Schloss Tegel von KaethchenvHeilbronn ================================================================================ Kapitel 32: XXXII ----------------- Es roch nach frischem Essen im Haus, als er von seinem Ausritt zurück aufs Gut Falkenberg kam. Lachend ließ er sich von Heinrich gegen die Wand im Flur drücken. Sein Geliebter küsste ihn so ausgiebig, als wenn sie eben auf der Wiese nicht schon die ganze Zeit nichts anderes getan hätten. „Deine Frau wartet bestimmt schon mit dem Essen auf uns.“, murmelte Heinrich gegen seine Lippen. „Du hast meinen Hunger schon gestillt. Außerdem sollst du sie so nicht nennen.“, hauchte er zurück und wollte ihn nicht loslassen. Heinrich zog ihn aber lachend mit sich in die Küche, wo Dorothea ein wenig erschöpft, jedoch glücklich, dass sie endlich da waren, einen großen Topf auf den Tisch stellte. Er schlang einen Arm um seinen Geliebten, um ihn auf die Küchenbank zu führen, da zog etwas an seinem Hosenbein. Er sah hinab und – Seine blauen Augen blickten ihn aus einem weinerlichen Kindergesicht heraus an. „Papa nie da. Papa, will auch schmusen.“ – „Aaaah!“ Schweißgebadet schreckte er hoch. Seine Brust hob und senkte sich schnell, während er heftig Luft holte. Er zitterte. Ein Alptraum. Ein fürchterlicher Alptraum. Erschöpft drehte sich Alexander auf die Seite. Es war schon hell draußen. Nein. Nein, das konnte er nicht tun. Wenn er Dorothea heiraten würde, müsste er Kinder mit ihr bekommen, es ging gar nicht anders, man erwartete es von ihm. Auch wenn ihm das irgendwie gelingen sollte, niemals würde er es verkraften, diesem Kind in die Augen zu blicken, es in den Arm zu nehmen; er könnte es nicht lieben, das Kind hätte keinen Vater. Und diese Vorstellung war schrecklich. Er schloss verzweifelt die Augen. Dabei war er doch so selig eingeschlafen. Sein Bett, die Kissen, das Laken – alles roch noch nach Heinrich, nach ihm und ihrer Lust… Alexander fuhr mit seiner Hand über den seidigen Stoff, vergrub sein Gesicht im Kopfkissen, atmete den wohltuenden, beruhigenden Geruch ein. Plötzlich wurde die Tür aufgerissen und Robert stürmte ins Zimmer. „Herr Baron. Alexander. Bitte kommen Sie schnell.“ Alexander drehte sich stöhnend auf den Rücken und raufte sich die Haare. „Wo brennt’s denn?“ „Unten im Salon.“ Er saß senkrecht im Bett. „Nein!“, wehrte Robert hastig ab, „Ich meine: Im Salon, da erwartet man Sie. Dringlich.“ Alexander seufzte auf. „Was kann denn so dringlich sein?“ „Ich weiß es nicht, Ihre Mutter hat mir nur die Order gegeben, Sie sollten so schnell wie möglich unten erscheinen.“ Der junge Baron sah seinen Diener erstaunt an. „Sie war ganz bleich im Gesicht.“ Alexander sprang aus dem Bett. Wenn er auch schon beunruhigt den Salon betreten hatte, so wuchs diese Beunruhigung ins Unermessliche, als er die Blicke sah, die man ihm zuwarf, kaum stand er im Raum. Seine Mutter war in der Tat blass, Wilhelm musste sie stützen, der ihn genauso wie seine Frau enttäuscht anblickte, während die Madame eindeutig empört und Heinrich und seine Cousine unschlüssig waren. Was Alexander jedoch am meisten beunruhigte, war Ferdinands gehässiges Grinsen. „Was…“, fing er zögerlich an und sah in die Runde, „Was gibt es?“ Seine Mutter musterte ihn von oben bis unten, dann wandte sie ihren Blick von ihm ab. Erst da bemerkte er, dass ihre Haushälterin an der Tür direkt neben ihm stand. Sie hatte den Kopf gesenkt und spielte nervös mit ihren Händen. „Mamsell Zimmermann“, begann die Baronesse, „Wiederholen Sie bitte noch einmal, was Sie uns eben über den Gesundheitszustand unseres Dienstmädchens mitgeteilt haben.“ „Ida?“, fragte Alexander erstaunt, was die Madame harsch die Luft einsaugen ließ, „Was ist mit ihr? Geht es ihr nicht besser?“ Irritiert sah er in die Runde, die ihn nur schweigend betrachte, dabei zeigte er doch deutlich, dass er sich Sorgen um das Mädchen machte. „Mamsell, bitte.“, forderte sie die Baronesse noch einmal auf. Alexander wandte sich verständnislos wieder ihrer Haushälterin zu, die ihren Blick schnell von ihm nahm. „Nun sagen Sie doch schon, was los ist!“, fuhr er sie an, da er die Spannung nicht mehr ertragen konnte. Sie schluckte. „Ida ist schwanger.“ Alexander starrte sie sprachlos an. „Und als ich sie fragte“, redete die Mamsell mit brüchiger Stimme weiter, „wer der Vater des Kindes sei, da hat sie…“ Sie brach ab, wischte sich nervös über die Wange. „»Der Baron«, hat sie gesagt.“ Endlich verstand er. Erbost sah Alexander in die Runde. „Und da schließt man sofort auf mich?!?“, fragte er ungläubig. „Auf mich etwa?!“, rief Wilhelm. „Man hat dich vor ein paar Wochen mit ihr in der Stadt gesehen.“, mischte sich Ferdinand ein, „Sie saß auf deinem Pferd.“ Alexander musste sich beherrschen. „Na, und?!“, entgegnete er, „Sie hat mich vom See abgeholt, und wir mussten uns beeilen.“ „Ein sehr intimes Verhältnis für einen Baron und sein Dienstmädchen.“, setzte Ferdinand hinzu. „Aber…!“ „Zugegeben…“, begann Wilhelm nun auch, „Sie war dir wirklich verfallen.“ „Wusstest du nicht - !“, kam es plötzlich von Caroline, „Und wusstest du nicht, wo sie sich befindet, als wir sie am Morgen alle gesucht haben? Hat sie etwa die Nacht bei dir…!“ „Nein!“, rief Alexander entsetzt, „Ich würde nicht einmal daran denken, sie jemals anzurühren!“ Mit einem aufgesetzten, mitleidsvollen Lächeln kam Ferdinand auf ihn zu. „Mein Brüderchen“, meinte er, „Ist doch halb so wild…Das kommt in den besten Familien vor.“ Alexander raufte sich die Haare. Verdammt, das war doch…! – Er war kurz davor, es zu sagen. Kurz davor, es hinauszuschreien, dass er nichts von Frauen wollte! Nur Männer! Männer! Er lief an Ferdinand vorbei zu einem der Fenster, ballte seine Fäuste. Aber genau das wollte diese Kanaille doch! Genau diesen Fehler sollte er begehen. Ferdinand nutzte die Situation doch schamlos aus, in die das Mädchen hineingeraten – Alexander wandte sich um und starrte seinen Halbbruder an. Konnte es sein, dass Ferdinand am Ende selbst das Mädchen…?! Ein leises, flehendes „Alexander…“ kam von Caroline, die es nicht länger mit der Ungewissheit aushalten konnte. Alexander wandte sich hastig wieder ab und schloss die Augen. Sollte er diese Schmach auf sich nehmen? Sollte er lügen, um seines Rufes Willen? Dann würde niemand aus seiner Familie mehr auf die Idee kommen, er könnte etwas fürs eigene Geschlecht empfinden. Er müsste Dorothea nicht heiraten. Er könnte jeder potentiellen Ehefrau einfach die Information zuspielen, dass er einen Bastard mit einem Dienstmädchen gezeugt hatte, und sie würde ihn nicht mehr wollen. – Einen… Er stützte sein Gesicht gequält in seine Hand. Nein. Alles lieber, als verantwortlich dafür gemacht zu werden, dass ein Kind ohne seinen Vater aufwachsen muss. Er hatte es am eigenen Leib erlebt, wie das war. Daran wollte er nicht schuld sein. Niemals. Entschlossen drehte er sich herum, alle sahen ihn erwartungsvoll an. „Holt das Mädchen her.“ Niemand reagierte. „Mamsell, bringen Sie das Mädchen her, sofort!“ Die Haushälterin zuckte zusammen und raffte eilig ihr Kleid auf, bevor sie aus dem Salon stürmte. „Alexander, du willst doch nicht– “ „Still!“, fuhr er Caroline dazwischen und lief hinüber zur Sitzecke, wo er einen Sessel zu ihnen herumdrehte. Es dauerte keine Minute, da war die Mamsell zurück, wie Befohlen Ida im Schlepptau. Das Mädchen trat eingeschüchtert in den Raum, getraute sich nicht, zu irgendwem aufzuschauen. Man sah, dass sie geweint hatte. „Ida?“ Ängstlich blickte sie Alexander an. „Komm, setz dich hier.“ Die Mamsell musste sie erst anschubsen, dass sie seiner Bitte nachkam. Der junge Baron wusste sehr wohl um die Blicke in seinem Nacken, als er sich, kaum saß sie, mit einem gebeugten Bein vor sie kniete. „Ida, du weißt, was die Mamsell uns mitgeteilt hat?“, fing er zutraulich an. Das Dienstmädchen nickte und konnte es nicht verhindern, dass ihr dabei eine Träne die Wange hinablief. „Und du weißt auch, dass ich es nicht war.“ Sie schluckte und ihre Hände begannen zu zittern. Alexander nahm eine dieser Hände in seine. „Also, das…!“ „Ruhe!“, unterband er den Einwurf der Madame, bevor er sich wieder dem Mädchen zuwandte. Er drückte fest ihre Hand und sah sie gutmütig an. „Ida, war ich jemals schlecht zu dir?“, fragte er, „Hab ich dir jemals etwas angetan, für das du dich jetzt damit rächen willst?“ Sie schüttelte stumm den Kopf, während ihr immer mehr Tränen aus den Augen kullerten. „Hör mir zu“, sagte er leise, „Ich bürge dafür, dass dir in diesem Haus nichts passiert. Du wirst nicht entlassen und du bekommst jede Unterstützung, die du brauchst, wenn du nur jetzt die Wahrheit sagst. Ich hoffe, das ist dir mehr wert, als alles Geld, das man dir für eine Lüge gegeben hat.“ Ida fing an, ungehalten zu schluchzen. Alexander fuhr ihr mit dem Daumen beruhigend über den Handrücken. „Ich bin nicht der Vater.“ „Nein.“, brachte sie heraus. „Was?!?“, rief die Madame, „Wer dann?“ Alexander sah Ida ermutigend an. „I-Ihr Halbbruder…“ Wie ein Pistolenschuss richteten sich alle Blicke auf Ferdinand. Der sah überlegen in die Runde. „Was, ich?“ Alexander fand, man konnte seiner Stimme doch schon eine gewisse Nervosität abgewinnen. Ferdinand lachte. „Nein, damit kommst du nicht davon, Alexander. – Du weißt schon, Mädchen, dass man dich für so dreiste Lügen vor Gericht bringen kann, hm?“ „Ich sage aber die Wahrheit!“, rief Ida, und Alexander merkte, wie sie in seiner Hand Halt suchte. „E-er hat mir gedroht, zu verraten, was ich – was ich für Sie empfinde, Herr Alexander. Ich sollte mit ihm aufs Zimmer kommen, und dann – Er hat mir versprochen, mich zu seiner Mätresse zu machen, mir viel Geld zu geben, wenn ich – Ich wollte doch nur einmal…einmal mit einem Mann wie Ihnen zusammen sein, Alexander…!“ „Ferdinand, du…!“ „Sie lügt, Wilhelm!“ „Tut sie nicht!“, rief Alexander. „Um Gotteswillen!“, entfuhr es der Madame. Ferdinand biss wütend seine Zähne aufeinander. Alexander freute es, ihn so zu sehen. Damit sah er wohl seinen herrlichen Plan gescheitert… „Ja, verdammt!“, schrie Ferdinand, sein Gesicht ganz entstellt von der Wut, „Es war nicht euer Alexander! – Aber nicht, weil er so eine reine Seele hat, sondern weil er gar nicht dazu imstande wäre, eine Frau zu schwängern!“ Alexander sprang entsetzt auf. Sein Herz begann wild zu pochen. Er durfte jetzt nicht zu Heinrich sehen… Ferdinand schritt auf seine Mutter zu, die um noch eine Nuance blasser geworden war. „Wenn du das Gut Falkenberg nicht auch noch an Wilhelm vermachen willst“, fing er an, „dann musst du es wohl oder übel einem Sünder vermachen. Entweder einem, der sich an Dienstmädchen bedient – was, wie schon erwähnt, keine Seltenheit in unseren Kreisen ist – später aber wenigstens einmal heiraten und Kinder zeugen wird, oder aber du vermachst es einem“ Er warf Alexander einen gehässigen Blick zu. „der Unzucht mit Männern betreibt.“ Caroline und die Madame von Pannwitz seufzten erschrocken auf, letztere am lautesten, was Ferdinand gleich als Ansporn nahm, sich ihr zuzuwenden. „Ja, Madame, schrecklich, nicht?“, meinte er, „Und mit solch einem wollten Sie Ihre Tochter verheiraten. Aber keine Angst“ Er schenkte ihr ein diabolisches Grinsen. „Sie können sich trotzdem glücklich schätzen, dass wenigstens einer Ihrer Brut das Bett mit dem jungen Herrn Baron teilen darf – das Bett oder wo auch sonst immer Sie es mit sich machen lassen, Herr von Kleist!“ Alexander fühlte, wie ihm das Herz nun vollkommen seinen Dienst versagte. Verzweifelt sah er seinen Heinrich an, auf den jetzt alle Blicke gerichtet waren, und der zu zittern begann, während heiße Tränen seine knallroten Wangen herunterliefen. „Heinrich, du - !“ Alexander hörte nicht, was die Madame von sich gab, viel zu sehr waren seine Sinne vom Hass getrübt, den er Ferdinand gegenüber verspürte. „Immer noch besser, als mit dem eigenen Dienstpersonal Bastarde in die Welt zu setzen, die ohne einen Vater aufwachsen müssen!“, schrie er. „Du gibst es also zu?!“, konterte sein Gegenüber. Alexander trat hinüber zu Heinrich, der sofort nach seinem Arm griff, und blickte Ferdinand trotzig an. „Lass Heinrich aus der Sache, aber was mich betrifft, so geb ich’s gerne zu!“ Caroline schrie auf. „Nur um neben den Frauen auch ein Recht darauf zu haben, dich als hässlich und unausstehlichsten Mann überhaupt beurteilen zu können!“ „Mutter!“ Erschrocken blickten sie alle zu Wilhelm, der die Baronesse auffing, die soeben in Ohnmacht gefallen war. „Mama!“ „Mamsell, holen Sie einen Arzt!“ Die einzige, die nicht sofort mit voller Aufmerksamkeit bei der ohnmächtigen Hausherrin war, war die Madame. Mit hassverzerrtem Gesicht wandte sie sich an Heinrich und riss ihn grob von Alexander weg. „Du gottverdammter Bengel! Wie kannst du es wagen, deiner Cousine den Mann zu verderben, Satansbraten! Wenn das dein Onkel erfährt, dann knüpft er dich an der Zimmerdecke auf!“ Mit einem festen Griff entfernte Alexander ihre Hände von Heinrichs Kragen und funkelte sie hitzig an. „Heinrich hat niemanden verdorben! Er hat vor mir keinen einzigen Mann angerührt!“ „Alexander!“, fuhr ihn Wilhelm an, verzweifelt darüber, wem er nun seine Aufmerksamkeit schenken sollte, „So redet man nicht mit– “ „Mit einer alten Hexe, die die bodenlose Frechheit besitzt, ihre Tochter wie eine Eintrittskarte in die höheren Kreise von irgendwelchen Männern zerreißen zu lassen?!?“ „Alexander…!“, entfuhr es Caroline flehentlich, und alle hofften wohl inständig, die Madame würde ihm dafür keine Ohrfeige geben, denn sie wussten: Alexander hätte zurückgeschlagen. Stattdessen machte sie jedoch nur auf dem Absatz kehrt. „Dorothea, komm, wir gehen. Heinrich!“ Ihr Neffe rührte sich nicht. Ängstlich zitternd flüchtete er sich in Alexanders Arme. Die Madame funkelte sie beide mit einem hinterhältigen Lächeln an. „Oh, wie die Presse sich über diese Schlagzeile freuen wird… Sie wird aber leider, leider – so nett man hier auch zu uns war – die ganze Familie von Humboldt in Ungnade stürzen…“ Heinrich wischte sich mit dem Ärmel hastig über die Augen und machte sich von Alexander los. „Heinrich.“, beschwor ihn dieser und fasste nach seinen Händen, doch mit einem verzweifelten Kopfschütteln entfernte sich sein Geliebter, und die wunderbaren Hände entglitten ihm. Bevor Alexander zusammenbrach, hörte er noch, wie endlich der Arzt eintraf und Ferdinand zu einem höhnischen Lachen anhob. Er war zu erschöpft, ihm dafür ein paar Zähne auszuschlagen. ---------------------- So, ich hoffe bei euch ist keiner in Ohnmacht gefallen, aber ein bisschen schocken wollte ich euch schon ;) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)