashes kannte den Namen leidlich gut. Sie hatte eine fürchterliche Abneigung gegen Magier, einen regelrechten Hass auf ihre 'Zunft'. Sie empfand es nur als gerecht, dass die Zirkel zerschlagen worden waren. Sie hätte das am liebsten sogar gefeiert – doch für Feierlaune reichte ihr Gemütszustand schon seit Jahren nicht mehr aus. Stattdessen sah sie darin wohlbegründet das Problem, dass manche der nunmehr vogelfreien Magi sich hatten bestechen lassen und in die Dienste seiner Majestät übergetreten waren. Abtrünnige, die nunmehr die letzten loyalen Anhänger ihrerseits als Abtrünnige jagten. Der Elbe wäre es nur Recht gewesen, wenn dieses ganze Pack sich gegenseitig ausräucherte, dummerweise zählte Talsin zu ihren Informanten – zu den Guten obendrein. Wann immer es um Artefakte und Reliquien ging, wusste er Rat und Auskunft zu erteilen. Er verdiente sich den Schutz vor den Häschern des Königs, den Ashes ihm garantiert hatte. Wenn er irgendetwas über den Eindringling wusste, dann war er – gemessen an der Geschwindigkeit, in der sich diese Nachrichten überschlagen hatten – entweder bereits tot, oder auf bestem Wege, das zu werden. Und damit war Eile geboten. „Wir ziehen sofort los.“ konstatierte die Elbe ernst, ehe ihr Blick zu Alistair schwenkte und ein letztes Mal wütend funkelte, „Und du bleibst hier!“ In Begleitung Delilahs und Orykenes begab sich die Kriegerin in ihre Waffenkammer, legte ohne Umschweife und große Erklärungen ihre Rüstung an, warf sich ihren Umhang über und suchte den nächstgelegenen Ausstieg nach oben. Sehr zum Verdruss beider, mussten auch die Hüterin und die Harpyie wieder auf Tarnung und Unauffälligkeit setzen. Drei vermummte Gestalten, die des Nachts durch Samaras Gassen streiften. Dieser Tage glücklicherweise nicht ganz so selten. Ohnehin hätte es schon eine ganze Schar von Wächtern sein müssen, die Ashes erkannten. Ein paar einzelne Soldaten würden sich bei ihrem Ruf niemals trauen, sie offen anzugreifen und der Großteil der hiesigen Bevölkerung stand ohnehin auf Ashes Seite. Sie hätte sich nicht verstecken müssen, doch da Eile geboten war, wollte sie zügig voran kommen, ohne alle zwei Querstraßen von irgendwem angesprochen oder um irgendetwas gebeten zu werden. Als sie im Norden der Stadt angelangten, zog die Elbe ohne ein Wort ihr Schwert. Schon von Weitem fiel einem beim Blick auf das kleine Fachwerkshäuschen etwas auf: die Tür stand einen Spalt weit offen. Mit einem Tritt beförderte sie sie zur Gänze in den Raum hinein. Dicht von Orykene gefolgt, erstürmten sie die kleine Wohnstube. Dunkelheit herrschte im Raum. Selbst das Feuer im Kamin schien kaum genug Licht abzustrahlen, um gegen diese Schwärze anzukommen. „Wir sind nicht allein.“ flüsterte Delilah wachsam. Die Harpyie nickte zustimmend, bevor die Drei begannen, sich im Raum zu verteilen. Es war nicht schwer für die Jägerin, das Blut zu riechen, das in kleinen Tropfen und verwischten Spuren am Boden verteilt war. Auch Delilah bemerkte es zweifellos und Ashes sicherte lediglich ab, dass niemand mehr hier war, der ihnen gefährlich werden konnte. Während die Hüterin der Spur in die eine Richtung folgte und ihren Anfang fand – einen ziemlich übel zugerichteten, umgeworfenen Sessel neben dem Kamin – spürte Orykene ihr Ende auf: Talsin. „Hierher!“ wies die Harpyie. Sie trat zur Seite und wusste sich beim besten Willen nicht zu erklären, was hier vorgefallen war. Es gab Kampfspuren, ein Resthauch von Magie lag in der Luft und obgleich Talsin alles andere als wehrlos war, lag der alte Mann besiegt in der Ecke des Raumes, zusammengekauert, regelrecht gekrümmter Haltung, starrte an die Decke empor und zitterte. Es war keine Angst, die seine Muskeln in Bewegung versetzte... es war Gift. Das erkannte Ashes schon, als sie sich neben den flüchtigen Magier kniete. Seine ausgemergelte, faltige Hand hob sich, doch er besaß nicht mehr die Kraft, zu zeigen, was er ihnen hatte zeigen wollen. Schlaff fiel sie wieder auf die Bodendielen herab. Er blutete aus unzähligen Wunden, alle klein und rund, als hätte man ihm eine breite Nadel ins Fleisch gestochen. Keine davon war tödlich, selbst der Blutverlust hätte ihn in Stunden noch nicht so geschwächt – aber offenkundig waren das nur die Stellen, an denen das Gift eingedrungen war. Er wälzte den Kopf herum und selbst Orykene musste einen Moment von Ekel getroffen den Blick abwenden. Ein Teil seiner Kopfhaut mitsamt des dünnen, strähnigen Haares blieb schlicht an der hölzernen Wandtäfelung kleben. Als würde der Magier sich langsam auflösen. Als wäre diese Vermutung nach jenem Bild nicht schon kurios und widerwärtig genug gewesen, bemerkte die einstige Brutmutter tatsächlich, dass die Blutspuren zu schrumpfen begannen. An manchen Stellen, von denen sie genau wusste, dass dort kleine Tropfen ihre Aufmerksamkeit erregt hatten, gab es keine Spur mehr. „Er hat... hat nach dem St-... Stein gefragt...“ krächzte Talsin fast tonlos. Abermals hob sich die Hand des sterbenden Magiers, deutete mit aller Mühe nach Westen... ehe alles Leben in ihm erstarb. Das einstmals treue Zirkelmitglied und danach zumindest die Informationsquelle Ashes' war tot – und sein Henker wohl längst auf dem Weg zu seinem nächsten Ziel. „Wir müssen ihm zuvor kommen.“ beschloss die Elbe herrisch. Es war ihrer Stimme bereits anzuhören, dass sie wütend war, aufgebracht – in Jagdlaune. Sie erhob sich aus der Hocke und ließ den alten Magier zurück. In ein paar Tagen würde jemand durch den Geruch auf ihn aufmerksam werden und ihn beerdigen, so befand Ashes. Zumindest hatten sie keine Zeit, jetzt noch eine Grabrede zu halten. Während Delilah und Orykene bereits das Haus verließen, blieb die Elbe einen Moment noch zurück. Ihr Blick wanderte zum Kamin, in dem noch immer das kleine Feuer flackerte. Ziemlich viel Brennholz für so eine kleine Flamme... Sie blickte nach oben, zu den Seiten, zur Treppe, die in den oberen Stock führte. Talsin war tot – aber das Gefühl, hier nicht allein zu sein, war nicht mit ihm verstorben. Einige ausgedehnte Momente lang verharrte sie lediglich, die Klinge noch immer fest umschlossen, und starrte in die Dunkelheit hinauf. „Wo bleibst du?“ hörte sie von draußen Orykenes Geflüster. Schließlich verstaute sie die Schneide wieder und verließ die Wohnstube des Magiers. Sie folgte der Harpyie und ihrer Gefährtin ein gutes Stück die Gasse hinab, ehe sie stoppte. Hatte sie... da nicht gerade ein Flüstern gehört? Die Elbe drehte sich ruckartig um, gerade schnell genug, um zu sehen, wie die Flammen im Kamin kurz flackerten... und das Feuer dann erstarb. Völlige Dunkelheit füllte das Haus auf und selbst die erfahrene Kriegerin kämpfte einen Moment mit einer Gänsehaut. Nicht jemand... aber Etwas war in diesem Haus! Dennoch, so befand sie, war es für den Moment wichtiger, Talsins Hinweis zu folgen. Sie erklärte Orykene und Delilah, dass der Magier nur wenige Kontakte innerhalb der Stadt unterhalten hatte. Immerhin musste er sehr darauf bedacht sein, nirgendwo aufzufallen. Aber als Magier brauchte er natürlich Übung, sonst wäre er innerhalb weniger Jahre nicht einmal mehr fähig gewesen, eine verlässliche Aussage über die magische Kraft von Kaffeesatz zu geben. Gerade unter Betrachtung dieses Aspektes ergab seine Weisung nach Westen durchaus Sinn: Im Westteil der Stadt lag der Laden eines Juweliers, der für die gehobene soziale Schicht Samaras und teilweise sogar für den Könishof das Geschmeide fertigte. Garwinn stand schon seit Jahren in den Diensten der Elbe. Ein grandioser Schmied, vielleicht sogar der Beste in Lumiél. Krönchen, Ringe und modisch wertvolle Armschoner für irgendwelche Zeremonien herzustellen, behagte dem murrigen, eigentlich fast immer übellaunigen Zwerg nicht, aber letztlich handelte es sich dabei auch nur um seine Fassade. Wie viele es dieser Tage taten, war auch Garwinn Tag und Nacht auf den Beinen und ertränkte alle Sorgen und Gedanken in Arbeit. Er hatte erlebt, wie Nothrend gefallen war – zwei Mal. Erst hatte Verrat den zwergischen König gestürzt und dann war selbst der Verräter durch die Weisung des Königs umgekommen. Er hatte gesehen, wie Hunderte Eisenhände deportiert worden waren, wie man sie in Mienen als Zwangsarbeiter einsetzte, wie man sie reihenweise exekutierte. 'Als Exempel', hatte es gehießen. Seither schmiedete er für die Elbe ohne Unterlass. Eine Esse kühlte nie aus, sein Hammer stand nie still. Schwerter, Schilde, Rüstungen, er spannte Armbrüste, schnitzte Bolzen, fertigte Runen. Selbst das Geld, das übrig war, wenn er die Miete und seinen Lebensunterhalt bezahlt hatte, ließ er Ashes zukommen – ein stattliches Gehalt immerhin, das nach jedem Auftrag eines reichen Schnösels direkt in die Kasse der Kriegerin floss, um den Widerstand zu stärken. Und nicht selten fand sich auch jemand, der die von Garwinn gefertigten Stücke... nun... 'zurück holte'. Das Problem für den vermeintlichen Juwelier war eher die Rohstoffzufuhr. Es war in diesen Tagen völliger Kontrolle mehr als nur schwierig geworden, ein paar Tonnen Erz und Stahl, Kohle, Holz und diverser anderer Zutaten mal eben verschwinden zu lassen. Doch gerade die Runenschmiedekunst benötigte weit mehr als nur ein bisschen Herz und einen guten Hammer. Talsin hatte sich von Garwinn von Zeit zu Zeit Anteile seiner Zutaten gekauft. Ein bisschen Pulver aus Lykantrophenknochen, ein paar Harpyienfedern – von Orykene sehr, sehr widerwillig 'gespendet' –, eine Prise Drachenschuppenpulver. Waren, deren Exklusivität den Magier verraten hätte, hätte er auch nur ein einziges Mal einen Händler darum gefragt, der nicht in seine Flucht vor den Abtrünnigen der Krone eingeweiht war. Doch im Widerstand half man einander – wenn auch nicht immer ganz freiwillig. Garwinn unterstand direkt Ashes und konnte es sich nicht leisten, seinem Groll gegen Magiefähige freien Lauf zu lassen. So, wie Talsin mit den Zwergen im Streit lag und darüber ebenso hinweg sehen musste. Es kostete sie fast eine Stunde, die Stadt bis zur Westgrenze zu durchqueren. Samara war immer schon Lumiéls größte Stadt gewesen – vielleicht nicht von den Einwohnern her, da wurde es von Sundergrad überboten, aber doch zumindest flächenmäßig. Ashes verkniff es sich, noch anzuklopfen. Stattdessen platzte sie einfach durch die Tür in den Laden. Feine Schaukästen aus gezimmertem Holz mit allerhand Gravuren priesen hinter dicken, dreischichtigen Glasscheiben die Schmiedewaren des Zwerges an. Eine junge Dame besah sich gerade einen Thresen voller Halsketten und Anhänger, als die Elbe mit ihrem vermummten Gefolge eintrat. „Raus hier.“ blaffte sie die Adlige an, die zwar verstört und geradezu empört über diese rüde Art einen Blick zu Garwinn warf, jedoch tatsächlich verschwand, als dieser lediglich eine davon scheuchende Geste aufbrachte. „Warst lang nich' da, Mädel.“ brummte der Zwerg und griff unter den Hocker, auf dem er saß. Er förderte einen Leinenbeutel zu Tage, der schon kräftig klimperte und klirrte, als er ihn auf dem Tisch absetzte. Ashes aber wiegelte ab, er solle das Ding wieder wegstecken – dafür müsse sich später Zeit finden. „Wie du meinst. Also, was ist los?“ kam der Schmied direkt zur Sache. Unlängst hatten Delilah und Orykene sich im Raum verteilt, suchten nach Fallen, suchten nach Schlupflöchern, nach 'Steinen', nach allem. Selbst den Hintereingang des Hauses und die oberen Stockwerke prüften sie. „Talsin ist tot. Jemand ist in die Stadt gekommen und legt alle um, die ihn gesehen haben.“ konstatierte die Elbe in scheinbarer Beiläufigkeit. „Pah! Geschieht ihm Recht. Schau mich nicht so an, ist mir egal – der hat's längst verdient! Verdammtes Magierpack...! Aber was hat das mit mir zu tun? Ich verlasse meine Schmiede nicht, das solltest du wissen.“ erklärte der Zwerg ihr brummend. Aus seiner Warte war Talsins Tod etwas, das ihm den Tag versüßte. Er bedauerte nur irgendwie, dass er ihm nicht selbst das Licht hatte löschen dürfen. Zu groß war sein Hass auf diese Zunft, die für den Fall Nothrends verantwortlich war. „Er sagte, sein Mörder hatte nach einem Stein gefragt.“ „Und? Versuch's bei 'nem Steinmetz, Mädel.“ „Er hat nach Westen gedeutet.“ „Die Straße runter is' einer.“ „Du hast mit ihm gehandelt. Führst du Artefakte aus Stein?“ Als würden beide kontinuierlich aneinander vorbei reden, hetzte ein Schlagabtausch den Nächsten ohne Punkt und Komma. Sie gingen nicht einmal auf das ein, was der andere gesagt hatte – bis Ashes nach seinem Sortiment fragte. An eben dieser Stelle wurde die Suche geradezu enttäuschend. Garwinn teilte ihr nicht nur mit, dass er keinerlei Artefakte führe, sondern obendrein, dass die einzigen Steine, die er im Laden und in der Schmiede hätte, Edelsteine wären, die am Ende geschliffen und eingefasst in irgendwelchen Ringen und Kettchen hier in den Kästen landen würden, damit feine Herrschaften sie bestaunten und ein stattliches Vermögen dafür ausgaben. Jemand, der scheinbar mühelos drei Stadtwachen tötete, einen ganzen Hof massakrierte, ein Haus anzündete und ebenso widerstandslos einen Artefaktmagier umbrachte, der würde sich wohl kaum dafür interessieren, welchen Ring er sich holen sollte – lieber einen mit Rubin oder einen mit Saphir? Just als die Elbe glaubte, ihre Frustration könne sich nicht mehr steigern, kehrten Delilah und Orykene von ihrem Rundgang zurück. Während Erstere die Schmiede überprüft hatte, war Letztere das obere Stockwerk Raum für Raum durchgegangen. „Nichts.“ merkte die Jägerin an – und die Dryade nickte zustimmend. „Das kann keine Sackgasse sein!“ fluchte Ashes aufgebracht und schlug mit dem gepanzerten Handschuh gegen einen der Schaukästen, dessen Inhalt sich daraufhin scheppernd neu verteilte. Damit standen sie wieder am Anfang – nur war die Situation dahingehend schlechter, dass sie nun keine Spur mehr hatten. Talsin war tot und sein Hinweis nichts wert. „Vielleicht sind wir zu früh dran?“ mutmaßte die Anführerin zweifelnd. Was, wenn Talsins Henker mehr Zeit brauchte, um hierher zu finden? Immerhin war die Stadt recht groß und wenn man sich darin nicht auskannte... war es möglicherweise durchaus denkbar? „Wir bleiben hier. Das scheint mir unsere beste Chance zu sein. Wir warten ab und werden zuschlagen, wenn er hier aufkreuzt.“ stellte die Kriegerin den neuen Plan vor. Keiner, der durch Rafinesse glänzte, aber es war zumindest überhaupt ein Plan. Gemäß dessen machte sich auch Garwinn bereit, einen Angriff abzuwehren. Für einen Schmied vielleicht ungewöhnlich, aber bei Zwergen im Allgemeinen sagte man nichts, wenn sie eine Axt mit sich herum trugen... und es war ja auch nur eine Kleine. Sehr zum Amüsement des Zwerges schienen Menschen nämlich ständig zu denken, dass eine Waffe ungefährlicher werden würde, nur weil sie kleiner war. Vermutlich kein Wunder, das niemand den König aufgehalten hatte. Er war auch klein. Den hielt zu lange einfach niemand für eine Gefahr...! Die drei 'Gäste' seines Ladens verschanzten sich sicher in Positionen, die vom Verkaufsraum aus schwer einsehbar waren. Überhaupt, so bewies sich, hatte der Schmied offenbar ein gewisses strategisches Können bewiesen, als er den Aufbau seines Ladens ersann. Es war perfekt, um Hinterhalte zu legen. Ashes selbst verbarg sich dabei so dicht wie möglich bei Garwinn. Nicht nur, um ihn im Fall der Fälle schützen zu können – Garwinn war wertvoller als ein Dutzend Talsins -, sondern vor allem, um sich die Langeweile während der Wartezeit zu vertreiben. Sie war nach wie vor nicht sonderlich gesprächig, aber besser, man hatte jemanden, mit dem man reden konnte, wenn man es wollte. Fast zwei Stunden vergingen und die Sensation dieser Zeit bestand in zwei Kunden, die dicht aufeinander den Laden betraten. Ein gewisser Adelsmann wollte ein Schmuckstück in Auftrag geben, eine edle Halskette als Wiedergutmachung für seine Frau, dass er sie betrogen hatte. Kurz darauf erschien eine Dame im Laden, nicht adlig, aber offenkundig unter dem Schirm eines Gönners stehend, und holte einen Ring ab, den ein gewisser, kurz zuvor anwesender Adelsmann ihr zugesichert hatte, wolle er sich doch in Kürze von seinem Weib trennen. Es waren durchaus amüsante Begebenheiten oder hätten es sein können, wäre die Spannung in der Luft nicht fast greifbar gewesen. Die Kundschaft bemerkte dergleichen natürlich nicht, aber für Ashes, Orykene, Delilah, sogar für Garwinn selbst war es eine reine Nervenprobe. „Was für ein Steinmetz ist das eigentlich?“ erkundigte sich die Anführerin, als die Langeweile ihr die Geduld zu rauben drohte. „Hm?“ „Der die Straße runter.“ „Ach so. Ein Langer. Keine Ahnung, wie der heißt. Er nutzt immer einen Tiger als Zeichen. Protzig, wenn du mich fragst. Aber er stand meinem Volk wohl angeblich mal sehr nahe, er schmiedet ein paar einfache Runen. Wenn du mich fragst, eine Schande. Heutzutage wird auch einfach alles verscherbelt. Die Magier verkaufen ihr komisches Gebräu und... naja... wir verkaufen die Runentechnik.“ Es war mühelos herauszuhören, wie bitter Garwinn darüber dachte. Sein Volk hatte viele schlimme Zeiten er- und durchlebt, aber nie zuvor waren sie so düster gewesen, dass die Zwerge Wissen hatten verkaufen müssen. Die kurzlebigen Rassen wie Menschen und Tieflinge waren einfach nicht fähig, die Konsequenzen ihres Handelns zu ermessen – man wollte ihnen nicht mehr Macht in die Hand legen als unbedingt nötig. Gerade deshalb hatten die Zwerge immer darauf geachtet, den Menschen keinen Einblick in ihre Technologien zu gewähren. Und nun das. Traditionalisten wie Garwinn befürchteten deshalb den Untergang der zwergischen Kultur. Seine Majestät würde alles aus ihnen heraus pressen. Elektrizität, Dampfkraft, Schießpulver, alles. Am Ende wäre das Volk der Zwerge für ihn entbehrlich – und sie würden verschwinden. Restlos. Wie die verdammten Spitzohren. „Sag mal,“ setzte der Schmied wieder ein, bemüht, das Thema zu wechseln, „hat Alistair dir von seinem Spielzeug erzählt? Wenn du mich fragst, ist der Lange einfach irre.“ brummte der Zwerg und fing sich von Ashes einen Blick ein, der nicht frostiger hätte sein können. Selbst der Schmied schluckte da schwer. Ashes Launen waren... gefährlich. Bestenfalls. Und offenkundig war er gerade dabei, einen mehr als wunden Punkt zu berühren – etwas, das man nach Möglichkeit eher vermied. Daher erschien es zumindest dem Schmied recht praktisch, dass das Thema nicht weiter vertieft werden musste, denn ein neuer Kunde, so schien es, betrat den Laden. Tatsächlich jedoch schob sich ein junger Bursche mit schwarzen Locken, einer einfachen, braunen Lederweste und suchendem Blick durch den Türspalt. „Ist sie hier?“ erkundigte sich der Bote bei Garwinn, der lediglich schräg nach unten neben sich nickte. Direkt hinter dem Verkaufstresen erhob sich schließlich die Elbe und musste zugestehen, dass die Anwesenheit des Boten hier sie durchaus überraschte. „Ich habe euch gesucht, es ist... wichtig.“ erklärte sich der Junge, ehe er eilig fortfuhr, „Es gab einen weiteren Toten.“ Schon zu diesem Zeitpunkt wurde der Elbe schmerzlich bewusst, dass sie falsch waren. Es hatte beim nächsten Ziel nie um den Schmied oder eines seiner Ausstellungsstücke gehandelt. Der Bote klärte die Anführerin darüber auf, dass ein alter, zynischer Zausel im Westteil der Stadt ums Leben gekommen war. Genickbruch, so schien es, doch seine Wohnung war restlos verwüstet. Schon als Ashes den Namen hörte, wusste sie genau, wohin sie nun mussten. „Los, packt euch, wir müssen zum Südfriedhof! Vielleicht können wir etwas Zeit wieder aufholen!“ heischte die Elbe ihr Gefolge an. Orykene und Delilah sprangen aus ihren Verstecken und drängten sich an dem verdutzten Boten vorbei. Selbst Ashes gab keinerlei Erklärungen von sich, doch sie kannte diesen Alten. Er war der Friedhofswärter gewesen und hatte über Jahrzehnte hinweg den Acker bestellt, gepflegt und mit ein paar jungen Burschen zusammen die Gräber ausgehoben. Seit Phillipes Wahn offenkundig wurde, lag Samaras Südfriedhof unter strikter Bewachung durch städtische Truppen. Nicht die einfache Stadtwache, die man praktisch mit einem Augenzwinkern schon kaufen konnte – nein, Soldaten. Bellatoren im Dienste seiner Majestät, die Kriegsveteranen, die Elite des Heeres von Lumiél. Würdige Gegner für Ashes. Sie hatte oft versucht, herauszufinden, was genau der König dort eigentlich bewachen ließ und hatte es unter viel Mühe auch in Erfahrung gebracht. Vor Jahren hatte ein Nekromant, ein Überlebender der Zirkel, den König zu töten versucht. Er war mit einer sehr stattlichen Armee Untoter auf La Coeur zu marschiert. Tote für seine Beschwörungen zu finden, war in diesen Zeiten ja nicht schwierig. Die Verteidiger hatten dieses Heer rasch ausgedünnt, aber erst im letzten Moment begriffen, dass es sich nur um ein Ablenkungsmanöver handelte. Bis vor die Tore des Thronsaals hatte der Magier es geschafft und hätte er nur einen Fuß hinein setzen können, hätte das Gift in seiner Manteltasche bei Zerbrechen der Flasche das ganze Stockwerk ersticken lassen. Doch dazu kam es eben nicht. Die Berater seiner Majestät warnten, dass es sicherer wäre, alle Maßnahmen zu ergreifen. Nekromanten agierten näher an der Grenze des Todes als die meisten anderen Lebewesen, oftmals waren sie schon halbe Untote und sicherten sich gegen mögliche 'Zwischenfälle' mit diversen Zaubern, Amuletten oder Pakten ab. Also verbrannte man all seine Habe, bestattete ihn in einem gewaltigen Labyrinth von einem Mausoleum in geweihter Erde und postierte eine stattliche Schar Wachen, sollte er tatsächlich auferstehen und aus dem Labyrinth heraus finden. Für Ashes waren die Informationen wertlos gewesen. Was nützte ihr ein toter Nekromant, der nichts mehr besaß? Zumal von einer kleinen Armee bewacht? Doch nun fügte sich das Bild durchaus zusammen. Vielleicht war der Fremde ebenfalls ein Überlebender, vielleicht ebenfalls ein Nekromant. Zumindest würde das zu den verdorrten Feldern draußen auf dem Hof passen, zum toten Vieh und dem vergifteten Meister Talsin. Was immer er war – er würde mit Widerstand rechnen. Das hatte sich schon gezeigt, als er so rasch, leise und mühelos die Zöllner tötete. Nun hatte sich das Blatt von Neuem gewendet. Selbst wenn dieser Hurensohn ihr halbes Informationsnetzwerk zerstört hätte auf seiner Jagd nach Antworten, Artefakten oder was immer er suchte – er wäre ein machtvoller Verbündeter, sollten sie ihn abpassen können. Er durfte nur jetzt nicht einfach so wegsterben. Sie hetzten durch die halbe Stadt und erreichten den Friedhof wenige Stunden vor Morgengrauen. Noch war es finster – doch längst nicht dunkel genug, um zu verbergen, was vor sich gegangen war. „Die Feierlichkeiten sind schon vorbei...“ spottete Ashes durchaus mit einem Unterton der Genugtuung, als sie durch das Eingangstor des Friedhofes schritten. Unzählige Leichen säumten den Pfad bis zum Eingang der Gruft. Bellatoren, allesamt. Schwere Panzer, viele davon mit Siegeln und Familienwappen, Hellebarden, Schwerter, Bögen, Armklingen, Chakras, nichts davon hatte ihnen das Leben retten können. Es war beeindruckend, dieses Gemetzel zu sehen – aber es stimmte Ashes auch nachdenklich. Ein Magier mit solcher Macht war gefährlich, zweifellos. Die Frage war jedoch eher, ob er sich ihr anschließen und mit ihr zusammen gegen Phillipe kämpfen würde, oder ob er nicht viel eher versuchen würde, sie zu verdrängen – und das wäre völlig inakzeptabel. Sie hatte zu viele Jahre gelitten und in diesen Plan investiert, um jetzt von einem dahergelaufenen Flüchtling ersetzt zu werden. Das war ihre Stadt, ihr Untergrund und ihr letzter Kampf! Sie schritten zwischen dem Gemisch aus Bodennebel, Blutlachen und Pflastersteinen umher, traten die Stufen der Treppe hinab, kühl, stellenweise glitschig, und fanden die Tür zum Labyrinth aufgebrochen vor. Massive Steinplatten, mit denen man das Innere versiegelt hatte... und nun lagen sie zertrümmert und stellenweise fast schon zu Staub zermahlen vor ihnen. Allmählich formte sich in der Elbe der Verdacht, dass dieser Magier nicht das war, was sie zu sein glaubte. „Wir müssen ihn aufhalten.“ stellte Delilah fest, als sie durch die zertrümmerte Pforte schritt, fast so, als hätte sie Ashes' Gedanken erahnt. Die Hüterin spürte eine dunkle Präsenz in der Nähe, die ihre Innereien gehörig in Aufregung versetzte. Etwas war hier nicht in Ordnung, nicht... richtig. Ein Blick nur genügte, damit sie die Elbe warnte – und ihren Platz einnahm. Delilah ging voran, sich ihrer Sache sicher. Würde sie dem Gefühl dieser Präsenz folgen, dann würden sie zweifellos ihr Ziel finden. Doch sie besorgte viel mehr, das dieses Gespür überhaupt war. Nie zuvor war ihr etwas Derartiges untergekommen. Sie schritten einen langen, staubtrockenen Gang entlang. Einzig die Fackel, die Ashes entzündet hatte, spendete einen schwachen Lichtschein und ließ erahnen, wie der Tunnel beschaffen war. Lang, geradlinig, schmucklos. Eigentlich perfekt, um sich darin zu verlaufen, doch das änderte sich schlagartig, als sie eine weitere, ebenfalls durchbrochene Tür passierten. Der Korridor öffnete sich vor ihnen, wurde deutlich größer und breiter. Hier fand sich nicht der banale Backstein, der den Eingangstunnel geschirmt hatte, sondern massive Granitblöcke, die einen gewaltigen, unterirdischen Gang deckten. Viel imposanter aber als die Bauart des Tunnels war, was sie darin fanden. „Das ist... unglaublich...“ brachte Orykene hervor. Sie hatte von dergleichen gehört, hätte aber nie erwartet, so etwas zu sehen. Vorsichtig schritt das Dreigespann an die Wand heran, genauer genommen an das, was in der Einbuchtung der Wand stand. Aus massigen Granitteilen geschlagene Blöcke, von Lehmteilen und Metall ergänzt, wie es schien, erhob sich vor ihnen ein Konstrukt. Ein Golem von wohl zweieinhalb Metern, bullig breit und mit leeren, dunklen Augenhöhlen. Während Orykene Delilah erklärte, was es mit diesem Ding auf sich hatte, bemerkte Ashes mit einem wenig überraschten Schnauben das eingravierte Tigersymbol auf der Brust des Steinriesen. Ein Tiger. Hatte Garwinn nicht erzählt, dieser Steinmetz am Ende der Straße würde dergleichen für eine Werke verwenden? Samara, die große Stadt... pah – nur ein Dorf! „... und wenn ein Magier sich schützen wollte und die Macht besaß, dann erschuf er aus Stein, Metall oder Erde... soetwas. Einen Leibwächter.“ vollendete die Harpyie ihre kleine Lektion. Manche Bekanntschaften zahlten sich durchaus aus. Sie hatte selbst nie gewusst, was ein Konstrukt war... bis sie Drakimh begegnete. Heute wusste sie so manches über Artefakte zu sagen, das ihrem Volk auch weiterhin rätselhaft erschien. Aus einer Ahnung heraus nahm Ashes Delilah die Fackel ab und leuchtete, bemüht, weiter in den gewaltigen Gang hinein. Spätestens da blieb selbst der sonst so abgebrühten Elbe einen Moment die Sprache weg. Reihe um Reihe. Der Gang erstreckte sich weit in beide Richtungen, und alle paar Meter war in der Seitenwand – zu beiden Seiten – eine Einbuchtung, gerade groß genug für einen solchen Golem. Und alle Alkoven waren gefüllt. Wie lang mochte dieses Tunnelsystem sein? Wie viele dieser Dinger gab es hier? „Hunderte...“ konstatierte Orykene erahnend. Einen toten Nekromanten mit einer ganzen Armee bewachen? Unfug! Selbst seine Majestät konnte nicht dämlich genug sein, so etwas zu glauben. Aber solche Gerüchte waren praktisch. Man konnte ein ganzes Regiment Soldaten aufstellen, ohne das jemand nachfragte. Selbst Ashes hatte so nichts herausfinden können – denn wer wunderte sich schon darüber, dass ein Friedhof große Lieferungen Lehm und Steine geschickt bekam? Zweifellos gab es hier unten irgendwo ein Atelier oder dergleichen, eine Schmiede vielleicht sogar, in denen diese Dinger hergestellt wurden. Aber ein Golem wurde normalerweise von einem Magier beherrscht. Sie waren einfach nur große, nutzlose Klötzer, solange man ihnen kein Leben einhauchte. Selbst die Runen auf ihren Leibern waren dazu nicht fähig. Es musste irgendeine Form von... Bedienmöglichkeit geben. Dass der König sich in seinem Größenwahn hier unten eine neue, oder besser wohl eine weitere Armee schmieden ließ, konnte nicht geleugnet werden. Aber er würde sich diese Mühe nicht machen – oder sie anderen bereiten -, wenn er nicht von der Funktionalität und Loyalität überzeugt wäre. So sehr Ashes sich aber bemühte, am Golem selbst und in dessen kleiner Ausbuchtung fand sich nichts. Allein diese Information jedoch war Gold wert. „Wir sollten weiter. Er wartet auf uns.“ bemerkte Delilah nervös. Ashes nickte ihr zu und sie schlängelten sich unwissend und orientierungslos durch ein gewaltiges Labyrinth, das sich unter halb Samara erstreckte. Tatsächlich lag Orykene mit ihrer Vermutung nicht falsch – sie konnten noch von Glück reden, wenn es 'nur' hunderte Golems wären. Schließlich, nach gefühlten Stunden in der Dunkelheit und nicht mehr als dem ständig flackernden Fackelschein, erreichten sie ein weiteres Tor. „Da passt ja ein Drache durch!“ wunderte sich Orykene über die Ausmaße des Durchganges. Tatsächlich waren die schweren Granitflügel mehr als unpraktisch – man brauchte zwei oder drei Mann, um sie aufzuschieben oder wieder zu schließen. In einer Grabkammer, in der man etwas einsperren wollte, war das natürlich wiederum eine gute Idee. Beide Flügel waren verziert mit allerlei Gravuren, die vermutlich sogar eine Geschichte erzählen sollten. Möglicherweise die vom Aufstieg und Fall des Nekromanten oder es war nur eine weitere kleine Siegerehrung für Phillipe – keiner der Drei interessierte sich dafür. Viel wichtiger erschien ihnen, dass die Tür einen Spalt offen stand. Delilah hatte es ja angekündigt – sie wurden erwartet. Als sie sich zu dritt ins Innere drängten, wurde ihre eigene Fackel überflüssig. Ein kreisrunder Raum mit einem Säulengang. Acht wuchtige Stelzen trugen das Tonnengewölbe der Kammer und verhinderten, dass die Tonnen von Erde und Geröll herabstürzen und den Sarg im Zentrum der Kammer völlig verschütten würden. Der Sarg selbst schien ebenso aus massivem Stein zu bestehen – und stellte im Moment den 'Thron' des Gesuchten dar. Ashes' Iriden weiteten sich, als sie die Figur erkannte. Ein kräftiger, bulliger Körper, muskulös und trainiert. Er mochte um die vierzig Jahre alt sein, doch sie wusste aus sicheren Quellen, dass das bestenfalls der Anschein war. Er war älter. Viel viel älter. Sein kahler Schädel reflektierte hier und da scheinbar das Lichtspiel der Fackeln und er rührte sich nicht vom Fleck, saß nur dort auf der Grabplatte und wartete. Ashes registrierte die Axt neben ihm, offenkundig in Griffreichweite. „Du kommst nicht allein?“ erklang die tiefe, basslastige Stimme des Fremden. Sein Blick hielt Ashes fixiert, offenkundig gewillt, Orykenes und Delilahs Gegenwart völlig zu ignorieren. Die Anführerin des Dreigespanns nickte lediglich, statt große Reden zu schwingen. Man musste ein Dummkopf sein, jetzt und hier zu glauben, dass eine friedliche Einigung möglich wäre. Sie hatte von diesem Mann gehört. Er hatte Ärger gemacht... hier und dort war er aufgetaucht, manchmal, so munkelte man, war er nicht allein gewesen. Er tötete in der Regel ohne jede Skrupel, Mann, Frau, Alte, Kinder – es schien ihm alles völlig gleich zu sein. Auch zeichnete sich keinerlei Muster ab, keinerlei tiefgreifender Plan. Dann verschwand er. Selbst, wenn man ihm Wunden beibringen konnte – und er kämpfte angeblich mit allen gebotenen Mitteln, und das recht gut -, dann heilten sie in einer Weise, die für Menschen einfach nicht natürlich sein konnte. „Du nennst dich Thorin, nicht wahr?“ erkundigte sie sich bei ihrem Gegner. Seine Mundwinkel zuckten einen Moment, ehe seine Hand sich ohne jede Hast auf den Griff der Axt legte. Er rutschte von der Sargplatte herab und musterte einen Moment ihre Begleitung. „Das hatte ich zwar so nicht bestellt... aber ich denke, damit werde ich dennoch fertig.“ eröffnete er geradezu großmütig – und schon im nächsten Moment war er plötzlich verschwunden. Finsternis füllte die Kammer, als alle Fackeln abrupt erstarben. Ein Schaben erklang, Knarren, Krächzen – und die schwere Granittür schlug ins Schloss. Niemand hatte sie geschoben. „Ceteus!“ rief Delilah in einem Moment der Erkenntnis aus. Phylia, die Göttin der Natur, hasste nichts mehr als die Untoten, doch wie ihr Vater und ihre Mutter und wie Mermerus persönlich war sie eine Feindin des Schatten. Ein amüsiertes Lachen ertönte, als die erste Attacke erfolgte. Ashes konnte gerade noch ihr Schwert zur Abwehr empor reißen, ehe die Axt es ihr aus der Hand schlug. Ein kräftiger Tritt gegen ihren Brustpanzer und die Elbe flog zu Boden – ohne ihren Feind auch nur gesehen zu haben. Er war nicht hier, nicht greifbar, besaß nur einen Körper, wenn er das wollte. Die Schatten waren seine Heimat geworden, sein Versteck, seine Waffe. Und Ashes begriff, dass er mit ihnen spielte. Er hatte all die Bellatoren dort oben abgeschlachtet, mühelos, weil es Nacht war. Keine Lichtquellen. Hier drinnen war es noch dunkler – und er tötete sie nicht einfach. Er spielte. Wut kroch in der Elbe empor. „Festnageln!“ rief sie mit vor Zorn zitternder Stimme aus. Ein altbekannter Befehl. Die Harpyie stieß ihren Kriegsschrei aus, während Elbe und Hüterin sich die Ohren zuhielten. Ein schrilles Gellen, das von den Wänden zurückgeworfen wurde. Mitten aus den Schatten heraus stolperte der kahlköpfige Ceteusdiener zurück, unfähig, diesem Schmerz zu entgehen und kaum, dass Orykene ihren Schrei abbrach, schoss Delilahs Hand empor. Sie erkannte schwach die Umrisse des Feindes und binnen Sekunden brachen Ranken aus dem Boden. Tödliches Gift an den Dornen tragend, wanden sie sich seine Haut aufkratzend um Thorins Arme und Beine, doch der Krieger lachte nur schallend, als Ashes zudem mit dem Schwert auf ihn zu kam. Noch bevor sie ihren Hieb ausführen konnte, zerstob der Körper des Mannes in die Schatten und die Ranken fielen ziellos zu Boden. Sekundenbruchteile vergingen, dann begann der Gegenangriff. Orykene wurde wuchtig getroffen, ein tritt in die Kniekehle ließ sie einbrechen, ein Schlag mit der Stirn raubte ihr jede Orientierung und ein letzter Kinnhaken beförderte die Harpyie völlig zu Boden. Sekundenbruchteile, in denen Delilah nicht zu reagieren fähig war, ehe auch sie übel einstecken musste. Zu Ashes' Zorn mischte sich immer mehr Verzweiflung. Sie waren geliefert, sie würden hier unten draufgehen und niemanden würde es interessieren, ihr Plan würde scheitern und all die Jahre waren umsonst. Doch alle Wut half ihr nicht. Sie schlug um sich, sie versuchte zu blocken, doch als hätte er jeden Zug schon vorhergesehen, trafen Thorins Attacken präzise die Lücken in ihrer Verteidigung und schickten auch die Elbe zu Boden. Keiner seiner Gegner war tot – aber es war fraglich, wie viele dieser Runden sie überstehen konnten. Dann jedoch... wandelte sich das Blatt. Es begann mit dem schweren Geräusch eines Aufstampfens, das direkt vor den Granittoren verebbte. „Kopf einziehen!“ brüllte die Elbe noch, dann surrten auch schon zig Granitsplitter Geschossen gleich durch die Luft. Etwas brach durch den Eingang der Kammer – und zwar nicht gerade zimperlich. Ein fürchterlicher Lärm brach sich Bahn, als etwas wieder und wieder gegen das Tor schlug – bis es berstend nachgab und Trümmer in der Größe eines Kindes durch den Raum flogen. Durch den Einbruch aber schritt etwas, das der meisterhaften Schmiedekunst Garwinns entsprungen war. Seinem Amboss war dieses Ding entwachsen... und Alistairs skurrilen Ideen. „Raus hier!“ tönte die Stimme des Diebes. Schon im nächsten Moment drehte sich das Konstrukt in der Größe der Golems um einige Grad nach links und ein ohrenbetäubendes Fauchen setzte ein. Eine Ladung einer Flüssigkeit verteilte sich im Raum. Ein Rezept der Goblins – und hochgradig entzündlich. Der Flammenwerfer verteilte das Gemisch auf den Wänden, den Säulen, dem Sarg, überall war plötzlich Licht vom sich ausbreitenden Brand. Thorin besaß immer weniger Rückzugsorte und sprang aus den Schatten hervor. Kaum entdeckt, fuhr die übergroße hydraulische Kralle, unter der sich Alistairs verstümmelter Arm befand, empor und warf einen kleinen Sprengkörper. Die Detonation erschütterte die Kammer, ließ Staub und Erde von der Decke rieseln, doch der Feind entkam wieder in die Schatten. Die Situation hatte sich für ihn mehr als unschön entwickelt und nun war Thorin es, der um sein Überleben kämpfen musste. Eben dieser Kampf fand sein Ende, als Orykene sich trotz des betäubenden Geruches zu Alistairs Konstrukt begab und tief Luft einsog. Ihr wurde schwindlig vom Geruch der Chemikalien, doch es reichte, um ein weiteres Mal ihren Schrei zu entfesseln. Alistair, der zur Gänze in dem Anzug aus Metall, Mechanik und Hydraulik verborgen war, wurde davon nicht beeinflusst – aber Thorin stürzte erneut aus den Schatten und die Granate, die der Dieb diesmal warf, zerschmetterte den Sarg... und begrub den Krieger unter tonnenschweren Granitteilen. Das Konstrukt setzte sich in Bewegung, stampfte ungerührt durch die Trümmer und Flammen – und barg aus einem Splitter der Sargplatte etwas, das er hinaus trug. Außerhalb der Kammer ließ er es Ashes zukommen. „Krone?“ fragte Delilah irritiert und deutete auf das runde Stück Metall. Ein Tiger war als Emblem eingearbeitet worden – und Ashes begriff, was sie vor sich hatte. Eine Möglichkeit, die Heerscharen an Golems, die in diesem Gewölbe versteckt worden waren, zu beherrschen. „Was ist mit ihm?“ verlangte die Elbe zu wissen und deutete über ihre Schulter. „Tot.“ erwiderte Alistair zufrieden. Natürlich würde er sich trotzdem mit Ashes streiten müssen, hatte sie ihm doch verbieten wollen, dieses Ding zu besteigen und sein Leben zu riskieren. Er war schließlich kein Kämpfer – aber die schiere Feuerkraft des Konstruks hatte ihm, so glaubte er, ein gewichtiges Argument in die Hände gespielt. Während das vierköpfige Gespann davon zog, erstarben nach und nach die Flammen in der Grabkammer. Eine zierliche, kleine Gestalt schälte sich aus den Schatten hinter einer der Säulen. Sie störte sich nicht an der Hitze, die die Steine des Bodens noch immer ausstrahlten. Wichtig war jetzt nur eines... Barfuß schlich sie sich zielsicher schreitend an den Trümmern vorbei und nahm der längst verfallenen Leiche des toten Nekromanten einen Stein aus der kalten Grabesklaue. Ein schwarzer Diamant, wundervoll geschliffen, sehr kostbar und an einer Seite zugespitzt. Mit dem Stück begab sie sich zu der zerschmetterten Gestalt, die noch immer reg- und leblos unter Teilen der Grabplatte verborgen lag. Langsam senkte sie sich herab, setzte die Spitze des Diamanten über seiner Brust auf das Fleisch und flüsterte etwas. Zufrieden beobachtete sie, wie der Diamant ein Eigenleben entwickelte, sich tief in Thorins Brust hinein schraubte und dort ersetzte, was einstmals sein Herz gewesen. Neues Leben kam in den Körper und der Krieger begann, sich aus den Trümmern frei zu schälen. „Wir sind hier fertig. Spute dich... wir haben noch viel vor.“ frohlockte Ninafers samtene, gleichmütige Stimme, ehe sie sich erhob. Dann kehrte Stille ein – und die Grabkammer verwaiste. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)