Schloss Tegel von KaethchenvHeilbronn ================================================================================ Kapitel 9: IX ------------- Es war still im Raum. Keiner sagte etwas, alle Augen waren auf den Überraschungsgast gerichtet. Der blickte mit seinem steifen Grinsen in die Runde und doch sah man, dass er sich prächtig amüsierte. „Du solltest mich vielleicht einmal vorstellen, Mama, meinst du nicht?“, sagte er. Die Baronesse nickte. Alexander bemerkte, dass sie erst schlucken musste, bevor sie antwortete. „Ferdinand von Hollwede, mein Sohn aus erster Ehe.“ „Erster und einziger Sohn – aus erster Ehe.“, präzisierte der Mann. Ferdinand von Hollwede sah man das Alter an, das er Wilhelm und Alexander voraus hatte. Er war 38, von großer, schmaler Gestalt, seine Haare waren kurz und blond, seine Augen ein grünes Grau. Er trug einen Gehrock, in den das Hollwedesche Wappen eingestickt war, und der für seinen Körperbau eher unvorteilhaft wirkte. Insgesamt sah man seiner Kleidung an, dass er anscheinend nicht das Geld dafür hatte oder die Notwendigkeit darin nicht erkannte, sich etwas Besseres anzuschaffen. Dort, wo die Gesichter Wilhelms und Alexanders die rundlicheren, weicheren Züge ihres Vaters hatten, war sein Gesicht spitzer, und Lippen und Nase so schwach gezeichnet, wie bei seiner Mutter. Ferdinand von Hollwede war, im Vergleich zu Wilhelm und vor allem Alexander von Humboldt, kein schöner Mann. „Ferdinand…“ Die Baronesse war sichtlich noch nicht wieder Herrin der Lage, aber sie gab ihr Bestes. „Wie lange haben wir uns schon nicht mehr gesehen…“ „In der Tat, Mama.“, erwiderte ihr Sohn und blickte sich im Raum um, als wenn er nach etwas Vertrautem suchte, „Genau vor dreißig Jahren, fünf Jahre nach Vaters Tod, hast du mich mit einem Kuss auf die Stirn unten am Eingang verabschiedet.“ Plötzlich sah er sie wieder an. „Und stell dir vor: Ich bin von der Armee tatsächlich als Offizier zurückgekehrt!“ „Oh, wie…“ Die Baronesse zwang sich mehr zu einem Lächeln, als dass es ihr vor lauter Erstauntheit von selbst gelingen wollte. „Rittmeister Ferdinand von Hollwede.“, bemerkte ihr Sohn, und Alexander war sich noch nicht einmal darüber sicher, ob der Stolz in seiner Stimme nicht auch aufgesetzt war. „Großartig!“, erwiderte die Baronesse, „Wieso hat mir niemand davon etwas geschrieben?“ Ferdinand zuckte übertrieben mit den Schultern. „Wenn du es nicht weißt.“, meinte er, bevor er wieder in die Runde sah. „So…!“, fing er an, „Dann will ich doch einmal nicht länger unhöflich sein und meine lieben Verwandten begrüßen.“ Wilhelm, der sich schon die ganze Zeit über wenig beeindruckt von jenem Spektakel zeigte, erhob sich und verneigte sich mit einer Höflichkeit, die nur er in solch einer Situation aufbringen konnte, vor seinem Halbbruder. „Wilhelm von Humboldt. Sehr erfreut.“ Vom einen auf den anderen Moment machte auch Ferdinand ein würdevolles und ernstes Gesicht, mit dem er sich ebenfalls verneigte. „Die Freude ist ganz meinerseits.“ Wilhelm fuhr damit fort, ihm Caroline vorzustellen, die ihm gegenüber saß, und der Ferdinand einen Handkuss zur Begrüßung gab. „Eine wunderschöne Frau, Wilhelm, wirklich.“, versetzte der Rittmeister, „Sicher habt ihr unsere Mama schon zur Großmutter gemacht.“ „Wir haben eine kleine Tochter.“, antwortete Caroline, die entweder genauso gut wie ihr Mann die überzeugend aufgesetzte Höflichkeit beherrschte, oder einfach nicht verstand, dass Ferdinand ihnen gegenüber diese Höflichkeit vermissen ließ. „Und wen haben wir hier?“ „Alexander.“, stellte sich eben dieser mit einem Kopfnicken vor. „Alexander! Hieß so nicht auch Ihr Vater? So hieß er doch, oder Mama, der Herr Baron von Humboldt?“ „So hieß er, ja.“, antwortete die Baronesse knapp. „Ich habe ein Bild von ihm im Regiment gesehen.“, fuhr Ferdinand fort und sah von oben eindringlich auf Alexander herab. „Sie sind ihm wie aus dem Gesicht geschnitten, Alexander. Beeindruckend. Hat Ihnen das unsere Mama schon einmal gesagt?“ „Nein, hat sie nicht.“, entgegnete Alexander, der sich alle Mühe gab, dabei nicht allzu harsch zu klingen. Was erlaubte sich dieser aufgeblasene möchtegern-Rittmeister über seinen Vater zu sprechen?! „Oh, und wer ist das?“ Wie aus Reflex trat Alexander an Kleists Seite, zu dem sich Ferdinand eben herüberbegeben hatte. „Leutnant von Kleist.“, stellte er ihn vor, „Er ist für ein paar Tage unser Gast.“ „Oh.“ Seltsamerweise überrascht sah Ferdinand zu seiner Mutter hinüber, „Ist dann überhaupt noch ein Zimmer für mich frei?“ Die Baronesse erhob sich. Sie hatte sich endgültig wieder gefasst. „Natürlich, Ferdinand, für dich doch immer.“, antwortete sie ihm mit einem Lächeln, das seines genau widerspiegelte. „Aber, Mama“, kam er auf sie zugestürzt, „Bleib doch sitzen.“ Fast schon sorgsam führte er sie zurück zu ihrem Stuhl und nötigte sie dazu, dort wieder Platz zu nehmen. „Ruf mir einfach einen deiner Diener. Vielleicht den schwarzhaarigen, der hat vorhin schon meine Koffer in die Halle getragen. Er soll mir ein Zimmer zeigen.“ Die Baronesse erwiderte nichts mehr, sondern nickte Rousseau, der wohlweißlich in der Tür stehengeblieben war, zu. Grinsend trat Ferdinand einen Schritt auf die Tür zu, wandte sich noch einmal um. Er tat einen großen Seufzer, während sein Blick durch den Raum und an die Decke schweifte. „Schön wieder hier zu sein, auf Schloss Tegel, dem einstigen Besitz meines werten Herrn Vaters, Gott hab ihn selig.“ Er schnalzte mit der Zunge, bevor er sich endgültig zum Gehen wandte. „Wir sehen uns beim Mittagsmahl.“ Es herrschte wieder Stille, nachdem die Tür hinter Ferdinand zugefallen war. Anscheinend getraute sich niemand zu sprechen, niemand sah sich imstande, dem Geschehenen noch etwas hinzuzufügen. Plötzlich schlug Alexander so heftig gegen seine Stuhllehne, dass seine Hand schmerzte. „Dieser verdammte…!“ „Alexander, ich sehe keinen Grund für solche Ausdrücke.“, ermahnte ihn die Baronesse. Der junge Baron konnte es nicht glauben. Fassungslos sah er sie an. In die Runde. „Ja, was glaubt ihr denn, wieso er hier plötzlich auftaucht?! Weil er Heimweh bekommen hat?!? – Er ist doch nur da, weil er weiß, dass du bald stirbst, Mama!“ „Alexander…!“, gab Wilhelm entrüstet von sich. „Nein, nein“, unterbrach ihn die Baronesse. Sie seufzte und sah zu ihrem Jüngsten auf. „Du hast ja Recht, Alexander. Wir haben alle verstanden, was er will: Das Schloss.“ Alexander schnaubte verächtlich, während sich Caroline erschrocken die Hände über dem Mund zusammenschlug. Kleist stand etwas verloren am Ende der Tafel. Wilhelm war es, der sich zuerst an seine Mutter wandte. „Wirst du ihm denn…“, begann er ein wenig unschlüssig, „Er ist der Älteste, ich meine…Wirst du ihm das Schloss überlassen?“ „Natürlich nicht!“, rief Alexander sofort und sah auffordernd zu seiner Mutter. Die schwieg jedoch, den Blick auf ihren Teller gerichtet. Da reichte es Alexander und er verließ fluchtartig den Raum. Mit einem Knall schmiss der junge Baron hinter sich die Tür zu. Wütend schlug er noch einmal dagegen, raufte sich die Haare. Eine Unverschämtheit war das, so seine Mutter zu behandeln! Sie jetzt aufzusuchen, um ihr beim Sterben zuzuschauen und dabei ihr Erbe in die Tasche zu stecken! Das entbehrte jeglichen Respekts und war einfach nur widerwärtig! „Alexander?“ „Nein!“ „Ich möchte doch nur hereinkommen.“ „Dann tu’s doch!“ „Dazu müssten Sie vor der Tür weggehen, mein Herr.“ Seufzend fuhr sich Alexander übers Gesicht, bevor er sich von der Tür wegbewegte, um seinen Kammerdiener hereinzulassen. Robert sah ihn mitleidsvoll an und führte ihn erst einmal zum Bett. „Setzen Sie sich, Alexander, beruhigen Sie sich.“ Er zog dem jungen Baron den Gehrock aus und begann seine Schultern zu massieren. „Ich habe davon gehört. Schrecklich.“ „Ja, das ist es.“, entgegnete Alexander, „Ich frage mich, woher dieser Schmarotzer überhaupt über den schlechten Gesundheitszustand meiner Mutter informiert ist?!“ „Darüber wollte ich mit Ihnen reden, mein Herr…“, fing Robert ernst an. ----------- Na, ich denke, ihr habt da auch schon einen Verdächtigen, oder? ;) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)