Schloss Tegel von KaethchenvHeilbronn ================================================================================ Kapitel 25: XXV --------------- Heinrich glühte. Er hatte den Fehler begangen, Alexanders Brief unten im Salon zu öffnen, wo auch Dorothea mit dem ihrigen Platzgenommen hatte. Nun versuchte er also, seine Ergriffenheit so gut es ging zu verstecken. Seine Tante nahm mit einer Tasse Tee bei ihrer Tochter auf der Sessellehne Platz. „Und, mein Liebes? Was schreibt er?“ „Nur wunderbare Worte!“, entgegnete Dorothea ganz hingerissen, ohne ihre Augen von den Zeilen abzuwenden. Heinrich biss sich auf die Unterlippe. Du bist mein Amor, schöner als Apoll, lieblicher als jedes Mädchen! Und dann wollte er sich mit seiner Cousine verloben. „Heinrich?“ Erschrocken sah er auf, um eine lieblich lächelnde Dorothea zu erblicken, die ihn gerade angesprochen hatte. „Was schreibt er dir denn Schönes?“ „Oh, ähm…“ Heinrich wusste nicht, was er sagen sollte. Seine Tante sah ihn forschend an. „N-nette Sachen.“, antwortete er schließlich, ein wenig unbeholfen, „Was…was ein Bruder dem anderen eben so schreiben würde.“ „Siehst du, Doro!“, rief die Madame ganz begeistert, „Der Baron sieht Heinrich schon als seinen Bruder an! Er muss dir einen Antrag machen, wenn nicht bei der Gartenfeier, dann danach.“ Während seine Cousine rot wurde, senkte Heinrich seinen Blick. „Ich…Entschuldigt mich, ich gehe gleich eine Antwort schreiben.“, verkündete er, bevor er den Raum verließ. Mein lieber, grausamer Alexander!, Wie kannst du mir nur so etwas schreiben! Ich weine und weine, und kann nicht mehr aufhören, während ich mich dabei schrecklich egoistisch fühle. Natürlich musst du diesen Schritt tun, wenn uns nichts anderes einfällt, und natürlich ist es nichts derartig Festes, wie eine Hochzeit, aber trotzdem -- trotzdem kann ich mich mit dem Gedanken nicht anfreunden, dass du dich mit einem anderen Menschen auf solch eine Weise verbindest, obwohl ich doch eigentlich dieser Mensch an deiner Seite sein sollte. Wie unbeschreiblich gerne würde ich mit dir vor den Traualtar treten, vor Gott und der ganzen Welt dir meine unsterbliche Liebe schwören! Da uns dies jedoch verwehrt bleibt, so muss ich mich wohl damit zufriedengeben, dass ich es dir hier noch einmal sagen darf: Ich liebe dich, mein Augenstern-Alexander; bis in alle Ewigkeit lieb ich dich. Ja, so verletzt hast du mich mit deinem Brief, aber lese ich die anderen Abschnitte, so kann ich fast spüren, wie du mir die Wunden leckst. Auch wenn ich nicht verstehe, wie du mich, mich mit einem Gott vergleichen kannst, so schmeichelst du mir damit ungemein, und ich will dir sagen: Würde auch der Göttervater selbst Interesse an mir zeigen, ich würde ihn ablehnen, weil ich einzig und allein dir gehöre, und mögen deine Laster und Bedürfnisse noch so irdisch sein; meine sind es auch. Wir sind beide sterblich: schau dir nur einmal unsere Probleme an; solche Probleme haben Götter nicht – und trotzdem wollen wir uns einfach lieben, denn ich zumindest, empfinde unsere Liebe als himmlisch. Weil du von deiner Familie schreibst: Wie geht es deiner Mutter? Ich hoffe doch, sie ist wohlauf. Dass ich mir Sorgen um deine Verwandtschaft mache, musst du übrigens nicht als allzu große Tat von mir ansehen; ich finde sie nur sympathisch, da sie, im Vergleich zu meiner Tante, außerordentlich nett zu mir waren. Und auch darfst du nicht behaupten, du hättest mir noch nicht viel zurückgeben können. Du hast mir mehr zurückgegeben, als ich verdient habe, mein Alexander! Unmögliches hast du für mich getan, woran zu denken mich schon mit einer Schamesröte überkommen lässt. Bin ich nun schon dabei, dich zu berichtigen, so will ich auch noch ein paar Worte über deine Hände verlieren: Du schriebst, sie seien zu grob für meinen Körper, aber ich gestehe dir: Nichts wünschte ich sehnlicher auf meiner Haut, als deine Hände; deine großen, starken Hände, wie sie mich behandeln, als wäre ich eine deiner naturwissenschaftlichen Proben, die es zu erforschen gilt. Nun genug davon! Denken wir an etwas anderes. Ich habe die letzten Tage versucht, meine Berechnungen des Wasserdrucks zu spezifizieren, und es mag mir wohl noch im Laufe der Woche gelingen, ein paar praktische Versuche dazu anzustellen, um meine Ergebnisse zu überprüfen. Wie wünschte ich nur, du wärest dabei!, würdest für mich in das bescheidene Gewässer am Rande des Waldes bei uns steigen, denn ich habe das Bild von dir nicht vergessen, mein Alexander: Ich habe deinen schönen Leib, als du vor meinen Augen in den See stiegest, mit wahrhaft mädchenhaften Gefühlen betrachtet. Er könnte wirklich einem Künstler zur Studie dienen. Ich hätte, wenn ich einer gewesen wäre, vielleicht die Idee eines Gottes durch ihn empfangen. Mir ist die ganze Welt der Griechen, und ihr Begriff von der Liebe der Jünglinge, durch die Empfindung, die du mir geweckt hast, klar geworden! --- Wie wunderlich, dass ich nun schon wieder, ganz ungewollt, zu diesem Thema zurückgefunden habe. Du lässt mich eben nicht mehr los, mein Aller-allerliebster! Wie den Ikarus die Sonne ziehst du mich an, und irgendwann, irgendwann werde ich in dir verglühen. Dorothea klopft an, es gebe Essen, und ich befinde mich momentan in nicht der besten Verfassung dazu. Deshalb schließe ich schnell, küsse das Papier noch einmal und hoffe, dass dich mein Kuss erreicht. In gar unerträglicher Liebe, Dein Heinrich Eben diesen Kuss setzte Heinrich unten aufs Blatt, und während die Tinte trocknete, stand er von seinem Schreibtisch auf und lief hinüber zum Fenster. Er öffnete es, um ein wenig frische Luft zu bekommen, um dort draußen irgendetwas anderes zu finden, als das Bild von seinem Alexander, wie er nackt in den See steigt. Schwer atmend lehnte er seine Stirn gegen das Holz, fuhr sich fahrig über die Brust. Er wollte einen Knopf an seinem Rock öffnen, entschied sich dagegen, ballte seine Fäuste. „Heinrich!“ Er schloss verzweifelt die Augen. „Ja, doch!“ Während des Essens sprach Heinrich ziemlich wenig. Was seine Tante und ihre Küchenhilfe zustande gebracht hatten, schmeckte wohl, aber er hatte fast keinen Hunger. Dorothea hingegen war so lebhaft und freudig für sie beide zusammen. Unaufhaltsam berichtete sie ihrer Mutter, was der werte Herr Alexander ihr Rührendes geschrieben, wie eifrig sie sich schon an eine Antwort gesetzt hatte, die sie wohl nach dem Essen gleich beenden würde. „Und du, Heinrich?“, fragte sie begeistert, „Wirst du auch heute noch fertig, damit wir die Briefe gleich auf die Post bringen können?“ „Sicher.“, antwortete er ihr mit einem Lächeln. Zurück auf seinem Zimmer schrieb er noch ein paar Zeilen, bevor er den Brief versiegelte. PS: Mach dir keine Sorgen um unsere Doro; sie ist so herrlich glücklich und verträumt, dass sie wohl das Ganze am Ende auch nur für einen Traum halten muss. Ich liebe dich. Des Nachts schlief Heinrich unglaublich unruhig, und am Morgen war er so verschwitzt und derangiert, dass er glaubte, Alexander sei wirklich bei ihm gewesen. -------------- Einige Sätze aus diesem Brief Heinrichs hab ich aus dem echten Kleist-Brief übernommen, den ich auch schon in meinem Doji zitiert hab – das mit dem See passte so gut :) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)