Einmal ist keinmal von PlanTeaWolf (Doch zweimal... [Ivan/Gil]) ================================================================================ Kapitel 4: Wiedersehen ---------------------- Gilbert rutschte unruhig auf seinem Sitz hin und her. Auch Gilbird, der auf seiner linken Schulter hockte, wirkte nervös. So hatte er das gelbe Gefieder aufgeplustert, das kleine Köpfchen eingezogen und war ganz still. Wäre der Preuße nicht schon von alleine so nervös gewesen, so wäre er es spätestens dank dem Verhalten seines kleinen Freundes. Schließlich war er sonst ein aufgewecktes Kerlchen und hielt der Schnabel nur, wenn er schlief oder fraß. Oder, wie jetzt, wenn etwas in der Luft lag. „Du solltest nicht so schnell fahren.“ „Schnauze. Ich fahre wie ich will.“ Lächeln als Antwort. Dieses immer gleiche, aufgesetzte Lächeln. Dieses verdammte Lächeln, für das Gilbert ihm am liebsten ins Gesicht gesprungen wäre. Springerstiefel voran, damit es auch ordentlich schmerzen würde. Aber er hat es nie getan. Damals nicht. Jetzt nicht. Und auch in Zukunft würde er es wohl nicht wagen. Nicht aus Angst; bestimmt nicht! „Bist du so erpicht darauf, dich, deine kleine Federkugel und mich in den Tod zu stürzen?“ „Allein weil du draufgehen würdest wär’s mir das wert.“ „Aber, aber. Sowas sagt man doch nicht zu einem alten Freund?“ Gilbert schnaubte lediglich. Nicht so verächtlich wie er es gewollt hätte. Auch nicht übermütig. Nicht hochnäsig. Warum, verdammt nochmal, hatte er es eigentlich so kommen lassen? Warum war er nicht einfach in sein Auto gesprungen und mit Vollgas weggefahren? Das wäre zwar mehr als nur peinlich und alles andere als seiner würdig gewesen, aber immerhin wäre er dadurch um diese Misere herumgekommen. Aber nein, er war ja einfach nur stehen geblieben und hatte diesen dämlich lächelnden Kerl angestarrt, als wäre er ein Außerirdischer. Oder sowas ähnliches. Und nun saß er neben ihm im Auto. Den Korb mit dem restlichen Essen auf dem Schoß. Immer noch lächelnd. „Möchtest du mir so langsam nicht mal auf meine Frage antworten, Gilbert?“ „Welche meinst du?“, murrte der Preuße; unterdrückte dabei ein Schaudern. „Warum du hier bist. Ohne mich vorher in Kenntnis zu setzen.“ „Wieso sollte ich dir Bescheid sagen, wenn ich hier her komme?“ „Weil es mich interessiert? Zumal ich dir eine viel hübschere Unterkunft hätte besorgen können.“ „Sicherlich. Vermutlich mit einer hübschen Mauer inklusive Selbstschussanlagen drum herum, damit ich nicht verschwinden kann, wann ich will, was?“ Das hatte gesessen. Zumindest glaubte Gilbert das, denn Ivan sagte nichts mehr. War auch besser so. Sonst würde der Preuße sich noch um Kopf und Kragen reden. Er wollte schließlich nicht zeigen, dass es nicht Wut und Hass waren, die die Gegenwart des Russen beschworen hatte. Er wollte nicht offenbaren, was er eigentlich empfand. „Weißt du, Gilbert…“, begann Ivan: „Du solltest besser auf dein loses Mundwerk achten. Oder Nützlicheres damit machen. Andernfalls könntest du es sehr schnell bereuen.“ Bitte was? Ungläubig schaut der weißhaarige aus dem Augenwinkel zu dem Russen. Nur flüchtig, schließlich musste er sich auf die Straße konzentrieren. Denn auch wenn er das Gegenteil behauptet hatte, so war er nicht scharf drauf allzu bald das Zeitliche zu segnen. „Du hast mich schon verstanden, Gilbert.“ Dann herrschte wieder Stille. Bedrohliche Stille. Das würde was werden können. Warum auch hatte Gilbert sich nicht vehement dagegen ausgesprochen Ivan nach Hause zu fahren, weil dessen Wagen eine hübsche Panne hatte? Warum zum Henker hatte er nicht nachgedacht?! Weil er sich insgeheim doch darüber gefreut hatte, Ivan zu sehen. Weil es ihn glücklich gestimmt hatte. Weil es ihn hat vergessen lassen, wie unzufrieden er ursprünglich war. Weil er immer noch etwas für den großgewachsenen Mann empfand. Gilbert schüttelte den Kopf. Trat das Gaspedal trotz Ermahnung Ivans durch. Stellte den Scheibenwischer auf die höchste Stufe um trotz den unzähligen Schneeflocken, die auf die Windschutzscheibe fielen durch eben diese sehen zu können. Diese mehrstündige Fahrt würde sicherlich zur Tortur werden, wenn er den Russen weiter so provozierte. Aber er konnte nicht anders. Er konnte nicht gestehen, was in ihm vorging. Noch nicht. „Habe ich dir eben nicht gesagt, dass du nicht so schnell fahren sollst?“ „Kopf zu. Sauf lieber deinen dämlichen Vodka.“ Das hätte er besser nicht gesagt. Man konnte von Glück reden, dass die Straße, auf der sie sich derzeit befanden, unbefahren war. Ansonsten wäre es garantiert blutig geworden. Denn Ivan zögerte nicht auf diesen Kommentar hin nach der Handbremse zu greifen und diese mit einem kräftigen Ruck anzuziehen. Grässliches Quietschen und Motorgestotter waren die Antwort des BMWs, als dieser von fast hundert Stundenkilometern so abrupt abgebremst wurde. „Sag mal, spinnst du?!“, keifte Gilbert sogleich wutentbrannt los, nachdem er Gilbird, der um ein Haar von seiner Schulter geschleudert wurde, abgefangen hatte. „Ich glaube viel eher, dass du es bist, der spinnt.“, gab Ivan unnatürlich gelassen und lächelnd zur Antwort. „Nein?! Ich schrotte mein Auto wenigstens nicht!“ Der Preuße bereute diese Worte postwendend. Denn ehe er sich versah lehnte der hellblonde Russe schon bedrohlich über ihm. Hatte mit einer Hand seinen Kiefer fest im Griff. Sah ihm bedrohlich in die Augen. „Gilbert, mein Lieber… So langsam geht mir die Geduld mit dir aus, weißt du? Also entweder hältst du jetzt hübsch deine viel zu große Klappe, oder aber ich sehe mich gezwungen, sie dir zu stopfen. Verstanden?“ Natürlich verstand Gilbert. Sowohl sprachlich als auch die von der Bedeutung her. Er hatte Ivan immerhin gut genug kennen gelernt um zu wissen, was ihm bevorstehen würde, wenn er seine Geduld weiterhin überstrapazierte. Aber er konnte es nicht bleiben lassen. „DAS würde ich nur zu gerne sehen, alter Saufkopf!“, kommentierte er daher die Drohung süffisant grinsend. Erntete jedoch lediglich ein leises, dafür aber durch und durch finsteres Kichern. „Und ich dachte, du hättest aus der Vergangenheit gelernt, Gilbert. Da habe ich mich aber wohl getäuscht, nicht wahr?“ Diesmal konterte der weißhaarige Preuße nicht. Ivans Stimme bewies ihm, dass er bereits zu weit gegangen war. Ebenso das Handeln des Älteren. Dieser hatte nämlich sowohl sich selbst als auch den Kleineren von den Sicherheitsgurten befreit und war nun daran versucht den zuletzt Erwähnten zu sich, auf seinen Schoß, zu ziehen. Doch auch wenn Ivan es womöglich anders sah, so war Gilbert sicherlich kein lebloses Ding, das man behandeln konnte wie man gerade lustig war. Nein, nein und nochmals nein. Solange der Preuße auch nur einen Funken Leben in sich trug würde er sich zur Wehr setzen! Hatte er immer. Würde er immer. Ende. So zögerte der Weißhaarige nicht lange, sondern begann recht fix damit, sich gegen den festen Griff des blondhaarigen Russen zu wehren. Doch trotz all seiner mobilisierten Kraft – welche dank des mangelnden Frühstücks ohnehin nicht so hoch war wie gewöhnlich – war die Lage doch recht aussichtslos. Nichtsdestotrotz kam Aufgeben nicht in Frage; auch dann nicht, wenn Ivan die Schläge, die er ihm zukommen ließ, nicht zu registrieren schien. Zumindest zuckte er nicht ein einziges Mal mit der Wimper, als Gilbert ihn wieder und immer wieder ins Gesicht, gegen die Brust oder in die Magengrube schlug. Entweder war der Preuße im Laufe der Zeit und aufgrund mangelnder Kriege schwach geworden, oder aber der Russe war komplett schmerzfrei. In Gilberts Augen war wohl eher letzteres der Fall, denn nie und nimmer würde er schwach werden. Egal ob er nun eine eigenständige Nation war oder nicht. Nicht umsonst hatte er sich geschworen stärker zu werden. Nicht umsonst trainierte er regelmäßig. Doch es schien umsonst. Jetzt gerade. In diesem Augenblick. Ganz und gar umsonst. Denn Ivan scherte sich wahrhaftig einen feuchten Dreck um die Schläge und das Meckern und Zetern, welches von Gilbert ausging. Auch das kleine gelbe Vögelchen, das auf seinen Kopf geflattert war und ihm nun scheinbar aus Leibeskräften an einzelnen Haarsträhnen zog und zwischenzeitlich auf den Kopf pickte, kümmerte ihn herzlichst wenig. Gilbert war nicht der einzige Dickkopf in diesem Auto. Und doch hielt er inne als Gilberts Wehrversuche abebbten, seine – wohl gemerkt auf Deutsch formulierten – Flüche und Beschimpfungen verstarben und er ihm lediglich stur aus rubinroten Augen tief in seine amethystfarbenen schaute. Seine Lippen aufeinander presste, sodass sie noch heller erschienen als sie ohnehin schon waren. Sie dann langsam wieder entspannte; dann öffnete. „Lass mich meinen Wagen wenigstens irgendwo hinfahren, wo uns niemand reinfahren kann. Und uns am besten auch keine Menschenseele sieht.“ „Wo willst du dafür denn hinfahren, Gilbert? Hier wird sicherlich so schnell niemand vorbeikommen.“ „Das ist mir Latte. Hier lass ich mich sicherlich nicht auf ein Stelldichein mit dir ein.“ „Und wie willst du das verhindern? Hast du nicht eben schon festgestellt, dass du mir unterlegen bist, Gilbert?“ „Wer sagt denn, dass ich schon alles gegeben habe?“ „Du selbst. Dein Körper. Ich kenne dich gut genug um zu wissen, wann du dich wirklich wehrst und wann nicht. Das Theater hatten wir vor einiger Zeit schon lange genug.“ Damit hatte Ivan recht. In der Hinsicht kannte er Gilbert wirklich. Er wusste in der Tat, wie er agierte, wenn er sich mit allem was in seiner Macht stand wehrte, wann er sich noch einen Trumpf aufheben wollte, wann er bluffte und wann er lediglich ‚spielte‘. „Dann… Sag ich dir eben nicht, warum ich hier bin, wenn du es wagen solltest noch weiter zu gehen.“ Nun war es an Ivan zu stutzen. Doch fand er die Sprache schon nach nicht ganz einer viertel Minute wieder: „Kindskopf.“ „Aber es interessiert dich doch?“ Natürlich tat es das. Natürlich wollte der Russe wissen, was seinen ehemaligen Kriegsgefangenen in sein Land zurückführte. Warum er urplötzlich und ohne jegliche Erklärung wieder hier aufgetaucht war. Sicherlich war es nicht nur die Sehnsucht nach der einstigen Hauptstadt Ostpreußens, die der Weißhaarige doch immer so geliebt hatte. Sicherlich hatte er noch andere Gründe gehabt. „Du bist nicht weniger Kindskopf als ich, Ivan.“, kommentierte Gilbert eindeutig amüsiert, als der Angesprochene Tatsächlich von ihm abließ und ihm somit gestattete, sich wieder auf den Fahrersitz zu setzen, sich anzuschnallen und den Wagen erneut zu starten um die Fahrt gen Moskau fortzusetzen. Im nächsten Augenblick hätte er sich aber schon die Zunge für seine Betonung abbeißen können. Schließlich wollte er es weiterhin so aussehen lassen, als hasste er den Russen aus tiefstem Herzen. Doch diesem schien Gilberts Belustigung nur wenig bis gar nicht zu interessieren. Zumindest zeigte Ivan keine Regung sondern schnallte sich nun ebenfalls wieder an. Richtete den Blick dann wieder geradeaus und betrachtete schweigend die vor ihnen liegende Straße. Litauen und Weißrussland passierten sie weitestgehend schweigend. Ivan, weil es ihn mehr interessierte als er zugab, was Gilbert so weit in den Osten geführt hatte. Gilbert, weil Ivan ihm keine Möglichkeit für Provokationen und andere unüberlegte Aussagen bot. Lediglich wenn es um die zu fahrende Richtung ging sprachen sie miteinander. Mehr oder weniger. Denn eigentlich was es immer nur Ivan, der knapp angab wo es langging. Auch bei kurzen Rasten um Notdurften zu verrichten oder etwas mehr als eine Kleinigkeit aus dem Proviantkorb zu schnabulieren – denn Gilbert war doch ein klein wenig pingelig, was seinen BMW anging – herrschte überwiegend Stille. Doch irgendwie war es eine angenehme Stille. Eine Stille, bei der man sich wohl fühlen konnte. Obwohl Ivan und Gilbert alles andere als im Grünen miteinander waren. Davon gingen beide aus. Auch Gilbird schien inzwischen entspannter. Saß mittlerweile auf der rechten Schulter seines Herrchens; näher an dem Russen. Eine Tatsache, die bei Gilbert für etwas mehr Entspannung sorgte. Dennoch begann ein Gespräch zwischen den beiden Männern erst kurz bevor sie Moskau erreicht hatten. „Die nächste musst du-„ „Links; ich weiß.“ „Daran erinnerst du dich noch?“ „Bitte, ich erinnere mich auch noch an die guten, alten Zeiten, die ich mit dem Alten Fritz hatte. Außerdem hast du mich regelrecht gezwungen, mir Moskau einzuprägen. Und so extrem viel wird sich ja in den paar Jährchen die ich nicht hier war auch nicht geändert haben, oder? Königsberg sieht ja auch noch fast aus wie damals.“ „Kaliningrad.“ „Hä?“ „Es heißt Kaliningrad. Nicht mehr Königsberg, Gilbert.“ „Für mich ist und bleibt es Königsberg.“ „Dann wirst du damit leben müssen, dass kaum einer weiß wovon du redest.“ Ivans Tonfarbe war keineswegs provokant. Auch nicht von dieser fast schon kindlichen Naivität, die Gilbert mindestens genauso reizen würde. Dennoch knirschte er mit den Zähnen. Er wusste selbst zur Genüge, dass Preußen – und alles, was dazu gehörte – langsam aber sicher in Vergessenheit geraten würde. Bereits geriet. Früher oder später ebenso er persönlich. Bis selbst Ludwig sich nicht mehr an seinen eigenen großen Bruder erinnern würde. „Nun zieh nicht so ein Gesicht, Gilbert. Was ist schon eine Stadt? Oder deren Name?“ „Das kannst auch nur du sagen. Du hast ja noch alles.“, grollte der Kleinere zähneknirschend, doch Ivan antwortete nicht darauf. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)