Kleine Hand, großes Herz. von Sopschild ================================================================================ Kapitel 2: Groß und klein ------------------------- Kleine Hand, großes Herz. Hoffnung. Sie ist die wesentlichste menschliche Illusion, die beides ist: Sowohl Quelle unserer größten Stärke, als auch unserer Schwäche. . . . . . . . . . Der Schmerz hatte beinahe eine eigene Substanz, so dicht und schwer drückte er von innen gegen Morrigans Schädel. Am Rande bemerkt sie, wie jemand an ihrem Arm herumzerrte. War sie tot? Es war als falle sie in ein tiefes Loch. Ihr war kalt, sie konnte nicht mehr atmen. Fühlte sich so der Tod an? Morrigan wusste es nicht, doch so schwach hatte sie sich schon seit langem nicht mehr gefühlt. Leben war schwer, müsste sterben nicht einfach sein? Das Leben so voll Ungerechtigkeit. So voller Leid, endete im Tod. Und ließ nichts zurück. Nichts als Leere. Doch war es diese Leere, die Morrigan wieder hoffen ließ. Wenn man verlor, was man gewann, hatte man seinen Wert verloren, oder fing man nicht ein reineres und neues Leben an? Dies war doch die Frage, die sich alle Geschöpfe stellten: War der Tod das Ende oder der Anfang? Für Morrigan war es nicht der Tod, aber es war ein Anfang. Der Anfang eines neuen Lebens. Durch den Schleier des Schmerzes drängten sich langsam Eindrücke. Um sie herum war es dunkel, Morrigan war sich dessen sicher, obwohl ihr Augen geschlossen waren. Die Luft war erfüllt von einem dunklen Duft, der Morrigan an ihre Kindheit erinnerte, und plötzlich lag sie wieder in ihrem Kinderbettchen und die Welt war gut. Ihre Mutter kam jede Nacht, nachdem unzählige raue Männerhände ihren Körper begehrt hatte noch einmal in ihr Zimmer um ihr einen Kuss auf die Stirn zu geben, und sie in eine Wolke ihrer pudrigen Wärme zu hüllen. Morrigan verstand damals nicht, was ihre Mutter tat, geschweige denn warum sie es tat, denn Morrigans Welt war eine bunte Blumenwiese, auf die sanft das Sonnenlicht herab schien. Die Tage verbrachte Morrigan bei ihre Mutter, abends saß sie neben ihr, wie sie mit hochgesteckten Haaren vor dem Spiegel stand, und mit Kohlestiften und Schwämmchen in ihrem Gesicht fuhrwerkte. Ehrfürchtig reichte Morrigan ihr die filigran aussehenden Döschen mit blumen- und tropfenförmigen Verschlüssen, als könnten sie unter ihrer Berührung zerbrechen. Nachts, nachdem die Lippen ihrer Mutter ihr Gesicht liebkosten, hörte sie das Wimmern aus der Kammer, als quälten ihre Mutter unbegreifliche geheimnisvolle Schmerzen. Morrigan blieb immer wach im Bett liegen, und wenn die Schmerzen ihrer Mutter allzu groß waren, kroch Morrigan in das salzigwarme Bett und spendete ihr unwissend Trost. Immer wieder wartete Morrigan auf ihre Mutter, doch sie kam nicht mehr. Sie fragte Lyra, Orwens Mutter, ob ihr etwas geschehen sei, doch sie schüttelte den Kopf und schwieg. Nach einigen Wochen nahm Lyra Morrigan mit hinaus zu den Feldern vor der Stadt. Morrigan sprang über die Lücken im Weg, die die Räder der Karren in die vor Hitze brüchigen Erde gestoßen hatten. Lyra sagte, das Morrigans Mutter fort war, für immer. Sie käme nicht mehr zurück. Überall wo Morrigan hinsah, waren rote und gelbe Blütenköpfe, die diesen dunklen Duft verströmten, der sie schwindelig und müde machte. Morrigan glitt aus ihrem Schlaf. Ihre Zunge lag staubtrocken in ihrer Kehle und ein Krätzen verließ diese, als sie zu sprechen versuchte. Sie war schwach und konnte kaum die Hand heben, um nach dem Wasserkrug auf dem Nachttisch zu greifen. Eine große breite Hand schob sich in ihr Gesichtsfeld und setzte ihr den Becher an die Lippen. Gierig trank sie das kühle Wasser. Es schien als habe sie nie etwas besseres getrunken, es war, als entspringe ihr eine Quelle. „Mir ist ein Fluss entsprungen.“, sagte Morrigan mit belegter Stimme und blickte den Mann mit den Augen von der Farbe blauer Gletscher entgegen. Nun, er war nicht viel älter als Morrigan, doch konnte man ihn Mann nennen. Urû'baen war ein Ort, an dem man nicht mit den Jahren erwachsen wurde. Selbst die Kinder hatten jenen Glanz der Alten in den Augen, die des Lebens überdrüssig waren. Ein Seufzen entschwand ihr und sie griff nach ihrer Narbe, die sie mit Stolz trug. Morrigan wusste es nicht genau, aber es schien, als wäre sie an jenem Tag, als sie Orwen beschützte, endgültig erwachsen geworden. „Wie geht es mir?“, fragte Morrigan und blickte in die stummen Augen, die bis in ihre Seele zu schauen schienen. „Das müsst ihr mir sagen.“, berichtigte der Mann. „Doch seid ihr nicht tot.“ Morrigan wusste nicht, ob sie sich freuen oder traurig sein sollte. So entschied sie sich für die Gleichgültigkeit. Früher hatte Morrigan Angst vor dem Leben, vor dem Tod, doch Angst wandelt sich unter ständiger Bedrohung in Gleichgültigkeit. Es war ihr egal ob sie lebte oder tot war! Es herrschte ein Loch in ihrer Brust und einzig Orwen war es, die es zu füllen vermochte. Doch nun, wie sollte Morrigan weiter machen, ohne ihren Lebenssinn? Tiefe Einsamkeit erfüllte sie, dunkel und still, einzig ihren Zorn hörte sie „ES IST DEINE SCHULD!“, sagte er ihr. Es war als atme sie Feuer. Die Maske, die sie so lange vor den Schrecken Urû'baens beschütze schien zu fallen. Jene Maske, einst so unbedeutend und unwichtig, so lange nicht wahrgenommen, und doch dort, fiel und über Morrigan schlugen die Wellen der Wahrheit zusammen. Morrigan bemerkte erst das sie weinte, als sie ihr eigenes Schluchzen vernahm. Sie schreckte zurück, als die große Hand des Fremden ihr kleines Gesicht berührte um ihre Tränen wegzuwischen. „Es tut mir leid“, sagte er mit dunkler Stimme und Morrigan war sich nicht sicher, ob er von Orwens Schicksal, oder von der Berührung sprach. „Manchmal sagt einem nur der Schmerz, dass man noch lebt.“, sagte er, und ohne ihn anzusehen war Morrigan klar, er wusste wovon er sprach. „Manchmal sind es nur die Tränen, die einen voran treiben.“ „Ich ertrinke.“, flüsterte Morrigan leise, als traue sie ihrer Stimme nicht mehr. Sowieso verstand sie nicht warum der Mann gut zu ihr war. Für jemanden, der sein Leben lang wie Dreck behandelt wurde, der schmerzlich erfahren musste, dass es im Leben nichts geschenkt gab, für den war es unverständlich Wärme zu erfahren. Wie sollte sie den Mann entlohnen, für seine Tat ihr das Leben zu retten? Sie besaß kein Geld! Erwartete er, die selbe Entlohnung, die die Männer von ihrer Mutter erwarteten? Erst jetzt bemerkte sie, dass sie unter ihrer Decke nackt war. Erschrocken sog sie die Luft ein und zog die Decke unter ihr Kinn. Der Mann hob beschwichtigend die Hände. „Ich schwöre bei den Göttern, ich habe euch nicht angerührt, es war meine Magd, die euch der nassen Kleider entledigte.“ Wer ist er?, dachte Morrigan. Er besaß eine Magd, also besaß er Geld. Jemand der Geld besaß war nicht gut zu einer Sklavin! Wusste er etwa nicht, das sie eine Sklavin war? Doch bewies dies einwandfrei das Brandmal an ihrem Hals, deutlich sichtbar für jedermann. Morrigan wusste, nun da sie nicht zu ihrem Herrn zurück gekehrt war, war sie vogelfrei. Ihr Herr konnte sie für ihr Ungehorsam töten, wie jeder freie Mensch in Urû'baen! Was sollte sie nur tun? Wieder füllten sich ihre Augen mit Tränen, wollte sie doch nicht schwach sein! Manch einer mochte es Wahnsinn nennen, doch war es jener Wahnsinn der Morrigan blindes Vertrauen schenkte und sie sich dem fremden Mann in die Arme schmiss. Mit seinen starken Armen hielt er sie fest, spendete ihr Trost ohne Worte. Es war komisch, kannte sie weder seinen Namen noch wusste sie wo sie war. Ihr Götter ich ertrinke!, dachte Morrigan und einzig der fremde Mann war ihr Rettungsring. Sie löste sich von ihm und sah ihm in die blauen Augen, die selbst so viel Leid erfahren hatten. „Wo soll ich hin?“, fragte sie zaghaft. „Bleibt hier!“ „Wer seid ihr?“ - „Mein Name ist Murtagh, Bastard, Königsmörder, Sklave und Drachenreiter.“ - „Seid gegrüßt Murtagh, ich bin Morrigan Niemandstochter und Sklavin.“ Mit diesen Worten entschied sie sich zu bleiben und legte ihre kleine Welt in seine großen Hände. Es war der Moment als ihr bewusst wurde, sie würde wieder aufstehen, immer und immer wieder. Sie hatte ihren Weg gewählt. Der Glut der Hoffnung in ihrem Herzen schlug Funken und entfachte ein großes Feuer, welches noch endlose Jahre brennen sollte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)