Schloss Tegel von KaethchenvHeilbronn ================================================================================ Kapitel 28: XXVIII ------------------ An diesem Morgen stellte Alexander fest, wie glücklich ein Mensch sein konnte, obwohl er nicht wusste, was ihm die Zukunft, noch nicht einmal die nahe Zukunft, der heutige Tag, ja gar die nächste Stunde, bringen möge. Denn alles, was man in solch einem Moment brauchte, um eben dieses Glücksgefühl zu verspüren, war eine Erwartung. Alexander erwartete seinen Heinrich, mit ihm die Erfüllung seiner Sehnsüchte und die Erwiderung seiner Liebe. Erst Robert, der ihm ein Bad einließ und ihn anschließend einkleidete – so schick und elegant wie schon lange nicht mehr – erinnerte ihn wieder an seine Pflichten, die er auch an solch einem verheißungsvollen Tag nicht vernachlässigen durfte. Der junge Baron wusste, dass er vorrangig für Dorothea da zu sein hatte, und dass diese, dem, wie er bei weniger als mehr sorgsamer Lektüre gestern doch feststellen musste, äußerst liebevollen Briefwechsel zur Folge, hohe Erwartungen an ihn stellen würde. Dass er selbst diese Erwartungen nicht erfüllen konnte, das wusste er genauso. Noch während des Frühstücks betrat Rousseau den Raum mit der frohen Kunde, dass die Madame und ihre Familie eingetroffen seien. Alexander musste sich sehr beherrschen, nicht sofort aufzuspringen. Es wäre von seiner Familie sowieso nur als Freude über Dorotheas Rückkunft aufgefasst worden, aber auch das wollte er vermeiden. Sie wussten zwar alle, dass er sowohl mit ihr als auch mit Heinrich im Briefkontakt stand, der Frage, wie innig oder vielversprechend dieser war, war er jedoch stets ausgewichen. Nun ließ er also, wie es sich gehörte, seine Mutter vorangehen, als sie alle hinunter in die große Halle liefen. Als er dort Heinrich erblickte, war seine Beherrschung dahin; er brannte innerlich, jeden Schritt, den er ihm näherkam, mehr. Und er konnte in den Augen seines Geliebten das gleiche Feuer lodern sehen. Plötzlich schob sich ein Paar braune Augen in sein Sichtfeld, und schneller als gedacht, hatte er sich wieder einigermaßen unter Kontrolle, als er Dorothea begrüßte, die in einem wirklich hübschem Kleid steckte und ihm das gewohnte, unsichere Lächeln schenkte, als er ihre Hand küsste und bekundete, wie glücklich er darüber sei, sie wiederzusehen. Wilhelm folgte ihm und er selbst wiederholte die Prozedur notwendigerweise noch einmal bei der Madame, bevor er sich endlich seinem Heinrich zuwenden konnte, der solch einen entzückenden Anzug trug, dass er ihm fast wie ein Prinz erschien. „Heinrich, mein Bruder!“, rief Alexander, um seine folgende Umarmung zu entschuldigen, von der er sich nicht abhalten konnte. Mit größter Selbstbeherrschung löste er sich auch gleich wieder von dem jungen Leutnant, dessen Geruch einzuatmen er sich nicht getraut hatte, auch wenn er danach begierig war. Stattdessen packte er ihn jetzt an den Unterarmen und blickte ihm in die Augen. Dort sah er, wie Heinrich mit sich kämpfte. Seine Finger krallten sich in die Ärmel Alexanders Gehrocks. Doch beide ließen sie voneinander ab, schweren Herzens, während Alexander feststellte, dass das ihm nicht reichte. Scheinbar aufgeweckt, nicht hastig, sah er sich um; sein Blick streifte den Roberts, der in der Reihe der Bediensteten stand und ihn damit eindeutig ermahnen wollte. Aber der junge Baron sah die Koffer und witterte in ihnen seine Chance. „Ludwig.“, rief er den zweiten Diener herbei, was die Baronesse, die gerade dabei gewesen war, der Madame mitzuteilen, wie sehr man sie im Schloss die zwei Wochen über vermisst hatte, dazu bewegte, ihn fragend anzusehen. „Ich begleite Herrn von Kleist soeben nach oben, um ihm die Zimmer zu zeigen.“, erklärte Alexander, wobei er sehr wohl wusste, dass jedem die Zimmer schon von letztem Mal bekannt waren, doch hoffte er, dass angenommen würde, er wollte Heinrich von seinen Absichten, die Dorothea betrafen, berichten und ihn um Rat fragen. Jedenfalls hatte niemand etwas einzuwenden, als Alexander sich einen der kleineren Koffer nahm und mit Heinrich und Ludwig die Treppen hinauflief. Es herrschte Stille zwischen ihnen, während sie den leeren Gang entlangliefen, nur Ludwigs schwere Schritte waren hinter ihnen zu hören, die vom Gewicht der Koffer zeugten. Die Madame hatte, in froher Erwartung, bestimmt nur die schwersten und aufwändigsten Kleider mitgebracht. Vor der Tür zu dem Zimmer, das Alexander wohlweißlich die zwei Wochen über nicht betreten, auch wenn er mit dem Gedanken gespielt hatte, zu schauen, ob darin noch irgendetwas an seinen Geliebten erinnerte, blieben sie stehen. „Danke, Ludwig.“, wandte sich der junge Baron an den Diener, „Die beiden Koffer sind für die Madame und Dorothea. Bring sie dort den Gang hinunter; es sind die zwei letzten Zimmer.“ „Sehr wohl.“, entgegnete Ludwig nickend und quälte sich mit dem Gepäck also noch ein Stückchen weiter. Alexander sah ihm nach; er wollte warten, bis der Junge ein paar Schritte mehr gegangen war, doch da packte ihn Heinrich am Arm und zog ihn ins Zimmer. Dem Baron fiel der Koffer aus der Hand, als ihn sein Geliebter mit dem Rücken gegen die geschlossene Tür schob und ihn stürmisch küsste. Alexander entwich ein Keuchen, er fasste nach dem Jüngeren, zog ihn enger an sich, umschlang ihn. „H-Heinrich, mein Gott – ich hab dich so – so vermisst…!“ Sich mit Tinte und Feder die Liebe und Leidenschaft füreinander zu bekennen, war doch noch etwas anderes, als es mit Gesten zu tun. Jedoch, von beidem konnte man nicht genug bekommen: Gierig pressten sie ihre Lippen aufeinander, klaubten mit ihren Händen nach irgendeinem Stück Stoff, das den anderen noch näher bringen sollte. „N-nicht…nie mehr, kann ich…“ Alexander schnürte es die Kehle zu, als er sah, dass sein Heinrich weinte. Hastig fasste er nach seinen Wangen. „Heinrich, nicht.“ „Ich will nicht wieder gehen.“, brachte der heraus. Seine Finger bohrten sich schmerzhaft in Alexanders Rücken. „Nie mehr…!“ Alexander musste ihn küssen. Abermals. Und noch einmal. Weil er nicht wusste, wie er seinem Geliebten sonst versprechen sollte, dass er das nicht mehr müsste. „Ich war so glücklich, als ich deinen letzten Brief bekommen habe.“, flüsterte der Ältere schließlich und fuhr dem anderen zärtlich durch die Haare. Heinrich sah mit seinen wunderbar blauen Augen zu ihm auf. „Tatsächlich…?“ Alexander wischte ihm die Wangen trocken. „Ja. Und am liebsten würde ich es gleich tun.“, sagte er und stellte daraufhin entzückt fest, wie Heinrichs Wangen sich röteten und er sich zittrig an ihn presste. „I-ich auch.“ Alexander schob seine Hände an Heinrichs Brust, um ihn ein wenig auf Abstand zu halten. „Du riechst so gut.“, kam es von seinem Leutnant. Er musste lächeln, sog selbst endlich den schmerzlich vermissten Duft in sich auf. „Du auch. Aber wir müssen…“ Heinrich nickte hastig, bevor er sich langsam von ihm schob. Seine Hände blieben an Alexanders Kragen liegen. „D-das hättest du nicht anziehen sollen.“ Schmunzelnd blickte ihn der Ältere an. „Wieso das nicht?“ „Weil du mir – und Doro – damit nur noch mehr den Kopf verdrehst.“ Alexander küsste ihn. „Ich denk mir was aus, sodass wir heute noch Zeit für uns haben.“ „Bitte.“, flehte Heinrich und küsste ihn zurück. „Nun müssen wir aber wieder hinunter.“ „Ja, doch.“ „Heinrich.“ Der junge Leutnant machte einen Schritt zurück und ballte die Fäuste. „Geh, sonst…“ Alexander schluckte, bevor er hastig die Tür öffnete. Draußen strich er sich seine Haare wieder zurecht und lief voran hinunter ins Esszimmer. Er hörte nur, wie Heinrich ihm folgte. Als sie beide den Raum betraten, bemerkte Alexander den amüsierten Blick, den ihm Ferdinand zuwarf. Er war der einzige, der genau wusste, dass sie nicht nur die Koffer aufs Zimmer gebracht hatten, und das ärgerte den jungen Baron jedes Mal aufs Neue. Ohne sich dies jedoch anmerken zu lassen, nahm Alexander Dorothea gegenüber an der Tafel Platz und vermied es, zu Heinrich hinüberzusehen, der sich neben sie setzte. Stattdessen wünschte er dessen Cousine einen guten Appetit. „Oh, danke gleichfalls.“, brachte diese heraus, und wirkte zu Alexanders Erstaunen beinahe gar nicht mehr so schüchtern dabei, als wenn sie durch die Briefe wirklich Zutrauen zu ihm – zu seinem vermeintlichen Ich – gefunden hätte. Während des Essens sah Dorothea ein paar Mal zu ihm hinüber, als erwarte sie, dass er noch etwas sagte – wohlmöglich noch etwas in dem Stil, den Robert an den Tag gelegt hatte, befürchtete Alexander, aber er blickte noch nicht einmal zu ihr auf. Viel zu viel Angst davor hatte er, sie zu enttäuschen. Beide lauschten sie also nur mit einem Ohr der Konversation über die Gartenfeier diesen Nachmittag, die zwischen der Baronesse, Caroline und der Madame aufgekommen war. Bis Ferdinand sich zu Wort meldete. Mit einem halben Pfannkuchen auf der Gabel lehnte er sich von seinem Platz neben Wilhelm zu Heinrich hinüber und stupste ihn an. „Und? Hat der Herr Leutnant schon eine Begleitung für heute Abend?“, fragte er auf solch eine Weise, dass die Gehässigkeit in seinen Worten nicht zu überhören war. „Ich – …Nein.“, antwortete Heinrich zögerlich und versuchte sich nicht einschüchtern zu lassen. „Nun“, begann Ferdinand wieder und ließ die Gabel kreisen, sodass ihm fast der Pfannkuchen entglitt, „Ich dachte mir nur, da unser Alexander doch den Abend mit Ihrer Cousine verbringen wird, werden Sie sich vielleicht ein wenig einsam fühlen.“ Heinrich verkrampfte seine Finger um sein Besteck, während Alexander seinem Halbbruder einen zornigen Blick zuwarf. Ferdinand grinste nur breit zurück. „Heinrich braucht keine Begleitung.“, mischte sich die Madame ein, was ihren Neffen hochschrecken ließ, da er nicht damit gerechnet hatte, dass auch ihr Teil der Tafel Ferdinands Kommentar mitbekommen hatte, „Wer will sich denn schon den ganzen Abend mit ihm rumschlagen müssen.“ Alexander biss sich auf die Zunge, um keinen Kommentar dazu abzugeben, und streifte nur kurz Heinrichs Blick, der ihm sagen sollte: „Ich! Bitte!“ „Weil Sie den Abend ansprechen“, meldete sich die Baronesse zu Wort, die sichtlich bemüht war, die Diffamierungen der Madame schnellstmöglich zu unterbinden, „Offizier von Bülow veranstaltet sein alljährliches Frühlingsfeuerwerk, und auch wir sind dazu rechtherzlich eingeladen.“ „Oh!“, gab die Madame von sich, „Das hört sich grandios an.“ Alexander sah erstaunt zu seiner Mutter auf, die mit ihrer Erklärung fortfuhr: „In der Tat können Sie das grandios nennen, meine Liebe. Von Bülow ist dafür in ganz Brandenburg bekannt. Früher hat er die Gäste noch in seinen Garten geladen, aber mittlerweile kommen sie so zahlreich, dass er einen Acker seines Guts nicht mehr bewirtschaften lässt und dort stattdessen ein paar Beete und Bäume gepflanzt hat, zwischen denen er Tische stellen lässt. Das Feuerwerk wird dann auf dem benachbarten Hügel bei Einbruch der Dunkelheit gezündet. Es ist traumhaft.“ Ja, daran erinnerte sich Alexander. Vorletztes Jahr hatte er seine Familie dorthin begleitet. Es war wirklich spektakulär gewesen, aber er kannte andere Feuerwerke, körpereigene, die ihn noch viel mehr beeindruckt hatten. Bülow konnte schon nicht mit dem Feuerwerk mithalten, das Heinrich unten am See in ihm gezündet hatte; wie würde es dann erst mit dem noch bevorstehenden aussehen? „Alexander?“ Ein wenig neben sich riss der junge Baron seinen Blick von Heinrich los, um ihn dessen Cousine zuzuwenden. Er lächelte die junge Frau an, um von seiner vorangegangenen Unaufmerksamkeit abzulenken. „Mögen Sie Feuerwerke?“ „Ja, sehr.“, antwortete er, übertriebener Maßen ergriffen. „Schön, ich auch.“, gab sie freudig von sich, bevor sie sich die Tafel hinunter wandte. „Wie lange geht es denn?“, wollte sie von der Baronesse wissen. „Normalerweise eine gute Stunde.“, antwortete ihr diese, „Letztes Jahr wohl auch etwas länger.“ Alexander musste unwillkürlich zu seinem Heinrich schauen. Der Blick, den sein Geliebter ihm zurückwarf, sagte eindeutig, dass er das gleiche dachte. „Wie weit“, begann der junge Baron, „Wie weit ist es denn von hier zum Anwesen des Offiziers von Bülow?“ Seine Mutter bedachte ihn mit einem abwägenden Blick. Schließlich fasste sie nach ihrem Glas Wasser, das sie sich an den Mund führte. „Mit dem Pferd zehn Minuten.“, sagte sie, bevor sie trank. Alexander konnte es nicht vermeiden, dass seine Wangen vor froher Erwartung leicht zu glühen begannen. --------------- OMG! Ich hab's endlich auch mal wieder geschafft^^' Wenn's gut läuft, dürft ihr euch noch diese Woche aufs Feuerwerk freuen ;) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)