Tonight, in a Corner of Eden von Yurippe (~今宵エデンの片隅で~) ================================================================================ Kapitel 1: Das Wunder der Nacht ------------------------------- Es war eine sternenklare, wolkenlose Nacht, in der Joel wie so oft am Fenster in seinem Zimmer saß und nachdachte. Er dachte nach über alles, das in letzter Zeit geschehen war. Die Begegnungen mit Team Dark, von denen einige um ein Haar schief gegangen wären, und über sie. Ohne sie wäre er wohl niemals in den ganzen Schlamassel hineingeraten, aber er war froh, dass er sie getroffen hatte. Dies allein konnte er mit Sicherheit sagen, auch wenn seine Gefühle vielleicht nicht erwidert wurden. Joel stand auf und ging in Richtung Küche, um sich ein Glas Wasser zu holen. Auf dem dunklen Flur stieß er mit jemandem zusammen. „Aua!“, fluchte die andere Person leise. Joel musste grinsen und war froh, dass sie sein Gesicht nicht sehen konnte. Manchmal hatte er wohl doch Glück. „Läufst du immer nachts im Dunkeln durch fremde Häuser, Faith?“ „Hab den Lichtschalter nicht gefunden“, brummte das Mädchen. „Meinst du den hier?“ Joel knipste die Beleuchtung auf dem Flur an und blickte in das verschlafene Gesicht des Mädchens. „Du hast es einfach, du wohnst ja hier“, erwiderte dieses leicht beleidigt und strich sich eine zerzauste Haarsträhne aus dem Gesicht. „Das ist durchaus ein Vorteil.“ Joel grinste noch breiter. „Darf ich fragen, wohin du wolltest?“ „In die Küche, was trinken. Konnte nicht gut schlafen.“ Trotz dieser Aussage und der inzwischen den Flur erleuchtenden Lampe bewegte sie sich jedoch nicht vom Fleck. „Äh, wo war noch mal die Küche?“ „Komm mit, ich zeig sie dir.“ Er nahm ihre Hand und zog die schlaftrunkene Faith bis in die Küche im Erdgeschoss, wo er ihr erst mal ein Glas Wasser vorsetzte und dann für sie beide heiße Milch mit Honig machte. „Danke.“ Faith nahm die Tasse entgegen und rührte darin herum, während Joel sich ihr gegenüber an den Küchentisch setzte. „Gibt es einen Grund für deine Schlaflosigkeit?“, erkundigte er sich betont beiläufig, bevor er einen Schluck seiner Milch nahm. „Och, nur so Kleinigkeiten wie die Pokémon-Liga oder Team Dark, weißt du“, antwortete Faith ironisch. Er ging nicht auf ihren Ton ein. „Die bereiten mir auch Kopfschmerzen. Vor allem Team Dark.“ „Glaubst du, dass wir das Richtige tun?“ Faith sah ihn geradeheraus an. Joel blickte ebenso gerade heraus zurück. „Ich denke schon. Was nicht heißt, dass ich keine Angst habe. Aber ich glaube, wir müssen das einfach tun.“ Faith sah ihn immer noch prüfend an. Als er fragend zurückblickte, meinte sie: „Ach, weißt du, als wir uns zum ersten Mal getroffen haben, hätte ich niemals gedacht, dass wir mal hier an deinem Küchentisch sitzen und uns ernsthaft unterhalten würden. Vor allem ohne dass du mich ständig verspottest.“ „Das habe ich ja alles nicht so gemeint, das weißt du doch, oder?“ Faith grinste. „Ja, ja, du kannst eben schwer nett sein.“ „In wessen Küche sitzt du denn gerade, Fräulein Undankbar?“, entrüstete Joel sich gespielt. „Na gut, manchmal bist du ganz nett. Sehr nett sogar.“ Ihr Gesichtsausdruck verriet ihm, dass sie wohl an die Begegnung im Wald von Celebi oder am Strand von Litusiaville dachte. Diese Gelegenheit musste er beim Schopf nehmen. „Was ich damals gesagt habe, war aber sehr ernst gemeint.“ Nun war er es, der Faith geradewegs ins Gesicht sah. „Ich trockne gerne deine Tränen, auch wenn mir dein Lächeln lieber ist, und ich warte, bis du dir über deine Gefühle im Klaren bist. Was nicht heißt, dass ich nicht auch geliebt werden will.“ Er wusste nicht, ob es an der späten Stunde lag, in der einem auch schwer auszusprechende Dinge leichter über die Lippen gingen, oder daran, dass Faith ihm, möglicherweise aufgrund ihrer Müdigkeit, mal ohne die Mauer gegenübertrat, die sie sonst oft zwischen ihnen errichtete. „Ich sehe dich. Mehr kann ich dir momentan leider nicht sagen.“ Entschuldigend und auch leicht verlegen blickte sie nach unten, und in diesem Moment ärgerte Joel sich, die Stimmung zwischen ihnen zerstört zu haben. Seine inzwischen nicht mehr so heiße Milch trinkend, blickte er aus dem Fenster auf den Mond. „Habe ich dir jemals erzählt, wie ich damals mein Sniebel bekommen habe?“ Joel setzte noch einmal Milch auf und holte aus einem Schrankfach eine Packung Kekse, dann setzte er sich wieder an den Tisch und erzählte. Draußen schien der Mond, wie in jener Nacht auch, und schien sachte auf Faith, die überrascht auf seine Begegnung mit Darkrai reagierte, wütend, als er die Wilderer erwähnte, und betroffen, als er von den zwei zerstörten Eiern sprach. „So war das also.“ Sie musterte ihn eingehend, als würde sie ihn aus einem anderen Blickwinkel betrachten. „Übrigens habe ich auch mal ein legendäres Pokémon getroffen, ob du es glaubst oder nicht.“ Und sie erzählte nun ihrerseits von der Begegnung mit Latias, das sie als Kind gerettet hatte. „Ich glaube, wir beide sind wirklich für ein Leben mit Pokémon gemacht.“ Wenn er daran dachte, dass er Faith nie getroffen hätte, wäre er den Wünschen seines Vaters gefolgt... „Da hast du wohl Recht.“ Sie lächelte. „Und natürlich werde ich dich in der Liga schlagen.“ „Na, das werden wir ja sehen!“ Sie diskutierten noch eine ganze Weile über die letzte Arena und die Pokémon-Liga zu Neujahr, bevor sie fast mehr Gähner herausbrachten als Wörter. Joel begleitete Faith bis vor ihre Tür, um sicherzugehen, dass sie nicht verloren ging, wünschte ihr eine gute Nacht und ging dann in sein eigenes Zimmer, wo er sich noch kurz ans Fenster stellte und hinausblickte. Weit hinten am Himmel funkelte schon schwach der Morgenstern, und während Joel ins Bett kroch, wo er auch sofort einschlief, dankte er dem Wunder der Nacht, welche wieder einmal die Distanz zwischen zwei Wesen verringert hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)