Schloss Tegel von KaethchenvHeilbronn ================================================================================ Kapitel 7: VII -------------- Es war still am Esstisch. Die Gesellschaft aß, nur das Klappern des Geschirrs war zu hören. Alexander bemerkte den verärgerten Blick seiner Mutter sehr wohl, den sie ihm schon die ganze Zeit zuwarf. Er konnte es ihr nicht verübeln, empört darüber zu sein, dass er ganz und gar nicht auf die ihm von ihr und Caroline vorgelegten Schmeicheleien für Dorothea einging und sich stattdessen mehr für das Schicksal des Herrn von Kleist interessierte. Nun, genau genommen nicht nur für dessen Schicksal… Der junge Baron saß der jungen von Pannwitz gegenüber, aber sein Blick flog regelmäßig die Tafel entlang, wo an ihrem Ende der Leutnant saß, in seiner wunderschönen Uniform. Normalerweise hatte Alexander ja wenig für Uniformen übrig, aber diese Uniform hatte einfach nur das Glück vom attraktivsten und entzückendsten Soldaten ganz Preußens getragen zu werden. Von einem jungen Mann, der – dafür, dass er nach der Madame keinerlei Tischmanieren besäße, wofür sie sich schon im Voraus entschuldig hatte – außerordentlich grazil seine Suppe auslöffelte, den Löffel fast küsste mit seinen vollen Lippen, sodass Alexander sich nichts sehnlicher wünschte, als eben dieser Löffeln zu sein. Ein Räuspern von Wilhelm, der neben ihm saß, brachte ihn wieder zur Besinnung, und er stellte fest, dass es von ihm wohl eher erwartet wurde, Dorothea mit solch einem Blick zu bedenken. Sofort wandte er sich also seinem Gegenüber zu. Dorothea von Pannwitz war nicht hässlich, keineswegs. Eigentlich war sie recht hübsch. Ihre Augen waren kastanienbraun, ihre Haare dunkel, hochgesteckt; alles sehr dezent. Ihr Dekolleté auch. Wenigstens etwas. Er war schon Frauen gegenübergesessen, da war alles geradezu übergequollen. Bei diesem Anblick überkam ihn regelmäßig ein Würgereiz. Mit Dorothea konnte man also schon einmal bei Tisch sitzen und essen, weil man nicht würgen musste. Die perfekte Voraussetzung für eine Ehe. „Sie studieren, Dorothea, habe ich gehört?“ Alexander zuckte bei diesem Versuch seiner Schwägerin, eine Konversation aufkommen zu lassen, zusammen. „Ja.“, antwortete das Mädchen und tupfte sich kurz mit der Servierte über die Lippen, „Naturkunde. Ich liebe die Natur.“ Caroline nickte anerkennend in Alexanders Richtung. „Oh, Sie etwa auch, Herr Baron?“, fragte da Dorothea ganz überrascht, als wenn es ihr ihre Mutter nicht schon längst erzählt hätte. Alexander hasste es, wenn alle Blicke auf ihm ruhten, und Erwartungen an ihn gestellt wurden, die er nicht erfüllen konnte. Wollte. „Ja, aber ich habe es nicht studiert.“, antwortete er zögerlich, „Das heißt: Im allgemeinen Wortsinn nicht studiert, wobei ich persönlich ja glaube, dass sich an der Universität alles studieren lässt, das richtige Wissen aber nur die Studien des Lebens vermitteln.“ „Das…das haben Sie schön gesagt.“, gab Dorothea etwas kleinlaut von sich. Gut. Er hatte also wieder das Falsche gesagt. Die Blicke der anderen machten es ihm deutlich. Um sich irgendwie aus der Sache wieder herauszuwinden, tat er das erstbeste, was ihm einfiel, und schenkte seine Aufmerksamkeit demjenigen, dem er sie auch wirklich schenken wollte. „Und was machen Sie, Herr von Kleist?“, fragte er mit einem Lächeln an den jungen Leutnant am Ende der Tafel gewandt. Bevor dieser vor lauter Erstauntheit, angesprochen worden zu ein, etwas erwidern konnte, fuhr Madame von Pannwitz mit einem nervösen Lachen dazwischen. „Ach, Heinrich! Wer interessiert sich denn jetzt für Heinrich!“ „Ich“, antwortete Alexander trocken, ohne seinen Blick von Kleist abgewandt zu haben, „Sonst hätte ich wohl kaum gefragt.“ Eine Weile herrschte eine dem allgemeinen Erstaunen geschuldete Stille an der Tafel, sogar Richard, der gerade die Suppenteller abräumte, hielt inne. Dies gab dem jungen Leutnant die Chance zu einer Antwort. „I-ich studiere – Mathematik u-und Physik…“ „Oh“, entgegnete Alexander erstaunt, „Das ist ja wunderbar! Vielleicht können Sie mir weiterhelfen mit dem Wasserdruck, den ich schon eine längere Zeit versuche, gewässerbezogen zu berechnen, da ich die Auswirkung desselben auf die Vegetation beobachten will.“ Alexander freute sich außerordentlich, als das schüchterne Lächeln des anderen zu einem tatenfreudigen Grinsen wurde. „A-aber selbstverständlich will ich Ihnen – werde ich Ihnen behilflich sein! Schon immer – also, ich meine – angewandte Wissenschaften, das…das ist es, was mich – außerordentlich– “ „Gott, Heinrich!“ Alexander warf der Madame einen ärgerlichen Blick zu, während ihr Neffe sofort verstummte und beschämt aufs Tischtuch starrte. „Verschone uns bitte mit deinem Kauderwelsch!“, schalt sie ihn, bevor sie sich mit einem mitleidserregenden Lächeln an die anderen wandte: „Schon wie oft habe ich versucht, seine Rhetorik und Aussprache zu verbessern, aber er ist ein hoffnungsloser Fall. Ich bin untröstlich.“ Das Lächeln erstarb ihr, als sie sich wieder an ihren Neffen richtete: „Es ist schrecklich, dir zuzuhören!“ „Ist es nicht.“, widersprach ihr Alexander zum Entsetzen aller Anwesenden, bevor er dem jungen Leutnant ein Lächeln zuwarf, „Es ist sogar sehr angenehm, Ihnen zuzuhören, Herr von Kleist. Reden Sie weiter.“ Der junge Mann wusste nicht, wie ihm geschah, was er nun tun sollte, auf wen hören, da unterbrach zum Glück die Baronesse die angespannte Stimmung, indem sie in die Hände klatsche. „Ah, der Hauptgang!“, rief sie, erfreut über Rousseaus Pünktlichkeit, und bis zur Nachspeise verlief das Dinner ohne weitere Komplikationen, da Alexander sich vornahm, sich aus allem herauszuhalten. Als das Sorbet und die Früchte auf dem Tisch standen und man nach Ausschweifungen in Politik und Mode wieder zum Punkt kommen wollte – der, zwar nie offiziell angegeben, aber jedem doch deutlich, die Anpreisung Dorotheas war – versuchte die Baronesse das Gespräch wieder in ebendiese Bahnen zu lenken. „Ich hörte, Ihre Tochter war letzten Sommer in Paris?“, fragte sie, an ihre Tischnachbarin gewandt. „In der Tat, das war sie.“, bestätigte Madame von Pannwitz mit ein wenig Stolz in ihrer Stimme, „Mit dem Orden. Die Nonnen waren ganz entzückt von ihr, nicht Liebes?“ „Ach, Mama…“, gab Dorothea beschämt von sich und senkte schüchtern ihren Blick. Alexander musste feststellen, dass ihn diese Geste kein bisschen berührte, anders wenn sie jedoch von ihrem Cousin kam, denn dann erinnerte der junge Mann ihn immer an die Jungen, die stets ebenso beschämt ihren Blick gesenkt, wenn er sich vor ihnen entblößt hatte. Schnell nahm er einen weiteren Bissen von der Wassermelone. „Mein Bruder war auch in Paris.“, meldete sich Wilhelm zu Wort. Alexander nickte, erleichtert, dass er gerade den Mund voll hatte. „Man sagt doch, es sei die Stadt der Liebe.“, mischte sich erbarmungslos seine Schwägerin ein. Dorothea sah etwas unglücklich drein. „Davon habe ich nichts bemerkt.“ Alexander hatte endlich geschluckt. „Nicht?“, fragte er, und ein kleiner Teil seiner Erstauntheit war echt, „Haben Ihnen die Männer nicht auf der Straße Handküsse nachgeworfen? Ich hatte den Eindruck, dass die Pariser Männer ziemlich schnell für eine Romanze zu haben sind.“ „Alexander…!“, zischte die Baronesse entrüstet, doch Madame von Pannwitz versuchte vom geschockten Gesicht ihrer Tochter mit einem gutmütigen Lächeln abzulenken. „Ich verstehe Ihre Bedenken, Herr von Humboldt, aber ich kann Ihnen versichern, dass meine Tochter stets ein pietätvolles Leben geführt hat. Nicht umsonst durfte sie den Orden begleiten. Seien Sie versichert, dass sie ein reines Herz hat und sich vollkommen für ihren zukünftigen Ehemann aufbewahrt.“ Alexander versuchte, sein Gesicht nicht zu sehr über die allgemein an den Tag gelegte Zweideutigkeit zu verziehen, und brachte stattdessen ein Lächeln zustande. „Dann kann er sich ja glücklich schätzen, ihr zukünftiger Ehemann.“ Madame von Pannwitz und Dorothea lächelten zufrieden. Alexander hasste es. Jedes Mal redete man um den heißen Brei herum. Wieso konnte es nicht so laufen, dass Vater oder Mutter mit ihrer Tochter auftauchten, die wichtigsten Fragen geklärt würden: »Ist sie noch Jungfrau?«, »Ja.«, »Sehr schön. Willst du sie heiraten, Alexander?«, »Nein.«, und dann auf Nimmerwiedersehen. Damit würde man sich einiges ersparen. So musste der junge Baron noch den gesamten Nachmittag mit Dorothea verbringen, lief mit ihr durch den Garten, musste sich mit ihr über die Pflanzen unterhalten, ihr Blumen pflücken, ihre Hand halten, als sie über die Brücke liefen… „Ist sie nicht ein liebes Mädchen?“, meinte die Baronesse voller Entzückung beim Abendessen, als schon alle vollkommen davon überzeugt waren, dass das Alexanders zukünftige Braut war. Dabei hatte der junge Baron gar keinen Kopf für die junge Frau und sah an der Heirat mit ihr nur einen einzigen Vorteil: Er würde mit diesem wunderbaren jungen Mann verwandt sein. Spät abends war es dunkel im Schloss, nur in wenigen Zimmern brannte das Licht. Das Bett des jungen Barons war noch leer. Aus dem Bad war hin und wieder ein genießerisches Seufzen zu hören. „Sie waren total verspannt, Alexander. War es wirklich so schlimm heute?“ Der Baron nickte nur flüchtig und neigte seinen Kopf etwas mehr nach vorne, um die massierenden Handgriffe seines Kammerdieners besser genießen zu können. „Sie werden wohl nicht so bald wieder abreisen.“, mutmaßte Robert. „Nnn…Jah…“ Der Kammerdiener musste schmunzeln, als er sah, dass Alexanders Hände im Badewasser verschwunden waren. „Ich dachte, wir hätten ausgemacht, dass meine Dienste nur Ihrer Entspannung dienen sollen, nicht Ihrer sexuellen Befriedigung.“ „Keine Angst“, brachte Alexander heraus, „es liegt nicht an dir.“ Robert lachte leise. „Da bin ich aber beruhigt. Gehen Ihnen die Jungen nicht aus dem Kopf? Sie waren jetzt immerhin seit drei Tagen nicht mehr in der Scheune.“ Alexander stöhnte auf. „D-du weißt doch gen – ah… genau, w-was los…los… – ahh! …hah…“ Mit einem Lächeln auf dem Gesicht sah Robert zu, wie sein Herr sich erschöpft zurück an den Badewannenrand sinken ließ. Alexander hatte die Augen geschlossen und sein Brustkorb hob und senkte sich noch ziemlich schnell. „Die Kleider für heute Nacht liegen auf Ihrem Bett.“ „Danke.“ „Kann ich noch etwas für Sie tun, Alexander?“ Der Baron strich sich die Haare aus der Stirn. „Danke, Robert.“ „Dann wünsche ich Ihnen eine erholsame Nacht, Alexander.“ „Danke, dir auch.“ ----------------------- Robert kann man sich jetzt bei den Illustrationen anschauen :) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)