Schloss Tegel von KaethchenvHeilbronn ================================================================================ Kapitel 1: I ------------ Sie blieb stehen, presste die Porzellanschüssel fest an ihre Brust. Panisch versuchte sie ihren gehetzten Atem zu beruhigen, um etwas anderes als ihr Keuchen zu hören. War da nicht etwas gewesen? Schritte? Sie kniff die Augen zusammen und holte tief Luft, bevor sie weiter lief. Kleid und Schürze schleiften über den matschigen Grund, aber sie hatte keine Hand frei, sie aufzuraffen. Mamsell Zimmermann würde mit ihr schimpfen, das wusste das Mädchen jetzt schon, aber hätte sie sie eben nicht noch so spät bei aller Dunkelheit in den Garten geschickt, noch dazu, wenn es zuvor geregnet hatte! Sie sollte Belcastel die Reste vom Fleisch bringen. Wieso musste diese Hundehütte nur so weit weg stehen? Wieso musste dieses Anwesen nur so groß sein, wieso die Nacht so dunkel? Plötzlich hörte sie es wieder. Schritte. Es lief jemand durchs Geäst. Sie rannte schneller, stolperte zwischen den Büschen hindurch, über die kleine Brücke. Ängstlich huschten ihre Augen umher, aber sie konnte nichts als Schemen in der Nacht ausmachen. Da vorne war die Hundehütte, gleich hatte sie es ge – Eine schlammige Hand packte sie am Arm, sie ließ die Porzellanschüssel mit den Essensresten fallen, hörte sie jedoch nicht am Boden zerklirren, da sie schrill zu schreien begonnen hatte. Ihr erstarb die Stimme, als sich eine weitere Hand auf ihren Mund presste und sie nach hinten an einen kräftigen Männerkörper gezogen wurde. „Pschhht, nicht schreien, beruhig dich, Mädchen.“ Sie begann zu zittern, als sie die wohlklingende Stimme erkannte, und ein Seufzer der Erleichterung verließ ihre Lippen. „Herr…Herr Baron Alexander…“ Sie drehte sich zu ihm herum und erkannte tatsächlich den jüngeren Sohn ihrer Herrin, ein wunderschöner junger Mann, der momentan auf seiner Sonnenbräune noch eine Ladung Schlamm trug. „Es tut mir Leid, dass ich dich erschreckt hab,…Ida, nicht?“ Sie nickte hastig, und ihr Herz klopfte aufgeregt, als er ihr den Matsch vom Ärmel und aus dem Gesicht wischte. „Aber ich komme gerade zurück aufs Anwesen, da sehe ich eine Gestalt durch unseren Garten rennen. Du musst verstehen, dass ich da etwas misstrauisch wurde und nachsehen wollte. Was machst du so spät noch hier draußen?“ Das Dienstmädchen schreckte auf diese Frage hin hoch und schlug die Hände über ihrem Kopf zusammen, als sie das Fleisch im Gras zu ihrer beider Füßen verteilt vorfand. „Ach, herrje! Ich soll die Essensreste Belcastel bringen! Mamsell Zimmermann wird wütend mit mir sein!“ „Wieso?“, meinte der junge Baron lächelnd. „Belcastel wird schon nicht zu anspruchsvoll sein und das Fleisch noch essen. Sieh, die Schüssel ist auch noch heil.“ Schneller als Ida schauen konnte, war er in die Knie gegangen und fing an, die Essensreste einzusammeln. „A-aber…!“ Entsetzt riss sie ihm die Schüssel aus der Hand, um im nächsten Moment über diese Aktion noch entsetzter zu sein. „Ver-verzeihen Sie, Herr Baron von Humboldt, a-aber – Ich bin für solche Arbeit zuständig, machen Sie sich die Finger nicht schmutzig.“ Mit hochroten Wangen sammelte sie das restliche Fleisch zusammen, während Alexander nur neben dran stand und herzhaft lachte. Er begleitete sie sogar noch zu Belcastels Hütte und zurück zum Dienstboteneingang. Auf ihrem Weg spielte sie nervös mit ihrer Schürze oder an ihrem Häubchen und getraute sich nicht zu ihm aufzuschauen. Endlich erschienen vor ihnen die hohen Mauern des Schlosses Tegel, ein viertürmiger, wohlproportionierter, klassizistischer Kubus mit weißer, vierstöckiger Fassade und dunklem Ziegeldach. „Ich werde wohl mit ins Untergeschoss kommen dürfen, oder?“, fragte Alexander, als er dem Dienstmädchen die Holztür aufhielt. Sie sah ihn nur noch mehr aus der Fassung gebracht an. „Wie? Aber…aber das sind die Räume der Bediensteten, was– “ „Deshalb frage ich ja.“, meinte der Baron, „Ich möchte niemanden belästigen. Aber andererseits möchte ich vermeiden, dass ich so“, er zeigte an seiner durchweichten und mit Schlamm bespritzten Kleidung hinunter, „meiner Mutter begegne.“ „I-ich verstehe.“, brachte Ida heraus und ging zur Seite, um den jungen Herrn eintreten zu lassen. „Ach, Alexander, wie haben Sie das nur wieder geschafft?“ Keineswegs tadelnd, sondern eher amüsiert betrachtete der Kammerdiener seinen Herrn. Er war größer als der junge Baron und um zehn Jahre älter; von seinen zweiundvierzig Lebensjahren hatte er nun schon dreizehn Jahre auf Schloss Tegel verbracht und kümmerte sich um den jungen Herrn, seit der volljährig und nicht mehr bei der Gouvernante zum Unterricht war. Er hatte also schon lange aufgehört, dieses „Ach, Alexander, wie haben Sie das nur wieder geschafft?“ tadelnd auszusprechen, es hätte ja doch keinen Erfolg gezeigt. Also amüsierte er sich lieber. „Geben Sie mir Ihre Weste.“, meinte er und nahm keine Rücksicht auf die weißen Handschuhe, die er zum schwarzen Frack trug, als er das schlammige Kleidungsstück dem anderen von den Schultern zog. Mit Bedacht warf er es auf die Fliesen nahe der Tür, um den Läufer vor der Badewanne nicht zu beschmutzen. „Es tut mir Leid, Robert.“, wiederholte Alexander abermals, aber sein Kammerdiener lachte nur. „Darf ich raten? Waren Sie wieder am See?“, fragte er, während er dem Baron das Hemd aufknöpfte. „Richtig.“, antwortete der schmunzelnd, „Es war von wissenschaftlichem Belang.“ „Ach, ist es das nicht immer, Herr Baron?“ „Wirklich“, beharrte Alexander, „Ich will damit aufhören. Jetzt, wo Mama darauf besteht, mich auf sämtlichen Veranstaltungen vorzuführen, sehe ich es als zu riskant; man könnte mich erkennen.“ „Sie waren also nicht an der Scheune?“ „Nein, am See. Ich sagte es doch, der Wissenschaft wegen.“ Er scheuchte Roberts Hände von seinem Gürtel fort, um ihn selbst zu öffnen. „Ich habe ein paar Proben von Algen genommen.“ Der nun arbeitslose Kammerdiener sah skeptisch hinüber zu den vier kleinen verschlossenen Gläsern, die Alexander gleich nach seiner Ankunft im Bad aus seinen Hosentaschen gekramt und unbedingt auf der Kommode hatte abstellen wollen. „Ich hoffe Ida hat Ihnen gründlich hinterhergewischt, sonst erlebt Ihre Mutter morgenfrüh eine böse Überraschung.“ „Ich hoffe das Wasser ist warm.“, entgegnete Alexander und warf die Hose zu Weste und Hemd auf die Fliesen. „Es klappt nicht immer, mit dem Ofen im Keller, aber Rousseau hat ihn doch vor dem Winter warten lassen.“ „Sehr tüchtig, unser Butler.“, nickte der Baron und stieg in die Wanne. Er tauchte gleich auch mit dem Kopf einmal unter und begann dann, den Dreck von Armen und Hals zu waschen. Da Robert, der normalerweise viel und gerne redete, kein Wort mehr von sich gegeben hatte, sah er irgendwann zu ihm auf. Der Kammerdiener stand vor der Wanne, die Hände vor der Brust verschränkt, ohne mit den schmutzigen Handschuhen seinen Frack zu berühren, und sah ihn an. „Was ist?“, fragte Alexander etwas irritiert. Robert fing an zu lachen. „Nichts, mein Herr, ich dachte nur…“ Er ging vor der Wanne in die Knie, um seine Arme auf dem Rand abzulegen. „Ich frage mich nur, da Sie jetzt ja »damit aufhören«, wie Sie das denn in Zukunft kompensieren wollen?“ Jetzt war es Alexander, der lachte. „Das ist doch nicht etwa gerade ein Angebot, Robert?“ Der Diener blickte ihn schmunzelnd an. „Nein, tut mir Leid.“ Der Baron ließ sich zurück ins Wasser sinken. Als er wieder mit dem Kopf aufgetaucht war, ergänzte der Kammerdiener: „Aber, abgesehen davon, dass Sie mein Angebot wegen fehlenden Interesses sowieso abgelehnt hätten, biete ich Ihnen an, Ihnen den Rücken zu schrubben.“ „Das stimmt, damit ist mir besser geholfen.“ „Sehen Sie.“ Kapitel 2: II ------------- „Alexander. Alexander, stehen Sie auf.“ Schläfrig wälzte der Baron sich von einer Bettseite auf die anderen. „Robert, wieso…wieso weckst du mich?“ Er hielt sich die Hand vor die Augen, als er zu seinem Kammerdiener aufsah, um nicht zu sehr geblendet zu werden. „Gab ich den Befehl dazu?“ „Nein, aber Ihre liebe Frau Mama.“ Alexander stöhnte genervt auf und vergrub sein Gesicht im Kissen. „Natürlich. Sie weiß nicht, dass ich lediglich fünf Stunden Schlaf hatte…“ „Zum Glück nicht, wenn ich Sie daran erinnern darf.“ „Jaja“ „Also? Ich stehe bereit mit Ihren Kleidern, Alexander.“ „Ist Wilhelm schon wach?“ „Ihr Bruder sitzt mit seiner Frau und der kleinen Nichte bereits am Frühstückstisch.“ „Verflucht.“ „Nicht doch, mein Herr. Nun stehen Sie schon auf, damit ich Sie einkleiden kann.“ Alexander blieb auf dem Bauch liegen und warf lediglich die Bettdecke beiseite, sodass sein freier Rücken zum Vorschein kam. Robert schüttelte den Kopf, und konnte sich nicht ganz an seine Divise halten, sich nicht über seinen Herrn aufzuregen. „Sie haben schon wieder halbnackt geschlafen!“ „Nackt.“, wurde er mit einem Nuscheln ins Kopfkissen verbessert und Alexander schaffte es, die Decke mit ein paar Fußtritten noch tiefer rutschen zu lassen, um seine Aussage zu bekräftigen. „Oh, schön. Also nackt. Wenn Sie sich erkälten, Alexander, können Sie damit rechnen, dass ich es nicht bin, der Sie versorgt, wenn Sie mit Fieber im Bett liegen!“ Der Baron entgegnete darauf nichts mehr, hatte die Augen wieder geschlossen, also setzte Robert sich ans Bett und zwickte seinem Herrn ohne Scham in den Allerwertesten. Schreiend sprang der Baron auf und war plötzlich hellwach. Auf dem Weg in den Salon begegnete Alexander zwei ihrer Dienstmädchen, eine von ihnen war das junge Mädchen von gestern Nacht. „Guten Morgen.“, grüßte er die beiden mit einem freundlichen Lächeln und einem Winken, womit er sie so sehr erschreckte, dass sie zusammenzuckten. „Guten Morgen, Herr Baron!“, quiekten sie mit hochroten Köpfen zurück und hasteten davon. Robert, der neben ihm lief, verdrehte die Augen. „Alexander, könnten Sie das bitte unterlassen, das Personal zu grüßen? Die armen Mädchen bekommen antrainiert, sich so unauffällig wie möglich zu verhalten, wenn Sie auf die Damen oder Herren des Hauses treffen, und ausgerechnet Sie sprechen sie so unverhohlen an.“ Der junge Baron betrachtete seinen Kammerdiener skeptisch. „Du willst mir doch nicht unterstellen, dass es meine Schuld wäre, dass diese Mädchen so besessen von mir sind?“ „Doch.“ „Ich kann nichts dafür!“ „Nein, können Sie nicht, aber es ist Ihre Schuld. Oder gewissermaßen die Schuld Ihrer Eltern, vornehmlich Ihres verstorbenen werten Herrn Vaters, der Ihnen wohl diese Augen und dieses Gesicht und diese Stimme und diesen Körper vermacht hat.“ „Höre ich da Spott in deinen Worten, Robert?“ „Keineswegs, mein Herr.“, antwortete der Diener mit einem Grinsen, das das Gegenteil behauptete, und öffnete Alexander die Tür zum Salon. Drinnen saß seine Mutter auf dem Kanapee, in eine dicke Decke eingepackt. Die Baronesse war eine kleine, aber keineswegs schwache Frau. Sie hatte ihr graues Haar elegant hochgesteckt und sah in ihrem blasslilafarbenen Kleid, trotz ihres Alters von nun schon sechzig stolzen Jahren, keineswegs greis aus. Als Alexander den Raum betreten hatte, war ihre Kammerzofe Margarethe gegangen, und so bemerkte er, als er seiner Mutter näher kam, dass sie heute nicht so frisch wie sonst aussah. „Guten Morgen, Mama.“ „Guten Morgen, mein Junge.“, begrüßte sie ihn, ein Lächeln blieb jedoch aus. Alexander war es gewohnt, dass seine Mutter eine ernste Person war, ganz im Kontrast zu seinem verstorbenen Vater. „Wie geht es dir?“, fragte er. Sie winkte mit einer behandschuhten Hand ab. „Lenk nicht ab, Alexander. Wieso schläfst du so lange?“ „Ich habe…lange nicht einschlafen können gestern Abend.“ Sie beäugte ihren Sohn kritisch, schien ihn anscheinend besser zu kennen. „Nun.“, begann sie dann jedoch, „Wie du siehst, fühle ich mich heute Morgen etwas unwohl, weshalb Margret mich hier hergebracht hat. Du kannst nichtsdestotrotz hinüber in den Speisesaal gehen und deinem Bruder und seiner Familie beim Frühstück Gesellschaft leisten.“ Alexander sah seine Mutter etwas besorgt an. „Hast du denn schon etwas gefrühstückt, Mama?“ Sie winkte wieder ab, eine ihrer liebsten Gesten. „Kümmere dich nicht um mich, Junge, dafür werden andere bezahlt. – Hast du gebadet?“ Alexander sah sie verwirrt an. „Ja. Gestern Abend.“ Sie nickte. „War das Wasser warm? Ich frage, weil wir diese Woche noch Besuch erwarten. War es angenehm warm?“ „Ja, Mama.“ „Dann ist gut. Auf Rousseau ist eben verlass.“ „In der Tat, das ist es, Mama.“ Sie nickte und sah ihn eine Weile schweigend an. „Was ist, Alexander? Wieso sitzt du nicht schon längst mit deinem Bruder am Tisch und nimmst endlich etwas Anständiges zu dir?“ „Sofort, Mama.“, sagte Alexander, ging noch einmal auf sie zu, um ihr die Hand zu drücken, bevor er den Salon wieder verließ. „Ah, sieh an, der Herr erscheint auch mal.“ „Dir auch einen guten Morgen, Wilhelm. Caroline.“ „Guten Morgen, Alexander.“, grüßte ihn seine Schwägerin zurück, die gerade ihre kleine Tochter auf dem Schoß hatte und mit Brei fütterte. Caroline war zwar keine Schönheit, jedoch hatte sie etwas Charmantes an sich. Alexander hatte jedenfalls nichts gegen sie, solange sie nicht versuchte, private Gespräche mit ihm zu führen. Er nahm seinem Bruder gegenüber Platz. Der war ganz in die Zeitung vertieft. Er war zwei Jahre älter als Alexander, und der fragte sich immer wieder, ob die Dienstmädchen sich ihm gegenüber nicht so peinlich verhielten, da sie ihn nicht für so hübsch erachteten, oder weil er seit acht Jahren verheiratet war. Alexander nahm sich ein gekochtes Frühstücksei aus dem Korb und begann es am Tellerrand aufzuklopfen. Wilhelm bedachte ihn mit einem genervten Blick. „Entschuldigung.“, gab Alexander von sich, nahm das Messer und köpfte es. Während er etwas Salz drüberstreute und es auszulöffeln begann, tauchte plötzlich ihr zweiter Diener Ludwig neben ihm auf, um ihm eine Tasse brühwarmen Kaffee zu servieren. „Danke.“, brachte Alexander heraus. Er mochte es nicht, wenn die Bediensteten sich so anschlichen. Ludwig nahm, auf Carolines Geheiß hin, ihr das kleine Töchterchen vom Schoß, mit dem Auftrag, es von ihrer Kammerzofe wickeln zu lassen. „Sehr wohl, Frau Baronin.“ Als der blonde Junge – mit seinen einundzwanzig Jahren konnte man ihn fast noch als einen solchen bezeichnen – endlich den Saal verlassen hatte, wandte sich Alexander seinem Bruder zu. „Weißt du, was Mama heute Morgen hat?“ Es dauerte eine Weile, bis Wilhelm sich angesprochen fühlte. „Ihr geht es nicht gut.“ „Ich weiß, ich wollte nur wissen…Ist es wieder…?“ Wilhelm nahm einen Schluck Kaffee. „Es ist ihre Brust, ja. Der Doktor hat letzte Woche angedeutet, dass es Krebs sein könnte.“ Alexander sah nieder in seinen Schoß. „Das dachte ich mir.“, meinte er nur. Als er wieder aufsah, bemerkte er das Schwarzweißfoto auf der Titelseite. „Die Eisenbahn? Was haben wir hier in Berlin denn mit der Eisenbahn zu schaffen?“ „Sie fährt jetzt in Sachsen.“ Alexander riss erstaunt die Augen auf. „In Sachsen?! Aber doch mit Pferden.“ „Mit Dampf. Und jetzt hör auf, mich auszufragen, du kannst nachher die Zeitung haben.“ Alexander nickte und wandte sich wieder seinem Teller zu. Es dauerte keine Minute, da redete er den Älteren wieder an. „Von welchem Besuch sprach Mama? Hat sie dir gegenüber etwas erwähnt?“ Wilhelm grummelte genervt. „Caroline, bitte.“ Seine Frau tätschelte ihm den Arm, bevor sie sich Alexander annahm. „Madame von Pannwitz wird uns für ein, zwei Tage besuchen. Sie bringt ihre Tochter Dorothea mit.“ „Ah. Kenne ich die Dame?“ „Die Tochter wohl kaum– “ „Ich sprach auch von der Madame.“ „Ah. Ja, du müsstest sie vor drei Jahren auf dem Jahrmarkt gesehen haben. Sie stand kurz bei uns. Aber ihre Tochter war nicht dabei. Sie ist Ende letzten Jahres Zwanzig geworden. Ein reizendes junges Mädchen. Sie studiert; wenn ich mich nicht täusche interessiert sie sich auch für Pflanzenkunde und– “ „Danke. Ich kenne sie also nicht.“ Caroline sah ihren Schwager sprachlos an und versuchte ihre Entrüstung zu verbergen. Aber das waren die Momente, in denen Alexander sie nur lästig empfand: wenn sie versuchte, privat mit ihm zu plaudern. Das lief dann nämlich immer auf irgendein junges Mädchen hinaus, das ja so gut zu ihm passen würde… Alexander erhob sich. „Du gehst schon?“, fragte ihn Caroline. „Ich will noch ausreiten.“, antwortete er ihr, bevor er den Saal verließ, ohne seinen Kaffee angerührt zu haben. ---------- Dankeschön für eure Kommentare! Es sind mir also einige von VLE hierher gefolgt :) Kapitel 3: III -------------- „Gestern?“ „Ja, gestern Nacht.“ „Erzähl keine Lügenmärchen, Ida.“ Das Dienstmädchen schüttelte den Kopf und unterbrach ihre Arbeit, die Badewanne zu säubern. „Es sind keine Lügenmärchen, Martha.“, sagte sie. „Mamsell Zimmermann hat mich rausgeschickt, die Essensreste Belcastel zu bringen. Dann ist der junge Herr Baron plötzlich aufgetaucht, hat mich am Arm gefasst und mich an sich gerissen…“ Sie verstummte und ihr Blick schweifte schwärmerisch gen Decke ab. „Und dann?“ Martha hatte aufgehört, den Spiegel zu wischen, und die Hände in die Hüfte gestützt. „Dann war er ganz lieb zu mir, hat gesagt, ich bräuchte keine Angst zu haben. Er hat sich sogar vor mir gebückt, um das Fleisch aufzusammeln…!“ Freudig schlug sie ihre Hände zusammen. „Meinst du nicht, ich hätte eine Chance bei ihm, würde ich in schickeren Kleidern stecken?“ Martha sah ihre Freundin fassungslos an. „Ida! Das kannst du nicht ernst meinen!“ „Wieso nicht?“ „Niemals würde Herr Alexander sich mit einem Dienstmädchen abgeben. Du fantasierst!“ Ida kletterte aus der Badewanne und nahm herausfordern vor der anderen Stellung. „Du bist doch nur eifersüchtig, dass er so liebevoll mit mir umgeht.“ „Eifersüchtig?!? Auf eine Spinnerin?!“ „Das nimmst du zurück!“ Gerade packten sie sich gegenseitig an der Schürze, da stürmte Mamsell Zimmermann ins Bad. Sie war eine ältere, großgewachsene Frau mit freundlichem Gesicht, das in diesem Moment jedoch nicht angsteinflößender hätte ausschauen können. „Ihr zwei dummen Gänse, was glaubt ihr, was ihr hier macht?!?“ Sofort waren die beiden Mädchen auseinandergefahren und sahen nun betreten zu Boden. „Verzeihen Sie, Mamsell Zimmermann.“, entschuldigten sie sich. Die Gesichtszüge der Frau entspannten sich wieder und sie sah leicht mitleidig auf die Mädchen herab. „Ihr seid beide Träumerinnen, wenn ihr solche Hoffnungen hegt. Und fürs Träumen werdet ihr in diesem Hause nicht bezahlt, also, husch, husch, zurück an die Arbeit.“ Sobald die Mamsell sich vergewissert hatte, dass die beiden auch gehorchten, verließ sie wieder das Bad. Sie sah noch schnell im Zimmer des älteren Barons und seiner Frau Gemahlin nach, wo die beiden anderen Dienstmädchen gerade das Bett machten, bevor sie wieder zurück ins Untergeschoss ging. Dort war schon großer Aufruhr, da man in der Küche das Mittagessen vorbereitete. Zwischen Tür und Angel traf sie ihren Kollegen Rousseau. Er war kein großer Mann, eher etwas rundlich; sein Gesicht erinnerte an das eines gutmütigen Elefanten. „Was ist mit Ihnen, Frau Zimmermann?, Sie sehen geschafft aus.“ Sie seufzte, aber brachte ein Lächeln zustande. „Es sind die Mädchen, die sich wieder in den Haaren gelegen waren.“ Der Butler schmunzelte. „Aber doch nicht wieder wegen des jungen Herrn Barons?“ „Doch. Leider.“ Er sah sie mitfühlend an und tätschelte ihr den Arm, doch sie schenkte ihm nur ein amüsiertes Lächeln und machte sich auf den Weg in die Küche, um nach dem Rechten zu sehen. Sie ging auf die Köchin zu, die hastig, aber scheinbar mit geübten Handgriffen Schüsseln, Töpfe und ihre Küchenhilfe herumkommandierte. „Alles in Ordnung bei Ihnen, Frau Gollwitz?“ Die etwas rundlichere Frau bejahte, bevor sie schnell die Suppe abschmeckte. „Dora! Salz! – Ja, Mamsell Zimmermann, die Burschen können gleich die Vorspeise servieren.“ Die Mamsell nickte und wandte sich um. „Ludwig, Richard!“, rief sie die zwei Diener herbei, die schon wartend an der Tür standen. Während die beiden sich die gerichteten Teller und Schüsseln vom Tisch nahmen, wandte sich die Köchin noch einmal an Mamsell Zimmermann. „Was macht die Baronesse?“, fragte sie, „Wissen Sie, wie es ihr geht?“ Die Mamsell zuckte mit den Schultern. „Heute Morgen ging es ihr wieder nicht so gut. Was der Arzt aber letzte Woche festgestellt hat, das weiß ich nicht.“ „Weiß Margarethe nicht etwas?“, warf Dora ein, wofür sie sich von den beiden Älteren sofort einen mahnenden Blick einfing. „Wenn die Zofe der Baronesse etwas Derartiges wissen sollte, dann gehört es zu ihrer Pflicht und Moral, es uns nicht weiterzuerzählen, außer die Baronesse wünscht es ausdrücklich.“ „Entschuldigung…“, gab das Küchenmädchen eingeschüchtert von sich und machte sich aus dem Staub. Doch weit kam sie nicht, da rief ihr die Köchin schon wieder hinterher. Die Mamsell wandte sich ab, um weiter das Treiben in der Küche zu überwachen und mit Rousseau zusammen sicherzustellen, dass die Speisen in der richtigen Reihenfolge und geordnet nach oben ins Esszimmer gebracht wurden. Nachdem diese Arbeit getan war und sich nur noch Rousseau und die beiden Diener bereithalten mussten, nahmen die Bediensteten des Hauses gemeinsam in der Küche Platz, um selbst etwas Essbares zu sich zu nehmen. Im Gegensatz zu ihren Herren gab es natürlich weder fünf Gänge, noch besonders teuer und schön angemachte Leckerbissen, doch man konnte davon sattwerden. Der Mamsell fiel auf, dass es Richard, der erste Diener, ein junger, großgewachsener Mann mit schwarzen Haaren und attraktivem Gesicht, heute besonders eilig hatte. Schon nachdem er den ersten Teller Suppe ausgelöffelt hatte, stand er auf. „Wohin des Weges?“, fragte ihn Rousseau, der sich über die Dickköpfigkeit des junges Mannes, die dieser gelegentlich an den Tag legte, sehr wohl bewusst war. „Ins Dorf, Herr Rousseau.“, antwortete Richard ausdruckslos, aber höflich. „Du weißt schon, dass die Herrschaften uns noch benötigen.“, erinnerte ihn Rousseau. „Ich vertraue fest darauf, dass es für Sie und Ludwig nicht zu viel Arbeit werden wird.“, entgegnete Richard und schickte noch ein steifes Lächeln in die Runde, bevor er den Raum verließ. Rousseau seufzte tief, bevor er Ludwig einen Blick zuwarf. Der Junge nickte ihm mit vor Scham für das Benehmen seines Kollegen roten Wangen aufmunternd zu, und für den Butler war die Sache erledigt. Wenigstens auf Ludwig konnte man sich verlassen. Er sah zwar nicht so gut aus wie Richard, was eigentlich die Hauptaufgabe eines männlichen Dieners war, der am Tisch bediente und mit den Frauen ausging, aber er war um einiges umgänglicher. Die Sonne schien wohlwollend aufs saftige Gras, an das sich das Pferd gleich machte, als der junge Baron es am Baum festband. Sogleich zog er sich die Weste aus, ließ das Hemd folgen. Als er dabei war, aus seiner Hose zu steigen, sah er hinüber zur Scheune, die man am Rande der Felder sehen konnte. – Aber nein, er wollte sich dort ja nicht mehr sehen lassen. Schnell lief er ins Wasser und ließ sich ins kühle Nass fallen. Mit langen Zügen schwamm er in die Mitte des Sees, wo er sich auf dem Wasser treiben ließ. Schon eine kleine Ewigkeit kam er immer hier an den See, auch lange, bevor er das mit der Scheune angefangen hatte. Aber hier war er auf einen Jungen gestoßen, mit dem er ein paar Runden geschwommen war, bevor…nun ja. Das nächste Mal war der junge Mann mit seinem Vater gekommen, ein Bauer, der von ihm Geld sehen wollte. Er hielt Alexander für den Kaufmann, als den er sich ausgegeben hatte, und witterte in der Sache wohl ein Geschäft, wofür er in Zukunft gerne seine Scheune zur Verfügung gestellt hatte. Nun, das konnte ihm ja jetzt egal sein, es war vorbei. Alexander tauchte unter und machte sich auf die Suche nach Pflanzen, die er untersuchen konnte; eine wissenschaftliche Arbeit, die er fast noch lieber betrieb, als sich mit anderen Männern zu vergnügen. ---------- Ihr merkt sicher, dass ich momentan mit dem Schreiben gut vorankomm :) Solange das so bleibt, werd ich auch in Zukunft so oft dazu kommen, ein neues Kapitel hochzuladen. Kann sich aber eventuell ändern, da VLE immer noch Priorität hat, nur damit ihr Bescheid wisst^^ Kapitel 4: IV ------------- Es nieselte leicht, als er unten die große Halle betrat. Natürlich begrüßte ihn keiner der Diener; niemand rechnete mit seinem so späten Kommen. Heute war Alexander zwar nicht so dreckig wie gestern, aber er hatte Hunger, also klingelte er, kaum war er auf seinem Zimmer, nach Robert. Es vergingen keine drei Minuten, da war sein Kammerdiener auch schon zur Stelle. „Robert, ich möchte– “ Der junge Baron verstummte, als er die Lupe beiseitelegte, mit der er eben seine heute erbeuteten Pflanzen untersucht hatte, und das Tablett in Roberts Händen sah. „Du hast…Was hast du da?“ Der Diener lachte leise und schloss die Tür hinter sich. „Ihr Abendessen, Alexander, was sonst?“ Der Baron musste grinsen. „Du kannst Gedanken lesen!“, rief er freudig und machte auf dem Tisch, der rechts zur Tür stand, für das Tablett Platz. „Waren Sie also wieder am See.“ Es war schon eine Feststellung. „Richtig.“ „Sie sollten Ihre gesammelten Werke mal wieder in Ihr Arbeitszimmer bringen. Die Fundsachen von dieser Woche nehmen Ihnen ja den ganzen Platz zum Essen weg.“ Alexander störte das weniger, denn er fing an, über die Gläser mit den Algen hinweg die Knödel auf seinem Teller zu schneiden. Robert seufzte. „Ehrlich gesagt würde es mich nicht wundern, wenn Sie sogar in Ihrem Bett irgendwelche Steine horteten.“ „Es sind niemals »irgendwelche Steine«, Robert. Es sind Kristalle, Fossilien, oder Muscheln.“ „Rechtfertigen Sie sich bitte nicht mit vollem Mund, mein Herr, das schadet Ihrem guten Benehmen.“ „Welches gute Benehmen?“ Der Kammerdiener sah den Baron kurz so an, als würde er über diese Frage tatsächlich nachdenken. „Tja, das frage ich mich auch gelegentlich.“, meinte er dann schließlich nur, und endlich deutete ihm Alexander, dass er doch auf dem anderen Stuhl Platz nehmen sollte. „War Mama sehr böse, dass ich nicht zum Abendessen da war?“ „Nun…“, begann Robert und überlegte, wie er es formulieren sollte, „Ich möchte ihr Ärgernis darüber nicht bewerten, aber, ja, es war vorhanden, ihr Ärgernis.“ „Aber gestern habe ich das Essen doch noch abgewartet, bevor ich los bin.“ „Trotzdem, mein Herr, Sie war nicht begeistert.“ Von Alexander kam nur noch ein Grummeln. Eine Weile ließ ihn Robert essen, bevor er sich wieder zu Wort meldete. „Es ist ja nicht so, dass es – also, bezüglich Ihres Problems…“ „Meines Problems?“, wiederholte Alexander ein wenig irritiert. „Bezüglich Ihrer Neigung.“ „Ah.“ „Es ist ja nicht so, dass es da keine anderen Möglichkeiten gäbe. Eine beständige Lösung im Sinne einer…Festanstellung.“ Alexander sah seinen Kammerdiener an, als müsste er einem kleinen Kind eine Sache zum tausendsten Male erklären. „Robert. Denkst du nicht, dass mir das viel zu riskant wäre?“ „Was wäre Ihnen zu riskant?“ „Das, auf was du hinaus willst.“ Der Kammerdiener kehrte seinen Blick fast ein wenig beleidigt ab, sodass Alexander schon dachte, die Diskussion wäre beendet, und er sich seinem Essen wieder zuwandte, da hängte Robert an: „Was ist mit Ludwig?“ Alexander verschluckte sich fast an einem Stück Möhre. „Oh, also nicht Ihr Typ?“ „Versuch es erst gar nicht, ja?“ „Also eher der Düstere, Hinterhältige, Unberechenbare…?“ „Unterstellst du gerade Richard, dass er hinterhältig sei?“ Robert hob abwehrend die Hände. „Mit keinem Wort.“, pflichtete er bei, seine Mimik sagte aber einmal mehr das Gegenteil. „Hm.“, machte Alexander. Das schien ihn zum Nachdenken gebracht zu haben. „Was ist, mein Herr?“, fragte Robert, die Sticheleien von eben vergessen, fast schon besorgt. „Es ist wegen heute Mittag.“, fing der Baron an, „Da habe ich Richard auf dem Weg zum See in der Stadt gesehen. Ich weiß noch, dass ich mich fragte, was er auf der Post wollte. Ist seine Mutter nicht tot und er mit seinem Vater verstritten?“ „Ja, ich denke mich daran auch zu erinnern.“ Alexander nickte, anscheinend über diese Bestätigung zufrieden, während er mit der Gabel im Gemüse herumstocherte. „Kannst du mir einen Gefallen tun, Robert?“ „Aber gewiss, mein Herr, es wäre nicht der erste.“ Der junge Baron lachte leise. „Das stimmt, in der Tat.“ Schnell wurde er aber wieder ernst. „Ich möchte, dass du Richard für mich im Auge behältst.“ Robert zog seine Augenbrauen in die Höhe. „Soso, also doch.“ Alexander atmete genervt aus. „Sicherlich nicht, Robert, du weißt genau, wie es gemeint ist. Richard oder Ludwig…sie sind es mir beide nicht wert, mein Leben zu zerstören. Der eine noch tausendmal weniger, als der andere.“ Es war am nächsten Morgen schon, als Robert seinen Herrn in einer nicht mehr so standhaften Gemütsfassung vorfand. Mit völlig zerzaustem Haar und wieder einmal nur mit der Leinendecke bekleidet, die er sich um die Hüfte gewickelt hatte, saß der junge Baron auf seinem Bett und rieb sich übers müde Gesicht. „Ich habe schrecklich geträumt, Robert.“ „So, mein Herr, was denn?“, fragte der Kammerdiener teilnahmsvoll, während er die frischen Kleider aus dem Schrank holte. „Ich war am See, schrecklich einsam, und dann ist plötzlich ein junger Mann aus dem Wasser gestiegen, kam auf mich zu, nackt, in all seiner Schönheit…“ Robert hielt mit dem Gürtel in der Hand inne, den er gerade über die Stuhllehne legen wollte. „Gut.“, seufzte er, „Ich werde Emma also sagen, sie soll die Bettlaken wechseln.“ „Robert!“, rief Alexander entrüstet und wirkte ein wenig wie ein weinerliches Kind, „Du verkennst den Ernst der Lage! Ich – es fällt mir immer schwerer diesen Weg vom See zur Scheune nicht mehr zu machen! Wer weiß, vielleicht schickt der alte Bauer die Jungen, die er mir aufgetrieben hat, immer noch dort hin, und jeden Tag warten sie auf mich, vergebens!“ „Herr Baron Alexander.“ Alexander schwieg sofort. Robert sprach ihn selten so an. „Es ist gut, dass Sie damit aufgehört haben, es wurde sowieso zu gefährlich.“, sprach der Kammerdiener mit eindringlicher Überzeugung, „Sie sollten sich nicht um die Erfüllung sexueller Wünsche Sorgen machen, sondern um Ihren Ruf, der in dieser Zeit nun immer wichtiger zu werden scheint.“ „Wie meinst du das?“, fragte Alexander, und kaum hatte er die Frage ausgesprochen, konnte man das Unbehagen auf Roberts Gesicht erkennen. „Nun, Ihre Frau Mama…“, fing er nur an. „Ah.“ Alexander verstand. Er senkte den Kopf. „Sie wird mit dieser Krankheit wohl wirklich nicht mehr lange leben, hm?“ „Es tut mir Leid, mein Herr.“ Eine Weile war es still im Zimmer, Robert unterließ es auch, die Kleider weiter zu richten. Schließlich erhob sich Alexander aus dem Bett und lief ins Bad. „Ich gehe heute an den See, ich muss an die frische Luft. Gleich nach dem Frühstück.“ „Aber– “ „Keine Angst, ich werde nicht weiter als zum See gehen. Wirklich nicht.“ Beim Frühstück konnte Frau von Humboldt bei ihrer Familie sitzen. Sie trug die Decke auch nicht mehr um den Körper, aber ihre Kammerzofe brachte ihr ein Glas voll Medizin, die sie nehmen musste. „Was ist, Kinder?“, fragte die Baronesse harscher, als sie es meinte, „Schaut nicht so mitleidsvoll und esst weiter. Es schmeckt zwar nicht nach Champagner, aber es hilft.“, und sie brachte zum Ende sogar noch ein Lächeln zustande. Caroline erwiderte dieses, während sich die Brüder nur gleichsam undefinierbare Blicke zuwarfen. „Wir sollten überlegen, wann wir das erste Gartenfest dieses Jahr ansetzen.“, brachte ihre Mutter ein Gespräch zustande. „Man sollte vielleicht noch warten, bis es etwas wärmer ist, Mama.“, gab Wilhelm zu bedenken. „Und nicht so nass.“, warf Alexander ein, „Nicht dass ich etwas gegen Regen hätte, aber er macht sich so schlecht auf einer Gartenfeier.“ „Da hast du Recht.“, kommentierte Caroline; wie Alexander fand, etwas unnötig. „Im April, denke ich, wird sich ein Termin finden lassen.“, schlug die Baronesse vor, „Vielleicht findest du dieses Mal bis dahin eine Begleitung.“, ergänzte sie, an ihren jüngeren Sohn gewandt. Dieser nickte nur leicht, was auch gut als Ablehnung hätte durchgehen können, und nahm eines der kleinen Melonenstückchen mit Schinken in den Mund, um nicht verbal Antwort geben zu müssen. Kapitel 5: V ------------ „Wilhelm! Wilhelm, Schatz, hier bist du also.“ Caroline von Humboldt war in der Bibliothek des Schlosses angelangt, wo sie ihren Ehemann vermutet hatte. „Madame von Pannwitz ist soeben eingetroffen.“, verkündete sie mit Freude und gleichzeitiger Anspannung in ihrer Stimme. „Oh, dann sollten wir hinunter gehen, sie begrüßen.“, befand Wilhelm, schlug sofort das Buch zu und hakte sich bei seiner Gemahlin ein, als sie zusammen die Treppen hinunterliefen. Unten in der großen Halle stand schon die Baronesse von Humboldt bereit, hinter ihr die versammelte Dienerschaft. „Mama.“ „Wilhelm, endlich.“ „Wollte die Madame nicht erst um Eins– “ „Jaja, aber du weißt doch, dass sie es nicht so mit der Uhrzeit hat. – Hast du deinen Bruder gesehen?“, fragte sie ihren Sohn. „Nein, tut mir Leid.“ Die Baronesse schlug ärgerlich ihren Fächer zusammen. „Typisch.“, gab sie von sich, bevor sie die Hand hob. „Robert!“ Sofort war der Kammerdiener bei ihr. „Baronesse von Humboldt.“ „Wo ist mein Sohn?“ „Er ist am See.“ Sie seufzte theatralisch und wurde etwas nervös. „Dann soll er auf der Stelle herkommen – und sieh zu, dass er angemessen gekleidet ist!“ „Sehrwohl, Frau Baronesse.“ Mit einer Verbeugung trat Robert wieder zurück in die Reihe der Bediensteten. Er wusste, dass er am besten selbst, jetzt gleich losgehen sollte, aber er wusste sehr wohl auch, dass es dieses Aufeinandertreffen der Gäste mit Richard zu beobachten galt, denn mittlerweile hatte er durch einen schnellen Blick erhaschen können, dass das Briefpapier, das Richard empfangen hatte, ein adliges Wappen trug. Möglicherweise kommunizierte er mit Madame von Pannwitz, aus welchen Gründen auch immer, die es herauszufinden galt. Also, da er hier wohl unabdinglich war, wandte er sich, den Konsequenzen wohl bewusst, an eines der Dienstmädchen. Zu ihrem Glück war es Ida. „Entschuldigung, Mädchen?“ Die Angesprochene drehte sich zu ihm herum. „Ja, Herr Robert?“ „Pass auf: Du sollst den jungen Herrn Baron vom See holen – du kennst doch sicher den kleinen See an der Königsstraße, das Stolperloch? – Der Herr soll unverzüglich herkommen, Befehl der Baronesse. Sobald er hier in seinem Zimmer ist, gibst du mir Bescheid, damit ich ihn angemessen einkleiden kann, verstanden?“ Unbeholfen sah sie zu ihm auf. „Ver-verstanden.“, gab sie von sich und drehte sich langsam herum, während ihr bewusst wurde, welch Aufgabe ihr eben zuteilwurde. „Renn schneller, Mädchen!, die Gäste sind vor dem Tor.“, zischte Robert und endlich beschleunigte sie ihren Schritt Richtung Dienstboteneingang, wo sie verschwand. Robert konnte sich gerade noch rechtzeitig wieder in die Reihe der Bediensteten einordnen, bevor Madame von Pannwitz nebst Tochter, einem Chauffeur und einem uniformierten Mann die große Halle betrat. Ida kannte natürlich den See, sie war in dieser Stadt aufgewachsen, aber das gab ihr im Moment nicht unbedingt mehr Mut und Sicherheit. Was sollte sie dem Baron sagen, wenn sie ihm gegenübertrat? Wie sollte sie sich verhalten, wenn sie ihm möglichst gefallen wollte? – War das überhaupt möglich, wenn sie…wenn sie ihm etwas befehlen sollte?!? Wie sollte sie das zustande bringen?! Ihre Gedanken rasten weiter, während sie schon völlig außer Atem auf der Königsstraße ankam, und ihre Wangen glühten, als sie auch noch die letzten Schritte die Böschung hinunterrannte. Unten blieb sie stehen und schaute sich um. Es war niemand zu sehen, die Wiese war leer. – Nein, halt, am Baum dort hinten stand ein Pferd – und weiter vorne am Ufer lag eine Gestalt im Gras. Hastig lief sie zu ihr hinüber, strich sich auf den letzten Metern noch einmal die Schürze und das Kleid zurecht. Noch ein paar Schritte und Ida war um den am Boden Liegenden herumgegangen. Tatsächlich, es war der junge Baron. Und ihr stieg die Röte ins Gesicht, als sie ihn betrachtete, wie er da lag, mit nacktem Oberkörper auf sein Hemd gebettet. Das Mädchen zuckte zusammen, als sich plötzlich die Augen des Barons öffneten. Seine wunderschönen, blauen Augen. „…Ida?“ Wenn es überhaupt möglich war, dann wurde ihr Gesicht noch ein wenig roter. „I-ich…Verzeiht mir, Herr Baron, a-aber…! Ihr Kammerdiener schickt mich, mit dem Auftrag Ihrer Mutter. Sie…Sie sollen unverzüglich zurück ins Schloss, da Madame von Pannwitz und ihre Tochter soeben dort eingetroffen sind!“ Alexander stützte sich auf seinen Unterarmen ab und sah wortlos zu ihr auf. Er bemerkte, wie das Mädchen vor Scham glühte und wie er es wohl mit jeder Bewegung seiner Muskeln einen Schritt näher zur Verzweiflung brachte. Also richtete er sich auf und streckte sich erst einmal. Wieso konnte sie nur kein Junge sein? Gemütlich hob Alexander sein Hemd auf und zog es sich über. Er überlegte eine Weile, ob er es sich von dem Dienstmädchen zuknöpfen lassen sollte, aber das wollte er ihr – und sich – dann doch nicht antun. Schmunzelnd stellte er schließlich fest, dass er jetzt wohl besser etwas sagte, da sein Gegenüber sonst noch vor Anspannung zusammenbrach. „Ist gut. Wenn es unbedingt so dringend ist.“ Ida seufzte auf, als wenn sie die ganze Zeit über das Atmen vergessen hätte. „Gehen wir also.“ „Ja-jawohl, Herr Baron.“ Mit einigem Abstand, wie es ihr beigebracht worden war, folgte Ida ihrem Herrn, der das Pferd führte, hinauf auf die Straße. Sie waren ein Weilchen gegangen, da drehte sich Alexander zu seiner Begleitung herum. „Wieso läufst du so langsam?, ich dachte wir müssen uns beeilen.“ Die Augen des Mädchens weiteten sich betroffen, und sie konnte es nicht vermeiden, dass sich ihre Wangen erneut röteten. „Ver-verzeihen Sie vielmals.“, brachte sie, fast schon verzweifelt, heraus. Alexander musste lachen. Aber er wollte nicht so gemein sein. „Komm her. Ich helfe dir aufs Pferd.“ Ida blieb fast das Herz stehen. „N-nein! Das können Sie doch nicht…! Sie sollten nicht einmal mit mir sprechen! Die Leute schauen schon…!“ „Dann lass sie doch.“, entgegnete Alexander amüsiert, „Jetzt komm schon her.“ „So-sofort, Herr Baron von Humboldt.“, brachte sie heraus und er hievte sie aufs Pferd. Kaum betraten die beiden das Anwesen Tegel, da sprang Ida vom Pferd ab und verschwand mit hochrotem Kopf, unendlich vielen Verbeugungen, aber einem nicht unverkennbaren Grinsen auf dem Gesicht, zwischen den Büschen. Sofort kam auch der Stallbursche angelaufen, um Alexander das Pferd abzunehmen. Als der junge Baron dem Jungen hinterher sah, seufzte er. Er hatte so viele Gelegenheiten…Ludwig sah, im Grunde genommen, auch noch recht annehmlich aus; gut, er war nicht wirklich nach seinem Geschmack, viel zu groß und die roten Haare mochte er nicht…außerdem!, er hatte sich geschworen, es zu vermeiden, eine derartige Beziehung, die auf Bezahlung und Abhängigkeit beruhte, wie er sie mit den Jungen in der Scheune hatte, niemals mit nur einer einzigen Person zu beginnen, die dazu noch seine wirkliche Identität kannte. Es musste Vertrauen da sein, kein Zwang… Wäre Robert nur nicht so alt und hässlich…! Alexander schrak zusammen, als ihn eine Hand am Hosenbund packte und ihn grob in sein Zimmer zerrte. „Was haben wir uns nur wieder dabei gedacht, Alexander, hm?“ „Robert, ich kann doch nichts dazu…!“, verteidigte sich der Baron, „Woher sollte ich denn wissen, dass unsere Gäste schon so früh– “ Er brach ab, als sein Kammerdiener ihm das Hemd aufriss, sodass sämtliche Knöpfe durch den Raum flogen. „Robert?“ Gnadenlos folgte seine Hose, die der andere hinab bis über die Knie schob. „R-Robert, was…?!“ Der Ältere richtete sich wieder vor ihm auf und blickte ihn mit einem verschmitzten Grinsen an. „Ich habe das Wasser für ein Bad schon eingelassen. Was dachten Sie denn?“ Alexander lachte erleichtert auf. „Nichts.“, meinte er, doch ein wenig verlegen. Dass Robert hässlich wäre, hatte er nie ernst gemeint. „Beeilen Sie sich, dass Sie in die Wanne kommen, auf, auf! Wir haben nicht ewig Zeit!“ Eilig wurde der junge Baron von seinem Kammerdiener gewaschen, abgetrocknet und eingekleidet. „Muss das sein?“, fragte Alexander und betrachtete wehleidig den Gehrock, den ihm Robert entgegenhielt. „Ja, Ihre Mutter besteht auf die feinste Garderobe. Immerhin haben wir einen Leutnant im Haus, mit dem Sie mithalten müssen.“ Überrascht drehte sich der Baron zu seinem Diener herum. „Ein Leutnant?! Ich dachte, es kommen nur die Madame und ihre Tochter?“ Robert schenkte ihm zur Antwort nur ein überschwängliches Lächeln. „Bestimmt so ein alter Kauz; mir sagt das Soldatentum sowieso nicht zu.“ Als Roberts Grinsen noch ein wenig überschwänglicher wurde, wurde Alexander langsam skeptisch. Kapitel 6: VI ------------- In einer glattgebügelten, engen Hose mit weitem Schlag und einem zweireihig geknöpften dunklen Rock mit goldenen Knöpfen und aufgestelltem Kragen, worunter er ein seidenes Halstuch trug, betrat Alexander den Salon. Bei seinem Anblick verziehen ihm die Madame und ihre Tochter sofort seine Unpünktlichkeit; seine Mutter war weniger beeindruckt, was sie ihn mit einem ihrer härtesten Blicke wissen ließ. „Ah, da ist er ja endlich.“, gab sie kühl von sich, bevor sie sich wieder an ihre Gäste wandte: „Ich darf letztendlich vorstellen: Mein jüngster Sohn, Alexander.“ Alexander lief zuerst auf die Madame zu, um ihr einen Handkuss zu geben, bevor er so reumütig, wie es ihm möglich war, um Entschuldigung bat. „Nun, wichtig ist, dass es Ihnen gut geht. Wir machten uns schon Sorgen.“ „Aber nicht doch.“, entgegnete er, bevor er sich der jüngeren Dame zuwandte. Und schon als er den von Robert angekündigten Leutnant hinter ihr aus dem Augenwinkel sah, war er mit den Gedanken nicht mehr bei ihr. So bekam er nicht mit, wie sie ihre Mutter stolz mit „Meine Tochter Dorothea.“ vorstellte, küsste nur stumm ihre Hand und merkte nicht, wie sie dabei schüchtern lächelte, wie hübsch ihr Gesicht eigentlich war, wie prächtig ihr Kleid, dafür, dass die Pannwitz nicht dafür bekannt waren, im Geld zu schwimmen. So schnell wie möglich machte er sich stattdessen von ihr los, um sich voll und ganz dem Leutnant zu widmen. Dieser war nämlich keineswegs ein alter Kauz, sondern ein junger Mann, ein bildhübscher junger Mann mit rundem, kindlichen Gesicht, wunderbar klaren blauen Augen mit langen schwarzen Wimpern, die ihn gerade so aufmerksam ansahen, und schöneren Lippen, als alle Frauen hier im Raum zusammen hatten. „Alexander von Humboldt.“, stellte er sich mit einer leichten Verbeugung und möglichst fester Stimme vor. Der junge Leutnant nickte anerkennend, verbeugte sich seinerseits; wie Alexander feststellte, mit einem entzückend schüchternen Lächeln. „Heinrich von Kleist, der Neffe der Madame.“ Die Stimme des Mannes klang unheimlich weich, sodass der Baron ihn gerne aufgefordert hätte, weiterzusprechen. „Schön, dann können wir uns setzen.“, beschloss die Baronesse und wies auf die Sitzgelegenheit zu ihrer Rechten, wo Sessel und Kanapee um einen kleinen Tisch herum standen, auf dem Tee serviert werden konnte. Nachdem die Baronesse auf ihrem Lehnsessel Platz genommen hatte, bat sie die Madame von Pannwitz, sich mit ihrer Tochter zu ihrer Rechten auf dem Kanapee zu setzen, während Wilhelm Alexander auf den Sessel genau gegenüber zuschob. Auf einem Stuhl nahm Caroline Platz, dann konnte sich Alexander – musste sich Alexander – setzen. „Aber, Wilhelm“, fing er an, „Was ist denn mit dir und Herrn von Kleist?“ – Er warf dem jungen Leutnant einen Blick zu, den dieser unfreiwillig erwiderte. Noch bevor Wilhelm, was man seinem Gesichtsausdruck schon ansah, beginnen konnte, zu beteuern, dass das so schon in Ordnung gehe, kam ihm die Madame von Pannwitz zuvor. „Ach was!“, rief sie, „Heinrich ist ein Soldat, der kann stehen.“ Ihr Grinsen dazu wirkte fast schon ein wenig gehässig. Bevor richtig ein Gespräch aufkommen konnte, betrat Rousseau den Salon und brachte zusammen mit Richard und Ludwig den Tee und die Kekse. „Danke, Rousseau.“, verabschiedete ihn die Baronesse, als alle versorgt waren, „Wir wären dann in einer Stunde bereit, uns im Speisesaal einzufinden.“ „Sehr wohl.“ Mit einer tiefen Verbeugung schloss der Butler die Tür. Im Folgenden trank man also seinen Tee, während die Madame und ihre Tochter ein paar Komplimente bezüglich des Schlosses, des Interieurs und des Personals machten, die die Baronesse und vornehmlich Caroline bezüglich der Erhaltenen Jugend der Madame und der Schönheit ihrer Tochter zurückgaben. „Und so ein reizendes Kleid!“, merkte Caroline entzückt an, „Sieht Dorothea darin nicht fabelhaft aus, Alexander?“ Der junge Baron nahm es sich heraus, der jungen Frau lediglich mit einem großzügigen Lächeln zuzunicken. – Was seine Schwägerin jedoch nicht zufriedenzustellen schien. „Wer hat Ihnen denn Ihre Frisur gemacht, meine Liebe?, das ist ja traumhaft!“ Alexander wandte seinen Kopf ein wenig herum und nahm noch einen Schluck Tee. Er ärgerte sich darüber, dass er mit dem Rücken zum Raum saß und so den jungen Leutnant aus den Augen verloren hatte. Aber er hörte ihn leise sprechen. Beziehungsweise hörte er meist seinen Bruder sprechen, der junge Mann antwortete nur gelegentlich. Wilhelm musste mit ihm wohl gerade vor den Fenstern entlanglaufen. „Nicht, Alexander?“ Der junge Baron schreckte innerlich hoch, ließ sich seine Irritation jedoch nicht sonderlich anmerken. So nickte er kurz, bevor er selbst zu reden begann, was hier seiner Meinung nach die beste Möglichkeit zur Verteidigung war. „Mich hat nur erstaunt, dass Sie doch nicht, wie angekündigt, zu zweit gekommen sind.“ „Oh, ich kann mich nicht oft genug dafür entschuldigen, glauben Sie mir!“, versetzte Madame von Pannwitz sofort, „Aber dieses unnütze Anhängsel habe ich nun wieder, seit Heinrich kein Berufssoldat mehr ist.“ Sie wirkte sehr betroffen. „Er war noch nicht einmal erwachsen, da sind ihm Vater und Mutter gestorben und haben ihm kein Erbe hinterlassen!“, sie seufzte, „Meine Schwester war schon immer eine Träumerin gewesen, aber dass sie sich auf so einen eingelassen hat, nun ja, es musste ja so kommen.“ „Oh, schrecklich.“, gab die Baronesse von sich, gerade recht in die Pause hinein, die die Madame für Mitleidsbekundungen gesetzt hatte. „Ja, das ist es.“, fuhr sie leidend fort, „Ich müsste mich nicht um ihn sorgen, aber so bin ich nun mal. Immerhin bin ich seine Tante, die einzige Verwandtschaft, die er noch aufzuweisen hat.“ „Ach, Leutnant von Kleist ist also Ihr Cousin?“, wandte sich Alexander unbeeindruckt an Dorothea. Die junge Frau nickte schüchtern und schenkte ihm ein herzliches Lächeln. „Da wundere ich mich, dass Sie sich mit ihm nicht vermählen, immerhin ist er doch ein Leutnant; die Armee hat einen guten Ruf.“ „Aber Heinrich nicht!“, lachte die Madame und winkt sofort ab, „Er kommt als Heiratskandidat für meine Tochter natürlich nicht in Frage, schon von Anfang an nicht! Er ist, gelinde gesprochen, ein Nichtsnutz. Genauso ein Träumer, wie seine Mutter einst war.“ Sie schüttelte den Kopf. „Nein, wirklich nicht. Außerdem“, ergänzte sie, wobei sie Alexander plötzlich ein schmeichelndes Lächeln schenkte, „ist meine Tochter viel zu gut für ihn. Mein Dorothea-Schätzchen ist für Höheres bestimmt, nicht?“ Damit tätschelte sie ihrer Tochter die Schulter, die schüchtern ihren Kopf senkte. Natürlich. Alexander konnte nur nicken. Schon als er an jenem Morgen von seiner Mutter von diesem Besuch erfahren hatte, wusste er, was ihm bevorstand. Wieder einmal würden harte Tage auf ihn zukommen, in denen alle ihm beweisen wollten, dass Dorothea genau die Richtige für ihn sei, während er allen genau das Gegenteil beweisen musste. -------------------- Da ist er endlich: Heinrich! Und der restliche Besuch^^ Kapitel 7: VII -------------- Es war still am Esstisch. Die Gesellschaft aß, nur das Klappern des Geschirrs war zu hören. Alexander bemerkte den verärgerten Blick seiner Mutter sehr wohl, den sie ihm schon die ganze Zeit zuwarf. Er konnte es ihr nicht verübeln, empört darüber zu sein, dass er ganz und gar nicht auf die ihm von ihr und Caroline vorgelegten Schmeicheleien für Dorothea einging und sich stattdessen mehr für das Schicksal des Herrn von Kleist interessierte. Nun, genau genommen nicht nur für dessen Schicksal… Der junge Baron saß der jungen von Pannwitz gegenüber, aber sein Blick flog regelmäßig die Tafel entlang, wo an ihrem Ende der Leutnant saß, in seiner wunderschönen Uniform. Normalerweise hatte Alexander ja wenig für Uniformen übrig, aber diese Uniform hatte einfach nur das Glück vom attraktivsten und entzückendsten Soldaten ganz Preußens getragen zu werden. Von einem jungen Mann, der – dafür, dass er nach der Madame keinerlei Tischmanieren besäße, wofür sie sich schon im Voraus entschuldig hatte – außerordentlich grazil seine Suppe auslöffelte, den Löffel fast küsste mit seinen vollen Lippen, sodass Alexander sich nichts sehnlicher wünschte, als eben dieser Löffeln zu sein. Ein Räuspern von Wilhelm, der neben ihm saß, brachte ihn wieder zur Besinnung, und er stellte fest, dass es von ihm wohl eher erwartet wurde, Dorothea mit solch einem Blick zu bedenken. Sofort wandte er sich also seinem Gegenüber zu. Dorothea von Pannwitz war nicht hässlich, keineswegs. Eigentlich war sie recht hübsch. Ihre Augen waren kastanienbraun, ihre Haare dunkel, hochgesteckt; alles sehr dezent. Ihr Dekolleté auch. Wenigstens etwas. Er war schon Frauen gegenübergesessen, da war alles geradezu übergequollen. Bei diesem Anblick überkam ihn regelmäßig ein Würgereiz. Mit Dorothea konnte man also schon einmal bei Tisch sitzen und essen, weil man nicht würgen musste. Die perfekte Voraussetzung für eine Ehe. „Sie studieren, Dorothea, habe ich gehört?“ Alexander zuckte bei diesem Versuch seiner Schwägerin, eine Konversation aufkommen zu lassen, zusammen. „Ja.“, antwortete das Mädchen und tupfte sich kurz mit der Servierte über die Lippen, „Naturkunde. Ich liebe die Natur.“ Caroline nickte anerkennend in Alexanders Richtung. „Oh, Sie etwa auch, Herr Baron?“, fragte da Dorothea ganz überrascht, als wenn es ihr ihre Mutter nicht schon längst erzählt hätte. Alexander hasste es, wenn alle Blicke auf ihm ruhten, und Erwartungen an ihn gestellt wurden, die er nicht erfüllen konnte. Wollte. „Ja, aber ich habe es nicht studiert.“, antwortete er zögerlich, „Das heißt: Im allgemeinen Wortsinn nicht studiert, wobei ich persönlich ja glaube, dass sich an der Universität alles studieren lässt, das richtige Wissen aber nur die Studien des Lebens vermitteln.“ „Das…das haben Sie schön gesagt.“, gab Dorothea etwas kleinlaut von sich. Gut. Er hatte also wieder das Falsche gesagt. Die Blicke der anderen machten es ihm deutlich. Um sich irgendwie aus der Sache wieder herauszuwinden, tat er das erstbeste, was ihm einfiel, und schenkte seine Aufmerksamkeit demjenigen, dem er sie auch wirklich schenken wollte. „Und was machen Sie, Herr von Kleist?“, fragte er mit einem Lächeln an den jungen Leutnant am Ende der Tafel gewandt. Bevor dieser vor lauter Erstauntheit, angesprochen worden zu ein, etwas erwidern konnte, fuhr Madame von Pannwitz mit einem nervösen Lachen dazwischen. „Ach, Heinrich! Wer interessiert sich denn jetzt für Heinrich!“ „Ich“, antwortete Alexander trocken, ohne seinen Blick von Kleist abgewandt zu haben, „Sonst hätte ich wohl kaum gefragt.“ Eine Weile herrschte eine dem allgemeinen Erstaunen geschuldete Stille an der Tafel, sogar Richard, der gerade die Suppenteller abräumte, hielt inne. Dies gab dem jungen Leutnant die Chance zu einer Antwort. „I-ich studiere – Mathematik u-und Physik…“ „Oh“, entgegnete Alexander erstaunt, „Das ist ja wunderbar! Vielleicht können Sie mir weiterhelfen mit dem Wasserdruck, den ich schon eine längere Zeit versuche, gewässerbezogen zu berechnen, da ich die Auswirkung desselben auf die Vegetation beobachten will.“ Alexander freute sich außerordentlich, als das schüchterne Lächeln des anderen zu einem tatenfreudigen Grinsen wurde. „A-aber selbstverständlich will ich Ihnen – werde ich Ihnen behilflich sein! Schon immer – also, ich meine – angewandte Wissenschaften, das…das ist es, was mich – außerordentlich– “ „Gott, Heinrich!“ Alexander warf der Madame einen ärgerlichen Blick zu, während ihr Neffe sofort verstummte und beschämt aufs Tischtuch starrte. „Verschone uns bitte mit deinem Kauderwelsch!“, schalt sie ihn, bevor sie sich mit einem mitleidserregenden Lächeln an die anderen wandte: „Schon wie oft habe ich versucht, seine Rhetorik und Aussprache zu verbessern, aber er ist ein hoffnungsloser Fall. Ich bin untröstlich.“ Das Lächeln erstarb ihr, als sie sich wieder an ihren Neffen richtete: „Es ist schrecklich, dir zuzuhören!“ „Ist es nicht.“, widersprach ihr Alexander zum Entsetzen aller Anwesenden, bevor er dem jungen Leutnant ein Lächeln zuwarf, „Es ist sogar sehr angenehm, Ihnen zuzuhören, Herr von Kleist. Reden Sie weiter.“ Der junge Mann wusste nicht, wie ihm geschah, was er nun tun sollte, auf wen hören, da unterbrach zum Glück die Baronesse die angespannte Stimmung, indem sie in die Hände klatsche. „Ah, der Hauptgang!“, rief sie, erfreut über Rousseaus Pünktlichkeit, und bis zur Nachspeise verlief das Dinner ohne weitere Komplikationen, da Alexander sich vornahm, sich aus allem herauszuhalten. Als das Sorbet und die Früchte auf dem Tisch standen und man nach Ausschweifungen in Politik und Mode wieder zum Punkt kommen wollte – der, zwar nie offiziell angegeben, aber jedem doch deutlich, die Anpreisung Dorotheas war – versuchte die Baronesse das Gespräch wieder in ebendiese Bahnen zu lenken. „Ich hörte, Ihre Tochter war letzten Sommer in Paris?“, fragte sie, an ihre Tischnachbarin gewandt. „In der Tat, das war sie.“, bestätigte Madame von Pannwitz mit ein wenig Stolz in ihrer Stimme, „Mit dem Orden. Die Nonnen waren ganz entzückt von ihr, nicht Liebes?“ „Ach, Mama…“, gab Dorothea beschämt von sich und senkte schüchtern ihren Blick. Alexander musste feststellen, dass ihn diese Geste kein bisschen berührte, anders wenn sie jedoch von ihrem Cousin kam, denn dann erinnerte der junge Mann ihn immer an die Jungen, die stets ebenso beschämt ihren Blick gesenkt, wenn er sich vor ihnen entblößt hatte. Schnell nahm er einen weiteren Bissen von der Wassermelone. „Mein Bruder war auch in Paris.“, meldete sich Wilhelm zu Wort. Alexander nickte, erleichtert, dass er gerade den Mund voll hatte. „Man sagt doch, es sei die Stadt der Liebe.“, mischte sich erbarmungslos seine Schwägerin ein. Dorothea sah etwas unglücklich drein. „Davon habe ich nichts bemerkt.“ Alexander hatte endlich geschluckt. „Nicht?“, fragte er, und ein kleiner Teil seiner Erstauntheit war echt, „Haben Ihnen die Männer nicht auf der Straße Handküsse nachgeworfen? Ich hatte den Eindruck, dass die Pariser Männer ziemlich schnell für eine Romanze zu haben sind.“ „Alexander…!“, zischte die Baronesse entrüstet, doch Madame von Pannwitz versuchte vom geschockten Gesicht ihrer Tochter mit einem gutmütigen Lächeln abzulenken. „Ich verstehe Ihre Bedenken, Herr von Humboldt, aber ich kann Ihnen versichern, dass meine Tochter stets ein pietätvolles Leben geführt hat. Nicht umsonst durfte sie den Orden begleiten. Seien Sie versichert, dass sie ein reines Herz hat und sich vollkommen für ihren zukünftigen Ehemann aufbewahrt.“ Alexander versuchte, sein Gesicht nicht zu sehr über die allgemein an den Tag gelegte Zweideutigkeit zu verziehen, und brachte stattdessen ein Lächeln zustande. „Dann kann er sich ja glücklich schätzen, ihr zukünftiger Ehemann.“ Madame von Pannwitz und Dorothea lächelten zufrieden. Alexander hasste es. Jedes Mal redete man um den heißen Brei herum. Wieso konnte es nicht so laufen, dass Vater oder Mutter mit ihrer Tochter auftauchten, die wichtigsten Fragen geklärt würden: »Ist sie noch Jungfrau?«, »Ja.«, »Sehr schön. Willst du sie heiraten, Alexander?«, »Nein.«, und dann auf Nimmerwiedersehen. Damit würde man sich einiges ersparen. So musste der junge Baron noch den gesamten Nachmittag mit Dorothea verbringen, lief mit ihr durch den Garten, musste sich mit ihr über die Pflanzen unterhalten, ihr Blumen pflücken, ihre Hand halten, als sie über die Brücke liefen… „Ist sie nicht ein liebes Mädchen?“, meinte die Baronesse voller Entzückung beim Abendessen, als schon alle vollkommen davon überzeugt waren, dass das Alexanders zukünftige Braut war. Dabei hatte der junge Baron gar keinen Kopf für die junge Frau und sah an der Heirat mit ihr nur einen einzigen Vorteil: Er würde mit diesem wunderbaren jungen Mann verwandt sein. Spät abends war es dunkel im Schloss, nur in wenigen Zimmern brannte das Licht. Das Bett des jungen Barons war noch leer. Aus dem Bad war hin und wieder ein genießerisches Seufzen zu hören. „Sie waren total verspannt, Alexander. War es wirklich so schlimm heute?“ Der Baron nickte nur flüchtig und neigte seinen Kopf etwas mehr nach vorne, um die massierenden Handgriffe seines Kammerdieners besser genießen zu können. „Sie werden wohl nicht so bald wieder abreisen.“, mutmaßte Robert. „Nnn…Jah…“ Der Kammerdiener musste schmunzeln, als er sah, dass Alexanders Hände im Badewasser verschwunden waren. „Ich dachte, wir hätten ausgemacht, dass meine Dienste nur Ihrer Entspannung dienen sollen, nicht Ihrer sexuellen Befriedigung.“ „Keine Angst“, brachte Alexander heraus, „es liegt nicht an dir.“ Robert lachte leise. „Da bin ich aber beruhigt. Gehen Ihnen die Jungen nicht aus dem Kopf? Sie waren jetzt immerhin seit drei Tagen nicht mehr in der Scheune.“ Alexander stöhnte auf. „D-du weißt doch gen – ah… genau, w-was los…los… – ahh! …hah…“ Mit einem Lächeln auf dem Gesicht sah Robert zu, wie sein Herr sich erschöpft zurück an den Badewannenrand sinken ließ. Alexander hatte die Augen geschlossen und sein Brustkorb hob und senkte sich noch ziemlich schnell. „Die Kleider für heute Nacht liegen auf Ihrem Bett.“ „Danke.“ „Kann ich noch etwas für Sie tun, Alexander?“ Der Baron strich sich die Haare aus der Stirn. „Danke, Robert.“ „Dann wünsche ich Ihnen eine erholsame Nacht, Alexander.“ „Danke, dir auch.“ ----------------------- Robert kann man sich jetzt bei den Illustrationen anschauen :) Kapitel 8: VIII --------------- Als Robert am nächsten Morgen das Zimmer des jungen Barons betrat, glaubte er noch zu träumen: Alexander war wach. Er saß aufrecht im Bett, zwar noch nackt, aber seine blauen Augen funkelten, sein Gesicht zierte ein munteres Grinsen. Ja, er war definitiv wach. „Nanu, Sie überraschen mich, mein Herr.“, machte der Kammerdiener auf sich aufmerksam, da der andere ihn anscheinend nicht zu bemerken schien. Da drehte sich Alexander endlich zu ihm herum und sprang voller Tatendrang auf. „Guten Morgen, Robert!“, rief er freudig und brachte den Diener ein wenig aus der Fassung, als er ihm einen Kuss auf die Wange drückte, „Einen wunderschönen guten Morgen!“ So langsam schlich sich ein Grinsen auf Roberts Gesicht und er lief hinüber zum Stuhl, über dem die Kleider lagen. „Ich entnehme Ihrer guten Laune, dass ich entweder meine Massagekünste optimieren konnte, oder eine andere Person in diesem Haus diese erquickende Wirkung auf Sie hat.“ „Beides, Robert, beides.“, entgegnete Alexander und ließ sich bereitwillig ankleiden. „Darf ich meinen Sonntagshut verwetten, dass es nicht die junge von Pannwitz ist?“ „Dein Sonntagshut ist dir sicher.“ Als Robert den Gehrock abgebürstet hatte und jeden Knopf geschlossen, blieb er vor Alexander stehen und sah auf ihn hinab. Dieser kannte den Blick, den der Kammerdiener ihm zuwarf; Robert war aufs mütterlichste besorgt. „Alexander“, fing er an. „Ich weiß.“, entgegnete der junge Baron und wandte sich, kein bisschen in seinem Freudentaumel angehalten, ab, „Aber heute lass ich mir das Grinsen nicht vertreiben. Es wird niemandem gelingen, es mir aus dem Gesicht zu wischen, solange ich nur ein paar Worte mit dem Leutnant wechseln kann.“ Robert seufzte, kam um ein Lächeln aber nicht herum. Und so musste er zusehen, wie Alexander fröhlich pfeifend sein Zimmer verließ. Beseelt kam der junge Baron unten in der Halle an, gebot sich selbst Einhalt, als er dort unten seine Familie erblickte, und lief den letzten Teil der Treppe gesittet hinunter, ohne gleich drei Stufen auf einmal zu nehmen. Doch als er unten angekommen war, verflog seine gute Laune sofort wie ein aufgescheuchter Vogel, als er die Koffer erblickte. „Guten Morgen, Alexander. Schön, dass du doch noch erscheinst.“, begrüßte ihn seine Mutter. Ihren Gruß konnte er nur halbherzig erwidern, bevor er sofort den Grund dieser Versammlung zu erfahren suchte. Caroline war es, die ihm mit einem fast schon stolzen Lächeln antwortete. „Heute Morgen ist ein Schreiben vom Magdalenenstift in Altenburg mit der Eilpost angekommen, das Dorothea einlädt, an diesem Sonntag ihre Ehrung zu empfangen!“ „Das…das heißt?“, musste Alexander nachfragen. „Meine Tochter wird Ehrenmitglied des Ordens!“, verkündete Madame von Pannwitz. „Wir freuen uns mit dir, Mädchen“, meldete sich die Baronesse zu Wort, „aber bedauern es natürlich, uns schon wieder von dir trennen zu müssen.“ „Oh. So?“, gab Alexander von sich und konnte es nicht vermeiden, dass sein Blick zu Herrn von Kleist glitt, der hinter den beiden Frauen stand und schon ihre Koffer in der Hand hatte. „Jaja“, antwortete ihm Dorothea mit einem leidenden Lächeln, „Aber Ihre Mutter war so gütig und großzügig, uns nächste Woche wieder zu empfangen, und dann werden wir alle Versäumnisse nachholen können.“ Entgeistert sah Alexander zu seiner Mutter. Wahrscheinlich könnte ihn gerade nur Robert lesen und würde verstehen, zwischen welch Freud und Leid er gleichzeitig hin- und hergerissen war. „A-aber…ein Kloster…!“, begann der junge Baron ein wenig ungeschickt, woraufhin ihm nur unverständliche Blicke zuteilwurden. „I-ich meine: Ein Nonnenkloster!“, machte er deutlicher, auf was er hinaus wollte, „Da kann Herr von Kleist doch unmöglich unterkommen.“ „Selbstverständlich nicht.“, entgegnete die Madame etwas irritiert, „Heinrich wird in einem Gasthaus schlafen. Es wird sich schon eines finden.“ „Ich möchte Ihre Pläne nicht infrage stellen, Madame“, begann Alexander auf ein Neues, „aber wäre es nicht weit bequemer für alle Beteiligten, bliebe Herr von Kleist gleich bei uns?“ Die Madame winkte sofort ab. „Diesen Quälgeist will ich keinem zumuten.“ Doch die Baronesse schüttelte den Kopf. „Aber nicht doch, meine Liebe, tun Sie dem jungen Mann kein Unrecht. Er ist doch ganz umgänglich, und ich bin sicher, es wird uns nicht allzu viel Mühe kosten, ihn bis zu Ihrer Rückkehr bei uns unterzubringen.“ Alexanders Glücksgefühl schwappte wie warmer Tee wieder in seinem Magen umeinander. Er sah an der Madame vorbei, die sich gerade geschlagen gab, und fing den Blick des Leutnants ein, der anscheinend ebenfalls glücklich darüber war, der Tyrannei seiner Tante für ein paar Tage entfliehen zu können. Alexanders Glücksfee schien ihn heute verwöhnen zu wollen, denn beim Frühstück durfte er Kleist sogar gegenübersitzen. Der junge Mann war wieder in seine Uniform gekleidet, die schwarzen Haare fielen ihm so weich wie eh und je in die Stirn, aber sein Gemüt wirkte viel unbeschwerter. Caroline, die sich anscheinend genötigt fand, nun mit ihm anstelle von Dorothea Konversation zu betreiben, antwortete er stets höflich, aber knapp, während er Alexanders Fragen mit einem sonderlichen Ehrgeiz beantwortete, wozu er stets mit Händen und Füßen Erläuterungen anstellte. Etwas, was Alexander einfach nur entzückend fand. Ebenfalls reizend war die Sorge gewesen, mit der der Leutnant die Baronesse bezüglich der Medizin, die sie wie jeden Morgen zu nehmen hatte, befragte, was dieser natürlich mehr als peinlich war. „Ich bin ein wenig krank, kein Grund sich zu sorgen, wirklich nicht.“ Herr von Kleist nickte leicht, sah zu Alexander. Dieser wollte gerade etwas erwidern, irgendetwas darüber, wie lieblich die Gesichtszüge des jungen Mannes aussahen, wenn sie von vielerlei Emotion umspielt waren, doch da wurde die Gesellschaft durch laute Schritte auf dem Gang hochgeschreckt und das Frühstück schließlich durch einen aufgewühlten Rousseau unterbrochen. „Entschuldigt vielmals, Baronesse von Humboldt, aber unten in der Halle ist ein Mann, der schwerlich davon abzuhalten ist, ohne Ankündigung hier hinaufzu– “ Mit bleichem Gesicht wandte sich Rousseau um, als vom Flur die Schreie der Mamsell zu hören waren, das Poltern von Schritten und schließlich ein hochgewachsener Mann im Essenssaal stand. Mit einem unwirklichen Grinsen breitete er seine Arme aus und schritt auf die Baronesse zu, die auf ihrem Stuhl wie festgefroren war. „Guten Morgen, Mama.“, begrüßte er sie überschwänglich mit einem Handkuss und löste damit bei allen Anwesenden blankes Entsetzen aus. ------------------- So, für ST gilt das Gleiche wie für VLE: Bis Mitte nächster Wocher keine neuen Kapitel, da ich weg bin, dann geht's wie gehabt weiter^^ Aber es darf während meiner Abwesenheit natürlich gerne spekuliert werden, wer dieser plötzliche Überraschungsgast ist und was er will :) Kapitel 9: IX ------------- Es war still im Raum. Keiner sagte etwas, alle Augen waren auf den Überraschungsgast gerichtet. Der blickte mit seinem steifen Grinsen in die Runde und doch sah man, dass er sich prächtig amüsierte. „Du solltest mich vielleicht einmal vorstellen, Mama, meinst du nicht?“, sagte er. Die Baronesse nickte. Alexander bemerkte, dass sie erst schlucken musste, bevor sie antwortete. „Ferdinand von Hollwede, mein Sohn aus erster Ehe.“ „Erster und einziger Sohn – aus erster Ehe.“, präzisierte der Mann. Ferdinand von Hollwede sah man das Alter an, das er Wilhelm und Alexander voraus hatte. Er war 38, von großer, schmaler Gestalt, seine Haare waren kurz und blond, seine Augen ein grünes Grau. Er trug einen Gehrock, in den das Hollwedesche Wappen eingestickt war, und der für seinen Körperbau eher unvorteilhaft wirkte. Insgesamt sah man seiner Kleidung an, dass er anscheinend nicht das Geld dafür hatte oder die Notwendigkeit darin nicht erkannte, sich etwas Besseres anzuschaffen. Dort, wo die Gesichter Wilhelms und Alexanders die rundlicheren, weicheren Züge ihres Vaters hatten, war sein Gesicht spitzer, und Lippen und Nase so schwach gezeichnet, wie bei seiner Mutter. Ferdinand von Hollwede war, im Vergleich zu Wilhelm und vor allem Alexander von Humboldt, kein schöner Mann. „Ferdinand…“ Die Baronesse war sichtlich noch nicht wieder Herrin der Lage, aber sie gab ihr Bestes. „Wie lange haben wir uns schon nicht mehr gesehen…“ „In der Tat, Mama.“, erwiderte ihr Sohn und blickte sich im Raum um, als wenn er nach etwas Vertrautem suchte, „Genau vor dreißig Jahren, fünf Jahre nach Vaters Tod, hast du mich mit einem Kuss auf die Stirn unten am Eingang verabschiedet.“ Plötzlich sah er sie wieder an. „Und stell dir vor: Ich bin von der Armee tatsächlich als Offizier zurückgekehrt!“ „Oh, wie…“ Die Baronesse zwang sich mehr zu einem Lächeln, als dass es ihr vor lauter Erstauntheit von selbst gelingen wollte. „Rittmeister Ferdinand von Hollwede.“, bemerkte ihr Sohn, und Alexander war sich noch nicht einmal darüber sicher, ob der Stolz in seiner Stimme nicht auch aufgesetzt war. „Großartig!“, erwiderte die Baronesse, „Wieso hat mir niemand davon etwas geschrieben?“ Ferdinand zuckte übertrieben mit den Schultern. „Wenn du es nicht weißt.“, meinte er, bevor er wieder in die Runde sah. „So…!“, fing er an, „Dann will ich doch einmal nicht länger unhöflich sein und meine lieben Verwandten begrüßen.“ Wilhelm, der sich schon die ganze Zeit über wenig beeindruckt von jenem Spektakel zeigte, erhob sich und verneigte sich mit einer Höflichkeit, die nur er in solch einer Situation aufbringen konnte, vor seinem Halbbruder. „Wilhelm von Humboldt. Sehr erfreut.“ Vom einen auf den anderen Moment machte auch Ferdinand ein würdevolles und ernstes Gesicht, mit dem er sich ebenfalls verneigte. „Die Freude ist ganz meinerseits.“ Wilhelm fuhr damit fort, ihm Caroline vorzustellen, die ihm gegenüber saß, und der Ferdinand einen Handkuss zur Begrüßung gab. „Eine wunderschöne Frau, Wilhelm, wirklich.“, versetzte der Rittmeister, „Sicher habt ihr unsere Mama schon zur Großmutter gemacht.“ „Wir haben eine kleine Tochter.“, antwortete Caroline, die entweder genauso gut wie ihr Mann die überzeugend aufgesetzte Höflichkeit beherrschte, oder einfach nicht verstand, dass Ferdinand ihnen gegenüber diese Höflichkeit vermissen ließ. „Und wen haben wir hier?“ „Alexander.“, stellte sich eben dieser mit einem Kopfnicken vor. „Alexander! Hieß so nicht auch Ihr Vater? So hieß er doch, oder Mama, der Herr Baron von Humboldt?“ „So hieß er, ja.“, antwortete die Baronesse knapp. „Ich habe ein Bild von ihm im Regiment gesehen.“, fuhr Ferdinand fort und sah von oben eindringlich auf Alexander herab. „Sie sind ihm wie aus dem Gesicht geschnitten, Alexander. Beeindruckend. Hat Ihnen das unsere Mama schon einmal gesagt?“ „Nein, hat sie nicht.“, entgegnete Alexander, der sich alle Mühe gab, dabei nicht allzu harsch zu klingen. Was erlaubte sich dieser aufgeblasene möchtegern-Rittmeister über seinen Vater zu sprechen?! „Oh, und wer ist das?“ Wie aus Reflex trat Alexander an Kleists Seite, zu dem sich Ferdinand eben herüberbegeben hatte. „Leutnant von Kleist.“, stellte er ihn vor, „Er ist für ein paar Tage unser Gast.“ „Oh.“ Seltsamerweise überrascht sah Ferdinand zu seiner Mutter hinüber, „Ist dann überhaupt noch ein Zimmer für mich frei?“ Die Baronesse erhob sich. Sie hatte sich endgültig wieder gefasst. „Natürlich, Ferdinand, für dich doch immer.“, antwortete sie ihm mit einem Lächeln, das seines genau widerspiegelte. „Aber, Mama“, kam er auf sie zugestürzt, „Bleib doch sitzen.“ Fast schon sorgsam führte er sie zurück zu ihrem Stuhl und nötigte sie dazu, dort wieder Platz zu nehmen. „Ruf mir einfach einen deiner Diener. Vielleicht den schwarzhaarigen, der hat vorhin schon meine Koffer in die Halle getragen. Er soll mir ein Zimmer zeigen.“ Die Baronesse erwiderte nichts mehr, sondern nickte Rousseau, der wohlweißlich in der Tür stehengeblieben war, zu. Grinsend trat Ferdinand einen Schritt auf die Tür zu, wandte sich noch einmal um. Er tat einen großen Seufzer, während sein Blick durch den Raum und an die Decke schweifte. „Schön wieder hier zu sein, auf Schloss Tegel, dem einstigen Besitz meines werten Herrn Vaters, Gott hab ihn selig.“ Er schnalzte mit der Zunge, bevor er sich endgültig zum Gehen wandte. „Wir sehen uns beim Mittagsmahl.“ Es herrschte wieder Stille, nachdem die Tür hinter Ferdinand zugefallen war. Anscheinend getraute sich niemand zu sprechen, niemand sah sich imstande, dem Geschehenen noch etwas hinzuzufügen. Plötzlich schlug Alexander so heftig gegen seine Stuhllehne, dass seine Hand schmerzte. „Dieser verdammte…!“ „Alexander, ich sehe keinen Grund für solche Ausdrücke.“, ermahnte ihn die Baronesse. Der junge Baron konnte es nicht glauben. Fassungslos sah er sie an. In die Runde. „Ja, was glaubt ihr denn, wieso er hier plötzlich auftaucht?! Weil er Heimweh bekommen hat?!? – Er ist doch nur da, weil er weiß, dass du bald stirbst, Mama!“ „Alexander…!“, gab Wilhelm entrüstet von sich. „Nein, nein“, unterbrach ihn die Baronesse. Sie seufzte und sah zu ihrem Jüngsten auf. „Du hast ja Recht, Alexander. Wir haben alle verstanden, was er will: Das Schloss.“ Alexander schnaubte verächtlich, während sich Caroline erschrocken die Hände über dem Mund zusammenschlug. Kleist stand etwas verloren am Ende der Tafel. Wilhelm war es, der sich zuerst an seine Mutter wandte. „Wirst du ihm denn…“, begann er ein wenig unschlüssig, „Er ist der Älteste, ich meine…Wirst du ihm das Schloss überlassen?“ „Natürlich nicht!“, rief Alexander sofort und sah auffordernd zu seiner Mutter. Die schwieg jedoch, den Blick auf ihren Teller gerichtet. Da reichte es Alexander und er verließ fluchtartig den Raum. Mit einem Knall schmiss der junge Baron hinter sich die Tür zu. Wütend schlug er noch einmal dagegen, raufte sich die Haare. Eine Unverschämtheit war das, so seine Mutter zu behandeln! Sie jetzt aufzusuchen, um ihr beim Sterben zuzuschauen und dabei ihr Erbe in die Tasche zu stecken! Das entbehrte jeglichen Respekts und war einfach nur widerwärtig! „Alexander?“ „Nein!“ „Ich möchte doch nur hereinkommen.“ „Dann tu’s doch!“ „Dazu müssten Sie vor der Tür weggehen, mein Herr.“ Seufzend fuhr sich Alexander übers Gesicht, bevor er sich von der Tür wegbewegte, um seinen Kammerdiener hereinzulassen. Robert sah ihn mitleidsvoll an und führte ihn erst einmal zum Bett. „Setzen Sie sich, Alexander, beruhigen Sie sich.“ Er zog dem jungen Baron den Gehrock aus und begann seine Schultern zu massieren. „Ich habe davon gehört. Schrecklich.“ „Ja, das ist es.“, entgegnete Alexander, „Ich frage mich, woher dieser Schmarotzer überhaupt über den schlechten Gesundheitszustand meiner Mutter informiert ist?!“ „Darüber wollte ich mit Ihnen reden, mein Herr…“, fing Robert ernst an. ----------- Na, ich denke, ihr habt da auch schon einen Verdächtigen, oder? ;) Kapitel 10: X ------------- „Genau, ein Adelswappen. Ein abgeschlagener Stamm, beidseitig mit einem Ast und Blatt. Ich habe es auf dem Briefpapier gesehen, das Richard erhalten hat. Und ich habe es heute Morgen auf den Koffern Ihres Halbbruders wiedererkannt.“ „D-das heißt…“ „Dass es wohl Richard war, der Ihren Halbbruder über das Befinden Ihrer Mutter informiert hat.“ Alexander schüttelte den Kopf und erhob sich vom Bett. „Bitte, Robert. Nenn ihn einfach Ferdinand. Oder Kanaille.“ „Oh, Entschuldigung.“ Alexander winkte ab. „Schon gut.“ Er wandte sich wieder zu seinem Kammerdiener um. „Aber wieso hat Richard das getan? Was hat ihm Ferdinand dafür denn geboten?“ Robert erhob sich ebenfalls vom Bett, zuckte mit den Schultern. „Eine bessere Stelle?“ Alexander sah den anderen skeptisch an. „Noch besser als der erste Diener auf Schloss Tegel?! Was soll das sein?“ Robert schenkte ihm ein Grinsen. „Kammerdiener auf Schloss Tegel?“ Der junge Baron musste das Grinsen erwidern. Schließlich wurde er jedoch wieder ernst. „Gut. Dann hat Ferdinand Richard also angeboten, wenn er Herr auf Schloss Tegel ist, sein Kammerdiener zu werden.“ „So sieht es aus, mein Herr, ja.“ „Und dieser Halunke glaubt also wirklich, er kommt damit durch?!“ Robert sah den Baron nachdenklich an. „Was wollen Sie dagegen tun, Alexander? Denken Sie nicht, dass Ihre Mutter genau weiß, wieso Ferdinand da ist?“ „Ja, das weiß sie.“, gab Alexander widerwillig zu, „Sie hat es selbst gesagt.“ „Und meinen Sie, es ändert etwas an ihrer Meinung von Ferdinand, wenn Sie ihr erzählen, dass er durch Richard über ihren schlechten Gesundheitszustand Bescheid weiß? – Gut, sie könnte Richard entlassen…“ „Das könnte sie, in der Tat, aber das würde uns auch nicht weiterhelfen.“ „Also?“ Alexander wandte seinem Kammerdiener den Rücken zu und breitete die Arme aus. „Meinen Gehrock.“ Robert brauchte etwas, bis er verstanden hatte, denn normalerweise war er es immer, der seinen Herrn auffordern musste, sich angemessen einzukleiden. „Ich gehe nach unten.“ „Sie werden aber doch nichts Leichtsinniges tun, oder?“, fragte Robert besorgt nach, während er dem jungen Baron die Knöpfe schloss. „Nein, ich möchte mich nur für meinen plötzlichen Abgang entschuldigen.“ Roberts Augen weiteten sich. „Bei Ihrer Familie etwa?!?“ Alexander musste lachen. „Beim Leutnant.“ Robert atmete erleichtert aus. „Und ich dachte schon, Ihnen ginge es nicht gut…“ Als Alexander in den Speisesaal kam, war dieser Menschenleer. Der Tisch war mittlerweile wieder abgeräumt, die Tischdecke getauscht und die Stühle sorgfältig an ihren Platz geschoben. Also machte sich der junge Baron auf den Weg in den Salon, wo er Wilhelm, Caroline und ihre kleine Tochter antraf. Wortlos trat er auf seinen Bruder zu, da er nicht wollte, dass Caroline mithört, aber bei der Stille, die herrschte, war das fast aussichtslos. „Weißt du, wo Herr von Kleist sich aufhält?“ Wilhelm warf ihm einen erwartungsvollen Blick zu. „Ja, gut, es tut mir Leid, dass ich überreagiert habe.“, lenkte Alexander ein, „Magst du mir nun sagen, wo ich Herrn von Kleist finden kann?“ Wilhelm drehte sich auf seinem Sessel um und wandte ihm den Rücken zu. „In der Bibliothek.“, murmelte er. „Danke.“, verabschiedete sich Alexander. Als er schon an der Tür war, äußerte sich Wilhelm erneut. Alexander drehte sich noch einmal zu ihm herum. „Wie bitte?“ Sein Bruder sah zu ihm herüber. „Ich sagte, Mama musste sich hinlegen.“ „Oh.“ Ein wenig unbeholfen stand Alexander noch eine Weile im Raum, bevor er den Salon wieder verließ. Er lief die große Treppe in der Eingangshalle hinauf und bog rechts ab. Der Gang war leer; er wollte jetzt auf keinen Fall auf Ferdinand treffen. Er wusste nicht, ob es eigentlich seine Pflicht war, bei seiner Mutter vorbeizuschauen, oder ob sie ihn lieber nicht sehen wollte. Da der junge Leutnant ihn magisch anzuziehen schien, entschied er sich für Letzteres und betrat die Bibliothek. Heinrich von Kleist saß auf Wilhelms Lieblingssessel und las ein dickes Buch. Er hatte seine Beine übereinandergeschlagen und seinen Rücken gekrümmt, sodass er fast in das Buch eintauchen konnte. Sein Gesicht schien angespannt, seine Augen fixiert. Er leckte sich über die Lippen. Alexander räusperte sich. Sofort sah der junge Mann zu ihm auf, wobei er das Buch aufs Entzückendste besitzergreifend an seine Brust drückte. „Oh, Herr…Herr Baron von Humboldt…!“ Hastig erhob er sich. „Herr von Kleist, bleiben Sie doch sitzen.“ Alexander lief zu ihm hinüber und nahm neben ihm auf einem weiteren Sessel Platz. „Wenn…wenn Sie ungestört sein wollen, Herr Baron, dann…!“ „Ich möchte mich mit Ihnen unterhalten, wenn Sie das Buch eine Weile entbehren können.“ Kleist schien etwas verdutzt, setzte sich aber doch wieder und legte das Buch auf seinem Schoß ab. „Genauer genommen“, fing Alexander an, „möchte ich mich bei Ihnen für mein Benehmen heute Morgen entschuldigen.“ Kleist sah genauso überfordert aus, wie beim gestrigen Mittagessen, als er nicht wusste, was er sagen sollte. Seine Wangen nahmen wieder diesen gesunden Rotton an und ließen ihn noch ein wenig jünger aussehen. „E-entschuldigen Sie, a-aber…Ich wüsste nicht, wieso Sie sich entschuldigen – bei mir, meine ich, bei mir entschuldigen. Sollten.“ „Weil meine Familie mein schlechtes Benehmen gewöhnt ist, deshalb.“, entgegnete Alexander mit einem lieblichen Grinsen. Er war einfach nur entzückt vom Anblick seines Gegenübers. „Oh, das…“ Kleist räusperte sich, seine Finger spielten nervös mit dem Buch auf seinem Schoß. Schließlich musste er aber doch das Lächeln erwidern. Der junge Baron bekam das nur nicht so recht mit, denn er war gerade fasziniert von den Händen des Leutnants. Die Finger wirkten so grazil, die Hand so sanft…Er konnte nicht glauben, dass diese Hände jemals ein Gewehr gehalten hatten. Mit einer wohl überlegten Geste; das war es, was er sich jedenfalls einredete; griff er nach eben diesen Händen, löste die Finger mit der eigenen Rechten zärtlich vom Buch, legte sie in seine Linke. Mit der anderen Hand nahm er Kleist das Buch vom Schoß. „Was lesen Sie denn?“, fragte er mit einem Lächeln und ließ die wunderbaren Hände wieder aus seiner gleiten, bevor er zu ihrem Besitzer mit einem Lächeln aufsah. Was Alexander dort sah, ließ ihn einen Moment nicht zu Atem kommen: Kleist war verstört. Seine Augen waren geweitet, die Augenbrauen gekräuselt, die Wangen und die Ohren so rot, wie die Laschen an seiner Uniform. Aber er war nicht wütend. Er war nicht verärgert. Alexander kannte diesen Blick. Oder nicht? Er hatte ihn doch schon tausendmal gesehen, bei den Jungen, bei Ida. Da konnte er sich doch nicht hier täuschen, oder…? Kleist war Leutnant. Er war ein Mann aus dem Adel. Doch, definitiv. Sehr wohl musste er sich hier täuschen. „Herr von Kleist?“ „Ah, w…?! J-ja?“ „Ich hatte Sie gefragt, was Sie lesen?“, wiederholte Alexander und tat das, was er eigentlich vorgehabt hatte: Er besah sich den Einband des Buches. „Oh, nur…i-ich…“ „»Griechische Mythen und Heldensagen«“, las Alexander vor. „Ja, die…die Mythologie, das…das interessiert mich.“ „Mich auch.“, entgegnete der junge Baron. „Tatsächlich?!“, kam es von Kleist entzückt, „Ich finde es ganz faszinierend, wie…wie die Autoren damals noch Pathos – ausdrücken, mein ich, konnten. D-das…wenn einen das packt und…! Das konnten in unserer Zeit nur noch Schiller – und Goethe.“ „Da haben Sie Recht.“, gab ihm Alexander Recht und war wieder beeindruckt davon, wie sein Gegenüber an dieser Sache aufzublühen schien, „Pathos und Eros. Leidenschaft und Liebe. Das sind Dinge, die einen Menschen beflügeln.“ Kleist nickte zustimmend. Alexander musste darauf achten, dass ihn Pathos und Eros in diesem Moment nicht zu sehr beflügelten. Seufzend stand er auf. „Wo haben Sie das Buch denn her?“, fragte er, damit Kleist aufsprang und ihm zwischen die hohen Regale folgte. „Hier.“ Kleist blieb vor einer Lücke zwischen den Buchrücken stehen, und da Alexander ihm das Buch entgegen hob, nahm er es ihm aus der Hand, um es zurück ins Regal zu stellen. Der junge Baron lief weiter zu den Fenstern, wohin ihm Kleist folgte. „Sie sind wohl etwas überrascht, über unseren unerwarteten Gast, nicht?“, fing Alexander an, während er hinab in den Garten sah. „J-ja, das…das bin ich…ehrlich gesagt…“, antwortete ihm Kleist und stellte sich zu ihm. „Wenn Sie wollen, erkläre ich Ihnen die Zusammenhänge.“, bot er an. „I-ich will nicht…das sind Familienangelegenheiten, Herr Baron von Humboldt – ich…“ Alexander sah ihn mit einem Lächeln auf dem Gesicht an und legte ihm eine Hand an den Rücken. „Nicht doch. Sie haben das Spektakel miterlebt und es stehen Ihnen während Ferdinands Anwesenheit wohl noch einige solcher bevor. Wieso sollte ich Sie also nicht über die Hintergründe aufklären?“ Kleist nickte zögerlich. „Bitte.“, sagte er, mit einem schüchternen Lächeln. ----------------- Ihr wollt sicherlich auch die Zusammenhänge erfahren, nicht? :) Alex erklärt euch alles im nächsten Kapitel - und ich glaub, ich werd noch einen Stammbaum beisteuern, damit man mal so ne Übersicht hat^^ Kapitel 11: XI -------------- „Nun…“ Alexander strich die Gardinen ein wenig zur Seite, um Belcastel mit seinem Blick durch den Garten folgen zu können. „Wo beginne ich am besten…“ Er ließ die Gardine wieder fallen und wandte sich Kleist zu. „Sie haben wohl mitbekommen, dass er mein Halbbruder ist?“ Der junge Leutnant nickte aufmerksam. „Ja, das habe ich. Nur ist mir nicht klar, wieso er behauptet, dass das Schloss seinem Vater gehört hat. Leben – ich meine…hat Ihre Mutter hier nicht mit Ihrem Vater gelebt?“ „Das hat sie, ja.“, entgegnete Alexander, „Aber nicht immer.“ Er sah wieder hinaus in den Garten. „Ferdinands Vater, Friedrich Ernst von Hollwede, war Mutters erster Mann. Schloss Tegel befand sich schon seit einigen Generationen im Familienbesitz der von Hollwedes, genauso wie das Gut Falkenberg, das unweit von hier gelegen ist. Ernst von Hollwede war eine gute, eine sehr gute Partie für eine junge Frau, die noch keinen Platz in der Gesellschaft gefunden hatte.“ „In der Tat, das…das kann man wohl so sagen.“, warf Kleist ein und ließ den Blick durch die beeindruckende Bibliothek, nur ein Raum des wunderschönen Schlosses, schweifen. „Drei Jahre nach Ferdinands Geburt ist Ernst von Hollwede gestorben und hat meine Mutter zur Witwe gemacht.“ Alexander musste grinsen. „Zu einer immer noch jungen, wohlhabenden und deshalb äußerst begehrten Witwe. Wissen Sie, Herr von Kleist“, wandte er sich wieder an den anderen, „Sie hätte jeden haben können. Sie hätte in ein alteingesessenes Adelsgeschlecht einheiraten können, einen Herzog, einen Fürsten! – Und für wen hat sie sich letztendlich entschieden?“ „Für Ihren werten Herrn Vater.“, antwortete Kleist, ein wenig ehrfurchtsvoll. Alexander nicke. Seufzend stützte er sich auf der marmornen Fensterbank ab. „Sie hat sich für einen Obristwachtmeister außer Dienst entschieden, für einen aus dem pommerschen Beamten- und Offiziersgeschlecht, für einen, der kein Fürst war, sondern Fürsten gedient hat, kein Herzog selbst, sondern der Adjutant eines Herzogs.“ „Immerhin war er doch ein »Baron von Humboldt«.“, bemerkte Kleist, „Also doch ein Adelsgeschlecht.“ Alexander lachte. „Den Titel »Baron« hat erst sein Vater vom König erboten und erhalten.“ „Oh.“ Kleist schien erstaunt. Er blickte vor sich auf den Boden. Schließlich legte er eine seiner wunderschönen Hände an seine Wange, die sich leicht rötlich färbten. „Sie muss ihn wirklich geliebt haben.“ „Mutter?!?“, entgegnete Alexander amüsiert. „Aber bestimmt.“, beharrte Kleist. Alexander schüttelte lachend den Kopf. Als er wieder zu seinem Gegenüber sah, wirkte der ein wenig nachdenklich. Der junge Baron kam nicht umhin, ihm eine Hand an den Arm zu legen, den Stoff der Uniform unter seinen Fingern zu spüren. „Ist etwas, Herr von Kleist?“ Der junge Mann sah ein wenig unsicher zu ihm auf. „Nun, ich…“ Er grinste leicht. „Ich musste nur an meine Tante denken, was die davon halten wird, wenn sie erfährt, dass Ferdinand der Erstgeborene ist und sie damit ihre Tochter nur auf den Rang drei der Erbfolge ange– “ Kleist verstummte schlagartig und wurde unheimlich rot im Gesicht. Hastig machte er sich von Alexander los, starrte ihn schuldbewusst an. „I-ich…! Oh, mein Gott, entschuldigen Sie bitte, Herr Baron! Es war nicht meine Absicht, ich…“ Alexander warf dem anderen wohl einen etwas skeptischen Blick zu, weswegen dieser noch aufgeregter wurde. „Sie sind nicht…! – Ich meine…! Meine Cousine müsste blind sein, wenn sie Herrn von Hollwede Ihnen…vorzieht! S-sie müsste sich jedes Mal – jedes Mal, wenn sie ihm ins Gesicht schaut grün und blau ärgern, weil…!“ Kleist verstummte abermals. Alexander sah ihn ein wenig benommen an. „Weil?“, fragte er. Kleist öffnete seinen Mund. Schloss ihn wieder. Aber Alexander wollte es hören. „Weswegen, Herr von Kleist?“ „W…weil Sie…“ Kleist räusperte sich. „Sie – a-also, Dorothea. Sie hat mir gesagt, wie hübsch sie…Ihr Gesicht findet. Und ich muss sagen, im Vergleich zu dem Ihres Halbbruders sieht es wirklich…hübsch aus.“ Er räusperte sich abermals. Alexanders Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. Zu einem verblüfften Lächeln. Gott, konnte das sein?!? Konnte es wirklich sein, dass er sich in Kleist nicht getäuscht hatte?! – Das musste er herausfinden. Und das würde er herausfinden, definitiv. Beim Mittagessen war es nicht schwer, wieder den Platz Kleist gegenüber zu ergattern, da Ferdinand als erster auf den Stuhl seiner Mutter gegenüber zusteuerte, nachdem er dieser auf ihren geholfen hatte. „Ferdinand.“, sagte die Baronesse, ein unheimlich beherrschtes Lächeln auf ihren Lippen, „So fürsorglich kenne ich dich gar nicht.“ „Im Militär lernt man nicht nur das Schießen, Mama.“, entgegnete ihr Sohn. Sie lachte. „Nun, ich bin zwar ein wenig älter, aber noch lange nicht so gebrechlich, wie du mich behandelst. Oder ist es wirklich so schlimm um mich bestellt?“ Ferdinand wusste einen Moment nicht, was er sagen sollte; das erste Mal, seit er Schloss Tegel betreten hatte. Alexander machte seiner Mutter mental ein Kompliment dafür. „Aber nein, Mama.“, antwortete Ferdinand schließlich, „Du siehst kerngesund aus.“ „Danke.“, entgegnete die Baronesse. Wer aber glaubte, Ferdinand würde diese Lappalie einschüchtern, der hatte sich entschieden getäuscht. Er speiste mit solchen Manieren, wie man sie nach der Ankündigung der Madame von Pannwitz eigentlich vom Herrn von Kleist erwartet hätte, behandelte die Diener mit so viel Respekt, als wenn sie irgendwelche aufgelesenen Landstreicher wären und sprach über solch inadäquate Dinge, die einen kurzweilig die Luft anhalten und beten ließ, dass dieses Mahl bitte schnell vorbei sein würde. „Alexander, ich glaube, du bist zu wählerisch.“ „So?“, kam es von eben diesem, der, im Vergleich zu allen anderen Anwesend, anscheinend nicht darüber erstaunt war, von seinem Halbbruder mit »du« angeredet zu werden. „Ja“, bestätigte Ferdinand, den Mund noch voller Geflügel, „Ich meine…Deine Mutter tut bestimmt ihr Bestes, dich an eine Frau zu bringen; du bist, wie alt?“ „Zweiunddreißig.“, antwortete Alexander mit großer Beherrschung und faltete seine Hände auf dem Tisch, um nicht in die Verlegenheit zu kommen, das Messer nach ihm zu werfen. „Zweiunddreißig.“, wiederholte Ferdinand, „Du bist also schon zweiunddreißig und sie hat dich immer noch nicht aufgegeben. Ich bin sicher, sie hat dir schon dutzende Kandidatinnen beschafft, aber, ich sag’s ja: Du bist zu wählerisch.“ „Sagt der Herr, der bestimmt schon die Richtige gefunden hat, nehme ich an?“, konterte Alexander mit einem deutlich unechten Lächeln. Ferdinand winkte ab. „Ich mach mir nichts vor, Alexander, mich heiratet keine, weil ich gutaussehend bin. Ich bin ein Mann, den man wegen seines Besitzes heiratet, genauso wie mein Vater damals. Und da ich bis jetzt noch nicht so viel Besitz aufweisen konnte, findet die Hochzeit natürlich erst in einem Jahr statt.“ Die Baronesse lachte. „So viel Zeit gibst du mir also? Das ist charmant.“ „Mama“, wandte Ferdinand sich sofort an sie, „Wenn es nach mir ginge, dann solltest du ewig leben.“ Alexander verdrehte die Augen und war wohl nicht der einzige an dieser Tafel, der dachte: „Ja, sicher…“ „Du tust Alexander aber Unrecht.“, fing Caroline an, was nichts Gutes heißen konnte, „Er ist wählerisch, gut, wieso darf er das nicht sein?, aber ich glaube, wir haben nun die Richtige für ihn gefunden.“ „Tatsächlich?“, fragte Ferdinand interessiert nach und blickte seinen Halbbruder erstaunt an. „Ja.“, fuhr Caroline fort, „Es ist die Cousine des werten Herrn Leutnants.“ „Oh.“ Ferdinand bedachte nun Kleist mit einem prüfenden Blick. „Nun, wenn sie genauso schnell rotwerden kann, wie ihr Cousin, ist sie sicherlich eine reizende Persönlichkeit.“ Auf diese Worte hin wurde Kleist noch ein wenig roter und sah verzweifelt auf seinen Teller hinab. Alexander schenkte ihm sofort ein aufmunterndes Lächeln, was aber nicht viel half. „Jaja, Ihre Cousine wird zufrieden sein, mit meinem Brüderchen.“, machte Ferdinand unbeeindruckt weiter, „Nun gut, er ist der Jüngste, aber wir leben ja zum Glück in einer Zeit, in der nicht mehr nur der Erstgeborene der alleinige Erbe ist, sondern auch die jüngeren Söhne und sogar die Töchter bedacht werden. Außerdem“, er warf Alexander ein breites Grinsen zu, „gibt es sicherlich keine Frau, für die unser Alexander nicht hübsch anzusehen wäre. Nicht, meine Liebe?“ Caroline verstand erst nicht so recht, dass sie die Angesprochene war, aber als sie es verstand, erstarb ihr ihr Lächeln und ihr Gesicht wurde ein wenig dunkler. Sie sah nicht beschämt hinab in ihren Schoß, sondern warf ihrem Ehemann einen Blick zu, um ihm deutlich zu machen, dass sie eben nicht beschämt, sondern empört war. Wilhelm erwiderte den empörten Blick, während Alexander am anderen Ende der Tafel unruhig mit seinen Fingern auf den Tisch trommelte. Er mochte ja nicht viel für seine Schwägerin übrig haben, aber mit solch einer Dreistigkeit konfrontiert zu werden, wünschte er auch ihr nicht. „So, ich denke, ich werde ein wenig spazieren gehen.“, beschloss Ferdinand, als ihm die Stille anscheinend zu langwierig wurde, „Möchte mich jemand begleiten? Man könnte mir unser schönes Schloss zeigen, ich war schon so lange nicht mehr hier und muss mich ja für die Zukunft hier auskennen.“ „Richard wird sicherlich Zeit dafür finden.“, entgegnete die Baronesse in einer Tonlage, die keine Widerrede duldete. Also verbeugte sich Ferdinand ein wenig steif, bevor er den Saal verließ. Alle Anwesenden atmeten erleichtert auf, als er hinfort war. Wilhelm rieb sich die Stirn, eine Geste dafür, dass er äußerst gestresst war. Wie den anderen auch, graute es ihm wohl schon vor dem Abendessen. Alexander graute es nicht vor dem Abendessen, er fieberte dem Abend eher entgegen. Ja, auch wenn Ferdinand an Impertinenz nicht zu übertreffen war, es war Heinrich von Kleist, der ihm den Abend versüßen sollte. Er würde Ferdinand ignorieren, all seine Aufmerksamkeit nur dem jungen Leutnant zukommen lassen und so dessen Gefühlen ein wenig auf den Grund gehen. ----------------- Lustig, dass ihr alle dachtet, dass jetzt doch keine Erklärung kommt^^ Aber Alex war ganz brav und hat, wie ich hoffe, ein wenig Klarheit geschaffen :) Wie versprochen hab ich hier noch einen Stammbaum, damit das Ganze ein wenig übersichtlicher wird :3 http://www.animexx.de/weblog/pic/6078299/6742d517 Kapitel 12: XII --------------- Um seinen Plan umzusetzen, gab sich Alexander schon beim Abendessen die größte Mühe, stets mit Kleist im Gespräch zu sein, ihn so oft er konnte zum Lachen zu bringen, denn er lachte ganz zauberhaft. Aber auch sprach er mit ihm viel über ihn selbst, wollte möglichst alles über ihn erfahren. „Und Sie waren erst fünfzehn, als Sie dem Regiment beigetreten sind?“ Kleist nickte ein wenig schüchtern. „Mein Onkel hat es als Bedingung gestellt, dafür, dass er mich weiter versorgt.“ „Darf ich erfahren, wie viele Jahre seitdem vergangen sind?“, fragte Alexander mit einem Lächeln nach, während er das Fleisch durchschnitt. „Ich bin nun dreiundzwanzig.“ „Ein schönes Alter.“ „Wofür?“ Alexanders Lächeln wurde zu einem Grinsen, während er ratlos mit den Schultern zuckte. „Zum Heiraten?“ „Ein Glück hat meine Tante damit noch nicht angefangen!“, versetzte Kleist sofort, sah im nächsten Moment aber ängstlich die Tafel hinab, doch alle Augen waren immer noch auf ihre Teller und alle Ohren wohl auf Ferdinand gerichtet, der wieder einmal nicht aufhören konnte, zu reden. „Ich meine“, fing der junge Leutnant ein wenig leiser an, „Erst einmal will sie meine Cousine gut versorgt wissen, dann wird sie wohl mir…eine Frau suchen.“ „Und Sie?“, meinte Alexander, der gerade einen Schluck Wein genommen hatte, „Haben Sie noch keine im Auge?“ Kleist schüttelte verlegen den Kopf. „Nein. Ich…ich finde Frauen sind…sehr unzugängliche Wesen – f-für mich jedenfalls.“ „Solange Sie sie interessant finden.“, entgegnete Alexander mit einem Zwinkern, woraufhin sein Gegenüber den Blick auf seinen Teller richtete. Sie redeten eine Weile nicht, aßen stattdessen weiter. Als sie auf das Dessert warteten, kam wieder ein Gespräch auf. „Wie finden Sie meine Cousine?“, wollte Kleist wissen. Alexander sah ihn ein wenig überrumpelt an. „N-nicht, dass ich…nur…“ Kleist schüttelte den Kopf. „Entschuldigen Sie.“ „Nein, nein, die Frage ist schon berechtigt.“, versicherte der junge Baron, nun mit einem Lächeln, „Ich war nur erstaunt, sie von Ihnen zu hören.“ Langsam sah Kleist wieder zu ihm auf. „Ich finde, Ihre werte Cousine ist eine sehr nette Persönlichkeit. Sie sieht, wenn Sie mir gestatten, gut aus und, wie wir schon gehört haben, ist sie auch noch fromm und klug. Ich glaube es schon einmal gesagt zu haben: Ihr zukünftiger Ehemann kann sich nur glücklich schätzen.“ Kleist sah so aus, als wollte er noch etwas erwidern, aber stattdessen aß er nur stumm weiter. Nach dem Essen schlug Ferdinand eine Partie Schach vor, zu der sich Wilhelm überreden ließ, da er im Schach ungeschlagen war und seinen Halbbruder unbedingt verlieren sehen wollte. Die Baronesse legte sich schlafen, während Caroline mit ihrer Tochter auf dem Schoß den beiden Herren ein wenig zusah. Die beste Gelegenheit für Alexander, seinen Leutnant zu einem Nachtspaziergang einzuladen. „Sehr gerne.“, nahm Kleist an und folgte Alexander hinaus in den Schlossgarten. Es war gerade dunkel geworden, man sah noch ausreichend weit, um eine kleine Führung durch den Garten zu unternehmen. Aber schon nach einer Weile fand Alexander keine große Lust mehr daran, dem anderen weiter über Beete, die älteste Tanne und die Fische im Teich zu berichten; viel lieber sah er einfach nur in dieses hübsche Gesicht, vom Mond ausgeleuchtet und ihm so oft zugewandt. „Halt.“ Alexander fasste den jungen Leutnant am Arm, zwang ihn damit zum Stehen. Er hob eine Hand, mit der er ihm ganz sanft über den Kopf fuhr, die weichen Haare unter seinen Fingern spürte und dabei beobachten konnte, wie seine Augen blauer und seine Wangen roter wurden. Alexanders Stimme war sanft, als er weitersprach. „Ein Blatt.“, sagte er und hielt Kleist eines entgegen; das er jedoch zuvor im Vorbeigehen von einem Busch abgerissen hatte. „Oh.“, brachte Kleist heraus und nahm es dem jungen Baron aus der Hand. Kurz schlossen sich Alexanders Finger um die des anderen, doch nur einen Hauch lang, dann besann er sich wieder. Kleist sah kurz zu ihm auf, bevor er sich hastig herumdrehte und weiterlief. „Schade, dass meine Cousine nicht hier ist.“, fing er an, „Sie ist diejenige, die mit Ihnen hier spazieren sollte.“ „Finden Sie?“, entgegnete Alexander mit einem Lächeln, die Hände hinter seinem Rücken verschränkt, während er neben Kleist herlief. Dieser nickte, als sie zur Brücke kamen, sah weiter geradeaus. „Das müssen Sie mit ihr nachholen, wenn sie wieder da ist, Herr Baron. Sie liebt die Natur. Nun, ich…ich auch, aber sie – Sie liebt sie noch sehr viel mehr. A-also, sie, die Natur. Deshalb…Vielleicht schon am Abend, wenn sie wieder zurück ist, meinen Sie nicht auch, Herr– “ Kleist verstummte. Er war drüben am anderen Ufer des Teichs angekommen, aber der junge Baron war nicht mehr bei ihm. Er war nirgendwo zu sehen. „Herr…Herr Baron von Humboldt…?“, fragte Kleist unsicher, sah sich ein wenig ängstlich um. Es war dunkel, er kannte sich nicht aus… Vorsichtig lief er ein paar Schritte weiter, da knackte es hinter ihm. Erschrocken drehte er sich herum. Doch da war nur eine Hecke. „Herr…Herr von Humboldt!“, rief Kleist nun etwas lauter. Doch es tat sich nichts. Da entschloss er sich, zurück zur Brücke zu laufen. Auf dem Weg dorthin wurde er plötzlich von hinten gepackt. Alexander feierte es, endlich seine Arme um den begehrenswerten Leib schlingen zu können, hielt Kleist eng umklammert, bis der aufgehört hatte zu zappeln. Außer Atem, aber erleichtert sah der junge Leutnant zu ihm auf. „Haben Sie mir einen Schrecken eingejagt…“ „Das war meine Absicht.“, entgegnete Alexander mit einem Grinsen. Etwas unbeholfen lösten sie sich voneinander. Der junge Baron wollte den Gesichtsausdruck deuten, mit dem ihn sein Gegenüber anblickte, aber er sah sich nicht imstande dazu. Ob Kleists Wangen gerötet waren, das konnte er in der Dunkelheit nicht erkennen, aber seine Augen leuchteten im Mondschein und seine vollen Lippen glänzten. Er hatte sie ein wenig geöffnet, wusste auch nicht, was er sagen sollte. Alexander blieb das Herz stehen, als der Leutnant eine Hand nach seinem Gesicht ausstreckte, mit ihr hinter sein Ohr fuhr, wo er in seine Haare griff. „E-ein Blatt.“, flüsterte Kleist, räusperte sich gleich darauf und hob dem Baron das entfernte Blatt entgegen, das sich dieser sicher auf seiner Jagd durch die Büsche eingefangen hatte. Alexander nahm es ihm aus der Hand, berührte abermals die schönen Finger, die er gerne noch öfters auf seiner Haut spüren wollte. „Danke.“, entgegnete er mit einem sanften Lächeln. Ohne ein weiteres Wort lief er langsam voran, der Brücke entgegen. Kleist schloss zu ihm auf und ebenso schweigend kamen sie wieder zurück ans Schloss. „Ich…ich gehe dann gleich auf mein Zimmer.“, teilte Kleist seinem Begleiter mit. „Wie Sie wollen.“, entgegnete Alexander. „G-Gute Nacht, Herr Baron.“ „Gute Nacht, Herr von Kleist.“ Zögerlich drehte der junge Leutnant sich um. Alexander fasste ihn noch einmal an der Schulter. „Meinen Sie, ich soll Ihre Cousine auf unserem Spaziergang auch so überraschen?“ Kleist lächelte verlegen. „Lieber nicht. Sie ist sehr schreckhaft. So wie ich.“ Alexander erwiderte sein Lächeln und ließ ihn los. „Gute Nacht. Schlafen Sie gut.“ „D-danke. Sie auch.“ Und wie gut Alexander schlief. Er träumte immerzu von »seinem« Leutnant, den er mehr begehrte, als alles andere, den er haben wollte, mit dem es endlich möglich wäre: Eine Beziehung, die nicht den einen zum Dienstleister und den anderen zum Zahlenden machte, sondern eine Beziehung, in der beide gleich viel zu verlieren hatten. Nämlich erschreckend viel. ------------------- Hier mal nichts von mir zum Inhalt, sondern ein großes DANKESCHÖN an euch! X3 Danke, dass ihr auch hier so fleißig mitlest und kommentiert und den beiden auch in früherer Zeit eine Chance gebt XD Kapitel 13: XIII ---------------- Als Robert am Morgen das Schlafgemach seines Herrn betrat, lag dieser noch friedlich schlummernd im Bett. Das Laken bedeckte ihn nur spärlich, er war wieder einmal nackt, und er hielt eines seiner Kissen fest umklammert im Arm. Vorsichtig ließ sich der Kammerdiener auf dem Bett nieder und fuhr dem jungen Baron durch die Haare. „Alexander, aufstehen. Man erwartet Sie beim Frühstück.“ Der Angesprochene gab ein leises Grummeln von sich, bewegte ein wenig seine Beine und presste sein Gesicht noch enger an das Kissen in seinen Armen. „Fehlt nur noch, dass Sie am Daumen nuckeln.“, kommentierte Robert schmunzelnd. „An seinem Daumen…“, gab Alexander von sich, die Stimme ein wenig vom Kissen erstickt. „Bitte?“ „Oder besser: An seiner Männlichkeit...oh ja, das wäre schön…“ Robert räusperte sich. Alexander rührte sich nicht. Robert zog ihm mit einem Ruck die Decke vom Leib. Er seufzte. „Alexander, ich empfehle Ihnen ein kaltes Bad. Und noch nachdrücklicher empfehle ich Ihnen, nicht leichtsinnig zu werden.“ „Werde ich nicht, Robert, bestimmt nicht.“, entgegnete Alexander und erhob sich gemächlich, um sich erst einmal zu strecken, bevor er ins Bad verschwand. Der Tag begann für die Familie von Humboldt traumhaft: Ferdinand erschien nicht zum Frühstück. Grinsend wandte sich Alexander an seinen Bruder. „Ich nehme an, du hast ihn gestern beim Schach geschlagen?“ Wilhelm hob mit einem für seine Verhältnisse großzügigen Lächeln den Zeigefinger. „Schachmatt habe ich ihn gesetzt, schneller als er schauen konnte.“ Alexander nickte ihm anerkennend zu. „Ich habe nichts anderes von dir erwartet.“ Gerade hatte er dies gesagt, da öffnete sich die Tür zum Speisesaal. Leutnant von Kleist trat ein, herausgeputzt wie eh und je, jedoch trug er keine Uniform mehr, sondern einen Gehrock, zwar schlicht, aber wunderbar eng geschnitten. Alexander empfand es als unmöglich, seinen Blick von ihm abzuwenden. „G-guten Morgen, ich…ich bitte um Verzeihung, dass ich erst so spät…“ „Guten Morgen, Herr von Kleist, nicht schlimm, wirklich nicht.“, versicherte die Baronesse mit einem gütigen Lächeln, „Andere Herren halten es nicht einmal für nötig, sich abzumelden, wenn sie gar nicht zum Frühstück erscheinen.“ Mit einem schüchternen Lächeln begab sich Kleist hastig auf seinen Platz. „Guten Morgen.“, begrüßte ihn Alexander noch einmal persönlich, womit der junge Leutnant anscheinend nicht gerechnet hatte. „Guten Morgen.“, grüßte er jedoch zurück, schien dabei plötzlich so herrlich aufgeweckt. „Sie tragen ja gar nicht mehr Ihre Uniform.“, merkte Alexander an. „Oh, die…“ Kleist senkte seinen Blick. „Ich dachte, das hier ist ein wenig bequemer…“ „Da haben Sie sicherlich Recht.“, entgegnete Alexander mit einem Lachen, „Ich persönlich mag Uniformen nicht sonderlich. An Ihnen sah sie gut aus, wirklich, aber der Rock steht Ihnen nicht minder.“ „D-danke.“, brachte Kleist verlegen heraus und wandte sich endlich dem Essen zu. Heute hatte Alexander beschlossen, sich gleich nach dem Frühstück an den jungen Leutnant zu halten. Der Abend gestern war etwas wunderlich gewesen, wenn er nun darauf zurückblickte. Es waren Sachen geschehen, die nicht hätten passieren dürfen, für die auf der anderen Seite jedoch er selbst verantwortlich war, nicht Herr von Kleist, welchen er doch eigentlich hatte prüfen wollen. Nun, jetzt hatte er jedenfalls sich selbst geprüft und festgestellt, dass dieser Mann etwas Besonderes für ihn war. Er begehrte ihn, sicherlich, aber so sehr, dass es ihn nicht befriedigen würde, zur Scheune zu gehen, um dort mit einem anderen diese Begierden auszuleben. Nein. Nur Kleist selbst konnte ihn befriedigen, und es war fraglich, ob jener dies jemals tun würde. „Herr von Kleist?“ Der junge Mann sah entzückend aufmerksam zu ihm auf und blieb in der Tür stehen. „Ich habe mich gefragt, ob Sie vielleicht gleich jetzt mit mir ein wenig in den Garten kommen wollen? Ich weiß, dort waren wir erst gestern Abend, aber ich würde Ihnen gerne zeigen, was ich in meiner Freizeit mache. Und wir könnten über unser Vorhaben bezüglich des Wasserdrucks sprechen.“ „Sehr gerne.“, war die Antwort, die Alexander zum Strahlen brachte. „Wunderbar. Wollen wir gleich…? Oder…“ „Nein, nein, gleich – v-von mir aus, wie es Ihnen Recht ist.“ „Dann gehen wir doch gleich.“, meinte Alexander und sie liefen beide mit einem Lächeln hinaus in den Garten. Es war herrliches Wetter, fast keine Wolken am Himmel, und die Sonne wärmte gerade so, dass es wunderbar erträglich war. Nichtsdestotrotz zog sich Alexander schon nach den ersten Metern seinen Gehrock aus; er fühlte sich in der Natur darin immer so schrecklich eingeengt. Kleist räusperte sich. „Meine Cousine hat geschrieben.“, sagte er. „Oh.“, kam es von Alexander, „Was berichtet sie denn?“ „Die Feierlichkeiten werden heute beginnen“, antwortete Kleist, „und morgen wollen sie sich gleich auf den Weg zurück machen. Voraussichtlich werden sie übermorgen wieder bei uns sein.“ Alexander sah den jungen Leutnant mit forschendem Blick und einem Lächeln auf den Lippen an. „Freut es Sie, dass sie wieder zurückkommen?“ Kleist lächelte verlegen und wich seinem Blick aus. „Ich möchte nicht behaupten, dass ich sie nicht vermisst habe. Meine Cousine ist ein wirklich herzensgutes Mädchen…“ „Aber die Madame.“, half ihm Alexander auf die Sprünge. Kleists Hände wanderten an die Knöpfe seines Gehrocks, mit denen er nervös herumspielte. „Ich darf nichts Schlechtes über sie sagen, Herr Baron…Sie kümmert sich um mich.“ „Ich weiß.“, entgegnete Alexander und legte seinen Kopf in den Nacken, um ein wenig an den strahlend blauen Himmel zu blicken. Schweigend liefen sie nebeneinander her, über die Brücke am Teich, bis der junge Baron auf der anderen Seite des Ufers Halt machte und dort seinen Gehrock ins Gras warf. „Setzen Sie sich ruhig darauf, dann bleiben Ihre Hosen sauber.“ Kleists Wangen röteten sich herrlich. Alexander wusste warum. Beide dachten sie es: Dieses Angebot hätte er seiner Cousine machen müssen, nicht ihm. „Aber was…was ist mit Ihrer Hose, Herr Baron?“ Alexander lachte und ließ sich neben seinen Gehrock ins Gras sinken. „Mein Kammerdiener ist Kummer mit mir gewöhnt.“ Kleist zögerte noch eine Weile, dann nahm er doch auf dem ausgebreiteten Kleidungsstück Platz. Gemeinsam ließen sie ihre Blicke über den Teich schweifen. Es schwammen ein paar Seerosen auf der Wasseroberfläche, eine Libelle nahm auf einer Platz und breitete ihre Flügel aus, um sich in der Sonne zu wärmen. „Schön, nicht?“ Alexander hatte seine Stimme gesenkt. „Ja, das ist es.“, antwortete Kleist. Es war fast schon ein Flüstern. „Der See ist noch schöner.“ „Welcher See?“ Alexander war dabei, sich die Manschetten aufzuknöpfen, um sich seine Ärmel hochzukrempeln. Er lächelte. „Wenn Sie wollen, kann ich ihn Ihnen morgen zeigen. Er liegt abgeschiedener, die Natur ist noch freier gewachsen als hier, da es kein Privatbesitz ist.“ Kleists Augen weiteten sich. Er war sichtlich angetan. „Wie groß ist er?“, wollte er wissen. „So groß, dass man mit einem kleinen Boot darauf rudern könnte, jedoch problemlos von einer zur anderen Seite schwimmen.“ Kleist schlug die Augen nieder. Es dauerte eine Weile, bis er wieder aufsah. „Gehen wir…Ich meine, haben Sie vor…“ Alexander grinste ihn an. „Wenn Sie schwimmen können.“ Kleist lächelte verlegen. „Natürlich.“, sagte er. „Wunderbar.“ Alexander zog sich das Tuch vom Hals und steckte es in seine Hosentasche. Er öffnete die beiden obersten Knöpfe seines Hemdes und ließ sich nach hinten ins Gras sinken. „Sehen Sie“, fing er an und sah zu Kleist auf, der ein wenig unsicher seinen Blick erwiderte, „Das könnte ich mit Ihrer Cousine nicht machen.“ „S-sich neben sie ins Gras legen?“ „Auch.“, meinte Alexander amüsiert, „Ich dachte vornehmlich an die Tatsache, dass ich mich unmöglich vor ihr auf diese Art entblößen kann. Den Gehrock hätte ich noch ausziehen können, mit der Ausrede, dass sie drauf Platz nehmen kann, aber weiterzugehen wäre pietätslos, meinen Sie nicht?“ Kleist nickte hastig. „Sie stört es ja nicht, oder?“ „N-nein, bestimmt nicht.“, entgegnete der junge Leutnant, „Ich war in der Armee.“ Alexander musste grinsen und schloss seine Augen. Nun, das war sicherlich ein Vorteil am Soldatentum. Ein Vorteil, der aber auch schnell zum Nachteil werden konnte, wenn man genauer darüber nachdachte… „Wieso haben Sie die Armee verlassen?“, fragte er und öffnete wieder die Augen. Als er zu Kleist aufsah, durfte er freudig feststellen, dass sich dieser ebenfalls seinen Gehrock ausgezogen hatte. Das Hemd, das er trug, spannte sich beim Sitzen an seinem Rücken und zeichnete dort Schulterblätter und Wirbelsäule ab. „Ich…ich habe andere Herausforderungen gesucht. Geistiger Natur. Deshalb das Studium.“ Alexander nickte. Wenn er sich vorstellte, dass er morgen mit großer Wahrscheinlichkeit diesen Rücken völlig unbekleidet zu Gesicht bekommen würde…und nicht nur diesen Rücken… „Schau an, schau an…“ Beide schreckten sie hoch, als die scharfe Stimme hinter ihnen erklang und die Idylle zerstörte. Alexander stützte sich auf seinen Ellenbogen ab und wandte sich ein wenig herum. „Ferdinand…“ „Ja, ich bin es, Bruderherz. Aber keine Angst, ich will eure traute Zweisamkeit nicht zerstören, nur ein wenig den Teich bewundern.“ Alexander seufzte und legte sich wieder ins Gras. „Eine reizende Aussicht, Herr Kleist, nicht?“, meinte Ferdinand, die Arme ausgebreitet. „J-ja…wirklich.“, entgegnete Kleist nur knapp. „Keine Angst“, fing Ferdinand an, „Wenn es Ihnen hier so gut gefällt, dann werde ich Sie gelegentlich einladen, mit mir durch meinen Garten zu spazieren. – Außer Sie bevorzugen natürlich die Gesellschaft meines Brüderchens. Wobei dieser…“ Ferdinands Augen verengten sich. „…sich sehr viel herauszunehmen scheint. Alexander?“ Angesprochener machte sich nicht die Mühe, sich wieder aufzurichten, geschweige denn die Augen zu öffnen. Stattdessen antwortete er nur mit einem unmotivierten: „Hm?“ „Es ist sehr großzügig von dir, unserem Gast deinen Gehrock zum Daraufsitzen anzubieten, aber ich halte es eher für unangebracht, in der Gegenwart des Leutnants so leger mit deiner Kleidung umzugehen.“ „Es ist bequemer.“ „Aber für Herrn von Kleist ist es sicherlich unangenehm.“ „Ist es nicht.“, wehrte Kleist sofort ab, „Wirklich nicht.“ Ferdinand nickte. „Gut. Wie Sie meinen.“ Er trat einen Schritt zurück. „Dann störe ich euch nicht länger. Und werde Alexander nicht davon abhalten, sollte er es sich noch bequemer machen wollen.“ Alexander gab nur ein Schnauben von sich, das Ferdinand wohl nicht mehr hörte. Er öffnete wieder seine Augen und sah zu Kleist auf. Als dieser ihn angrinste, fühlte er sich wieder wohl. „Ich würde mich ja für sein Benehmen entschuldigen“, meinte Alexander, „aber ich fühle mich ehrlichgesagt in keiner Weise für ihn verantwortlich.“ „Das müssen Sie in der Tat nicht.“, versicherte Kleist. „Gut.“, entgegnete Alexander mit einem Lächeln. Zufrieden sah er zum jungen Leutnant auf und merkte einmal mehr, wie wunderschön dieser Mann war. Und sicherlich war er sich dessen selbst gar nicht bewusst… „Was…“ Alexander wurde wieder aufmerksamer, als Kleist zu sprechen begann. „Wollten Sie mir nicht zeigen, was Sie…in Ihrer Freizeit…“ „Doch, doch, genau.“, fiel es dem jungen Baron wieder ein und er richtete sich auf seine Ellenbogen auf. „Entschuldigen Sie, aber das ist mir doch bei dieser wunderbaren Atmosphäre tatsächlich entfallen.“ „N-nicht schlimm.“, meinte Kleist. „Wenn Sie wollen, können wir auch noch eine Weile hier sitzen…liegen bleiben.“ „Das können wir sicherlich.“, versprach Alexander und rückte etwas näher an den anderen heran. „Denn, abgesehen davon, dass dies auch zu meinen Freizeitbeschäftigungen zählt, kann ich Ihnen ja schon einmal darüber berichten.“ „G-gerne.“, antwortete Kleist zutraulich, sodass Alexander von seiner Tätigkeit als Pflanzensammler zu erzählen begann. Der junge Leutnant fragte gelegentlich nach, wollte genauer wissen, zu welchem Zweck denn, mit welchen Hilfsmitteln? Alexander antwortete ihm nur gerne ganz ausführlich. „Schauen Sie“, meinte er und riss einen Grashalm ab. Damit in der Hand ließ er es sich nicht nehmen, noch etwas näher an den anderen heranzurücken, um ihn ihm vors Gesicht zu halten. „Dieser Grashalm zum Beispiel“, sagte er, „Ist Ihnen schon einmal die Struktur der Fasern aufgefallen?“ „Nein.“, gab Kleist zu. Alexander stellte fest, wie gut der junge Mann roch. Es war kein Parfum, sicherlich nicht; er roch einfach nur unbeschreiblich gut. „Herr…Herr Baron?“ Alexander beherrschte sich wieder, hielt den Grashalm höher, gegen die Sonne. „Können Sie die Strukturen ein wenig erkennen?“, fragte er. „Nicht wirk…Moment.“ Kleist griff nach seiner Hand, um sie in eine für ihn bessere Position zu bringen. Alexander merkte, wie sich sein Herzschlag ungewollt beschleunigte. Er konzentrierte sich, dass seine Hand nicht verräterisch unter der des jungen Leutnants zu zittern begann. „Ja, jetzt.“, gab Kleist von sich, „Ich…ich kann sie sehen.“ Alexander konnte ihn nur glücklich anlächeln. Der andere ließ seine Hand wieder los. Er war ihm viel zu nahe. Vorsorglich rückte er wieder ein Stück von ihm ab. Kleist sagte nichts mehr. Beide schwiegen sie. Alexander war fürchterlich nervös. Als wenn er es bestellt hätte, räusperte es sich plötzlich hinter ihnen. Der junge Baron erkannte sofort: Es war Robert. „Entschuldigen Sie meine Aufdringlichkeit, meine Herren, aber die Baronesse ruft zum Mittagstisch.“ „Oh, das…schon Mittag?“, brachte Alexander erstaunt heraus, als er sich erhob. Kleist stand ebenfalls ein wenig überrumpelt auf, klopfte das Gras von seinem Gehrock. „Nicht doch, das geht so schon.“, nahm ihm Alexander sofort das Kleidungsstück mit einem wohlwollenden Lächeln ab und reichte es Robert. Dieser konnte sich ein Seufzen nicht verkneifen. „Bevor Sie gehen“, fing er an, während er auf dem Gehrock herumklopfte, „Haben Sie das jüngste unserer Dienstmädchen gesehen?“ „Ida?“, fragte Alexander erstaunt, „Nein, wieso? Was ist mit ihr?“ „Nun, als Martha heute Morgen aufgewacht ist, war ihr Bett leer, und seitdem ist sie nirgends aufzufinden.“ Alexander musste grinsen. „Vielleicht ist sie auf dem Weg zu Belcastel eingeschlafen.“, scherzte er. Robert gab ihm den notdürftig gesäuberten Gehrock zurück. „Ich werde zur Not einmal nachschauen.“, meinte er, ebenso grinsend. Nachdem Robert sich von ihnen verabschiedet hatte, wandte sich Alexander an Kleist. „Wir können dann.“, sagte er, woraufhin sie sich gemeinsam auf den Weg zurück zum Schloss machten. Beim Mittagessen war es nicht zu vermeiden, dass Ferdinand wieder anwesend war. Und er war ganz sein gewohntes Selbst: Er kommandierte die Diener herum, orderte Nachschlag und gab fragwürdige Kommentare über Gott und die Welt von sich. Alexander versuchte, sich wieder an Kleist zu halten, aber das wollte ihm nicht immer gelingen. „Stimmt doch, Alexander, oder?“ Gezwungenermaßen wandte er sich seinem Halbbruder zu. „Sicher doch.“, antwortete er, „Den Garten hat ja auch schließlich mein Vater angelegt.“ Ferdinand war einen Moment aus dem Konzept, dann blickte er jedoch wieder selbstsicher in die Runde. „Großartig. Ich sag es ja.“, meinte er, „Dort, wo die Hundehütte steht, ist übrigens ein wunderbarer Platz für ein Gartenhäuschen. Dass dir das noch nicht in den Sinn gekommen ist, Mama.“ „Ich sehe schon.“, meinte die Baronesse mit einem leichten Lächeln, „Du bist der Richtige für so etwas.“ Ferdinand grinste sie überrascht an. Alexander sah zu Wilhelm. War das…war es das jetzt? Die Entscheidung? Gerade wollte Alexander etwas sagen, da tippte es von hinten auf seine rechte Schulter. Es war sein Kammerdiener. „Robert“, zischte der junge Baron, „Wie bist du…? – Was gibt’s?“ Robert sah ihn nachdenklich an. „Ich habe Ida gefunden.“, antwortete er im Flüsterton, sodass nur er es hören konnte. „…Und?“ „Sie lag vor Belcastels Hütte.“ Alexander blickte erstaunt zu seinem Diener auf. „Tatsächlich?“ „Ja. Wussten Sie das denn?“ „N-nein!“, meinte Alexander gründlich verwirrt. „Aber…ich kann sie anscheinend richtig einschätzen.“ Er versuchte zu lächeln, da Robert ein wenig zu ernst wirkte. Sein Kammerdiener nickte nur, bevor er wieder verschwand. „Was gibt es denn, Alexander?“, wollte Ferdinand sofort wissen, der noch nie etwas von Diskretion gehört hatte. Alexander blickte nicht ihn an, als er antwortete, sondern seine Mutter. „Robert hat Ida gefunden. Sie ist doch tatsächlich gestern Abend auf dem Weg zu Belcastel vor der Hundehütte eingeschlafen.“ „Oh.“ Alle Anwesenden waren sofort besorgt. „Sie wird sich eine schreckliche Erkältung eingefangen haben.“, prophezeite Caroline. „Da ist dem Mädchen aber wirklich nicht zu helfen…“, murmelte die Baronesse und wandte sich wieder ihrem Essen zu. „Moment.“, hielt Ferdinand am Thema fest. Nachdenklich sah er zu Alexander hinüber. „Und wieso teilt das dir dein Kammerdiener mit? Hätte es nicht gereicht, wenn er es der Haushälterin gesagt hätte?“ Alexander versuchte ruhig zu bleiben. „Ich habe Robert darauf hingewiesen, dass sie dort liegen könnte. Deshalb.“ Nun sahen ihn alle, ausgeschlossen Herrn von Kleist, ein wenig irritiert an. „Da ich auch oft später nachhause komme, habe ich mitbekommen, dass sie diejenige ist, die dafür verantwortlich ist, dass Belcastel sein Essen bekommt.“, setzte Alexander nach und hoffte, das würde genügen. „Und was für eine…ein Tollpatsch dieses Mädchen ist, das wissen wir ja alle.“ „Da hat er Recht.“, stimmte ihm Caroline zu. Alexander sah abwartend in die Runde, aber man gab sich damit zufrieden und aß weiter. Nur Ferdinand schien ein wenig verbissen. ---------------------- Wie ihr merkt, geht es in meiner VLE Pause natürlich mit Schloss Tegel weiter; ich denke, das schaff ich :) Kapitel 14: XIV --------------- Nach dem Essen konnte Alexander Kleist sofort für eine Besichtigung seines Arbeitszimmers gewinnen. Der junge Leutnant kündigte sich für 14:00 Uhr an, was Alexander noch eine Viertelstunde Zeit ließ, alles in Ordnung zu bringen. Natürlich nicht alleine. „Nein, doch nicht da rüber, Robert! Hier kommt das hin.“ Der Kammerdiener seufzte und setzte den Globus also auf dem Schreibtisch ab. „Und Sie wussten wirklich nichts von Ida?“ Alexander, die Arme voller Pfauenfedern, wandte sich zu Robert herum und bestrafte ihn mit einem beleidigten Blick. „Seit wann vertraust du mir nicht mehr?“ Sofort kam Robert auf ihn zu und nahm ihm die Federn aus den Händen, wobei er ihn eindringlich ansah. „Entschuldigung. Ich meinte es nicht so. Aber…Sie müssen doch zugeben, dass das ein beachtlicher Zufall war.“ „Ja, das…schon. – Halt! Die Federn kommen da in die Vase.“ „In die Vase?!?“ „Ja, da ist kein Wasser drin.“ „Achso.“ „Wie geht es ihr denn? Caroline könnte Recht haben und sie hat sich erkältet. Es ist noch ziemlich kalt draußen, nachts.“ „Sie musste sich erst einmal hinlegen, ja.“, antwortete Robert, während er die Erde von der Fensterbank kehrte. „Sie war ein wenig…neben sich, als ich sie gefunden habe, aber kalt war ihr wohl nicht. Sie hat wenig gesprochen. Mir gegenüber hat sie jedenfalls nicht erwähnt, was sie dort draußen suchte.“ „Nun…es wird einmal wieder ihrer Tollpatschigkeit zuzuschreiben sein.“ „Sicherlich.“ Alexander nahm auf dem Stuhl hinterm Schreibtisch Platz und sah sich zufrieden im Zimmer um. „Danke, Robert.“, meinte er, „Kleist wird sicherlich gleich kommen.“ Sein Kammerdiener verneigte sich leicht. „Rufen Sie mich, wenn noch etwas sein sollte. Und Alexander“ – mit flehendem Blick sah er seinen Herrn an – „bitte tun Sie nichts Leichtsinniges.“ Der junge Baron seufzte. „Ich doch nicht.“ Es waren seit Roberts Abwesenheit keine fünf Minuten vergangen, da klopfte es an der Tür. Alexander beendete das nervöse Auf- und Ablaufen, knöpfte sich doch wieder den einen der zwei geöffneten Knöpfe am Hemd zu – die Ärmel beließ er hochgekrempelt – , bevor er die Tür öffnete. Kleist sah ihn mit Vorfreude in seinen blauen Augen an. „Bin ich zu früh?“ „Nein, nein! Kommen Sie nur herein.“ Alexander öffnete die Tür weiter und ging zur Seite, damit der junge Leutnant eintreten konnte. Hinter ihm schloss er die Tür wieder. Er hoffte inständig, dass Kleist es nicht mitbekam, dass er sie abschloss. „Ja“, fing Alexander unsicher an, „Mein bescheidenes Reich.“ Kleist nickte leicht. Er lief das Regal zur Rechten entlang, sein Blick huschte gebannt über die Bücher und die zahlreichen Gefäße, die mit Flüssigkeiten, Pflanzen und Sonstigem gefüllt waren. „Sie…“ Er drehte sich herum und lief hastig auf das Regal gegenüber zu, auf dem die kuriosesten Werkzeuge und wissenschaftlichen Instrumente lagen. „Das ist ja…!“ Begeistert nahm Kleist eine Apparatur vom Brett. Etwas, das Alexander normalerweise gar nicht sehen konnte. Hier machte er seltsamerweise eine Ausnahme. „Ein Cyanometer, ja.“, sagte er und kam auf Kleist zu. „Und damit kann man wirklich messen, wo der Himmel das intensivste Blau hat?“, fragte der junge Leutnant beeindruckt. „Ja, das kann man.“, antwortete er, wobei er dem anderen das Gerät sanft aus den Händen nahm, „Leider schlägt es nicht auf Ihre Augen an.“ Kleist war einen Moment erstaunt, dann lachte er nervös. Ihm war dieses Kompliment wohl unangenehm, weshalb Alexander sich besann und das Cyanometer wieder zurück ins Regal stellte. „Z-zeigen Sie mir ein paar Pflanzen unterm Mikroskop?“, bat Kleist. „Gerne.“ Gerne? Alexander genoss es. Unbedenklich konnte er Kleist vor sich auf den Stuhl setzen, ihm ein Präparat auf den Objektträger legen, sich über ihn beugen, um ihm die Linse einzustellen und ihn an der Schulter fassen, wann er wollte, ihm so nahekommen, wie er wollte… – alles natürlich nur, um auch einen Blick auf den zerlegten Käfer zu bekommen, versteht sich. Wieder einmal stellte er fest, wie gut Kleist roch. Wie leicht er sich doch einfach noch ein wenig weiter hinunterbeugen und seine Lippen in diesen hinreißenden Nacken legen könnte. Sich dort festsaugen und mit der Zunge über die salzige Haut lecken… Als seine Hand zu tief an Kleists Rücken wanderte, merkte er, dass er sich unbedingt beherrschen musste. Schleunigst richtete er sich auf und vergrub seine Hände in den Hosentaschen. Der junge Leutnant sah mit einem wunderschönen Lächeln zu ihm auf. Ob er ihm denn bei seinen sexuellen Studien behilflich sein könnte. Alexander schüttelte den Kopf. „B-bei…wie?“ „Bei Ihren wissenschaftlichen Studien…?“, wiederholte Kleist, der ebenfalls aufgestanden war, ein wenig unsicher. „Se-selbstverständlich.“, meinte Alexander und fasste sich wieder. „Wenn Sie wollen, dann…Ich bräuchte noch eine zweite Meinung zu ein paar Geschmacksproben.“, bot er an und suchte aus dem Regal einige Fläschchen heraus. „Nehmen Sie doch wieder Platz.“ Kleist gehorchte. Alexander stellte die Proben auf dem Schreibtisch vor ihm ab. Daneben nahm er auf der Tischplatte Platz. „Ich…ich soll Sachen probieren, die Sie gesammelt haben?“, vergewisserte sich Kleist. „Genau. Nur wenn Sie wollen.“, entgegnete Alexander, „Und keine Angst, ich habe allesamt schon selbst probiert.“ „Dann kann mir ja nichts passieren.“ „Nein, sicher nicht.“ Kleist stand auf und setzte sich zu ihm auf den Tisch. „Gut. Ich bin bereit.“ Alexander öffnete das erste Glas. Es enthielt die gemahlenen Blätter einer Blume, die er auf dem Grund des Sees gefunden hatte. Selbst war ihm der Geschmack ein wenig bitter vorgekommen. Kleist hob ihm die Hand entgegen. Alexander lächelte ihn sanft an. „Das würde ich Ihnen nicht empfehlen. Auf den Handflächen befindet sich oft so viel Schmutz.“ Bevor Kleist seine Hand irritiert zurücknehmen konnte, drehte sie Alexander herum. Auf den Handrücken gab er ein wenig von dem weißgrünlichen Pulver. Der Leutnant sah noch einmal zu ihm auf, bevor er sich über den Handrücken leckte. Alexander begriff jetzt erst, wie vielversprechend diese wissenschaftliche Zusammenarbeit mit dem anderen werden würde. „Und?“, fragte er. „Ich sage Ihnen, wie es schmeckt?“, fragte Kleist. „Ja, bitte.“ „Bitter. Nicht schön.“ „Oh, das tut mir…“ Alexander schüttelte den Kopf. „Nein, das…Wenn Sie als Fachmann ein Gemälde beurteilen, dann können Sie auch nicht sagen, es sei schön oder hässlich. Verstehen Sie?“ „Oh, sicher.“, gab Kleist von sich, bevor er sich noch einmal über den Handrücken leckte. Er ließ die Zunge wohl ein wenig in seinem Mund herumgehen, sah dabei äußerst konzentriert aus. Alexander hätte ihn packen können und… „Feucht. Bitter, aber…nicht wie Kaffeebohnen. Nicht so trocken, es wirkt irgendwie…“ „Ja?“ Alexander sah ihn begeistert an. „Zäh.“ „Wunderbar!“ Er sprang hastig vom Tisch, um aus einer Schublade etwas zum Schreiben hervorzukramen. „Feucht und zäh. Das hatte ich noch nicht.“ Kleist sah ihn stolz an. „Trinken Sie einen Schluck von dem destillierten Wasser dort.“, forderte ihn Alexander auf, „Dann können wir weitermachen – Aber nicht zu viel! Ich will nicht, dass Sie krank werden.“ Kleist nahm also nur einen kleinen Schluck, dann setzte er sich wieder zu Alexander, der schon das nächste Glas geöffnet hatte. Kleist hob ihm den Handrücken entgegen. Der junge Baron konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. „Die andere Hand.“, meinte er, „Sonst vermischen sich die Stoffe.“ „Oh.“ Kleist kam auch dieser Bitte nach. Alexander fand, dieses Mal leckte er sich das Pulver noch genüsslicher von der Haut. „Hm, süß! Wunderbar lieblich.“ „Lieblich? So wie ein Wein?“ „Ja, so…so in etwa.“ Alexander notierte. Kleist nahm schon von selbst einen Schluck Wasser. „Wo…?“ Fragend hielt der junge Leutnant ihm seine Hände entgegen. „Ich…ich nehme dann immer die Arme.“, entgegnete Alexander. Kleist zögerte. „Dann…dann soll ich meinen Gehrock ausziehen und…das Hemd?“ „Wenn Sie – ja, es reicht auch, wenn Sie die Ärmel einfach hochkrempeln.“ Alexander unterbrach sich mit einem Lachen. „Oder Sie wollen, dass wir meine Arme nehmen, ich wäre schon ausgezogen.“ Vollkommen gegen seine Erwartungen sah Kleist abwägend zu ihm auf. Sollte er ergänzen, dass er das nicht ernst gemeint hatte…? „Von…von mir aus.“, kam es von Kleist, und Alexander brauchte eine Weile, um diese positive Rückmeldung zu realisieren. „J-ja! In Ordnung.“, fasste er sich schließlich wieder und gab sich alle Mühe, nicht zu zittern, als er das nächste Glas öffnete und den Inhalt unterhalb seines Handgelenks auf die Arminnenseite träufelte. „Oh, eine Flüssigkeit dieses Mal?“, stellte Kleist erstaunt fest. „Ja, als ich die Blätter gepresst – “ „Nein, es läuft herunter!“ Alexander verstummte, als Kleist plötzlich seinen Arm packte und er dessen Zunge auf seiner Haut spürte. Eifrig glitt sie zusammen mit den Lippen hin und her, versuchte die fliehenden Tropfen aufzufangen. Alexander getraute sich nicht, hinzuschauen. Erst, als Kleist von ihm abließ, blickte er ihn an. Der junge Leutnant schien tief in Gedanken zu sein, sein hinreißender Mund öffnete sich, damit die Zunge noch einmal über seine Lippen lecken konnte. „Tut mir…das…“ Alexander sah ihn fragend an. „Ihre Haut muss…muss anscheinend…irgendwie…“ Kleist blickte verzweifelt lächelnd zu ihm auf. „Ich weiß nicht, was ich sagen soll, wirklich. Wir…wir sollten es doch bei mir probieren. Ihre Haut, an deren…Geschmack ich nicht gewöhnt bin, verfälscht das Ergebnis.“ „Ah, das…das klingt logisch.“, bekam Alexander mit einem leichten Lächeln zusammen zustande. Doch er hielt es für gar keine gute Idee, dass Kleist sich jetzt vor ihm auszog. „Verschieben wir das Ganze doch einfach.“, schlug er halbherzig vor. Kleist nickte. „G-gut.“, meinte er. Leckte sich noch einmal über die Lippen. Die Stimmung war sehr seltsam zwischen ihnen geworden. So konnten sie doch unmöglich weiter ein paar Gräser und Insekten zusammen anschauen. „Wir sehen uns beim Abendessen?“, setzte Kleist vorsichtig an, nachdem er vom Schreibtisch heruntergestiegen war. Schnell sprang auch Alexander auf. „Ja. Selbstverständlich.“, versicherte er und begleitete Kleist zur Tür, die er unbemerkt aufschloss. „Dann bis nachher.“, verabschiedete sich Kleist mit einer leichten Verbeugung, die Alexander erwiderte. Kaum war der junge Leutnant außer Sichtweite stürmte Alexander in sein Schlafzimmer. „Robert!“ Sein Herr klang so verzweifelt, Robert brauchte nicht einmal eine Minute, bis er bei ihm war. „Was ist passiert?“, fragte er besorgt. Alexander warf sich aufs Bett, vergrub sein Gesicht im Kopfkissen. „Ich bin zu weit gegangen.“, presste er hervor. Sofort war Robert bei ihm und setzte sich auf die Bettkante. „Was?! Sie haben doch nicht etwa…?“ „Nein, ich habe ihn – ganz gleich was – von meinem Arm ablecken lassen…!“ „Und er…?“ „Er hat sich nicht beschwert! Er hätte so etwas von Anfang an nicht zulassen dürfen!“ Robert seufzte und wollte gerade etwas erwidern, da sprang Alexander auf. Hastig riss er sich das Hemd auf. „Ha-halt! Die Knöpfe! Wer näht die denn wieder…?!“ Alexander drückte ihm den Stoff gegen die Brust. „Du.“, sagte er, mit einem Blick, den Robert zur Genüge kannte. „Herr Baron, nicht…“ Alexander verhakte sich mit seinem Gürtel. „Beherrschen Sie sich.“ „Ich hab mich die letzten Tage schon genug beherrschen müssen!“, rief er, völlig in Rage, „Jetzt glotz nicht so blöd und hilf mir mit diesem gottverdammten – “ Robert sah ein, dass es nichts half, sich zu widersetzen. Mit einem Ruck landete Alexander wieder auf dem Bauch. „Liegenbleiben.“, befahl er seinem Herrn. Nur er durfte sich so etwas herausnehmen. „Seit dieser Ferdinand hier rumschleicht traue ich der Sache nicht mehr.“, murmelte er, als er die Tür von innen verschloss und den Schlüssel steckenließ. Dann zog er sich die Handschuhe aus und stieg zu Alexander aufs Bett. Der junge Baron hob sein Becken an, damit Robert ihm den Gürtel öffnen und die Hose ausziehen konnte. „Ich habe noch kein Wasser einge– “ „Kein Wasser, verdammt!“, keuchte Alexander und begann, sich an der Matratze zu reiben. „Ich weigere mich, Sie in diesem Zustand zu massieren. Meine Dienste sollen nur Ihrer– “ „Entspannung dienen, nicht meiner sexuellen Befriedigung, ich weiß!“, jammerte Alexander, „Dann unternimm etwas, dass ich mich wieder entspannen kann…!“ Robert packte ihn an der Hüfte. Alexander hielt zwangsläufig mit seinen Bewegungen inne. „Geben wir Ruhe, ja?“ Alexander grummelte etwas Unverständliches ins Kopfkissen, hielt aber auch still, als Robert ihn wieder losließ. Mit seinen langen Fingern fasste er an die Schultern des jungen Barons und begann ihn zu massieren. Alexander keuchte auf. „Sie sind schrecklich verspannt.“ „Jaah…“ „Und das nur wegen des jungen Leutnants?“ Alexander krallte die Hände ins Bettlaken. „Nur wegen ihm…“, brachte er heraus. „Nur wegen…seinen himmlisch blauen Augen…seinen vollen Lippen…hast du – Hast du seine Lippen gesehen, Robert?“ „Flüchtig.“ „Seine Lippen sind…! Ich hatte sie an meinem Arm. Nur an meinem Arm und schon… Gott, wenn ich mir vorstelle, dass sich diese Lippen um meine Männlichkeit schließen…“ Robert kniff kurz die Augen zusammen. „Ich versuche, es mir nicht vorzustellen.“ „Seine Lippen…und seine Zunge…wenn er mit seiner Zunge über meine Haut leckt…über die Brust, den Bauch…“ „Alexander.“ „N-nicht aufhören, bitte…!“ „Dann halten Sie still.“ „N-nnein…kann nicht…Oh, Gott, Heinrich…Ich will ihn küssen. Am ganzen Körper…!“ Robert seufzte. Es war zwecklos. So hatte er seinen Herrn noch nie erlebt. Also verfestigte er seine Griffe. Seine Finger mussten blaue Flecke an den braunen Schultern hinterlassen. „Was tun Sie, wenn er jetzt genauso wie Sie in seinem Zimmer liegt. Auf dem Bett. Und Ihren Namen schreit. Unaufhaltsam.“ Alexander stöhnte nur noch. „Ihr Name entweicht diesen vollen Lippen, immer wieder, weil sie doch nichts anderes zu tun haben. Viel lieber würden sie Sie küssen. Ihren Körper verwöhnen. An jeder Stelle.“ Alexanders Bewegungen wurden immer heftiger. „Und stellen Sie sich vor, wie seine blauen Augen leuchten, wie sie funkeln, wenn er Ihren Namen ein letztes Mal ruft…“ Robert hielt inne. „Bis er so wie Sie das Laken beschmutzt. Wissen Sie, was für eine Arbeit Sie einem machen können?!“ Alexander lächelte nur selig. Völlig außer Atem, aber selig. „Ich wünschte, es wäre so, Robert.“, flüsterte er. Er hörte, wie sein Kammerdiener wohl kurz lachte, und spürte, wie er ihm durch die Haare fuhr. „Ich lasse das Wasser ein.“ „Bitte.“ Zum Abendessen erschien Alexander wieder vollkommen beherrscht und ausgeglichen. Er bemerkte ein wenig erstaunt, dass sowohl Ferdinand als auch seine Mutter nicht anwesend waren. – Bei Ferdinand nicht sonderlich fragwürdig, seine Mutter jedoch war bis jetzt nie zu spät irgendwo erschienen. „Ist etwas mit Mama?“, fragte Alexander seinen Bruder, als sie zusammen mit Caroline und Herrn von Kleist an der Tafel Platz nahmen. Wilhelm konnte gerade darüber Auskunft geben, dass er auch nichts Näheres wusste, aber soeben nach ihr schauen wollte, da öffnete sich schwungvoll die Tür und Ferdinand betrat den Raum. „Ich komme von unserer Mutter.“, sagte er, bevor er sich mit leidvollem Gesichtsausdruck setzte. „Ihr geht es…nein, ihr geht es gar nicht gut.“ Alexander bedachte seinen Halbbruder mit einem skeptischen Blick. Er konnte nicht einschätzen, ob dies wieder eine von seinen Hochstapelleien war, oder einmal die ganze Wahrheit. „Ich saß jetzt bestimmt eine Stunde an ihrem Bett, aber sie ist nicht dazu zu bewegen, am Abendessen teilzunehmen.“, meinte er, sich selbst anscheinend bemitleidend. „Ist sie denn aber versorgt?“, wollte Wilhelm wissen. „Ihre Kammerzofe hat ihr etwas gebracht und ist jetzt bei ihr, ja.“, entgegnete Ferdinand. Alexander schnaubte. Als man ihn daraufhin fragend oder mahnend ansah, reagierte er nicht. Dieser Halunke! Wie ein Heuchler war er bestimmt am Bett seiner Mutter gesessen, um ihr zu zeigen, was für ein lieber und verantwortungsbewusster und – nein. Um ihr zu zeigen, dass er der einzige liebe, verantwortungsbewusste und um sie besorgte ihrer Söhne war. Alexander bekam trotz Kleists angenehmer Anwesenheit fast nichts hinunter. Er hatte noch nicht einmal den Kopf dafür, mit seinem Gegenüber sonderlich ins Gespräch zu kommen oder ihn gar in Gedanken anzuhimmeln für irgendetwas, das er gerade tat. Wenn, dann passierte das gerade unbewusst, denn vorrangig war Alexander mit seinem Denken bei seiner Mutter. Er beschloss, gleich nach dem Essen sie aufzusuchen, auch wenn sie ihn dann für genauso begierig auf ihr Erbe halten sollte, wie Ferdinand es war. Kapitel 15: XV -------------- Es war still im Gang. Alexander fragte sich, ob Schloss Tegel einmal überall, in jedem Flur, in jedem Zimmer so still sein würde. Das Klopfen an die hölzerne Tür brach fast wie ein Donner in die drückende Stille. Es kam kein »Herein«, aber nach einer Weile öffnete Margarethe. Mit einer leichten Verbeugung gewehrte sie Alexander Eintritt in das Schlafgemach seiner Mutter und schloss hinter ihm die Tür. Der junge Baron kam sich seltsam vor. Das Verhältnis zwischen ihm und seiner Mutter war noch nie sonderlich herzlich gewesen. Es war klar zu sehen, dass sie Wilhelm bevorzugte; aber es stimmte ja: Mit ihm konnte man sich besser unterhalten. Vom Wesen her waren sich der Ältere und die Baronesse ähnlicher. Sie waren beherrscht, stets anständig und höflich, ernst. In diesen Situationen, in denen die beiden ihm viel zu spröde und prüde vorkamen, da vermisste Alexander seinen verstorbenen Vater wie nichts sonst. Er konnte sich zwar nicht sonderlich gut an ihn erinnern, aber immer sah er ein freundliches, heiteres Lächeln vor sich, wenn er an ihn dachte. Ein warmes liebevolles Lächeln, warme große Hände, die ihn hielten. Er verstand sehr gut, wieso seine Mutter ihm gegenüber eher distanzierter war, wenn es wirklich stimmte, was Ferdinand sagte: dass er seinem Vater so sehr ähnelte. Sie musste jedes Mal, wenn sie ihn ansah, den Schmerz des Verlustes spüren; klar, dass sie das verbitterte. „Alexander.“ Ihre Stimme klang schwach, als sie seinen Namen sagte. Den seinigen und den seines Vaters. Alexander trat zu ihr ans Bett und sah stumm auf sie herab. Er war besorgt. Sie sah alt aus. Seine Mutter sah nie alt aus. „Mama.“ Sie lächelte. „Setz dich, Alexander.“ Er gehorchte. Irgendwie hielt er es für richtig, jetzt ihre Hand zu nehmen. Er glaubte zu träumen, als ihr Lächeln breiter wurde. „Wie…Hast du Schmerzen?“ Sie schloss kurz die Augen, bevor sie ihn wieder anblickte. „Nein. Jetzt nicht mehr.“ Er drückte ihre Hand ein wenig fester und nickte. „Es muss die Aufregung gewesen sein…“, meinte sie. Alexander wusste nicht, was er sagen sollte, dabei wollte er so vieles loswerden. „Was willst du?“, fragte die Baronesse. Dies ließ ihn hochschrecken. „Ich…!“ Er griff auch mit der anderen Hand nach ihrer. „Mama, du musst mir glauben.“, fing er an, „Ich will nicht…Ich bin nicht mit heuchlerischen Absichten an dein Bett gekommen, ich bin nicht wie Ferdinand! Mir…mir geht es gar nicht ums Erbe! Das Erbe… - es ist mir schei – e-egal, ist es mir, verzeih. Das Erbe ist mir egal, Mama, nur…Nur Wilhelm! Er hat eine Familie! Du kannst ihm das Schloss nicht wegnehmen, er lebt doch schon so lange hier, die kleine Gabriele ist hier geboren, sie wird hier groß, bitte…“ Alexander merkte jetzt erst, dass ihm die Tränen über die Wangen liefen. Er lachte jämmerlich. „Vater hat diesen wunderschönen Garten gestaltet…es ist sein Garten…Ich könnte nicht zuschauen, wie dieser…wie Ferdinand alles zugrunde gehen lässt, wie unwürdig er das Personal behandelt, wie…das schöne Schloss, Mama…“ „…Alexander.“ Mühsam streckte sie ihre Hand nach ihm aus. Es dauerte einige Sekunden, bevor Alexander erkannte, dass er ihr mit dem Gesicht entgegenkommen musste. Zärtlich fuhr sie ihm über die Wange, wischte seine Tränen beiseite und lächelte ihn liebevoll an. Solch ein liebevollen Lächeln hatte sie ihm noch nie geschenkt, nie. „Weißt du, wieso ich dich, dich und deinen Bruder Wilhelm viel mehr liebe, als Ferdinand?“, sagte sie. „Weil ich euren Vater geliebt habe. Ich will nicht sagen, dass Ernst von Hollwede ein schlechter Mann gewesen wäre, er war nett, ja, aber ich habe ihn nie so geliebt, wie ich euch liebe. Ich habe ihn geheiratet, weil ich eine junge Frau ohne Perspektiven war und weil Ernst mir diese Perspektiven mit seinem Vermögen und seinen Gütern bieten konnte. Als ich euren Vater jedoch geheiratet habe, da tat ich das aus Liebe zu ihm. Er hatte nichts, nur den neuverliehenen Adelstitel, ich hatte das Geld. Ich hätte mir jeden aussuchen können, Alexander, aber ich habe mich für deinen Vater entschieden, weil er der klügste und charmanteste und schönste unter ihnen war und weil er mich so geliebt hat, wie ich ihn liebte.“ Alexander schluckte. Er schämte sich dafür, dass ihm immer noch unaufhaltsam die Tränen übers Gesicht liefen. Er war kein Kind mehr, verdammt! „Komm her.“ Ein wenig überrascht ließ er sich zu ihr ziehen und legte schluchzend seinen Kopf an ihre Brust. Sie fuhr ihm sanft durch die Haare, flüsterte beruhigende Worte. „Ich will nicht, dass du stirbst!“ „Ich sterbe noch nicht.“, antwortete sie, „Noch nicht.“ Es vergingen einige Minuten, bis Alexander sich wieder imstande sah, sich aufzurichten. Er wischte mit den Ärmeln seines Gehrocks seine Augen trocken, räusperte sich unbeholfen. Er kam sich wirklich wie ein kleiner Junge vor. „Wenn es dich beruhigt“, fing die Baronesse in die wieder aufgekommene Stille hinein an. Ihr Sohn sah sie erwartungsvoll an. „Wilhelm wird das Schloss behalten, und nichts kann mich mehr von diesem Entschluss abbringen.“ Alexander schlug die Hände vor der Brust zusammen. Er suchte nach Worten, konnte seine Erleichterung aber nur durch ein überglückliches Grinsen deutlich machen. „D-du…! Das… - Danke, Mama, danke!“ Übermütig küsste er ihr die Hand, was sie tatsächlich zum Lachen brachte. Ein wenig melancholisch sah sie ihn an. „So ungestüm, wie dein Vater, Alexander.“ Das machte den jungen Baron noch ein wenig glücklicher. „Und, Alexander“, sprach sie weiter, jedoch wieder in einem ernsteren Tonfall, „Du sollst wissen, dass ich voll und ganz Willens bin, dir anstelle Ferdinands das Gut Falkenberg zu vermachen.“ „W…Tatsächlich?“, brachte Alexander heraus. Damit hatte er niemals gerechnet. Doch die Baronesse nickte. „Ja, das ist meine Absicht. Also achte bitte darauf, dass du dich auch wie ein berechtigter Erbe verhältst.“ Alexanders Augen weiteten sich. Er sah seine Mutter an und hatte plötzlich das Gefühl, dass ihre graublauen Augen ihn völlig durchdrungen. „Mama– “ „Ein Ausrutscher, mein Sohn. Es bedarf nur eines Ausrutschers und Ferdinand nagelt dich daran fest.“ Sie sah ihn eindringlich an. „Bitte bedenke das bei allem, was du tust. Ich will weder mein Schloss, noch das Gut an ihn verlieren.“ Alexander schluckte. Geradeso bekam er ein Nicken zustande. „Ich denke, morgenfrüh geht es mir wieder besser.“ „Ja, ich…ich hoffe es.“ Unbeholfen stand er auf. „Ich…Gute Nacht, Mama.“ „Gute Nacht, mein Sohn.“ Als Alexander die Tür hinter sich geschlossen hatte, konnte er sich nicht vom Fleck rühren. Zu entsetzt war er über die Tatsache, dass seine Mutter ihn anscheinend besser kannte, als er zu glauben dachte. Sie musste Bescheid wissen, anders waren ihre Andeutungen nicht zu verstehen. Fast mit einem schlechten Gewissen betrat er sein Zimmer. Er sprach nicht viel mit Robert, ließ sich sonderlich wortkarg von ihm entkleiden, hatte keine Lust dazu, sich zu waschen, das würde er morgenfrüh nachholen. Robert war verwundert, aber damit einverstanden. Alexander lag noch bis spät in die Nacht wach. Er dachte nach. Morgen würde er mit Kleist zum See gehen, Schwimmen, sie würden sich voreinander ausziehen. Sollte er den Ausflug absagen, seiner Mutter zuliebe? Verzweifelt drehte er sich auf den Rücken und starrte an die Decke. Nein. Er konnte, er wollte nicht! Er…er sehnte sich danach, Kleist endlich…ihn endlich in solch einem intimen Moment zu erleben, das konnte er sich doch nicht entgehen lassen! Und überhaupt: Wie sollte Ferdinand davon Wind bekommen? Und wenn: Sie würden schließlich nur zusammen Schwimmen gehen. Wie viele Männer gingen bitteschön zusammen Schwimmen?! Tausende! Und es sah wahrhaft nicht danach aus, dass sich ihr Ausflug an den See zu etwas anderem entwickeln würde. Wobei…wenn man es sich genau besah…Eigentlich wirkte es doch so, als wenn Kleist ihm nicht völlig abgeneigt wäre. Seine Reaktionen, seine Blicke…seine Wangen, die sich immer so herrlich röteten… Alexander drehte sich auf die Seite. Aber…Kleist war ein schrecklich unsicherer Mensch. Was, wenn er nur nicht wusste, wie er auf seine Avancen reagieren sollte? Was, wenn dies alles nur aus Unbeholfenheit heraus und nicht aus Leidenschaft geschah? Der junge Baron seufzte. Er musste wohl warten. Er musste darauf warten, dass Kleist ihm ein eindeutiges Zeichen gab, eine eindeutige Bestätigung, weitergehen zu dürfen. Aber was, wenn da nichts von ihm kam? Immerhin hatten sie nur noch morgen Zeit. Nur noch den einen Tag, bevor die Madame und ihre Tochter zurückkommen würden. Denn was für eine Entschuldigung würde er dann noch haben, so viel Zeit mit dem jungen Leutnant zu verbringen? Keine einzige. Er musste sich ab übermorgen wieder um dessen Cousine kümmern, nur für sie da sein. Nur noch mit ihr durfte er im Garten spazieren gehen, nur noch ihr seine wissenschaftliche Sammlung zeigen. Und darauf konnte er wahrlich verzichten. Verzweifelt vergrub er sein Gesicht im Kopfkissen. Was sollte er bloß machen?!? Wenn er Dorothea am Ende der Woche abwies, wie die ganzen anderen Frauen vor ihr auch, dann würde er Kleist nicht mehr so schnell zu Gesicht bekommen, geschweige denn ihn als Freund behalten können. Aber…war das ein Leben, verheiratet mit einer Frau zu sein, und bei jedem Kuss, bei jedem Schwur der Treue und Liebe, ja, gar im Ehebett stets an ihren Cousin denken zu müssen…? Seiner Mutter würde er damit wiederum einen Gefallen tun. Er würde damit, nicht nur sich, sondern auch Wilhelm, das Erbe sichern. Alexander wollte nicht wieder zu weinen beginnen, deshalb sprang er auf und holte sich aus seinem Arbeitszimmer ein Buch über die Gesteinsschichten in den Alpen, das er studierte, bis er endlich darüber einschlief. --------------------- Ich denke, in diesem Kapitel merkt man ganz gut, dass sich dieser Alexander und der Alex aus VLE doch vom Charakter ein wenig unterscheiden. Salopp gesagt hab ich ihn nicht so waaahnsinnig "seme-haft" gestaltet XD Vielen Dank für eure Kommentare und Favos! Das spornt mich an hier (und an VLE^^) weiterzuschreiben...! X3 Kapitel 16: XVI --------------- Alexander war am nächsten Morgen wieder guter Dinge. Ferdinand erschien nicht zum Frühstück, und auch wenn seine Mutter ebenfalls nicht anwesend war, konnte Wilhelm bestätigen, dass es ihr schon viel besser ginge, der Arzt ihr nur geraten hätte, zur Sicherheit ein wenig länger das Bett zu hüten. Die größte Genugtuung verspürte er aber bei dem Gedanken, dass Ferdinand seine freie Zeit ganz umsonst am Bett der Baronesse verbrachte: Das Schloss würde er doch nie bekommen. Alexander überlegte, ob er mit Wilhelm die gute Nachricht teilen sollte, schließlich betraf es in erster Linie ja ihn, aber er dachte sich, es sei wohl eher die Aufgabe seiner Mutter, es ihm persönlich zu sagen. Außerdem hatte der junge Baron an diesem Morgen ganz andere Sorgen: Herr von Kleist sah besser aus denn je. Er trug einen leicht rötlichen Gehrock, der ebenso eng geschneidert war, wie der letzte, nur waren die Ärmelenden umgeschlagen und verziert, wie die einer Uniform, sodass seine zauberhaften Hände besser sichtbar waren. Außerdem hatte er den Kragen aufgestellt, sodass das Halstuch tiefer sitzen und er so mehr von seinem bildhübschen Nacken zeigen konnte. Mit einem zuckersüßen Lächeln blickte er Alexander an. Seine Wangen waren wieder so lebhaft rot, dass er ein paar Jahre jünger wirkte. „I-ist etwas, Herr Baron?“ Alexander erwiderte das Lächeln, wandte aber schnell seine Augen ab, als er verneinte. Stumm sahen die beiden zu, wie Richard ihnen Tee nachschenkte. Dabei waren sie beide fast gar nicht zum Trinken gekommen. Alexander nicht, weil er damit beschäftigt gewesen war, sein Gegenüber zu bewundern. „Ich wollte fragen“, fing Alexander an, als er bemerkte, wie Caroline drohte, eine Konversation zu beginnen, „ob Ihre Zusage noch gilt.“ Kleist sah ihn wohl etwas fragend an. „Wir wollten an den See gehen.“, half ihm der junge Baron auf die Sprünge und hoffte, nicht plötzlich eine Absage zu kassieren. „Ah, ja, der See!“, fiel es dem Leutnant wieder ein. Mit einem um einiges schüchterneren Lächeln antwortete er: „Die Zusage gilt noch.“ „Wunderbar.“, meinte Alexander und merkte, wie sein Herz ein wenig schneller schlug. „Wie wäre es, wenn wir nach dem Mittagessen zusammen losgingen?“ „Das klingt gut.“, entgegnete Kleist und ließ sich von Richard das ausgelöffelte Frühstücksei abräumen. Auf seinem Zimmer wusste Alexander nicht, was er mit sich anfangen sollte. Als endlich Robert eintraf, musste auch dieser feststellen, wie sehr sein Herr eine Beschäftigung suchte. „Sie müssen sehr verzweifelt sein, Alexander.“, meinte Robert und hob den Gehrock vom Boden auf, um ihn über die Stuhllehne zu hängen. „So?“, kam es nur vom jungen Baron, der vor seinem Schrank stand und auf irgendetwas nervös herumkaute. „Ja, Sie haben Ihr Sammelsurium endlich ins Arbeitszimmer geräumt. Hier sieht es ja wieder richtig nach einem gewöhnlichen Schlafzimmer aus.“ „Spar dir deine Ironie, Robert, hilf mir lieber.“, ermahnte ihn Alexander und winkte ihn zu sich. Jetzt sah der Kammerdiener, dass er auf einem Knopf herumkaute. „Wo ist der denn abgefallen?“, fragte Robert. Alexander ließ sich den Knopf widerwillig aus der Hand nehmen. „Keine Ahnung.“ „Worum geht es denn?“, wollte der Ältere wissen. „Ich bin nach dem Mittagessen mit Kleist am See verabredet. Zum Schwimmen.“ Robert machte einen Schritt zurück. Entsetzt sah er seinen Herrn an. „Das ist nicht Ihr Ernst.“ Alexander wandte sich irritiert zu ihm herum. „Wieso nicht?“ „Weil…“ Robert fuhr sich verzweifelt über die Stirn. „Weil das Ihr Ende sein könnte?!“ Der junge Baron winkte ab. „Hören Sie“, fing Robert erneut an, „Ist es…Laufen Sie nicht Gefahr, genau das zu tun, was Sie niemals wollten? Eine Beziehung, die– “ „Was für eine Beziehung?!?“, rief Alexander mit einem ironischen Lachen, „Wer sagt denn bitte, dass Kleist an mir auf solch eine Weise interessiert ist?“ Der Kammerdiener legte seinen Kopf schief und schenkte seinem Herrn ein mitleidvolles Grinsen. „Alexander.“, fing er an, „Ich habe Sie beide doch gesehen, da am Teich. Und Sie haben mir von ihm erzählt. Er hat Ihnen was-auch-immer vom Arm geleckt. Sie können mir nicht erzählen, dass er, auch falls er nur halbherzig an Männern interessiert ist, heute Nachmittag völlig unbeeindruckt bleiben wird, wenn Sie sich vor ihm am See ausziehen.“ Auf Alexanders Gesicht legte sich ein unsicheres Lächeln. „Meinst du?“, fragte er, und Robert konnte die Hoffnung in seiner Stimme hören, was ihn zum Seufzen brachte. „Ich…ich würde es Ihnen doch gönnen, Alexander, aber…die Folgen…“ Da packte ihn der junge Baron an den Schultern und sah ihn mit leuchtenden Augen an. „Robert du…du meinst tatsächlich, er empfindet etwas für mich?! Er würde sich auf mich einlassen?!?“ „Selbstverständlich, nur– “ Robert verstummte, als sein Herr ihm einen Kuss an die Wange drückte. „Verstehst du nicht, dass das mit Herrn von Kleist etwas völlig anderes ist?!“, rief Alexander begeistert. „Er ist kein Bauernjunge! Er war in der Armee, er ist von adligem Geschlecht! Er hat einen Ruf zu verlieren, genauso wie ich!“ Robert bedachte ihn mit einem skeptischen Blick. „Er hat aber ebenso, im Vergleich zu einem Bauernjungen, den Rang und die Glaubwürdigkeit – ja, gar vielleicht die Absicht, Sie zu verraten.“ „Unsinn!“, tat Alexander die Sache ab und wandte sich wieder dem Schrank zu. „Was soll ich anziehen?“, fragte er, um auf die Ausgangsproblematik zurückzukommen. Robert schob ihn ein wenig zur Seite und holte zielsicher die seiner Meinung nach passenden Kleidungsstücke heraus. „Ich schlage Ihnen diesen Rock vor, der ist etwas farbenfroher. Dazu diese Hose.“ Damit hielt ihm Robert einen hellbraunen Gehrock entgegen, der fast schon ins Gelbe ging und die passende Hose, wieder schnitteng und mit Schlag. „Zum Schwimmen empfehle ich Ihnen das Adamskostüm.“ Alexander verdrehte die Augen. „Natürlich.“ Robert legte die Kleider auf dem Stuhl ab und öffnete seinem Herrn den Gürtel. Als er ihm die Hose hinunterzog, musste er schmunzeln. „Was ist?“, fragte Alexander verwirrt nach. „Ich dachte nur daran“, antwortete ihm Robert und ließ ihn aus den Hosenbeinen steigen, „dass ich möglicherweise bald arbeitslos sein werde, wenn Sie sich in Zukunft vom Herrn von Kleist ausziehen lassen.“ Alexander konnte nicht verheimlichen, dass ihm dieser Gedanke gefiel. „Du wirst immer mit mir beschäftigt sein, Robert“, meinte er jedoch, „ob du willst oder nicht.“ „Da könnten Sie Recht behalten.“, lachte der andere. Als Alexander fertig eingekleidet das Zimmer verlassen und hinunter zum Mittagessen gehen wollte, hielt ihn Robert am Arm fest. „Nur, wenn er eindeutig auf Sie zukommt.“, sagte er und sah den jungen Baron eindringlich an, „Eindeutig. Sonst schaufeln Sie sich Ihr eigenes Grab.“ Alexander nickte. „Versprochen.“, meinte er und Robert ließ ihn los. Beim Mittagessen saß die Baronesse mit ihnen am Tisch. Sie wirkte tatsächlich wieder gesund und kam sogar damit klar, dass Ferdinand unaufhaltsam auf sie einredete. Auch wenn Alexander über die Genesung seiner Mutter erleichtert war, wurde er immer aufgeregter: Gleichwohl er vorhin im Gespräch mit Robert noch so überzeugt davon war, dass das mit Kleist und ihm heute wirklich etwas werden konnte, schien ihm jetzt der Mut zu schwinden. Etwas. Was war dieses etwas überhaupt, das passieren mochte? Im besten Falle würden sie im See an irgendeinem Strauch oder Fels übereinander herfallen und sich anschließend darauf einigen, diesen schmachvollen Eklat für sich zu behalten. Alexander sah mit unsicherem Blick zu Kleist auf, der ihm ein kleines Lächeln schenkte. Und wenn der Leutnant viel zu schüchtern war, um eindeutig auf ihn zuzukommen? Dass Interesse bestand, war immerhin eindeutig sichtbar. Oder nicht? „Wann…Wollen wir gleich nach dem Essen…?“, meldete sich Kleist leise zu Wort, während er im Rührei herumstocherte. „Ja.“, entgegnete Alexander mit gezwungen fester Stimme, „Sofern es Ihnen so Recht ist.“ „Gerne.“, versicherte Kleist und nahm einen Bissen. Alexander bekam selbst fast nichts herunter. Er hoffte so sehr, dass er später etwas ruhiger werden würde. „Wo…wo liegt der See denn?“, wollte Kleist wissen und sah kurz zu Richard auf, da dieser so lange brauchte, um ihm Wasser nachzuschenken. „An der Königsstraße.“, antwortete Alexander, „Der Fluss, der hindurchfließt, wird nur oberhalb genutzt, weshalb es wirklich ein stilles Plätzchen ist. Außerdem wunderbar durch einige prächtige Bäume, die am Hang stehen, abgeschirmt.“ „Hört sich…traumhaft an.“, meinte Kleist und sein Lächeln wurde etwas breiter. Als nur noch Ferdinand aß – nun ja, eher alles in sich hineinschlang – erhob sich Alexander. „Wir gehen ein wenig außerhalb spazieren.“, kündigte er an, vornehmlich seiner Mutter. Diese nickte, und so verließ er zusammen mit Herrn von Kleist den Saal. Sein Herz begann noch etwas schneller zu schlagen. ------------------- So, im nächsten Kapitel erreichen sie dann endlich den See. Wirklich^^ Mit VLE geht’s gut voran, aber ich hab mir überlegt, dass ich warte, bis Ran wieder da ist, weil sie auch so nett war, auf meine Rückkehr mit Nilwis zu warten – also müsst ihr euch noch ein wenig gedulden und vorab mit ST vorlieb nehmen :3 Kapitel 17: XVII ---------------- Der Weg zum See war dem jungen Baron heute länger als üblich vorgekommen. Sie hatten nicht viel geredet, nur ein paar Worte über die Wassertemperatur und darüber, dass die Luft zum Glück warm und die Sonne von keinerlei Wolke bedeckt war. So schwiegen sie auch, als sie zwischen den Bäumen den Hang hinabliefen und auf die Wiese kamen. „Herrlich.“, kam es schließlich beeindruckt von Kleist. „Nicht?“, entgegnete Alexander mit einem unbeschwerten Grinsen. Wie er gehofft hatte, beseelte ihn die Natur, ließ ein wenig Anspannung von ihm abfallen und hauchte ihm neuen Mut ein. Wieso sollte er sich den Kopf zerbrechen? Es würde kommen, wie es kommen sollte, oder auch nichts passieren. Dann würden sie nicht verliebt, sondern verschwägert zurück zum Schloss gehen und Alexander Dorothea noch morgen einen Antrag machen, um Kleist nicht ganz zu verlieren. „Und…hier haben Sie die ganzen Pflanzen her?“ Kleist war am Ufer stehengeblieben und sah sich um. „Ja“, antwortete Alexander, trat neben ihn, während er sich schon den Gehrock aufknöpfte. „Auch die wunderschönen Steine und Interessantes dergleichen finden sich hier.“ Kleist drehte sich zu ihm um und sah zuversichtlich zu ihm auf. „Ob wir hier heute auch etwas finden werden?“ „Möglich.“, meinte Alexander und sein Lächeln wurde sanft. Er sah sein Gegenüber eine Weile eindringlich an, doch der junge Leutnant wandte sich zögerlich von ihm ab und lief ein paar Meter das Ufer entlang. Er ging in die Knie und ließ eine Hand ins Wasser. „Das Wasser ist noch ziemlich kalt.“, stellte er leise fest, sodass ihn Alexander fast nicht hören konnte. „Wenn Sie nicht wollen, müssen Sie nicht ins Wasser.“, sagte dieser, wobei er sich auch das Halstuch auszog und begann, sein Hemd aufzuknöpfen. „Sie haben aber nichts dagegen, wenn ich ein paar Runden schwimme?“ Kleist drehte sich erstaunt zu ihm herum; als er sah, was der Baron tat, wandte er sich wieder ab. „N-nein, selbstverständlich nicht.“, meinte er. Alexander fuhr also fort, sich zu entkleiden. Auch wenn ihm das Herz bis an den Hals schlug, wusste er, was er tat. Was er wollte. Er zog sich Schuhe und Socken aus, bevor er aus der Hose stieg und nackt war. Kleist begutachtete sehr interessiert die Bäume auf der gegenüberliegenden Seite des Sees. Während sich Alexander ins Wasser bewegte, spürte er jedoch den Blick in seinem Rücken. Als er sich jedenfalls umdrehte, der Boden schon langsam unter seinen Füßen verschwand, da sah ihn Kleist an. Er lächelte schüchtern und spielte mit dem Saum seines Rocks. „Wenn man sich gleich bewegt, ist es gar nicht so kalt.“, rief Alexander mit einem Grinsen und schwamm ein wenig auf der Stelle. Langsam ließ Kleist den Gehrock von seinen Schultern gleiten. „W-wirklich?“ „Ja, kommen Sie nur!“ Der junge Leutnant sah hinauf in die Sonne, als wenn er noch einmal ihre Wärmkraft testen wollte, bevor er sich das Hemd aus der Hose zog und es aufknöpfte. Alexander genoss jede seiner Bewegungen. So unwahrscheinlich grazil huschten die Finger über den seidigen Stoff, streiften ihn vom Körper, der… Kleist besaß eine wunderbar helle Haut, um die ihn jede Frau beneidet hätte. Er war im Vergleich zum Baron selbst schmächtig, aber man sah ihm an, dass er in der Armee gewesen war. Seine Brust- und Bauchmuskulatur war wohl definiert, und auch wenn seine Schultern nicht sonderlich breit waren, so waren seine Oberarme doch kräftig. Alles lud Alexander ein, den jungen Mann voller Faszination zu betrachten, weshalb er große Mühe damit hatte, seine Augen auch ab und zu abzuwenden, damit er nicht zu auffällig wurde. Als Kleist seinen Gürtel geöffnet hatte und sich an den Hosenbund fasste, sah er zu seinem Beobachter auf. Seine Wangen waren ein wenig rot, ihm war sichtlich unwohl. Beinahe hätte sich Alexander für seine Dreistigkeit entschuldigt, doch er tauchte nur unter, womit er auch gleich wieder einen kühlen Kopf bekam. Als er zum Luftholen an die Oberfläche kam, war Kleist schon im Wasser. „Und?“, fragte Alexander, „Ist Ihnen kalt?“ „Es…es geht.“ „Dann schwimmen wir doch ein Stückchen zusammen, hm?, damit Ihnen warm wird.“ Mit diesen Worten setzte Alexander sich in Bewegung und schwamm voran. Der junge Leutnant folgte ihm, wie zu erwarten beachtlich schnell. „Wir können dort hinüber, da gibt es interessante Pflanzen auf dem Grund.“, schlug der Ältere vor und sah sich kurz nach Kleist um. Diesem waren die Haare nassgeworden; sie hingen ihm in die Stirn, Tropfen liefen ihm übers Gesicht, perlten an seinen vollen Lippen. Er war etwas außer Atem, als er bei ihm ankam, wischte sich mit einem schüchternen Lächeln übers Gesicht. „Können Sie hier wieder stehen?“, fragte Alexander und setzte selbst seine Füße auf den Grund. „Nicht…ganz.“, gab Kleist, wohl ein wenig beschämt, zu. „Dann probieren Sie es hier.“, meinte Alexander und fasste ihn am Arm, zog ihn ein wenig mehr zu sich. „Jetzt?“ Mit seinen wunderschönen blauen Augen sah der junge Leutnant zu ihm auf. „Ja.“, sagte er. „Dann“ Alexander musste sich zusammenreißen. „Dann schauen wir mal, was wir finden.“ Damit tauchte er unter. Unter Wasser suchte er den Boden ab, wühlte ein wenig mit seinen Händen im Sand. Gerade hatte er einen ansehnlichen Stein gefunden, da war Kleist bei ihm. Er gab ihm den Stein in die Hand, ließ diese jedoch nicht los, betrachtete voller Faszination – nein, nicht das Fundstück, sondern den Körper des anderen, der sich ihm, zwar durch den aufgewirbelten Sand nicht glasklar, aber doch allzu deutlich darbot. Alexander ließ Kleist los und tauchte auf. Er atmete schwer, obwohl er das Tauchen mehr als gewohnt war; sein Herz raste. Plötzlich spürte er eine Hand an seiner Seite. Kleist zog sich an ihm aus dem Wasser. Er war ebenfalls außer Atem, lächelte ihn mit glühenden Wangen an, stolz nicht nur den Stein Alexanders, sondern auch einen eigens gefundenen in Händen, die er ihm entgegenhob. „Hier…a-also…Man findet hier wirklich…“ „Schätze.“, beendete Alexander den Satz mit einem Grinsen. Irgendwie reizte es ihn, den anderen zu berühren, weshalb er ihn an den Armen fasste, sie hinabfuhr, übers Handgelenk, bis er ihm die Steine aus den Händen nahm. Als ihn Kleist mit einem undefinierbaren Blick ansah, entschloss er sich dazu, auszuholen und die Steine in der Mitte des Sees zu versenken. „W…?! Sie…!“ Alexander lachte. Kleist spritzte ihn mit Wasser nass. Alexander stürzte sich auf ihn. Er packte Kleist an den Schultern und drückte ihn unter Wasser. Der junge Mann fasste nach ihm, um sich zu wehren, und endlich spürte er diese wunderbaren Hände an seiner Brust, an seinem Bauch… Prustend tauchte Kleist wieder auf. Sofort schlang er dem anderen von hinten die Arme um den Hals und riss ihn um. Alexander bekam ihn erst an der Hüfte zu fassen, sodass Kleist ebenfalls den Halt verlor. Zusammen kamen sie wieder zurück an die Oberfläche. Das Wasser war in der Tat kühl, trotzdem war dem jungen Baron heiß. „Ich“, er schluckte, „Ich beantrage Friedensverhandlungen.“ Kleist grinste ihn heftig schnaufend an. „Wenn Sie mir die Steine ersetzen, lege ich die Waffen nieder.“, meinte er. Alexander nickte erleichtert und machte sich sofort auf die Suche, wobei er sich etwas vom anderen entfernte, was er dringend nötig hatte. Nachdem Kleist seine Steine wiederhatte – und sie gleich darauf ebenfalls mit einem Wurf im See versenkt hatte – schwammen sie noch ein wenig schweigend nebeneinander her, bevor Alexander anmerkte, dass Kleists Lippen schon ein wenig blau wären und sie doch besser wieder an Land gehen sollten. Der Leutnant nickte flüchtig und sie schwammen zurück ans Ufer. Als Alexander aus dem Wasser stieg, wusste er sehr wohl um den Zustand seines Körpers Bescheid, aber in diesem Moment scherte er sich nicht darum. Er vermied es, sich nach Kleist umzudrehen, und nahm stattdessen sein Hemd vom Gras, womit er sich ein wenig abtrocknete, bevor er es sich um die Hüften schlang. Wenn Kleist dort etwas sehen wollte, dann würde er es auch durch das Hemd können; es war egal. Alexander ließ sich ins Gras sinken, ein seliges Lächeln auf den Lippen. Kleists Lächeln war schüchtern. Er hatte sich schon ebenfalls mit seinem Hemd bedeckt, als er sich zu ihm legte; Alexander vermied den Blick nach unten. Der junge Leutnant sah ihn stumm mit seinen blauen Augen an, die weiter schienen, als sonst. Seine Wangen waren gerötet. Er sah einfach nur unbeschreiblich ansprechend aus. Alexander spürte, wie wieder die Hitze in ihm aufstieg. Das Lächeln verschwand langsam aus seinem Gesicht, als seine Lider immer schwerer wurden. Kleists Atem fand den gleichen Rhythmus wie sein eigener, beide viel zu aufgehetzt für lediglich ein paar Runden Schwimmen. „Sie…“ Aus Kleists Gesicht war das Lächeln ebenfalls verschwunden. Während Alexander ihm in die Augen sah, wussten die nicht, wohin sie schauen sollten. „Sie zittern.“, brachte Alexander heraus, „Ist Ihnen kalt?“ „Nein“, antwortete Kleist. Seine Stimme klang tiefer als gewöhnlich. So wunderbar heißer… „Mir ist warm.“, sagte er, „Sehr…warm.“ Alexander merkte, wie laut sein Herz schlug, wie das Blut in seinen Ohren rauschte. „Mir auch.“ Endlich fanden Kleists Augen die seinen. Er keuchte fast auf, als dessen Hand sich an seine Brust legte. „Tatsächlich. Sie sind ganz warm.“ Alexander spürte, wie der andere seinen Körper mit dieser Geste nun vollkommen in Flammen gesetzt hatte, wie sehr er mehr wollte, mehr… Bevor er es realisierte, war Kleists Gesicht seinem näher; er hatte sich wohl selbst zu ihm hinübergebeugt. Alexander beschloss, nun auch den letzten Schritt zu gehen und diese sündhaften Lippen zu seinen zu machen. Mit flatternden Wimpern schloss er die Augen, als er sie spürte. Kalt und feucht und so wunderbar weich. Niemals zuvor hatte er so etwas gespürt, nicht bei einem simplen Kuss. Sein ganzer Körper brannte. Plötzlich entwich ihm ein leises Stöhnen. Er konnte sein Glück kaum fassen: Kleist küsste ihn zurück! Es war schüchtern und zart, und Alexander fasste nach ihm, zog ihn dichter an sich. Kleist stieß ihn nicht weg. Er ließ es zu, dass Alexander seine Lippen mit seiner Zunge durchbrach, dass er ihre Körper von ihren Hemden befreite und ihn anfasste. Genau da. Kleist stöhnte in den Kuss hinein. Alexander musste noch einmal zupacken, um es auch wirklich zu glauben: Kleist war nicht minder erregt, als er selbst. Der junge Baron umschlang den anderen mit seinen Armen, presste ihre Körper eng aneinander. Er wusste nicht mehr, wie ihm geschah, nur noch, dass es etwas Einzigartiges war. Kleists Keuchen, sein Stöhnen, seine Zunge… Er schlang ein Bein um Alexander, fand dessen Rhythmus, ließ auch mit seinen Händen niemals von ihm ab, fuhr über seine gebräunte Haut, liebkoste jeden Muskel, seine Brustwarze – Alexander stöhnte auf. Er öffnete die Augen halb, und da sah er den Blick aus ihren Gegenstücken, die wie Sterne glänzten. Mit Lust. Lust, die er selbst verspürte, die ihn rasend machte, die sein Herz zum Bersten brachte, sein Blut überkochen ließ. Er küsste ihn wieder, seinen Leutnant, den wunderschönsten Mann, den er jemals in den Armen halten durfte. Als ihre Bewegungen immer ekstatischer wurden, fasste er den anderen am Kopf, vergrub seine Finger in seinen nassen Haaren. Kleist stöhnte unaufhaltsam in seinen Mund. Das und die warme Flüssigkeit, die an seinen Bauch spritzte, war alles, was er brauchte, um sich ganz zu verlieren. Alexanders Brust hob und senkte sich schnell. Langsam öffnete er seine Augen. Sein Gegenüber blickte ihn an. Seine Pupillen waren geweitet, er lächelte noch wie im Rausch. Alexander fuhr mit seiner Hand aus den Haaren, legte sie ihm wieder auf die Wange. Er überbrückte die letzten Zentimeter und küsste ihn sanft. Liebevoll. „H-Herr…“ „Alexander.“ „Alexander.“ Heinrich sah ihn atemlos an. „ Das war…“ „Wunderbar.“, beendete der Baron den Satz. Heinrich führte ihre Lippen wieder zusammen. Der Kuss war nicht minder sanft, als der vorige. „Ich weiß nicht, was ich…“ „Dann lass mich sprechen.“, flüsterte Alexander, und Heinrich gewährte ihm diese Bitte. „Ich begehre dich, Heinrich. Seit wir dich hier auf Schloss Tegel begrüßt haben. Ich bin mir schon eine kleine Ewigkeit meiner…dieser…dieser Schwäche bewusst, weshalb ich mich oft an einem geheimen Ort unter falschem Namen mit verschiedenen Jungen getroffen habe. Und obwohl ich damit aufhören wollte, obwohl ich um der Gefahr weiß, der ich mich damit aussetze, jetzt im Besonderen, da Mutter bald stirbt und sie von mir verlangt, ein anständiger Erbe zu sein…, kann ich meine Begierde doch nicht unterdrücken, weil du…weil du so wunderschön und perfekt und…anziehend auf mich wirkst, wie noch nie ein anderer zuvor.“ Zärtlich fuhr er dem Jüngeren durch die nassen Haare. Heinrich sah ihn mit großen Augen an. Er musste schlucken. „Ich…mir geht es genauso.“, brachte er heraus und schlang seine Arme ein wenig enger um Alexander. „Ich habe schon in der Armee gemerkt, dass…dass ich mich zu Männern hingezogen fühle, aber…ich traute mich nie, auf diese Gefühle einzugehen, da meine Tante doch…Mein Onkel bezahlt mir nur ihr zuliebe mein Leben und das Studium, da mich meine Eltern ja mittellos zurückgelassen haben, ich…Ich hätte niemals…Wenn sie davon erfährt, wird sie mich verstoßen!“ Alexander zog ihn dicht an sich, fuhr ihm beruhigend über den Rücken, während er ihm kleine Küsse gab. „Dann werde ich für dich sorgen. Wenn wir vorsichtig sind und hiervon keiner erfährt, bekomme ich nach Mutters Tod das Gut, und dann können wir uns zusammen nach Falkenberg zurückziehen, können dort zusammen leben, zusammen alt werden, und scheren uns einen Dreck darum, was die Welt davon denkt. Was sagst du dazu?“ Vorsichtig fuhr er Kleist über die Wange, der heftig blinzelte. Eine Träne kullerte ihm aus dem Augenwinkel. „Nichts würde ich lieber tun!“, antwortete der Leutnant heftig und schlang seine Arme um Alexanders Hals, bevor er ihn innig küsste. ----------------------- Ich hoffe, ich hab euch jetzt nicht enttäuscht, da ja doch mehr passiert ist, als ihr euch gewünscht habt... XD Kapitel 18: XVIII ----------------- Es war still im Gang, niemand war Zeuge ihres herzlichen Abschieds, der doch nur für ein paar Minuten war. „Noch einen Kuss, Alexander.“ „Noch einen.“ Wieder fanden sich ihre Lippen unterm Türrahmen. „Nun lass mich los.“ „Gleich.“ Heinrich lachte leise, entzog sich nur widerwillig dem Griff des anderen. Alexander konnte noch seine Hand fassen, verteilte auf ihrem Rücken alle die tausend Küsse, die seinen Mund nicht mehr erreichten. „Wir sehen uns gleich beim Abendessen.“ „Hast du ein Handtuch im Zimmer? Nicht, dass du dich erkältest.“ „Ich lass mir eines bringen.“ „Noch einen Kuss.“ Heinrich fasste mit beiden Händen nach seinem Gesicht und zog ihn zu sich, küsste ihn, so ausgiebig es die Situation zuließ. „Versuch die überschwänglich gute Laune bis zum Essen loszuwerden.“, flüsterte Alexander, „Sonst machen wir uns verdächtig.“ „Sagt der, der wie ein Honigkuchenpferd grinst.“ Der Baron drückte ihm noch einen Kuss auf die Lippen, bevor er einen Schritt zurück machte. „Bis nachher.“ Heinrich schenkte ihm ein liebevolles Lächeln, schloss dann die Tür. Alexander starrte noch eine Weile an die geschlossene Tür, ein seliges Lächeln auf dem Gesicht, dann machte er sich auf den Weg zu seinem Zimmer. Er war noch nicht einmal dort, da stürmte Robert auf ihn zu. „Und?“, fragte er, sichtlich nervös. Alexanders Grinsen wurde breiter. Er wollte antworten, da unterbrach ihn sein Diener mit einem „Halt!“ und zog ihn erst einmal in sein Zimmer. „Jetzt.“ „Er hat mir das größte Glücksgefühl aller Zeiten beschert.“ Robert zog die Augenbrauen in die Höhe. „Das heißt, Sie sind gleich so weit gegangen?“ Alexander lachte, während er sich ungeduldig den Gehrock auszog. Sofort kam ihm Robert zu Hilfe. „Es…es ist einfach passiert. Der ganze Ausflug war… - einfach nur traumhaft! Und dann lagen wir zusammen im Gras und…ich weiß nicht mehr, wie es sich zugetragen hat, aber wir haben uns geküsst und…und uns umschlungen und…“ „Danke, danke, ich kann es mir grob vorstellen.“, wehrte Robert ab und machte sich an den Gürtel seines Herrn. Alexander nahm seine Hände und hielt ihn auf. Forschend sah er ihn an. „Bist du nicht auch glücklich?“ Robert wich seinem Blick aus. Er sah gequält aus. „Ich habe Angst um Sie…“ „Aber, Robert!“, entgegnete der junge Baron, „Die musst du nicht haben.“ Der Kammerdiener entzog sich plötzlich seinem Griff, biss sich auf die Unterlippe. „Was…“, fing Alexander an, „Was ist?“ Robert fuhr sich über die Stirn. „Richard ist den ganzen Nachmittag nicht im Schloss gewesen.“ Ein wenig benommen ließ sich Alexander auf sein Bett sinken. Unschlüssig sah er zu seinem Diener auf. „Du…du meinst…?“ „Ich weiß es nicht, mein Herr!“, versetzte Robert verzweifelt, „Aber es kann gut sein! Und so wie…wie Sie sich anscheinend präsentiert haben, könnte Sie jeder gesehen haben!“ „Nicht doch! Dort am See ist nie jemand.“ „Aber Richard wird dort gewesen sein!“ Alexander zögerte, aber schließlich stand er auf, ging auf Robert zu und nahm ihn in den Arm. „Es wird uns niemand gesehen haben. Bitte, mach dir keine Sorgen. Nicht deswegen. Nicht du.“ Er merkte, wie sich der andere entkrampfte und ließ ihn langsam wieder los. „Entschuldigt.“, gab Robert kleinlaut und wohl ein wenig beschämt von sich, bevor er sich die Fliege richtete. Alexander lächelte ihn zufrieden an. „Beschaffst du mir ein Handtuch und neue Kleider?“ „Sofort, mein Herr.“ Beim Abendessen gaben sich der junge Baron und sein Leutnant die größte Mühe, sich nicht allzu oft anzustrahlen, wie zwei Frischverliebte. Dies schlug sich dann darin nieder, dass Heinrich plötzlich viel ausführlicher auf Carolines Anmerkungen einging, während Alexander das Gespräch mit seinem Bruder suchte; er wollte mehr über die neue Dampfeisenbahn erfahren. „Morgen kommen Tante und Cousine wieder zu uns, nicht?“, mischte sich die Baronesse ein, an Heinrich gewandt. „Oder haben Sie Anderes von ihnen gehört?“ „Nein, nein.“, antwortete der junge Leutnant, „Sie haben geschrieben, dass sie wohl zum Mittagessen da sein würden.“ „Sehr schön.“, meinte die Baronesse, „Haben Sie der Madame denn bereits davon berichtet, was sich in ihrer Abwesenheit bei uns abgespielt hat?“ Ferdinand lachte bei dieser Formulierung lauthals, Heinrich wurde ein wenig rot. „Verzeihen Sie mir, aber: ja, das habe ich.“, entgegnete er beschämt. „Nicht doch.“, meinte die Baronesse mit einem großzügigen Lächeln, „Das ist nur anständig, dass sie Bescheid wissen, was sie hier erwartet.“ Heinrich nickte zögerlich, bevor er sich wieder abwandte. Alexander sah ihn lächelnd an. Er war gespannt, ob er jetzt tatsächlich Ruhe vor Dorothea haben würde, da die Madame ihrer Tochter ein neues Ziel erkoren hatte: Ferdinand, den Erstgeborenen. Nun, es konnte ihm egal sein; er hatte seinen Heinrich. Dieser schlug gerade mit einem schüchternen Lächeln die Augen nieder, da Alexander ihn wohl zu lange angesehen hatte. Der junge Baron wandte sich also wieder an seinen Bruder. „Noch einmal zu den Schienen, die verlegt werden…“ Nach dem Abendessen schlug die Baronesse vor, sich im Salon einzufinden, um eine Runde Karten zu spielen. „Wieso nicht.“, meinte Wilhelm, und auch Caroline stimmte zu. „Ich…hatte eigentlich vor, mit Herrn von Kleist noch einen kleinen Spaziergang zu machen.“, teilte Alexander mit. „Oh! Das ist eine fabelhafte Idee!“, kam es sofort von Ferdinand, „Ich schließe mich an.“ Der junge Baron wusste nicht ganz, wie er hierauf reagieren sollte, da räusperte sich Heinrich. „Ich wusste nicht – also…Ich spiele gerne Karten. Lassen Sie beide sich nicht von Ihrem Spaziergang abhalten.“ Alexander warf seinem Leutnant einen prüfenden Blick zu und erkannte in dessen Augen die Absicht, ihnen beiden die heikle Situation, die sich bei einem Spaziergang zu dritt ergeben hätte, zu ersparen, wenn man bedachte, was sie eigentlich vorhatten. „Gut.“, meinte er also, „Wenn es dir nichts ausmacht, Ferdinand, dass du nun mit mir alleine Vorlieb nehmen musst.“ Sein Halbbruder grinste ihn kalt an. „Nicht im Geringsten.“ Also verabschiedeten sich die beiden von der Gesellschaft und liefen hinaus in den Garten. Auf ihrem Weg hörten sie die Grillen zirpen und die Kieselsteine unter ihren Schuhen knirschen. Alexander fühlte sich schrecklich unwohl. Das überhebliche Grinsen auf Ferdinands Gesicht wollte ihm nicht gefallen. Schweigend liefen sie um den Teich, in dem sich die rote Sonne spiegelte. Keiner von ihnen sagte ein Wort. Je länger sie stumm nebeneinanderherliefen, desto nervöser wurde Alexander. Was hatte Ferdinand mit seiner Aktion bezwecken wollen? Wollte er ihm nur einmal wieder auf die Nerven gehen? „Alexander, Alexander…“ Ferdinands Worte schnitten die Stille wie ein scharfes Messer. Er blieb stehen. Alexander drehte sich nicht zu ihm herum. Er wusste es also doch. „Mein kleines Brüderchen, wer hätte das gedacht?“ Mit knirschenden Schritten lief Ferdinand um ihn herum und blickte ihm selbstgefällig in die Augen. „Bist ja ein richtiger Schwerenöter. Sollst mit seiner Cousine verheiratet werden und über ihn fällst du derartig her…War’s schön, ja, so unter freiem Himmel? Richard hat mir berichtet, ihr hättet euren Spaß gehabt.“ Alexander antwortete nicht. Er hatte seine Hände zu Fäusten geballt. Sie zitterten. „Aber, aber, mein Brüderchen“, fuhr Ferdinand fort, „jeder von uns hat seine Laster, nicht wahr?“ „Was willst du?!“, keifte er ihn an. Der Größere hob unschuldig die Hände. „Ich? Ich will dir nur helfen.“, meinte er, „Es wäre doch tragisch, wenn plötzlich ganz Berlin über deinen klitzekleinen Makel Bescheid wüsste. Nicht auszudenken, was da los wäre…! Mama würde auf der Stelle sterben.“ Alexander schnaubte wütend. Wenn diese verdammte Kanaille noch einen Schritt weitergehen würde, dann konnte er für nichts mehr garantieren. „Sag mir, was du willst, verdammt!“ Ferdinands Blick wurde ernst. Er verschränkte die Arme vor der Brust. „Gut Falkenberg.“ „Pah!“ „Ich weiß, dass sich im marmornen Bildnis Wilhelms kein einziger Kratzer finden wird und dass Mama selbstverständlich ihm und seiner Familie das Schloss überlassen wird. Deshalb will ich das Gut. Und der Preis, den ich dir dafür biete, ist äußerst großzügig, meinst du nicht?“ Alexander lachte gehässig. „Niemals!“, rief er. Niemals würde er das Gut aufgeben. Er hatte es Heinrich versprochen: Sie würden dort zusammen alt werden. Ferdinand konnte es ihm nicht wegnehmen. „Sicher?“, hakte dieser erstaunt nach. „Definitiv.“ „Dein letztes Wort?“ „Ja.“ Auf Ferdinands Gesicht schlich sich ein steifes Grinsen. „Gut“, sagte er, „Wenn du dich ins Verderben stürzen willst.“ Mit einem Lachen wandte er sich um. „Weiß dein Kleist schon, dass du ein Masochist bist?“ Alexander sah ihm mit feurigem Blick nach. Er kochte vor Wut. Dann sollte er es eben herausposaunen! Niemand würde ihm jemals auch nur ein Wort glauben! Jeder Mensch mit Verstand konnte sich denken, dass Ferdinand nur seine Rache für früher suchte. Da könnte er sich alles Mögliche erdichten. Trotzdem mit einem mulmigen Gefühl im Bauch machte sich Alexander auf den Weg zurück zum Schloss. Er sorgte sich eigentlich nur um Heinrich. Solange Ferdinand ihm kein Unrecht tun würde, war alles zu erdulden. Als Alexander zur Gesellschaft stieß, lieferten sich gerade Wilhelm und Heinrich ein erbittertes Duell; Ferdinand war nirgendwo zu sehen. „Oh. Wo hast du denn deinen Bruder gelassen, Alexander?“, fragte ihn die Baronesse. „Er bat mich, ihn zu entschuldigen; er ist sich gleich hinlegen.“, log er, in Ferdinands und seinem Interesse. „So.“ Sie wandte sich wieder dem Spiel zu. Alexander nahm neben Heinrich auf dem Kanapee Platz und sah ihm in die Karten. Wenn sie im Leben auch so gute hätten, dann müssten sie sich keine Sorgen machen, auch nicht wegen Ferdinand. ------------------------ Jaja...war irgendwie klar, dass ich die Idylle mal wieder zerstören muss, oder? XP Danke für 50 Kommis! Ihr seid toll! X3 Morgen geht's übrigens mit VLE weiter... :) Kapitel 19: XIX --------------- Alexander war am Morgen früh aufgestanden. Mit Robert im Schlepptau hechtete er durch die Gänge des noch ruhigen Schlosses. Vor einer Tür im Westflügel blieb er stehen. Sanft klopfte er an, während Robert im Gang stehenblieb und sich besorgt umschaute. „Heinrich?“ Als keine Antwort kam, blickte Alexander seinen Kammerdiener fragend an. Dieser sah noch einmal zu beiden Seiten den Gang hinab, bevor er mehr mahnend als bestätigend nickte. Alexander öffnete die Tür. Drinnen schreckte Heinrich hoch. Er lag noch im Bett und sah so wunderbar verschlafen aus. „A-Alexander…“ Mehr brachte der junge Leutnant nicht heraus, da hatte sich sein Geliebter schon zu ihm ins Bett geworfen und umschlang seinen Leib. Alexander küsste ihn gierig, fuhr genießerisch über den dünnen Stoff des Nachthemds, um darunter die Muskeln am Bauch und die Wirbelsäule am Rücken zu spüren. Heinrich lachte leise, als seine Lippen freigegeben wurden, küsste seinen Baron eifrig zurück, seinen Mund, das Kinn, den Hals… Alexander schloss die Augen und wusste nicht, ob er ihm Bescheid sagen sollte, dass Ferdinand von ihnen wusste. Da klopfte es an die Tür. Heinrich zuckte zusammen. Sofort drückte Alexander seinen Kopf an seine Brust und fuhr ihm sanft durch die Haare. „Es ist nur mein Kammerdiener.“ „W-weiß er…?“ „Er weiß mehr als ich selbst über mich.“ Es klopfte erneut, dieses Mal ein wenig insistierender. Heinrich wollte sich dazu äußern, aber Alexander schob sich auf ihn und ließ ihre Münder zu einem erneuten Kuss verschmelzen, in den der Jüngere hineinkeuchte. Beide hörten sie, wie ruckartig die Tür geöffnet wurde. „Alexander!“, zischte Robert, „Sie hatten genug Zeit!“ Seufzend ließ der Angesprochene von seinem Geliebten ab, der mit hochrotem Kopf die Decke ein wenig höher über seinen Körper zog, als Alexander von ihm herunterstieg. „Ich bitte um Verzeihung.“, meinte Robert höflich, an Kleist gewandt, vor dem er sich verbeugte, bevor er seinen Herrn, der sich wieder zu seinem Liebsten herunterbeugen wollte, am Handgelenk packte. „Alexander.“ „Noch einen Kuss.“ Heinrich richtete sich auf, um nach seinem Gesicht zu fassen und noch schnell einen Kuss zu erhaschen, bevor Alexander von Robert aus dem Raum geschleift wurde. Der Baron warf ihm noch einen Handkuss zu, bevor sein Kammerdiener die Tür schloss. Draußen sah Robert seinen Herrn ernst an. „Das mache ich nicht noch einmal mit, Alexander, darauf können Sie sich verlassen.“, drohte er. Der junge Baron, so liebestoll, wie er war, bekam das gar nicht richtig mit. Erst als von unten Stimmen an sein Ohr drangen, besann er sich. „Was ist…?“ „Die Madame wird wohl wieder zurück sein.“, vermutete Robert. Er vermutete richtig: Unten in der Eingangshalle tummelte sich schon die ganze Familie, um die Zurückgekehrten willkommen zu heißen; auch Ferdinand war anwesend. Als Alexander die Treppe hinunterkam, küsste dieser gerade Dorotheas Hand – die ihn daraufhin jedoch keines Blicks mehr würdigte, da sie nur noch Augen für seinen jüngeren Halbbruder hatte. „Willkommen zurück.“, begrüßte Alexander die Gäste, erst die Madame, dann Dorothea, die ihn entzückt anlächelte. Ferdinand stand dabei und grinste sein ausdrucksloses Grinsen. Alexander wartete darauf, dass er es der Madame und ihrer Tochter brühwarm erzählen würde. Sollte er doch, dann hatten sie es wenigstens hinter sich. Doch er machte nicht einmal eine Anspielung. Alexander war erst erstaunt darüber, aber dann kam ihm der Gedanke, dass Ferdinand wohl auf einen besseren Zeitpunkt warten würde. Dass dieser Halunke viel Wert auf einen imposanten Auftritt legte, hatte man ja schon bei seiner Ankunft auf Schloss Tegel bemerkt. „Wo ist denn Heinrich, dieser Nichtsnutz?“, meldete sich die Madame äußerst unzufrieden zu Wort, dass ihr Neffe nicht gleich zur Stelle war. „Er schläft wohl noch.“, nahm die Baronesse Alexander das Antworten ab, „Aber niemand hätte auch so früh mit Ihrem Kommen gerechnet.“ Die Madame echauffierte sich trotzdem über ihn, als sie sich auf den Weg in den Salon machten. Dort stieß Heinrich nach ein paar Minuten zu ihnen und entschuldigte sich tausendmal für seine Verspätung, was der Madame jedoch lange nicht genügte. Beim Frühstück, als alle beisammensaßen – Ferdinand hatte den Platz am Ende der Tafel neben der Baronesse und der Madame ergattert – kristallisierte sich heraus, dass Alexander wohl Recht hatte: Die Madame von Pannwitz hatte ihn als potentiellen Schwiegersohn abgeschrieben und unterhielt sich fast ausschließlich mit Ferdinand, dem Erstgeborenen. Dorothea hingegen, obwohl es deutlich zu sehen war, wie ihre Mutter ihr ihren Platz gerne hatte abtreten wollen, hatte sich Alexander gegenüber neben ihren Cousin gesetzt. Ihren Blicken sah man an, dass sie sich noch nicht sonderlich an die neuen Ziele ihrer Mutter gewöhnt hatte. „Und Sie…Sie haben jetzt eine Urkunde bekommen?“, fing Alexander eine Konversation mit ihr an, da er das doppelte Paar schmachtender Augen auf sich nicht mehr ertragen konnte. „Ein Amulett sogar!“, antwortete Dorothea und wies auf die Kette, die sie um den Hals trug, hin. Daran war ein Anhänger befestigt, in den unter anderem ein Kreuz eingearbeitet war. „Wunderschön, nicht?“ Alexander nickte zögerlich. Warf Heinrich einen unsicheren Blick zu. Sah wieder zu Ferdinand. Der war gerade mit der Madame ins Gespräch vertieft. „Und Sie sind wirklich Rittmeister, ja?“ „In der Tat.“ Die Madame beugte sich ihm etwas näher. „Oh, meine Tochter hat eine Schwäche für Soldaten.“, raunte sie ihm zu. Er lachte nur. „Ist das nicht der Rang eines Offiziers, Rittmeister?“ „Genau, ich bin Offizier der Kavallerie.“ „Traumhaft! Sie haben also ein eigenes Pferd? Dorothea möchte so gerne einmal reiten lernen! Stimmt’s, meine Liebe?“ Dorothea fühlte sich genötigt, zu nicken. „Dann sollten wir beide einmal zusammen ausreiten.“, schlug Ferdinand vor und schenkte ihr ein anzügliches Grinsen. Alexander überkam irgendwie der Drang, nach Dorotheas Hand zu greifen, damit sie wieder ihn ansah. „Sie haben mir noch gar nicht gesagt, woher Sie diesen Ring haben.“ Das junge Mädchen wurde ein wenig rot, begann aber mit einem Lächeln, ihm von ihrer Großmutter zu erzählen, von der sie dieses Erbstück hatte. Währenddessen erkundigte sich ihre Mutter bei Ferdinand, wie es denn so mit dem jährlichen Sold aussah, den ein Offizier bekam. So verging auch das Frühstück, ohne dass Ferdinand seine Drohung wahrgemacht hatte, auch nur irgendetwas von Alexanders Neigung preiszugeben. Der junge Baron war fast gänzlich zufrieden, nur musste er mitansehen, wie die Madame die Hand ihrer Tochter Ferdinand an den Arm legte und den beiden viel Spaß bei ihrem Spaziergang durch den Garten wünschte. Als die Madame selbst, mit Wilhelm und Caroline, der Baronesse in den Salon nebenan folgte, warf Alexander seinem Leutnant einen Blick zu, und sie verließen zusammen den Raum, um hinaus in die große Eingangshalle zu treten. Sie sahen sich um, liefen die Treppe hinauf. Nebeneinander liefen sie her, beide schweigend, den Blick auf den Boden gesenkt. Sie nahmen Heinrichs Zimmer; das lag näher. Alexander unterdrückte ein Stöhnen, als ihn sein Geliebter noch an der Tür so heftig küsste, dass er keine Luft mehr bekam. Wie zwei Verdurstende klammerten sie sich aneinander, konnten mit ihren Mündern und Händen gar nicht mehr voneinander ablassen. Alexander war nicht mehr dazu fähig, das Stöhnen zu unterdrücken, als Heinrich ihm ein Knie zwischen die Beine schob. „Wieso machst du das?“, hörte er ihn mit rauer Stimme sagen. Es klang nicht liebevoll. „Was?“ Heinrich ließ sich schlaff an ihn sinken, sodass der junge Baron ihn festhalten musste. Er schluchzte. „Wieso interessierst du dich plötzlich für meine Cousine?!“ Alexander seufzte. Er schob den anderen hinüber zum Bett, wo sie Platz nahmen. Sanft fuhr er ihm durch die Haare. „Ich versteh es selbst nicht.“, gab er zu, „Ich liebe sie nicht, um Gotteswillen!, aber ich sorge mich um sie. Vor allem, da deine Tante nun Ferdinand für sie auserkoren hat. Diesen…ich will es nicht aussprechen, wünsche ich keiner Frau.“ „A-aber…!“ Heinrich sah ihn verständnislos an. „Willst du sie denn heiraten?!?“ Alexander zog ihn zu sich und schlang seine Arme um ihn. „Wenn ich so gewährleisten kann, dass wir zwei immer zusammenbleiben können.“ Heinrich löste sich aus seiner festen Umarmung, fasste nach seiner Wange und sah ihn mit tränenunterlaufenen Augen, aber äußerst entschlossen an. „Dazu musst du sie nicht heiraten.“ Ebenso entschlossen drückte er Alexander hinab in die Kissen, küsste ihn ausgiebig, so hingebungsvoll, dass der junge Baron nicht wusste, wie ihm geschah. Er spürte, wie sein Körper sich aufheizte, wie Heinrich es schon wieder schaffte, ihn in Brand zu stecken, aber er wusste ebenso, dass sie vorsichtig sein sollten, dass er nicht zulassen durfte, dass – Alexander biss sich in den Handrücken, um nicht aufzustöhnen, da Heinrichs Hände unter Rock und Hemd einen Weg an seine Brust gefunden hatten und ihn dort massierten. „Nicht…“, brachte er heraus. Als Heinrich immer noch nicht aufhörte, schwang er sie herum, sodass er nun oben lag. Außer Atem sah er auf seinen Geliebten herab, der mit ebenso aufgehetztem Atem und dem gleichen Funkeln in den Augen zurückblickte. „Nicht hier…nicht jetzt…“ Heinrich schlang seine Arme um den Hals des Größeren und küsste ihn sanft. „Ich mag Doro auch zu sehr, als dass ich ihr Ferdinand wünschen würde.“, flüsterte er, „Aber ich liebe dich zu sehr, als dass ich dir eine Scheinehe zumuten wollte.“ Alexanders Augen weiteten sich. Sprachlos starrte er den anderen an. „D-du…du liebst mich?“ Heinrichs Wangen röteten sich. „Ja. Sehr.“ Der junge Baron konnte nicht anders, als seinen Geliebten stürmisch zu küssen. „Du…du liebst mich, ich – Ich bin… - Ich war noch nie verliebt, aber es muss Liebe sein, dieses – dieses wunderbare, himmlische Gefühl…! Ich liebe dich, Heinrich. Ich liebe dich.“ Der Jüngere keuchte unter den Küssen auf, spreizte fast von selbst seine Beine, sodass Alexander ihm noch näher kommen konnte. Sie spürten beide, dass es doch passiert war, dass sie ihre Körper in eine Situation getrieben hatten, die sie vermeiden wollten. Doch obwohl sie genau wussten, dass sie aufhören mussten, am besten sofort, am besten jetzt!, war ihr Verlangen nach dem jeweils anderen zu groß. Sie rieben sich weiter gierig aneinander, stöhnten, so leise sie vermochten, in den Mund ihres Geliebten, Heinrichs Hände fanden wieder an Alexanders Brust… Der junge Baron stellte verzweifelt fest, dass seine Hose zu eng wurde – da hörten sie plötzlich, wie die Tür geöffnet wurde, und schreckten panisch hoch. Robert musste ein paar Mal blinzeln. Er merkte, wie ihm die Röte ins Gesicht stieg, nicht aus Scham, sondern aus Wut. Kein Wunder, bei dem Bild, das sich ihm bot: Sein Herr, der neben Kleist auf dem Bett lag, Rock und Hemd geöffnet und zerknittert, die Haare in vollkommener Unordnung, rote Wangen, geschwollene Lippen, völlig außer Atem und neben sich. Kleist sah nicht viel besser aus. „Sie benehmen sich, wie Kinder!“, presste der Kammerdiener hervor, bevor er hastig den Schlüssel im Schloss herumdrehte. „Kinder hätten wenigstens abgeschlossen!“ Alexander merkte, wie Heinrich neben ihm ängstlich zusammenzuckte, weshalb er ihm einen Arm um die Schultern legte und ihn an sich zog. „Nennen Sie das vorsichtig, ja?! Können Sie das irgendetwas anderes nennen, als leichtsinnig?!“ Alexander senkte den Kopf. „Nein.“, bekam er leise heraus. „Stellen Sie sich vor, es wäre jemand anderes hier hereingekommen! Stellen Sie sich vor, es wäre Ihre Cousine gewesen.“ Drohend sah er den jungen Leutnant an, der bei dieser Vorstellung entsetzt die Augen aufriss. „Genau!“, fuhr Robert fort, „Sie wäre tot umgefallen!“ Wieder mit wütendem Blick nahm er vor Alexander Platz. „Stellen Sie sich vor, es wäre Ferdinand gewesen.“ Alexander öffnete seinen Mund, um etwas zu erwidern, aber er zögerte, beließ es schließlich dabei. Er wusste nicht, wie Heinrich reagieren würde, wenn er erführe, dass Ferdinand schon längst über sie Bescheid wusste. „Schön.“, seufzte Robert, als er sich wieder erhob, „Dann nehme ich an, das war Ihnen eine Lehre, in Zukunft vorsichtiger zu sein.“ Mit einem gehässigen Grinsen drehte er sich noch einmal zu ihnen herum. „Ich hoffe, sie sind schön eng, Ihre Hosen, ja?“ Heinrich schoss die Röte ins Gesicht. „Und, nein, Alexander, ich werde Ihnen in den nächsten Tagen nicht für eine Massage zur Verfügung stehen.“ Mit diesen Worten öffnete er die Tür – „Es wird übrigens in diesen Minuten fürs Mittagessen gedeckt.“ – und verschwand. Alexander sah etwas unschlüssig hinüber zu seinem Geliebten, der unsicher zurückschaute. Schließlich streckte der Ältere eine Hand nach seiner Wange aus und zog ihn für einen sanften Kuss zu sich. „Robert hat Recht.“, meinte Alexander, „Wir sollten wirklich vorsichtiger sein.“ „Gut.“, entgegnete Heinrich leise, zwischen zwei Küssen, „Dann sind wir vorsichtiger.“ „Ja“, brachte der junge Baron heraus, ließ es zu, dass die Hände seines Geliebten wieder an seine nackte Brust fanden, „Das sollten wir sein.“ „Mhmm…“ Es hämmerte bedrohlich gegen die Tür und die beiden schreckten wieder auseinander. Außer Atem sprang Alexander dieses Mal gleich vom Bett. „Wir sollten…“ „Uns irgendwie wieder in die Verfassung bringen, sodass wir am Essen teilnehmen können.“, beendete Heinrich seinen Satz. „Ja, genau.“ „Dann solltest du gehen.“ „Ja, das…das sollte ich.“ Alexander zögerte zu lange, da sprang Heinrich aus dem Bett und schlang ihm die Arme um den Hals, um ihn noch einmal zu küssen. Der Ältere schob ihn widerwillig von sich, legte ihm einen Finger auf die vollen, rosigen Lippen. „Heute Abend“, begann er, „da kommst du zu mir. Ich habe ein Bad in meinem Zimmer. Die Fließen halten den Schall ab, dort wird uns keiner hören.“ Heinrich zeigte seine Begeisterung dadurch, dass er seinen Geliebten stürmisch küsste. „Ich freue mich darauf.“, hauchte er, bevor sich Alexander von ihm losmachte und zur Tür lief. Er öffnete sie vorsichtig und tatsächlich stand Robert noch davor. „Ich…ich bräuchte Hilfe mit…“ Mehr musste der junge Baron nicht sagen, da trat sein Kammerdiener schon zu ihnen ins Zimmer und machte sich daran, Alexanders Kleidung und Haare wieder in Ordnung zu bringen. Kaum war er fertig, zog er seinen Herrn mit sich aus dem Zimmer, nachdem er den Gang auf etwaige herumwandelnde Personen kontrolliert hatte. Noch einmal lugte er ins Zimmer und fing den Blick des jungen Leutnants ein. „Ich schlage Ihnen das Atrium im mittleren Stock vor.“, meinte er, „Dort stehen Büsten von nackten Frauen.“ ---------------------------- So dramatisch ist es nun doch (noch) nicht geworden, oder?^^ Kapitel 20: XX -------------- Der Mittagstisch auf Schloss Tegel wurde heute zwar außergewöhnlich spät eröffnet, aber er war wieder einmal reichlich gedeckt. Der Braten, den es gab, schmeckte vorzüglich, und der Rotwein dazu mundete trefflich. – Wenn man ihn nicht so hinunterschlang, wie Ferdinand. „Richard!“ Mit seinem leeren Glas winkte er nach dem ersten Diener, wie nach einem Wirtsjungen in irgendeinem schäbigen Weinkeller. Aber da Alexander dem jungen Mann, seit dem Bekanntwerden seiner Zusammenarbeit mit Ferdinand, sowieso nur noch Abneigung entgegenbrachte, störte er sich nicht weiter daran. Dorothea, die dieses Mal neben dem Erstgeborenen Platz hatte nehmen müssen, schien dessen Verhalten jedoch anzuwidern. Mit ernster Miene und gelegentlichem hilflosen Blick, den sie ihrem Cousin zuwarf, saß sie da, rührte fast nichts vom Essen an, während ihre Mutter mit ihrem Zukünftigen vorzüglich Konversation betrieb. „Aber ich bin sicher, Sie haben auf Ihrem Spaziergang gemerkt, wie umgänglich meine Doro ist, nicht?“ „Jaja, doch.“, entgegnete Ferdinand, während er sich gerade von Richard nachschenken ließ, „Sie ist so schrecklich schüchtern, wie ich vermutet habe, gelt, mein Kleines?“ Mit einem Grinsen drehte er sich zu Dorothea herum, die daraufhin ein Quieken von sich gab, als wenn er sie unterm Tisch gekniffen hätte. „Aber ihre Bescheidenheit und ihr Anstand sollen doch wohl kein Nachteil sein?“, meinte die Madame. „Keinen Falls.“, grinste Ferdinand, „Tatsächlich ist es sehr reizend.“ Alexander schloss seine Finger ein wenig fester ums Besteck. Wie konnte eine Mutter es nur zulassen, dass ein Mann so unverschämt mit ihrer Tochter umging?! Caroline musste im Moment das gleiche denken, denn sie erhob sich mit bleichem Gesicht und entschuldigte sich. Wilhelm entschuldigte sich ebenfalls, er wolle kurz nach ihr schauen gehen. Ferdinand störte sich nicht daran, sondern redete und soff weiter. Als die Baronesse den Dienern bedeutete, kein Wein mehr zu bringen, meckerte er zwar, aber versuchte es nicht, sich gegen ihr Wort zu stellen. „Und?“, wandte er sich an Dorothea. „Wollen wir beiden Hübschen heute vielleicht einen Ausflug in die Stadt machen?“ Bevor sie ein Wort dazu sagen konnte, hatte ihre Mutter für sie geantwortet. „Wunderbar.“, meinte Ferdinand mit einem breiten Grinsen. „Ich freu mich schon darauf.“, ergänzte er und brachte Dorothea wieder zum Aufschreien, als er ihr dieses Mal in den Oberschenkel kniff. Der Stuhl schrammte laut über den Boden, als Heinrich mit einem Satz aufstand. „Lassen Sie Ihre verdammten Drecksfinger von meiner Cousine, Sie ruchloser Frevler!“, rief er, das Gesicht knallrot vor Wut. Ferdinand sah ihn tatsächlich einen Moment überrascht an, dann jedoch prustete er los. Sein Lachen klang so ordinär, wie alles andere es an ihm auch sonst war. „Wie edelmütig, kleiner Mann.“, meinte er, als er sich wieder beruhigt hatte, immer noch amüsiert, „Ich würde Ihnen die Rolle des Moralapostels bestimmt abnehmen, wenn ich nicht wüsste, dass diese Ihnen wahrlich nicht mehr zusteht. Und schon gar nicht steht es Ihnen zu, mich als ruchlosen Frevler zu beleidigen.“ Heinrich wusste sofort, was er meinte. Zitternd biss er seine Zähne zusammen. Alexander versuchte krampfhaft nicht zu ihm aufzusehen und hoffte inständig, dass auch sein Leutnant nicht zu ihm schauen würde. Doch Heinrich ließ sich lediglich stumm wieder zurück auf seinen Stuhl sinken. „Überlegen Sie sich das nächste Mal, was Sie sagen, bevor Sie es tun.“, mahnte ihn Ferdinand, wischte sich mit der Serviette über den Mund und erhob sich. „Darf ich?“ Grinsend hob er Dorothea seine Hand entgegen. Diese nahm die Einladung widerwillig unter dem harschen Blick ihrer Mutter an. Als die beiden den Raum verlassen hatten, spürte Alexander, wie die Baronesse ihn ansah. Er schaute auf, da wandte sie sich der Madame zu. „Ihnen ist es Recht, wie mein Sohn mit Ihrer Tochter umspringt?“, fragte sie. „Aber sicher!“, rief die Madame sofort. So stumpfsinnig wie sie war, dachte sie wohlmöglich, dass die Baronesse eine positive Antwort hatte hören wollen. „Ich weiß nicht, was Heinrich nun wieder hat.“ Sie warf ihrem Neffen einen wütenden Blick zu. „Musste das sein, ja?!“, schnauzte sie ihn an. Heinrich sah weiter stumm hinab auf seinen Teller. Alexander konnte sehen, dass seine Ohren immer noch glühten. Die Baronesse seufzte. „Nun“, meinte sie, „Dann ist das Mittagessen also beendet. Ludwig, sag Rousseau bitte, er muss nur für die Madame und mich einen Kaffee im Salon richten.“ „Sehr wohl.“ „Und sag ihm, dass er sich ebenso wenig Mühe mit dem Abendessen geben soll, es wird ja doch niemand erscheinen.“ Als Alexander sich von der beinahe leergefegten Tafel erhob, wusste er, dass er Heinrich, sobald sie auf seinem Zimmer sein würden, eine Erklärung schuldig war. „Verdammt, er weiß es!“ Robert schreckte auf, als er die Tür zufallen hörte. „Ich weiß.“, sagte Alexander beschämt. „Klar weißt du, dass - …Du wusstest, dass er es weiß?“ Mit einem Räuspern machte Robert auf sich aufmerksam, als er aus dem Bad trat. Alexander scheuchte ihn mit einer Handbewegung wieder weg. „Ja, ich…ich wusste es.“, gab der junge Baron zu und nahm die Hände seines Geliebten in seine, „Und es tut mir Leid, dass ich dir davon nichts gesagt habe, aber…“ „Aber was, verdammt?! Das ist – das ist schrecklich!“ „Nein, ist es nicht, versteh doch.“, setzte Alexander noch einmal an, „Ferdinand hat es mir ganz offen ins Gesicht gesagt, dass Richard uns am See beobachtet hat. Er hat mich erpresst, ich solle ihm das Gut Falkenberg überlassen, damit er schweigt.“ „W-was du getan hast.“, entgegnete Kleist, wobei er ihn schon fast hoffnungsvoll ansah. „Nein, ich…“ „Nein?!?“ „Nein, Heinrich!“, rief Alexander und packte ihn an den Schultern, „Ich hab es doch dir versprochen!“ Der junge Leutnant begann nun endgültig zu weinen. „Du liebestoller Idiot!“, rief er schluchzend und fiel seinem Geliebten in die Arme. „A-Aber…“, meinte Alexander, „Schau doch: Er hat uns noch nicht verraten. Bestimmt hat er nur geblufft.“ „Bestimmt.“, lachte Heinrich und zog die Nase hoch. Er genoss es noch ein wenig, wie der Ältere ihm sanft durch die Haare fuhr. Derweil war Robert wieder aus dem Bad gekommen. Mit einem Lächeln auf dem Gesicht betrachtete er die Szene, die sich ihm bot. Als Alexander ihn bemerkte, erwiderte er sein Lächeln und gab seinem Leutnant einen Kuss in die Haare. „Schau mal: Robert gafft.“ „Tu ich gar nicht.“ „Tust du doch.“ Heinrich wandte seinen Kopf an Alexanders Brust ein wenig um und sah den Kammerdiener mit einem Lächeln an. „Ist das Bad fertig?“, fragte er. Robert zog eine Augenbraue in die Höhe und wandte sich seinem Herrn zu. „Herr Baron, Sie haben doch nicht etwa vor…?!?“ „Nur ein Bad, Robert.“, verteidigte sich Alexander, „Zur Entspannung.“ „Genau.“, seufzte Heinrich und fuhr seinem Geliebten über die Seiten. „Ja, sicher.“, schnaubte Robert, „Ich kenne Ihre Entspannungsbäder zur Genüge.“ Damit senkte er den Kopf und öffnete die Badtür weiter. „Bitte sehr, die Herrschaften.“ „Oh, danke.“ Grinsend betrat Alexander nach Heinrich das Bad. „Viel Vergnügen.“, wünschte Robert, bevor er hinter den beiden die Türe schloss. Sofort drehte Alexander seinen Geliebten zu sich um. Zärtlich schob er die Finger ihrer Hände ineinander, bevor ihre Münder zueinander fanden. „Ich weiß, dass es erst gestern nach Mittag war, aber…ich bin schon wieder Feuer und Flamme für dich.“, flüsterte er dem Kleineren ins Ohr. „Ich war es schon heute Morgen.“, kam es von Heinrich zurück, bevor er sich zu ihm hinaufreckte, um ihn abermals zu küssen. So beglückten sie sich mit ihren Mündern und Zungen noch eine Weile, bevor Alexander zu lachen begann. „Was?“, fragte Heinrich schmunzelnd nach. „Robert hat vergessen, mich fürs Bad zu entkleiden. Magst du das übernehmen?“ „Gerne, Herr Baron.“, entgegnete der Leutnant eifrig und fing zwischen tausend Küssen an, ihm den Gehrock aufzuknöpfen. „So hat’s Robert noch nie mit mir gemacht.“ „Das will ich für ihn hoffen.“, murmelte Heinrich und schob ihm den Rock von den Schultern. Auch Alexanders Hemd folgte und glitt hinab auf den Boden, dann hielt der Jüngere inne. „Was meinte er mit »Entspannungsbad«?“, fragte er. Der Baron lachte leise. „Robert massiert mich öfters, hier in der Wanne, damit ich mich entspanne. Nur…seit du im Schloss bist, konnte ich mich nicht mehr entspannen und musste mich stattdessen…befriedigen.“ Auf Heinrichs Gesicht schlich sich ein breites Grinsen. „Ich fühle mich geehrt.“, meinte er und sah verführerisch zum anderen auf. „Darf ich es auch mal versuchen?“ Alexander blickte ihn verblüfft an. „Du…du willst mich be…be– “ „Massieren, ja.“ „G-gerne.“ Bevor es Heinrich hätte tun können, zog sich der junge Baron auch die Hose aus und wollte ins Wasser steigen. Doch Heinrich hielt ihn am Armgelenk auf. Mit geröteten Wangen betrachtete er ihn von oben bis unten. „Du bist wunderschön.“, sagte er, völlig ergriffen von dem Bild, das sich ihm bot. Alexander spürte, wie ihn dieses Kompliment beschämte, und er nahm schnell das Gesicht des Kleineren zwischen seine Hände, um es zu küssen, bevor er sich schließlich in die Wanne begab. Er seufzte wohlig auf, als er sich ins warme Wasser sinken ließ, und hätte auch die Augen geschlossen, doch er wollte seinen Geliebten beobachten, wie dieser sich den Gehrock auszog und die Hemdsärmel hochkrempelte. Dann trat er zu ihm an die Wanne. Wie von selbst richtete sich Alexander etwas auf, damit er an seinen Nacken kommen konnte, wo sich seine Hände niederließen. Was diese mit ihm anstellten, konnte der Ältere nicht glauben. Roberts Hände waren größer als Heinrichs, aber keinen Falls kräftiger. Auch er hatte diesen festen Griff, fuhr ihm mit den Daumen über die Haut, sodass sie an eben jenen Stellen weiß wurde. Alexander konnte spüren, dass dies keine Massage zu seiner Entspannung sein, sondern dass sie ihn betören sollte. Gefällig schloss er die Augen, lehnte sich ein wenig mehr nach vorne, sodass er dem anderen mehr Raum geben konnte. Er stöhnte genießerisch auf, als er Heinrichs Lippen an seinem Ohr spürte, seinen heißen Atem. „Gefällt es dir?“ „Sehr…“ „Magst du es eigentlich sanfter oder fester?“ „…Fester…“ Alexander gab ein Stöhnen von sich, als er Heinrichs Fingernägel in seinem Rücken spürte. Langsam ließ er seine Hand am Bauch tiefer ins Wasser gleiten. „Und magst du auch das?“ Heinrich biss ihm in den Hals. „Jah…!“ Alexander genoss es, wie er ihm die gerötete Stelle küsste, wie er Küsse seinen ganzen Haaransatz entlang verteilte. Heinrichs Hände wurden wieder zarter, streichelten ihn nun. Irgendwann hörte der Ältere wieder den Atem seines Geliebten dicht an seinem Ohr. „Ich…ich will zu dir ins Wasser…“, flüsterte er, fast flehend. Der Baron drehte sich in der Wanne zu ihm herum. „A-aber natürlich!“, meinte er, „Nichts hält dich davon ab.“ Auf Heinrichs Gesicht legte sich ein Lächeln, als er sich erhob. Alexander sah ihm zu, wie er sich die Hose öffnete. Dieses Mal tat er dem Leutnant nicht den Gefallen, wegzusehen, als er sie sich herunterzog. Mit einem liebevollen Lächeln hob er dem Jüngeren die Hände entgegen. „Na, komm. Komm zu mir.“, sagte er, und Heinrich nahm seine Hände und stieg zu ihm ins Wasser. Dort ließ er sich gleich an ihn sinken, vergrub sein Gesicht in der Halsbeuge seines Geliebten. Alexander fuhr ihm zärtlich durch die Haare. „Du bist tausendmal schöner als ich.“ Heinrich sah nicht zu ihm auf. „Wohl nur in deinen Augen.“ Da musste der junge Baron lachen. Er schlang seine Arme fester um den anderen und zog ihn auch mit dem Unterleib an ihn. „Spürst du, was du mit mir gemacht hast?“, flüsterte er. Heinrich sah ihn überrascht an, dann schlich sich ein gefälliges Grinsen auf sein Gesicht. „Dann muss ich es wiedergutmachen, hm?“, fragte er. „In der Tat.“ Sofort fanden Heinrichs Lippen die seines Geliebten. Erst küsste er ihn sanft, rutsche noch ein wenig näher. Als er jedoch schließlich auf Alexanders Schoß saß, die Beine hinter seinem Rücken verschränkt, da küsste er ihn so harsch und unsittlich, wie es der junge Baron von keinem der Bauernjungen kannte und wie er es wohl nie wieder von irgendeiner Ehefrau erfahren würde. In den Kuss stöhnten sie beide hinein, glitten mit ihren Händen über die nasse Haut des jeweils anderen. Das Wasser schwappte über den Wannenrand, als Alexander auf die Knie ging, um mit seinem Becken noch besser in das seines Geliebten zu stoßen. Robert seufzte gedehnt. Er erhob sich vom Bett des Barons und lief im Zimmer auf uns ab. Hätte sein Herr nicht seine gesammelten Fundsachen endlich ins Arbeitszimmer geräumt, hätte er sich ja irgendwie die Zeit vertreiben können, aber so? Zum dritten Mal strich er über den Tisch, aber der war rein von Staub. Zum vierten Mal öffnete er den Kleiderschrank, aber in ihm war alles ordentlich sortiert und hing an seiner Stelle. Er schloss den Schrank wieder und wandte sich um. Wenn er den Atem anhielt und sich nicht bewegte, konnte er sie hören. Sie, wenigstens, hatten ihren Spaß. Als er diese Stelle, damals noch als Diener, auf Schloss Tegel angenommen hatte, hatte er solchem Spaß abgeschworen. Als Angestellter in einem Herrenhaus waren einem sexuelle, als auch emotionale Bindungen untersagt. Man war lediglich für die Familie da, für die man arbeitete, nur ihr galt es sein Interesse und seine Fürsorge entgegenzubringen. Für Alexander interessieren…nun, es interessierte ihn, wo er mal wieder gewesen war, wo er sich diesen Schrammen zugezogen hatte, wo das Hemd zerrissen. Er sorgte sich eigentlich mehr um ihn, als dass er für ihn sorgte. Nicht wie ein Vater – ein Glück nicht, davor hatte er damals Angst gehabt. Als die Baronesse ihn, damals als ersten Diener, seit Hans der Kammerdiener Wilhelms geworden war, gebeten hatte, die Betreuung ihres Jüngsten zu übernehmen, nur zehn Jahre nach dem Tod dessen Vaters, da hatte er befürchtet, der Junge würde ihn zum Vaterersatz nehmen, aber dieses häufig verbreitete Phänomen ist glücklicherweise ausgeblieben. Es wäre in Roberts Augen falsch gewesen. Nun sah Alexander in ihm noch nicht einmal einen älteren Bruder, wohl weil er ihre Vertrautheit, die sie hatten, nicht in den Zusammenhang mit dem Begriff »älterer Bruder« bringen konnte, aber das war ihm Recht so. Als Diener in einem Herrenhaus zählte man zwar zur Familie, man war aber niemals Teil ebendieser. Ein guter Freund, ja, das war er dem jungen Baron vielleicht. Robert musste schmunzeln. Ein guter Freund, der Wache stand, wenn man sich mit seiner Liebsten vergnügte und die Eltern es nicht mitbekommen sollten. Nun ja, so ähnlich. Seltsamerweise hatte er es selbst nie vermisst. Natürlich war es immer eine schöne Vorstellung: Er, mit einer Frau an seiner Seite, einer eigenen Familie. – Aber solche Schwärmereien legte ein Diener schon nach den ersten Jahren wieder ab. Wenn er ein guter Diener war. Ob Alexander ihn für einen solchen hielt? Oder nur für einen guten Freund? „H-Heinrich…! D-du bist – bist das Beste, was mir – was mir hätte passieren…!“ Ihre Stirn aneinandergelegt schloss Alexander die Augen, als ihn die Welle der Lust überrollte. Keuchend spürte er, wie Heinrich sich in seinen Armen entkrampfte und erschöpft an ihn sank. So lehnte er sich zurück an den Wannenrand und fuhr seinem Geliebten mit einem seligen Lächeln auf dem Gesicht durch die nassen Haare. „Egal, wie groß diese Sünde in den Augen mancher sein mag“, flüsterte er, „ich möchte dieses Gefühl, das dein Körper an meinem, dein Mund auf meinem auslöst, nie mehr missen.“ Heinrich schlang seine Arme um den Hals des Barons und gab ihm einen zärtlichen Kuss. „Ich auch nicht.“, hauchte er. Alexander sah ihm tief in die Augen. „Ich weiß nicht, was aus uns wird, aber jeder Tag ohne dich, wird eine Qual für mich werden, mein Heinrich.“, sagte er, und als er sah, dass seinem Liebstem bei diesen Worten die Tränen in die Augen stiegen, hielt er diese schnell mit tausend Küssen auf. Es dauerte noch eine Weile, bis die Tür zum Bad sich öffnete. Robert begrüßte einen angekleideten Herrn von Kleist und seinen nackten, aber wenigstens trockengeriebenen Herrn. „Danke, Robert.“, wandte sich Kleist an ihn, mit solch einem aufrichtigen Lächeln, dass der Kammerdiener ihm nur freundlich zunicken konnte. Alexander verabschiedete sich von seinem Geliebten mit einer innigen Umarmung und ein paar Küssen, dann fühlte sich Robert dazu aufgefordert, hinaus auf den Gang zu gehen und zu schauen, ob die Luft rein war. „Gute Nacht.“, wünschte er dem jungen Leutnant, der dies als Zeichen ansah, gehen zu dürfen. „Gute Nacht, Robert.“, sagte er, „Gute Nacht, mein Herz.“, an Alexander gewandt. Nachdem der Kammerdiener die Tür hinter Kleist geschlossen hatte, ließ sich der junge Baron seufzend aufs Bett fallen. „Was du für mich tust, Robert, ist nur wertzuschätzen, aber mit keinem Geld der Welt zu bezahlen.“ Robert blickte einen Moment erstaunt drein, was Alexander jedoch nicht sehen konnte, dann musste er lächeln und er war sogar so ergriffen von den Worten des anderen, dass er sich unbemerkt über die Augen wischen musste. „Ich bekomme von Ihrer werten Mutter genug Geld, um Sie zu ertragen, glauben Sie mir.“, meinte er schließlich und lief zu seinem Herrn ans Bett. Alexander grinste ihn verschmitzt an, als wenn er ihn bis ins gerührte Herz durchschauen konnte. Robert deckte ihn zu, „Gute Nacht, Alexander.“, „Gute Nacht, Robert.“, und löschte das Licht. ------------- Ich wollte euch Bescheid sagen, dass ich ab Dienstag im Urlaub bin, weshalb ihr auf das nächste Kapitel wohl ein wenig länger warten müsst… Ich schau mal, wie ich dazu komm, weiterzuschreiben bzw. hochzuladen, könnte also die neuen Kapitel in den nächsten zwei Wochen ein wenig unregelmäßig geben^^ Mit VLE hab ich geplant – sofern ich Internetzugang hab – normal weiterzumachen, da ich euch doch jetzt endlich an die Überraschung heranführen muss ;) Kapitel 21: XXI --------------- Die Sonne schien heute besonders freundlich und versprach einen wunderbaren Frühling. Zwitschernde Vögel bekräftigten ihr Versprechen. Alexander streckte sich mit einem zufriedenen Grinsen auf den Lippen. „Robert, noch nie habe ich so gut geschlafen.“ Sein Kammerdiener hob ihm sein Hemd entgegen. „Noch nie habe ich so schlecht geschlafen.“ Sofort verschwand das Grinsen aus Alexanders Gesicht und machte Besorgnis Platz. „Um Gotteswillen! Wieso das?“ Robert schien es nun unangenehm, es überhaupt erwähnt zu haben, aber er antwortete. „Weil ich gestern erfahren durfte, dass Ferdinand Bescheid weiß.“ Der junge Baron fasste nach seinen Schultern, wie er es gestern bei Kleist getan hatte. „Aber…ich habe doch bereits erklärt: Er wird es nicht verraten, wenn er seine Drohung jetzt noch nicht wahrgemacht hat, oder nicht?“ Robert versuchte zu lächeln. „Wir hoffen es einmal.“ „Und wir denken nicht mehr daran.“, ergänzte Alexander und schlüpfte ins Hemd, das sein Diener endlich hochhielt. Während er ihm eben dieses zuknöpfte, bemerkte sein Herr jedoch eine weitere Sorgenfalte auf seiner Stirn. „Was ist es noch, Robert?“, fragte Alexander. „Noch?“ „Ich sehe doch, dass dich noch etwas bedrückt.“ Robert seufzte, als er mit der Hose in der Hand innehielt. „Es ist Ihre Dorothea.“ „Es ist nicht meine – “ „Doch!“, rief Robert und erschrak selbst über die Heftigkeit, mit der er es tat, „Sie…Sie merken nicht, wie sie Ihnen verfallen ist, oder? Aber merken Sie wenigstens, wie sie verzweifelt nach Ihnen ruft? Wie sie Sie um Hilfe anfleht?“ Alexander war verwirrt. „Hilfe?“ „Sie will vor dieser Bestie gerettet werden!“ Sofort verstand er. „Ja, sie…Keine Frau hat so etwas Schreckliches wie Ferdinand verdient…“ „Deshalb müssen Sie…!“ Robert brach ab. „Ich kann sie nicht heiraten, Robert.“ Entgegnete Alexander, ein wenig streng. Sein Kammerdiener sah ihn flehend an. „Aber Alexander…! Sie müssen ihr helfen. So ein hübsches, kluges, unschuldiges Ding…“ Der Baron nahm ihm harsch die Hose aus den Händen. „Dann heirate du sie doch.“, grummelte er. Stumm beobachtete Robert seinen Herrn, wie dieser in die Hose stieg und sie sich zuknöpfte, bevor er hinüber zum Stuhl lief und sich den Gürtel umband. „Es tut mir Leid, Alexander.“, sagte er schließlich. Alexander sah prüfend zu ihm auf. „Ich weiß, dass Sie sie nicht heiraten können. Und das müssen Sie auch nicht. Bitte, verzeihen Sie mir.“ Alexander seufzte, bevor er seine Arme ausbreitete. Robert lächelte erleichtert und nahm den Gehrock vom Stuhl, um ihn ihm überzuziehen. „Ich wollte nicht so grob sein, Robert.“ „Schon in Ordnung, es war mein Fehler.“ „Ich mache mir ja auch Sorgen um das Mädchen. Wirklich.“ „Aber mehr können Sie nicht tun, ich weiß.“ Alexander seufzte abermals. „Nein, mehr kann ich nicht tun.“ Beim Frühstück musste er wieder das Leid beobachten: Ferdinand machte sich wie ein glibberiger Oktopus über die Perle einer Muschel her, wie ein Tintenfleck fiel er aufs weiße, unbeschriebene Blatt. So etwas konnte man nicht mitansehen, aber die Madame ließ es zu, da sie sich und ihre Tochter wohl schon in prunkvollen Kleidern auf irgendeinem Offiziersball auf Schloss Tegel sah. Nach dem Essen war Alexander darüber erleichtert, dass die Gesellschaft wenigstens beisammen blieb, und Dorothea so auf Unterstützung von Caroline und seiner Mutter hoffen konnte. Er selbst wurde von seinem Leutnant auf einen Spaziergang im Garten eingeladen. Schon auf den ersten Metern sah er Heinrich an, dass ihm irgendetwas auf dem Herzen lag. „Es ist nicht das schöne Wetter, das dich zu diesem Spaziergang mit mir animiert hat, nicht?“, fragte er vorsichtig nach. Heinrich nickte. „Es ist meine arme Doro.“ „Oh.“, gab Alexander von sich. Das Thema hatte er heute doch schon einmal gehabt… „Sie war gestern Nacht bei mir.“, fing Heinrich an, „So verzweifelt ist sie, dass sie nachts zu mir aufs Zimmer kommt…“ „Was wollte sie?“, erkundigte sich Alexander. „Sie hat mir gesagt, wie schrecklich sie Ferdinand findet. Dass sie nicht mehr leben will, wenn dies ihr Ehemann wird.“ „Verständlich.“ „Und sie hat mir…“ Heinrich senkte seinen Blick, als sie über die Brücke liefen. „Sie hat mir gestanden, dass sie dich heiraten will. Egal ob du reich oder arm seist, will sie dich heiraten.“ Der junge Leutnant sah in das erstaunte Gesicht seines Geliebten auf. „Sie betet nachts dafür, dass du ihr endlich einen Antrag machst, bevor es Ferdinand tun kann.“ Alexander wusste nicht, was er sagen sollte. Hin- und hergerissen ballte er seine Fäuste. „Soll…soll ich sie denn…?“ „Nein!“, rief Heinrich entsetzt und umschlang ihn heftig. Der junge Baron sah sich erschrocken um, doch es war niemand zu sehen, der sie beobachten könnte. „Wenn…wenn du das tust, so muss ich mir das Leben nehmen.“ „Nicht doch!“, versetzte Alexander und zog seinen Geliebten enger an sich, fuhr ihm über den Rücken, während er ihm die Haare küsste, „Denk nicht einmal daran. Bitte nicht.“ „Dann sollst du nicht daran denken, meine Cousine zu heiraten.“, entgegnete Heinrich leise, „Auch wenn sie dich eigentlich verdient hätte.“ „Nein, mich hat sie nicht verdient.“, flüsterte Alexander, „Sie hat einen viel besseren Mann als mich verdient.“ „Gibt es den?“ Der junge Baron lachte leise. „Du bist süß, Heinrich. Ich liebe dich.“ „Ich dich auch, mein Alexander-Augenstern.“ Nach einem liebevollen Kuss liefen sie weiter und bewunderten endlich noch ein wenig die Natur, während sie beide versuchten, nicht an Dorothea und ihr schweres Schicksal zu denken. Als Belcastels Hundehütte hinten zwischen den Bäumen erschien, sah Alexander ein Mädchen in Schürze beim Hund, die ihm übers braune Fell streichelte, und er dachte schon, es wäre Ida, die er gerne über ihr Befinden ausgefragt hätte, doch beim Näherkommen musste er feststellen, dass es ihre Zimmergenossin war. Nichtsdestotrotz wurde sie genauso rot, als sie den jungen Baron erblickte. „Oh, Herr…Herr Baron von Humboldt, guten…guten Tag.“, brachte sie heraus und verneigte sich, „Guten Tag, Herr von Kleist.“ Die beiden Männer grüßten höflich zurück, bevor Alexander sich erkundigte, wieso sie denn Belcastel das Futter brachte und nicht, wie gewohnt, Ida. Martha sah zu Boden. „Ihr…ihr geht es nicht so gut.“, antwortete sie leise. „Ist sie doch krank?“, entgegnete Alexander, „Wieso sagt mir das denn niemand?“ „Nein“, widersprach das Mädchen und wirkte plötzlich ganz aufgelöst, „Ida ist körperlich kerngesund, nur…“ Die zwei Männer waren ganz geschockt, als das Dienstmädchen plötzlich zu weinen begann. „Sie haben Sie doch erlebt!“, schluchzte sie, „Sie war…eine Träumerin!, ein so…so herzlicher, lebensfroher Mensch! Und jetzt…jetzt sagt sie fast kein Wort mehr, macht ihre Arbeit ohne zu fragen… Sie sagt, es sei nichts mit ihr, aber ich merke doch, wie betrübt sie ist – ich höre doch, wie sie nachts weint!“ Bevor er weiter darüber nachdachte, nahm Alexander sie in den Arm und fuhr ihr beruhigend über den Rücken. Doch das Mädchen verkrampfte sich in seinen Armen, und als sie ihn sachte von sich schob, ließ er sie los. „Das…danke, aber das sollten Sie nicht tun.“, stammelte sie und wischte sich über Augen, bevor sie hastig den leeren Teller aufhob und ging. „Was…“, fing Heinrich unschlüssig an, „Was ist nur mit dem Mädchen los?“ Alexander ging neben Belcastel in die Hocke und kraulte ihm den Nacken. „Mit welchem?“ Heinrich schüttelte irritiert den Kopf. „Ida muss in der Nacht irgendetwas zugestoßen sein, aber ich habe keine Ahnung was.“, meinte Alexander. Nachdenklich sah er den Hund an. „Weißt du es, Belcastel?“ Doch der fraß nur genüsslich weiter seine Essensreste. Beim Mittagessen war Alexander erstaunt darüber, wie eifrig Heinrich versuchte, irgendwie mit Ferdinand ins Gespräch zu kommen. Erst nahm ihn der Ältere nicht so wirklich ernst, doch dann redeten sie über die Schlachten bei Jena und Auerstedt, darüber, was die preußische Armee damals falsch gemacht hatte, wie man hätte Napoleon beikommen können. Alexander nutzte diese Gelegenheit, ein paar Worte mit Dorothea zu wechseln. Da er wusste, wie sehr, zumindest oberflächlich, höfliche Umgangsformen zählten, bat er sie um einen Spaziergang, damit, wenn sie ja sagte, was sie freilich tat, Ferdinand sie dazu nicht mehr an sich binden konnte. Das musste auch die Madame einsehen, wenn sie ihnen auch mit Missfallen hinterherblickte, als sie zusammen das Schloss verließen. Alexander zögerte lange, aber da er sich nicht vorstellen konnte, dass Heinrich Ferdinand zu einem anderen Zweck beschäftigt hatte, bot er ihr nach einigen Metern seinen Arm an, in den sie sich mit einem schüchternen und ziemlich erleichterten Lächeln einhakte. So liefen sie stumm nebeneinander her. Dorothea sah so glücklich aus, wie seit ihrer Abreise nicht mehr. Sie schien das erste Mal endlich wieder frei und unbeschwert atmen zu können, so eifrig sog sie die frische Luft in sich ein. „Ich danke Ihnen.“, sagte sie irgendwann. Alexander fühlte sich auf einmal selbst wie der Heuchler. „Wieso das?“, fragte er scheinheilig. Dorothea wirkte ein wenig beschämt. „Weil Sie mich vor Ihrem Bruder gerettet haben. Zumindest für ein paar Stunden.“ „Sie mögen ihn nicht sonderlich?“ Man sah ihr an, wie unangenehm ihr diese Frage war. „Verzeihen Sie“, fing sie trotzdem an, „Ich gebe mir Mühe, aber ich kann ihm wirklich nichts Gutes abgewinnen. Um ehrlich zu sein…er…Mir ist richtig unwohl, wenn ich Objekt seiner Aufmerksam bin.“ „Und jetzt?“, entgegnete Alexander und blieb dicht vor ihr stehen, um ihr in die Augen zu sehen, „Wie fühlt es sich an, Objekt meiner Aufmerksamkeit zu sein?“ Sie wurde rot. Wich seinem Blick aus. „Viel…viel angenehmer…“, brachte sie heraus, „Das mag wohl daran liegen, dass ich Sie viel lieber habe, Herr Alexander.“ Der junge Baron machte einen Schritt zurück und hielt ihr wieder seinen Arm entgegen. Es dauerte ein paar Sekunden, bis sie dies bemerkt und sich eingehakt hatte. „Ich verstehe, dass Sie für Ferdinand nichts übrig haben.“, meinte Alexander, da er nicht wusste, was sie von ihm erwartete, wenn sie weiter über ihre Gefühle für ihn redeten. „So?“, kam es erleichtert von ihr. „Glauben Sie, irgendjemand in diesem Hause kann ihn leiden?“, bekräftigte Alexander. „Nun, meine Mutter…“ „Erlauben Sie mir die Bemerkung, aber die sieht doch nur sein Geld.“ Das Mädchen nickte betrübt. „Ja, so ist es.“ „Sein Geld und das Schloss.“, ergänzte Alexander. „Ach!“, rief Dorothea da, „Würde Ihre Mutter doch nur jetzt schon verkünden, dass Sie Ihnen das Schloss vermacht! Sie würde mich mit Ihrem Bruder sofort in Ruhe lassen.“ Alexander sah sie hierauf wohl so erstaunt an, dass sie zusammenfuhr. „I-ich…!“, begann sie, „Ich will nichts…ich will Sie zu nichts…! Bitte verstehen Sie mich nicht falsch, aber…es…ich muss es so sagen: Es überkommt mich der Ekel, wenn ich mir vorstelle, mit diesem Mann das Ehebett teilen zu müssen…!“ Alexander nahm ihre Hände in seine und drückte sie fest. „Ich verstehe Sie voll und ganz, Dorothea. Und glauben Sie mir: Ich werde nicht mit ansehen, wie Sie zu etwas gezwungen werden, was Sie nicht wollen.“ Schlagartig hellten sich ihre Züge auf. Sie schenkte ihm ein entzücktes Lächeln. Bevor sie noch irgendetwas erwidern oder nachfragen könnte, hielt ihr Alexander wieder den Arm entgegen, und sie liefen weiter. Schweigend kamen sie am Schloss an, wo im Salon alle beisammensaßen. Nur Wilhelm war wohl in der Bibliothek. Mit einem entschuldigenden Blick ließ Alexander Dorothea wieder los und gab sie damit für Ferdinand frei. Er glaubte ihrer Miene aber zu entnehmen, dass er ihr mit seinen Worten Kraft gegeben hatte, die nächsten Stunden mit seinem Halbbruder durchzustehen. Seinerseits nahm Alexander Heinrich zur Seite, und sie liefen hinaus auf die Terrasse. Ihm war nämlich, dank Dorothea, eine Idee gekommen. Kaum standen sie beide draußen, da packte der junge Leutnant seinen Geliebten am Kragen. „Du hast ihr keinen Antrag gemacht! Bitte sag mir, dass du ihr keinen– “ Er wurde mit einem flüchtigen Kuss unterbrochen. Alexander entfernte die Hände des Jüngeren sanft von seiner Kleidung und nahm ein wenig Abstand von ihm, während er sich umsah. „Nein, habe ich nicht. Stattdessen weiß ich jetzt, wie wir – wie Dorothea aus dieser Misere wieder herauskommt.“ Heinrich sah ihn gespannt an. „Tatsächlich?“ Alexander nickte. „Es liegt doch daran, dass die Madame davon ausgeht, dass Ferdinand als Erstgeborener das Schloss erbt.“ Heinrich nickt. „Nun musst du ihr einfach Folgendes sagen: Ich habe dir, mit dem größten Vertrauen, weil du doch schon wie ein Bruder für mich bist– “ „So, so, ein Bruder…“, unterbrach ihn Heinrich schmunzelnd. Alexander ging nicht mehr als mit einem kurzen Grinsen darauf ein. „habe dir mitgeteilt, was mir meine Mutter verraten hat: Nämlich, dass sie das Schloss Wilhelm vermacht, mir das Gut, und dass sie Ferdinand, da sie ihn nicht leiden kann, leer ausgehen lässt.“ Heinrich sah ihn erstaunt an. „T-tatsächlich?!“ „Nein!“, zischte Alexander und sah sich abermals um, „Das sollst du ihr lediglich sagen.“ „Ach, natürlich, entschuldige.“ „Aber du musst ihr klarmachen, dass sie das unter keinen Umständen der Baronesse gegenüber erwähnen darf!“ Heinrich nickte. „Sag ihr, meine Mutter habe es ihr noch nicht verraten, da sie sie noch völlig unvoreingenommen prüfen will, wo ihre wahre Loyalität liegt.“ „Das heißt…?“ „Ob sie mir ihre Tochter anvertraut, oder Ferdinand. Egal wie viel Geld wir erben werden. Selbstverständlich wird sie, mit diesen erdachten Hintergrundinformationen, die du ihr geben wirst, mich favorisieren. Mama würde nichts davon erfahren, dass wir beide Lügenmärchen über ihr Erbe verbreiten, und Dorothea wäre erst einmal vor Ferdinand sicher.“ Auf Heinrichs Gesicht legte sich ein Lächeln. „Das ist ein sehr guter Plan.“, stimmte er zu, „Aber…du wirst sie dann nicht wirklich heiraten, oder?“ „Nein!“, beteuerte Alexander ein weiteres Mal. Sein Geliebter schien endlich zufrieden. „Wunderbar.“, meinte er, „Dann kann ich heute Nacht wieder besser schlafen. Ich werde es meiner Tante noch heute nach dem Abendessen mitteilen.“ „Gut.“, seufzte Alexander. Diese Neuigkeit überbrachte er am Abend auch Robert, damit dieser ebenfalls wieder gut schlafen konnte. ---------------- ENDLICH geht es hier weiter! :) Trotzdem darf ich euch hier auch auf meinen VLE-Kalender aufmerksam machen – schließlich gibt es auch ein Bildchen mit Heinrich im Barockkleid^^ Und dann wollte ich noch erwähnt haben, dass jetzt Nicole und Prof. Eichendorff bei den Charakteren zu sehen sind :3 Kapitel 22: XXII ---------------- Am nächsten Morgen beim Ankleiden war Robert tatsächlich fröhlicher gestimmt, als am vorigen Tag. „Konntest du wieder besser schlafen, ja?“, fragte ihn Alexander schmunzelnd. „In der Tat.“, antwortete ihm der Ältere, „Aber ich werde erst wieder vollkommen beruhigt sein, wenn Ihr perfider Plan auch so glänzend, wie er ausgeheckt, in die Tat umgesetzt wird.“ „Das werden wir gleich sehen.“, versprach ihm der Baron und ließ sich noch einmal den Rock zurechtstreichen, bevor er die Tür öffnete und hinaus auf den Gang trat. Robert folgte ihm nach unten, wo er sich auf den Weg in die Räume der Bediensteten machte, während sein Herr das Esszimmer betrat. Er musste grinsen: Dorothea saß wieder ihm gegenüber. Ferdinand schien darüber etwas verwirrt. „Einen wunderschönen guten Morgen.“, begrüßte Alexander alle Anwesenden und nahm auf seinem Stuhl Platz. „Guten Morgen, Herr Alexander.“, erwiderte Dorothea mit einem schüchternen Lächeln. Sie sah dankbar aus. Den Vormittag verbrachte Alexander mit ihr und Caroline im Salon. Er ließ es über sich ergehen, dass er immer wieder von seiner Schwägerin indirekt aufgefordert wurde, Dorothea Komplimente zu machen. Er tat es am Ende sogar von selbst, wobei er sich einredete, dass er dem jungen Fräulein das Herz brechen musste, wenn er sie aus Ferdinands Klauen retten wollte. So verbrachte er die Zeit mit Dorothea bis zum Mittagessen, zu dem er sie am Arm führte und ihr den Stuhl zurückschob, damit sie Platz nehmen konnte. Er bemerkte die erstaunten Blicke, vor allem den seiner Mutter. Als sie sich gefasst hatte, sah sie ganz entzückt darüber aus, dass ihr Jüngster ja doch Manieren hatte. Heinrich hingegen schien nicht sonderlich entzückt. Er wirkte verbissen, als er neben seiner Cousine Platz nahm. Es wurde die Vorspeise aufgetischt, und man war noch nicht einmal beim Salat angekommen, da meldete sich die Madame zu Wort, sie plane morgenfrüh abzureisen, da sie zuhause einige Geschäfte riefen. „Oh!“, gab die Baronesse von sich, „Das kommt aber unerwartet.“ „Es ist mir auch ganz unangenehm, meine Liebe“, beteuerte die Madame, „aber es ist notwendig.“ „Nun, dann müssen wir Sie wohl ziehen lassen.“, meinte die Hausherrin, „Aber ich darf Sie drei doch zu unserer Gartenfeier am ersten Wochenende im April einladen?“ „Selbstverständlich!“, rief die Madame, ganz begeistert. Mit einem zufriedenen Lächeln sah sie ans Ende der Tafel, wo ihre Tochter, Heinrich und Alexander saßen. „Den heutigen Tag haben wir ja noch, um uns voneinander gebührend zu verabschieden. Es soll ja nicht auf ewig sein.“ Während Caroline ihr beipflichtete, sah Alexander skeptisch hinüber zu Heinrich. Vermutete er richtig, dass die Madame mit ihren letzten Worten und mit der überhasteten Abreise ihn zu einer Entscheidung zwingen wollte? Dass sein Geliebter sich auf die Unterlippe biss und den Kopf senkte, sagte alles. Verdammt! Was sollte er tun? Ferdinand wischte sich den Mund sauber und räusperte sich. „Dorothea“, begann Alexander überhastet und schenkte dem Mädchen ein unsicheres Lächeln. „Ja?“, brachte sie heraus. Er nahm eine ihrer aufgeregt zitternden Hände in seine. „Ich möchte…“, begann er, „Ich möchte Sie fragen, ob Sie meine Begleitung auf unserem Gartenfest sein wollen.“ Er konnte Heinrich erleichtert ausatmen hören. Die Madame seufzte enttäuscht auf. Ganz unzufrieden war sie jedoch nicht. Dorothea schlich die Röte ins Gesicht. „Gerne, Herr Alexander. Sehr gerne.“ Alexander ließ ihre Hand wieder los und sah unsicher lächelnd in die Runde. Ferdinand blickte grimmig zurück. Das ganze Essen über rang Alexander mit sich, ob er nicht eben einen Fehler begangen hatte. Er hatte Ferdinand damit eindeutig missmutig gestimmt. Bestimmt ließ der es sich nicht gefallen, so einfach ausgebootet zu werden. Ob er, so wütend, wie er nun war, seine Drohung wahrmachen und seine Neigung der Öffentlichkeit oder zumindest der Familie preisgeben würde? Heinrichs Blick lenkte seine Gedanken in andere Bahnen. Grundgütiger! Er sah ihn morgenfrüh das letzte Mal für die nächsten zwei Wochen! Gleich schmeckte ihm das Essen nichtmehr. Er konnte den Nachmittag unmöglich, wie geplant, mit Dorothea verbringen. Er musste mit Heinrich zusammen sein. Am liebsten wäre er den restlichen Tag nur mit ihm zusammen, aber dass das unmöglich war, das wusste er. „Darf ich Sie beide“, fing er also an und sah Cousin und Cousine gleichsam an, „dazu einladen, mit mir den Nachmittag zu verbringen?“ Dorothea sah zu Heinrich, der mit einem Lächeln nickte. „Gerne, Herr Baron.“, sagte er. Die Madame schien ganz begeistert. Zu dritt liefen sie also eine Weile später durch den Garten, Dorothea bei Alexander eingehakt. Alexander bemerkte, wie unglücklich sein Geliebter dabei war. Als sie über der Brücke waren und von dichtem Gebüsch umringt, nahm er ihn also an die Hand. Heinrich sah ihn erschrocken an, doch Alexander schenkte ihm nur ein Lächeln. „Ich liebe dich“, formten seine Lippen. Dass Heinrichs Blick daraufhin ganz sanft wurde, zeigte ihm, dass er ihn verstanden hatte. „Hm?“, kam es von Dorothea, „Sagten Sie etwas?“ „Nein, nein.“, erwiderte Alexander schnell, wobei er Heinrichs Hand ein wenig fester drückte. Den Weg über genoss es der junge Baron, wie die Finger seines Geliebten sich in seine flochten, wie er ihn mit dem Daumen streichelte. Schließlich kamen sie am Teich an, dort, wo die Trauerweiden standen. Alexander sah schmunzelnd zu Heinrich hinüber, als er sich das Jackett öffnete, um es aufs Gras zu legen. „Bitte.“, sagte er an Dorothea gewandt, „Wenn Sie sich setzen wollen.“ „Oh, danke.“, entgegnete sie schüchtern und nahm seine Hand an, bevor sie sich niederließ. Alexander setzte sich neben sie, zu seiner rechten nahm Heinrich Platz, dicht bei ihm. Als Dorothea noch den Teich bewunderte, fuhr ihm der junge Leutnant über den nun nur noch ins Hemd gekleidete Rücken. Über Alexanders Hosenbund ließ er seine Hand ruhen und hoffte, seine Cousine würde es nicht bemerken. „Da Sie die Natur so mögen“, fing der junge Baron ein Gespräch an, „Haben Sie denn zuhause auch einen Garten?“ Dorothea lächelte sanft und fuhr mit ihren Fingern durchs Gras. „Ja, haben wir. Aber der ist lange nicht so groß, wie der Ihrige.“ Alexander spürte, wie sich Heinrichs Hand weiter bewegte. Er sah kurz zu ihm, wobei er seinen Blick einfing. In den himmelblauen Augen vermischten sich Sehnsucht und Leid, diese Sehnsucht nicht stillen zu dürfen. „Ich freue mich schon aufs Gartenfest.“, kam es von Dorothea, wodurch Alexander aus dem Bann des Blaus gerissen wurde. „Ja, ich denke, es wird schön werden.“, stimmte er zu. „Bestimmt.“, meinte auch Heinrich und ließ seine Hand an Alexanders Seite wandern, „Vor allem wird es ein schönes Wiedersehen. Ich werde Sie vermissen, Herr Baron.“ Alexander widerstand dem Drang, ihn zu küssen. „Ich werde…Sie beide auch vermissen.“ Lachend wandte er sich an Dorothea. „Schon seltsam, nicht? Vor drei Wochen kannten wir uns noch nicht einmal, und jetzt habe ich Sie schon so sehr ins Herz geschlossen.“ Das Mädchen lächelte ihn beschämt an, während Heinrich noch ein wenig näher an ihn rutschte, da er sich ihnen beiden nun zukehrte. „Ich kann dich verstehen, Doro, Alexander ist ein wirklich guter Mensch.“ Sie schenkte ihrem Cousin ein Lächeln. „Ich sehe, dass du ihn magst, Heinrich, und das freut mich.“ Alexander wusste einen Moment nicht, was Dorothea genau mit diesem „Mögen“ meinte, aber so unschuldig wie sie wirkte, war schon die Vorstellung einer solchen Beziehung in ihrer Welt sicherlich unmöglich. „Sie sind so sympathisch, dass ich manchmal glaube, Sie gehörten nicht zu dieser Familie.“, redete Heinrich außerdem weiter, als wenn nichts wäre. Alexander lachte. „Nun beschämen Sie mich aber beide.“ „Werden wir uns auch nach dem Gartenfest ein paar Mal sehen?“, fragte Dorothea. Man sah ihr schon den Abschiedsschmerz an. Dabei konnte sie nicht einmal erahnen, wie der Abschiedsschmerz in ihren beiden männlichen Begleitern brannte. „Sicher.“, versprach Alexander und sah zu seinem Heinrich, der daraufhin seinen Griff an seiner Seite verstärkte und sich in sein Hemd krallte. Gegen Abend auf dem Weg zurück zum Schloss hatte sich Dorothea wieder bei Alexander eingehakt. Die Hand seines Geliebten ließ er erst kurz vor der Brücke los. Wenn das Mädchen so klug und aufgeweckt war, wie es ständig von seiner Mutter angepriesen wurde, dann musste es etwas bemerkt haben. Nicht nur einmal war es während ihres Gesprächs passiert, dass sowohl Alexander als auch Heinrich nicht mehr folgen konnten, da sie gerade mit ihren Gedanken anderswo gewesen waren. Meistens beim anderen, ertrunken in dessen Augen oder unter dessen Kleidern… Zu Beginn ihres Spaziergangs hatte sich der junge Baron noch gefragt, ob er nach dem Abendessen vielleicht noch ein paar Minuten mit Heinrich alleine haben konnte – mittlerweile brauchte er diese paar Minuten. Dringlich. „Wenn es nachher nicht schon so dunkel und frisch wäre, würde ich mit Ihnen beiden nach dem Essen noch einmal spazieren gehen.“, sagte Alexander und sah dabei seinen Geliebten eindringlich an, „An Belcastels Hütte, zum Beispiel, waren wir noch nicht.“ Er hoffte inständig, Heinrich würde ihn verstehen. Ein Nicken deutete dies jedenfalls an. Mit dem Abendessen konnte Alexander gar nicht schnell genug fertigwerden. So fiel ihm nur nebenbei auf, dass Ferdinand so erzürnt oder gekränkt gar nicht mehr schien. Er kostete Wein und Essen aus, wie er nur konnte, und dachte wohlmöglich an die Vorzüge eines bevorstehenden Lebens als steinreicher Junggeselle. Nun, das war, wie gesagt, Nebensache. Kaum wurde die Tafel aufgelöst, kündigte Alexander an, er gehe sofort aufs Zimmer, und verschwand aus dem Essenssaal. In der großen Halle wählte er jedoch nicht die Treppe nach oben, sondern verschwand im Dienstboteneingang. Auf seinem Weg begegnete er einer völlig überrumpelten Mamsell Zimmermann, die er bat, bitte nichts seiner Mutter zu berichten, er sei auch gleich wieder weg, und einem verwirrten Küchenmädchen, das ihm mit großen Augen nachstarrte. Die Luft draußen war wirklich kühl, auch war es angenehm dunkel. Sein Weg führte ihn zielstrebig hinüber zu Belcastels Hütte. Dort streichelte er so ausgiebig den Hund, wie der es wohl gar nicht gewohnt von ihm war, bis er endlich, endlich seinen Heinrich erblickte, der mit immer schneller werdenden Schritten auf ihn zulief und ihm in die Arme fiel. Gierig trafen sich ihre Lippen, während ihre Hände sich ungestüm in die Kleidung des jeweils anderen krallten. Der Kuss war feurig, sinnlich, eine Erlösung. Heinrich keuchte auf, als er sich mit dem Rücken an einem der Bäume wiederfand, und Alexander ihm hungrig den Hals küsste, ihm über die Kleidung fuhr, als wenn er weiter gehen wollte, es aber nicht wagte. Der junge Baron wusste nur, er war besessen von diesem Mann, die Leidenschaft, die er für ihn empfand, war unersättlich. „I-ich…kann nicht…ohne dich…“, brachte Heinrich heraus, küsste ihn, küsste ihn abermals, zog an seinem Rock. „Zwei Wochen…!“, keuchte er, seine Hände wanderten an Alexanders Gürtel. „N-nicht…“, flüsterte der Ältere und hielt halbherzig die Hände mit seinen auf, während ihre Lippen immer noch nicht wirklich voneinander ablassen konnten, „Wir haben kein Wasser, kein Tuch.“ Heinrich sah ihn verzweifelt an. „Zwei Wochen…! Und dann vielleicht – auf ewig!“ „Nein.“, entgegnete Alexander, fasste ihn am Kopf und küsste ihn innig. So wunderbar fühlte sich nur Heinrichs Mund an, nur Heinrichs Zunge, nur Heinrichs Lippen. Sein Geliebter schnurrte fast zufrieden, als er ihm den Gürtel öffnete. Sofort waren die Hände seines Leutnants auch wieder an seinem, doch erneut scheuchte er sie davon. „Wieso…?!“ Alexanders Lippen unterbrachen ihn. Seine große Hand, die sich unter das Hemd in seinen nackten Schritt schob, brachte ihn zum Keuchen. „Mein Abschiedsgeschenk an dich.“, hauchte der Ältere gegen seinen Mund, bevor er vor ihm auf die Knie ging. Heinrich riss die Augen auf. „A-Alexander! Nein!“ Mit einem Stöhnen, als die Lippen sich um ihn legten, unterbrach er sich selbst. Verzweifelt griff er seinem Geliebten in die Haare, versuchte ihn erfolglos wegzuziehen. „N-nicht…! Tu nicht so etw – ah… Das ist Arbeit für Dirnen, nicht für einen – Baron…oh, mein…“ Schwer atmend schloss er die Augen, lehnte seinen Kopf zurück an den Baumstamm. So etwas Wunderbares hatte er noch nie erlebt. Er wollte nicht darüber nachdenken, wieso Alexander sich dabei so unglaublich geschickt anstellte, er wollte es einfach nur genießen. „Ich liebe dich, Alexander.“, keuchte er, „Ich liebe dich so sehr, mein Herzens-Humboldt, mein Ein und Alles, mein Gott, meine Sünde…“ Sein Atem ging immer schneller, er schwitzte in seiner Kleidung, er brannte, dort in seinem Unterleib brannte es, seine Hände zitterten, sein ganzer Körper bebte. Er wollte ihm noch tausendmal sagen, wie sehr er ihn liebte, aber er brachte keine wirklichen Worte mehr heraus, unterdrückte stattdessen sein Stöhnen, das immer ungehaltener zu werden drohte. Er wollte schreien. Seinen Namen. Schließlich presste er sich nur die Hände auf den Mund, als er glaubte, all seine Sinne zu verlieren. Wie im Traum spürte er, wie Alexander sein Innerstes trank, alles, was er ihm gab. Der ältere ließ von ihm ab, schloss auch wieder seinen Gürtel, dann gaben Heinrichs Knie nach. Alexander war geschockt, seinen Geliebten weinen zu sehen. Atemlos fiel sein Leutnant ihm in die Arme. „Ich geb dich nicht her.“, schluchzte er, „Für keine Frau dieser Welt.“ „Ich werd dich gegen keine eintauschen, mein Heinrich. Versprochen.“, entgegnete Alexander heftig, nahm seinen Kopf in seine Hände, „Ich liebe dich so wahnsinnig, wie du eben deine Liebe zu mir bekundet hast, und ich würde es dir auch gerne mitteilen, aber ich bin nicht groß in Worten…“ Heinrich hatte aufgehört zu weinen, schloss die Augen. Er versuchte, seinen Atem zu regulieren, legte ihre Stirn aneinander. „So wie du mir eben deine Liebe bekundet hast, brauchst du keine Worte mehr.“, flüsterte er, bevor er seinen Geliebten küsste. „Nicht, ich– “, wollte ihn Alexander aufhalten, aber Heinrich fand es unbeschreiblich vertraut, sich auf seiner Zunge zu schmecken. „Kann ich dir…?“ „Es geht schon.“, antwortete Alexander und fuhr ihm sanft über die Wange. „Wir müssen zurück.“, sagte er schließlich. „Wieso?“, meinte Heinrich, „Meinst du, es schöpft jemand Verdacht?“ „Nein, sonst lass ich dich nie mehr gehen.“ Der junge Leutnant lächelte gerührt, und sie richteten sich auf. Alexander wollte ihn mit sich ziehen, aber Heinrich hielt ihn an der Hand noch kurz zurück, um mit seinen Stiefeln die Erde vor dem Baum ein wenig zu zerwühlen. Wer wusste schon, was für Spuren man dort sonst am Morgen vorfinden würde… Dann liefen sie beide zurück zum Schloss, Arm in Arm, bis sie den Lichtern zu nahe kamen. „Wie bist du in den Garten gekommen?“, fragte Alexander leise. „Über die Terrasse. Es war noch niemand im Salon.“ Der junge Baron ließ ihn unwillig los. „Dort ist jetzt Licht. Geh vorne herum und warte vor der Eingangstür, ich gehe durch den Dienstboteneingang und öffne dir von innen.“ „Gut.“, entgegnete Heinrich und verabschiedete sich mit einem Kuss. Alexander schlich sich durch die Gänge, bis in die große Empfangshalle, die wie fast immer leer war. Er öffnete seinem Liebsten leise die Tür, und sie liefen beide die Treppe hinauf. Vor Heinrichs Zimmer blieben sie stehen. „Gute Nacht, mein Alexander. Ich werde dich vermissen.“ „Ich dich auch.“, flüsterte der Baron und sah sich kurz um, bevor er ihn noch einmal küsste. „Gute Nacht, mein Heinrich.“ Kapitel 23: XXIII ----------------- Diese Nacht hatte Alexander fürchterlich unruhig geschlafen. Er wollte Heinrich nicht verlieren, aber er wusste, dass er ihn niemals so wie eine Frau an sich binden konnte. Er konnte ihm keinen Antrag machen, mit ihm zusammenziehen, sich mit ihm auf diese Art zusammen in der Gesellschaft sehenlassen. Eigentlich eine Ungerechtigkeit. Ob diese Ungerechtigkeit wohl jemals auf Erden beseitigt würde? Nicht wirklich ausgeruht wurde der junge Baron am Morgen von Robert geweckt. Schon gestern Abend hatte der Kammerdiener seinem Herrn verkündet, wie außerordentlich zufrieden er mit seinen Bemühungen, was die arme Dorothea betraf, war, wie dankbar über seinen Mut und seine Aufopferungsbereitschaft. „Nun dank mir nicht wieder“, fing Alexander an, „sondern steh mir bei. Es werden zwei schreckliche Wochen werden.“ Robert sah ihn mitfühlend an, während er ihm das Hemd zuknöpfte. „Wissen Sie, mein Herr“, meinte er, „es gibt Methoden, wie Sie den Trennungsschmerz mindern können.“ Alexander sah ihn entsetzt an. „Robert!“ Der Ältere wirkte einen Moment verwirrt, dann begann er zu lachen. „Nein, nein, Alexander, nicht doch. Ich dachte nicht an körperliche Abhilfe. Sofern Sie auch seelisch etwas für Ihren Heinrich empfinden– “ „Meine Seele hing noch nie so an einem anderen Menschen!“ „ – dann versuchen Sie es doch mit Briefen.“ Alexander sah seinen Diener erstaunt an. „Briefe?“ „Ja. Das geschriebene Wort ist der Schlüssel zur Seele. Kennen Sie nicht die Wendung »jemandem das Herz ausschütten«? Dies kann auch in einem Brief geschehen.“ Der junge Baron schien immer überzeugter von der Idee zu werden, das erkannte Robert daran, wie sein Blick sich aufhellte. Dann jedoch waren seine Augen wieder erloschen. „Ich kann doch aber nicht Heinrich schreiben, wenn seine Cousine in den zwei Wochen keinen einzigen Brief erhält.“ Robert musste schmunzeln. „Natürlich nicht. Ich dachte, so weit würden Sie mitdenken, um zu wissen, dass, wenn Sie Ihrem Heinrich schreiben wollen, Sie selbstverständlich auch Dorothea mindestens die gleiche Anzahl an Briefen zukommen lassen müssen.“ Alexander schien verzweifelt. „Was soll ich ihr denn schreiben?! Du weißt, ich bin kein Romantiker, ich finde gerademal für Männer die richtigen Worte! Was soll ich da einer Frau schreiben, für die ich noch nicht einmal mehr als Mitleid empfinde?!?“ Robert klopfte seinem Herrn beruhigend auf die Schuler. „Es wird Ihnen schon gelingen.“, meinte er, „Der Drang, Ihrem Heinrich zu schreiben, wird so groß sein, dass Sie sich etwas einfallen lassen werden.“ Seufzend ließ sich Alexander den Gehrock zurechtstreichen, bevor Robert ihm die Tür öffnete. Unten in der großen Halle erwartete den jungen Baron ein Déjà-vu: Seine Familie war versammelt, dem Abschied der Gäste beizuwohnen. Die Madame und Dorothea waren reisefertig, hinter ihnen standen Heinrich und der Chauffeur mit den Koffern. Gerade verabschiedeten sich Dorothea und Caroline aufs Herzlichste, während die Baronesse der Madame die Hand gab. „Wie freuen uns alle, wenn Sie in zwei Wochen wiederkommen.“, beteuerte die Hausherrin. Alexander folgte seinen Brüdern, die, einmal ausschweifend (Ferdinand), einmal grazil (Wilhelm) erst die Hand der Madame, dann die Dorotheas küssten. Ferdinand flüsterte Letzterer irgendetwas ins Ohr, was sie erröten ließ. Alexander wünschte ihr eine gute Heimreise. Der Älteste ignorierte Heinrich ganz, Wilhelm nickte ihm mit einem „Auf Wiedersehen“ entgegen. Nachdem sich der junge Leutnant von der Baronesse und von Caroline mit einem Handkuss verabschiedet hatte, lief Alexander auf ihn zu und nahm seine Hand, die er fest drückte. „Auf Wiedersehen.“, sagte er leise. „Auf Wiedersehen.“, entgegnete Heinrich. Alles Ungesagte konnten sie in ihren Augen lesen. Der erste Tag war der schwerste. Bei Caroline und der Baronesse waren die Eindrücke noch so frisch, dass sie ständig von niemand anderem als Dorothea redeten, was für ein reizendes Mädchen sie sei, was für geistige Vorzüge sie doch genoss, wie traumhaft dieses Bild gewesen, als sie mit Alexander zusammen durch den Garten spaziert war. Der junge Baron wollte nicht darüber nachdenken, wie es nach der Gartenfeier weiterging. Er wollte es nicht wahrhaben, dass er die Familie von Pannwitz und seinen Heinrich wohl nie mehr sehen würde, wenn er seiner Cousine in zwei Wochen keinen Antrag machte. Der zweite Tag wurde noch schwerer. Erst jetzt begriff Alexander, dass es so, ohne seinen Heinrich, die nächsten vierzehn Tage aussehen würde. Erst jetzt, wo ihm der andere fehlte, begriff er das Ausmaß dessen, was ihn mit diesem jungen Leutnant erwischt hatte. Und diese Erkenntnis überkam ihn so sehr, dass er das erste Mal nicht darüber mit Robert sprechen wollte, sondern es aufschreiben. Aufschreiben für den einzigen, der diese Gefühle verstehen würde. Mein lieber Heinrich, du wirst merken, dass ich es nicht gewohnt bin, etwas anderes als wissenschaftliche Studien niederzuschreiben, aber ich muss dir ein paar Worte von mir zukommen lassen; geht dies nicht mündlich, so tue ich es schriftlich. Dazu aufgefordert bin ich durch eine Erkenntnis, die später nicht hätte kommen können: Ich bin verliebt. In einen Mann. – In den wunderbarsten, wunderschönsten, besten, vollkommensten Mann – aber eben in einen Mann. Deshalb wird alles, alles, was kommen mag, nicht einfach werden. Unsere Zeit will so etwas nicht, was wir teilen, man wird uns nicht akzeptieren, nicht zusammen. Aber das soll uns nur noch mehr zusammenschweißen, daran soll unsere Liebe aufgehen, wie Krokusse im Frühling. Ja, wie winterharte Geophyten wird unsere Zuneigung Überdauerungsorgane ausbilden und unsere Liebe zum Blühen bringen! „Gott, das…“ Robert hielt mit dem Staubwedel in der Hand inne und sah fragend hinüber zu seinem Herrn, der sich die Haare raufte. „Ich will ihm von meiner Liebe schreiben und sinniere von Schwertliliengewächsen!“ Lachend kam Robert zu ihm hinüber. „Zeigen Sie einmal her.“ „Nur der letzte Satz!“ „Ja, ja.“ Der Kammerdiener nahm das Briefpapier auf und las sich das Ende durch. „Ich finde es entzückend. Und versteht Ihr Heinrich nicht etwas davon?“ „Ja, schon…“ „Na also.“ Alexander musste es zulassen, dass Robert ihm grinsend durch die Haare fuhr, bevor er sich wieder seinem Brief, und sein Diener sich dem Staub zuwandte. Robert hielt mich gerade davon ab, diesen Satz durchzustreichen. Ich hoffe, du nimmst es ihm nicht übel, oder mir, dass ich unfähig bin, meine Gedanken, die wirklich an Liebe für dich überquellen, angemessen auszudrücken. Hier redet alles von deiner Cousine, aber ich will nicht daran denken, welche Erwartungen nun an mich gestellt werden. Ich will nur wissen, was du von mir erwartest. Nur alleine nach deinem Plan will ich meine Zukunft richten, nur was du für mich vorsiehst, das will ich tun. Gerne würde ich mit dir fliehen, irgendwohin, am glücklichsten würde uns das Schicksal zuspielen, wenn ich tatsächlich das Gut erben würde. Sonst weiß ich nicht, wohin, da wir beide doch mehr oder minder mittellos dastehen. Aber wenn du meinst, es wäre besser, wenn wir uns heimlich träfen, am See zum Beispiel, dann wäre ich auch damit zufrieden glücklich, und müssten wir dieses Versteckspiel auch noch als Greise spielen. Ich finde es gar seltsam, so weit von uns zu denken. Nicht seltsam, weil es mir nicht behagt – im Gegenteil, es erfüllt mich mit einem warmen, herrlichen Gefühl – nein, sondern weil ich noch nie so weit gedacht habe. Noch nicht einmal nur von mir selbst. Hin und wieder träume ich davon, die Neue Welt zu besuchen, Amerika soll wirklich schön sein, aber nie habe ich wirklich Pläne dafür geschmiedet. Und nun schau mich an: Nun sitze ich hier und schmiede nicht nur Pläne für meine Zukunft, sondern für unsere. Unsere gemeinsame Zukunft, weil eine Zukunft ohne dich, mein Heinrich, gibt es für mich nicht mehr. Schon dieser erste Tag ohne dich ist so schwer durchzustehen, dass ich Angst davor habe, wirkliche Angst, dich für immer entbehren zu müssen. Zweimal hast du mir gesagt, du müsstest dich umbringen, wenn wir nicht mehr zusammen sein könnten. Ich werde dir folgen, wird es so weit kommen. Lieber würde ich mit noch tausenden Liebesbekundungen schließen, aber der Gedanke an deine Abwesenheit und an die Tatsache, dass mich nun die Pflicht erwartet, auch deiner Cousine einen Brief zu schreiben, mir Worte für sie aus den Fingern zu saugen, damit ich dir diese zukommen lassen kann, betrüben mich gar zu sehr. Darum lies dir noch einmal den Anfang meines Briefes durch, damit du mir – hoffentlich bald – mit freundlichen Worten antworten kannst. In Liebe Dein Alexander Alexander streckte sich seufzend. Robert sah ihn schmunzelnd an. „Ich entnehme Ihrer Miene, dass es jetzt daran geht, Dorothea zu schreiben?“ „Du liegst richtig.“, entgegnete sein Herr. „Ich glaube fest an Sie.“, machte Robert ihm Mut und wuschelte ihm mit dem Staubwedel entgegen. Alexander grummelte nur. Geschlagene fünf Minuten saß er vor einem leeren Blatt Papier. „Fangen Sie damit an, dass Sie sie vermissen. Jetzt schon. Und so weiter.“ Liebe Dorothea, „Ist »Liebe Dorothea« angemessen?“ Robert sah ihn skeptisch an. „Nun gut.“, meinte er schließlich, „Ich hätte zwar ein wenig mehr Leidenschaft hineingesteckt, aber so geht es auch.“ „Danke.“ ich muss Ihnen mitteilen, dass, obwohl doch erst ein Tag seit Ihrer Abreise vergangen ist, ich Sie schon vermisse. „Und jetzt?“, gingen Alexander schon die Ideen aus. Robert kam seufzend zu ihm hinüber und las die paar Worte, die bis jetzt das Blatt zierten, durch. „Schreiben Sie, was Sie vermissen.“ „Und das wäre…?“ „Was vermissen Sie an Ihrem Heinrich?“ Alexander musste nicht lange nachdenken: „Seine Nähe. Sein Blick, sein Lächeln. Ich will ihm über die Wange fahren, seine Hände in meinen Haaren spüren, seine Stimme hören…!“ „Nun übertragen Sie das auf Dorothea. Das Nichtkörperliche!“ „Ich werde es versuchen…“ Ich vermisse Ihre Nähe, die mich stets aufs Außerordentlichste beruhigt hat, Ihren Blick, wenn Sie mich mit Ihren blauen Augen „Braun.“ Alexander setzte die Feder ab und sah irritiert zu seinem Kammerdiener auf. „Ihre Augen sind braun.“, verbesserte ihn Robert mit einem Lächeln, „Wie eine Haselnuss.“ Der Baron sah immer noch zu ihm auf, aber sein Blick war nicht mehr irritiert, es arbeitete in seinem Kopf. Schließlich musste er grinsen, erhob sich und während er Robert den Staubwedel abnahm, drückte er ihm die Feder in die Hand. „W-wie?!“ Entsetzt blickte Robert seinen Herrn an. Dieser lief lediglich schmunzelnd hinüber zum Regal, wo er begann, seine Gläser abzustauben. „A-aber, Herr Baron…!“, rief Robert, „Ich kann doch nicht…!“ „Doch, doch.“, entgegnete Alexander zuversichtlich, „Im Gegensatz zu mir kannst du etwas mit Frauen anfangen, und wegen dieser hast du sogar schlecht geschlafen. Ich denke schon, dass du das kannst.“ Völlig entgeistert stand Robert immer noch da und starrte ihn an. „Nun nimm schon Platz.“, ermutigte ihn Alexander, „Sie kennt meine Schrift nicht. Denk dir was Hübsches aus, ich werde Heinrich darüber aufklären, damit er meine Briefe vor seiner Cousine verwahrt.“ Zufrieden sah der junge Baron zu, wie sein Diener nun doch am Schreibtisch Platz nahm. Zögerlich betrachtete er das Blatt, das vor ihm lag. „Du darfst von neuem beginnen und so viel Papier beschreiben, wie du nur willst.“ Robert seufzte, bevor er die Feder ins Tintenfass tunkte. ---------------- Zu diesem Kapitel nur eines: Ich LIEBE es, solche Briefe zu schreiben…! X3 Kapitel 24: XXIV ---------------- Es dauerte zwei Tage, am dritten erhielt er Heinrichs Antwort. Zwei versiegelte Briefe trafen im Schloss Tegel ein, beide an den jungen Baron Alexander adressiert. Robert bekam die Briefe von Rousseau gereicht, dem sie der Postbote überbracht hatte, und lief damit sofort hinauf ins Arbeitszimmer seines Herrn, wo sich dieser seit der Abreise ihres Besuchs vornehmlich aufhielt, um sich nicht unnötig mit Ferdinand herumschlagen zu müssen. „Alexander!“ Der Kammerdiener schloss die Tür hinter sich, da hatte sein Herr schon erkannt, was er ihm brachte, und stürzte auf ihn zu. „Er hat geantwortet! Gott im Himmel, bin ich glücklich! Ein Brieföffner, Robert! – Gott im Himmel, bin ich aufgeregt…! Was, wenn er…! Wenn ich ihn gekränkt habe und– “ Alexander verstummte, als Robert ihn an den Schultern packte. „Wie bitte wollen Sie ihn gekränkt haben? Nun beruhigen Sie sich und lesen den Brief. Viel besorgter wäre ich darüber, dass Dorothea unsere Charade durchschaut hat.“ Alexander nickte nervös und nahm sich den Brief mit dem Siegel, auf dem das Wappen mit den Büffelhörnern abgedruckt war. Schon als er die fein ausgearbeitete, schwungvolle Schrift sah, wusste er, dass es der von Dorothea war. „Der ist für dich.“, meinte er und reichte ihn samt Umschlag sofort Robert. „Aber, Herr Baron…!“ „Dann kannst du gleich antworten. Was bringt es, wenn ich ihn erst lese?“, redete ihm Alexander gut zu. Erst als Robert es sich mit dem Brief am Fensterbrett bequem machte, nahm Alexander hinter seinem Schreibtisch Platz, öffnete das Siegel, das ein anderes Wappen zierte, wohl das der von Kleists, und nahm Heinrichs Brief heraus. Seine Schrift war klein, eckig, hastig – perfekt. Mein allerliebster Alexander!, wie sehr habe ich mich über deinen Brief gefreut! Wenn ich dir sagte, so sehr, dass mir die Tränen kamen, lach bitte nicht über mich. Aber zu ergriffen war ich von der Liebe, die mich durch deine Zeilen erreichte. Niemals mehr -- bitte, das musst du mir versprechen, darfst du an der Wirkung deiner Worte zweifeln! Danke Robert dafür, dass er mir diese bezaubernden Zeilen erhalten hat, die mich, wenn ich es nicht schon vorher war, wie ich stark vermute, ganz und gar dein gemacht haben. So wie du nach meinem Plan deine Zukunft richten willst, so will ich dir gehören. Und willst du also von mir einen Rat hören, was wir, wir zwei Schwertliliengewächse, machen sollten, um den Winter zu überleben, dann habe ich keinen anderen als den, uns zu lieben; lieben, auf Falkenberg, am See, oder in Amerika. Nur eines, mein herzensguter, allerbester Alexander, soll nicht passieren: Dass du, du mein Gott, mein makelloser Jüngling, du wunderbares, immer mehr als perfektes Geschöpf -- dass du dir etwas antust! Das würde die Erde erschüttern, der Himmel würde weinen, so etwas Unbeschreibliches wie dich verloren zu haben, weshalb ich alles tun werde, alles mir Mögliche, um nur bei dir zu bleiben, wenn es das ist, was du zum Leben brauchst. Willst du aber mein bescheidenes, wahrlich unvollkommenes Leben erhalten, so tue das gleiche für mich. Nun schreibe ich gerade diese Zeilen, da bemerkte ich, dergestalt, dass ich deinen Brief wieder aufgenommen habe und noch einmal durchlese, da ich nicht genug davon bekommen kann, was mir in meinem Freudentaumel noch gar nicht aufgefallen: Du, DU nennst mich vollkommen? Wunderschön? --- Bin ich das? Bin ich das für dich? – Wenn ich es für dich bin, dann mögen mich alle anderen einen Taugenichts, einen Träumer und einen Nichtsnutz schimpfen; deine Meinung von mir steht über allen anderen. – Sag es mir nur noch einmal, schreib es mir erneut, und erst dann will ich dir glauben, weil ich es nicht glauben kann! Bin ich in deinen Augen schön? Keine Frau würde mich neben dir beachten; wie kann jemand gar Göttliches wie du, mich als schön bezeichnen? – wunderschön, schriebest du -! Keine passenden Worte, behauptest du, findest du also, mir deine Liebe mitzuteilen, und jetzt bringst du mich schon ein zweites Mal zum Weinen. Aber tu das bald wieder, mein Gönner, mein Schicksal, mein Augenstern; ich weine gerne, wenn mein Herz dabei glüht und jede Faser meines Körpers deine Zuneigung zu mir spürt! Du hast mich glücklich gemacht, mein Alexander; ich danke dir dafür --- tausendmal! Jetzt hoffe ich -- so innig hoffe ich, dass du meine Cousine nicht heiraten musst, damit wir zusammenbleiben können. Es muss eine andere Lösung geben, die es zu finden gilt, und ich versichere dich, wenn du sie nicht ersinnst, so werde ich sie finden. Bis dahin sehe ich voller Sehnsucht unserem Wiedersehen entgegen, während ich auf einige Briefe mehr von dir hoffe, ein paar freundliche, liebevolle Worte, die ich dir mit ebenso viel Liebe erwidern werde. Dies seien die ersten: Ich liebe dich, mein Alexander, und bin ganz Dein Heinrich PS: Natürlich nehme ich es dir nicht übel, dass Robert an meine Cousine geschrieben hat. Ich nehme es dir nur übel, dass du es erst ganz unten in meinem Brief erwähnst; anhören musste ich, wie unsere Doro aus ihrem mit lebhafter Freude der Tante zitierte, und war selbst Zeuge von außergewöhnlicher Herzlichkeit und Aufrichtigkeit, die in jedem Wort lag und mich gar eifersüchtig stimmte. Wie erleichtert ich doch jetzt bin, zu erfahren, dass nicht du der Erzeuger dieser Worte warst! Alexander wollte ihn küssen. Packen wollte er seinen Heinrich und ihn küssen, küssen…! Wie schwierig es jetzt doch war, diesen Kuss bloß mit Feder und Tinte aufs Papier zu bringen, das Heinrich erst übermorgen in Händen halten würde… Der junge Baron seufzte. Robert seufzte. Irritiert sah Alexander zu seinem Diener hinüber. „Ist etwas, Robert?“, fragte er skeptisch nach, als er sah, wie der Ältere sich mit seinem Handschuh übers Gesicht und durch die Haare fuhr. „Sie liebt Sie wirklich, Alexander.“, antwortete er und sah ihn mitleidsvoll an. Der junge Baron schüttelte den Kopf. „Bis jetzt war es vielleicht eine Art Faszination, eine aufkeimende Leidenschaft, eine Entzücktheit. Du hast ihr erst mit deinen Worten den Kopf verdreht.“ Robert zog erstaunt seine Augenbrauen zusammen. „Soll das jetzt ein Vorwurf an mich sein?“ Alexander wich seinem Blick aus. „Nun es…Es hätte gereicht, ihr ein paar höfliche, nette Zeilen zukommen zu lassen, aber anscheinend hast du es vollkommen übertrieben!“ „Gut.“, kam es beleidigt von Robert, „Dann können Sie ihr jetzt ja antworten, vielleicht finden Sie die richtigen Worte.“ Damit knallte er seinem Herrn den Brief auf den Schreibtisch und verließ den Raum. Alexander starrte ihm verwirrt hinterher. Wieso war Robert nun wegen so etwas gekränkt? Verständnislos nahm er den Brief vom Tisch und ließ seinen Blick darüberfliegen. Worte, die Sie weiser klingen lassen, älter – niemals gedacht, dass ein eigentlich doch nicht schüchterner Mann, wie Sie, erst in einem Brief Ihr Herz einem Mädchen so öffnen kann, wie Sie es aufs Lieblichste getan – Sie so galant noch nie erlebt – glaube, eine vollkommen neue Seite an Ihnen kennengelernt zu haben, die, wenn ich es mit roten Wangen beichten darf, mir aufs Außerordentlichste gut gefällt. Alexander legte den Brief wieder dort auf dem Tisch ab, wo ihn Robert hingeschmissen hatte. Ganz vorsichtig. Ganz unauffällig. Seltsamerweise hatte er das Gefühl, gerade in etwas ganz Intimes eingedrungen zu sein, einen Moment der Zweisamkeit zerstört zu haben. Dabei war der Brief doch an ihn adressiert. Aber wohl nicht an ihn geschrieben. Der junge Baron schüttelte den Kopf, um seine Gedanken wieder zu sammeln, und nahm erneut Heinrichs Brief auf, den er ein weiteres Mal durchlas, bevor er sich an einer Antwort versuchte. Mein ach so gar ungerecht bescheidener Heinrich, du hältst viel zu wenig von dir, mein Liebster! Natürlich meinte ich alles so, wie ich es geschrieben, aber nur, um dir auch deine letzten Zweifel zu nehmen: Du bist mein Amor, schöner als Apoll, lieblicher als jedes Mädchen! Bitte glaube mir, du besitzt eine ungeheure Wirkung auf mich, die mich im ersten Moment unserer Begegnung gepackt und nie mehr losgelassen hat, als wenn ich ein Metallspan wäre und du der einzige, große Magnet. Deinen Plan von unserer Zukunft finde ich ganz ausgezeichnet. Ja, ich werde dich lieben, und hilft uns das schon, so bin ich glücklich. Nur bitte, sprich nicht so hoch von mir und stelle dich dabei so gering dar! Du beschämst mich – und Robert kann dir bestätigen, dass es viel dazu braucht, mich zu beschämen, aber deine Worte tun dies, da sie so gewaltig klingen, als wären sie nicht für etwas Irdisches bestimmt. Und ich bin irdisch, genauso wie meine Laster und Bedürfnisse, das kann ich dir versichern, und in meinen Augen tausendmal nichtiger als du. Du bist derjenige, der solche Lobpreisungen verdient hat, derjenige, der sich mit so jemandem wie mir einlässt. So musst du dich mit all den Problemen meiner Familie herumschlagen, und als Dank konnte ich dir bisher nicht viel geben. Es soll, es darf nicht so weit kommen, dass ich deine Cousine heirate. Ich empfinde so viel für sie, wie für Caroline, und würde ich sie auch mehr mögen, ich liebe nur dich. Sie hat einen Mann verdient, der sie nicht bloß toleriert, sondern einen, der ihr genauso viel Liebe entgegenbringen kann, wie sie ihm, und ich, wie ich bereits sagte, kann das nicht. Da ich sie aber schätze, und der Meinung bin, dass keinem Menschen (mit wenigen Ausnahmen) Leid zugefügt oder Ungerechtigkeit widerfahren sollte, habe ich Angst, ihr das Herz zu brechen. Ich weiß nicht wie, aber irgendwann wird sie es erfahren, wenn ich sie nicht heiraten will, dass ich unmöglich so viel für sie empfinden kann, wie meine Briefe es zum Ausdruck bringen. Sie wird erfahren, dass ein Diener ihr geschrieben, wohlmöglich noch ihre tiefsten Gefühle und Geheimnisse im Gegenzug erhalten hat! Das alles bereitet mir nun langsam Bauchschmerzen, wenn ich auch noch von dir höre, wie gerührt und freudig sie Roberts Worte aufgenommen hat. Nun aber genug des Grams – ich möchte mit dir nach einer besseren Lösung forschen, unsere Zukunft noch in glückliche Bahnen zu lenken. Deine Cousine werde ich nicht heiraten, was aber niemand erfahren muss, bis erst einmal das Gartenfest vorbei ist. Ihr werdet wohl bei uns übernachten, am nächsten Tag werden wir euch sicherlich noch bis zum Mittagessen dabehalten. Falls Ferdinand immer noch an Dorothea interessiert sein sollte – was ich wirklich nicht einschätzen kann, er wirkte so gleichgültig, als ich sie zu meiner Partnerin fürs Gartenfest machte. Sicherlich war es nur ein Spaß für ihn, sie zu umwerben. – Falls das jedoch noch der Fall sein sollte, und falls deine Tante, was ich schon eher glaube, ihre Tochter immer noch mit mir verheiraten will, dann besteht ja die Möglichkeit, dass ich mich erst einmal mit ihr verlobe. Bitte, mein Heinrich, hasse mich bei dem Wort nicht! Eine Verlobung kann man auflösen. Wir werden dann einfach abwarten, die Hochzeit hinauszögern und uns neue Gedanken machen. Hast du natürlich eine bessere Idee, so wäre ich sehr glücklich darüber. Und damit ich diesen Brief nicht wieder mit solchen ernsten Themen schließen muss, so will ich dir noch einmal sagen: Du bist wunderschön. Du weißt, ich liebe die Natur, aber ich muss zugeben: Für mich ist es schöner, dir in die Augen zu sehen, als in den Himmel. Und ich mag das Schwarz deiner Haare lieber als das Schwarz der Kohle. Deine Haut ist seidiger, als jede Faser Stoff, so seidig, dass ich Angst haben muss, sie mit meinen groben Händen zu berühren. Und jeder Mensch, der dich nicht mehr als eines Blickes würdigt, ist blind! Leto würde dich, wandeltest du einmal über den Olymp, auf ihren Schoß nehmen, da sie dich mit ihrem Apoll verwechselt, und derselbe würde alle Jünglinge und Mädchen, sterblich oder göttlich, links liegenlassen, würde er dich erblicken! Aber noch nicht einmal mit einem Gott will ich dich teilen, mein Heinrich. Ich liebe dich, und ich kann gar nicht beschreiben, wie dankbar ich bin, dir begegnet zu sein! Schon jetzt, wo ich doch gerade deinen Brief gelesen habe, sehne ich mich nach deinem nächsten. Deshalb will ich diesen schnell beenden und zur Post bringen lassen, damit ich möglichst bald wieder von dir hören kann. Ich warte hier auf deine Antwort, in stets wachsender Liebe, Dein Alexander Während der junge Baron wartete, bis die Tinte getrocknet war, nahm er einen weiteren Bogen Papier herbei und notierte darauf die Worte: Verzeih mir. Du hast alles richtig gemacht. Schreib ihr bitte, was immer du willst. Dein reumütiger Alexander Als Robert am Abend seine Handschuhe auszog, um ihm die Haare zu waschen, erkannte Alexander mit Freude, dass seine Hände schwarz von der Tinte waren. Die Briefe konnten also gleich morgenfrüh zur Post gebracht werden. ------------------ Ich will euch darauf aufmerksam machen, dass es einen Kalender für 2012 zu Alex und Heinrich gibt. Die Bilder dazu lade ich bei meinen FAs hoch (zwei sind schon da), damit ihr euch entscheiden könnt, ob ihr einen haben wollt – würde mich freuen, wenn ihr Interesse hättet :3 Kapitel 25: XXV --------------- Heinrich glühte. Er hatte den Fehler begangen, Alexanders Brief unten im Salon zu öffnen, wo auch Dorothea mit dem ihrigen Platzgenommen hatte. Nun versuchte er also, seine Ergriffenheit so gut es ging zu verstecken. Seine Tante nahm mit einer Tasse Tee bei ihrer Tochter auf der Sessellehne Platz. „Und, mein Liebes? Was schreibt er?“ „Nur wunderbare Worte!“, entgegnete Dorothea ganz hingerissen, ohne ihre Augen von den Zeilen abzuwenden. Heinrich biss sich auf die Unterlippe. Du bist mein Amor, schöner als Apoll, lieblicher als jedes Mädchen! Und dann wollte er sich mit seiner Cousine verloben. „Heinrich?“ Erschrocken sah er auf, um eine lieblich lächelnde Dorothea zu erblicken, die ihn gerade angesprochen hatte. „Was schreibt er dir denn Schönes?“ „Oh, ähm…“ Heinrich wusste nicht, was er sagen sollte. Seine Tante sah ihn forschend an. „N-nette Sachen.“, antwortete er schließlich, ein wenig unbeholfen, „Was…was ein Bruder dem anderen eben so schreiben würde.“ „Siehst du, Doro!“, rief die Madame ganz begeistert, „Der Baron sieht Heinrich schon als seinen Bruder an! Er muss dir einen Antrag machen, wenn nicht bei der Gartenfeier, dann danach.“ Während seine Cousine rot wurde, senkte Heinrich seinen Blick. „Ich…Entschuldigt mich, ich gehe gleich eine Antwort schreiben.“, verkündete er, bevor er den Raum verließ. Mein lieber, grausamer Alexander!, Wie kannst du mir nur so etwas schreiben! Ich weine und weine, und kann nicht mehr aufhören, während ich mich dabei schrecklich egoistisch fühle. Natürlich musst du diesen Schritt tun, wenn uns nichts anderes einfällt, und natürlich ist es nichts derartig Festes, wie eine Hochzeit, aber trotzdem -- trotzdem kann ich mich mit dem Gedanken nicht anfreunden, dass du dich mit einem anderen Menschen auf solch eine Weise verbindest, obwohl ich doch eigentlich dieser Mensch an deiner Seite sein sollte. Wie unbeschreiblich gerne würde ich mit dir vor den Traualtar treten, vor Gott und der ganzen Welt dir meine unsterbliche Liebe schwören! Da uns dies jedoch verwehrt bleibt, so muss ich mich wohl damit zufriedengeben, dass ich es dir hier noch einmal sagen darf: Ich liebe dich, mein Augenstern-Alexander; bis in alle Ewigkeit lieb ich dich. Ja, so verletzt hast du mich mit deinem Brief, aber lese ich die anderen Abschnitte, so kann ich fast spüren, wie du mir die Wunden leckst. Auch wenn ich nicht verstehe, wie du mich, mich mit einem Gott vergleichen kannst, so schmeichelst du mir damit ungemein, und ich will dir sagen: Würde auch der Göttervater selbst Interesse an mir zeigen, ich würde ihn ablehnen, weil ich einzig und allein dir gehöre, und mögen deine Laster und Bedürfnisse noch so irdisch sein; meine sind es auch. Wir sind beide sterblich: schau dir nur einmal unsere Probleme an; solche Probleme haben Götter nicht – und trotzdem wollen wir uns einfach lieben, denn ich zumindest, empfinde unsere Liebe als himmlisch. Weil du von deiner Familie schreibst: Wie geht es deiner Mutter? Ich hoffe doch, sie ist wohlauf. Dass ich mir Sorgen um deine Verwandtschaft mache, musst du übrigens nicht als allzu große Tat von mir ansehen; ich finde sie nur sympathisch, da sie, im Vergleich zu meiner Tante, außerordentlich nett zu mir waren. Und auch darfst du nicht behaupten, du hättest mir noch nicht viel zurückgeben können. Du hast mir mehr zurückgegeben, als ich verdient habe, mein Alexander! Unmögliches hast du für mich getan, woran zu denken mich schon mit einer Schamesröte überkommen lässt. Bin ich nun schon dabei, dich zu berichtigen, so will ich auch noch ein paar Worte über deine Hände verlieren: Du schriebst, sie seien zu grob für meinen Körper, aber ich gestehe dir: Nichts wünschte ich sehnlicher auf meiner Haut, als deine Hände; deine großen, starken Hände, wie sie mich behandeln, als wäre ich eine deiner naturwissenschaftlichen Proben, die es zu erforschen gilt. Nun genug davon! Denken wir an etwas anderes. Ich habe die letzten Tage versucht, meine Berechnungen des Wasserdrucks zu spezifizieren, und es mag mir wohl noch im Laufe der Woche gelingen, ein paar praktische Versuche dazu anzustellen, um meine Ergebnisse zu überprüfen. Wie wünschte ich nur, du wärest dabei!, würdest für mich in das bescheidene Gewässer am Rande des Waldes bei uns steigen, denn ich habe das Bild von dir nicht vergessen, mein Alexander: Ich habe deinen schönen Leib, als du vor meinen Augen in den See stiegest, mit wahrhaft mädchenhaften Gefühlen betrachtet. Er könnte wirklich einem Künstler zur Studie dienen. Ich hätte, wenn ich einer gewesen wäre, vielleicht die Idee eines Gottes durch ihn empfangen. Mir ist die ganze Welt der Griechen, und ihr Begriff von der Liebe der Jünglinge, durch die Empfindung, die du mir geweckt hast, klar geworden! --- Wie wunderlich, dass ich nun schon wieder, ganz ungewollt, zu diesem Thema zurückgefunden habe. Du lässt mich eben nicht mehr los, mein Aller-allerliebster! Wie den Ikarus die Sonne ziehst du mich an, und irgendwann, irgendwann werde ich in dir verglühen. Dorothea klopft an, es gebe Essen, und ich befinde mich momentan in nicht der besten Verfassung dazu. Deshalb schließe ich schnell, küsse das Papier noch einmal und hoffe, dass dich mein Kuss erreicht. In gar unerträglicher Liebe, Dein Heinrich Eben diesen Kuss setzte Heinrich unten aufs Blatt, und während die Tinte trocknete, stand er von seinem Schreibtisch auf und lief hinüber zum Fenster. Er öffnete es, um ein wenig frische Luft zu bekommen, um dort draußen irgendetwas anderes zu finden, als das Bild von seinem Alexander, wie er nackt in den See steigt. Schwer atmend lehnte er seine Stirn gegen das Holz, fuhr sich fahrig über die Brust. Er wollte einen Knopf an seinem Rock öffnen, entschied sich dagegen, ballte seine Fäuste. „Heinrich!“ Er schloss verzweifelt die Augen. „Ja, doch!“ Während des Essens sprach Heinrich ziemlich wenig. Was seine Tante und ihre Küchenhilfe zustande gebracht hatten, schmeckte wohl, aber er hatte fast keinen Hunger. Dorothea hingegen war so lebhaft und freudig für sie beide zusammen. Unaufhaltsam berichtete sie ihrer Mutter, was der werte Herr Alexander ihr Rührendes geschrieben, wie eifrig sie sich schon an eine Antwort gesetzt hatte, die sie wohl nach dem Essen gleich beenden würde. „Und du, Heinrich?“, fragte sie begeistert, „Wirst du auch heute noch fertig, damit wir die Briefe gleich auf die Post bringen können?“ „Sicher.“, antwortete er ihr mit einem Lächeln. Zurück auf seinem Zimmer schrieb er noch ein paar Zeilen, bevor er den Brief versiegelte. PS: Mach dir keine Sorgen um unsere Doro; sie ist so herrlich glücklich und verträumt, dass sie wohl das Ganze am Ende auch nur für einen Traum halten muss. Ich liebe dich. Des Nachts schlief Heinrich unglaublich unruhig, und am Morgen war er so verschwitzt und derangiert, dass er glaubte, Alexander sei wirklich bei ihm gewesen. -------------- Einige Sätze aus diesem Brief Heinrichs hab ich aus dem echten Kleist-Brief übernommen, den ich auch schon in meinem Doji zitiert hab – das mit dem See passte so gut :) Kapitel 26: XXVI ---------------- Alexander wälzte sich regelrecht in seinem Bett umher, aber wie auch immer er es versuchte, er wollte nicht einschlafen. Stattdessen konnte er nur an seinen Heinrich denken, und musste feststellen, dass er, ganz irdisch, wie schon in seinem Brief beteuert, nicht nur seine geistige Nähe vermisste, sondern auch seine körperliche. Irgendwann gelang es ihm endlich, für ein paar Stunden die Augen zuzutun, dann jedoch weckte ihn schon wieder der erste Sonnenstrahl. Irgendetwas schien ihm beim Augenaufschlagen zu entgleiten. Bestimmt hatte er von Heinrich geträumt, den er nun im Traumland zurücklassen musste. Dem jungen Baron entwich ein Seufzen, als er sich auf den Rücken drehte und das Laken über ihn streifte. Selbstverständlich hatte er von Heinrich geträumt. Kurz zog er es in Erwägung, so aufzustehen, dann jedoch fühlte sich die Hand, die er sich auf die nackte Brust legte, so gut an, dass er sie noch ein wenig tiefer gleiten ließ. Sie hatten viel zu wenig Zeit für ihre körperlichen Bedürfnisse gehabt, immer hatte es so schnell gehen müssen, und das erste Mal am See, als sie noch Zeit gehabt hätten, hatte sie ihre Leidenschaft übermannt und es in wenigen Minuten zu Ende gebracht. Nein, das nächste Mal wollte er Heinrichs Hände auf seinem Körper spüren, genau so… Sie sollen sich Zeit nehmen, ihn erkunden, und dann darf er das Gleiche tun. Und wenn sie beide damit fertig sind, dann können sie… Alexander stöhnte auf, hob sein Becken, um seiner Hand entgegenzukommen. Ja. Ja, genau das wollte er mit ihm tun. Das Innigste, was zwei Geschöpfe miteinander tun konnten, das wollte er mit seinem Heinrich machen… „Aaah…!“ Robert schrak zusammen, als er seinen Herrn schreien hörte, und stürmte schnell ins Zimmer. Da er darin nur einen Alexander vorfand, der stöhnend und bebend im Bett lag, eine Hand unterm zerknitterten Laken, verdrehte er über seine unbegründete Sorge die Augen. „Ihnen auch einen wunderschönen Gutenmorgen.“, machte er sich bemerkbar, was Alexander lediglich atemlos zum Schmunzeln brachte, während er sich mit dem Laken sauber wischte. „Sie sollten Ihre Bettwäsche einmal selbst waschen müssen, dann würden Sie sparsamer damit umgehen.“, mahnte ihn Robert. „Du solltest einmal wissen, wie schwer es ist, seine Begierde zu unterdrücken.“ Der Kammerdiener hielt auf dem Weg zum Bad inne. Er warf seinem Herrn einen kurzen Blick zu, bevor er weiterging. „Ich lasse Ihnen ein Bad ein!“, ließ er verlauten. „Ist gut.“, kam es grummelnd von Alexander, der es sich noch einmal im Bett bequem machte. Robert erzählte ihm wohlweißlich erst, als er vollständig trocken und bekleidet war, dass ein Brief Heinrichs auf ihn in seinem Arbeitszimmer wartete. „Und das sagst du erst jetzt?!“, rief Alexander völlig außer sich und stürmte sofort los. Hastig riss er den Brief auf und begann zu lesen. Mein lieber, grausamer Alexander!, „Oh, mein…“ Wie kannst du mir nur so etwas schreiben! Ich weine und weine, und kann nicht mehr aufhören Alexander musste sich setzen. Robert sah ihn besorgt an, als er zu zittern begann, aber mit der Weile fasste sein Herr sich wieder. Nach und nach wandelte sich sein Gesichtsausdruck sogar von der anfänglichen Verzweiflung in Wohlgefallen. Ja, definitiv; was er gerade las, musste ihm sehr gefallen… Robert verließ wohlweißlich das Zimmer, nicht ohne Dorotheas Brief mitzunehmen. Das Klicken der Tür weckte Alexander aus seinem Tagtraum. Mit einem ergriffenen Lächeln beugte er sich zum Papier hinunter, um es unter Heinrichs Signatur zu küssen. Fast konnte er dabei die Lippen seines Geliebten auf seinen spüren. Dann nahm er sich Feder und Tinte und begann sofort eine Antwort zu schreiben. Nie war eine solche nämlich dringlicher gewesen. Mein herzensguter, armer Heinrich! Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr ich mich schäme, dir mit meinem letzten Brief solches Leid zugefügt zu haben! Ich gehöre geschlagen dafür, das versichere ich dir, obwohl, wie wir beide erkannt haben, das der momentan einzige Ausweg ist. – Trotzdem hätte ich es dir nicht so unvorbereitet sagen sollen. Hoffentlich ist es die Wahrheit, dass dich mein weiterer Brief ein wenig aufheitern konnte. Mich hat deiner auf ganz gewaltige Weise aufgeheitert, wenn man es so nennen will. Aber bevor ich dahin abschweife, will ich dir noch schnell berichten, wie es Mutter geht, da du dich nach ihr erkundigtest: Sie ist ganz munter, es scheint, das einzige Leid, das auf ihr liege, sei Ferdinand, der bedauerlicherweise immer noch nicht abgereist ist – und das Wohlbefinden unseres Dienstmädchens Ida, mit dem es nach ihrer Kammerzofe wohl nicht so gut bestellt ist. Näheres wollte man uns jedoch nicht mitteilen. Nun lass mich so egoistisch sein, auf mein Befinden zurückzukommen; ich musste bei mir nämlich ein Herzleiden feststellen: Jedes Mal, wenn ich deine Worte „Ich liebe dich“ las, sprang es mir fast aus der Brust. – Ach, wie liebe ich dich, mein Heinrich! Und wie schrecklich vermisse ich dich! Mein Herz, mein Geist, mein Alles, schreit nach dir. Gestern saß ich in der Bibliothek und habe ein wenig Seneca gelesen, aber die stoische Ruhe konnte ich nicht finden. Ich komme wohl zu sehr nach meinem Vater, dem Wilhelm und Mutter schon ein paar Mal heißkochendes Blut nachgesagt haben, das nun auch in meinen Adern pocht – nur für dich. Nur für dich glühe ich, nur von dir träume ich, nur nach dir, mein Aller-allerliebster, sehne ich mich! Du schriebst von meinen Händen, dass sie dir gefallen. Das freut mich, denn sie wollen dir ganz nahe sein, deinen Körper erkunden, wie zwei Entdecker einen fernen Kontinent, und dann eine Landkarte von dir erstellen, die jede Erhebung verzeichnet, jedes Tal, jeden geheimen Winkel – jedes Mal, jeden Muskel, jedes Haar! Und diese Karte werde ich studieren, tagelang, nächtelang, bis ich sie in und auswendig kann. Es fällt mir schwer, es in Worte zu fassen – in angemessene Worte, aber ich wünsche – Ich verzehre mich nach dir, Heinrich! Ich weiß, dass das, was wir bis jetzt getan haben, dass schon unsere Gefühle füreinander in den Augen der Gesellschaft Sünde ist, dennoch ! – Ich weiß nicht, ob ich dich damit ein weiteres Mal schockiere, ob ich wieder zu forsch bin, ob ich dich diesen Brief wenigstens darauf vorbereiten sollte und es dir erst Sonnabend sagen, wenn ihr endlich – endlich! wieder bei uns seid. – Nur kann ich nicht. Ich will, dass du es jetzt weißt, mein Heinrich. Ich will, dass du meinen sehnlichsten und verwerflichsten Wunsch zugleich kennenlernst, der mich in den letzten Tagen immer stärker ergriffen hat und mich nun nicht mehr loslassen will: Ich wünsche, dir so nahe zu sein, wie es sich zwei Menschen nur sein können. Ich wünsche, – bitte erschrick nicht darüber – ich wünsche, dass du mich, möglichst bald, wenn wir uns wiedersehen, in dich aufnimmst; ich will mit dir verschmelzen, mein Heinrich, ich will eins mit dir sein! Du sollst das von mir empfangen, was ich nicht willens bin, irgendeiner Frau zu geben, und ich hoffe, du wirst dies mit Freuden und Lust tun. – Verstehst du nun, wieso ich so zögerte? Du schreibst mir vom Traualtar und ich - ! Ich wünsche etwas aus so tiefstem Herzen, das uns beiden in diesem Land den Kopf kosten kann. Trotzdem wünsche ich es aber, trotzdem will ich -- Ich will dich, Heinrich, dich will ich in meinem Bett haben, in meinen Armen, dir will ich meine Liebe geben, meine Küsse, mein Innerstes, mein Leben! Darum frage ich dich hier, ob du willens bist, mir diesen sündhaften, aber sehnlichsten Wunsch meines Herzens zu erfüllen? Du würdest mir den Himmel auf Erden holen. In glühender Liebe, Dein Alexander Der junge Baron merkte jetzt erst, wie sich seine Hand um die Feder verkrampft hatte. Verzweifelt schloss er die Augen. Das konnte er so unmöglich abschicken. Er wollte den Brief packen und zerknüllen, aber auch das konnte er nicht. Mit zitternder Hand ergänzte er hastig die Worte PS: Ich muss dich wohl darum bitten, diesen Brief nach Lesen sofort zu verbrennen., bevor er ihn so schnell er konnte faltete, in den Umschlag steckte, und diesen versiegelte und adressierte. Erst als nach einigen Stunden Robert wieder zu ihm ins Arbeitszimmer kam, bemerkte Alexander, dass er ganz vergessen hatte, ein Wort über Dorothea zu verlieren. Er seufzte. Das würde wohl das Letzte sein, das Heinrich an diesem Brief empören würde… ------------------ Für diejenigen, die's noch nicht gesehen haben: Bei den FF-Illustrationen sind jetzt Doro und Heinrich zu finden :3 Kapitel 27: XXVII ----------------- Schon den ganzen Morgen herrschte großer Aufruhr auf Schloss Tegel. Angefangen vom Küchenmädchen bis zur Baronesse selbst war alles auf den Beinen, um die nötigen Vorbereitungen fürs morgige Gartenfest zu treffen. Auch der junge Baron war, gegen seinen Willen, eingespannt worden. „Der Wein, Alexander!“ „Aber Mutter! Ich bin doch gerade mit dem Fisch…!“ „Wilhelm, bitte.“ Der Ältere seufzte und lief hinunter vor die Tür, wo wohl der Weinlieferant angekommen war und auf eine Unterschrift wartete. Alexander nickte dem Fischhändler höflich zu, als dieser sich endlich wieder davonmachte. Skeptisch betrachtete er das Dutzend Kisten, das nun in der Eingangshalle stand. „Und wohin jetzt damit?“ „Ich würde es mal mit dem Kühlhaus versuchen, mein Herr.“, merkte Robert an, der aus dem Nichts erschienen war und jetzt neben ihm stand. „Na, dann.“, meinte Alexander und öffnete sich den Rock. „Aber, Alexander!“, rief Robert sofort und hielt ihn zurück, „Sie haben doch nicht etwa vor, die Kisten selbst zu tragen?!“ Ertappt blickte Alexander seinen Kammerdiener an. Robert seufzte. „Ich rufe einen der Stallburschen. Ludwig kann auch noch helfen.“ Alexander hielt ihn am Arm auf. Als Robert sich wieder zu seinem Herrn herumdrehte, blickte der ihn hinterhältig grinsend an. „Richard macht das bestimmt gerne. Alleine.“ „Das ist eine hervorragende Idee.“ Während Robert also den ersten Diener herbeirief, machte sich Alexander auf den Weg in den Garten. Dort waren Zelte aufgeschlagen, unter denen die Dienstmädchen gerade die Tische schmückten. Belcastel rannte zwischen den aufgestellten Stehtischen umher, und als Alexander nach ihm pfiff, kam er stürmisch auf ihn zu gehechelt. „Na, mein Großer?“, lachte der junge Baron, als der Bernhardiner an ihm hochsprang. „Alexander, dein Rock!“, rief seine Mutter, die gerade dabei war, die Verteilung der Blumen auf den Tischen zu überwachen. „Der ist doch heute egal.“, entgegnete Alexander nur amüsiert, während er Belcastel ausgiebig kraulte. Dem Hund gefiel das jedoch so gut, dass er beschloss, sein Herrchen auf den Rasen zu schmeißen und sich auf ihn zu stürzen. „Alexander!“ Der lachte nur, als ihm Belcastel hingebungsvoll übers Gesicht leckte. Die Baronesse schüttelte resignierend den Kopf. Sie musste ein Lächeln verstecken, denn ihr schlich sich eine Erinnerung zurück ins Bewusstsein, welche ihr damals klargemacht hatte: Dieser Mann, und sonst keinen. „Und einen Hund haben Sie hier! Oh, ein Bernhardinerwelpe! Wie heißt er denn?“ „Belcastel.“ „Belcastel! Komm her!“ Mit einem Satz sprang ihn der Hund an, und er fiel auf die Wiese. „Alexander!“, rief sie besorgt, aber er lachte nur. Kraulte den Bernhardiner, der ihm übers Gesicht leckte. „Begrüßt er jeden so stürmisch?“ Sie musste lächeln. „Nein, nur Sie hat er anscheinend gefressen. Obwohl er sich gelegentlich wirklich ziemlich ungestüm verhält…“ Er setzte sich auf, streichelte den Welpen, und blickte mit seinen tiefblauen Augen zu ihr auf. „Wieso behalten Sie ihn dann?“ Sogar ein Schmunzeln entlockte er ihr. „Vielleicht weil er mich an Sie erinnert.“ „Baronesse von Humboldt…?“ „Oh, entschuldige, Martha.“ „Ich wollte mich erkundigen, wo wir den Kranz aufhängen sollen.“ „Am Giebel des großen Zeltes. Lass dir von Ludwig helfen.“ Suchend sah sie sich um. „ Wo ist der denn schon wieder hin?“ Martha sah entschuldigend zu ihr auf. „Ida ist ohnmächtig geworden, er hat sie aufs Zimmer getragen.“ „Du meine Güte!“, entgegnete die Hausherrin besorgt, „Das Mädchen bereitet uns einen schönen Kummer… - Dann schau, ob du Richard findest.“ „Sehr wohl.“ Alexander warf gerade einen Stock für Belcastel über die Wiese, als Robert auf ihn zukam. „Mein Herr, es gibt gute Neuigkeiten.“, verkündete er mit einem vielsagenden Grinsen. „Das…Heißt das, was ich glaube, was du mir sagen willst?“ Der Diener ging ein wenig aus dem Weg, als Belcastel mit dem Stock zwischen den Zähnen angerannt kam, bevor er die zwei Briefe hinter seinem Rücken hervorholte. „Oh, Robert!“, versetzte Alexander, „Du weißt ja gar nicht, wie Unrecht du mit der guten Nachricht haben kannst!“ Robert sah seinen Herrn fragend an. „In der Tat weiß ich das nicht.“ Alexander nahm ihn hastig beiseite. Gemeinsam gingen sie ein paar Meter am Teich, Belcastel folgte ihnen, bevor der junge Baron damit herausrückte. „In meinem letzten Brief schrieb ich ihm Dinge, die…die ihn leicht verstören könnten – Was sag ich! Die eine völlige Abwendung von mir zur Folge haben könnten!“ „Wie meinen?“ Alexander sah sich unsicher um, bevor er mit leiser Stimme antwortete: „Man…man könnte es den… - also, wenn er eine Frau wäre, den Vollzug der Ehe nennen, den ich von ihm vordere…“ Robert lächelte seinen Herrn gutmütig an. „Nun“, meinte er, „Ich denke ehrlichgesagt nicht, dass Herr von Kleist dem abgeneigt wäre. Außerdem“ Er musste grinsen. „Immerhin schreibt er Ihnen doch offensichtlich noch.“ Alexander sah sein Gegenüber grimmig an. „Du verstehst meine Situation nicht! Wie auch?! Doro und du kommt auf solch ein Thema ja nicht zu sprechen!“ Es entstand eine kleine Pause, in der der Baron eigentlich eine Zustimmung, gefolgt von einer Entschuldigung erwartet hätte; Robert räusperte sich jedoch nur. Alexander entgleisten sämtliche Gesichtszüge und er blieb entsetzt stehen. „Das kannst du mir nicht antun.“, brachte er heraus und blickte den Älteren flehentlich an. Robert suchte nach Worten. „Es…ich habe nicht damit begonnen, das kann ich Ihnen versichern, Ehrenwort.“ Alexanders Augen weiteten sich noch ein wenig mehr. „Dorothea hat…?!?“ „Ja, sie…Ich war ja selbst vollkommen erstaunt, dass sie über so etwas spricht! In ihrem letzten Brief hat sie es angedeutet, dass… - Sie hat eben davon geschrieben, dass Gott es für den Mensch vorgesehen hat, Liebe zu empfinden und…und diese auch auszuleben, körperlich, sie sich in diesem Punkt nur nicht so sicher ist, ob sie sich so etwas, als unverheiratete Frau, wünschen darf.“ „U-und was hast du ihr geantwortet?“, wollte Alexander wissen, der mittlerweile ziemlich besorgt klang. „Ich…“ Robert strich sich nervös über den Frack. „Ich habe ihr geschrieben, dass sie Recht habe, und dass sie sich so etwas natürlich wünschen darf, schließlich werde sie ja eines Tages heiraten.“ Alexander packte ihn an den Schultern. „Sie wird diese Worte aber doch nicht als Eheversprechen aufgefasst haben!“ „D-das hoffe ich natürlich nicht!“, entgegnete Robert hastig, „Wenn Sie mich aber loslassen, und ich den Brief öffnen kann, so werden wir es bald wissen.“ Alexander nickte und nahm den Brief Heinrichs von ihm entgegen. „Wir sollten dafür aber hinauf in mein Arbeitszimmer gehen.“ Robert nickte und sie ließen Belcastel zurück auf der Wiese. Beide waren sie ein wenig nervös, als sie die Briefe öffneten, und wären sie nicht so nervös gewesen, hätten sie sicherlich auch die Nervosität des anderen bemerkt. Wie in Trance nahm Alexander hinter seinem Schreibtisch Platz und saugte die Wörter und Sätze seines geliebten Heinrichs förmlich in sich auf. Mein allerliebster, allerherzlichster Alexander, ich muss zugeben, dein letzter Brief hat mich zutiefst beschämt. Bitte sehe dies nicht als Ablehnung, denn es war nicht der Scham über deine Wünsche selbst, sondern der Scham darüber, dass sie bei mir auf so große Zustimmung gestoßen sind. Wenn ich ehrlich bin, so muss ich gestehen, dass mir schon dort am See, zusammen mit dem Gedanken an die alten Griechen, die Idee kam – vielmehr die inakzeptable Vorstellung – so etwas einmal mit dir zu tun. Bis jetzt habe ich nur davon gelesen, und das gar selten, verfüge also nur über spärliches Wissen, was genau wir -- oder wie wir es – Gleichwohl: Ich will es tun. Ich will mich dir hingeben, mein Alexander, mit Leib und Seele dein sein! Und dabei soll uns egal sein, was die Welt davon denkt -- oh, lass die Menschen nur Menschen sein und ihnen ihre engstirnige Meinung! Ich kann nicht anders! Ich bin dir verfallen, mein Liebster, bis in den Tod würde ich für dich gehen! Und ich verstehe deine Sehnsucht, fühle ich sie doch selbst in meiner Brust wüten. Es ist gar schrecklich in den letzten Tagen geworden, und ich müsste mich dafür schämen, was ich denke, was ich wünsche, wie nicht nur mein Geist, sondern auch mein Körper nach dir verlangt, so sehr, dass ich -! Ja, ich müsste mich dafür schämen, aber ich tue es nicht, denn ich spüre, dass es richtig ist. Du hast mir geschrieben, dass du mich begehrst. Nun lass mich dir zeigen, wie sehr ich dich begehre, indem ich dir beichte, was ich hätte schon lange tun sollen: Du magst dich vielleicht noch an den Nachmittag erinnern, da du mir deine beachtliche Sammlung an Instrumenten und Objekten in deinem Arbeitszimmer gezeigt hast, vor allem: da du mir deinen Arm geboten, damit ich von ihm die Geschmacksprobe nehmen konnte? – Oh, wie gerne hätte ich diesen Geschmack deiner Haut auf meiner Zunge konserviert! Ich war so verstört, wie du vielleicht bemerkt hast, dass ich dir dankbar war, mich gleich darauf zu entlassen. Ich weiß nicht, was sonst passiert wäre. Dein Geschmack aber, jedenfalls, und deine Nähe, die ließen mich in solch einer Verfassung auf mein Zimmer zurückkehren, dass ich -- meine Wangen glühen gerade, diese Worte zu schreiben – dass ich mir nicht anders zu helfen wusste, als mich selbst zu berühren; mit dem ständigen Gedanken an dich, als wären es deine Hände, die mir meine Lust stillen. Und ich wünsche mir, meine Verführung du!, dass es in Zukunft deine Hände sind. Wie du es beschreibst, will ich, dass du deine Entdecker auf Reisen schickst, und haben die echten Berührungen auch nur halb die Wirkung deiner Worte, so wird mein Körper vor Hitze glühen! Einmal – einmal hoffe ich, mein Alexander, dass du mir keinen Brief mehr schreiben musst, dass du diesen erhältst und ich am nächsten Morgen dir schon in die Arme fallen kann. Bis dahin umarmt dich meine ganze Seele!, und ich bleibe auf ewig Dein Heinrich PS: Ich muss dir gestehen, dass ich zwar festentschlossen, deiner Bitte nachzukommen, den Brief schon über die Flammen gehalten hatte, es jedoch letztendlich nicht übers Herz gebracht habe, auch nur einen deiner Briefe zu vernichten. Alle anderen Wünsche, die dein Brief enthielt, will ich dir, auch wenn meine Hände bei dem Gedanken daran zittern und meine Wangen glühen, möglichst bald mit großem Eifer erfüllen. Alexander musste schlucken. Mit solch einer positiven, ja gar beflügelnden Antwort hatte er zu keiner Sekunde gerechnet. Gehofft hatte er es, natürlich, sich gleich darauf jedoch stets für seine Naivität gescholten. Und jetzt hatte sein Heinrich tatsächlich zugesagt. Er hatte ihm zugesagt, ihm für die Erfüllung seiner Wünsche zur Verfügung zu stehen, daran teilzuhaben; er will es auch! Wünscht es sich, schon länger, schon seit ihrer innigen Begegnung am See. Mit einem glücklichen Lächeln legte er den Brief auf dem Tisch ab und ihn überkam ein wohliger Schauer, als er an den morgigen Tag dachte. Es dauerte noch ein paar Sekunden, bis der junge Baron wieder in die Welt zurückfand und Robert bemerkte, der ein wenig nervös wirkte, wie er da am Fenster saß und in den Brief Dorotheas starrte. „Was schreibt sie?“, fragte er also seinen Diener, um ihn ein wenig von seiner Last zu befreien. „Sie…“, begann Robert zögerlich, „Sie schreibt, sie sehe dem morgigen Tag mit Freuden und hohen Erwartungen entgegen.“ Alexander stützte seinen Kopf auf seiner Hand ab. „Sie erwartet also von mir einen Antrag.“ „Ich bin untröstlich, mein Herr.“, bekundete Robert, doch Alexander winkte ab. „Ist ja nicht deine Schuld.“ Der Diener seufzte. „Was schreibt Ihnen Ihr Heinrich?“ Sofort hellten sich Alexanders Gesichtszüge wieder auf. „Er nimmt meinen Vorschlag an!“, entgegnete er freudig, „Er will es tun mit mir!“ Robert begann zu lachen. „Und wo bitte? In der Scheune?“ Alexander sah gekränkt aus. „Wir sind doch keine Hunde!“ Robert sprang hastig auf. „Gott bewahre!“, rief er, „So meinte ich das keinen Falls! Ich wollte nur darauf aufmerksam machen, dass für solch ein…Vorhaben ja wohl nicht das Schloss in Frage kommt, da hier ständig Menschen sind, die…“ „Die es gilt, von meinem Schlafzimmer fernzuhalten, mindestens für eine Stunde.“, unterbrach ihn Alexander, „Außerdem möchte ich, dass du mir ein Öl beschaffst, das angenehm riecht und nicht allzu flüssig ist.“ Robert fehlten die Worte. „Alexander!“, stieß er nur aus und packte all seine Empörung in dieses eine Wort. Doch sein Herr sah ihn lediglich bittend an, und die blauen Augen vollbrachten ihre Wirkung, die sie schon immer auf ihn gehabt haben, die ihn schon vor vielen Jahren dazu veranlasst hatten, nachzugeben. „Selbstverständlich.“, antwortete er also schließlich, und Alexander nickte ihm dankend zu. „Vernachlässigen Sie mir aber Dorothea morgen nicht!“, bat er den Baron noch. „Oh, Gott! Dorothea!“, gab der von sich, als wenn ihm die Existenz dieser Dame jetzt erst wieder in den Sinn gekommen wäre. Robert seufzte leidend. Den restlichen Tag über war Alexander natürlich nicht mehr in der Lage, seiner Mutter nützlich bei den Vorbereitungen für die Gartenfeier zu assistieren. Jedem Auftrag hörte er nur mit einem Ohr zu, weshalb er grundsätzlich nur die Hälfte oder alles falsch erledigte, sodass sie ihn letztendlich zurück auf sein Zimmer schickte. Dort konnte er, so aufgewühlt, wie er war, nicht lange bleiben, weshalb er zum See ging, um eine Runde zu schwimmen. Aus der einen Runde wurden ein paar mehr, und so kam er erst wieder zum Abendessen zuhause an. Auf seinem Zimmer empfing ihn dann Robert, der ihn dazu zwang, sich den Briefwechsel mit Dorothea wenigstens einmal durchzulesen, was er jedoch nur sehr halbherzig tat; so fiel ihm lediglich auf, dass Robert in seinen Worten sehr überzeugend klang, nicht dass er mit ihnen schlicht die Wahrheit sagte. Am Abend lag der junge Baron schließlich lange wach im Bett und wartete. Er wartete sehnsüchtig darauf, dass es Morgen würde und er sich endlich, endlich wieder mit seinem Heinrich vereinen konnte. --------------------- Sorry, dass es jetzt erst ein neues Kapi gibt, aber die Woche hat die Uni bei mir angefangen und ich hatte folglich nicht so viel Zeit^^' Kapitel 28: XXVIII ------------------ An diesem Morgen stellte Alexander fest, wie glücklich ein Mensch sein konnte, obwohl er nicht wusste, was ihm die Zukunft, noch nicht einmal die nahe Zukunft, der heutige Tag, ja gar die nächste Stunde, bringen möge. Denn alles, was man in solch einem Moment brauchte, um eben dieses Glücksgefühl zu verspüren, war eine Erwartung. Alexander erwartete seinen Heinrich, mit ihm die Erfüllung seiner Sehnsüchte und die Erwiderung seiner Liebe. Erst Robert, der ihm ein Bad einließ und ihn anschließend einkleidete – so schick und elegant wie schon lange nicht mehr – erinnerte ihn wieder an seine Pflichten, die er auch an solch einem verheißungsvollen Tag nicht vernachlässigen durfte. Der junge Baron wusste, dass er vorrangig für Dorothea da zu sein hatte, und dass diese, dem, wie er bei weniger als mehr sorgsamer Lektüre gestern doch feststellen musste, äußerst liebevollen Briefwechsel zur Folge, hohe Erwartungen an ihn stellen würde. Dass er selbst diese Erwartungen nicht erfüllen konnte, das wusste er genauso. Noch während des Frühstücks betrat Rousseau den Raum mit der frohen Kunde, dass die Madame und ihre Familie eingetroffen seien. Alexander musste sich sehr beherrschen, nicht sofort aufzuspringen. Es wäre von seiner Familie sowieso nur als Freude über Dorotheas Rückkunft aufgefasst worden, aber auch das wollte er vermeiden. Sie wussten zwar alle, dass er sowohl mit ihr als auch mit Heinrich im Briefkontakt stand, der Frage, wie innig oder vielversprechend dieser war, war er jedoch stets ausgewichen. Nun ließ er also, wie es sich gehörte, seine Mutter vorangehen, als sie alle hinunter in die große Halle liefen. Als er dort Heinrich erblickte, war seine Beherrschung dahin; er brannte innerlich, jeden Schritt, den er ihm näherkam, mehr. Und er konnte in den Augen seines Geliebten das gleiche Feuer lodern sehen. Plötzlich schob sich ein Paar braune Augen in sein Sichtfeld, und schneller als gedacht, hatte er sich wieder einigermaßen unter Kontrolle, als er Dorothea begrüßte, die in einem wirklich hübschem Kleid steckte und ihm das gewohnte, unsichere Lächeln schenkte, als er ihre Hand küsste und bekundete, wie glücklich er darüber sei, sie wiederzusehen. Wilhelm folgte ihm und er selbst wiederholte die Prozedur notwendigerweise noch einmal bei der Madame, bevor er sich endlich seinem Heinrich zuwenden konnte, der solch einen entzückenden Anzug trug, dass er ihm fast wie ein Prinz erschien. „Heinrich, mein Bruder!“, rief Alexander, um seine folgende Umarmung zu entschuldigen, von der er sich nicht abhalten konnte. Mit größter Selbstbeherrschung löste er sich auch gleich wieder von dem jungen Leutnant, dessen Geruch einzuatmen er sich nicht getraut hatte, auch wenn er danach begierig war. Stattdessen packte er ihn jetzt an den Unterarmen und blickte ihm in die Augen. Dort sah er, wie Heinrich mit sich kämpfte. Seine Finger krallten sich in die Ärmel Alexanders Gehrocks. Doch beide ließen sie voneinander ab, schweren Herzens, während Alexander feststellte, dass das ihm nicht reichte. Scheinbar aufgeweckt, nicht hastig, sah er sich um; sein Blick streifte den Roberts, der in der Reihe der Bediensteten stand und ihn damit eindeutig ermahnen wollte. Aber der junge Baron sah die Koffer und witterte in ihnen seine Chance. „Ludwig.“, rief er den zweiten Diener herbei, was die Baronesse, die gerade dabei gewesen war, der Madame mitzuteilen, wie sehr man sie im Schloss die zwei Wochen über vermisst hatte, dazu bewegte, ihn fragend anzusehen. „Ich begleite Herrn von Kleist soeben nach oben, um ihm die Zimmer zu zeigen.“, erklärte Alexander, wobei er sehr wohl wusste, dass jedem die Zimmer schon von letztem Mal bekannt waren, doch hoffte er, dass angenommen würde, er wollte Heinrich von seinen Absichten, die Dorothea betrafen, berichten und ihn um Rat fragen. Jedenfalls hatte niemand etwas einzuwenden, als Alexander sich einen der kleineren Koffer nahm und mit Heinrich und Ludwig die Treppen hinauflief. Es herrschte Stille zwischen ihnen, während sie den leeren Gang entlangliefen, nur Ludwigs schwere Schritte waren hinter ihnen zu hören, die vom Gewicht der Koffer zeugten. Die Madame hatte, in froher Erwartung, bestimmt nur die schwersten und aufwändigsten Kleider mitgebracht. Vor der Tür zu dem Zimmer, das Alexander wohlweißlich die zwei Wochen über nicht betreten, auch wenn er mit dem Gedanken gespielt hatte, zu schauen, ob darin noch irgendetwas an seinen Geliebten erinnerte, blieben sie stehen. „Danke, Ludwig.“, wandte sich der junge Baron an den Diener, „Die beiden Koffer sind für die Madame und Dorothea. Bring sie dort den Gang hinunter; es sind die zwei letzten Zimmer.“ „Sehr wohl.“, entgegnete Ludwig nickend und quälte sich mit dem Gepäck also noch ein Stückchen weiter. Alexander sah ihm nach; er wollte warten, bis der Junge ein paar Schritte mehr gegangen war, doch da packte ihn Heinrich am Arm und zog ihn ins Zimmer. Dem Baron fiel der Koffer aus der Hand, als ihn sein Geliebter mit dem Rücken gegen die geschlossene Tür schob und ihn stürmisch küsste. Alexander entwich ein Keuchen, er fasste nach dem Jüngeren, zog ihn enger an sich, umschlang ihn. „H-Heinrich, mein Gott – ich hab dich so – so vermisst…!“ Sich mit Tinte und Feder die Liebe und Leidenschaft füreinander zu bekennen, war doch noch etwas anderes, als es mit Gesten zu tun. Jedoch, von beidem konnte man nicht genug bekommen: Gierig pressten sie ihre Lippen aufeinander, klaubten mit ihren Händen nach irgendeinem Stück Stoff, das den anderen noch näher bringen sollte. „N-nicht…nie mehr, kann ich…“ Alexander schnürte es die Kehle zu, als er sah, dass sein Heinrich weinte. Hastig fasste er nach seinen Wangen. „Heinrich, nicht.“ „Ich will nicht wieder gehen.“, brachte der heraus. Seine Finger bohrten sich schmerzhaft in Alexanders Rücken. „Nie mehr…!“ Alexander musste ihn küssen. Abermals. Und noch einmal. Weil er nicht wusste, wie er seinem Geliebten sonst versprechen sollte, dass er das nicht mehr müsste. „Ich war so glücklich, als ich deinen letzten Brief bekommen habe.“, flüsterte der Ältere schließlich und fuhr dem anderen zärtlich durch die Haare. Heinrich sah mit seinen wunderbar blauen Augen zu ihm auf. „Tatsächlich…?“ Alexander wischte ihm die Wangen trocken. „Ja. Und am liebsten würde ich es gleich tun.“, sagte er und stellte daraufhin entzückt fest, wie Heinrichs Wangen sich röteten und er sich zittrig an ihn presste. „I-ich auch.“ Alexander schob seine Hände an Heinrichs Brust, um ihn ein wenig auf Abstand zu halten. „Du riechst so gut.“, kam es von seinem Leutnant. Er musste lächeln, sog selbst endlich den schmerzlich vermissten Duft in sich auf. „Du auch. Aber wir müssen…“ Heinrich nickte hastig, bevor er sich langsam von ihm schob. Seine Hände blieben an Alexanders Kragen liegen. „D-das hättest du nicht anziehen sollen.“ Schmunzelnd blickte ihn der Ältere an. „Wieso das nicht?“ „Weil du mir – und Doro – damit nur noch mehr den Kopf verdrehst.“ Alexander küsste ihn. „Ich denk mir was aus, sodass wir heute noch Zeit für uns haben.“ „Bitte.“, flehte Heinrich und küsste ihn zurück. „Nun müssen wir aber wieder hinunter.“ „Ja, doch.“ „Heinrich.“ Der junge Leutnant machte einen Schritt zurück und ballte die Fäuste. „Geh, sonst…“ Alexander schluckte, bevor er hastig die Tür öffnete. Draußen strich er sich seine Haare wieder zurecht und lief voran hinunter ins Esszimmer. Er hörte nur, wie Heinrich ihm folgte. Als sie beide den Raum betraten, bemerkte Alexander den amüsierten Blick, den ihm Ferdinand zuwarf. Er war der einzige, der genau wusste, dass sie nicht nur die Koffer aufs Zimmer gebracht hatten, und das ärgerte den jungen Baron jedes Mal aufs Neue. Ohne sich dies jedoch anmerken zu lassen, nahm Alexander Dorothea gegenüber an der Tafel Platz und vermied es, zu Heinrich hinüberzusehen, der sich neben sie setzte. Stattdessen wünschte er dessen Cousine einen guten Appetit. „Oh, danke gleichfalls.“, brachte diese heraus, und wirkte zu Alexanders Erstaunen beinahe gar nicht mehr so schüchtern dabei, als wenn sie durch die Briefe wirklich Zutrauen zu ihm – zu seinem vermeintlichen Ich – gefunden hätte. Während des Essens sah Dorothea ein paar Mal zu ihm hinüber, als erwarte sie, dass er noch etwas sagte – wohlmöglich noch etwas in dem Stil, den Robert an den Tag gelegt hatte, befürchtete Alexander, aber er blickte noch nicht einmal zu ihr auf. Viel zu viel Angst davor hatte er, sie zu enttäuschen. Beide lauschten sie also nur mit einem Ohr der Konversation über die Gartenfeier diesen Nachmittag, die zwischen der Baronesse, Caroline und der Madame aufgekommen war. Bis Ferdinand sich zu Wort meldete. Mit einem halben Pfannkuchen auf der Gabel lehnte er sich von seinem Platz neben Wilhelm zu Heinrich hinüber und stupste ihn an. „Und? Hat der Herr Leutnant schon eine Begleitung für heute Abend?“, fragte er auf solch eine Weise, dass die Gehässigkeit in seinen Worten nicht zu überhören war. „Ich – …Nein.“, antwortete Heinrich zögerlich und versuchte sich nicht einschüchtern zu lassen. „Nun“, begann Ferdinand wieder und ließ die Gabel kreisen, sodass ihm fast der Pfannkuchen entglitt, „Ich dachte mir nur, da unser Alexander doch den Abend mit Ihrer Cousine verbringen wird, werden Sie sich vielleicht ein wenig einsam fühlen.“ Heinrich verkrampfte seine Finger um sein Besteck, während Alexander seinem Halbbruder einen zornigen Blick zuwarf. Ferdinand grinste nur breit zurück. „Heinrich braucht keine Begleitung.“, mischte sich die Madame ein, was ihren Neffen hochschrecken ließ, da er nicht damit gerechnet hatte, dass auch ihr Teil der Tafel Ferdinands Kommentar mitbekommen hatte, „Wer will sich denn schon den ganzen Abend mit ihm rumschlagen müssen.“ Alexander biss sich auf die Zunge, um keinen Kommentar dazu abzugeben, und streifte nur kurz Heinrichs Blick, der ihm sagen sollte: „Ich! Bitte!“ „Weil Sie den Abend ansprechen“, meldete sich die Baronesse zu Wort, die sichtlich bemüht war, die Diffamierungen der Madame schnellstmöglich zu unterbinden, „Offizier von Bülow veranstaltet sein alljährliches Frühlingsfeuerwerk, und auch wir sind dazu rechtherzlich eingeladen.“ „Oh!“, gab die Madame von sich, „Das hört sich grandios an.“ Alexander sah erstaunt zu seiner Mutter auf, die mit ihrer Erklärung fortfuhr: „In der Tat können Sie das grandios nennen, meine Liebe. Von Bülow ist dafür in ganz Brandenburg bekannt. Früher hat er die Gäste noch in seinen Garten geladen, aber mittlerweile kommen sie so zahlreich, dass er einen Acker seines Guts nicht mehr bewirtschaften lässt und dort stattdessen ein paar Beete und Bäume gepflanzt hat, zwischen denen er Tische stellen lässt. Das Feuerwerk wird dann auf dem benachbarten Hügel bei Einbruch der Dunkelheit gezündet. Es ist traumhaft.“ Ja, daran erinnerte sich Alexander. Vorletztes Jahr hatte er seine Familie dorthin begleitet. Es war wirklich spektakulär gewesen, aber er kannte andere Feuerwerke, körpereigene, die ihn noch viel mehr beeindruckt hatten. Bülow konnte schon nicht mit dem Feuerwerk mithalten, das Heinrich unten am See in ihm gezündet hatte; wie würde es dann erst mit dem noch bevorstehenden aussehen? „Alexander?“ Ein wenig neben sich riss der junge Baron seinen Blick von Heinrich los, um ihn dessen Cousine zuzuwenden. Er lächelte die junge Frau an, um von seiner vorangegangenen Unaufmerksamkeit abzulenken. „Mögen Sie Feuerwerke?“ „Ja, sehr.“, antwortete er, übertriebener Maßen ergriffen. „Schön, ich auch.“, gab sie freudig von sich, bevor sie sich die Tafel hinunter wandte. „Wie lange geht es denn?“, wollte sie von der Baronesse wissen. „Normalerweise eine gute Stunde.“, antwortete ihr diese, „Letztes Jahr wohl auch etwas länger.“ Alexander musste unwillkürlich zu seinem Heinrich schauen. Der Blick, den sein Geliebter ihm zurückwarf, sagte eindeutig, dass er das gleiche dachte. „Wie weit“, begann der junge Baron, „Wie weit ist es denn von hier zum Anwesen des Offiziers von Bülow?“ Seine Mutter bedachte ihn mit einem abwägenden Blick. Schließlich fasste sie nach ihrem Glas Wasser, das sie sich an den Mund führte. „Mit dem Pferd zehn Minuten.“, sagte sie, bevor sie trank. Alexander konnte es nicht vermeiden, dass seine Wangen vor froher Erwartung leicht zu glühen begannen. --------------- OMG! Ich hab's endlich auch mal wieder geschafft^^' Wenn's gut läuft, dürft ihr euch noch diese Woche aufs Feuerwerk freuen ;) Kapitel 29: XXIX ---------------- Noch vor dem Mittagessen kamen die Gäste. Alexander war gerade wieder unten im Salon; bis eben hatte er noch Robert einen wichtigen Auftrag gegeben und mit ihm die Planung für den Abend besprochen, weshalb er sich auch noch nicht Dorothea und ihren Erwartungen stellen musste, die sich anscheinend noch einmal die Haare hatte richten lassen und nun ein noch anmutigeres Kleid trug. Doch jetzt musste er sich ihr wohl oder übel annehmen, denn ihm war bekannt, dass einer der Gäste Hauptmann von Dossow war. Ein wirklich schöner junger Mann – an Heinrich reichte er nicht heran, für Alexander schon gar nicht, denn er war blond und großgewachsen, doch er hatte auf Frauen eine gewisse Wirkung, das war nicht abzustreiten. Im Grunde genommen bestand sein Reiz wohl darin, dass er in sich Alexanders Aussehen und Ferdinands aufreißerische Art vereinte. Er besaß nicht nur die Fähigkeit, beim weiblichen Geschlecht Interesse zu wecken, sondern ebenso den Willen dazu. Dass Dorothea ihm verfallen könnte, das befürchtete der junge Baron ja gar nicht, nur dass das den Hauptmann nicht von seinen Avancen abhalten würde. Also beschloss er, in ihrer Nähe zu bleiben, um ihr seinen Arm anbieten zu können, käme er ihr zu nahe. Der erste Gast, der, wohlgemerkt, nicht mit einer Kutsche in den Schlossgarten einfuhr, sondern mit seinem treuen Pferd angeritten kam, war General von Mörner. Alexander kannte ihn noch aus Kindheitstagen: Ein alter Mitstreiter seines Vaters aus der Armee. Mittlerweile war er bestimmt schon über sechzig und immer noch nicht verheiratet. Alexander hatte ihn schon als kleiner Junge dafür bewundert. Für sein Alter ziemlich schwungvoll sprang der Mann mit Schnurrbart von seinem Rappen und salutierte vor der Baronesse. „Meine Dame. Danke aufrichtig für die Einladung.“ Die Hausherrin nickte ihm mit einem freundlichen, aber ein wenig unbeholfenen Lächeln zu. Sie hatte noch nie gewusst, wie sie mit diesem Mann umgehen sollte. „Sie sind überpünktlich, Herr General, wie immer.“, merkte sie deshalb nur an, wobei sie wusste, dass das für ihn das größte Kompliment war, das sie ihm machen konnte. „Wenn Sie es sich vielleicht schon einmal gemütlich machen wollen, Sie haben noch die freie Auswahl.“ „Kümmere mich zuerst um Otto.“, entgegnete von Mörner jedoch und salutierte, bevor er sein Pferd ums Schloss herum zur wohlbekannten Scheune führte. Die Baronesse seufzte auf. Wie ihr Mann sich nur so fürchterlich gut mit diesem komischen Kauz hatte verstehen können… Drüben neben dem Buffet, das gerade von Rousseau und seinen Männern gedeckt wurde, stand Heinrich, der sich mit Wilhelm – und weniger mit Ferdinand, unterhielt, während Caroline hinüber zur Baronesse lief, um sie zum Ausruhen zu ermahnen, schließlich war ihre Schwiegermutter schon seit heute Morgen auf den Beinen. Alexander wollte sich gerade bei Dorothea entschuldigen und sie kurz bei ihrer Mutter stehenlassen, um zu ihrem Cousin hinüberzugehen, da er ihm ja noch die Einzelheiten über ihren Plan für diesen Abend unterbreiten musste, doch da trat General von Mörner zu ihnen und salutierte. „Die Damen. Alexander.“ Er schlug ihm freundschaftlich, aber mit beachtlicher Wucht, gegen den Oberarm. „Willkommen, Herr General.“, begrüßte Alexander den Mann, den er schon vorhin auf seinem Pferd gesehen hatte, „Wie geht es Otto?“ „Wird alt, aber gut in Schuss.“ „Wunderbar.“, entgegnete der junge Baron. Als er sah, wie verwirrt die Madame gerade dreinblickte, räusperte er sich. „Herr General, darf ich vorstellen: Madame von Pannwitz und ihre Tochter. General von Mörner.“ Während die Madame schon ihre Hand zum Kuss hob, salutierte von Mörner nur wie gewohnt. Dorothea machte einen Knicks. „Werde mich für die Schlacht stärken.“, verkündete der Alte schließlich. Alexander salutierte freudig. „Guten Appetit.“, wünschte er und sah dem General amüsiert hinterher, wie dieser hinüber zum noch nicht einmal vollständig gerichteten Buffet marschierte. Ja, er bewunderte diesen Mann. Aber immer noch musste er unbedingt Heinrich unter vier Augen sprechen. Gerade wollte er sich wieder von Dorothea und ihrer Mutter losmachen, da sah er, wie sein Geliebter dem General salutierte und in ein Gespräch mit ihm verwickelt wurde. Alexander seufzte innerlich. Als die ersten Kutschen im Schlossgarten einfuhren, bot er Dorothea seinen Arm an. Es war kurz nach Ein Uhr, als die weiteren Gäste eintrafen. Die Kutschen hielten und ließen Herren mit schmuckvollen Uniformen, Männer in feinem Zwirn und zahlreiche Damen in prunkvollen, sommerlichen Kleidern aussteigen, die allesamt von der Baronesse, die es nun zuließ, dass Caroline sie ein wenig stützte, begrüßt wurden. Während Wilhelm sich langsam seiner Frau anschloss und auch die Madame, wohl in der Hoffnung neue, wichtige Beziehungen zu knüpfen, beschlossen hatte, sich zum Empfangskomitee dazuzuzählen, blieben Alexander und Dorothea ein wenig abseits stehen. Sie redeten nicht viel, hin und wieder fühlte sich der junge Baron verpflichtet, ihr die Namen zu den Leuten zu liefern, die aus den Kutschen stiegen, doch mehr Konversation kam zwischen ihnen nicht auf, so sehr es sich Dorothea auch wünschen mochte. Schließlich fuhr eine kleinere Kutsche vor, aus der ein einziger Mann stieg. Er trug einen sehr eleganten Frack, sicherlich die neuste Mode aus London, einen Stock mit elegantem Griff bei sich, und einen Zylinder. Alexander bemerkte Dorotheas anerkennenden Blick. „Hauptmann von Dossow.“, kommentierte er, ein wenig säuerlich wohl, da er sich in seiner Annahme, dieser Schnösel könne ihrem frommen Gemüt nichts anhaben, getäuscht hatte. „Frauenheld.“ Sofort sah sie schuldig zu ihm auf. „Aber nicht doch!“, versetzte sie, „Sie haben keinen Grund eifersüchtig zu sein. Nicht auf so einen, wie den.“ Alexander wich ihrem Blick aus und suchte krampfhaft nach einem anderen Thema. Dieses bot sich ihm, als eine äußerst korpulente Dame im Pelz quer über die Wiese zielstrebig hinüber zum Buffet schritt und ihren Ehemann, ein kleingewachsener Mann mit Hut, hinter sich her schleifte. „Sehen Sie die beiden da?“, machte der junge Baron seine Begleitung auf das Schauspiel aufmerksam. Dorothea folgte seinem Nicken und musste sich, kaum hatte sie die zwei erblickt, eine Hand vor den Mund halten, um nicht laut loszukichern. „Charlotte und Bernhard von Wulffen. Ein äußerst reizenden Paar, nicht?“ „In der Tat.“, antwortete sie amüsiert, „Wo die Liebe hinfällt.“ „Man munkelt ja“, begann Alexander, „dass sie ihm den Antrag gemacht haben soll.“ Dorothea drehte sich ein wenig mehr zu ihm, um ihr Lachen vor den anderen Gästen zu verstecken, das sie nun nicht mehr zurückhalten konnte, und festigte ihren Griff um seinen Arm. Alexander war das etwas unangenehm. Er sah sich um, eigentlich auf der Suche nach seinem Heinrich, da begegnete er dabei dem Blick einer jungen Frau, die ihre blonden Haare nur hinten geflochten hatte, damit die vorderen Strähnen ihr aufs Dekolletee fielen, das durch ein enges Korsett und einen gerüschten, relativ weiten Ausschnitt unterstrichen wurde. Ihre dunklen Augen verfinsterten sich sofort, als sie ihn erkannte, und er musste grinsen. Als sie sich fast schnippisch abwandte, und er wieder zu seiner Begleitung sah, blickte diese unsicher zu ihm auf. Alexander begann zu stottern. „Sie ist nicht…! – Ich meine – ich…“ Er drehte sich ganz zu Dorothea um und sah ihr in die Augen. Er musste sich jetzt nicht vor ihr rechtfertigen, um Gotteswillen, er wollte sie ja nicht heiraten, aber er konnte sie nicht so verletzt sehen. „Ihr Name ist Isabelle Baffour. Sie ist die Tochter eines ehemaligen Nachbars meiner Mutter, der vor einigen Jahren gestorben ist. Sie waren Kindheitsfreunde, nur deshalb fühlt Mama sich verpflichtet, seine Tochter immer noch einzuladen.“ Dorothea wich seinem Blick aus. „Es scheint Ihnen aber zugute zu kommen.“ „Um Himmelswillen!“, widersprach Alexander, „Sie ist für ihre sexuellen Eskapaden bekannt, ja, und sie hat es vor einigen Jahren auch bei mir versucht, ja, aber haben Sie nicht gesehen, wie sie es mir immer noch übel nimmt, dass ich sie damals abgewiesen habe?“ Dorothea senkte ihre Augen. „Eine Frau wie diese abweisen…“, brachte sie heraus und klang dabei sehr verletzt. „Ja, das mag ihr nicht oft passieren, aber ich habe sie abgewiesen.“ Dorothea brauchte etwas, dann sah sie langsam wieder zu ihm auf. Sie versuchte ein Lächeln. „Sie sollte es mal mit dem Hauptmann versuchen.“ Alexander lachte. „Der interessiert sich doch für Frauen, oder?“ Alexander blieb das Lachen im Halse stecken. Entgeistert sah er seine Begleitung an. „Ja, das…offensichtlich. Für was sonst?“ Er lachte nervös. Dorothea schenkte ihm ein zufriedenes Lächeln. Dank dem Buffet waren die Gäste mit dem Essen ein wenig flexibel, und so fand man, auch wenn man keinen Hunger hatte, außerhalb der Zelte noch genug Gesprächspartner, und an den Tischen herrschte kein großes Gedränge. Alexander hatte endlich Heinrich im Gewimmel wiedergefunden, der sich fürchterlich über Ferdinand beschwerte, vor dem er anscheinend geflüchtet war, und sie beschlossen, sich zu dritt etwas zu essen zu holen. Als sie an einer der Tafeln Platz nahmen, fing der junge Leutnant sofort wieder an, zu fluchen. „Und dieser widerwärtige Parasit konnte es natürlich nicht lassen, mich ständig aufzuziehen! Es war ihm vollkommen egal, mit wem wir gerade beisammenstanden, er ließ eine Anspielung nach der anderen heraus. Ich musste mich so schrecklich beherrschen, ihm nicht ein Loch in den Schädel zu schießen.“ „Heinrich!“, entfuhr es Dorothea, „Nun beruhig dich.“ Sie strich ihm zärtlich über die Hand. „Du findest auch noch jemanden.“ Heinrich senkte seinen Blick, während Alexander sich lieber seinem Essen zuwandte: Rinderroulade mit Knödeln. Rousseau hatte sich wirklich nicht lumpen lassen, und ihre Köchin war einfach nur fabelhaft. „Guten Appetit.“, kam es von Dorothea, was Heinrich und Alexander höflich erwiderten. „Guten Appetit.“, kam es auch von der Dame neben ihnen, die genauso jung wie Dorothea sein musste. „Oh, danke, Ihnen auch.“, entgegnete diese freundlich und schenkte ihr ein Lächeln. „Laetitia.“, stellte sich die Rothaarige vor. „Dorothea.“ „Wunderschöner Name.“ „Nicht so wunderschön, wie deiner, mein Schatz.“, meldete sich ihr Nachbar zu Wort, der ihr zärtlich über die Wange fuhr. Heinrich konnte gerade noch seinen entsetzten Blick verstecken. Der Mann war sicherlich nicht viel jünger als Fünfzig! „Oh“, stellte Alexander ebenfalls ein wenig irritiert fest, „Oberst von Katte. Ich wusste gar nicht, dass Sie verheiratet sind.“ „Seit letztem Herbst.“, verkündete er stolz, „Und ich darf annehmen…?“ Sein Blick wanderte zu Dorothea. „Nein, nein.“, wehrte Alexander ab und hoffte, sie damit nicht zu sehr zu verletzen. „Aber Sie sehen ganz reizend zusammen aus.“, meinte Laetitia und warf Dorothea ein Lächeln zu, die daraufhin beschämt ihren Blick senkte. Laetitia schien überhaupt Gefallen an ihrer Nachbarin gefunden zu haben, denn die beiden begannen eine nette Unterhaltung. Als sie diese zum beeindruckenden Diamantencollier um Laetitias Hals führte, das, wie man erfuhr, ein Verlobungsgeschenk ihres Mannes gewesen war, beschloss Alexander, diese Gelegenheit zu nutzen, seinem Heinrich den Plan für heute Abend näherzubringen. „Heinrich, darf ich dich ans Feuerwerk heute Abend erinnern?“, begann er, da er nicht wirklich wusste, wie er die Sache umschreiben sollte, damit niemand mitbekam, was sie wirklich vorhatten. Aber Heinrich schien ihn zu verstehen, denn er nickte eifrig. „Ja, das…Ich kann es kaum mehr abwarten.“ Alexander beherrschte sich, sein Gegenüber nicht allzu verliebt anzusehen. „Darum“, begann er leise, „Vielleicht lässt uns Mama mit einem Pferd hinreiten.“ „Ja, wobei…Ich denke, sie wird die Kutsche bevorzugen, damit du…damit Dorothea nicht alleine fahren muss.“ „Ja, aber…“ Der junge Baron brach ab. Wie sollte er Heinrich jetzt sagen, dass Robert ihnen mit zwei Pferden nachgeritten kam? „Nun, Robert…“ Er unterbrach sich abermals, als Dorothea zu ihm aufsah. „Wie geht es ihm denn? Ich habe ihn heute noch gar nicht gesehen.“ „Gut, er genießt nur seinen freien Tag.“, antwortete Alexander ihr ein wenig wehmütig, diese Gelegenheit, Heinrich endlich aufzuklären, wieder verpasst zu haben. Eine weitere Gelegenheit sollte auch nicht mehr kommen, denn kurz darauf setzte sich ein junger Herr neben Heinrich, der sich als Hugo von Wilmersdorff vorstellte, passionierter Schriftsteller. „Ich habe auch schon oft darüber nachgedacht, zu schreiben!“, bekundete Heinrich begeistert, und ein engagiertes Gespräch kam zwischen ihnen auf. Alexander hatte währenddessen die Ehre, mit Dorothea und dem Ehepaar von Katte an ihrer Seite eine Runde im Garten zu drehen, bei welcher er allerlei Leute neu oder wieder kennenlernte. Ab und zu hielt er Ausschau nach Ferdinand, von dem er ja immer noch einen Seitenhieb befürchtete. So ein großes Fest, bei dem der halbe Adel Brandenburgs anwesend war, bot natürlich eine wunderbare Gelegenheit, sein schreckliches Geheimnis zu offenbaren. Alexander musste schmunzeln. Er sah es schon vor sich, wie Ferdinand in den Pavillon stieg, wo jetzt noch die Musiker spielten, und um Ruhe bat. Und sich selbst sah er da mit Dorothea stehen, deren Hand er nach Ferdinands Offenbarung ergreifen würde und sagen: »Nein, um ehrlich zu sein, begehre ich nur eine Frau, mit der ich mich heute verloben möchte.« Hoffentlich würde die Kanaille dichthalten. ------------------------- Ich war ganz überrascht, wie viele Gäste ich so spontan hier noch eingebaut hab ^^ Wen von ihnen habt ihr denn am liebsten? Oder wen könnt ihr gar nicht leiden? XD Kapitel 30: XXX --------------- Mittlerweile war es Abend geworden. Das Buffet war zwar immer noch nicht erschöpft, und Rousseau, Ludwig und Richard hatten alle Hände voll zu tun, die Gäste mit Getränken zu bedienen, doch die Baronesse bat die Musik, einen Moment innezuhalten, um ihre Absicht bekannt zu geben, das Fest mit dem Feuerwerk bei Offizier von Bülow ausklingen zu lassen. Da das Vorhaben bei allen auf große Zustimmung stieß, fuhren nach und nach die Kutschen wieder ein, um die Gäste hinüber zum Anwesen des Offiziers zu bringen. Das Feld war mit bunten Lampions beleuchtet, die wie Glühwürmchen wirkten, ringsherum blühte der Raps. Die Sonne ging gerade unter und tauchte die Natur in die herrlichsten Rottöne. Damit, dachte Alexander, konnten nur Heinrichs Wangen konkurrieren. Natürlich hatten auch sie mit der Kutsche fahren müssen, Heinrich hatte sie aber begleiten dürfen. Leider auch die Madame. Diese war deutlich frohen Mutes; wie sehr sie schon das glückliche Ereignis bevorstehen sah, zeigte sich darin, dass sie an alles, was sie an Alexander richtete, die Worte „mein Sohn“ anhängte. So auch, als sie vor einer kleinen Hütte, etwas am Rande des mit Tischen bestellten Feldes Halt machten, die mit Flieder und Efeu überwuchert war, aber vom Gutsherren wohl immer noch benutzt wurde. „Heinrich und ich werden uns einmal umsehen, ob wir nicht deine Mutter finden. Du gibst ja auf Doroschätzchen Acht, nicht, mein Sohn?“ „Sicher.“, antwortete Alexander ein wenig unbeholfen und konnte Heinrich gerade noch einen kurzen Blick zuwerfen, den dieser ziemlich verzweifelt erwiderte. So. Nun waren sie also alleine. Alexander hätte sich ja etwas überlegt, was er sagen konnte, doch die Gedanken, die ihn immer wieder zu Heinrich und ihrem Vorhaben führten, lenkten ihn davon ab. Dorothea hing immer noch an seinem Arm, an den sie auch ihre linke Hand gelegt hatte, war sogar ziemlich nahe getreten. „Oh“, brachte Alexander heraus, „Ist Ihnen kalt?“ Sie sah schüchtern zu ihm auf. „E-ein wenig.“ Er zögerte keine Sekunde, sondern zog sich gleich den Gehrock aus, den er ihr umlegte. Vielleicht hatte sie erwartet, er würde sie in den Arm nehmen, aber das konnte er nicht. „Frieren Sie denn dann nicht?“, fragte sie. „Nein, keine Sorge.“, entgegnete er, ohne lügen zu müssen. Wie konnte ihm kalt sein, wenn er an das dachte, was er noch diesen Abend mit seinem Heinrich erleben würde… „Sie haben mir geschrieben, dass Sie sich immerzu Sorgen um mich machen.“, fing Dorothea an und hakte sich wieder bei ihm ein, „Das finde ich lieb von Ihnen.“ Er lächelte sie nervös an. „Das ist doch selbstverständlich.“ Sie sah ihn aufmerksam an, als erwarte sie noch einige Worte mehr, doch er wandte sich wieder ab. Da sah er einige Meter entfernt General von Mörner, wie er auf seinem Pferd durch die Leute hindurchschritt. Er sah zu ihnen herüber, scheinbar erstaunt. Alexander fühlte sich plötzlich wie ein Verbrecher. Am liebsten hätte er sich sofort von Dorothea losgerissen. Er schämte sich, dass ihn der General so sah, hatte er ihm doch als kleiner Junge einmal versprochen, auch nie zu heiraten. Von Mörner wandte seinen Blick von ihm ab und sein Pferd herum. Sicherlich hatte er den alten Mann gerade bitterlich enttäuscht. „Was quält Sie denn?“, meldete sich Dorothea besorgt zu Wort. „Nichts.“, winkte Alexander ab und versuchte sich zu beherrschen. Wieder kam Stille zwischen ihnen auf. „Dauert es noch lange, bis das Feuerwerk beginnt?“, versuchte Dorothea das magere Gespräch aufrechtzuerhalten. „Das weiß ich ehrlich gesagt nicht.“, antwortete Alexander, „Ich vermute, es sind noch einige Vorbereitungen zu treffen.“ „Mhm.“ Sie sah zu ihm auf, doch er erwiderte ihren Blick nicht. „Ist aber doch schön, hier noch ein wenig zusammen zu stehen und den Sonnenuntergang zu beobachten, nicht?“ Diesmal kam von ihm ein „Mhm.“. Dorothea führte ihre linke Hand in die Rüschen ihres Kleides, mit denen sie nervös zu spielen begann. Sie sah aus, als wenn sie kurz vor einem Entschluss stand, da wurden sie plötzlich von einem verhaltenen Kichern hochgeschreckt. Überrumpelt drehten sich die beiden herum, wo Laetitia um die Hütte kam, hinter ihr der Hauptmann von Dossow, der seine Arme anzüglich um ihren Leib geschlungen hatte und sie zum Hütteneingang drängte. „Oh, Dorothea!“, lachte die junge Frau und winkte ihr amüsiert zu, bevor sie sich vom Hauptmann mit einem Biss in den Nacken ins Dunkle ziehen ließ. Als sich die Tür der Hütte schloss, presste sich Dorothea eine Hand auf den Mund. Alexander wusste auch nicht so recht, was er sagen sollte. „S-sie…sie ist verheiratet! Wie kann sie nur?!“, entfuhr es ihr. Der junge Baron legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Wir, ähm…sollten uns vielleicht einen anderen Ort suchen.“, merkte er an. „Bitte.“, stimmte sie ihm heftig zu und hatte es eindeutig eilig, von der Hütte fortzukommen. Sie liefen noch ein wenig mehr abseits das Feld entlang, wo schon der Raps blühte. Alexander hoffte, Robert würde sie hier noch finden. Plötzlich blieb Dorothea stehen. Als er sie fragend anblickte, schien sie sich gerade zu etwas entschieden zu haben. „Wissen Sie, Alexander“, begann sie mit einem Lächeln, „dass dort vorne ein Haselnussstrauch steht?“ Sie sah schüchtern zu ihm auf. Erwartungsvoll. Es dauerte ein wenig, bis Alexander glücklicherweise noch verstand: „Ah! Ja, genau“, meinte er und versuchte ihren Blick wenigstens etwas liebevoll zu erwidern, „Wie Ihre Augen.“ Sie sah zu Boden. Alexander schluckte. Er hatte es wohl vergeigt. „Ich“, fing sie leise an, „Ich dachte seltsamerweise…Jetzt, wo Sie sich mir in Ihren Briefen so geöffnet haben, wären Sie auch im persönlichen Gespräch ein wenig…“ „Es tut mir Leid, wenn ich…“ Er brach ab. Wusste nicht, was er sagen sollte. Nervös sah er sich nach Robert um. „Nein, nein“, wehrte Dorothea ab, „Ich…ich will Ihnen keinen Vorwurf machen, um Gotteswillen!“ Sie wurde ein wenig rot. „Nur…ich…Heinrich weiß nichts davon, aber als wir beide den ersten Brief von Ihnen erhielten, wollte ich unbedingt sehen, was…ob Sie genauso nette Worte auch für ihn gefunden– “ Sie wurde durch den ersten Knall unterbrochen. Wie aus Reflex sah Alexander zum Himmel auf, wo kurz darauf ein goldener Feuerregen funkelte. „Alexander, was ich sagen – Natürlich hat er mich nicht freiwillig spicken lassen, aber…ich meinte, dort eine andere Schrift zu sehen…“ Alexander reagierte nicht. Er hatte Heinrich entdeckt. Wunderbar! „Alexander?“ Überrumpelt sah er sie an. Hatte sie mit ihm geredet? Er war vollkommen überfordert, als sie fast schon verzweifelt nach seinen Händen fasste. „Alexander, bitte seien Sie ehrlich zu mir! Haben Sie auch nur einen Brief an mich geschrieben?“ Alexanders Augen weiteten sich entsetzt. Er öffnete erschüttert seinen Mund, doch da packte ihn eine Hand an der Schulter. „Herr Baron, da sind Sie ja.“, sagte Robert, der ihn wie vereinbart bei Beginn des Feuerwerks aufgesucht hatte, „Herr von Molte möchte Sie sprechen, wenn Sie vielleicht einen Moment für ihn Zeit hätten?“ „Äh, j-ja. Ja, doch. Selbstverständlich.“, brachte Alexander gerade so heraus, „Wenn du so gut wärst, Dorothea so lange Gesellschaft zu leisten, schließlich warst du einmal erster Diener.“ Damit nickte er ihr zu, gab ihr noch nicht einmal einen Handkuss, und lief davon. Robert bemerkte den Blick der jungen Frau, den sie seinem Herrn hinterherwarf. Er sprach von Enttäuschung – und…Erkenntnis? Alexander lief nicht sofort zu Heinrich. Das wäre zu offensichtlich gewesen. Erst einmal lief er zurück zur Hütte, um sich dahinter zu verstecken. Und durchzuatmen. Sie wusste es also. Er schüttelte den Kopf. Nein, er wollte nicht darüber nachdenken, wie sie das wieder geradebiegen könnten, nicht jetzt. Jetzt wollte er – Er verdrehte ein wenig genervt die Augen, als er die Geräusche vernahm, die aus der Hütte kamen. Ja, genau an so etwas wollte er jetzt denken. Und an seinen Heinrich. Wunderbar. Da standen ja die Pferde. „Es tut mir Leid.“, sagte der Kammerdiener in die Stille hinein, die nur hin und wieder durch das Knallen der Raketen unterbrochen wurde. Dorothea schenkte ihm ein halbherziges Lächeln. „Sie müssen sich für nichts entschuldigen, Robert.“, meinte sie. Er nickte. Betrachtete ihr Gesicht, das das bunte Licht des Feuerwerks lieblich einfärbte. Er musste lächeln. Auf seinem Weg zu Heinrich hatte Alexander Ferdinand gesichtet, der, sehr zu seiner Freude, beschäftigt schien, nämlich damit, der schönen Isabelle Baffour den Hof zu machen. Erfolglos, wie der junge Baron vermutete, aber sichtlich sehr zu deren Amüsement. Heinrich hatte sich nicht vom Fleck bewegt. Er zuckte nur ein wenig zusammen, als Alexander ihm ein „Nicht umdrehen.“ ins Ohr flüsterte. Ängstlich sah der junge Leutnant zu seiner Tante auf, die neben ihm stand und ergriffen an den Nachthimmel blickte, den die schönsten Farbenspiele erhellten. Alexander konnte nicht widerstehen, seine Lippen an Heinrichs Ohr zu legen. „Hinter der kleinen Hütte am Waldrand wartet ein Pferd auf dich. Immer dem Raps nach. Wir treffen uns auf Tegel.“ „Wenn…“ Robert räusperte sich. „Wenn es Ihnen lieber ist, dass ich gehe, dann…“ Dorothea sah ihn erstaunt an. „W-wieso das denn?“ Er lächelte gerührt über ihre Naivität. „Nun“, begann er, „ich bin ein Diener und sicherlich nicht die angemessene Gesellschaft für eine reizende Dame, wie Sie eine sind.“ Sie erwiderte sein Lächeln. Endlich sah es nicht mehr nur halbherzig aus. „Alexander sagte doch eben, Sie seien erster Diener gewesen. Ist es nicht dessen Aufgabe, eben diese Gesellschaft für eine Dame zu sein?“ Robert sah ihr schmunzelnd in die Augen. „Das ist nun aber schon einige Jahre her. Abgesehen davon war ich noch nie die Gesellschaft eines so wunderbaren Wesens.“ Als Dorothea eine ihrer grazilen Hände hob und sie sich an die rote Wange legte, während sie hastig seinem Blick auswich, merkte Robert, dass er zu weit gegangen war. Er ballte die Fäuste, verfluchte sich innerlich, da hörte er, wie sie wieder ihre sanfte Stimme erhob, die dieses Mal vor Aufregung bebte. „Das…das dort drüben…ist das ein Haselnussstrauch?“ Robert vermied es, sie anzusehen. Er wusste, dass er einen Fehler beging, aber es fühlte sich nicht so an, als er sagte: „Das kann ich Ihnen nicht sagen, ich müsste erst die Früchte sehen, um sie mit Ihren bezaubernden Augen zu vergleichen.“ „Ich wusste es.“, hörte er sie entsetzt flüstern, bevor sie ihr Kleid aufraffte und ihm davonlief. „Nicht…!“, rief er. Mit ausgetreckter Hand stand Robert da und sah ihr verzweifelt nach. Er hatte das Gefühl beinahe geflogen zu sein. Immer am Waldrand, zwischen Bäumen und Raps hindurch, und ihm in die Arme. Kaum war er durch das Tor zum Gut Tegel hindurch galoppiert, erblickte er Alexanders Pferd, das er an einen Baum gebunden hatte, und machte davor Halt. „Heinrich.“ Er sprang aus dem Sattel und ließ sich von seinem Geliebten umarmen. „Binde es hier fest.“, forderte ihn Alexander auf und ließ mit seinen Händen auch nicht von ihm ab, als er der Anweisung folgte, sondern fuhr ihm zärtlich durch die schwarzen Haare. Dann nahm er ihn an die Hand und lief eilig mit ihm los in die Dunkelheit, dem weißen Schloss entgegen. Kapitel 31: XXXI ---------------- Alle Bediensteten des Hauses waren draußen im Garten, die Hinterlassenschaften der Feier zu entsorgen und aufzuräumen; Schloss Tegel war wie ausgestorben. Sie hätten noch nicht einmal durch den Postboteneingang hineinschleichen müssen, hätten gleich unten durch die große Halle gehen können, die Treppe hinauf. Es hätte sie jedoch genau an denselben Ort geführt, hier auf Alexanders Zimmer, das er gerade verschloss, bevor er sich einmal mehr dort wiederfand, wo ihn Heinrich anscheinend gerne hatte: Mit dem Rücken an der Tür. Doch dieses Mal war der Kuss weder gierig, noch verzweifelt. Der junge Leutnant nahm sich die Zeit, Alexanders Gesicht in seine Hände zu nehmen, bevor er ihn sanft und liebevoll küsste. Zunehmend inniger. Alexander legte ihm seine Hände auf den Rücken und zog ihn näher an sich. „Bist du dir sicher?“, flüsterte er, als Heinrich seine Lippen für einen Moment freigegeben hatte. „Ja. Ich will es tun.“, kam es von diesem zurück und er küsste ihn abermals. Alexander nahm ihn an die Hände und zog ihn ein wenig mit sich, was ihre Münder voneinander löste. „Ich will, dass wir uns Zeit nehmen.“, meinte der Baron und sah seinem Geliebten tief in die Augen. „Ja.“ „Ich will, wie ich es geschrieben habe, deinen Körper kennenlernen.“ „Jah.“, kam es entzückt von Heinrich und er riss seinen Alexander mit sich ins Bett. Zusammen fielen sie aufs weiche, kühle Laken, umarmten sich, ihre Arme sowie ihre Zungen. Sie fuhren sich durch die Haare, über den Stoff ihrer Kleidung, verschränkten ihre Beine ineinander, und nie wollten sie mit ihren Lippen voneinander ablassen. Erst als Heinrich auf ihm lag, unterbrach Alexander den Kuss mit einem Schmunzeln. Zärtlich fuhr er ihm über die gerötete Wange. „Wollen wir uns ausziehen?“ „Ja.“, entgegnete Heinrich und begann schon, dem Älteren das Hemd aufzuknöpfen. „Wo ist dein Rock?“, fragte er. „Bei deiner Cousine.“, brachte Alexander heraus, mit Mühe, da Heinrich sich seine Brust hinabküsste. „Wie konntest du dich bei ihr entschuldigen?“ Der Baron schloss die Augen, als sein Geliebter ihm das Hemd qualvoll langsam aus der Hose zog. „Robert hat – es wolle mich jemand sprechen.“ Heinrich lachte leise gegen seinen Bauchnabel. „Sprechen.“, wiederholte er amüsiert. Er keuchte erschrocken auf, als Alexander ihn bei den Schultern packte und unter sich auf die Matratze warf. „Was haben wir denn der netten Tante erzählt, hm?“, fragte der Baron, während er seinen Rock aufknöpfte. Heinrich sah mit einem spitzbübischen Funkeln in seinen Augen zu ihm auf. „Dass ich dringend einmal austreten muss. Sie echauffiert sich bestimmt immer noch über meine schwache Blase.“ Lachend küsste Alexander seinen Hals und öffnete ihm das Hemd. „Gibt es da Heilmethoden?“, flüsterte er. „Bestimmt.“ „Soll ich einmal sehen, was ich tun kann?“, fragte Alexander, die Hände an Heinrichs Hosenbund. Erst als dieser nickte, öffnete er den Knopf. Gemeinsam schoben sie dem Leutnant die Hose von den Beinen, zogen ihm die Stiefel aus. Während Alexander ihm Rock und Hemd von den Armen streifte, stieg er auf seinen Schoß und küsste ihn. Sich selbst befreite er auch noch von seinem Hemd, dann wollte er sich auf ihn sinken lassen, doch Heinrich hielt ihn auf. „Halt, du auch.“, bat er und drängte den Älteren mit ein paar sanften Küssen zurück ins Laken. Heinrich zog ihm also ebenso die Hose von den Beinen und als er zu seinem Geliebten aufsah, wie dieser in all seiner natürlichen Schönheit auf dem Bett lag, die gelockten Haare in Unordnung und die Wangen ein wenig gerötet, da fühlte er sein Herz fast vor Freude überquellen. „Ich würde behaupten, dass du es warst, der Michelangelo für seinen David als Studie diente, aber du kannst es nicht gewesen sein.“ Alexander sah ihn irritiert an, schwieg jedoch, als Heinrich sich mit einem Schmunzeln auf ihn schob. „Er müsste ein großes Detail übersehen haben, das unmöglich zu übersehen ist.“ Mit seinen blauen Augen blickte er ihn an, und Alexander konnte spüren, wie er seine Hand eben jenem Detail näherte, um es schließlich zu umfassen. „H-Heinrich…“ Mit flatternden Wimpern schloss er die Augen. Heinrich hingegen küsste ihm die Wangen und die Stirn, während er nicht von ihm abließ. „Darf ich zuerst?“, fragte er, „Deinen göttlichen Körper entdecken?“ Alexander hätte sich gerne über das abermals gebrauchte Wort »göttlich« beschwert, aber er konnte nur nicken. Und so legte sich Heinrich neben ihn und küsste seine Schläfe, sein Ohr, den Wangenknochen hinab bis zum Kinn. „Wieso gefällt mir nur alles an dir so gut?“, hauchte er, als er ihm die Hände auf die Brust legte und auch diese auf Erkundungsreise schickte. Alexander wusste nicht, wie ihm geschah. Noch nie hatte er so etwas erlebt. Nichts Bisheriges war so intensiv gewesen, wie dieser Moment zwischen ihnen. Heinrich musste es bemerken, wie er ihm mit seinen Berührungen eine Gänsehaut bescherte und ihn zum Erzittern brachte. Wenn nicht, bemerkte er es spätestens jetzt, als er ihm die Lenden küsste und der Baron ein Stöhnen von sich gab. Heinrich sah mit roten Wangen zu ihm auf. „Würden wir ein wenig mehr Zeit haben, hätte ich dir gerne zurückgegeben, was du mir zum Abschied geschenkt hast.“ Alexander nahm seine Hände und zog ihn zu sich nach oben, sodass er ihm durch die schwarzen Haare fahren konnte. „Du hast mir dein Innerstes geschenkt“, flüsterte er, „und wenn du willst, dann geb ich es dir heute zurück.“ Heinrich küsste ihn eifrig. „Bitte.“, hauchte er und küsste ihn abermals, während sie ihre Finger miteinander verschränkten. Alexander fuhr seinem Geliebten sanft über den nackten Rücken, wollte schon anmerken, dass es Zeit würde, seine Entdecker einmal auf Reisen zu schicken, da bat ihn Heinrich, sich auf den Bauch zu legen. Alexander war nur einen Moment erstaunt, dann gehorchte er. Den Kopf ins Kissen gepresst schloss er die Augen und konnte spüren, wie sich sein Leutnant über ihn kniete, ihn küsste, zuerst hinterm Ohr, dann am Haaransatz. Heinrichs Hände wanderten über seinen Rücken, strichen verführerisch über seine Haut. Die Lippen küssten sich seine Wirbelsäule hinab. „Heinrich…“ „Gleich.“ Alexander krallte seine Hände ins Laken, als die Lippen seinen Hintern erreicht hatten, dort für ein paar Küsse verweilten. „Heinrich.“ „Ist gut. Du darfst dich umdrehen.“ Alexander blieb liegen. Heinrich fuhr ihm durch die Haare. „Was ist?“, fragte er und küsste seinem Geliebten die gerötete Wange. Erst da drehte sich Alexander wieder auf den Rücken. Heinrich ließ seinen Blick über den Körper des jungen Barons gleiten und lächelte ihn an. „Ich mag gar nicht glauben, dass ich es bin, den du so willst.“ Alexander fasste nach seiner Wange, „Doch, das bist du.“, bevor er ihn innig küsste. Kurze Zeit später fand sich Heinrich mit dem Rücken auf der Matratze wieder, Alexander über ihm, der sich seinen Hals hinabküsste, über die Brust. Er keuchte auf, als der Ältere an seiner Brustwarze zu saugen begann. Als Alexander merkte, wie sehr dies seinem Geliebten gefiel, wandte er sich auch noch der anderen zu. Er küsste sich weiter über Heinrichs Rippen, an seine Seite, hinunter bis zu Hüfte und über den Bauchnabel wieder hinauf. Stöhnend warf Heinrich seinen Kopf in den Nacken und spreizte seine Beine. Das nahm Alexander als Einladung, sich auf ihn sinken zu lassen. Er musste selbst an sich halten, als er Heinrichs Erregung an seinem Bauch spürte. „M-möchtest du“, begann der Jüngere, „nicht bald beginnen?“ Alexander beugte sich über ihn, um ihm einen Kuss zu geben. Ernst sah er ihm in die Augen. „Du weißt, was wir tun werden, und du willst es wirklich?“ Heinrich nickte. „Ja, ich will es, auch wenn ich es nur aus Büchern über die alten Griechen kenne.“ Alexanders Gesichtsausdruck wandelte sich zu zärtlich lächelnd. „Was hast du denn gelesen?“ Heinrich erwiderte das liebevolle Lächeln. „Dass die Männer die Knaben immer mit Gedichten umworben haben.“ Alexander musste schmunzeln. Er fuhr seinem Geliebten sanft über die Wange. „Noch himmlischer als Amor selbst, hab ich ein Knab gefunden.“ Auf Heinrichs Gesicht breitete sich ein Grinsen aus. Alexander küsste ihn. „Und will mit tausend Kuss am Tag, ihm meine Lieb bekunden. Doch Küsse reichen Menschen nicht“ Er legte ihre Stirn aneinander, bevor er sich wieder zwischen Heinrichs Beine sinken ließ. „drum muss er mir verzeihen, dass ich mit seinem göttlich Leib, mich sehnlichst will vereinen. – Du siehst, ich kann nicht dichten.“ „Doch.“, widersprach ihm Heinrich flüsternd und fuhr dem Älteren über die Brust, während er ihm antwortete. „Dein Knabe weiß, was du ihm willst, und lässt sich gern verführen. Dies, um der Lieb unbändig Lust, gleich jetzt mit dir zu spüren.“ Alexander stöhnte in den Kuss hinein, als sie sich aufeinander bewegten, sich mit ihren Händen liebkosten. „Lass mich kurz gehen“, bat der Baron, „Robert muss hier irgendwo ein Öl…“ Heinrich hatte die Flasche mit einem Griff vom Boden neben dem Bett hervorbefördert. Alexander entfernte den Korken. „Du weißt, was ich…?“ „Ja, und es beruhigt mich ein wenig.“, gab Heinrich zu und hob ihm die Hände entgegen. „Mir auch, bitte.“ Alexander gehorchte, und während er anfangs noch seinen Leutnant küsste und ihn so vorsichtig wie möglich vorbereitete, musste er bald an sich halten, als Heinrichs Finger ihm zur Hilfe kamen und dessen andere Hand seine Männlichkeit umschloss. So sinnlich das Ganze auch begonnen hatte, so feurig und heftig endete es. Alexander sah seine eigene Leidenschaft in den blauen Augen seines Geliebten lodern, als er seinen Rhythmus beschleunigte, ihm mit jedem Stoß ein Stöhnen entlockte. Unbändige Lust wallte in ihm auf, übermannte ihn. Er hatte davon schreiben können so viel er wollte, davon träumen so oft er mochte, nie war er wirklich an dieses Gefühl herangekommen, das ihn erfüllte, wenn er seinem Heinrich so nahe war, wenn er eins mit ihm war. Der Jüngere schrie nach ihm, bat ihn um mehr, um alles. Alexander gab es ihm, ihr beidseitiges Stöhnen erstickt in einem stürmischen Kuss. Völlig außer Atem sank der junge Baron in die Arme seines Geliebten, die ihn erschöpft umschlossen. Er küsste Heinrichs Wange und fuhr ihm sanft durch die Haare. „Entschuldige, ich war viel zu grob.“ Heinrich schüttelte schwer atmend den Kopf. „Nein.“, brachte er heraus, „Es war wunderbar. Besser als alles jemals Erlebte.“ Alexander sah ihn abwägend an. „Wirklich?“, fragte er, „Weißt du, es ist mir wichtig, dass es dir auch gefallen hat.“ Heinrich küsste ihn kurz auf die Lippen und schenkte ihm ein Lächeln. „Ja. So gut, dass ich es gleich noch einmal tun könnte.“ Glücklich und erleichtert gab Alexander seinem Geliebten einen zärtlichen Kuss, den dieser ebenso innig erwiderte. „Ich glaube, ich habe heute das erste Mal richtig geliebt.“, hauchte er. Heinrich schluckte. „Du hast doch schon so oft…“ „Nein. Nach dem einen Mal mit dir möchte ich sagen: Noch nie zuvor.“ Sein Leutnant zog ihn fest an sich und verteilte eifrig tausend Küsse über sein Gesicht. „Ich liebe dich.“ Alexander sah ihn gerührt an. „Wie wünsche ich mir, dich das immer wieder sagen zu hören, mein Heinrich. Ich liebe dich genauso.“ Küssend lagen sie noch eine Weile im Bett, strichen mit ihren Händen zärtlich über den Körper des anderen, bis Alexander sich aufrichtete und Heinrich seine Hände entgegen hob. „Wir müssen.“, sagte er, „Zumindest ins Bad.“ Bereitwillig ließ sich der Jüngere hochziehen und vom Älteren von hinten umschlungen ins Bad führen. „Kannst du laufen?“, fragte der besorgt, „Tut dir etwas weh?“ Heinrich legte seinen Kopf in den Nacken und sah mit einem Grinsen zu ihm auf. „Ich schätze deine Fürsorge, mein Liebster, und weiß auch nicht, was du bisher mit anderen getrieben hast, aber mit mir ist alles in Ordnung.“ „Wunderbar.“, entgegnete Alexander und ließ ihn zuerst ins Wasser steigen, bevor er ihm folgte. Heinrich nahm sein Gesicht in seine Hände und sah ihn mit einem spitzbübischen Funkeln in den Augen an. „Ich bin ein Mann, vergiss das nicht, noch dazu ein Soldat. So jemand kennt keinen Schmerz, keinen körperlichen jedenfalls.“ Beinahe wäre es Alexander entgangen, wie sich die Wangen des Jüngeren bei diesen Worten röteten. „Aber ich bin gewillt“, sprach er weiter, „schon möglichst bald, wenn du es mir erlaubst, herauszufinden, wie es sich da bei dir verhält.“ Alexander war beinahe etwas überfordert, aber er zog seinen Geliebten auf sich und versank mit ihm im warmen Wasser. „Ja, bitte tu das.“, hauchte er, bevor er seinen Heinrich küsste. Sie konnten leider nicht lange im Wasser verweilen, mussten sich darauf beschränken, sich wirklich zu säubern und zu waschen. Robert hatte zwei große, weiche Handtücher bereitgelegt, mit denen sie sich trockenrieben; nicht gegenseitig, dafür war keine Zeit. Sie sammelten ihre Kleider zusammen und zogen sich wieder an, bevor sie sich wieder aus dem Schloss schlichen. Bei den Pferden angekommen, beugte sich Alexander noch einmal zu seinem Heinrich hinab und sie küssten sich liebevoll. „Kannst du reiten?“ Der Leutnant grinste ihn an. „Ich bin Soldat, vergiss nicht.“ Alexander küsste ihm schmunzelnd die Nasenspitze. „Ich weiß.“, flüsterte er, „Ich wollte dich nur bei mir auf dem Pferd haben.“ Lachend stieg Heinrich auf den Steigbügel und schwang sich aufs Pferd. „Beeil dich.“ Alexander besann sich, und als er ebenfalls auf seinem Pferd saß, ritten sie los. Über dem Wald sahen sie die bunten Raketen aufsteigen, in solch imposanten Farben und kurzen Abständen, dass beide daraus schlossen, es müsste sich dabei um das Finale handeln. Und tatsächlich: Gerade als sie schon das mit den Zuschauern besetzte Feld sehen konnten, blieb der nächste Knall aus. „Ist es fertig?“, rief Heinrich. Alexander zog das Tempo ein wenig an. „Es sieht so aus.“ Am Waldrand nahe der Hütte sprangen sie von den Pferden und banden sie hastig wieder fest. Sie wussten, dass sie sich nun trennen und so schnell wie möglich unter die Leute mischen mussten, doch keiner von beiden wollte so recht auseinandergehen. „Danke.“, sagte Alexander und zog seinen Geliebten noch einmal in seine Arme. „Nicht doch.“, flüsterte Heinrich, „Ich liebe dich.“ „Ich dich auch.“, entgegnete der Baron, bevor er ihm kurz die Hand drückte und davoneilte. Alexander lief dorthin zurück, wo er Dorothea und Robert hatte stehenlassen, und war erstaunt, nur noch seinen Diener dort anzutreffen, der sofort mehr als nervös, fast schon panisch, auf ihn zukam. „Alexander, bitte erschlagen Sie mich! Reißen Sie mir die Zunge heraus, als Strafe für meine nicht tolerierbare Dummheit!“ „Halt, halt – Robert!“, hatte der Baron seine Mühe, den anderen ruhigzustellen, „Ganz langsam. Wo ist Dorothea?“ Robert sah ihn verzweifelt an. „Sie…sie muss es geahnt haben – die Anspielung mit dem Haselnussstrauch…!“ „Und du bist darauf eingegangen?“, hakte Alexander Böses ahnend nach. „Ja! Ich sagte doch: Steinigen Sie mich bitte! Ich konnte nicht – Ich musste…!“ „Ganz ruhig.“, versuchte ihn Alexander zu beruhigen und legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Du bist nicht schuld, sie wusste es wohl schon vorher. Wo ist sie jetzt?“, hängte er etwas dringlicher an. „Sie ist fortgelaufen, ich weiß es nicht.“, gab Robert völlig am Ende zu. Der Baron klopfte ihm abermals auf die Schulter. „Ich geh sie suchen, mach dir darum keinen Kopf. Bring viel lieber die Pferde wieder zurück, ja?“ „Sofort.“, entgegnete der Diener und lief eilig los, während sich sein Herr in die Menge stürzte. Er musste Dorothea unbedingt finden, bevor – „Alexander!“, hörte er seine Mutter rufen, und er zuckte zusammen. Nach einem kurzen Stoßgebet gen Himmel drehte er sich langsam zu ihr herum. Sein Gebet hatte wohl niemand erhört: Die Madame stand neben der Baronesse und wandte sich gerade von einem ihn erstaunt anblickenden Heinrich ab. „Alexander, wir haben Sie überall gesucht!“, verkündete sie, jedoch mehr besorgt als erbost, „Dass Heinrichs Blase miserabel ist, wie alles an ihm, weiß ich zur Genüge, aber was war denn mit Ihnen?“ Alexander sah sprachlos in die Runde. „Ja…“, begann er nervös, räusperte sich; er wusste, dass seine Mutter keinen Herrn von Molte kannte. „Ich, nämlich, war…“ Verdammt, was sollte er tun?!? „Er war die ganze Zeit bei mir, wo denn sonst?“ Erstaunt sahen alle zu Dorothea, die in der Runde auftauchte, Alexanders Rock immer noch um die Schultern gelegt. „Ja, in der Tat, das war ich.“, stimmte ihr Alexander zu, noch ein wenig überrumpelt, aber höchst erleichtert, und legte einen Arm um sie, was der Madame ein glückliches Lächeln auf die Lippen zauberte. „Wir standen ein wenig abseits, um für uns zu sein.“, erklärte Dorothea, wobei sie ihren Kopf perfekt beschämt senkte. „Deshalb wollte ich eben nichts…“, begann Alexander, „Ich wusste nicht, ob du das begrüßen würdest, Doro, dass man es erfährt. Man soll ja nichts Falsches denken.“ „Aber sicherlich nicht!“, versetzte die Madame, die aus ihrer Entzückung gar nicht mehr herauskam. Die Baronesse verabschiedete sich vom Offizier von Bülow und dankte ihm herzlich für die Einladung, dann stiegen sie, fast als Letzte, die das Feld verließen, in die Kutschen. Da bei der Baronesse und ihr, die mit Wilhelm, Caroline und dem ihnen wieder zugelaufenen Ferdinand fahren würden, kein Platz mehr für Heinrich war, musste die Madame es ihm wohl oder übel genehmigen, dass er bei ihrer Tochter und ihrem sichergeglaubten Schwiegersohn mitfuhr. Dies führte zu der seltsamen Situation, in der sich Alexander gerade befand. Sie waren schon ein paar Meter gefahren, erst dann rang er sich dazu durch, Dorothea, die neben ihm saß, anzusprechen. „Wieso hast du das getan? Du bist mir nichts schuldig.“ Sie sah nicht zu ihm auf, sondern blickte ihren Cousin an, der ihnen gegenübersaß; ihm war sichtlich unwohl. „Ich wollte es aber tun.“ „Warum?“ Auf ihre Lippen legte sich ein Lächeln. „Weil ich meinen Cousin liebe. Und weil ich dich mag.“ „Aber woher…?“ Endlich wandte sie sich zu ihm um. „Alexander, ich bin zwar gläubig und wohl auch wohlbehütet, aber ich habe schon vor unserer Abreise bemerkt, dass du Heinrich lieber magst als mich. Natürlich wollte ich es bis heute nicht wirklich wahrhaben, wie ich zugeben muss, schon gar nicht, dass…“ Sie wurde ein wenig rot. „dass es nicht nur Bruderliebe ist, sondern auch… - nichtsdestotrotz will ich nicht, dass ihr in Unannehmlichkeiten geratet.“ Sie erschrak, als der junge Baron plötzlich ihre Hände nahm. Er sah sie ehrfürchtig an. „Ich danke dir, Doro. Tausend Dank.“ Sie konnte gerade nicken, da schmiss sich ihr Cousin in ihren Schoß. Er weinte. „Oh, du liebes, artiges Mädchen! Du bist ein Engel! Mögest du auch nur halb so glücklich werden, wie ich es mit Alexander bin.“ Lächelnd fuhr sie ihm über den Rücken und ließ es zu, dass Alexander ihm durch die Haare strich. „Ich muss mich bei dir entschuldigen.“, fing der Baron ein wenig bedrückt an, „Robert hat damit nichts zu tun, er hat nur meinen Befehl ausgeführt, aber dich so hintergangen zu haben, ich…Ich fühle mich schrecklich.“ „Es ist schon in Ordnung.“, antwortete sie und sah lächelnd zu ihrem Cousin, der sich die Tränen aus den Augen wischte, „Bitte sag ihm, dass ich nicht böse auf ihn bin. Um ehrlich zu sein…habe ich schon nach dem zweiten Brief vermutet, dass er sie für dich schreibt.“ Alexander sah sie erstaunt an. „Und dann hast du noch geantwortet?“ Sie wich seinem Blick aus. „Ich konnte euch doch nicht auffliegen lassen…und außerdem…“ Mit einem Poltern kam die Kutsche zum Halten, und Heinrich sprang hastig wieder auf seinen Platz zurück, denn da wurde die Tür auch schon von der Madame geöffnet. „Doroschätzchen, komm! Wir wollen uns gleich schlafen legen, damit wir morgen recht frisch sind.“, beschloss sie freudig. „Ist gut, Mama.“, gehorchte ihre Tochter, umarmte Heinrich und ließ sich von Alexander die Hand küssen. „Gute Nacht, schlaf gut.“, wünschte er ihr sogar noch. „Du auch.“, erwiderte sie und winkte ihm zu, als sie von ihrer Mütter ins Schloss geführt wurde. „Mach dir nichts drauß, Alexander.“, meldete sich Caroline, die nähertrat. „Das ist Taktik.“, raunte sie ihm zu, „Sie möchte Doro jetzt etwas auf Abstand halten, bis du dich entschlossen hast.“ Alexander nickte mit Unbehagen. Heinrich sah ihn lächelnd an und vertrieb damit seine Sorgen. Richtig. Dorothea wusste nun Bescheid. Das hieß, er könnte sie heiraten, mit der Gewissheit, dass sie ihn und Heinrich tolerieren und decken würde. Er erwiderte Heinrichs Lächeln. Wilhelm gähnte. „Wir sollten uns auch schlafen legen.“, schlug er vor. „Da tut ihr Recht.“, stimmte ihm seine Mutter zu, und Caroline führte sie ins Haus. „Gute Nacht, Heinrich.“, wünschte Alexander seinem Geliebten. „Gute Nacht, Alexander.“, bekam er zurück, die Worte so voller Liebe, dass sie ihn die Nacht über wärmen würden. ------------------ Na? Wie hat euch das "Feuerwerk" gefallen? :3 Es dürfen gerne Spekulationen angestellt werden, ob Alexanders neugefasster Plan aufgeht^^ Kapitel 32: XXXII ----------------- Es roch nach frischem Essen im Haus, als er von seinem Ausritt zurück aufs Gut Falkenberg kam. Lachend ließ er sich von Heinrich gegen die Wand im Flur drücken. Sein Geliebter küsste ihn so ausgiebig, als wenn sie eben auf der Wiese nicht schon die ganze Zeit nichts anderes getan hätten. „Deine Frau wartet bestimmt schon mit dem Essen auf uns.“, murmelte Heinrich gegen seine Lippen. „Du hast meinen Hunger schon gestillt. Außerdem sollst du sie so nicht nennen.“, hauchte er zurück und wollte ihn nicht loslassen. Heinrich zog ihn aber lachend mit sich in die Küche, wo Dorothea ein wenig erschöpft, jedoch glücklich, dass sie endlich da waren, einen großen Topf auf den Tisch stellte. Er schlang einen Arm um seinen Geliebten, um ihn auf die Küchenbank zu führen, da zog etwas an seinem Hosenbein. Er sah hinab und – Seine blauen Augen blickten ihn aus einem weinerlichen Kindergesicht heraus an. „Papa nie da. Papa, will auch schmusen.“ – „Aaaah!“ Schweißgebadet schreckte er hoch. Seine Brust hob und senkte sich schnell, während er heftig Luft holte. Er zitterte. Ein Alptraum. Ein fürchterlicher Alptraum. Erschöpft drehte sich Alexander auf die Seite. Es war schon hell draußen. Nein. Nein, das konnte er nicht tun. Wenn er Dorothea heiraten würde, müsste er Kinder mit ihr bekommen, es ging gar nicht anders, man erwartete es von ihm. Auch wenn ihm das irgendwie gelingen sollte, niemals würde er es verkraften, diesem Kind in die Augen zu blicken, es in den Arm zu nehmen; er könnte es nicht lieben, das Kind hätte keinen Vater. Und diese Vorstellung war schrecklich. Er schloss verzweifelt die Augen. Dabei war er doch so selig eingeschlafen. Sein Bett, die Kissen, das Laken – alles roch noch nach Heinrich, nach ihm und ihrer Lust… Alexander fuhr mit seiner Hand über den seidigen Stoff, vergrub sein Gesicht im Kopfkissen, atmete den wohltuenden, beruhigenden Geruch ein. Plötzlich wurde die Tür aufgerissen und Robert stürmte ins Zimmer. „Herr Baron. Alexander. Bitte kommen Sie schnell.“ Alexander drehte sich stöhnend auf den Rücken und raufte sich die Haare. „Wo brennt’s denn?“ „Unten im Salon.“ Er saß senkrecht im Bett. „Nein!“, wehrte Robert hastig ab, „Ich meine: Im Salon, da erwartet man Sie. Dringlich.“ Alexander seufzte auf. „Was kann denn so dringlich sein?“ „Ich weiß es nicht, Ihre Mutter hat mir nur die Order gegeben, Sie sollten so schnell wie möglich unten erscheinen.“ Der junge Baron sah seinen Diener erstaunt an. „Sie war ganz bleich im Gesicht.“ Alexander sprang aus dem Bett. Wenn er auch schon beunruhigt den Salon betreten hatte, so wuchs diese Beunruhigung ins Unermessliche, als er die Blicke sah, die man ihm zuwarf, kaum stand er im Raum. Seine Mutter war in der Tat blass, Wilhelm musste sie stützen, der ihn genauso wie seine Frau enttäuscht anblickte, während die Madame eindeutig empört und Heinrich und seine Cousine unschlüssig waren. Was Alexander jedoch am meisten beunruhigte, war Ferdinands gehässiges Grinsen. „Was…“, fing er zögerlich an und sah in die Runde, „Was gibt es?“ Seine Mutter musterte ihn von oben bis unten, dann wandte sie ihren Blick von ihm ab. Erst da bemerkte er, dass ihre Haushälterin an der Tür direkt neben ihm stand. Sie hatte den Kopf gesenkt und spielte nervös mit ihren Händen. „Mamsell Zimmermann“, begann die Baronesse, „Wiederholen Sie bitte noch einmal, was Sie uns eben über den Gesundheitszustand unseres Dienstmädchens mitgeteilt haben.“ „Ida?“, fragte Alexander erstaunt, was die Madame harsch die Luft einsaugen ließ, „Was ist mit ihr? Geht es ihr nicht besser?“ Irritiert sah er in die Runde, die ihn nur schweigend betrachte, dabei zeigte er doch deutlich, dass er sich Sorgen um das Mädchen machte. „Mamsell, bitte.“, forderte sie die Baronesse noch einmal auf. Alexander wandte sich verständnislos wieder ihrer Haushälterin zu, die ihren Blick schnell von ihm nahm. „Nun sagen Sie doch schon, was los ist!“, fuhr er sie an, da er die Spannung nicht mehr ertragen konnte. Sie schluckte. „Ida ist schwanger.“ Alexander starrte sie sprachlos an. „Und als ich sie fragte“, redete die Mamsell mit brüchiger Stimme weiter, „wer der Vater des Kindes sei, da hat sie…“ Sie brach ab, wischte sich nervös über die Wange. „»Der Baron«, hat sie gesagt.“ Endlich verstand er. Erbost sah Alexander in die Runde. „Und da schließt man sofort auf mich?!?“, fragte er ungläubig. „Auf mich etwa?!“, rief Wilhelm. „Man hat dich vor ein paar Wochen mit ihr in der Stadt gesehen.“, mischte sich Ferdinand ein, „Sie saß auf deinem Pferd.“ Alexander musste sich beherrschen. „Na, und?!“, entgegnete er, „Sie hat mich vom See abgeholt, und wir mussten uns beeilen.“ „Ein sehr intimes Verhältnis für einen Baron und sein Dienstmädchen.“, setzte Ferdinand hinzu. „Aber…!“ „Zugegeben…“, begann Wilhelm nun auch, „Sie war dir wirklich verfallen.“ „Wusstest du nicht - !“, kam es plötzlich von Caroline, „Und wusstest du nicht, wo sie sich befindet, als wir sie am Morgen alle gesucht haben? Hat sie etwa die Nacht bei dir…!“ „Nein!“, rief Alexander entsetzt, „Ich würde nicht einmal daran denken, sie jemals anzurühren!“ Mit einem aufgesetzten, mitleidsvollen Lächeln kam Ferdinand auf ihn zu. „Mein Brüderchen“, meinte er, „Ist doch halb so wild…Das kommt in den besten Familien vor.“ Alexander raufte sich die Haare. Verdammt, das war doch…! – Er war kurz davor, es zu sagen. Kurz davor, es hinauszuschreien, dass er nichts von Frauen wollte! Nur Männer! Männer! Er lief an Ferdinand vorbei zu einem der Fenster, ballte seine Fäuste. Aber genau das wollte diese Kanaille doch! Genau diesen Fehler sollte er begehen. Ferdinand nutzte die Situation doch schamlos aus, in die das Mädchen hineingeraten – Alexander wandte sich um und starrte seinen Halbbruder an. Konnte es sein, dass Ferdinand am Ende selbst das Mädchen…?! Ein leises, flehendes „Alexander…“ kam von Caroline, die es nicht länger mit der Ungewissheit aushalten konnte. Alexander wandte sich hastig wieder ab und schloss die Augen. Sollte er diese Schmach auf sich nehmen? Sollte er lügen, um seines Rufes Willen? Dann würde niemand aus seiner Familie mehr auf die Idee kommen, er könnte etwas fürs eigene Geschlecht empfinden. Er müsste Dorothea nicht heiraten. Er könnte jeder potentiellen Ehefrau einfach die Information zuspielen, dass er einen Bastard mit einem Dienstmädchen gezeugt hatte, und sie würde ihn nicht mehr wollen. – Einen… Er stützte sein Gesicht gequält in seine Hand. Nein. Alles lieber, als verantwortlich dafür gemacht zu werden, dass ein Kind ohne seinen Vater aufwachsen muss. Er hatte es am eigenen Leib erlebt, wie das war. Daran wollte er nicht schuld sein. Niemals. Entschlossen drehte er sich herum, alle sahen ihn erwartungsvoll an. „Holt das Mädchen her.“ Niemand reagierte. „Mamsell, bringen Sie das Mädchen her, sofort!“ Die Haushälterin zuckte zusammen und raffte eilig ihr Kleid auf, bevor sie aus dem Salon stürmte. „Alexander, du willst doch nicht– “ „Still!“, fuhr er Caroline dazwischen und lief hinüber zur Sitzecke, wo er einen Sessel zu ihnen herumdrehte. Es dauerte keine Minute, da war die Mamsell zurück, wie Befohlen Ida im Schlepptau. Das Mädchen trat eingeschüchtert in den Raum, getraute sich nicht, zu irgendwem aufzuschauen. Man sah, dass sie geweint hatte. „Ida?“ Ängstlich blickte sie Alexander an. „Komm, setz dich hier.“ Die Mamsell musste sie erst anschubsen, dass sie seiner Bitte nachkam. Der junge Baron wusste sehr wohl um die Blicke in seinem Nacken, als er sich, kaum saß sie, mit einem gebeugten Bein vor sie kniete. „Ida, du weißt, was die Mamsell uns mitgeteilt hat?“, fing er zutraulich an. Das Dienstmädchen nickte und konnte es nicht verhindern, dass ihr dabei eine Träne die Wange hinablief. „Und du weißt auch, dass ich es nicht war.“ Sie schluckte und ihre Hände begannen zu zittern. Alexander nahm eine dieser Hände in seine. „Also, das…!“ „Ruhe!“, unterband er den Einwurf der Madame, bevor er sich wieder dem Mädchen zuwandte. Er drückte fest ihre Hand und sah sie gutmütig an. „Ida, war ich jemals schlecht zu dir?“, fragte er, „Hab ich dir jemals etwas angetan, für das du dich jetzt damit rächen willst?“ Sie schüttelte stumm den Kopf, während ihr immer mehr Tränen aus den Augen kullerten. „Hör mir zu“, sagte er leise, „Ich bürge dafür, dass dir in diesem Haus nichts passiert. Du wirst nicht entlassen und du bekommst jede Unterstützung, die du brauchst, wenn du nur jetzt die Wahrheit sagst. Ich hoffe, das ist dir mehr wert, als alles Geld, das man dir für eine Lüge gegeben hat.“ Ida fing an, ungehalten zu schluchzen. Alexander fuhr ihr mit dem Daumen beruhigend über den Handrücken. „Ich bin nicht der Vater.“ „Nein.“, brachte sie heraus. „Was?!?“, rief die Madame, „Wer dann?“ Alexander sah Ida ermutigend an. „I-Ihr Halbbruder…“ Wie ein Pistolenschuss richteten sich alle Blicke auf Ferdinand. Der sah überlegen in die Runde. „Was, ich?“ Alexander fand, man konnte seiner Stimme doch schon eine gewisse Nervosität abgewinnen. Ferdinand lachte. „Nein, damit kommst du nicht davon, Alexander. – Du weißt schon, Mädchen, dass man dich für so dreiste Lügen vor Gericht bringen kann, hm?“ „Ich sage aber die Wahrheit!“, rief Ida, und Alexander merkte, wie sie in seiner Hand Halt suchte. „E-er hat mir gedroht, zu verraten, was ich – was ich für Sie empfinde, Herr Alexander. Ich sollte mit ihm aufs Zimmer kommen, und dann – Er hat mir versprochen, mich zu seiner Mätresse zu machen, mir viel Geld zu geben, wenn ich – Ich wollte doch nur einmal…einmal mit einem Mann wie Ihnen zusammen sein, Alexander…!“ „Ferdinand, du…!“ „Sie lügt, Wilhelm!“ „Tut sie nicht!“, rief Alexander. „Um Gotteswillen!“, entfuhr es der Madame. Ferdinand biss wütend seine Zähne aufeinander. Alexander freute es, ihn so zu sehen. Damit sah er wohl seinen herrlichen Plan gescheitert… „Ja, verdammt!“, schrie Ferdinand, sein Gesicht ganz entstellt von der Wut, „Es war nicht euer Alexander! – Aber nicht, weil er so eine reine Seele hat, sondern weil er gar nicht dazu imstande wäre, eine Frau zu schwängern!“ Alexander sprang entsetzt auf. Sein Herz begann wild zu pochen. Er durfte jetzt nicht zu Heinrich sehen… Ferdinand schritt auf seine Mutter zu, die um noch eine Nuance blasser geworden war. „Wenn du das Gut Falkenberg nicht auch noch an Wilhelm vermachen willst“, fing er an, „dann musst du es wohl oder übel einem Sünder vermachen. Entweder einem, der sich an Dienstmädchen bedient – was, wie schon erwähnt, keine Seltenheit in unseren Kreisen ist – später aber wenigstens einmal heiraten und Kinder zeugen wird, oder aber du vermachst es einem“ Er warf Alexander einen gehässigen Blick zu. „der Unzucht mit Männern betreibt.“ Caroline und die Madame von Pannwitz seufzten erschrocken auf, letztere am lautesten, was Ferdinand gleich als Ansporn nahm, sich ihr zuzuwenden. „Ja, Madame, schrecklich, nicht?“, meinte er, „Und mit solch einem wollten Sie Ihre Tochter verheiraten. Aber keine Angst“ Er schenkte ihr ein diabolisches Grinsen. „Sie können sich trotzdem glücklich schätzen, dass wenigstens einer Ihrer Brut das Bett mit dem jungen Herrn Baron teilen darf – das Bett oder wo auch sonst immer Sie es mit sich machen lassen, Herr von Kleist!“ Alexander fühlte, wie ihm das Herz nun vollkommen seinen Dienst versagte. Verzweifelt sah er seinen Heinrich an, auf den jetzt alle Blicke gerichtet waren, und der zu zittern begann, während heiße Tränen seine knallroten Wangen herunterliefen. „Heinrich, du - !“ Alexander hörte nicht, was die Madame von sich gab, viel zu sehr waren seine Sinne vom Hass getrübt, den er Ferdinand gegenüber verspürte. „Immer noch besser, als mit dem eigenen Dienstpersonal Bastarde in die Welt zu setzen, die ohne einen Vater aufwachsen müssen!“, schrie er. „Du gibst es also zu?!“, konterte sein Gegenüber. Alexander trat hinüber zu Heinrich, der sofort nach seinem Arm griff, und blickte Ferdinand trotzig an. „Lass Heinrich aus der Sache, aber was mich betrifft, so geb ich’s gerne zu!“ Caroline schrie auf. „Nur um neben den Frauen auch ein Recht darauf zu haben, dich als hässlich und unausstehlichsten Mann überhaupt beurteilen zu können!“ „Mutter!“ Erschrocken blickten sie alle zu Wilhelm, der die Baronesse auffing, die soeben in Ohnmacht gefallen war. „Mama!“ „Mamsell, holen Sie einen Arzt!“ Die einzige, die nicht sofort mit voller Aufmerksamkeit bei der ohnmächtigen Hausherrin war, war die Madame. Mit hassverzerrtem Gesicht wandte sie sich an Heinrich und riss ihn grob von Alexander weg. „Du gottverdammter Bengel! Wie kannst du es wagen, deiner Cousine den Mann zu verderben, Satansbraten! Wenn das dein Onkel erfährt, dann knüpft er dich an der Zimmerdecke auf!“ Mit einem festen Griff entfernte Alexander ihre Hände von Heinrichs Kragen und funkelte sie hitzig an. „Heinrich hat niemanden verdorben! Er hat vor mir keinen einzigen Mann angerührt!“ „Alexander!“, fuhr ihn Wilhelm an, verzweifelt darüber, wem er nun seine Aufmerksamkeit schenken sollte, „So redet man nicht mit– “ „Mit einer alten Hexe, die die bodenlose Frechheit besitzt, ihre Tochter wie eine Eintrittskarte in die höheren Kreise von irgendwelchen Männern zerreißen zu lassen?!?“ „Alexander…!“, entfuhr es Caroline flehentlich, und alle hofften wohl inständig, die Madame würde ihm dafür keine Ohrfeige geben, denn sie wussten: Alexander hätte zurückgeschlagen. Stattdessen machte sie jedoch nur auf dem Absatz kehrt. „Dorothea, komm, wir gehen. Heinrich!“ Ihr Neffe rührte sich nicht. Ängstlich zitternd flüchtete er sich in Alexanders Arme. Die Madame funkelte sie beide mit einem hinterhältigen Lächeln an. „Oh, wie die Presse sich über diese Schlagzeile freuen wird… Sie wird aber leider, leider – so nett man hier auch zu uns war – die ganze Familie von Humboldt in Ungnade stürzen…“ Heinrich wischte sich mit dem Ärmel hastig über die Augen und machte sich von Alexander los. „Heinrich.“, beschwor ihn dieser und fasste nach seinen Händen, doch mit einem verzweifelten Kopfschütteln entfernte sich sein Geliebter, und die wunderbaren Hände entglitten ihm. Bevor Alexander zusammenbrach, hörte er noch, wie endlich der Arzt eintraf und Ferdinand zu einem höhnischen Lachen anhob. Er war zu erschöpft, ihm dafür ein paar Zähne auszuschlagen. ---------------------- So, ich hoffe bei euch ist keiner in Ohnmacht gefallen, aber ein bisschen schocken wollte ich euch schon ;) Kapitel 33: XXXIII ------------------ Alexander hatte lange gebraucht, um zu erkennen, dass es nicht seine Schuld gewesen war. Vorgestern war seine Mutter in Ohnmacht gefallen und seit dem noch nicht wieder aus dem Bett gestiegen, in das sie gebracht worden war. Der Arzt hatte keinen Infarkt festgestellt, jedoch ihren Tod noch vor nächstem Sonnabend fast für sicher vorhergesagt. Seit vorgestern waren es nur noch Alexander, sein Bruder und dessen Frau und Tochter, die sich im schweigenden Schloss bei Frühstück, Mittag- und Abendessen sahen, und nur Caroline sprach ab und zu; wenn keiner antwortete, mit ihrer Tochter. Auch den Bediensteten sah man die Angst und Besorgnis an; die Mamsell musste sogar, wie Robert berichtete, von Rousseau überzeugt werden, nicht zu gehen, sie habe alles richtig gemacht, die Angelegenheit mit Ida hatte der Baronesse mitgeteilt werden müssen, daran hatte kein Weg vorbeigeführt. Es sei ja viel mehr das Geständnis des jungen Barons gewesen, das sie derart geschockt hatte. „Zerreißt man sich da unten schon das Maul über mich, ja?“ Robert lächelte seinen Herrn an. „Nein“, antwortete er, „Die Mädchen sind etwas enttäuscht, die Köchin ein wenig entsetzt, dass es so etwas doch tatsächlich gibt, aber niemand verliert ein schlechtes Wort über Ihre Person – auch nicht in meiner Abwesenheit, wie ich von Ludwig auf Nachfrage erfahren habe. Nur Richard…“ Alexander winkte ab. „Aber das versteht sich ja von selbst.“, merkte Robert an. Ja, Robert. Ihm war es zu verdanken, dass Alexander heute endlich erkannt hatte, dass er nicht Schuld am Anfall seiner Mutter war. Es hatte viel Überzeugungsarbeit gebraucht, doch mittlerweile war er zur Einsicht gekommen, dass wenn er eine Mitschuld trug, Ferdinand durch seine Eskapade mit Ida genauso schuldig war. Und der hatte sich aus dem Staub gemacht, anscheinend bester Zuversicht, dass er das Gut erben würde. Alexander war das Gut momentan so egal, wie der nächste Diplomatenball, nur dass seine Mutter enttäuscht von ihm war, das wollte er auf keinen Fall. Deshalb rang er sich auch dazu durch, gleich nach dem Frühstück zu ihr zu gehen. Er war aufgeregt. Hatte Angst vor ihrem Urteil, ihrer Ablehnung. Trotzdem trat er in ihr Schlafgemach, nachdem ihm auf sein Klopfen hin Margarethe geöffnet und den Raum verlassen hatte. Seine Mutter lag in eine dicke Decke eingepackt im großen Bett, in dem sie nun schon zweiundzwanzig Jahre alleine schlafen musste. Ihre Haut war fahl, ihre Augen geschlossen. Die Kammerzofe hatte Wilhelm berichtet, dass sie sich schwertat beim Essen und Trinken; man sah es ihr an. Alexander setzte sich zu ihr aufs Bett. Er wusste nicht, ob er ihre Hand nehmen durfte, oder ob sie sich nicht zu sehr vor ihm ekelte. Nervös lauschte er ihrem flachen Atem. „…Mama?“ Sie blinzelte schwach. „Alexander.“, brachte sie heraus. „Ja, ich…ich bin es.“, fing er reumütig an, „Ich bin gekommen, um mich bei dir zu entschuldigen.“ „Entschuldigen?“, wiederholte sie. Er presste sich eine zitternde Hand auf den Mund. Sie sollte ihn nicht hassen! Er begann zu weinen. Sie sagte nichts mehr. Irgendwann hielt er es nicht mehr aus und ging. Den Tag über wusste er nichts mit sich anzufangen, die Nacht über schlief er schlecht. Nicht einmal an den See wollte er am nächsten Tag gehen, nur einen Brief an Heinrich fing er an, den er am Ende zerknüllte und verbrannte. Am Abend ging er noch einmal zu seiner Mutter. Diesmal war es Wilhelm, der ihm die Tür öffnete. Das erste Mal seit dem schrecklichen Morgen, dass die beiden Brüder sich alleine begegneten. „Oh, du… - Ich wollte nicht stören.“, begann Alexander unbeholfen und vermied es, dem Älteren in die Augen zu sehen. „Nicht schlimm. Ich wollte sowieso gerade gehen.“ Alexander nickte hastig. Er nahm Wilhelm den Türgriff ab, dann wollte er ihn doch nicht gehen lassen. „Wilhelm.“ Zögerlich sah der junge Baron zu seinem Bruder auf, der sich noch einmal zu ihm herumgedreht hatte. „I-ich…Ich danke dir, dass du mich noch nicht rausgeworfen hast.“ Wilhelm blickte einige Sekunden verwirrt drein, dann entwich ihm ein „Alex…!“, und der Jüngere erschrak, als er ihn an den Armen packte. Eindringlich sah Wilhelm ihm in die Augen. „Alexander, du bist mein Bruder. Und kein Verbrecher.“ Alexander war zuerst erstaunt, dann nickte erleichtert. „Danke.“ Wilhelm schenkte ihm ein kleines Lächeln, bevor er ging. Daraufhin sah sich der junge Baron wieder mit seinen Sorgen alleingelassen. Mit klopfendem Herzen betrat er das Schlafgemach seiner Mutter. Diese lag immer noch in ihrem Bett, als hätte er sie gerade so am letzten Morgen verlassen. Wieder nahm er bei ihr auf dem Bett Platz. Dieses Mal hatte er schon fast nach ihrer Hand gegriffen; im letzten Moment entschloss er sich dagegen und legte sie sich in den Schoß. „Mama, ich bin es nochmal.“ Sie öffnete schwer ihre Lider und blickte ihn aus dem Augenwinkel heraus an. „Alexander.“, sagte sie wieder. „Ja, Mama, ich…“ Er schluckte. „Es tut mir Leid, dass ich gestern einfach so gegangen bin, aber…ich hab Angst davor, du könntest mich hassen.“ Er merkte, wie sie sich ein wenig mehr zu ihm herumdrehen wollte. „Nein! Bitte…ich hab genug angerichtet, bleib liegen, ich – “ Ihm liefen erneut die Tränen die Wangen hinab. „Ich entschuldige mich tausendmal, Mama, tausendmal würde ich mich bei dir gerne entschuldigen, aber das Schreckliche ist…! Ich kann nicht anders! Ich – ich kann mich doch zu nichts zwingen, Mama, ich bin so eben, ich habe eben diesen Fehler! I-ich werde nie eine Frau heiraten können, nicht mal Dorothea, das kann ich nicht, ich bin – “ Er brach ab, als er ihre kalte Hand auf seiner spürte, wie sie sie schwach umschloss. „Mama…“, schluchzte er, „Ich will von dir nicht im Erbe bedacht werden, aber vergib mir bitte! Vergib mir!“ Sie neigte ihren Kopf doch ein wenig mehr zu ihm. „Was soll ich dir vergeben?“, sagte sie mit leiser Stimme. „Ich habe dich nie mit etwas beschuldigt.“ Alexander kamen die Freudetränen. „Ich würde mir wünschen“, redete sie weiter, „dass auch du trotz der Ansprüche der Gesellschaft glücklich werden kannst, frei sein kannst, mein Junge.“ Sie lächelte ihn an. „Ich will nur das Beste für dich, Alexander.“ Er küsste ihre Hand. Küsste sie tausendmal. „Danke, Mama, danke, dass du mich nicht hasst, ich danke dir, Mama, danke…“ Als er sich beruhigt hatte, schloss sie mit einem Lächeln auf den Lippen die Augen. „Ich habe Margarethe heute Mittag nach dem Notar geschickt. Bist du so lieb und schaust nach, ob er mittlerweile eingetroffen ist?“ Alexander legte ihre Hand sanft auf dem Bett ab und wischte sich mit seinem Ärmel die Tränen aus dem Gesicht. „Ja, Mama, das mach ich.“ Von ihr kam ein fast unscheinbares Nicken. Er stand unbeholfen auf. „Bis…bis bald.“, sagte er. Der Notar wartete tatsächlich schon unten im Salon. Wilhelm hatte ihm einen Tee bringen lassen; er war im Grunde ein alter Bekannter der Familie. „Ich…ich komme soeben von Mutter.“, fing Alexander an, „Sie wäre dann bereit, Sie zu empfangen.“ Sofort sprang der nun auch schon ergraute Mann auf. „Jawohl.“, ließ er vernehmen, reichte Wilhelm, bei dem er sich für den Tee bedankte, und Alexander die Hand, bevor er den Raum verließ. Der junge Baron nahm schweigend neben seinem Bruder Platz. Dieser reichte ihm die Teekanne. Er winkte dankend ab. „Was hat sie gesagt?“, wollte Wilhelm wissen. Alexander musste lächeln. „Sie hasst mich nicht.“ Der Ältere klopfte ihm auf die Schulter und ließ seine Hand dort liegen. „Wieso sollte sie.“ Alexander nahm an, es handelte sich hierbei um eine rhetorische Frage. Er lehnte sich seufzend aufs Kanapee zurück. „Du bekommst das Schloss.“ „Ich weiß.“, entgegnete Wilhelm. „Du bekommst sicherlich das Gut.“ Alexander lachte bitter auf. „Sicherlich.“, wiederholte er, nicht ganz ernst gemeint, bevor er den Kopf in seine Hände sinken ließ. „Und ich Depp hab es Heinrich versprochen…!“ Wilhelm sagte daraufhin nichts mehr, sondern fuhr ihm nur gutmütig über den Rücken. Die Nacht über hatte Alexander wieder schlecht geschlafen. Er wunderte sich fast, warum, denn der Urteilsspruch seiner Mutter war doch zu seinen Gunsten ausgefallen, und dass sie in den nächsten Tagen sterben würde, das wusste er nun schon lange genug. Aber es war vielleicht die Ungewissheit, was seinen Heinrich anging. Die Ungewissheit, wann – ob er ihn wiedersehen würde, ob es ihm gut ging; sicherlich waren seine Tante und sein Onkel nicht so gnädig mit ihm, wie mit ihm seine Mutter. – Gott, er wollte gar nicht daran denken, was dem Armen - ! Unbedingt musste er ihm heute schreiben. Qualvoll stieg er aus dem Bett und rief nach Robert. Beim Frühstück berichtete Wilhelm dann, er sei schon bei der Baronesse gewesen und habe nun nach dem Arzt geschickt. Alexander setzte diese Nachricht so zu, dass er keinen Bissen herunterbekam, und es waren noch nicht alle fertig mit dem Essen, da erhob er sich schon. „Ich bin bei Mama.“, sagte er geistesabwesend und verließ den Raum. Sie hatte die Augen geschlossen, und für einen furchtbaren Moment dachte Alexander, er käme zu spät, aber dann bemerkte er, wie sich die Decke über ihr leicht hob und senkte. Er wischte sich eine Träne aus dem Auge, bevor er sich zu ihr ans Bett kniete und ihre Hand nahm. Sie fühlte sich beängstigend kalt an. „Mama…?“, flüsterte er, fuhr ihr mit dem Daumen über die Handfläche. Es dauerte eine Weile, bis sie ihre Augen öffnete, nur einen Spalt, und ihren Kopf ein wenig zu ihm drehte. „A…Alexander…?“ „Ja.“, sagte er und hatte mit sich zu kämpfen, nicht in Tränen auszubrechen. Ganz leicht zogen sich ihre Mundwinkel nach oben, als sie ihren Kopf wieder ins Kissen sinken ließ und die Augen schloss. „Bist du gekommen, mich zu holen, mein Alexander…“ „Nein!“, wollte er rufen, aber er tat es nicht, sondern sah nur zu, wie ihre Hand in seiner langsam erschlaffte. Er ließ sie nicht los. Schluchzend presste er sein Gesicht auf die Matratze. Ihr Herz. Der Doktor hatte gesagt, es würde irgendwann aufhören zu schlagen, da es neben dem wachsenden Tumor keinen Platz mehr in ihrer Brust hatte. Früher hätte Alexander ihm nicht geglaubt, da er das Herz seiner Mutter für nicht sonderlich groß gehalten hatte, und jetzt, jetzt glaubte er ihm auch nicht, denn es war nicht der Krebs, der in den letzten Wochen gewachsen war, es war ihr Herz. „Sie ist tot!“, rief er, als er keinen Puls mehr spürte, ohne sich zu erheben, ohne aufzuhören ihre Hand in seiner fast zu erdrücken. Wilhelm stürmte als erster in den Raum. Alexander spürte seine Hand an seinem Hinterkopf, wie er ihm beruhigend über den Kopf fuhr, während er ihm – oder sich selbst – gut zusprach. Der Arzt befreite ihre Hand aus seiner, um selbst noch einmal nach ihrem Befinden zu sehen, aber es war eindeutig: Sie war tot. ---------- Traurig...ich weiß :´( (Naja, ich HOFFE jedenfalls, dass die Worte dieses Gefühl ein wenig transportiert haben^^) Kapitel 34: XXXIV ----------------- Soviel wie Alexander an diesem und den letzten Tagen geweint hatte, so viele Tränen hatte er in seiner gesamten Kindheit nicht vergossen. Seine Mutter hätte ihm da sicher widersprochen, aber – ach!, sie war es doch, die er beweinte! Ihr Grab war es doch, das er nicht verlassen wollte, ihre sterblichen Überreste, in diesem Sarg, in diesem kalten Gemäuer, die er nicht alleine lassen wollte… Caroline schlang einen Arm um seine Hüfte, und er ließ sich doch tatsächlich schluchzend an sie sinken, so hilflos fühlte er sich, so alleingelassen. Heinrich hatte in den vergangenen drei Tagen nicht auf seinen Brief geantwortet; gestern Abend hatte er noch einmal an ihn geschrieben – er brauchte ihn jetzt! So dringend brauchte er ihn, jemanden, der ihn verstand, der ihn liebte, der sich ihm annehmen würde… „Komm.“, sagte Caroline leise, und er ließ sich von ihr aus der Familiengruft führen. Gemeinsam gingen sie den Trauernden hinterher, alle in Schwarz – es stand seiner Schwägerin und auch seiner Mutter hatte es gestanden, ihm selbst, wie er behaupten darf, jedoch nicht; er hasste es. Genauso wie er Ferdinand hasste. Diese Ausgeburt der Hölle war heute natürlich zur Beerdigung erschienen, mit neuer Kutsche, persönlichem Chauffeur und Koffern, die darauf hindeuteten, dass er vorhatte, mindestens bis zur Testamentsverkündigung zu bleiben. Ein Schmarotzer! Alexander hätte ihn schlagen können, würgen, zerreißen…! „Ruhig.“, kam es von Caroline. So viel Einfühlungsvermögen hätte er ihr gar nicht zugetraut. Alexander hasste das Wort »Leichenschmaus«. Es klang zu fröhlich für das Essen nach einer Beerdigung. Jedenfalls für die Beerdigung seiner Mutter. Er kam sich wie ein kleines Kind vor, musste sich beherrschen, nicht weiter zu weinen. Dass er nichts aß würde man ihm verzeihen können, aber er sollte wirklich aufhören zu weinen. Wilhelm hingegen hatte heute noch keine einzige Träne vergossen. Er war unglaublich gefasst gewesen, hatte die Beileidsbekundungen mit einem höflichen Nicken angenommen, dem Pfarrer gedankt, das Essen zusammen mit Rousseau organisiert… Alexander bewunderte ihn. Ferdinand hingegen benahm sich unaussprechlich. Er schlemmte wie ein mittelalterlicher König, zu dessen Ehren man gerade eine Sau geschlachtet hatte, stürzte den guten Wein wie Wasser hinunter, und musste für all das keinen Taler bezahlen. Was dieser Mann sich erlaubte, erlaubt hatte – schon deswegen hätte ihn seine Mutter enterben sollen, verstoßen! Aber sie war eben eine Person gewesen, die niemals den Konflikt gesucht, die es beherrscht hatte, wie niemand sonst, um des Anstandes Willen gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Und nun folgte ihr Wilhelm in dieser Kunst, ließ die verwunderten Blicke der Gäste, die anscheinend Anstoß am Betragen seines Halbbruders gefunden hatten – was ihnen wahrlich nicht zu verübeln war – wie Öl an sich abperlen. Alexander bewunderte ihn. Die Gäste blieben bis kurz nach Drei und verabschiedeten sich in stets großer Trauer. Diejenigen, die auch auf der Gartenfeier zugegen gewesen waren, hatte der Tod der Baronesse wohl noch am ehesten ernsthaft zugesetzt, denn einen Menschen einen Tag vor seinem Ableben noch so munter erlebt zu haben und sein Gast gewesen zu sein, berührte einen doch schon. Wer schließlich noch immer an der Tafel saß und sein letztes Glas Wein genoss, war Ferdinand. Alexander wäre ja schon längst aufgestanden und auf sein Zimmer verschwunden, doch wollte er es Wilhelm und seiner Schwägerin nicht zumuten, das Ungeziefer alleine vors Schlosstor befördern zu müssen. „Ferdinand, wir würden dann gerne ein wenig für uns sein.“, fing Caroline an, in einem viel zu netten Ton, als dass ihre Bitte Wirkung zeigen würde. „Aber, aber“, entgegnete der Angesprochene mit einem genüsslichen Grinsen, „Wir sind doch für uns.“ Alexander schnaubte. Ferdinand lehnte sich in seinem Stuhl zurück und blickte ihn abschätzig an. „Mich wundert’s, dass ihr den Päderasten noch hierbehaltet.“ „Noch eine solche Bemerkung und du gehst!“, fuhr Wilhelm dazwischen, bevor Alexander antworten konnte. „Jaja, ist ja gut.“, beteuerte Ferdinand, „Immer mit der Ruhe. Ich verschwinde ja gleich nach oben, meine Koffer auspacken, nur dachte ich mir, es interessiert euch noch, dass die Madame von Pannwitz ihre Anteilname schickt.“ „Wie?“, „Wem?“, kam es von Alexander und Wilhelm gleichzeitig. „Mir.“, antwortete Ferdinand mit einem Grinsen und erhob sich, „Per Post. Und sie entschuldigt sich tausendmal für ihre Drohung mit der Presse, das habe sie nur gemacht, da ihr doch so viel am Wohl ihres Neffen liegt.“ Alexander schnaubte verächtlich. „Ach, ja.“, begann Ferdinand und wandte sich ihm noch einmal zu, „Und sie lässt dir ausrichten, Bruderherz, dass du es bitte unterlassen sollst, ihm zu schreiben, es kommt ja doch kein Brief bei ihm an.“ Sämtliches Porzellan klirrte, als Alexander auf den Tisch schlug. „Diese verdammte…!“ Wilhelm legte ihm eine Hand in den Nacken, was ihn ein wenig zähmte. Ferdinand griff höchstzufrieden nach seinem edlen Stock, den er an den Tisch gelehnt hatte, und ließ ihn neben sich durch die Luft kreisen. „Ich freue mich schon auf die Testamentseröffnung.“, flötete er, während er guter Dinge aus dem Raum stolzierte. Alexander hatte schon Angst vor sich gehabt, angesichts dieses tief empfundenen Hasses, doch als er sah, dass sogar Caroline ihre Hände zu Fäusten geballt hatte, fühlte er sich nur in seinem Gefühl bestätigt. Robert hatte fest daran geglaubt, dass die Beisetzung der Baronesse den jungen Baron von seiner schrecklichen Trauer und Niedergeschlagenheit heilen würde. Begräbnisse hatten seiner Erfahrung nach stets eine reinigende Wirkung. Die Tränen, die man vergoss, schwemmten die Trauer und den Gram hinaus, und nun konnten die aufgerissenen Wunden nach dieser Reinigung wieder heilen. Doch bei seinem Herrn hatte der heutige Tag anscheinend nicht das gewünschte Ergebnis erzielt. Ganze zehn Minuten saß Alexander an seinem Schreibtisch – er hatte sich von Robert einige Geschmacksproben bringen lassen – dann fing sein Körper wieder an, unter Tränen zu beben. „Nicht doch…“, sagte der Kammerdiener sanft und lief sofort zu ihm hinüber, um ihm beruhigend über den Rücken zu fahren, „Alexander.“ Alexander vergrub schluchzend seinen Kopf in seinen Armen. „Sie hat meine Briefe an Heinrich vernichtet!“ Roberts Augen weiteten sich. „Die…die Madame?“, fragte er. „Ja!“, kam es vom Baron, „Ich kann ihm nicht mehr schreiben! Entführen muss ich ihn – aber wohin?!“ Verzweifelt sah er zu seinem Diener auf. „Ich habe doch nichts! Wenn Mama mir nicht das Gut vermacht hat, dann habe ich nichts!“ Robert wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Deshalb beugte er sich nur zu seinem Herrn herab und schloss ihn fest in die Arme. Sofort krallte sich Alexander haltsuchend in seinem schwarzen Frack fest. In der Nacht hielt er es nicht in seinem Bett aus. Er zog sich seine Hose und ein Hemd über und auf leisen Sohlen schlich er hinüber in den Ostflügel, wo das Schlaf- und nun Sterbezimmer seiner Mutter lag. Dorthin ging er, setzte sich auf das kalte, leere Bett, und weinte. Weinte. Er schrak zusammen, als sich irgendwann die Tür öffnete. „Wil- “ Seine Stimme verweigerte ihren Dienst. „Oh, entschuldige.“, kam es von Wilhelm, der noch in der Tür stand. Alexander wischte sich mit dem Handrücken die Tränen aus den Augen. „Schon gut.“, murmelte er. Zögerlich betrat sein Bruder also doch das Zimmer und nahm neben ihm auf dem Bett Platz. Beide saßen sie stumm nebeneinander und blickten an die bilderlose Wand. Dem jüngeren Baron gelang es nicht, die Tränen zu unterdrücken, und nicht lange dauerte es, bis sein Körper wieder bebte. „Wie schaffst du das nur, Wilhelm?“, flüsterte er verzweifelt, „Schon den ganzen Tag bist du so gefasst und…hast alles organisiert und…“ Alexander hielt inne, als er meinte zu hören, wie der andere die Nase hochzog. Als er sich seinem Bruder zuwandte, musste er sehen, wie diesem die Tränen über die Wangen liefen. „Einer muss das ganze ja in die Hand nehmen, jetzt wo Mama nicht mehr da ist…“, entgegnete Wilhelm mit einem traurigen Lächeln, „Und Ferdinand wollte ich’s ehrlichgesagt nicht überlassen.“ Alexander wusste nicht, was er tat, aber in diesem Moment musste er seinen Bruder einfach packen, sich ihm an die Brust werfen, mochte er auch noch so laut schluchzen. Wilhelm umfasste seinen bebenden Körper; Alexander spürte, wie sich seine Hände in sein Hemd krallten, wie auch der Ältere von ihnen unter den Tränen zu zittern begann. Weinend lagen sie sich in den Armen, wie es das letzte Mal geschehen, als sie drei und fünf Jahre gewesen waren und ihnen Belcastel davongelaufen war. Am Morgen wachte Alexander in den Armen seines Bruders auf. Durch seine unbeholfenen Bewegungen weckte er den Älteren, der ihn trostvoll anlächelte. „Wir schaffen das schon.“, sagte Wilhelm leise und fuhr Alexander sanft über die Wange. Dieser wusste nicht ganz, was der andere damit genau meinte, aber es klang gut. Er nickte. Wilhelm erhob sich langsam vom Bett ihrer Mutter und hielt ihm eine Hand entgegen, an der er ihn hochzog. In dem Moment sprang die Tür auf und eine hysterische Caroline stürzte herein. „Wilhelm!“, versetzte sie, wobei ihr die Erleichterung ins Gesicht geschrieben war, „Gott, hier bist du!“ Sie fiel ihm um den Hals. „Weiß du, was für einen Schrecken ich bekommen habe, als ich aufwachte, und deine Bettseite war leer?!“ „Entschuldige.“, sagte er und gab ihr einen versöhnlichen Kuss. Alexander musste lächeln. Sie würden es schon schaffen. All seine Hoffnungen zersprangen wie eine Glaskapillare, die auf Marmorboden aufschlägt, als Ferdinand noch am Nachmittag des selben Tages von seinem Ausflug in die Stadt zurückkam und verkündete, er habe Neuigkeiten vom Notar. Im Salon, wo das Ehepaar von Humboldt gerade zum Tee beisammen gesessen war, ließ er sich neben Caroline und ihre Tochter aufs Kanapee nieder und schlug seine Beine übereinander. Er sah viel zu siegessicher aus. „Du weißt schon, was im Testament steht?!“, griff ihn Alexander gleich an, der von Robert soeben herbeigeholt worden war, „Das ist nicht möglich!“ „Nun…“, begann Ferdinand, „Es wäre sicherlich nicht möglich, wenn unser Herr Notar seine Testamentsschriften nicht von einer äußerst redefreudigen jungen Dame ins Reine übertragen lassen würde.“ „Du verdammter…!“ „Alexander.“, bat Wilhelm den jungen Baron um Fassung, die dieser gerade so noch bewahren konnte, da ihm Robert kurz eine Hand auf die Schulter legte. „Und was hast du also erfahren?“, wollte Wilhelm, der sich nicht wieder gesetzt hatte, von ihrem Gast wissen. „Dass du“, begann Ferdinand, „leider, leider – ich muss mich geschlagen geben – das Schloss erbst.“ „Das sind keine Neuigkeiten.“, entgegnete Wilhelm trocken. „So?“, kam es von Ferdinand übertrieben erstaunt, „Für mich schon. Nun, dann eben zum zweiten Punkt.“ Er sah grinsend hinüber zu Alexander. „Ich erbe das Gut.“ Alexanders Augen weiteten sich. „Das…“ Er ballte die Fäuste. „Das stimmt nicht!“ Ferdinand erhob sich. Man sah ihm deutlich an, wie er sich darüber freute, dem anderen mit seinen Worten den Boden unter den Füßen wegzureißen. „Doch, du wirst es früh genug noch selbst erfahren.“ „Dir?!?“ Alexander schrie so laut, dass Caroline ihrer Tochter die Ohren zuhalten musste. „Dir hat sie das Gut vermacht?? Demjenigen, der die Dreistigkeit in Person ist, der wie ein Schmarotzer nur immer das Beste für sich selbst herausholen will?! Demjenigen, der ein junges Mädchen für immer unglücklich gemacht hat, nur weil er seine Triebe nicht unter Kontrolle hat?!?“ Ferdinand lachte auf. „Ich will gar nicht wissen, wie viele Knaben du unglücklich gemacht hast.“ Robert musste seinen Herrn zurückhalten, der sich auf den anderen stürzen wollte. „Sie haben Geld bekommen!“, rief Alexander, „Genügend! Und sie müssen kein Kind von mir austragen! – Aber was rechtfertige ich mich hier, du bist tausendmal schrecklicher! Du saßt an Mutters Totenbett!, seit du hier aufgetaucht bist, hast du auf ihren Tod gelungert! Und sie hat es gesehen! Mutter wusste, dass du nur gekommen warst, um ihr beim Sterben zuzusehen! – und so einem vermacht sie ihr Gut?!?“ Ferdinand schenkte ihm ein überlegenes Grinsen. „Tja.“, begann er, sich den obersten Knopf seines Rocks reibend, „Unsere sogenannte Mama war eben doch nicht die Schlauste.“ Da konnte Robert den jungen Baron nicht mehr halten; Alexander stürzte sich auf Ferdinand und schlug ihm so heftig ins Gesicht, dass dieser zu Boden ging. Geschockt und derartig sprachlos, wie ihn alle noch nie erlebt hatten, starrte der Älteste der Brüder mit blutender Nase und aufgeplatzter Unterlippe zu ihnen auf. Fast schon hilfesuchend huschte sein Blick zu Wilhelm. Schwer schnaufend drehte sich auch Alexander zu ihm um. Der neue Herr des Schlosses bedachte ihn jedoch nur mit einem undefinierbaren Blick. War das ein Lächeln? „Erwarte nicht, dass ich dich jetzt zurechtweise, Alexander“, fing Wilhelm langsam an, „Mutter wird es mir verzeihen, wenn ich dich stattdessen für diese wahrhaft überfällige Aktion beglückwünsche.“ Ferdinand war einen Moment geschockt. Als sich Alexander ihm wieder zuwandte, ein unberechenbares Funkeln in den Augen, rappelte er sich schnell auf. „Wenn die Nase gebrochen ist, rechne mit einer Klage auf Schmerzensgeld!“, drohte er, während er sich seinen Weg zur Tür bahnte, wie ein Mensch, der ein wildes Raubtier nicht zu sehr reizen wollte, „Und wenn das alles ist, mit dem ich dich vor der Öffentlichkeit belasten werde, dann kannst du dich glücklich schätzen!“ „Du kannst dich glücklich schätzen, dass ich dir nicht den Hals breche, Kanaille!“, rief ihm Alexander hinterher. „Und wenn wir kein Vaterschaftsgeld für unser Dienstmädchen einfordern.“, setzte Wilhelm nach. Ferdinand drehte sich in der Tür noch einmal um. Hass brannte in seinem Blick, und tiefste Verbitterung. „Richard!“, rief er, als er die Treppen hinunterrannte, „Meine Koffer! Ich will so schnell wie möglich diesen verdammten Ort verlassen!“ Dann waren nur noch die Schritte des Dieners unten in der großen Halle zu hören, während im Salon Stille eingekehrt war. Alexanders Atem ging noch schwer. Seine wachsende Verzweiflung über das eben Erfahrene wollte ihn nicht zur Ruhe kommen lassen. Wilhelm trat auf ihn zu und legte ihm eine Hand an den Rücken. Alexander konnte jedoch momentan auf Mitleidsbekundungen jeder Art verzichten. „Robert, lass mir ein Pferd satteln!“ „Äh – J-jawohl, mein Herr.“ „Nein, warte, ich komme gleich mit.“ „Alexander, wohin - ?!“ Der junge Baron schüttelte die Hand seines Bruders ab. „Heinrich unser Ende verkünden.“ Der Wind sauste an Alexanders Ohren vorbei. Das Gepolter der Hufe auf dem Feldweg wurde zu einem monotonen Herzschlag, der keinen Besitzer kannte. Alexanders Herz schlug ohne Zweifel genauso schnell. Die Post hatte ihm sagen können, welcher Weg zum Gut der von Pannwitz führte. Er hätte ihn für herrlich erklärt, hätte er Zeit gehabt, die Natur zu betrachten. Das Wäldchen hatte er schon längst hinter sich gelassen, die Felder nahmen so langsam auch ihr Ende, als er sein Ziel erblickte: Es war kein sehr großes, aber doch stattliches Haus mit Hof und Scheune und für die Verhältnisse großem Garten. Alexander galoppierte vorbei; er wusste, dass er dort nicht eingelassen würde, auch wenn er nur gekommen war, Heinrich zu verkünden, dass sie keine Zukunft mehr hatten. Also hielt er das Pferd erst vor dem nächsten, ans Grundstück angrenzenden Wäldchen an. Er stieg aus dem Sattel und führte es mit sich ein Stück in den Wald hinein. Als er das Rauschen eines Gewässers vernahm, band er das Pferd an einem Baum fest und ging alleine weiter. Tatsächlich entdeckte er einen kleinen Bach, den Heinrich in seinem Brief wohl als das »bescheidene Gewässer« bezeichnet hatte, und als er näher kam, erblickte er seinen Geliebten. In Uniform saß Heinrich am Wasser, zu einem Knäuel zusammengesunken, und weinte. „Heinrich.“, rief ihn Alexander, „Mein Heinrich.“ Der junge Leutnant zuckte zusammen und sah erschrocken zu ihm auf. Er konnte seinen Augen nicht trauen. „A…Alexander….!“ Mit solch einem lebhaft freudigen Gesicht sprang er auf, dass es Alexander innerlich schmerzte, ihn sogleich derartig enttäuschen zu müssen. Doch der junge Mann sprang über den Bach, sodass seine Stiefel ganz nass wurden, und fiel ihm in die Arme. „Alexander…mein Alexander…Wie schrecklich hab ich dich vermisst, wie verzweifelt ich war…!“ Alexander unterbrach ihn, indem er ihn am Kopf fasste und das linke, blutunterlaufene Auge anstarrte. „W-wer…?!?“ Heinrich senkte den Kopf. „Sie hat es meinem Onkel erzählt. Zur Strafe muss ich wieder in die Armee.“ Alexander stiegen die Tränen in die Augen und er drückte seinen Geliebten ganz fest an sich. „Heinrich…Oh, Heinrich…“ „W-was ist? Was ist, mein Liebster? Wieso weinst du?! Nicht weinen, mein Alexander, nicht…“ Ihm kamen selbst die Tränen. Es bedurfte nun nicht mehr als eines Satzes, „Ferdinand weiß vom Notar, dass er das Gut erbt.“, und sie brachen beide eng umschlungen und schluchzend auf dem Waldboden zusammen. „Es tut mir so Leid, Heinrich…Ich hatte es dir doch versprochen, es hätte doch uns gehören sollen, uns…“ Heinrich zog die Nase hoch. Seinen Alexander so zu sehen, schmerzte ihn. Mit großer Beherrschung richtete er sich etwas auf und fuhr ihm sanft durch die Haare, über die Wange. „Weine nicht, mein Alexander, bitte. Es wird alles in Ordnung gehen. Alles. Wir lieben uns, das wird reichen.“ „Wir können uns aber nicht von unserer Liebe ernähren…!“, jammerte der Ältere und warf sich ihm an die Brust. Heinrich streichelte ihm über den Rücken, küsste ihm die Haare. „Von der Liebe deiner Mutter zu dir schon.“ „A-aber…!“ „Ich weiß, sie hat Ferdinand angeblich das Gut vermacht, aber…Sie hat es doch gesagt: Sie hat dir doch gesagt, dass sie dich viel mehr liebt als ihn! Wieso sollte sie dich also leer ausgehenlassen, hm?“ „Weil ich sie enttäuscht habe!“ „Wenn sie dich wirklich so sehr geliebt hat, dann kannst du sie nicht enttäuschen. Sicher nicht. Wann ist die Testamentseröffnung?“ „Diesen Montag.“, brachte Alexander heraus. „Siehst du“, flüsterte Heinrich, „Die warten wir ab. Am Montag warte ich wieder hier am Bach auf dich, und dann wird die Welt wieder glücklicher für uns aussehen, glaub mir.“ Alexander presste sich enger an die geliebte Brust. „Wie gerne will ich dir das glauben, mein Heinrich, wie gerne…“ ------------------- Ich war mir lange nicht sicher, ob ich das Kapitel zweiteilen soll, eigentlich könnte man sogar zwei Schnitte machen, aber dann wären die einzelnen Teile zu kurz geworden, befürchte ich. Naja, ich bin mir immer noch nicht sicher, aber ihr habt es dann jetzt eben als Ganzes bekommen^^ Ich hoffe, die einzelnen Schwerpunkte, die ich gelegt hab, kommen trotzdem raus^^ Und…ich muss sagen, wir nähern uns (schon) dem Ende O.o Kapitel 35: XXXV ---------------- Es war Montag. Alexander hatte Angst gehabt vor diesem Tag. Es bestand nämlich nur die geringe Hoffnung, dass Ferdinands Informationen falsch waren, denn seinem Halbbruder konnte man zwar vieles Vorwerfen, aber in solch einer brisanten Sache zu bluffen, das traute ihm der junge Baron dann doch nicht zu. Ferdinand jedenfalls erschien vor dem Büro des Notars mit breit geschwellter Brust, was Alexander schon einen Teil besagter Hoffnung nahm. Nur, dass die Unterlippe des Älteren noch blau und ein wenig geschwollen war, brachte ihm wenigstens Genugtuung. Wilhelm, der mit ihm zusammen in die Stadt gekommen war, hatte sein Bestes getan, ihn aufzumuntern. Mutter habe sich schon was für ihn einfallen lassen. Natürlich habe sie ihn nicht leerausgehen lassen. Nein, natürlich nicht. Neben des Notars war auch Offizier von Bülow anwesend, als neutraler Beobachter und langjähriger Bekannter der Madame, die ja stets zu seinen Feuerwerken gekommen war. Sicherlich wünschte er sich aber wohl Wilhelm als seinen neuen Nachbarn auf Schloss Tegel. „Sie dürfen Platz nehmen.“, bat sie der Notar, als er sich selbst hinter seinen Schreibtisch setzte, neben den er einen Stuhl für von Bülow bereitgestellt hatte. Wilhelm und Alexander nahmen nebeneinander auf zwei der vier Stühle Platz, während Ferdinand bewusst einen Platz zwischen sich und seinen Halbbrüdern frei ließ. Es war eine Weile still im Raum, nur das Rascheln des Papiers war zu hören, das der Notar aus einem Ledereinband herausholte. Er räusperte sich. „Fangen wir also an mit der Testamentsverkündigung der am neunzehnten April diesen Jahres verstorbenen Marie-Elisabeth von Humboldt, verwitwete von Hollwede, gebürtige Colomb.“ Von Bülow war der einzige, der es für nötig hielt, hier zu nicken. „Anwesend sind ihre drei Söhne: Heinrich Friedrich Ludwig Ferdinand von Hollwede, aus erster Ehe, Baron Friedrich Wilhelm Christian Carl Ferdinand von Humboldt, aus zweiter Ehe, und Baron Friedrich Wilhelm Alexander Heinrich von Humboldt, ebenfalls aus zweiter Ehe.“ Wieder nickte von Bülow. Alexander wurde immer nervöser. „Ich beginne nun, den letzten Willen Ihrer Mutter vorzulesen.“ Der Notar rückte sich seine Brille zurecht. „»Im Bewusstsein meines Todes will ich mich ein letztes Mal an meine drei Söhne wenden, denen ich viel zu verdanken habe und die ich liebe.« Alexander musste schlucken. Er merkte, wie Wilhelm sich neben ihm auf seinem Stuhl rührte. Die Worte ließen auch ihn nicht kalt. „»Ich möchte mit meinem wertvollsten Besitz, weil am wertvollsten an Erinnerungen, beginnen. Ich vermache das Schloss Tegel und das dazugehörige Gut meinem ältesten Sohn aus zweiter Ehe, Wilhelm, da ich mir sicher bin, dass er den Garten, das Gebäude und das Personal vorzüglich behandeln und weiterführen und mit seiner Familie dort vielleicht genauso wertvolle Erinnerungen sammeln wird, wie ich es mit meiner durfte.« Alexander ignorierte Ferdinands verächtliches Schnauben und wandte sich Wilhelm zu, der sich eine Träne aus dem Augenwinkel wischte. Er schenkte seinem älteren Bruder ein Lächeln, das dieser gerührt erwiderte. „»Fortfahren möchte ich mit dem Gut Falkenberg, das, zusammen mit dem Forst und den Äckern, mein Sohn aus erster Ehe, Ferdinand von Hollwede erben soll.«“ Alexander schloss die Augen. Er spürte Wilhelms Hand an seiner Schulter, hörte Ferdinand auflachen – da war es. Es stimmte also. „Was habe ich dir gesagt, mein Brüderchen?“, fing Ferdinand an, ein selbstzufriedenes Grinsen im Gesicht. „Wunderbar!“, setzte er hinzu, schlug sich auf die Oberschenkel, bevor aufsprang. „Moment, wo wollen Sie hin?“, fragte der Notar irritiert, „Wir sind noch nicht fertig.“ Alexander öffnete seine Augen wieder. – Tatsächlich? „Ahh!“, kam es von Ferdinand endlich, als wenn ihm gerade ein Licht aufgegangen wäre, „Der Hund ist ja noch übrig.“ Wilhelm warf seinem Halbbruder einen mahnenden Blick zu, während dieser wieder, leider unbeeindruckt davon, Platz nahm. Der Notar räusperte sich abermals und wandte sich erneut dem Testament zu. Alexander betete. Das erste Mal in seinem Leben wohl betete er zu Gott. Dass Heinrich Recht hatte. Dass seine Mutter ihn wirklich so sehr geliebt hatte, dass sie ihn hier jetzt nicht ins Unglück stürzen würde. „Ich würde mir wünschen, dass auch du trotz der Ansprüche der Gesellschaft glücklich werden kannst, frei sein kannst, mein Junge.“ „»Meinem jüngsten Sohn, meinem Alexander“, erhob der Notar ein weiteres Mal seine Stimme, „wünsche ich alles erdenkliche Glück im Leben, das ich jemals hatte, und vermache ihm meinen Status als Hypothekar an beiden Gütern, Tegel und Falkenberg.«“ Alexander sah den Mann irritiert an. „Hypothekar?“ Ferdinand prustete ungehalten los. Wilhelms Gesicht hingegen zierte ein zufriedenes Lächeln. „So wie du lachst, Ferdinand“, fing er an, „scheint es mir, als wüsstest du mit diesem Begriff recht wenig anzufangen.“ Während Alexander immer noch fragend und mit klopfendem Herzen in die Runde sah, verging Ferdinand das Lachen. Es hieß also etwas Gutes?!? „In der Tat würde ich mich darüber nicht so sehr freuen.“, pflichtete auch der Notar bei und zückte einen Bleistift, mit dem er irgendetwas zu notieren begann. „Ihre Mutter hat vor vielen Jahren, als sie den Herrn von Hollwede geheiratet hat, eine immense Summe in beide Güter gesteckt, da sowohl das Schloss als auch das Gut in miserablem Zustand waren, und auch die Jahre über ihr väterliches Einkommen für die Restauration und Wiederinstandsetzung der Gebäude und Anlagen investiert.“ Alexander ahnte Unglaubliches. Ferdinands entsetztem Blick zu urteilen, dieser ebenfalls. „Sie besaß also schon immer Anteile an Tegel und Falkenberg, die sie Ihren beiden Brüdern ausdrücklich nicht mitvermacht hat. Stattdessen stehen Ihnen nun diese Hypotheken zu, die Sie Ihren Brüdern gerne überschreiben, oder sich von ihnen auszahlen lassen können.“ Stille trat ein. Erwartungsvoll sah der Notar zu Alexander hinüber. „Wie…wie viel – ich meine…um was für eine Summe würde es sich da handeln?“, fragte dieser kleinlaut. Der Notar sah prüfend auf sein Blatt Papier, zog noch einen Kreis, was eine Null darstellen könnte, bevor er meinte: „Grob überschlagen achtunddreißigtausend Taler.“ Alexander sprang auf und presste sich die Hände vor den Mund, um nicht einen Freudenschrei auszustoßen. 38.000 Taler. Ihm kamen die Tränen. „Danke!“, rief er und streckte die Hände zur Decke aus. Wie gerne würde er seine Mutter jetzt umarmen und küssen. – Natürlich! Freier und glücklicher hätte sie ihn mit keinem vermachten Schloss oder Haus machen können! „Wilhelm.“, wandte Alexander sich an seinen Bruder und nahm seine Hände, „Es tut mir Leid, aber ich brauche das Geld. Gleich.“, bevor er sich zum Notar herumdrehte, „Können Sie es mir auszahlen?“ „Ich müsste erst schauen, ob wir soviel– “ „Von mir bekommst du es persönlich, ich will dem Staat nichts schulden.“, meinte Wilhelm und klopfte ihm grinsend auf den Rücken, als wäre er derjenige, der das Geld bekommen würde. „Und was ist mit Ihnen, Herr von Hollwede?“, richtete sich der Notar an Ferdinand. Dieser saß verbittert auf seinem Stuhl, die Arme vor der Brust verschränkt, und ließ auf eine Antwort warten. „Ich glaube, er verfügt nicht über die Mittel.“, erklärte Wilhelm. Der Notar nickte. „Oh, natürlich. Dann werden wir es Ihnen vorstrecken und Sie zahlen es im Laufe des Jahres einfach an uns zurück.“, meinte er. Ferdinand sprang von seinem Stuhl und trat wütend dagegen. „Womit denn?!? Mit meinem Sold als Offizier?!“ Wilhelm räusperte sich. „Nun…man könnte das Gut verkaufen…“ Nun warf der Ältere endgültig den Stuhl um. „Ihr seid die Hölle!“, versetzte er, bevor er aus dem Raum stürmte. Der Notar seufzte. „Den Stuhl muss ich ihm wohl auch noch auf die Rechnung setzen.“ Von Bülow nickte streng. Lächelnd kam der Notar auf Wilhelm und Alexander zu. „Wenn Sie mir folgen möchten, Herr Baron, das Geld lagert auf der Bank.“ „Meines auch.“, entgegnete Wilhelm und schob seinen immer noch leicht berauschten Bruder voran. Wieder hatte ihn das Pferd im Galopp zum Haus der von Pannwitz getragen, dieses Mal war es aber nicht der Schmerz oder die Verzweiflung gewesen, die ihn getrieben hatten, sondern der Elan, das Glück – und endlich wieder die Liebe. Alexander band das Pferd wie beim letzten Mal im Wald fest und lief noch die letzten Meter zum Bach. Auf dessen anderen Seite saß Heinrich, wie verabredet, und wartete auf ihn. Kaum hatte der junge Leutnant seinen Geliebten erblickt, da sah er sich rasch um, bevor er über den Bach sprang und voller Erwartung auf den anderen zustürzte. Er kam noch nicht einmal dazu, nachzufragen, da hob Alexander seine Hände und ließ es Goldtaler über sein Haupt regnen. Heinrich starrte ihn entsetzt an. „Oh, mein…!“ Er warf sich auf die Erde, sammelte die Taler ein, biss in einen hinein, aber sie waren echt! Alle echt! Alexander lachte, bevor er sich zu ihm setzte und ihm durch die Haare fuhr. „Sie hat mir ihre Anteile an den Gütern vermacht, die ich mir gleich habe auszahlen lassen. Achtunddreißigtausend Taler.“ Heinrich standen die Tränen in den Augen. „Hab ich’s dir nicht gesagt!“, rief er und fiel ihm glücklich um den Hals. Wieder und immer wieder küsste er ihn, während er seine Mutter als Heilige anpries, als Maria, als Mutter Theresa. „Sei heute Nacht um Elf mit deinen Koffern bereit. Wir fahren nach Amerika.“ „Ja!“, frohlockte Heinrich, küsste ihn abermals, „Ja, mein Alexander!“, und stopfte sich die Taschen mit den Goldtalern voll. Robert war fürchterlich überfordert. 38.000 Taler. Und dann gleich nach Amerika. Eilig lief er auch noch mit dem letzten Koffer die Treppen hinunter, in dem weitere Bücher und wissenschaftliche Apparate verstaut waren. Unten in der großen Halle standen die beiden Humboldtbrüder, Caroline mit ihrem Töchterchen auf dem Arm und einige Bedienstete, hauptsächlich weinende Dienstmädchen. Alexander kam mit einem glücklichen Grinsen auf ihn zu, um ihm den Koffer abzunehmen. Damit wandte er sich ab und lief hinaus zur Kutsche, um ihn dort zu verstauen. Robert hielt es nicht mehr aus. „A-aber, Alexander!“, versetzte er und stürzte ihm nach. „Was ist denn?“, fragte sein Herr, drehte sich mit einem Lächeln zu ihm herum. Robert war deutlich verzweifelt. „Sie machen mich damit arbeitslos!“ Da lachte Alexander auf. Grinsend legte er ihm eine Hand auf die Schulter und sah ihm in die Augen. „Du bist mit mir nie arbeitslos, Robert. Pack deine Sachen, die Kutsche wartet nicht ewig.“ Der Kammerdiener stand mit offenem Mund erstaunt da und sah dem jungen Baron zu, wie er noch einmal hinein zu seiner Familie ging. Es dauerte einige Sekunden, bis er verstanden hatte, dann hastete er sogleich los, dem Befehl zu folgen, während er immer wieder dachte: „Amerika! Auf was lass ich mich da nur wieder ein, verdammt?!“ Roberts Koffer waren nun auch auf der Kutsche, und er hatte seine Dienstkleidung in einen zivilen Anzug umgetauscht. Alexander umarmte seine Schwägerin und gab seiner kleinen Nichte einen Kuss auf die Stirn, bevor er sich seinem Bruder zuwandte, der soeben noch Robert eingebläut hatte, auch ja auf ihr Sorgenkind aufzupassen, was dieser hoch und heilig versprach. Wilhelm rang sich nur dazu durch, Alexander wieder loszulassen, unter der Bedingung, dass dieser ihm jede Woche mindestens einmal einen Brief schreiben würde. „Mach ich, versprochen.“, versicherte der Jüngere und löste sich lächelnd von ihm. Gerade wollte sich Alexander an Robert wenden, ob sie loskönnten, da trat Ida in die große Halle, zusammen mit Ludwig. Ohne zu zögern lief der junge Baron auf das Mädchen zu und nahm sie bei den Schultern. „Ich wünsche dir alles Gute. Halte durch und…“ Sein Blick wanderte hinüber zu ihrem zweiten Diener, der einen Arm um sie gelegt hatte. „Ludwig, ich…ich weiß, wie unmöglich meine Bitte ist, aber bitte sei dem Kind ein Vater, damit es nicht das schreckliche Schicksal erleiden muss, ohne einen aufzuwachsen.“ Der Junge sah zu Boden. „Ich…ich kann es Ihnen nicht versprechen, Baron Alexander.“ „Es reicht mir schon, wenn du es versuchst.“, entgegnete dieser gutmütig und klopfte ihm auf die Schulter. „Robert!“, rief er, als er freudigen Mutes zur Tür lief, „Können wir?“ Er sah nicht mehr, wie Ida sich eine Träne aus dem Augenwinkel wischte. Das Mädchen brauchte einige Sekunden, bis sie bemerkte, dass sie nun der ältere der beiden Brüder anblickte. „Wenn es ein Mädchen wird“, sagte Wilhelm mit einem zuversichtlichen Lächeln, „wird sie Gabrieles Kammerzofe.“ Alle traten sie mit hinaus vor die Tür, wo es schon dämmerte, als die Reisenden die Kutsche bestiegen. Alexander winkte. Wilhelm sah ihm mit fast wässrigen Augen, aber keinesfalls traurig, nach. Er spürte, wie wichtig das für seinen Bruder war, wie glücklich es ihn machen würde. „Ich vermiss ihn jetzt schon.“, kam es schluchzend von Caroline. Er nahm sie in den Arm. Da bemerkte der Schlossherr, wer soeben neben sie getreten war. Er räusperte sich, bevor er sich an den ersten Diener wandte. „Richard, es wäre mir lieb, wenn du ebenfalls deine Sachen packen würdest.“ Der Schwarzhaarige sah ihn erstaunt an. „Was? Ich? Ich gehe auch nach Amerika?“ Wilhelm schenkte ihm ein gehässiges Lächeln. „Ich mag zwar nicht viel für die Neue Welt übrig haben, mein Junge, aber die Hölle ist Amerika nicht, nein.“ Richard schluckte. Schneller als Wilhelm schauen konnte, war er ins Haus gestürzt, um seine sieben Sachen zusammenzusuchen. „Adieu, Alexander!“, rief Caroline neben ihm, und er sah, wie sich die Kutsche langsam in Bewegung setzte. „Pass auf dich auf!“, setzte er hinterher, „Und schreib mir!“ „Mach ich! Adieu!“ Es war dunkel, als die Kutsche vor dem Anwesen der von Pannwitz hielt. Alexander hatte den Kutscher darauf hingewiesen, die Pferde und das Fuhrwerk möglichst leise zu halten, was diesem bis jetzt gelungen war. Voller Vorfreude sah der junge Baron in die Dunkelheit hinein, und endlich konnte er auf dem Weg zum Gartentor zwei Gestalten erblicken. Vollkommen erstaunt sah er zu, wie Heinrich und Dorothea eilig ihre Koffer auf die Kutsche luden. „Doro?!“, zischte er. Die junge Frau erschien vor der Kutschentür. „Was?“, entgegnete sie entrüstet, „Ich müsste Ferdinand heiraten, wenn ich bliebe!“ Sofort half ihr Alexander in die Kutsche. Sie fiel mit solch einem Ruck hinein, dass sie an Robert stieß. „Hoppla.“, gab dieser von sich, aber sie sah nur freudig überrascht zu ihm auf. Nach kurzem Überlegen schlang sie ihre Arme um ihn. „Du siehst im Anzug ja noch entzückender aus, als in deinem Frack, Robert…“ Die Kutsche setzte sich in Bewegung, und Robert blickte ein wenig unbeholfen in ihre haselnussbraunen Augen. Da wurde Dorotheas Blick ganz flehentlich. „Wenn du auch nur ein Wort von dem, was du mir in den Briefen geschrieben hast, ernst gemeint hast“, sagte sie, „dann küss mich!“ Alexander wusste nicht, wie Robert reagieren würde. Er reagierte erst einmal gar nicht. Dann jedoch fasste er sie an den Wangen, bevor er sie tatsächlich küsste. Liebevoll und zärtlich. „Schau dir die beiden an…“, murmelte Alexander amüsiert. „So etwas verlernt man anscheinend auch nach dreißig Jahren Abstinenz nicht, stimmt’s Robert?“ Von diesem kam keine Antwort; er lächelte nur in den Kuss hinein. Heinrich schmiegte sich an seinen Geliebten. „Ob wir es verlernt haben?“, flüsterte er. Alexander erwiderte sein Lächeln, „Niemals.“, und küsste ihn. Liebevoll und zärtlich. ---------------- Hach~ Jetzt haben sie also doch noch ihr Happy-End bekommen :3 Was ja eigentlich klar war, oder?^^ Ihr hättet die Bestätigung auch schon früher haben können, wenn ihr euch die Mühe gemacht hättet, euch mal übers echte Testament der Frau von Humboldt zu informieren, denn da hab ich wieder schamlos abgekupfert :P Alexander hat also wirklich durch Hypotheken 38.000 Taler geerbt. Was heute ungefähr 1.900.000€ wären. Ne Amerikareise kann man damit also schon machen XD Also, ich bedanke mich bei euch für die Favos und 100 Kommis! Ihr seid toll!! X3 Ideen für einen Epilog sind schon vorhanden, da wird es also sicherlich noch was geben ;) Ansonsten folgt den beiden doch (wieder) zu VLE^^ Epilog: -------- „Schatz! Caroline!“ Die Tür zum Salon flog auf, und ein äußerst aufgewühlter Wilhelm stürmte freudig in den Raum. „Er hat geschrieben! Alexander hat geschrieben!“ Sofort sprang Caroline auf, um mit ihrer Tochter auf dem Arm ihrem Gatten entgegenzueilen, der sie ihr abnahm und ihr stattdessen den Brief reichte, der wohl eine wahrhaft frohe Botschaft enthielt. Sei gegrüßt, mein Bruderherz! Du wirst erstaunt sein, zu hören, dass wir nicht in Amerika sind, ja überhaupt gar nicht weiter als nach Frankreich gekommen sind, denn weder Dorothea, noch Robert und auch nicht meinem Heinrich war es wohl dabei, in ein so fremdes Land zu reisen, um dort für immer zu leben. Deshalb sind wir nun, auf dem Weg nach Italien, was ein Kompromiss zwischen meiner Reiselust und dem Wunsch der anderen, der geliebten Heimat möglichst nahe zu bleiben, in der Schweiz steckengeblieben und das wohl auf längere Zeit. Ich habe uns nämlich ein Haus auf einer traumhaften Insel auf dem Thuner See gekauft, in dem wir nun alle vier zusammen leben. – Du müsstest diese Natur hier sehen, Wilhelm! Wie im Paradies! Alle sind damit glücklich. Dorothea kocht vorzüglich, Heinrich ist ein eifriger Gärtner und Bauer, und Robert hat noch Probleme damit, mich zu duzen und mir nicht alle Arbeit abzunehmen, aber daran wird er sich gewöhnen müssen. Ich hoffe, du merkst, wie gut es mir geht, wie glücklich ich bin, wie beseelt, und ich hoffe, bei euch geht auch alles gut und ihr seid wohlauf. Vielleicht wollt ihr uns ja einmal besuchen kommen? Ich werde euch persönlich am Ufer empfangen und mit unserem kleinen Fischerbötchen zu uns herüberrudern. Dorothea erinnert mich gerade, euch noch etwas über ihren Familienstand mitzuteilen, aber bevor ich dazu komme, will ich doch noch einmal nach Ferdinand fragen, was ich sonst gänzlich vergessen würde, mich es zu erfahren, aber bestimmt, wenn ich deine Antwort erhalte, trefflich erheitern wird. Caroline musste grinsen. „Was antwortest du ihm wegen Ferdinand? Dass er ein paar Probleme hat?“ Wilhelm sah sie schmunzelnd an. „Natürlich dass er das Gut mir verkaufen musste und sein letztes Geld fürs Saufen und Huren verprasst hat. Alexander kann die Wahrheit vertragen.“ Sie lachte. „Ich frage mich nur, wie sie ihre Wohnsituation vor den Leuten rechtfertigen…“ Die Glocken der Kirche hatten aufgehört zu läuten, als die Dorfgemeinde unter freiem Himmel auf dem Marktplatz am Vespertisch Platz nahm. In regem Treiben wurden die Bretzelkörbe hin und hergereicht, der Käse verteilt, die Wurst geschnitten. Der Pfarrer nahm am Ende der Tafel Platz und ließ sich gleich ein Bier bringen. Alexander war in seinem Leben sehr selten in der Kirche gewesen, die letzten drei Wochen war er jeden Sonntag dort. Erstaunlich, wie schnell sie hier als völlig Fremde Anschluss zur Gemeinde gefunden hatten. „Brezel?“ „Danke.“ Mit einem Lächeln nahm er sich eine aus dem Korb, den ihm sein Nachbar entgegenhielt. „Und Sie wohnen auch auf der Insel?“, fragte der Mann. Alexander nickte. „Ja, zusammen mit dem frischverheirateten Pärchen dort drüben bin ich eingezogen.“ „Stimmt, Sie waren doch Trauzeuge, letzten Sonntag.“, erinnerte er sich. „Genau.“, entgegnete Alexander mit einem Schmunzeln, „Der Bräutigam und ich sind schon ewig die engsten Freunde. Der Trauzeuge für seine Frau, das war übrigens ihr Cousin.“ „Und der wohnt auch bei euch?“ Alexander antwortete völlig gelassen auf die erstaunte Frage. „Ja, er ist Dorotheas Vormund, seit ihre Eltern gestorben sind. Die beiden sind so eng miteinander verbunden, wie ihr Mann und ich. Unzertrennlich eben, das müssen die jeweils anderen akzeptieren.“ „Oh“, gab da sein Nachbar von sich und hielt mit dem Butterschmieren inne, „Sie vertragen sich also nicht so gut mit ihrem Cousin?“ „Naja“, fing Alexander an und musste sich ein Grinsen verkneifen, „Er ist ein schwieriger Mensch. Aber wir werden das Beste draus machen.“ Das Beste war ein Zimmer nur für sie. Während Dorothea und Robert im Erdgeschoss schliefen, wo auch das Wohnzimmer, das Bad und die Küche waren, befand sich im Obergeschoss des Hauses eine kleine Bibliothek, in der die beiden Naturliebhaber auch ihre pflanzlich- und tierischen Errungenschaften unterbringen konnten, ein Arbeitszimmer, in dem ihre Funde stets untersucht wurden, und eben ihr Schlafzimmer, in dem zwei Schreibtische standen und zwei Betten. Die beiden Schreibtische wurden benutzt, von den Betten jedoch nur das größere. Unter heißen Küssen miteinander ringend lagen sie auf der Matratze. Alexander jauchzte jedes Mal vor Freude, wenn er mit seinem Heinrich so intim sein konnte, dass das Glück es so gut mit ihnen gemeint, dass es sie zu dieser Insel geführt hatte, wo niemand sonst wohnte, wo nur dieses eine Haus stand, frei zum Verkauf, weil die Fischer ihr Geschäft aufgegeben hatten. Vielleicht hatte seine Mutter ja dort droben genauso ein Durchsetzungsvermögen, wie schon immer auf Erden…? „Heinrich…“ Alexander küsste seinem Geliebten die Stirn, „Wolltest du nicht noch etwas austesten?“ Heinrich sah mit seinen wunderschönen blauen, halbgeschlossenen Augen zu ihm auf. „Was denn?“, fragte er und küsste Alexanders Hals. „Du wolltest…wolltest sehen, ob ich genauso tapfer bin wie du.“ Sein Leutnant ließ von ihm ab und blickte ihn erstaunt an. „D-du meinst…?“ Alexander rollte sich auf den Rücken und zog ihn auf sich. „Ich meine es.“, hauchte er, als er ihn dabei küsste, „Ich will es.“ „Oh, mein Apoll!“, keuchte Heinrich ganz angetan, „Mein griechischer Gott will sich mir hingeben… - aber!“ Er küsste Alexanders glänzende Brust, „W-was ist mit Doro und Robert? S-sie…Nicht, dass sie uns noch hören…“ Alexanders Lachen ließ seine Brust beben. „Meinst du, sie wissen nicht, was wir machen?“ Er fuhr Heinrich durch die dunklen Haare und sah ihn an. „Ich schäme mich ehrlichgesagt weniger, wenn sie uns hören, als wenn wir…sie…“ „OhmeinGott!“, entfuhr es dem Jüngeren und er lief schlagartig rot an, „Nein! Das würde ich nicht…! Gut“, meinte er schließlich entschlossen und küsste seinen Geliebten, „ich gebe mir Mühe. Ich bringe dich so laut zum Schreien, dass wir die zwei auf keinen Fall hören.“ Alexander sah herausfordernd zu ihm auf „Das muss dir erst einmal gelingen.“ Robert schämte sich ein wenig, als er seine Frau betrachtete, wie diese neben ihm im Bett lag, ihr hübsches Haupt aufs Kissen gebettet, ihre seidigen Haare offen, die ihr über die zarten Wangen und den Nacken fielen… Sie sah immer noch aus wie eine Heilige, obwohl er ihr schon letzte Sonntagnacht nach ihrer Hochzeit die Unschuld genommen hatte. Nur ihre haselnussbraunen Augen strahlten etwas von ihrer Verwegenheit aus, bei Nacht und Nebel in ein fremdes Land zu fliehen und ihn nach allen Regeln der Kunst zu verführen. Gerade sahen sie ihn wieder so an, während ihre Hände sich unterm Betttuch zu ihm hinüber stahlen. Doch plötzlich ertönte ein Schrei, und ihre Hände krallten sich an seinen Armen fest. „Robert!“, zischte sie erschrocken, „Hast du das gehört?“ „Ja, ich – “ „Da, schon wieder!“ Robert räusperte sich. Er hatte schon beim ersten Mal erkannt, was es war. „I-ich glaube, Alexander geht es nicht gut…“, erkannte nun auch Dorothea die Stimme. Doch Robert musste ihr wiedersprechen. „Ich glaube“, fing er an und sah sie vielsagend an, „Alexander geht es seeehr gut.“ Dorothea verstand sofort. Sie lief rot an. Er wusste nicht, was er sagen sollte, nahm stattdessen nur ihre Hände in seine. „Robert…“, begann sie endlich, ohne ihren Blick zu heben. „Hm?“ Liebevoll strich er ihr eine Strähne aus dem Gesicht. Sie rutschte auf der Matratze näher und umschlang seinen Leib. „Da kann ich nicht schlafen…“ Robert lachte leise. „Kein Wunder. Die beiden übertreiben es heute Nacht wieder…“ „Dann…“, fing sie schüchtern an, „Dann können wir doch auch…“ Er küsste ihr mit einem Schmunzeln die Stirn. „Was ist denn nur mit deiner Gottesfurcht geschehen, mein Engel?“ „W-wir sind doch verheiratet.“, sagte sie. Ja, das waren sie, und er konnte auch nicht leugnen, dass die zwei Male, die sie schon ihre Ehe vollzogen, ihn geradewegs gen Himmel befördert hatten, dennoch hätte er nicht damit gerechnet, dass Dorothea die körperliche Liebe so stark befürwortete. „Lehnt die Bibel nicht die leibliche Begierde ab?“, fragte er sie und fuhr ihr sanft über die Wange. Dorothea sah ein wenig beschämt zu ihm auf, während sie mit den oberen Knöpfen seines Schlafanzugs spielte. „Ich habe Gott gefragt.“ Erstaunt blickte Robert sie an. „Du hast was?“ „I-ich habe Gott gefragt – noch in Berlin war ich in der Kirche und habe ihn gefragt, ob es denn richtig ist, dass…dass ich so etwas für einen…“ „Einen einfachen Diener.“ Sie schüttelte heftig den Kopf. „Dass ich so große Liebe für dich empfinde, und Leidenschaft – körperliche Leidenschaften.“ Robert strich ihr zärtlich durch die langen Haare. „Und was hat er gesagt?“ Sie lächelte scheu. „Ich bin aus der Kirche hinaus getreten, durch die Felder zurück nachhause gelaufen, da saßen zwei weiße Tauben auf meinem Weg, die…“ „Die…?“ Dorothea wurde rot. „Die sich miteinander vergnügt haben…“ Robert musste lachen und schlang seine Arme um seine Liebste. Er küsste ihr den Hals und das goldene Kreuz, das sie darum trug. „Weißt du, mein Schatz, was dein Name bedeutet?“, flüsterte er. „Ja“, antwortete sie und setzte einen Kuss auf seine Stirn, „Mein Pfarrer hat es mir zu meiner Konfirmation gesagt: Geschenk Gottes.“ „Genau das.“, meinte Robert und sah sie liebevoll an, „Und wenn ich mir mein Leben so betrachte, und das Alexanders – immerhin hat er seinen Heinrich nur kennengelernt, weil es dich gab, die deine Mutter verheiraten wollte – , dann bist du das auch.“ „Mein Poet.“, hauchte sie entzückt, bevor sie ihn küsste, „Ich liebe dich.“ „Ich dich auch, mein Engel.“, gab er das Geständnis zurück, wie auch den Kuss, bevor er es zuließ, dass sie ihm den Schlafanzug öffnete. Alexander rang nach Atem. Noch immer hielt er seinen Geliebten fest umschlungen, der glücksselig keuchend Küsse auf seiner Brust verteilte. „Dir hat es gefallen.“, stellte Heinrich erfreut fest. „Überaus.“, gab Alexander zurück, „Aber dir nicht minder.“ Der Jüngere nickte heftig und wollte sich gar nicht von ihm trennen. Doch Alexander schob ihn von sich, was beiden ein Seufzen entlockte, als sie plötzlich nicht mehr eins waren, und warf ihn unter sich auf die Matratze, um ihn stürmisch zu küssen. Heinrich wand sich unter ihm, verschränkte seine Arme in seinem Nacken, hob sein Becken. „Ich liebe dich.“, hauchte Alexander in seine Halsbeuge, begann dort an der zarten Haut zu saugen. „Ich dich auch, mein Amor“, keuchte sein Geliebter, „Ich würde dich heiraten, mein Augenstern, dürfte ich nur!“ „Ich würde »Ja« sagen.“, antwortete Alexander, „Ja. Ja…ja…“ „Jah…“ „Ja…“ „Nimm mich.“ „Oh, ja…“ Lieber Alexander, bei uns ist alles in bester Ordnung. Spätestens, als unsere kleine Gabriele eines Abends beim Essen feststellte: „Böser Mann weg.“ und zufrieden aufseufzte, wussten auch wir, dass wir nun wieder ein ruhiges Leben haben würden. Nur du fehlst uns; umso mehr haben wir uns alle über deinen Brief gefreut, vor allem, da ich nicht so früh mit einem gerechnet hatte. Auch die Bediensteten fragten immerzu nach deinem Befinden; ich war also glücklich, ihnen gestern mitteilen zu dürfen, dass du wohlauf bist. Ida geht es übrigens gut, seit sie regelmäßig von unserem Arzt betreut wird. Auch Caroline kümmert sich rührend um sie – was sie natürlich nicht an die Öffentlichkeit dringen lassen will, aber das Ganze ist ja mehr oder weniger geheim zu halten, wenn man dem Mädchen nicht noch mehr schaden will. Sehr gerne nehmen wir dein Angebot an und kommen euch einmal besuchen. Im August vielleicht? Wobei Caroline mir das wohl ausreden wird, sodass wir erst im September bei euch sein werden, wenn das Wetter zum Reisen wieder ein wenig milder ist. Derweil schicke ich aber einen anderen Gast. Ich hoffe, du bekommst diesen Brief noch rechtzeitig, denn General von Mörner hat sich heute Morgen in die Schweiz aufgemacht, als er von deinem Weggang und deiner jetzigen Bleibe erfahren hat. Ich weiß nicht, wieso ihm daran so viel liegt, dich unbedingt aufzusuchen, aber ich hoffe, er hat nur gute Absichten. Von Heinrich habe ich natürlich nichts erzählt, ich habe die offizielle Fassung eures Wohnverhältnisses weitergegeben, die du mir geschrieben hast. „Ver…!“ „Du sollst doch nicht fluchen!“, lachte Dorothea und zwickte Robert in den Hintern, der bei ihr in der Küche stand. „General von Mörner ist auf dem Weg hierher!“ „General von…?“ Dorothea erinnerte sich an den wundersamen alten Mann. „Er kommt uns besuchen?“ „Er ist vor einer Woche losgefahren! Der Brief ist vor sechs Tagen geschrieben worden.“, entgegnete Robert nervös, „Wo ist Alexander?“ Dorothea lächelte ihn amüsiert an. „Wo, weiß ich nicht, aber dass er bei Heinrich ist, halte ich für sehr wahrscheinlich.“ „Ich muss ihm sofort Bescheid sagen.“, versetzte Robert und verließ das Haus. Als er am Landungssteg vorbeieilte, musste er mit Entsetzen feststellen, dass ein zweites Boot angelegt hatte. Herrgott! Er musste sich beeilen! Alexander musste schmunzeln. Er schloss die Augen und genoss Heinrichs Küsse an seinem Hals. „Heinrich…der Kohl…“ „Der wird nicht schlecht, wenn wir ihn ein paar Minuten später ernten.“ „Aber Doro – “ „Genauso wenig wie Doros Suppe.“ Alexander packte seinen Geliebten an den Seiten. „Selbst schuld.“, nuschelte er, bevor er sich mit ihm ins Getreide fallen ließ. Küssend schob er sich auf ihn, fuhr ihm über die nur in ein dünnes Hemd gekleidete Brust, hinab auf den Bauch. Heinrich nahm ihn keuchend bei den Schultern. Mit einem Ruck lag Alexander unter ihm. „Du hast es mich gestern nicht machen lassen.“, sagte der Jüngere, während er seinem Geliebten die Wange küsste, sich den Kieferknochen hinabsaugte. „D-doch nicht…! Wir standen am Ufer – an einem Baum!“ „Du hast es damals mit mir auch an einem Baum gemacht.“, entgegnete Heinrich und öffnete ihm das von der Feldarbeit schmutzige Hemd. „A-aber…das ist nichts für…“ „Wenn du es tun konntest, dann kann ich es auch.“, beschloss Heinrich, küsste ihm die Brust und den Bauch, leckte über die gebräunte Haut, die wohldefinierten Muskeln, über den Bauchnabel. Genießerisch warf Alexander seinen Kopf in den Nacken. Es dauerte einen Moment, bis er das verschwommene Schwarz, das die Ären des Getreides platttrat, als Militärstiefel erkannte. Sofort schob er Heinrich von sich, der, kaum hatte er ihren Gast erblickt, entsetzt die Augen aufriss. Alexander rappelte sich hastig auf und versuchte das Hemd notdürftig zuzuknöpfen, doch seine Hände zitterten zu sehr, so hielt er es einfach zu. „G-General von Mörner!“, stammelte er, „Ich – ich kann das erklären – E-es…es ist nicht so, wie es scheint, wir - !“ „Stillgestanden!“ Die beiden erschraken so sehr, dass sie ohne Zögern vor dem General salutierten. Dieser machte noch einen Schritt auf Alexander zu, und als dieser schon das Schlimmste befürchtete, hieb ihm von Mörner kameradschaftlich auf die Schulter. „Bin zufrieden, bin zufrieden.“, sagte er mit einem großzügigen Lächeln, „Dachte schon, du hättest deinen Schwur gebrochen, mein Junge.“ Alexander atmete erstaunt, aber höchst erleichtert aus. Gerade wollten sie beide ihre Hand von der Stirn nehmen, da salutierte der General abermals. „Zurück in die Schlacht, Leutnant von Kleist!“, befahl er regelrecht, und Heinrich salutierte ebenfalls, mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht. „Jawohl, Herr General!“, bevor von Mörner sich schlendernd entfernte, und er wieder seine Arbeit aufnehmen konnte. Lachend zog er Alexander mit sich ins Getreide. „Das…das versteh ich nicht…“, war dieser noch völlig baff. „Musst du nicht.“, meinte Heinrich und küsste ihn leidenschaftlich, „Aber er hat mir einen Befehl gegeben, den ich nun gerne ausführen möchte.“ „Er meinte bestimmt nicht – “ „Red dich nicht raus!, natürlich meinte er das.“ Er küsste seinen Bauch. „Das.“ Seine Hände wanderten an Alexanders Hosenbund. „Heinrich…!“ Der Jüngere sah liebevoll zu ihm auf, während er ihn zurück in die Ären drückte. „Ich will es tun, Alexander. Genieß es. Du hast mir damals auch keine andere Wahl gelassen.“ Mit diesen Worten wandte er sich wieder dem Unterleib des anderen zu. Während seine Zunge mit dem Bauchnabel spielte, hatten seine Hände schnell die Hose geöffnet. Heinrichs kehliges Lachen machte Alexander deutlich, dass es ihm gefiel, zu sehen, wie weit er ihn schon hatte. Er keuchte auf, als sich die wunderbaren Hände um ihn schlossen. Stöhnte, als die sündhaften Lippen folgten. Dazu hatte er noch keinen der Bauernjungen mit Geld auffordern können. Heinrich tat es freiwillig. Und mit welch einem Willen. Alexander konnte nur noch hilflos keuchen, stöhnen, sich diesem atemberaubenden Gefühl entgegenrecken. „H-Heinrich…! Ich…! H-hör a– “ Die Worte blieben ihm im Halse stecken, als sein Geliebter ein genießerisches Brummen von sich gab, das seinen gesamten Körper zum Beben brachte. Er öffnete den Mund, und ein erstickter Schrei entwich ihm, als er sich nicht anders zu helfen wusste, als Heinrich zu geben, was er von ihm verlangte. Alexander hatte seinen Atem schon beinahe wieder im Griff, da ließ Heinrich endlich von ihm ab. Zufrieden und entzückt sah er ihn an. „Du weißt gar nicht, was für eine Macht du über mich ausübst, mein göttlicher Jüngling, wenn ich dich so vollkommen aufgelöst sehe und weiß, ich bin schuld daran.“ Lachend fasste Alexander nach seiner Wange. Er richtete sich auf und zog seinen Geliebten zu sich, um ihm von hinten die Arme um den Leib zu schlingen. „Doch, ich spüre die Auswirkungen meiner Macht…genau hier…“ Heinrich keuchte auf, als ihm der Ältere in den Schritt fasste. „Lass mich dir helfen.“, hauchte Alexander gegen sein Ohr und küsste seinen Nacken, während er ihm die Hose öffnete. Es war spät geworden, mit dem Mittagessen. Peinlich berührt reichte Heinrich seiner Cousine den Kohl für ihre Suppe, viel zu spät, denn Dorothea hatte sich schon längst zu etwas anderem entschlossen, auch, da sie ja jetzt einen Gast hatten. General von Mörner saß mit Robert am bereits gedeckten Esstisch und erhob sich, um die beiden mit einem Salut zu begrüßen. „Meldung, Leutnant von Kleist?“, fragte er, wobei sich einer seiner Mundwinkel hob. „Befehl zu vollster Befriedigung ausgeführt.“, meldete Heinrich mit einem Schmunzeln. „Gut, mein Junge, sehr gut.“ Alexander nahm ein wenig beschämt neben dem General Platz, der am Ende des Tisches saß, vor allem, da Dorothea und Robert ihnen fragende Blicke zuwarfen. Als Heinrich sich schließlich, vollkommen unbeeindruckt, neben ihn gesetzt hatte, brachte Dorothea einen Stapel Rösti herbei, ein in der Pfanne gebackener Fladen aus geriebenen Kartoffeln. Seit sie mit den Frauen des Dorfes besser bekannt war, war sie ganz besessen von der Idee, deren Rezepte auszuprobieren. Robert half ihr, indem er das Glas frischgemachtes Apfelmus auf den Tisch stellte. „Guten Appetit.“, wünschte Robert, während Dorothea für sich leise ein kurzes Tischgebet sprach. Daraufhin herrschte Stille beim Essen. Jeder andere Gast hätte sicherlich Dorotheas Kochkünste gelobt, von General von Mörner erwartete man so etwas natürlich nicht. Trotzdem wurde Alexander das Gefühl nicht los, er und Heinrich wären schuld an seinem Schweigen. Der junge Baron räusperte sich. „Ich, ähm…“ Er wartete, bis von Mörner zu ihm aufsah. „Ich möchte mich bei Ihnen entschuldigen, Sie vorhin so verstört zu haben.“ Es dauerte eine Weile, bis der General anscheinend verstanden hatte, dann lachte er. „Keineswegs verstört.“, meinte er schließlich und wandte sich wieder seinem Rösti mit Apfelmus zu, „Kann euch bestens verstehen, mein Junge, bestens.“ Als der General die fragenden Blicke auf sich bemerkte, musste er schmunzeln. „Lange Geschichte.“, fing er schließlich an, „Fasse mich kurz.“ Er legte das Besteck nicht einmal beiseite. „Hatte einen Kameraden in der Armee, haben uns noch als Soldaten kennengelernt. War vier Jahre jünger als ich, genauso schlau und begabt.“ Er lachte leise. „Im Gegensatz zu mir schön. – Niemand hat sich gefragt, wieso wir uns zum Holzholen oder zur Nachtwache stets freiwillig gemeldet haben. Hätte auch niemand verstanden: Liebe.“, sagte er, „Wir haben uns geliebt, wir zwei. So sehr.“ Alexander versuchte, seine Verblüffung über die Offenheit des Generals zu verstecken, doch dieser schien mit seinen Gedanken sowieso wo anders zu sein. „Die dienstfreien Jahre haben wir zusammen verbracht. Er hatte einen kleinen Hof. Haben Kühe gemolken und Schafe gehütet. Schöne Zeit. Sind dann wieder einberufen worden. Waren noch paar Jahre bis zur Pension, haben beide nicht wirklich daran gedacht, aber schade.“ Mörner seufzte auf. „An der Katzbach, unsere letzte gemeinsame Schlacht. Beide als Rittmeister schon.“ Er nickte anerkennend. „War wohl ein Scharfschütze, sechs Millimeter. Er hat mir nur sein Pferd gelassen. Hab’s nach ihm benannt. Otto.“ „Otto.“, wiederholte Alexander andächtig, während Heinrich sich die Tränen von den Wangen wischte und Dorothea leise schluchzte. „Genau. Otto. Lieb ihn immer noch.“ Der General sah lächelnd in die Runde, sein liebevoller Blick zeigte deutlich, dass er die Wahrheit sprach. Während die anderen noch völlig ergriffen ihr Essen nicht mehr anrühren konnten, nahm er einen kräftigen Bissen. Mehr konnte er Dorotheas Kochkünste eigentlich gar nicht loben. Als ihr Gast am Abend wieder zurück ins Wirtshaus gegangen war, wo er sein Quartier hatte, entschuldigte sich Robert bei Alexander, dass er es nicht rechtzeitig geschafft hatte, ihn über den Besuch des Generals zu informieren. „Robert.“ Alexander nahm ihn an den Schultern und sah ihn gutmütig an, „Du musst mich nicht mehr über alles unterrichten, du bist nicht mein Kammerdiener, du bist mein Freund.“ Der Ältere lächelte ein wenig unbeholfen. „Wiss- Weißt du, Alexander, das ist nur so schwierig, mich an diese neue Situation zu gewöhnen.“ Alexander lachte und schloss ihn in die Arme. „Welche neue Situation? Du warst nie mein Kammerdiener, sondern immer schon mein Freund.“ Roberts Augen weiteten sich. Vorsichtig legte er seine Hände an Alexanders Rücken. „Gut, ein überfürsorglicher Freund. Der für seine Überfürsorge bezahlt wurde.“ „Ich hätte es auch umsonst getan!“ Alexander musste grinsen. „Ich weiß.“ Es wurde wieder Herbst. Die Blätter färbten sich auf ihrer Insel bunt, als Robert zu ihnen aus dem Schlafzimmer in die Stube kam, wo Alexander und Heinrich nervös auf ihn warteten. „Wie geht es - ?“ Alexander blieb das Herz stehen, als er sah, dass sein Freund weinte. Robert schluchzte. Zittrig warf er sich ihm in die Arme, drückte ihn fest. Heinrich stürzte herbei, aber da erkannte er, dass es Freudentränen waren. „Eine Familie…!“, brachte Robert heraus, „Es ist ein Junge! Ich bin Vater, Alexander, ich! Vater!“ Alexander schüttelte ihn. „Weißt du, wie du mich erschreckt - !“ Mit einem gerührten Lächeln schloss er den anderen wieder in die Arme. „Glückwunsch.“ Er konnte Robert eine Weile nicht loslassen; er hatte Angst, er würde sonst noch vor Glück zusammenbrechen. „Das ist das Schloss?!?“ Alexander musste schmunzeln. Sanft fuhr er dem kleinen Jungen, der auf Dorotheas Schoß saß, durch die Haare. „Ja, das ist Schloss Tegel. Traumhaft, hm?“ Der Kleine nickte eifrig. Kaum hatte die Kutsche gehalten, öffneten sich die Türen und der Schlossherr persönlich kam zu ihnen gelaufen. „Alexander!“, rief er und war glücklich, seinen jüngeren Bruder nach wieder einmal so langer Zeit in die Arme schließen zu können. „Ich bin erleichtert, dass du dich nicht ein bisschen verändert hast.“ „Ich auch.“, lachte Alexander, „Noch kein graues Haar.“ Heinrich schloss mit einem Koffer zu ihm auf und schenkte ihm ein Grinsen, das Wilhelm überlegen ließ, ob der ehemalige Leutnant es wohl nicht vielleicht besser wusste. „Dorothea! Du siehst zauberhafter aus denn je.“, verkündete Caroline und küsste ihre Brieffreundin, „Und ist Georg so groß geworden!“ Der Junge verneigte sich neben Robert höflich vor ihr, was sie zum Schmunzeln brachte. Gabriele krallte sich bei ihrer Mutter ins Kleid und begutachtete den ihr fremden Jungen sorgfältig. Neben ihr stand ein etwas jüngeres Mädchen, das schüchtern ihren Blick gesenkt hatte. „Emma?“ Alexander schritt auf sie zu. „Emma, du bist ja eine Süße!“ Er nahm sie auf den Arm, und als er auf den Stufen des Schlosses Ida und Ludwig entdeckte, die sich an der Hand hielten, lächelte er die Kleine noch glücklicher an. Sie hatte Ferdinands Augen, der Blick darinnen stammte jedoch eher von Ludwig. Er ließ sie wieder hinunter, und Georg, der sich soeben vor Gabriele verneigt hatte, verneigte sich nun auch vor ihr. „Nicht doch!“, rief die kleine Schlosserbin, „Emma ist meine Dienerin!“ Georg schenkte ihr ein ruhiges Lächeln. „Aber trotzdem eine Dame.“ Emma wurde knallrot. Das hatte sie von Ida. Am Abend hatten sich alle im Salon eingefunden, zum Kartenspiel, das aber doch mehr durch Gespräche unterbrochen wurde. Robert war richtig unruhig und nervös, wie er da auf dem Sessel saß, um den er jahrelang immer nur herumgelaufen war, mit einer Kanne Tee oder einem Teller Kekse in der Hand. Als Wilhelm ihn aufgefordert hatte, ihn doch zu duzen, hatte er beinahe einen Nervenzusammenbruch erlitten. Ob man das »Sie« bitte beibehalten könnte, er habe bei Alexander und dem Herrn – und Heinrich schon genug Probleme damit. Wilhelm lächelte ihn verständnisvoll an. „Wie du willst, Robert.“ Die Kinder saßen neben ihrer Runde auf dem Teppich: Georg wurde den Puppen vorgestellt und durfte am Kaffeekränzchen teilnehmen. Alexander und Heinrich wurden nicht vermisst, jedenfalls erwartete sie keiner so bald wieder von ihrem sogenannten »Abendspaziergang« zurück. Es war eine klare Sommernacht. Die Sterne standen am Himmel, und der Mond spiegelte sich im See. Und in Heinrichs Augen. Alexander küsste ihn. Sein Geliebter küsste ihn zurück, schlang seine Arme um den göttlichen Leib, der sich im Wasser wieder von ihm entfernte. Alexander lachte außer Atem. Heinrich jagte ihm nach. Als er ihn eingeholt hatte, zog er ihn unter Wasser, um ihn auch dort zu küssen. Keuchend kamen sie wieder zurück an die Oberfläche. Hier konnten sie beide stehen. Ihr Kuss entbrannte von neuem. Fast schon gierig fielen sie übereinander her, ließen weder mit ihren Händen noch mit ihren Zungen von eifrigen Erkundungen des anderen Körpers ab. Alexander nahm seinen Heinrich an der Hüfte und zog ihn nach oben, um sich dessen Beine um den Bauch zu legen. Der Jüngere wusste, was das bedeutete, spätestens seit ein Morgenschwumm im Thuner See so geendet hatte und sie sich gerade noch im Schilf vor einem Fischerboot verstecken konnten. „Ah…Alexander…“ Es war ein Bitten, fast schon ein Flehen, dem der Ältere nur allzu gerne nachkam. Heinrich schlang ihm die Arme um den Nacken, küsste ihn leidenschaftlich, während er ihm, von Alexanders Händen an seiner Hüfte geleitet, immer wieder entgegenkam. Ihre Haut glänzte nass im Mondschein, ihre Haare tropften; gebannt beobachtete Alexander einen Wassertropfen, der seinem Geliebten von den vollen Lippen tropfte, das Kinn hinab lief, den Hals, die Brust und dorthin, wo sie vereint waren. „Ha – Heinrich…! Mein Heinrich… Lass mich deine Stimme hören, deine wunderschöne Stimme…“ Der Jüngere lachte außer Atem. „An so etwas hast du damals gedacht, als du dich – hah…m-meiner Tante widersetzt hast und mich aufgefordert, weiterzureden?“ „Jah…genau daran…“, entgegnete Alexander mit einem Schmunzeln, bevor er ihn küsste und ihn fester bei der Hüfte nahm. Heinrich stöhnte gegen seine Lippen, krallte sich in seine Haare. „Hah…! Ah…I-ich bin so glücklich, mein Alexander! So gl-ücklich machst du mich…!“ Alexander konnte nur aufstöhnen, zog seinen Geliebten noch einmal auf sich, um sich ganz tief in ihm zu vergraben, als er spürte, wie er ihn einmal mehr aus der Welt riss und in weit höhere Sphären beförderte. Heinrich keuchte und bebte in seinen Armen und ließ seinen Kopf erschöpft auf seine Schulter sinken. Ihr heißer Atem vermischte sich mit der Sommerluft. Liebevoll fuhr Alexander dem anderen über den Rücken. „Ich…kann bald nicht mehr stehen.“ „Dann lass uns zum Schloss gehen und uns in dein Bett legen.“, schlug Heinrich vor. Alexander hob ihn von sich herunter, küsste ihn sanft auf die Lippen, bevor er ihn an die Hand nahm und mit ihm aus dem See stieg. Sie trockneten sich mit ihren Hemden ab, schlüpften in ihre Hosen; die restliche Kleidung nahmen sie in den Arm, man würde sie nachts sowieso nicht sehen. Gemeinsam stiegen sie auf ihr Pferd, mit dem sie gekommen waren. Die Nacht war warm, Heinrich, der sich von hinten um ihn geschlungen hatte, war warm, seine Wange, mit der er sich ihm an den Rücken schmiegte. Endlich erschienen vor ihnen die hohen Mauern des Schlosses Tegel, ein viertürmiger, wohlproportionierter, klassizistischer Kubus mit weißer, vierstöckiger Fassade und dunklem Ziegeldach, der so viel mehr war, als nur das. ---------------------- Fertig. Nun endgültig :3 Ich hoffe, der Epilog war lang genug und hat euch gefallen :) Vielleicht werdet ihr neben VLE ja auch bald was von mir hören, ohne Heinrich und Alex^^ Danke noch einmal für eure Kommis und Favos und fürs Lesen! Ihr seid trefflich fenomenal! X3 Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)