Schloss Tegel von KaethchenvHeilbronn ================================================================================ Kapitel 33: XXXIII ------------------ Alexander hatte lange gebraucht, um zu erkennen, dass es nicht seine Schuld gewesen war. Vorgestern war seine Mutter in Ohnmacht gefallen und seit dem noch nicht wieder aus dem Bett gestiegen, in das sie gebracht worden war. Der Arzt hatte keinen Infarkt festgestellt, jedoch ihren Tod noch vor nächstem Sonnabend fast für sicher vorhergesagt. Seit vorgestern waren es nur noch Alexander, sein Bruder und dessen Frau und Tochter, die sich im schweigenden Schloss bei Frühstück, Mittag- und Abendessen sahen, und nur Caroline sprach ab und zu; wenn keiner antwortete, mit ihrer Tochter. Auch den Bediensteten sah man die Angst und Besorgnis an; die Mamsell musste sogar, wie Robert berichtete, von Rousseau überzeugt werden, nicht zu gehen, sie habe alles richtig gemacht, die Angelegenheit mit Ida hatte der Baronesse mitgeteilt werden müssen, daran hatte kein Weg vorbeigeführt. Es sei ja viel mehr das Geständnis des jungen Barons gewesen, das sie derart geschockt hatte. „Zerreißt man sich da unten schon das Maul über mich, ja?“ Robert lächelte seinen Herrn an. „Nein“, antwortete er, „Die Mädchen sind etwas enttäuscht, die Köchin ein wenig entsetzt, dass es so etwas doch tatsächlich gibt, aber niemand verliert ein schlechtes Wort über Ihre Person – auch nicht in meiner Abwesenheit, wie ich von Ludwig auf Nachfrage erfahren habe. Nur Richard…“ Alexander winkte ab. „Aber das versteht sich ja von selbst.“, merkte Robert an. Ja, Robert. Ihm war es zu verdanken, dass Alexander heute endlich erkannt hatte, dass er nicht Schuld am Anfall seiner Mutter war. Es hatte viel Überzeugungsarbeit gebraucht, doch mittlerweile war er zur Einsicht gekommen, dass wenn er eine Mitschuld trug, Ferdinand durch seine Eskapade mit Ida genauso schuldig war. Und der hatte sich aus dem Staub gemacht, anscheinend bester Zuversicht, dass er das Gut erben würde. Alexander war das Gut momentan so egal, wie der nächste Diplomatenball, nur dass seine Mutter enttäuscht von ihm war, das wollte er auf keinen Fall. Deshalb rang er sich auch dazu durch, gleich nach dem Frühstück zu ihr zu gehen. Er war aufgeregt. Hatte Angst vor ihrem Urteil, ihrer Ablehnung. Trotzdem trat er in ihr Schlafgemach, nachdem ihm auf sein Klopfen hin Margarethe geöffnet und den Raum verlassen hatte. Seine Mutter lag in eine dicke Decke eingepackt im großen Bett, in dem sie nun schon zweiundzwanzig Jahre alleine schlafen musste. Ihre Haut war fahl, ihre Augen geschlossen. Die Kammerzofe hatte Wilhelm berichtet, dass sie sich schwertat beim Essen und Trinken; man sah es ihr an. Alexander setzte sich zu ihr aufs Bett. Er wusste nicht, ob er ihre Hand nehmen durfte, oder ob sie sich nicht zu sehr vor ihm ekelte. Nervös lauschte er ihrem flachen Atem. „…Mama?“ Sie blinzelte schwach. „Alexander.“, brachte sie heraus. „Ja, ich…ich bin es.“, fing er reumütig an, „Ich bin gekommen, um mich bei dir zu entschuldigen.“ „Entschuldigen?“, wiederholte sie. Er presste sich eine zitternde Hand auf den Mund. Sie sollte ihn nicht hassen! Er begann zu weinen. Sie sagte nichts mehr. Irgendwann hielt er es nicht mehr aus und ging. Den Tag über wusste er nichts mit sich anzufangen, die Nacht über schlief er schlecht. Nicht einmal an den See wollte er am nächsten Tag gehen, nur einen Brief an Heinrich fing er an, den er am Ende zerknüllte und verbrannte. Am Abend ging er noch einmal zu seiner Mutter. Diesmal war es Wilhelm, der ihm die Tür öffnete. Das erste Mal seit dem schrecklichen Morgen, dass die beiden Brüder sich alleine begegneten. „Oh, du… - Ich wollte nicht stören.“, begann Alexander unbeholfen und vermied es, dem Älteren in die Augen zu sehen. „Nicht schlimm. Ich wollte sowieso gerade gehen.“ Alexander nickte hastig. Er nahm Wilhelm den Türgriff ab, dann wollte er ihn doch nicht gehen lassen. „Wilhelm.“ Zögerlich sah der junge Baron zu seinem Bruder auf, der sich noch einmal zu ihm herumgedreht hatte. „I-ich…Ich danke dir, dass du mich noch nicht rausgeworfen hast.“ Wilhelm blickte einige Sekunden verwirrt drein, dann entwich ihm ein „Alex…!“, und der Jüngere erschrak, als er ihn an den Armen packte. Eindringlich sah Wilhelm ihm in die Augen. „Alexander, du bist mein Bruder. Und kein Verbrecher.“ Alexander war zuerst erstaunt, dann nickte erleichtert. „Danke.“ Wilhelm schenkte ihm ein kleines Lächeln, bevor er ging. Daraufhin sah sich der junge Baron wieder mit seinen Sorgen alleingelassen. Mit klopfendem Herzen betrat er das Schlafgemach seiner Mutter. Diese lag immer noch in ihrem Bett, als hätte er sie gerade so am letzten Morgen verlassen. Wieder nahm er bei ihr auf dem Bett Platz. Dieses Mal hatte er schon fast nach ihrer Hand gegriffen; im letzten Moment entschloss er sich dagegen und legte sie sich in den Schoß. „Mama, ich bin es nochmal.“ Sie öffnete schwer ihre Lider und blickte ihn aus dem Augenwinkel heraus an. „Alexander.“, sagte sie wieder. „Ja, Mama, ich…“ Er schluckte. „Es tut mir Leid, dass ich gestern einfach so gegangen bin, aber…ich hab Angst davor, du könntest mich hassen.“ Er merkte, wie sie sich ein wenig mehr zu ihm herumdrehen wollte. „Nein! Bitte…ich hab genug angerichtet, bleib liegen, ich – “ Ihm liefen erneut die Tränen die Wangen hinab. „Ich entschuldige mich tausendmal, Mama, tausendmal würde ich mich bei dir gerne entschuldigen, aber das Schreckliche ist…! Ich kann nicht anders! Ich – ich kann mich doch zu nichts zwingen, Mama, ich bin so eben, ich habe eben diesen Fehler! I-ich werde nie eine Frau heiraten können, nicht mal Dorothea, das kann ich nicht, ich bin – “ Er brach ab, als er ihre kalte Hand auf seiner spürte, wie sie sie schwach umschloss. „Mama…“, schluchzte er, „Ich will von dir nicht im Erbe bedacht werden, aber vergib mir bitte! Vergib mir!“ Sie neigte ihren Kopf doch ein wenig mehr zu ihm. „Was soll ich dir vergeben?“, sagte sie mit leiser Stimme. „Ich habe dich nie mit etwas beschuldigt.“ Alexander kamen die Freudetränen. „Ich würde mir wünschen“, redete sie weiter, „dass auch du trotz der Ansprüche der Gesellschaft glücklich werden kannst, frei sein kannst, mein Junge.“ Sie lächelte ihn an. „Ich will nur das Beste für dich, Alexander.“ Er küsste ihre Hand. Küsste sie tausendmal. „Danke, Mama, danke, dass du mich nicht hasst, ich danke dir, Mama, danke…“ Als er sich beruhigt hatte, schloss sie mit einem Lächeln auf den Lippen die Augen. „Ich habe Margarethe heute Mittag nach dem Notar geschickt. Bist du so lieb und schaust nach, ob er mittlerweile eingetroffen ist?“ Alexander legte ihre Hand sanft auf dem Bett ab und wischte sich mit seinem Ärmel die Tränen aus dem Gesicht. „Ja, Mama, das mach ich.“ Von ihr kam ein fast unscheinbares Nicken. Er stand unbeholfen auf. „Bis…bis bald.“, sagte er. Der Notar wartete tatsächlich schon unten im Salon. Wilhelm hatte ihm einen Tee bringen lassen; er war im Grunde ein alter Bekannter der Familie. „Ich…ich komme soeben von Mutter.“, fing Alexander an, „Sie wäre dann bereit, Sie zu empfangen.“ Sofort sprang der nun auch schon ergraute Mann auf. „Jawohl.“, ließ er vernehmen, reichte Wilhelm, bei dem er sich für den Tee bedankte, und Alexander die Hand, bevor er den Raum verließ. Der junge Baron nahm schweigend neben seinem Bruder Platz. Dieser reichte ihm die Teekanne. Er winkte dankend ab. „Was hat sie gesagt?“, wollte Wilhelm wissen. Alexander musste lächeln. „Sie hasst mich nicht.“ Der Ältere klopfte ihm auf die Schulter und ließ seine Hand dort liegen. „Wieso sollte sie.“ Alexander nahm an, es handelte sich hierbei um eine rhetorische Frage. Er lehnte sich seufzend aufs Kanapee zurück. „Du bekommst das Schloss.“ „Ich weiß.“, entgegnete Wilhelm. „Du bekommst sicherlich das Gut.“ Alexander lachte bitter auf. „Sicherlich.“, wiederholte er, nicht ganz ernst gemeint, bevor er den Kopf in seine Hände sinken ließ. „Und ich Depp hab es Heinrich versprochen…!“ Wilhelm sagte daraufhin nichts mehr, sondern fuhr ihm nur gutmütig über den Rücken. Die Nacht über hatte Alexander wieder schlecht geschlafen. Er wunderte sich fast, warum, denn der Urteilsspruch seiner Mutter war doch zu seinen Gunsten ausgefallen, und dass sie in den nächsten Tagen sterben würde, das wusste er nun schon lange genug. Aber es war vielleicht die Ungewissheit, was seinen Heinrich anging. Die Ungewissheit, wann – ob er ihn wiedersehen würde, ob es ihm gut ging; sicherlich waren seine Tante und sein Onkel nicht so gnädig mit ihm, wie mit ihm seine Mutter. – Gott, er wollte gar nicht daran denken, was dem Armen - ! Unbedingt musste er ihm heute schreiben. Qualvoll stieg er aus dem Bett und rief nach Robert. Beim Frühstück berichtete Wilhelm dann, er sei schon bei der Baronesse gewesen und habe nun nach dem Arzt geschickt. Alexander setzte diese Nachricht so zu, dass er keinen Bissen herunterbekam, und es waren noch nicht alle fertig mit dem Essen, da erhob er sich schon. „Ich bin bei Mama.“, sagte er geistesabwesend und verließ den Raum. Sie hatte die Augen geschlossen, und für einen furchtbaren Moment dachte Alexander, er käme zu spät, aber dann bemerkte er, wie sich die Decke über ihr leicht hob und senkte. Er wischte sich eine Träne aus dem Auge, bevor er sich zu ihr ans Bett kniete und ihre Hand nahm. Sie fühlte sich beängstigend kalt an. „Mama…?“, flüsterte er, fuhr ihr mit dem Daumen über die Handfläche. Es dauerte eine Weile, bis sie ihre Augen öffnete, nur einen Spalt, und ihren Kopf ein wenig zu ihm drehte. „A…Alexander…?“ „Ja.“, sagte er und hatte mit sich zu kämpfen, nicht in Tränen auszubrechen. Ganz leicht zogen sich ihre Mundwinkel nach oben, als sie ihren Kopf wieder ins Kissen sinken ließ und die Augen schloss. „Bist du gekommen, mich zu holen, mein Alexander…“ „Nein!“, wollte er rufen, aber er tat es nicht, sondern sah nur zu, wie ihre Hand in seiner langsam erschlaffte. Er ließ sie nicht los. Schluchzend presste er sein Gesicht auf die Matratze. Ihr Herz. Der Doktor hatte gesagt, es würde irgendwann aufhören zu schlagen, da es neben dem wachsenden Tumor keinen Platz mehr in ihrer Brust hatte. Früher hätte Alexander ihm nicht geglaubt, da er das Herz seiner Mutter für nicht sonderlich groß gehalten hatte, und jetzt, jetzt glaubte er ihm auch nicht, denn es war nicht der Krebs, der in den letzten Wochen gewachsen war, es war ihr Herz. „Sie ist tot!“, rief er, als er keinen Puls mehr spürte, ohne sich zu erheben, ohne aufzuhören ihre Hand in seiner fast zu erdrücken. Wilhelm stürmte als erster in den Raum. Alexander spürte seine Hand an seinem Hinterkopf, wie er ihm beruhigend über den Kopf fuhr, während er ihm – oder sich selbst – gut zusprach. Der Arzt befreite ihre Hand aus seiner, um selbst noch einmal nach ihrem Befinden zu sehen, aber es war eindeutig: Sie war tot. ---------- Traurig...ich weiß :´( (Naja, ich HOFFE jedenfalls, dass die Worte dieses Gefühl ein wenig transportiert haben^^) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)