Schloss Tegel von KaethchenvHeilbronn ================================================================================ Kapitel 30: XXX --------------- Mittlerweile war es Abend geworden. Das Buffet war zwar immer noch nicht erschöpft, und Rousseau, Ludwig und Richard hatten alle Hände voll zu tun, die Gäste mit Getränken zu bedienen, doch die Baronesse bat die Musik, einen Moment innezuhalten, um ihre Absicht bekannt zu geben, das Fest mit dem Feuerwerk bei Offizier von Bülow ausklingen zu lassen. Da das Vorhaben bei allen auf große Zustimmung stieß, fuhren nach und nach die Kutschen wieder ein, um die Gäste hinüber zum Anwesen des Offiziers zu bringen. Das Feld war mit bunten Lampions beleuchtet, die wie Glühwürmchen wirkten, ringsherum blühte der Raps. Die Sonne ging gerade unter und tauchte die Natur in die herrlichsten Rottöne. Damit, dachte Alexander, konnten nur Heinrichs Wangen konkurrieren. Natürlich hatten auch sie mit der Kutsche fahren müssen, Heinrich hatte sie aber begleiten dürfen. Leider auch die Madame. Diese war deutlich frohen Mutes; wie sehr sie schon das glückliche Ereignis bevorstehen sah, zeigte sich darin, dass sie an alles, was sie an Alexander richtete, die Worte „mein Sohn“ anhängte. So auch, als sie vor einer kleinen Hütte, etwas am Rande des mit Tischen bestellten Feldes Halt machten, die mit Flieder und Efeu überwuchert war, aber vom Gutsherren wohl immer noch benutzt wurde. „Heinrich und ich werden uns einmal umsehen, ob wir nicht deine Mutter finden. Du gibst ja auf Doroschätzchen Acht, nicht, mein Sohn?“ „Sicher.“, antwortete Alexander ein wenig unbeholfen und konnte Heinrich gerade noch einen kurzen Blick zuwerfen, den dieser ziemlich verzweifelt erwiderte. So. Nun waren sie also alleine. Alexander hätte sich ja etwas überlegt, was er sagen konnte, doch die Gedanken, die ihn immer wieder zu Heinrich und ihrem Vorhaben führten, lenkten ihn davon ab. Dorothea hing immer noch an seinem Arm, an den sie auch ihre linke Hand gelegt hatte, war sogar ziemlich nahe getreten. „Oh“, brachte Alexander heraus, „Ist Ihnen kalt?“ Sie sah schüchtern zu ihm auf. „E-ein wenig.“ Er zögerte keine Sekunde, sondern zog sich gleich den Gehrock aus, den er ihr umlegte. Vielleicht hatte sie erwartet, er würde sie in den Arm nehmen, aber das konnte er nicht. „Frieren Sie denn dann nicht?“, fragte sie. „Nein, keine Sorge.“, entgegnete er, ohne lügen zu müssen. Wie konnte ihm kalt sein, wenn er an das dachte, was er noch diesen Abend mit seinem Heinrich erleben würde… „Sie haben mir geschrieben, dass Sie sich immerzu Sorgen um mich machen.“, fing Dorothea an und hakte sich wieder bei ihm ein, „Das finde ich lieb von Ihnen.“ Er lächelte sie nervös an. „Das ist doch selbstverständlich.“ Sie sah ihn aufmerksam an, als erwarte sie noch einige Worte mehr, doch er wandte sich wieder ab. Da sah er einige Meter entfernt General von Mörner, wie er auf seinem Pferd durch die Leute hindurchschritt. Er sah zu ihnen herüber, scheinbar erstaunt. Alexander fühlte sich plötzlich wie ein Verbrecher. Am liebsten hätte er sich sofort von Dorothea losgerissen. Er schämte sich, dass ihn der General so sah, hatte er ihm doch als kleiner Junge einmal versprochen, auch nie zu heiraten. Von Mörner wandte seinen Blick von ihm ab und sein Pferd herum. Sicherlich hatte er den alten Mann gerade bitterlich enttäuscht. „Was quält Sie denn?“, meldete sich Dorothea besorgt zu Wort. „Nichts.“, winkte Alexander ab und versuchte sich zu beherrschen. Wieder kam Stille zwischen ihnen auf. „Dauert es noch lange, bis das Feuerwerk beginnt?“, versuchte Dorothea das magere Gespräch aufrechtzuerhalten. „Das weiß ich ehrlich gesagt nicht.“, antwortete Alexander, „Ich vermute, es sind noch einige Vorbereitungen zu treffen.“ „Mhm.“ Sie sah zu ihm auf, doch er erwiderte ihren Blick nicht. „Ist aber doch schön, hier noch ein wenig zusammen zu stehen und den Sonnenuntergang zu beobachten, nicht?“ Diesmal kam von ihm ein „Mhm.“. Dorothea führte ihre linke Hand in die Rüschen ihres Kleides, mit denen sie nervös zu spielen begann. Sie sah aus, als wenn sie kurz vor einem Entschluss stand, da wurden sie plötzlich von einem verhaltenen Kichern hochgeschreckt. Überrumpelt drehten sich die beiden herum, wo Laetitia um die Hütte kam, hinter ihr der Hauptmann von Dossow, der seine Arme anzüglich um ihren Leib geschlungen hatte und sie zum Hütteneingang drängte. „Oh, Dorothea!“, lachte die junge Frau und winkte ihr amüsiert zu, bevor sie sich vom Hauptmann mit einem Biss in den Nacken ins Dunkle ziehen ließ. Als sich die Tür der Hütte schloss, presste sich Dorothea eine Hand auf den Mund. Alexander wusste auch nicht so recht, was er sagen sollte. „S-sie…sie ist verheiratet! Wie kann sie nur?!“, entfuhr es ihr. Der junge Baron legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Wir, ähm…sollten uns vielleicht einen anderen Ort suchen.“, merkte er an. „Bitte.“, stimmte sie ihm heftig zu und hatte es eindeutig eilig, von der Hütte fortzukommen. Sie liefen noch ein wenig mehr abseits das Feld entlang, wo schon der Raps blühte. Alexander hoffte, Robert würde sie hier noch finden. Plötzlich blieb Dorothea stehen. Als er sie fragend anblickte, schien sie sich gerade zu etwas entschieden zu haben. „Wissen Sie, Alexander“, begann sie mit einem Lächeln, „dass dort vorne ein Haselnussstrauch steht?“ Sie sah schüchtern zu ihm auf. Erwartungsvoll. Es dauerte ein wenig, bis Alexander glücklicherweise noch verstand: „Ah! Ja, genau“, meinte er und versuchte ihren Blick wenigstens etwas liebevoll zu erwidern, „Wie Ihre Augen.“ Sie sah zu Boden. Alexander schluckte. Er hatte es wohl vergeigt. „Ich“, fing sie leise an, „Ich dachte seltsamerweise…Jetzt, wo Sie sich mir in Ihren Briefen so geöffnet haben, wären Sie auch im persönlichen Gespräch ein wenig…“ „Es tut mir Leid, wenn ich…“ Er brach ab. Wusste nicht, was er sagen sollte. Nervös sah er sich nach Robert um. „Nein, nein“, wehrte Dorothea ab, „Ich…ich will Ihnen keinen Vorwurf machen, um Gotteswillen!“ Sie wurde ein wenig rot. „Nur…ich…Heinrich weiß nichts davon, aber als wir beide den ersten Brief von Ihnen erhielten, wollte ich unbedingt sehen, was…ob Sie genauso nette Worte auch für ihn gefunden– “ Sie wurde durch den ersten Knall unterbrochen. Wie aus Reflex sah Alexander zum Himmel auf, wo kurz darauf ein goldener Feuerregen funkelte. „Alexander, was ich sagen – Natürlich hat er mich nicht freiwillig spicken lassen, aber…ich meinte, dort eine andere Schrift zu sehen…“ Alexander reagierte nicht. Er hatte Heinrich entdeckt. Wunderbar! „Alexander?“ Überrumpelt sah er sie an. Hatte sie mit ihm geredet? Er war vollkommen überfordert, als sie fast schon verzweifelt nach seinen Händen fasste. „Alexander, bitte seien Sie ehrlich zu mir! Haben Sie auch nur einen Brief an mich geschrieben?“ Alexanders Augen weiteten sich entsetzt. Er öffnete erschüttert seinen Mund, doch da packte ihn eine Hand an der Schulter. „Herr Baron, da sind Sie ja.“, sagte Robert, der ihn wie vereinbart bei Beginn des Feuerwerks aufgesucht hatte, „Herr von Molte möchte Sie sprechen, wenn Sie vielleicht einen Moment für ihn Zeit hätten?“ „Äh, j-ja. Ja, doch. Selbstverständlich.“, brachte Alexander gerade so heraus, „Wenn du so gut wärst, Dorothea so lange Gesellschaft zu leisten, schließlich warst du einmal erster Diener.“ Damit nickte er ihr zu, gab ihr noch nicht einmal einen Handkuss, und lief davon. Robert bemerkte den Blick der jungen Frau, den sie seinem Herrn hinterherwarf. Er sprach von Enttäuschung – und…Erkenntnis? Alexander lief nicht sofort zu Heinrich. Das wäre zu offensichtlich gewesen. Erst einmal lief er zurück zur Hütte, um sich dahinter zu verstecken. Und durchzuatmen. Sie wusste es also. Er schüttelte den Kopf. Nein, er wollte nicht darüber nachdenken, wie sie das wieder geradebiegen könnten, nicht jetzt. Jetzt wollte er – Er verdrehte ein wenig genervt die Augen, als er die Geräusche vernahm, die aus der Hütte kamen. Ja, genau an so etwas wollte er jetzt denken. Und an seinen Heinrich. Wunderbar. Da standen ja die Pferde. „Es tut mir Leid.“, sagte der Kammerdiener in die Stille hinein, die nur hin und wieder durch das Knallen der Raketen unterbrochen wurde. Dorothea schenkte ihm ein halbherziges Lächeln. „Sie müssen sich für nichts entschuldigen, Robert.“, meinte sie. Er nickte. Betrachtete ihr Gesicht, das das bunte Licht des Feuerwerks lieblich einfärbte. Er musste lächeln. Auf seinem Weg zu Heinrich hatte Alexander Ferdinand gesichtet, der, sehr zu seiner Freude, beschäftigt schien, nämlich damit, der schönen Isabelle Baffour den Hof zu machen. Erfolglos, wie der junge Baron vermutete, aber sichtlich sehr zu deren Amüsement. Heinrich hatte sich nicht vom Fleck bewegt. Er zuckte nur ein wenig zusammen, als Alexander ihm ein „Nicht umdrehen.“ ins Ohr flüsterte. Ängstlich sah der junge Leutnant zu seiner Tante auf, die neben ihm stand und ergriffen an den Nachthimmel blickte, den die schönsten Farbenspiele erhellten. Alexander konnte nicht widerstehen, seine Lippen an Heinrichs Ohr zu legen. „Hinter der kleinen Hütte am Waldrand wartet ein Pferd auf dich. Immer dem Raps nach. Wir treffen uns auf Tegel.“ „Wenn…“ Robert räusperte sich. „Wenn es Ihnen lieber ist, dass ich gehe, dann…“ Dorothea sah ihn erstaunt an. „W-wieso das denn?“ Er lächelte gerührt über ihre Naivität. „Nun“, begann er, „ich bin ein Diener und sicherlich nicht die angemessene Gesellschaft für eine reizende Dame, wie Sie eine sind.“ Sie erwiderte sein Lächeln. Endlich sah es nicht mehr nur halbherzig aus. „Alexander sagte doch eben, Sie seien erster Diener gewesen. Ist es nicht dessen Aufgabe, eben diese Gesellschaft für eine Dame zu sein?“ Robert sah ihr schmunzelnd in die Augen. „Das ist nun aber schon einige Jahre her. Abgesehen davon war ich noch nie die Gesellschaft eines so wunderbaren Wesens.“ Als Dorothea eine ihrer grazilen Hände hob und sie sich an die rote Wange legte, während sie hastig seinem Blick auswich, merkte Robert, dass er zu weit gegangen war. Er ballte die Fäuste, verfluchte sich innerlich, da hörte er, wie sie wieder ihre sanfte Stimme erhob, die dieses Mal vor Aufregung bebte. „Das…das dort drüben…ist das ein Haselnussstrauch?“ Robert vermied es, sie anzusehen. Er wusste, dass er einen Fehler beging, aber es fühlte sich nicht so an, als er sagte: „Das kann ich Ihnen nicht sagen, ich müsste erst die Früchte sehen, um sie mit Ihren bezaubernden Augen zu vergleichen.“ „Ich wusste es.“, hörte er sie entsetzt flüstern, bevor sie ihr Kleid aufraffte und ihm davonlief. „Nicht…!“, rief er. Mit ausgetreckter Hand stand Robert da und sah ihr verzweifelt nach. Er hatte das Gefühl beinahe geflogen zu sein. Immer am Waldrand, zwischen Bäumen und Raps hindurch, und ihm in die Arme. Kaum war er durch das Tor zum Gut Tegel hindurch galoppiert, erblickte er Alexanders Pferd, das er an einen Baum gebunden hatte, und machte davor Halt. „Heinrich.“ Er sprang aus dem Sattel und ließ sich von seinem Geliebten umarmen. „Binde es hier fest.“, forderte ihn Alexander auf und ließ mit seinen Händen auch nicht von ihm ab, als er der Anweisung folgte, sondern fuhr ihm zärtlich durch die schwarzen Haare. Dann nahm er ihn an die Hand und lief eilig mit ihm los in die Dunkelheit, dem weißen Schloss entgegen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)